VON DEN
TONEMPFINDUNGEN
ALS
PHYSIOLOGISCHE GRUNDLAGE
FÜR DIE
THEORIE DER MUSIK
VON
HERMANN VON HELMHOLTZ
FÜNFTE AUSGABE
MIT DEM BILDNISS DES VERFASSERS UND 66 IN DEN TEXT EINGEDRUCKTEN HOLZSTICHEN
BRAUNSCHWEIG
DRUCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN
1896
VORREDE
ZUR
ESTEN AUSGABE.
Die gegenwärtige Ausgabe ist ein fast unveränderter Abdruck
der vorigen. Kleine Zusätze des Herausgebers sind durch eckige
Klammern kenntlich gemacht. In dem mathematischen Anhange sind nach Möglichkeit
die einmal gewählten Bezeichnungen durchgeführt. Bei den Zitaten
aus Arbeiten des Verfassers wurde auf die betreffende Stelle in den „Gesammelten
wissenschaftlichen Abhandlungen" hingewiesen.
Jede Ergänzung des Inhaltes der „Tonempfindungen" durch Aufnahme
der Ergebnisse neuerer Forschungen unterblieb gemäss einer letzten
Willensäußerung des Verewigten.
Freilich hat die Wissenschaft neuerdings in mehreren hier in Betracht
kommenden Einzelfragen bedeutende Fortschritte gemacht, und speziell hat
sich durch die zunehmende Vervollkommnung des Mikroskopes unsere Kenntnis
von dem Bau des Ohres und den Nervenendungen im Corti'schen Organ nicht
unbeträchtlich erweitert.
Die Aufnahme dieser Änderungen hätte jedoch den Umsturz großer
Teile des alten Textes erfordert. Eine solche Umgestaltung seiner Arbeit
hätte aber nur der Meister selbst geben dürfen. Werke, die so
tief, wie das vorliegende, in die Geschichte der Wissenschaft eingeschnitten
und nach den verschiedensten Seiten hin epochemachend gewirkt haben, tragen
in sich das Recht, als hehre historische Denkmale in ihrer ursprünglichen
Form bewahrt zu werden.
Außerdem aber vermögen all diese Fortschritte höchstens
manche Einzelheiten der Darstellung zu modifizieren, doch ändern sie
in keiner Weise die großen grundlegenden Theorien über die Reizung
der Nerven und die Übertragung des Schalles und den ganzen herrlichen
Aufbau einer physikalischen Theorie des Klanges.
Berlin, im Dezember 1895.
INHALTSVERZEICHNIS.
Erste Abteilung.
Die Zusammensetzung der Schwingungen.
Obertöne und Klangfarben.
Erster Abschnitt: Von der Schallempfindung
im Allgemeinen.
Unterschied zwischen Geräusch und Klang. Letzterer entspricht
regelmäßig periodischen Bewegungen der Luftmasse. Allgemeine
Eigentümlichkeiten der Wellenbewegungen. Während die Wellen kontinuierlich
fortschreiten, führen die Teilchen des Medium, durch welches sie fortschreiten,
periodische Bewegungen aus. Die Stärke der Klänge hängt
von der Amplitude der Schwingungen, die Tonhöhe von der Dauer ihrer
Periode ab. Einfache Verhältnisse der Schwingungszahlen für konsonante
Intervalle. Berechnung derselben für die ganze Skala. Die Klangfarbe
muss von der Schwingungsform abhängen. Begriff der Schwingungsform.
Graphische Darstellung derselben. Harmonische Obertöne.
Zweiter Abschnitt: Die Zusammensetzung
der Schwingungen.
Zusammensetzung der Wellen zuerst erläutert an Wasserwellen. Die
Höhen verschiedener Wellenzüge addieren sich zu einander algebraisch.
Entsprechende Superposition der Schallwellen in der Luft. Zusammengesetzte
Schwingungen können regelmäßig periodisch sein, wenn ihre
Schwingungszahlen ganze Vielfache derselben Zahl sind. Alle periodischen
Luftbewegungen können ans einfachen pendelartigen Schwingungen zusammengesetzt
gedacht werden. Dieser Zusammensetzung entspricht nach Ohm die Zusammensetzung
des Klanges aus Obertönen.
Dritter Abschnitt: Analyse der Klänge
durch Mittönen.
Erklärung des mechanischen Vorganges beim Mittönen. Es tritt
ein, wenn die erregende Klangmasse einen einfachen Ton enthält, der
einem der Eigentöne des mittönenden Körpers entspricht.
Verschiedenheiten der Erscheinung an Stimmgabeln und Membranen. Beschreibung
der Resonatoren zur genaueren Analyse der Klänge. Mittönen der
Saiten.
Vierter Abschnitt: Von der Zerlegung der Klänge
durch das Ohr.
Methoden, die Obertöne zu beobachten. Beweis für das Ohm'sche
Gesetz, geführt mittels der Klänge gezupfter Saiten; mittels
einfacher Töne von Stimmgabeln und mittels der Resonatoren. Unterschied
von Klang und Ton. Streit zwischen Ohm und Seebeck. Die Schwierigkeiten
in der Wahrnehmung der Obertöne beruhen auf einer gemeinsamen Eigentümlichkeit
aller menschlichen Sinneswahrnehmungen. Wir sind in der Beobachtung unserer
Sinnesempfindungen nur so weit geübt, als sie uns zur Erkenntnis der
Außenwelt dienen.
Fünfter Abschnitt: Von den Unterschieden
der musikalischen Klangfarben.
Begrenzung des Begriffe der musikalischen Klangfarbe. Untersuchung
verschiedener Klänge auf ihren Gehalt an Obertönen.
1) Klänge ohne Obertöne
2) Klänge mit unharmonischen Nebentönen
3) Klänge der Saiten
4) Klänge der Streichinstrumente
5) Klänge der Flötenpfeifen
6) Klänge der Zungenpfeifen
7) Klänge der Vokale
Ergebnisse für den Charakter der Klänge im Allgemeinen.
Sechster Abschnitt: Über die Wahrnehmung
der Klangfarben.
Verändert sich der Klang nach dem Phasenunterschiede der
Obertöne? Versuche darüber mit elektromagnetisch bewegten Stimmgabeln,
aus deren Tönen künstlich Vokal klänge zusammengesetzt werden,
ergeben die Unabhängigkeit der Klangfarbe von den Phasenunterschieden.
Die Hypothese, wonach eine Reihe abgestimmter mitschwingender Teile im
Ohre vorhanden sind, erklärt die eigentümlichen Fähigkeiten
dieses Organs. Beschreibung der mitschwingenden Teile im Ohre. Grad der
Dämpfung dieser Teile. Ansicht über den Nutzen der Schnecke.
Zweite Abteilung.
Die Störungen des Zusammenklang
Kombinationstöne und Schwebungen. Konsonanz Dissonanz.
Siebenter Abschnitt: Die Kombinationstöne.
Kombinationstöne entstehen, wo sich Schwingungen zusammensetzen,
die nicht unendlich klein sind. Beschreibung ihrer Erscheinung, Gesetz
für die Zahl ihrer Schwingungen. Kombinationstöne verschiedener
Ordnung. Unterschied ihrer Stärke bei verschiedenen Instrumenten.
Achter Abschnitt: Von den Schwebungen einfacher
Töne.
Erscheinungen der Interferenz des Schalles, wenn zwei gleich hohe Töne
zusammenkommen. Je nach dem Phasenunterschiede erhält man Verstärkung
oder Schwächung. Beschreibung einer Sirene für Interferenzversuche.
Die Interferenz geht über in Schwebungen, wenn die Höhe beider
Töne etwas verschieden ist. Gesetz für die Zahl der Schwebungen.
Sichtbare Schwebungen an mittönenden Körpern. Grenze für
ihre Schnelligkeit.
Neunter Abschnitt: Tiefe und tiefste Töne.
Die bisherigen Versuche darüber sind ungenügend, weil Täuschung
durch Obertöne möglich, war, wie sieh an der Sirene mittels der
Zahl der Schwebungen nachweisen lässt. Die Töne unter 40 Schwebungen
gehen in ein Dröhnen über, dessen Tonhöhe unvollkommen oder
gar nicht zu bestimmen ist. Die einzelnen Luftstöße können
auch bei viel höheren Klängen noch mittels der Schwebungen der
hohen Obertöne erkannt werden.
Zehnter Abschnitt: Schwebungen der Obertöne.
Je zwei Obertöne zweier Klänge, wenn sie nahehin gleiche
Tonhöhe haben, können Schwebungen geben; wenn die beiden Obertöne
dagegen ganz zusammenfallen, tritt Konsonanz ein. Reihenfolge der verschiedenen
Konsonanzen nach der Deutlichkeit ihrer Abgrenzung von den benachbarten
Dissonanzen. Anzahl der Schwebungen bei verstimmten Konsonanzen und ihr
Einfluß auf die Rauhigkeit. Störung jeder Konsonanz durch die
benachbarten Konsonanzen. Reihenfolge ihres Wohlklanges.
Elfter Abschnitt: Die Schwebungen der Kombinationstöne.
Die Differenztöne erster Ordnung verschiedener Paare von Partialtönen
zweier Klänge können Schwebungen von großer Deutlichkeit
geben; schwächere die Kombinationstöne höherer Ordnung auch
für einfache primäre Töne. Einfluss der Klangfarben auf
die Schärfe der Dissonanzen und den Wohlklang der Konsonanzen.
Zwölfter Abschnitt: Von den Akkorden.
Die konsonanten dreistimmigen Akkorde. Unterschied der Dur- und Mollakkorde
durch ihre Kombinationstöne. Unterschied des Wohlklanges bei den verschiedenen
Umlagerungen der drei- und vierstimmigen Dur- und Mollakkorde. Rückblicke
auf den bisherigen Gang der Untersuchung.
Dritte Abteilung.
Die Verwandtschaft der Klänge.
Tonleitern und Tonalität.
Dreizehnter Abschnitt: Übersicht der
verschiedenen Prinzipien des musikalischen Stils in der Entwickelung der
Musik.
Unterschied der naturwissenschaftlichen und ästhetischen Methode.
Das System der Tonleitern, Tonarten und der Harmoniebildung hängt
nicht bloß von natürlichen Ursachen, sondern auch von ästhetischen
Stilprinzipien ab. Drei Hauptperioden sind zu unterscheiden:
1) Die homophone Musik
2) Die polyphone Musik
3) Die harmonische Musik
Vierzehnter Abschnitt: Die Tonalität
der homophonen Musik.
Ästhetischer Grund für das Gesetz des stufenweisen Fortschritts
in der Skala. Verwandtschaft der Klänge beim melodischen Fortschritt
beruht in der Gleichheit zweier Partialtöne. So ist zuerst gefunden
worden die Oktave, Quinte und Quarte. Schwankungen in den Terzen und Sexten.
Die fünfstufigen Leitern der Chinesen und Galen; die chromatischen
und enharmonischen Leitern der Griechen; die siebenstufige diatonische
Leiter des Pythagoras; die Tongeschlechter der Griechen und der altchristlichen
Kirche. Rationelle Konstruktion der diatonischen Leiter nach dem Prinzip
der Tonverwandtschaft ersten und zweiten Grades ergibt die fünf melodischen
Tonleitern des Altertums. Genauere Bezeichnung der Tonhöhe eingeführt.
Eigentümliche Auffindung der natürlichen Terzen im arabisch-persischen
Musiksystem. Bedeutung des Leittones und dadurch bedingte Änderung
der modernen Skalen.
Fünfzehnter Abschnitt: Die konsonanten
Akkorde der Tonart
Akkorde als Vertreter von Klängen. Zurückführung aller
Töne auf die engsten Verwandtschaften in der populären Harmoniefolge
der Durtonart. Zweideutige Klangbedeutung der Mollakkorde. Der tonische
Accord als Zentrum der Akkordfolge. Verwandtschaft der Akkorde. Unter den
alten Tongeschlechtern sind Dur und Moll zur Harmoniebildung am geschicktesten.
Moderne Reste der alten Tongeschlechter.
Sechzehnter Abschnitt: Das System der Tonarten.
Relativer und absoluter Charakter verschiedener Tonarten. Die Modulation
führt zur temperierten Stimmung der Intervalle. Hauptmann's System
lässt noch eine Vereinfachung zu, die es praktisch ausführbar
macht. Beschreibung eines Harmonium mit natürlicher Stimmung. Nachteile
der temperierten Stimmung. Regeln der Modulation bei reiner Stimmung.
Siebzehnter Abschnitt: Von den dissonanten
Akkorden.
Aufzählung der dissonanten Intervalle der Skala. Die dissonanten
Dreiklänge, die Septimenakkorde. Begriff der dissonanten Note. Dissonante
Akkorde als Vertreter von Klängen.
Achtzehnter Abschnitt: Gesetze der Stimmführung.
Kettenweise Verbindung der Klänge einer Melodie. Daraus folgen
Regeln für die Bewegung der dissonanten Note. Auflösung der Dissonanzen.
Kettenweise Verbindung der Akkorde, Auflösung der Septimenakkorde.
Oktaven- und Quintenparallelen. Unharmonischer Querstand.
Neunzehnter Abschnitt: Beziehungen zur Ästhetik.
Das Gesetz von der unbewussten Gesetzmäßigkeit der Kunstwerke.
Das Gesetz der melodischen Folge der Töne beruht auf einem Akte der
Empfindung, nicht des Bewusstseins. Ebenso der Unterschied der Konsonanz
und Dissonanz. Schluss.
Beilagen.
1) Elektromagnetische Treibmaschine für
die Sirene
2) Maße und Verfertigung von Resonatoren
3) Die Bewegung gezupfter Saiten
4) Herstellung einfacher Töne durch Resonanz
5) Schwingungsform der Klaviersaiten
6) Analyse der Bewegung von Violinsaiten
7) Zar Theorie der Pfeifen
A. Einfluss der Resonanz in den Zangenpfeifen
B. Theorie des Anblasens der Pfeifen
I. Das Anblasen der Zungenpfeifen
II. Das Anblasen der Flötenpfeifen
8) Praktische Anweisungen für die Versuche
über Zusammensetzung der Vokale
9) Phasen der durch Resonanz entstandenen Wellen
10) Beziehung zwischen der Stärke des Mitschwingens
und der Dauer des Ausschwingens
11) Schwingungen der Membrana basilaris der
Schnecke
12) Theorie der Kombinationstöne
13) Beschreibung des Mechanismus für die
Öffnung einzelner Löcherreihen in der mehrstimmigen Sirene
14) Schwankung der Tonhöhe bei den Schwebungen
einfacher Töne
15) Berechnung der Intensität der Schwebungen
verschiedener Intervalle
16) Schwebungen der Kombinationstöne
17) Plan für rein gestimmte Instrumente
mit einem Manual
18) Anwendung der reinen Intervalle beim Gesang
19) Plan von Herrn Bosanquet's Manual