Analyse der Empfindungen
und das
Verhältnis des Physischen zum Psychischen
von
Dr. E. Mach,
em. Professor an der Universität Wien.
Mit 36 Abbildungen.
Fünfte vermehrte Auflage.
Verlag von Gustav Fischer in Jena. 1906.
gewidmet vom Verfasser.
Vorwort zur fünften Auflage.
Der Text dieser Auflage ist durch einige Zusätze und Anmerkungen ergänzt. Eine umfangreichere Einschaltung, betreffend neuere Untersuchungen über den Orientierungssinn, rührt von Herrn Prof. Joseph Pollak her, welcher auch die Güte hatte eine Korrektur zu lesen und die Register richtig zu stellen. Für alle diese Hilfeleistungen bin ich ihm zu herzlichem Dank verpflichtet. Ein Irrtum in bezug auf Ewalds Hörtheorie wurde berichtigt. Mit Befriedigung habe ich wahrgenommen, daß die Auffassung des Verhältnisses des Physischen und Psychischen bei Alfred Binet (L'Ame et le Corps, Paris 1905) mit der hier vertretenen fast zusammenfällt.
Wien, im Mai 1906.
Durch die tiefe Überzeugung, daß die Gesamtwissenschaft überhaupt,
und die Physik insbesondere, die nächsten großen Aufklärungen
über ihre Grundlagen von der Biologie und zwar von der Analyse der
Sinnesempfindungen zu erwarten hat, bin ich wiederholt auf dieses Gebiet
geführt worden.
Freilich habe ich nur wenig zur Erreichung dieses
Zieles beitragen können. Schon dadurch, daß ich meine Untersuchungen
nur gelegentlich, nicht als eigentlichen Beruf, betreiben, und oft nur
nach langen Unterbrechungen wieder aufnehmen konnte, mußten meine
zerstreuten Publikationen an Gewicht verlieren, vielleicht mir sogar den
stillen Vorwurf der Zersplitterung eintragen. Um so mehr bin ich jenen
Forschern, welche wie E. Hering, V. Hensen W. Preyer
u. a., teils auf den sachlichen Inhalt, teils auf die methodologischen
Ausführungen meiner Arbeiten Rücksicht genommen haben, zu besonderem
Dank verpflichtet.
Vielleicht erscheint nun die vorliegende zusammenfassende
und ergänzende Darstellung in einem etwas günstigem Licht, indem
sie deutlich macht, daß es überall dasselbe Problem war, welches
mir aus den vielen einzelnen untersuchten Tatsachen entgegengeblickt hat.
Obwohl ich durchaus nicht auf den Namen eines Physiologen, noch weniger
auf jenen eines Philosophen Anspruch machen kann, hoffe ich doch, daß
die lediglich mit dem lebhaften Wunsche nach Selbstbelehrung unternommene
Arbeit eines über die konventionellen Fachgrenzen ausblickenden Physikers
auch für andere nicht ganz ohne Nutzen sein wird, selbst wenn ich
nicht überall das Richtige getroffen haben sollte.
Die stärkste Anregung erhielt vor 25 Jahren
meine natürliche Neigung für die hier behandelten Fragen durch
Fechners
"Elemente der Psychophysik" (Leipzig 1860), und am meisten gefördert
wurde ich durch Herings Lösung zweier in den folgenden Blättern
(S. 56 und S. 138) näher bezeichneter Probleme.
Lesern, welche aus irgend welchen Gründen allgemeineren
Erörterungen gern aus dem Wege gehen, empfehle ich, das erste und
letzte Kapitel zu überschlagen. Für mich hängt allerdings
die Ansicht des Ganzen und die Ansicht des Einzelnen so zusammen, daß
ich beide nur schwer zu trennen vermöchte.
Prag, im November 1885.
D. V.
Vorwort zur zweiten Auflage.
Diese Schrift, welche bestimmt war als Apercu zu wirken, und welche
als solches wohl auch gewirkt hat, wie ich aus den gelegentlichen Äußerungen
von Avenarius, H. Cornelius, James, Külpe,
Loeb,
Pearson, Petzoldt, Willy u, a. zu entnehmen glaube,
erscheint nun nach 14 Jahren in neuer Auflage. Es ist dies ein etwas gewagtes
Unternehmen. Denn es verträgt sich nicht mit dem Charakter der Schrift,
dieselbe durch Einfügung vieler experimenteller Einzeluntersuchungen
und ausführliche Berücksichtigung der seither erschienenen Literatur
zu einem dicken Buche anschwellen zu lassen. Ich möchte jedoch diese
letzte Gelegenheit nicht vorüber gehen lassen, ohne über den
mir wichtigen Gegenstand noch einmal das Wort zu ergreifen. Deshalb habe
ich die notwendigsten Ergänzungen und Erläuterungen, meist in
Form kurzer eingeschalteter Kapitel, eingefügt. Das eine derselben,
das zweite, habe ich schon in die 1897 erschienene englische Ausgabe des
Buches aufgenommen.
Meinen erkenntniskritisch-physikalischen und den
vorliegenden sinnesphysiologischen Versuchen liegt dieselbe Ansicht zu
Grunde, daß alles Metaphysische als müßig und die Ökonomie
der Wissenschaft störend zu eliminieren sei. Wenn ich nun hier auf
abweichende Ansichten nicht ausführlich kritisch und polemisch eingehe,
so geschieht dies wahrlich nicht aus Mißachtung derselben, sondern
in der Überzeugung, daß derartige Fragen nicht durch Diskussionen
und dialektische Gefechte ausgetragen werden. Fördernd ist hier nur,
wenn man einen halben Gedanken, oder einen solchen von paradoxem Gehalt,
jahrelang geduldig mit sich herum trägt und sich redlich bemüht,
denselben zu ergänzen, beziehungsweise das Paradoxe abzustreifen.
Leser, welche nach Überfliegen der ersten Seiten das Buch weglegen,
weil sie nach ihrer Überzeugung nicht weiter zu folgen vermögen,
werden sich eben nicht anders verhalten, als ich selbst es notgedrungen
mitunter tun mußte.
Diese Schrift hat in ihrer älteren Form vielfache
freundliche Aufnahme, aber auch starken Widerspruch gefunden. Für
Leser, welche auf den Inhalt näher eingehen wollen, möchte es
von Belang sein zu wissen, daß Willy in seiner eben erschienenen
Schrift "Die Krisis in der Psychologie" (Leipzig 1899), die einen dem meinigen
nahe verwandten Standpunkt einnimmt, in bezug auf viele Einzelheiten meinen
Ansichten entgegentritt.
Wien, im April 1900.
Gegen alle Erwartung war die zweite Auflage in einigen Monaten vergriffen.
Ich habe nicht versäumt hinzuzufügen, was zur Verdeutlichung
meiner Ansichten beitragen kann, ohne übrigens den Grundtext von 1886
im wesentlichen zu ändern. Nur zwei Stellen, Absatz 7, S. 11 und Absatz
11, S. 15 der zweiten Auflage erhielten eine schärfere Fassung. Es
hat nämlich Herr Dr. A. Lampa, Privatdozent der Physik an hiesiger
Universität, im Gespräche mit verschiedenen Lesern die Erfahrung
gemacht, daß diese Stellen oft in einseitig idealistischem Sinne
verstanden wurden, was keineswegs in meiner Intention lag. Ich bin Herrn
Dr. Lampa für seine freundlichen Mitteilungen zu aufrichtigem
Dank verpflichtet. Die Kapitel IX und XV, welche in der zweiten Auflage
Angedeutetes weiter ausführen, sind neu hinzugekommen.
Wenn nicht alle Anzeichen trügen, so stehe
ich mit meinen Ansichten doch bei weitem nicht mehr so isoliert da, als
es noch vor wenigen Jahren der Fall war. Neben der Schule von Avenarius
finden sich doch auch jüngere Forscher, wie H. Gomperz, welche
sich auf ihren eigenen Wegen annähern. Die übrig bleibenden Differenzen
scheinen mir nicht unausgleichbar. Doch wäre es verfrüht, über
dieselben jetzt schon zu diskutieren. "But the question is one in which
it is peculiarly difficult to make out precisely what another man means,
and even what one means one's self." So spricht mit köstlichem Humor
der Mathematiker W. K. Clifford (On the nature of things-in-themselves,
Lectures, II, p. 88), ein Mann, dessen Forschungsrichtung- der meinig'en
recht nahe liegt.
Wien, im November 1901.
Die Ansicht, welche sich allmählich Bahn bricht, daß die
Wissenschaft sich auf die übersichtliche Darstellung des Tatsächlichen
zu beschränken habe, führt folgerichtig zur Ausscheidung aller
müßigen, durch die Erfahrung nicht kontrollierbaren Annahmen,
vor allem der metaphysischen (im Kantschen Sinne). Hält man
diesen Gesichtspunkt in dem weitesten, das Physische und Psychische umfassenden
Gebiete fest, so ergibt sich als erster und nächster Schritt die Auffassung
der "Empfindungen" als gemeinsame ,,Elemente" aller möglichen physischen
und psychischen Erlebnisse, die lediglich in der verschiedenen Art der
Verbindung dieser Elemente, in deren Abhängigkeit von einander bestehn.
Eine Reihe von störenden Scheinproblemen fällt hiermit weg. Kein
System der Philosophie, kleine umfassende Weltansicht soll hier geboten
werden. Nur die Folgen dieses einen Schrittes, dem beliebige andere sich
anschließen mögen, werden hier erwogen. Nicht eine Lösung
aller Fragen, sondern eine erkenntnistheoretische Wendung wird hier versucht,
welche das Zusammenwirken weit von einander abliegender Spezialforschungen
bei Lösung wichtiger Einzelprobleme vorbereiten soll.
Unter diesem Gesichtspunkt sind auch die hier mitgeteilten
Einzeluntersuchungen zu betrachten. Gibt es keine Wesensverschiedenheit
des Physischen und Psychischen, so wird man denselben exakten Zusammenhang,
den man in allem Physischen sucht, auch in den Beziehungen des Physischen
und Psychischen vermuten. Man erwartet dann zu allen Einzelheiten, welche
die physiologische Analyse an den Empfindungen zu entdecken vermag, ebenso
viele entsprechende Einzelheiten des physischen Nervenprozesses aufzufinden.
Diese Beziehung habe ich darzulegen versucht, so weit es mir gelingen wollte.
Weitgehendes Lob und ebensolchen Tadel habe ich
zu hören bekommen. Beide wünsche ich durch das oben Gesagte zu
einem ruhigen Urteil zu ermäßigen. Als es mir vor ungefähr
31/2 Dezennien gelang, den hier
eingenommenen Standpunkt durch Überwindung meiner eigenen Vorurteile
zu befestigen und mich von der größten intellektuellen Unbehaglichkeit
meines Lebens zu befreien, gewährte mir dies einige Befriedigung.
Ich kannte damals nur Kant und Herbart. Heute sehe ich nun,
daß eine ganze Anzahl Philosophen: Positivisten, Empiriokritiker,
Vertreter der immanenten Philosophie, und auch sehr vereinzelte Naturforscher,
ohne von einander zu wissen, Wege eingeschlagen haben, welche bei aller
individuellen Verschiedenheit fast in einem Punkte konvergieren. Wenn ich
unter solchen Umständen den Wert meiner Einzelarbeit nur gering anschlagen
kann, so darf ich dafür annehmen, daß ich nicht bloß ein
subjektives Phantom verfolgt, sondern zur Erreichung eines allgemeiner
angestrebten Zieles beigetragen habe. Prioritätsansprüche zu
erheben in bezug auf Gedanken, deren leitende Fäden bis in die antike
Zeit zurückreichen, hätte natürlich keinen guten Sinn.
Die Herren Dr. Josef Pollak und Dr. Wolfgang
Pauli, Dozenten an der medizinischen Fakultät, hatten die besondere
Freundlichkeit eine Korrektur zu lesen, wofür ich hier den beiden
Herren herzlichst danke.
Wien, im November 1902.
I. Antimetaphysische
Vorbemerkungen.
II. Über vorgefaßte
Meinungen.
III. Mein Verhältnis
zu R. Avenarius und anderen Forschern
IV. Die Hauptgesichtspunkte
für die Untersuchung der Sinne.
V. Physik und Biologie.
Kausalität und Teleologie.
VI. Die Raumempfindungen des
Auges.
VII. Weitere Untersuchungen der Raumempfindungen.
VIII. Der Wille.
IX. Eine biologisch-teleologische
Betrachtung über den Raum.
X. Beziehungen der Gesichtsempfindungen
zu einander und zu anderen psychischen Elementen.
XI. Empfindung, Gedächtnis
und Assoziation.
XII. Die Zeitempfindung.
XIII. Die Tonempfindungen.
XIV. Einfluß der vorausgehenden Untersuchungen
auf die Auffassung der Physik.
XV. Die Aufnahme der hier dargelegten
Ansichten.