XV. Die Aufnahme der hier dargelegten Ansichten.

1.

Nach Erscheinen der ersten Auflage dieser Schrift waren die Meinungen über dieselbe sehr geteilt. Die Anerkennung betraf aber in der überwiegenden Zahl der Fälle Einzelheiten, während die Grundansicht, welche zur ersteren geführt hatte, meist verworfen wurde. Die öffentliche Kritik1), so weit sie mir bekannt geworden ist, blieb übrigens auch in der Ablehnung maßvoll und war in ihrer Aufrichtigkeit für mich sehr lehrreich.

l) Daß die privaten Urteile ebenso maßvoll gewesen seien, würde ich auch dann nicht geglaubt haben, wenn mir solche nicht durch kleine Indiskretionen bekannt geworden wären. Ein mehr als geringschätziges Urteil eines deutschen Kollegen wurde mir auf einem sonderbaren Umwege mitgeteilt — sagen wir ungefähr über die Antipoden — in der unverkennbaren Absicht, mich zu verletzen. Diesen Zweck hat es allerdings verfehlt. Denn es wäre gewiß sehr unbillig, wenn ich das Recht, links liegen zu lassen, was mir unfruchtbar scheint, von dem ich ja selbst oft genug Gebrauch mache, nicht auch andern zugestehen wollte. Ein Bedürfnis aber, Leute, welche anderer Meinung sind, zu insultieren, habe ich allerdings nie gefühlt.     Der günstige Einfluß, welchen die späteren Publikationen von R. Avenarius auch auf das Urteil über meine Schrift geübt haben, ist nicht zu verkennen. Mußte es doch zu denken geben, daß ein Fachphilosoph in einer ausführlichen systematischen Darstellung einen Standpunkt begründete, den man bei einem Naturforscher als eine leicht begreifliche dilettantische Verirrung anzusehen geneigt war. Auch die Schüler von Avenarius und jüngere Forscher, welche auf eigenen Wegen sich mir genähert haben, stehen mir heute hilfreich zur Seite. Dennoch können die Kritiker, mit wenigen Ausnahmen, und auch diejenigen, welche meinen Grundgedanken ganz richtig referieren und sicherlich verstanden haben, schwere Bedenken gegen denselben nicht los werden. Es ist dies kein Wunder. Denn der Plastizität meines Lesers werden sehr starke Zumutungen gemacht. Einen Gedanken logisch begreifen und denselben sympathisch aufnehmen, ist zweierlei. Die ordnende und vereinfachende Funktion der Logik kann ja erst beginnen, wenn das psychische Leben in der Entwicklung weit fortgeschritten ist, und schon einen reichen Schatz von instinktiven Erwerbungen aufzuweisen hat. Diesem instinktiven vorlogischen Bestand von Erwerbungen ist nun auf dem Wege der Logik kaum beizukommen. Es handelt sich vielmehr um einen psychologischen Umbildungsprozeß, der, wie ich an mir erfahren habe, selbst in jungen Jahren schwierig genug ist. Hier gleich auf Zustimmung zu rechnen, wäre daher unbescheiden. Ich bin vielmehr zufrieden, wenn man mich überhaupt nur zu Worte kommen läßt, und mich ohne Voreingenommenheit anhört. Ich will nun, dem Eindruck folgend, den ich durch die Kritiken erhalten habe, nochmals die Punkte hervorheben und beleuchten, deren Aufnahme auf besonderen Widerstand trifft. Hierbei betrachte ich die vorgebrachten Einwendungen nicht als mutwillige und nicht als persönliche, sondern als typische, unterlasse also die Nennung von Namen.

2.

Wenn wir uns keinen Zwang antun, sehen wir die Erde feststehend, die Sonne aber und den Fixsternhimmel bewegt. Diese Auffassung ist für gewöhnliche praktische Zwecke nicht nur ausreichend, sondern sie ist auch die einfachste und vorteilhafteste. Die entgegengesetzte Ansicht hat sich aber für gewisse intellektuelle Zwecke als die bequemere bewährt. Obgleich beide gleich richtig und in ihrem Gebiet zweckmäßig sind, hat sich die zweite nur nach hartem Kampfe gegen eine der Wissenschaft widerstrebende Macht, welche hier mit der instinktiven Auffassung des gemeinen Mannes im Bunde war, geltend machen können. Die Zumutung, sich auf der Sonne statt auf der Erde stehend als Beobachter zu denken, ist nun aber nur eine Kleinigkeit gegen die Forderung, sein Ich für nichts zu achten, dasselbe in eine vorübergehende Verbindung von wechselnden Elementen aufzulösen. Diese letztere Auffassung ist ja längst von verschiedenen Seiten vorbereitet2). Wir sehen solche Einheiten, welche wir Ich nennen, bei der Zeugung entstehen und durch den Tod verschwinden. Wollen wir nicht die heute schon abenteuerliche Fiktion uns erlauben, daß diese Einheiten latent schon vorher vorhanden waren und ebenso nachher fortbestehen, so können wir nur annehmen, daß es eben temporäre Einheiten sind. Die Psychologie und die Psychopathologie lehrt uns, daß das Ich wachsen und sich bereichern, verarmen und schrumpfen, sich fremd werden und sich spalten, kurz schon während des Lebens sich bedeutend ändern kann. Trotz alledem ist das Ich für meine instinktive Auffassung das Wichtigste und Beständigste. Es ist das Band aller meiner Erlebnisse und die Quelle aller meiner Tätigkeit. So ist auch ein starrer Körper für die rohe instinktive Auffassung etwas sehr Beständiges. Wird derselbe geteilt, aufgelöst, mit einem andern chemisch verbunden, so vermehrt und vermindert sich die Anzahl dieser Beständigkeiten. Wir nehmen jetzt, um den liebgewordenen Gedanken um jeden Preis festzuhalten, latente Beständigkeiten an, wir flüchten uns in die Atomistik. Da wir den verschwundenen oder veränderten Körper oft wieder restituieren können, so beruht dies hier auf etwas besseren Gründen, als in dem obigen Falle.

2) Man vergleiche den Standpunkt von Hume und Lichtenberg. — Der Buddhismus kommt hier seit Jahrtausenden vorzugsweise von der praktischen Seite entgegen. Vgl. P. Carus, The Gospel of Buddha, Chicago 1894. — Vgl. auch die wunderbare Erzählung: P. Carus, Karma, a Story of Early Buddhism, Chicago 1894.     Praktisch können wir nun handelnd die Ichvorstellung so wenig entbehren, als die Körpervorstellung nach einem Ding greifend. Physiologisch bleiben wir Egoisten und Materialisten, so wie wir die Sonne immer wieder aufgehn sehen. Theoretisch muß aber diese Auffassung nicht festgehalten werden. Ändern wir dieselbe versuchweise! Ergibt sich hierbei eine Einsicht, so wird diese schließlich auch praktische Früchte tragen.

3.

Wer einmal unter dem Einflusse Kants gestanden, einen idealistischen Standpunkt eingenommen hat, und den Gedanken des Dinges an sich nicht bis zu den letzten Spuren losgeworden ist, bei dem bleibt eine gewisse Neigung zum Solipsismus zurück, die mehr oder weniger deutlich hervortritt. Ich kenne diesen Zustand sehr wohl aus meiner frühen Jugend, und finde denselben begreiflich. Der philosophische Denker macht dann das einzige prinzipiell unlösbare Problem des Ich zum Ausgangspunkt für alle übrigen. Das ist uns gegeben, darüber können wir nicht hinaus. Wenn daher spekulative Philosophen sagen: "Der Solipsismus ist der einzige konsequente Standpunkt", so wird dies verständlich aus ihrem Streben nach einem abgeschlossenen, allumfassenden, fertigen System der Weltauffassung. Ebenso konsequent, muß man allerdings sagen, ist auch der Materialismus für jenen, der glaubt, daß die Materie das einzige unmittelbar Gegebene, nicht weiter zu Enträtselnde sei. Dies gilt eben von jedem System. Sagt mir aber ein Naturforscher, der Solipsismus sei der einzige konsequente Standpunkt, so erregt dies meine Verwunderung. Ich will gar nicht darauf Gewicht legen, daß dieser Standpunkt besser für einen beschaulich dahinträumenden Fakir paßt, als für einen ernst denkenden und aktiven Menschen. Ich glaube, aber, daß ein Naturforscher durch diese Wendung die philosophische Denkweise mit der naturwissenschaftlichen vertauscht. Der Naturforscher sucht keine vollendete Weltanschauung; er weiß schon, daß all' seine Arbeit die Einsicht nur erweitern und vertiefen kann. Für ihn gibt es kein Problem, dessen Lösung weiterer Vertiefung nicht bedürftig wäre, aber auch keines, das er als absolut unlösbar betrachten müßte. Ist ein Problem derzeit unangreifbar, so löst er einstweilen andere, welche zugänglicher sind. Kehrt er dann zu ersterem zurück, so hat es in der Regel viel von seiner abschreckenden Physiognomie verloren.
    Gewiß ist das Ich nicht erschöpft, wenn man, ganz vorläufig, sagt, es bestehe in einem eigenartigen Zusammenhang der Elemente, so lange die Art dieses Zusammenhanges im einzelnen nicht erforscht ist. Aber die hierher gehörigen Einzelprobleme wird nicht die Spekulation lösen, sondern die Lösung wird zunächst den Psychologen, Physiologen und Psychiatern zufallen, welchen wir manche wichtige Aufklärung über dieselben schon verdanken. Der physische Untergrund des Ich, der Leib3), wird die Anhaltspunkte liefern, welche die introspektive Psychologie nur sehr unvollständig beschaffen kann. Der solipsistische Naturforscher würde einem Physiker gleichen, für welchen das Thermometer das Grundproblem der Welt wäre, weil er heute die Ausdehnung durch die Wärme noch nicht vollständig durchschaut. Der solipsistische Philosoph hingegen scheint mir dem Manne nachzuahmen, der sich das Umdrehen abgewöhnt hat, weil das, was er sieht, doch immer nur sein Vorn ist. Über die unhaltbare instinktive Spaltung des Ich in ein erlebtes Objekt und ein aktives oder beobachtendes Subjekt, die jeden lange genug quält, der diesen Fragen denkend näher tritt, vergl. Kap. I.

3) Es handelt sich aber hier nicht um ein transcendentes unerkennbares Ich, welches vielleicht als letztes Ding an sich manchem Philosophen noch nicht eliminierbar scheint, obgleich er diesen Gedanken im allgemeinen schon überwunden hat.
4.

Wer von dem Ich als einer Realität, die allem zu Grunde liegt, nicht abzusehen vermag, der wird auch nicht umhin können, zwischen meinen Empfindungen und deinen Empfindungen einen fundamentalen Unterschied zu machen. So erscheinen dem, der an die absolute Beständigkeit des Körpers glaubt, alle Eigenschaften als diesem einen Träger angehörig. Wenn aber dieses silberweiße Stück Natrium schmilzt, sich in Dampf auflöst, der dem ursprünglichen Ding gar nicht mehr ähnlich sieht, wenn das Natrium in verschiedene Partien geteilt, in verschiedene chemische Verbindungen übergeführt wird, so daß mehr oder auch weniger Körper vorhanden sind als vorher, so läßt sich die gewohnte Denkweise nur mehr äußerst künstlich aufrecht halten. Es wird dann vorteilhafter, dieselben einzelnen Eigenschaften als bald diesem, bald jenem Komplex (Körper) angehörig anzusehen, und an die Stelle der nicht beständigen Körper das beständige Gesetz treten zu lassen, welches den Wechsel der Eigenschaften und ihrer Verknüpfungen überdauert. Die Zumutung, diese neue Denkgewohnheit anzunehmen, ist wieder keine geringe. Wie würden sich die antiken Forscher gesträubt haben, wenn man ihnen gesagt hätte: "Erde, Wasser, Luft sind gar keine beständigen Körper, sondern das Beständige sind die in denselben steckenden heutigen chemischen Elemente, von welchen viele nicht sichtbar, andere sehr schwer isolierbar oder aufbewahrbar sind. Das Feuer ist gar kein Körper, sondern ein Vorgang usw." Die große Wandlung, welche in diesem Schritt liegt, vermögen wir kaum mehr richtig abzuschätzen. Doch bereitet sich in der heutigen Chemie die Fortsetzung dieser Wandlung vor, und dieselben Wege der Abstraktion führen in ihrem Verlauf zu dem hier eingenommenen Standpunkte. So wenig ich nun das Rot oder Grün als einem individuellen Körper angehörig betrachte, so wenig mache ich auf dem Standpunkt, den ich zur allgemeinen Orientierung hier einnehme, einen wesentlichen Unterschied zwischen meinen Empfindungen und den Empfindungen eines andern. Dieselben Elemente hängen in vielen Verknüpfungspunkten, den Ich, zusammen. Diese Verknüpfungspunkte sind aber nichts Beständiges. Sie entstehen, vergehen und modifizieren sich fortwährend. Was aber augenblicklich nicht verknüpft ist, beeinflußt sich eben nicht merklich. Meine Auffassung wird nicht davon affiziert, ob es gelingen mag, oder nicht gelingen mag, durch eine Nervenverbindung fremde Empfindungen in mich hinüberzuleiten. Die bekanntesten Tatsachen sind für diese Auffassung eine genügende Basis.

5.

Vielleicht noch mehr als die Grundgedanken hat vielen Lesern der allgemeine Charakter meiner Weltauffassung widerstrebt, welchen sie, freilich irrtümlich, zu erkennen glaubten. Da muß ich nun zunächst sagen, daß derjenige gewiß von der richtigen Würdigung meiner Ansicht sehr weit entfernt ist, welcher dieselbe trotz wiederholter Proteste von meiner und auch von anderer Seite mit der Berkeleyschen identifiziert4). Etwas liegt ja daran, daß meine Ansicht aus einer idealistischen Phase hervorgegangen ist, welche noch Spuren in den Ausdrücken zurückgelassen hat, die auch nicht ganz verwischt werden sollen. Denn der bezeichnete Weg zu meinem Standpunkt scheint mir der kürzeste und natürlichste. Hiermit hängt es auch zusammen, daß meine Leser mitunter die Scheu vor dem Panpsychismus ergreift. In dem verzweifelten Kampf einer einheitlichen Weltauffassung gegen das instinktive dualistische Vorurteil verfällt mancher dem Panpsychismus. Ich hatte in früher Jugend solche Anwandlungen durchzumachen, und Avenarius laboriert noch in seiner Schrift von 1876 daran. In bezug auf diese beiden Punkte empfinde ich es geradezu als ein Glück, daß Avenarius dieselbe Auffassung von dem Verhältnis des Physischen und Psychischen auf ganz realistischer (wenn man will, materialistischer) Grundlage entwickelt hat, so daß ich auf seine Ausführungen einfach verweisen kann.

4) Soll ich noch einmal den Unterschied mit einem Wort bezeichnen? — Berkeley sieht die "Elemente" als durch etwas außer denselben Liegendes, Unbekanntes (Gott) bedingt an, wofür Kant, um als nüchterner Realist zu erscheinen, das "Ding an sich" erfindet, während die hier vertretene Anschauung mit einer Abhängigkeit der "Elemente" von einander praktisch und theoretisch das Auskommen zu finden glaubt. Es scheint mir, daß man bei Auslegung Kants auf dessen so natürliche und psychologisch verständliche Scheu, für einen Phantasten gehalten zu werden, zu wenig Rücksicht genommen hat. Nur aus diesem Gesichtspunkt kann man verstehen, daß der Mann, für den nur auf mögliche Erfahrung anwendbare Begriffe Sinn und Wert hatten, ein Ding an sich statuieren konnte, über welches keine Erfahrung denkbar ist. Der gemeine Mann und der Naturforscher verhalten sich ja ganz klug, indem sie der einzelnen Sinnesempfindung das Ding als Vorstellungskomplex aller erinnerten und noch erwarteten an diese Empfindung sich knüpfenden Erfahrungen gegenüberstellen. Für den, der sich Kants Denkweise angeeignet, verliert dieses Verhalten an der Grenze der Erfahrung jeden Sinn.
6.

Nicht nur den Naturforschern, sondern auch den Fachphilosophen scheint meine Welt aus Elementen (Empfindungen) zu luftig. Daß ich die Materie als ein Gedankensymbol für einen relativ stabilen Komplex sinnlicher Elemente betrachte, wird als eine geringschätzige Auffassung bezeichnet. Die Außenwelt sei als eine Summe von Empfindungen nicht genügend erfaßt, man müsse zu den wirklichen Empfindungen mindestens noch die Empfindungsmöglichkeiten Mills einführen. Dagegen muß ich bemerken, daß auch für mich die Welt keine bloße Summe von Empfindungen ist. Vielmehr spreche ich ausdrücklich von Funktionalbeziehungen der Elemente. Damit sind aber die Mi1lschen "Möglichkeiten" nicht nur überflüssig geworden, sondern durch etwas weit Solideres, den mathematischen Funktionsbegriff, ersetzt. Hätte ich geahnt, daß ein kurzer präziser Ausdruck so leicht übersehen wird, und daß eine breite populäre Darstellung bessere Dienste tut, so würde mir eine Darstellung entsprochen haben, wie sie etwa H. Cornelius5), "über den Begriff der objektiven Existenz" in vorzüglicher Weise gibt. Allerdings würde ich auch hier den Ausdruck Möglichkeit vermieden und dafür den Funktionsbegriff verwendet haben.

              5) Psychologie als Erfahrungswissenschaft. Leipzig 1897, S. 99 und insbesondere S. 110 u. 111.

    Von anderer Seite läßt man durchblicken, daß meine Position aus einer überwiegenden Sinnlichkeit und entsprechend geringem Verständnis für den Wert der Abstraktion und des begrifflichen Denkens zu verstehen sei. Nun, ohne starke Sinnlichkeit kann der Naturforscher nicht viel verrichten. Dieselbe hindert ihn aber nicht, klare und scharfe Begriffe zu bilden. Im Gegenteil! Die Begriffe der heutigen Physik können sich an Präzision und Höhe der Abstraktion mit jenen irgend einer andern Wissenschaft messen, bieten aber zugleich den Vorteil, daß man sie immer leicht und sicher bis zu den sinnlichen Elementen, auf welche sie aufgebaut sind, zurückverfolgen kann. Für den Naturforscher ist die Kluft zwischen der anschaulichen Vorstellung und dem begrifflichen Denken nicht so groß und nicht unüberbrückbar. Nebenbei möchte ich bemerken, daß ich über die physikalischen Begriffe keineswegs geringschätzig denke, sondern seit fast vier Dezennien mich vielfach und eingehender, als es zuvor geschehen ist, mit deren Kritik beschäftigt habe. Und da die Ergebnisse dieser Beschäftigung nach langem Widerstreben bei den Physikern allmählich Zustimmung finden, so möchte diese doch wenigstens keine leichtfertige sein. Wenn aber der Physiker, der von Haus aus gewöhnt war, zu jeder Definition ein Kilogewicht in die Hand gedrückt zu bekommen, sich allmählich mit Definitionen zufrieden gibt, die alle auf eine Funktionalbeziehung sinnlicher Elemente hinauslaufen, so wird wohl auch der Philosoph nicht noch physikalischer sein wollen. Die betreffenden Einzelausführungen können aber natürlich nicht in dieser Skizze Platz finden, welche nur ein Programm für den Anschluß der exakten Wissenschaften aneinander sein will, sondern nur in den physikalischen Schriften des Verfassers. Die Kenntnis dieser Schriften auch nur bei jedem Physiker, geschweige denn bei dem Fache Fernerstehenden vorauszusetzen, wäre ja höchst unbescheiden. Mit dieser Unkenntnis hängt es aber zusammen, daß man mir z. B. zumutet, die "Spontaneität" und "selbständige Gesetzlichkeit" des Denkens gänzlich übersehen zu haben. Auch den bloßen Empfindungen gegenüber verhalten wir uns ja nicht nur passiv, sondern dieselben lösen eine biologische Reaktion aus, deren natürliche Fortsetzung eben die Anpassung der Gedanken an die Tatsachen ist. Würde letztere sofort vollkommen gelingen, so wäre hier der Prozeß wohl zu Ende. Da aber verschiedene unvollkommen angepaßte Gedanken mit einander in Widerstreit geraten, so setzt sich der biologische Prozeß fort. Es findet das statt, was ich die Anpassung der Gedanken aneinander genannt habe. Ich möchte nun wirklich wissen, welcher Prozeß der wissenschaftlichen Entwicklung, die logische eingeschlossen, hierin nicht einbegriffen wäre? Man erlaube mir, diese Gegenreden, in welchen ich nur längst und oft Gesagtes wiederholen müßte, vorläufig hier abzubrechen.

7.

Manchen Lesern erscheint die Welt in meiner Auffassung als ein Chaos, ein unentwirrbares Gewebe von Elementen. Sie vermissen die leitenden einheitlichen Gesichtspunkte. Dies beruht aber auf einem Verkennen der Aufgabe meiner Schrift. Alle wertvollen Gesichtspunkte der Spezialwissenschaften und der philosophischen Weltbetrachtung bleiben weiter verwendbar und werden auch von mir verwendet. Die scheinbar destruktive Tendenz ist lediglich gegen überflüssige und deshalb irreführende Zutaten zu unseren Begriffen gerichtet. So glaube ich gerade den Gegensatz des Psychischen und Physischen, des Subjektiven und Objektiven, richtig auf das Wesentliche zurückgeführt und zugleich von traditionellen abergläubischen Auffassungen gereinigt zu haben. Hierbei werden wissenschaftlich bewährte Gesichtspunkte nicht alteriert und für neue wird zugleich Raum gewonnen. Ich will auch nicht das elegisch oder fromm jammernde ,Ignorabimus' durch eine selbstgenügsame verstockte Abkehr von Wissenswertem und Erkennbarem ersetzen. Denn im Verzichten auf die Beantwortung als sinnlos erkannter Fragen liegt durchaus keine Resignation, sondern der Masse des wirklich Erforschbaren gegenüber das einzig vernünftige Verhalten des Forschers. Kein Physiker wird heute, wenn er das Perpetuum mobile nicht mehr sucht, kein Mathematiker, wenn er um die Quadratur des Zirkels oder um die Lösungen der Gleichungen fünften Grades in algebraischer geschlossener Form sich nicht mehr bemüht, darin Resignation sehen wollen. So ist es auch in allgemeineren philosophischen Fragen. Die Probleme werden entweder gelöst oder als nichtig erkannt.
    Wo steckt der Fehler oder die Einseitigkeit in Machs philosophischen Ansichten? Ich finde diese Frage eines meiner Kritiker sehr milde. Denn ich bin überzeugt, daß meine Ausführungen in mehr als einer Richtung sehr mangelhaft sind. Dies kann auch bei radikaleren Umwandlungsprozessen der Ansichten kaum anders sein. Dieselben spielen sich auch in einem Kopfe nie vollständig ab. Ich kann darum diese Mängel auch nur fühlen aber nicht aufzeigen. Ich wäre ja sonst ein gutes Stück weiter. Aber auch aus den Schriften meiner Kritiker sind mir dieselben nicht klar geworden. Warten wir also noch ein wenig!
    Daraus, daß meinen Ansichten Argumente entgegen gehalten werden, die in diesem Buche und in anderen meiner Schriften ausführlich erörtert sind, möchte ich keinem Menschen einen Vorwurf machen. Es muß ja eine wahre Qual sein, die Masse des Erscheinenden lesen und noch dazu in knapp zugemessener Zeit mit pflichtmäßiger Überlegenheit beurteilen zu müssen. Ich habe für diesen wichtigen Beruf nie Geschmack verspürt und habe deshalb in 40 Jahren wohlgezählte 3 Rezensionen geschrieben. Es sei also den Herren gegönnt, daß sie sich, wenn auch zum Teil auf meine Kosten, die Pein erleichtert haben. Man wird mir hoffentlich dafür auch nicht übelnehmen, daß ich nicht auf jeden Ausfall, auf jeden vermeintlich gut angebrachten Sarkasmus reagiere.
    Seither hat noch Hönigswald in einer eigenen Schrift (Zur Kritik der Machschen Philosophie, Berlin 1903) sich mit meinem Standpunkt beschäftigt. Ich muß nun anerkennen, daß Hönigswald sich die Mühe nicht hat verdrießen lassen, meine Schriften zu lesen; auch habe ich gegen das Ergebnis einer Kritik, daß nämlich mein Standpunkt mit dem Kantschen unverträglich ist, nicht das mindeste einzuwenden. Freilich werden kaum alle Philosophen hiernach schon annehmen, daß mein Standpunkt überhaupt unhaltbar ist. Mit Kant ist es mir eben eigentümlich ergangen. Sein kritischer Idealismus war, wie ich in größter Dankbarkeit anerkenne, der Ausgangspunkt meines ganzen kritischen Denkens. Es war mir aber unmöglich denselben beizubehalten. Vielmehr habe ich mich sehr bald den Ansichten Berkeleys wieder genähert, welche in Kants Schriften mehr oder weniger latent enthalten sind. Durch sinnesphysiologische Studien und durch Herbart kam ich zu Auffassungen, verwandt den Humeschen, ohne damals Hume noch zu kennen. Auch heute noch muß ich Berkeley und Hume gegenüber Kant als die weitaus konsequenteren Denker ansehen. Es kann nicht die Aufgabe eines Naturforschers sein, einen Philosophen wie Kant, der aus den Zeit Verhältnissen beurteilt werden muß, zu kritisieren oder zu widerlegen. Nebenbei gesagt wäre es auch keine große Heldentat mehr, die Unzulänglichkeit der Kantschen Philosophie zur Leitung der modernen Naturforschung aufzuzeigen. Das ist ja durch die Fortschritte auf allen Gebieten, auch auf dem der Philosophie, längst geschehen. Hönigswald verkennt gänzlich die vorsichtig versuchende Näherungsmethode des Naturforschers, wenn er aus den Äußerungen allgemeinerer Gesichtspunkte gleich ein abgeschlossenes philosophisches System herausliest. Des Naturforschers Beständigkeiten sind keine absoluten, die von ihm untersuchten Änderungen entsprechen aber auch nicht dem schrankenlosen Heraklitschen Fluß. Ich nenne biologische Ziele praktisch, sobald sich dieselben nicht auf die reine Erkenntnis als Selbstzweck beziehen. Man bedenke, in welche Lage der Naturforscher käme, wenn er vor Beginn seines Denkens jedes philosophische System einzeln widerlegen sollte. Noch einmal: Es gibt keine Machsche Philosophie!6).

             6) Vgl. Erkenntnis und Irrtum, 1905, Vorwort.

8.

Ob es mir jemals gelingen wird, den Philosophen meine Grundgedanken plausibel zu machen, muß ich dahin gestellt sein lassen. Bei aller Hochachtung vor der riesigen Geistesarbeit der großen Philosophen aller Zeiten ist mir dies zunächst auch weniger wichtig. Aufrichtig und lebhaft wünsche ich aber eine Verständigung mit den Naturforschern, und diese halte ich auch für erreichbar. Ich möchte denselben nur zu bedenken geben, daß meine Auffassung alle metaphysischen Fragen ausschaltet, gleichgültig, ob sie nur als gegenwärtig nicht lösbar oder überhaupt und für immer als sinnlos angesehen werden. Ferner möchten dieselben erwägen, daß alles, was wir von der Welt wissen können, sich notwendig in den Sinnesempfindungen ausspricht, welche in genau angebbarer Weise von den individuellen Einflüssen der Beobachter befreit werden können (vgl. Kap. IVX). Alles was wir zu wissen wünschen können, wird durch Lösung einer Aufgabe von mathematischer Form geboten, durch die Ermittlung der funktionalen Abhängigkeit der sinnlichen Elemente von einander. Mit dieser Kenntnis ist die Kenntnis der "Wirklichkeit" erschöpft. Die Brücke zwischen der Physik im weitesten Sinne und der naturwissenschaftlichen Psychologie bilden eben dieselben Elemente, welche je nach dem untersuchten Zusammenhang physische oder psychische Objekte sind.

9.

Manche, wahrscheinlich viele Physiologen dürften an meiner Stellung in einer Detailfrage Anstoß genommen haben, über die ich noch einige Worte sagen möchte. Ich schätze Untersuchungen wie jene von S. Exner7) hoch und glaube, daß viele wichtige Fragen betreffend die psychischen Erscheinungen gelöst werden können durch bloße Erforschung der nervösen Verbindungen der Zentralorgane8) und Beachtung der quantitativen Abstufungen9) der Erregungen. Exners Buch selbst gibt ja dafür einen Beleg. Die Hauptprobleme bleiben mir aber ungelöst zurück. Denn ich kann mir auf meinem Standpunkt nicht denken, wie die qualitative Mannigfaltigkeit der Empfindungen durch Variation der Verbindungen und bloße quantitative Verschiedenheiten zustande kommen sollte, und ich konnte dies schon vor fast 40 Jahren nicht. Fechners Psychophysik, welche so bedeutend gewirkt hat, hat auch mich damals mächtig angeregt. Ich hielt, durch dieses Buch begeistert, über diesen Gegenstand recht mangelhafte Vorlesungen, welche noch dadurch an Wert verloren, daß ich den Fechnerschen Gedanken der Maßformel bald als einen Irrtum erkannte. Bei dieser Gelegenheit sagte ich, nachdem die Helmholtzsche Telegraphendraht-Theorie der Empfindungen auseinandergesetzt war: "Sollten aber die elektrischen Vorgänge in den Nerven zu einfach sein, um für eine Erklärung (verschiedener Empfindungsqualitäten) auszureichen? Sollte es notwendig sein, die Erklärung hinauszuschieben in noch unbekannte Gebiete? Wie denn, wenn wir nach Durchforschung des ganzen Hirnes überall nur elektrische Ströme finden? Meine unmaßgebliche Meinung ist diese: Die elektrischen Untersuchungen der Nerven sind gewiß sehr feiner Art, in gewisser Hinsicht sind sie aber auch wieder sehr grob. Ein elektrischer Strom von gegebener Intensität sagt uns nichts, als daß eine bestimmte Quantität lebendiger Kraft in der Zeiteinheit durch den Querschnitt des Stromes wandert. Welche Vorgänge und Molekularbewegungen es sind, die jene lebendige Kraft befördern, wissen wir nicht. Es können die verschiedensten Vorgänge derselben Stromintensität zu Grunde liegen10). Diesen Gedanken bin ich bis heute nicht los geworden und muß denselben im wesentlichen noch ebenso, etwa durch Hinweis auf denselben Strom in verschiedenen Elektrolyten, begründen11). Die Fortschritte der physiologischen Chemie12), die Erfahrungen bei Transplantation13) von verschiedenen Organen, scheinen mir heute noch entschiedener zu Gunsten desselben zu sprechen. Rollett14) hat wichtige Fragen, welche zu Ausführungen dieser Schrift in naher Beziehung stehen, auf Grund eigener und fremder Arbeiten, in sehr belehrender Weise in ihrem Zusammenhang erörtert.

7) Entwurf zu einer physiologischen Erklärung der psychischen Erscheinungen, Wien 1894.
8) A. a. O. S. 4.
9) A. a. O. S. 3.
10) Vorlesungen über Psychophysik. Zeitschr. f. prakt. Heilkunde. Wien 1863,.S. 335, 336.
11) S. d. Vorwort zur englischen Ausgabe des vorliegenden Buches, Chicago 1897, S. V, VI.
12) Huppert, Über die Erhaltung der Arteigenschaften, Prag 1896.
13) Ribbert, Über Transplantation von Ovarium, Hoden und Mamma. Arch. f. Entwicklungsmechanik, 1898, Bd. 7.
14) Entwicklungslehre und spezifische Energie. (Mitteilungen des Vereins der Ärzte in Steiermark, 1902, No. 8.)