GEDÄCHTNIS.
UNTERSUCHUNGEN
ZUR
EXPERIMENTELLEN PSYCHOLOGIE
von
HERM. EBBINGHAUS.
Privatdozenten DER PHILOSOPHIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN.
LEIPZIG,
Vorwort.
Die Bemühungen, für die mächtigen
Hebel der exakten Naturforschung, Experiment und Zählung, auch in
der Welt der psychischen Vorgänge geeignete Angriffspunkte zu gewinnen,
sind bisher wesentlich auf das große Gebiet der Sinnesempfindungen
und die psychologische Zeitmessung beschränkt geblieben. Mit den Untersuchungen,
deren Methode und vorläufige Resultate ich im folgenden mitteile,
habe ich versucht, einen Schritt weiter in das Innere des psychischen Geschehens
zu tun und die Erscheinungen des Gedächtnisses im weitesten Sinne
(das Aufnehmen und Behalten, die Assoziationen und Reproduktionen von Vorstellungen)
einer experimentellen und messenden Behandlung zu unterwerfen.
Die hauptsächlichsten Bedenken, welche sich
gegen die Möglichkeit einer solchen Behandlung von vornherein erheben,
habe ich in der Schrift selbst ausführlich besprochen und teilweise
zum Gegenstande der Untersuchung gemacht. Ich darf daher diejenigen, welchen
die Unmöglichkeit des Versuchs nicht bereits a priori feststeht, bitten,
ihr Urteil über die Ausführbarkeit eine Weile aufzuschieben.
Die Mitteilung vorläufiger Resultate
wird man im Hinblick auf die Schwierigkeit des Gegenstandes und den zeitraubenden
Charakter der Versuche wohl entschuldigen, und man wird ihnen billigerweise
nicht gerade die vielfachen Mängel, welche auf ihrer Unabgeschlossenheit
beruhen, als ebensoviele Einwände entgegenhalten. Am meisten bemerkt
werden von solchen Mängeln wird vermutlich die individuelle Beschaffenheit
der Resultate. Die Versuche sind sämtlich an mir angestellt und die
Resultate haben daher zunächst nur für mich Bedeutung. Natürlich
werden sie nicht ausschließlich bloße Idiosynkrasien meiner
Organisation wiederspiegeln; sind auch vielleicht die absoluten Werte der
gefundenen Zahlen durchweg nur individuell, so wird in den Beziehungen
dieser Zahlen zu einander oder gar in den Beziehungen von Beziehungen doch
manches Verhältnis von allgemeinerer Gültigkeit enthalten sein.
Aber wo dies der Fall ist und wo nicht, kann ich erst hoffen, nach Beendigung
weiterer und vergleichender Versuche zu entscheiden, mit denen ich beschäftigt
bin.
Inhalt.
I. Unser Wissen über das Gedächtnis.
§ l. Das Gedächtnis in seinen Wirkungen.
§ 2. Das Gedächtnis in seiner Abhängigkeit.
§ 3. Mangelhaftigkeit unseres Wissens über das Gedächtnis.
II. Möglichkeit der Erweiterung unseres
Wissens über das Gedächtnis.
§ 4. Die naturwissenschaftliche Methode.
§ 5. Einführung numerischer Bestimmungen für das im
Gedächtnis Aufbewahrte.
§ 6. Die Möglichkeit der Herstellung konstanter Versuchsbedingungen.
§ 7. Konstante Durchschnittszahlen.
§ 8. Das Fehlergesetz.
§ 9. Résumé.
§ 10. Der wahrscheinliche Fehler.
III. Methode der Untersuchung.
§ 11. Sinnlose Silbenreihen.
§ 12. Vorzüge des Materials.
§ 13. Herstellung möglichst konstanter Versuchsumstände.
§ 14. Fehlerquellen.
§ 15. Messung der gebrauchten Arbeit.
§ 16. Perioden der Versuche.
IV. Die Brauchbarkeit der Durchschnittszahlen.
§ 17. Gruppierung der Versuchsresultate.
§ 18. Gruppierung der Resultate für die einzelnen Reihen.
V. Die Schnelligkeit des Lernens von Silbenreihen
als Funktion der Länge derselben
§ 19. Versuche der späteren Periode.
§ 20. Versuche der früheren Periode.
§ 21. Steigerung der Schnelligkeit des Lernens bei sinnvollem
Material.
VI. Das Behalten als Funktion der Anzahl der
Wiederholungen.
§ 22. Stellung der Frage.
§ 23. Die Versuche und ihre Resultate.
§ 24. Einfluß der Erinnerung.
§ 25. Erhebliche Vermehrung der Anzahl der Wiederholungen.
VII. Das Behalten und Vergessen als Funktion
der Zeit.
§ 26. Erklärungen des Behaltens und Vergessens.
§ 27. Methode der Untersuchung des tatsächlichen Verhaltens.
§ 28. Resultate.
§ 29. Diskussion der Resultate.
§ 30. Kontrollversuche.
VIII. Das Behalten als Funktion wiederholten
Erlernens
§ 31. Fragestellung und Untersuchung.
§ 32. Einfluß der Länge der Reihen.
§ 33. Einfluß des wiederholten Erlernens.
§ 34. Einfluß der einzelnen Wiederholungen.
IX. Das Behalten als Funktion der Aufeinanderfolge
der Reihenglieder.
§ 35. Die Assoziation nach der zeitlichen Folge und ihre Erklärung.
§ 36. Methode der Untersuchung des tatsächlichen Verhaltens.
§ 37. Resultate. Assoziation der mittelbaren Folge.
§ 38. Versuche mit Ausschluß des Wissens.
§ 39. Diskussion der Resultate.
§ 40. Rückläufige Assoziationen.
§ 41. Die Assoziation der mittelbaren Folge in ihrer Abhängigkeit
von der Anzahl der Wiederholungen.
§ 42. Indirekte Verstärkung von Assoziationen.