Die Brauchbarkeit der Durchschnittszahlen.
§ 17. Gruppierung der Versuchsresultate.
Die erste Frage, welche aus den in der beschriebenen
Weise angestellten Untersuchungen eine Antwort erwartet, ist nach den Erörterungen
von §§ 7 und 8 die nach der Natur der gewonnenen Durchschnittszahlen.
Sind die immerhin schwankenden Zeiten, welche erforderlich waren, um Reihen
von bestimmter Länge unter möglichst gleichen Umständen
gerade auswendig zu lernen, so gruppiert, dass man ihre Mittelwerte mit
Wahrscheinlichkeit als Maßzahlen im physikalischen Sinne ansehen
darf oder nicht?
Geschehen die Versuche in der oben auseinandergesetzten
Art, sodass nämlich immer mehrere Reihen unmittelbar hintereinander
gelernt werden, so wird man bei den Zeiten, die für das Lernen der
einzelnen Reihen erforderlich waren, eine solche Gruppierung von
vornherein nicht wohl erwarten dürfen. Denn bei längerer Dauer
des Lernens treten bei den einzelnen Reihen variable Bedingungen ins Spiel,
deren Schwankungen wir, nach unserer Kenntnis von ihnen, nicht als symmetrisch
um einen Mittelwert voraussetzen können. Die Gruppierung der Resultate
muß dadurch ebenfalls eine unsymmetrische werden und kann also dem
Fehlergesetz nicht entsprechen. Solche Bedingungen sind z. B. die abnehmende
geistige Frische, die zuerst sehr schnell, dann immer langsamer einer gewissen
Ermüdung Platz macht, sodann die Schwankungen der Aufmerksamkeit.
Die Verlangsamung des Lernens durch eine außergewöhnliche Zerstreuung
kennt sozusagen keine Grenzen; die Lernzeit einer Reihe kann durch sie
gelegentlich auf das doppelte und mehr ihres mittleren Betrages gesteigert
werden. Der entgegengesetzte Effekt einer außergewöhnlichen
Anspannung dagegen kann, der Natur der Sache nach, ein gewisses Maß
nie überschreiten; er kann nie etwa einmal die Lernzeit auf Null reduzieren.
Nimmt man dagegen Gruppen von jedesmal gleichviel
unmittelbar hinter einander gelernten Reihen, so können für diese
jene störenden Schwankungen als wegfallend oder beinahe wegfallend
betrachtet werden. Die allmähliche Abnahme der geistigen Frische wird
bei einer Gruppe ungefähr in derselben Weise geschehen wie
bei einer anderen. Die Schwankungen der Aufmerksamkeit nach oben und nach
unten, die während einer Viertel- oder halben Stunde unter sonst gleichen
Umständen vorkommen, werden zusammengerechnet heute ungefähr
denselben mittleren Effekt haben wie morgen. Man wird also nur fragen können:
zeigen die Zeiten, welche für das Lernen gleicher Gruppen von
Reihen erforderlich waren, die gewünschte Verteilung?
Diese Frage kann ich mit befriedigender Sicherheit
bejahen. Die beiden größten Reihen von unter gleichen Umständen
gewonnenen Zahlen, die ich besitze, sind zwar noch nicht groß, in
dem Sinne, in dem die Theorie dies voraussetzt; sie leiden ferner an dem
Übelstand, dass sie aus verhältnismäßig langen Zeitperioden
stammen, in denen natürlich größere Ungleichheiten der
Umstände unvermeidlich sind, allein ihre Gruppierung kommt trotzdem
der von der Theorie verlangten so nahe wie man nur erwarten kann.
Die erste Versuchsreihe aus den Jahren 1879/80 umfaßt
92 Versuche. Jeder Versuch bestand in dem Lernen von acht Reihen zu 13
Silben, welches fortgesetzt wurde bis ein zweimaliges Hersagen jeder Reihe
möglich war. Die dazu erforderliche Zeit betrug für alle acht
Reihen zusammen, eingerechnet die Zeit des Hersagens selbst (aber natürlich
nicht die Pausen s. §. 13, 4), im Mittel 1112 Sekunden mit dem wahrscheinlichen
Beobachtungsfehler ± 76. Die Schwankungen der Resultate waren also
verhältnismäßig sehr bedeutend: in das Intervall 1036 bis
1188 fiel nur die Hälfte der erhaltenen Zahlen, die andere Hälfte
nach oben und unten darüber hinaus. Im einzelnen ist die Gruppierung
der Zahlen folgende:
Es fallen innerhalb |
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2 w |
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21/2 w |
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3 w |
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In dem Intervall 1/4 w
bis 1/2 w findet eine kleine Anhäufung
der Werte statt, die durch eine größere Leere in dem nächstfolgenden
Intervall 1/2 w bis w kompensiert wird;
abgesehen hiervon ist die Übereinstimmung befriedigend. Zu wünschen
läßt die Symmetrie der Verteilung. Die unterhalb des Durchschnitts
liegenden Werte überwiegen etwas an Zahl, die oberhalb liegenden dafür
etwas an Größe der Abweichung: von den acht größten
Abweichungen liegen nur zwei von dem Mittelwert nach unten. Der soeben
angedeutete Einfluß der Aufmerksamkeit, deren Schwankungen bei den
Einzelreihen größere Abweichungen nach oben als nach unten bewirken,
ist also hier durch die Zusammenfassung mehrerer Reihen noch nicht ganz
kompensiert worden.
Erheblich verbessert zeigt sich die Sicherheit der
Beobachtungen und die Übereinstimmung ihrer Verteilung mit der theoretisch
geforderten bei der zweiten größeren Versuchsreihe. Dieselbe
umfaßt die Resultate von 84 Versuchen aus den Jahren 1883/84. Jeder
Versuch bestand in dem Lernen von je sechs Reihen zu 16 Silben, jedesmal
bis zum ersten fehlerfreien Hersagen. Die hierzu erforderliche Gesamtzeit
betrug im Mittel 1261 Sekunden mit dem wahrscheinlichen Beobachtungsfehler
± 48,4; d. h. die Hälfte aller 84 Zahlen fällt in das
Intervall 1213 bis 1309. Die Genauigkeit der Beobachtungen war also gegen
früher erheblich gesteigert1): das
von dem wahrscheinlichen Fehler eingeschlossene Intervall beträgt
nur mehr 71/2 % des Mittelwertes, gegen 14 % bei
den älteren Versuchen. Im einzelnen verteilen sich die Zahlen so:
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der Abweichung |
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2 w |
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Die absolut größte Abweichung ist eine solche nach unten.
Wurden also mehrere unserer Silbenreihen zu Gruppen
vereinigt und dann einzeln gelernt, so fielen zwar bei wiederholten Versuchen
die Zeiten, welche für das Lernen einer ganzen Gruppe erforderlich
waren, sehr verschieden von einander aus, aber trotzdem gruppierte sich
ihre ganze Masse in eben derselben Weise wie die, untereinander ebenfalls
differierenden, Werte, welche man bei Beobachtung begrifflich gleichartiger
naturwissenschaftlicher Vorgänge erhält. Es darf also, mindestens
versuchsweise, als erlaubt gelten, die aus mehreren jener Versuchszahlen
gewonnenen Durchschnittswerte für die Feststellung ursächlicher
Beziehungen ganz ebenso zu verwerten wie die Naturwissenschaft dies mit
ihren Mittelwerten tut.
Die Anzahl von Silbenreihen, welche dabei zu einer
Gruppe, zu einem Versuch, zusammenzufassen sind, ist natürlich durch
nichts bestimmt. Man wird nur erwarten, dass mit wachsender Anzahl auch
die Übereinstimmung zwischen der Gruppierung der gefundenen Zeiten
und dem Fehlergesetz eine größere werde, und man wird praktisch
diese Anzahl so groß zu nehmen suchen, dass eine noch weitere Steigerung
derselben und die dadurch erzielte noch größere Übereinstimmung
nicht mehr für den Mehraufwand von Zeit entschädigt, den sie
erfordert. Verringert man die Zahl der Reihen jedes Versuchs, so wird voraussichtlich
auch die gewünschte Übereinstimmung unvollkommener. Man wird
indes verlangen, dass auch dann die Annäherung an die theoretisch
geforderte Verteilung der Zahlen immer noch erkenntlich bleibe.
Auch dieser Forderung aber wird durch die gefundenen
Zahlen Genüge geleistet. Bei den beiden eben beschriebenen größten
Versuchsreihen habe ich die Zeiten untersucht, welche für das Lernen
der ersten Hälfte jedes Versuchs erforderlich waren. Bei der älteren
Reihe sind dies also die Lernzeiten für jedesmal 4, bei der jüngeren
für jedesmal 3 Silbenreihen zusammengenommen. Es fand sich:
l. bei der älteren Reihe: Mittelwert (m)
533, wahrscheinlicher Beobachtungsfehler (wb) 51,
Verteilung der Einzelwerte
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fallen |
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46 |
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88 |
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2. bei der jüngeren Reihe: m = 620, wb = ± 44;
Verteilung der Einzelwerte
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Durch beide Tabellen wird die eben gemachte Voraussetzung
einer minder vollkommenen aber immer noch ersichtlichen Übereinstimmung
zwischen der beobachteten und berechneten Gruppierung der Zahlen wohl bestätigt.
Ganz dieselbe annähernde Übereinstimmung
nun wird auch vorausgesetzt werden müssen, wenn zwar nicht weniger
Reihen zu einem Versuch zusammengenommen werden, wohl aber die Gesamtzahl
der Versuche eine geringere ist. Auch hierfür füge ich noch einige
bestätigende Übersichten bei.
Aus der Zeit der älteren Versuche besitze ich
zwei größere Versuchsreihen, die im übrigen unter gleichen
Umständen wie die oben erwähnte Reihe, aber zu den späteren
Tageszeiten B und C gewonnen worden sind.
Die eine (B) umfaßt 39 Versuche
mit je sechs, die andere (C) 38 Versuche mit je acht Einzelreihen,
jede Einzelreihe zu 13 Silben. Es fand sich:
l. für die Versuche der Zeit B: m
= 871, wb = ± 63.
Verteilung der Einzelwerte
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2. für die Versuche der Zeit C: m = 1258, wb = ± 60.
Verteilung der Einzelwerte
Es fallen innerhalb | Anzahl der Abweichungen | |
gezählt | berechnet | |
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Außerdem erwähne ich noch eine Reihe von nur 20 Versuchen, mit der ich diese Übersichten abschließe. Jeder Versuch bestand in dem Lernen von acht dreizehnsilbigen Einzelreihen, welche gerade einen Monat vorher schon einmal gelernt worden waren. Das Mittel betrug in diesem Falle 892 Sekunden mit dem wahrscheinlichen Beobachtungsfehler 54. Die Einzelwerte gruppieren sich folgendermaßen:
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10 |
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Die Übereinstimmung zwischen der theoretischen Berechnung und der Zählung der Abweichungen ist in allen diesen Fällen noch eine so gute, dass man auch bei einer noch geringeren Anzahl von Versuchen den Mittelwerten – selbstverständlich immer nur mit Berücksichtigung der weiten Fehlergrenzen – eine Verwertbarkeit in dem oben mehrfach besprochenen Sinne zugestehen wird.
§ 18. Gruppierung der Resultate für die einzelnen Reihen.
Die vorhin ausgesprochenen Vermutungen über
die Gruppierung der für das Lernen der einzelnen Reihen erforderlichen
Zeiten waren natürlich nicht bloß theoretische Voraussetzungen,
sondern bereits bestätigt durch die Betrachtung tatsächlich gefundener
Gruppierungen. Die beiden erwähnten größeren Versuchsreihen
von 92 Versuchen zu acht und 84 Versuchen zu sechs Einzelreihen, also mit
736 und 504 Einzelwerten, geben dabei der Beurteilung eine genügend
breite Unterlage. Beide Zahlengruppen zeigen nun und zwar beide in ganz
analoger Weise, folgende Eigentümlichkeiten:
1. Die Streuung der Werte von ihrem arithmetischen
Mittel nach oben ist merklich lockerer und reicht namentlich bedeutend
weiter als nach unten. Die entferntesten Werte nach oben liegen 2-, resp.
1,8 mal soweit von dem Mittel wie die entferntesten nach unten.
2. Durch dieses Überwiegen hoher Zahlen wird
das Mittel aus der Gegend der dichtesten Schaarung etwas nach oben abgelenkt,
und dadurch wiederum bekommen die Abweichungen nach unten an Zahl das Übergewicht.
Es entfallen 404 resp. 266 Abweichungen nach unten auf 329 resp. 230 nach
oben.
3. Die Anzahl der Abweichungen von der Stelle größter
Dichtigkeit aus nach beiden Seiten nimmt nicht gleichmäßig ab
– wie man doch bei verhältnismäßig so hohen Gesamtzahlen
sehr annähernd erwarten sollte –, sondern es zeigen sich deutlich
noch mehrere Maxima und Minima der Anhäufung. Es waren demnach bei
der Erzeugung der Einzelwerte, d. h. also bei dem Lernen der einzelnen
Reihen, konstante Fehlerursachen im Spiel, welche teils eine unsymmetrische
Streuung der Zahlen bewirkten, teils eine Anhäufung derselben in gewissen
Gegenden begünstigten, und man kann nach den vorangegangenen Untersuchungen
dieses Abschnitts nur voraussetzen, dass sich diese Einflüsse bei
Zusammenfassung der Werte für mehrere hintereinander gelernte Reihen
allmählich kompensierten.
Als wahrscheinliche Ursache der unsymmetrischen
Verteilung machte ich schon die eigentümliche Verschiedenheit der
Wirkung großer Aufmerksamkeits- und großer Zerstreuungsgrade
geltend. Die Ursache der mehrfachen Anhäufung von Werten zu beiden
Seiten des Mittels wird man unschwer in der Stellung der einzelnen Reihen
innerhalb jedes Versuchs vermuten. Summiert man bei einer größeren
Versuchsreihe die Werte für die sämtlichen ersten, die sämtlichen
zweiten, dritten u. s. w. Reihen und nimmt aus diesen Summen jedesmal das
Mittel, so fallen, wie man voraussieht, diese Mittel merklich verschieden
aus. Die Einzelwerte jeder Summe gruppieren sich nun zwar nur mit mäßiger
Annäherung nach dem Fehlergesetz um ihr Mittel, allein sie liegen
doch ungefähr in seiner Gegend am dichtesten zusammen, und diese einzelnen
Anhäufungen müssen sich nachher auch in der Gesamtmasse noch
wieder zeigen.
Man wird ergänzend hinzufügen: wegen der,
im Laufe eines Versuchs allmählich zunehmenden geistigen Ermüdung
müßten jene Mittelwerte mit wachsender Ordnungszahl der Reihen
immer größer werden; man trifft aber damit nicht den eigentümlichen
Sachverhalt.