IX.

Das Behalten als Funktion der Aufeinanderfolge der Reihenglieder.

"How odd are the connections
"Of human thoughts which jostle in their flight."
§ 35.Die Assoziation nach der zeitlichen Folge und ihre Erklärung.

Ich wende mich zu einer zusammengehörigen Gruppe von Untersuchungen über Assoziationsverhältnisse, deren Resultate, wie mir scheint, theoretisch von besonderem Interesse sind.
    Das unwillkürliche Wiederauftauchen psychischer Gebilde aus dem Dunkel des Gedächtnisses an das Licht des Bewußtseins geschieht, wie man weiß und wie schon erwähnt wurde, nicht beliebig und zufällig, sondern in gewissen regelmäßigen Formen, gemäß den sogenannten Assoziationsgesetzen. Das allgemeine Wissen um diese ist eben so alt wie die Psychologie selbst, seine genauere Fassung dagegen ist – charakteristisch genug – bis in die Gegenwart hinein streitig geblieben. Jede neue Darstellung setzt sich aufs neue auseinander mit dem Inhalt einiger Zeilen des Aristoteles, und nach dem Stande unseres Wissens hat sie allerdings auch die Verpflichtung dazu.
    Von diesen "Gesetzen" nun – wenn man sich mit dem Sprachgebrauch und hoffentlich in Antizipation der Zukunft die Anwendung eines hohen Wortes auf Formeln von ziemlich vagem Charakter gestattet – von diesen Gesetzen ist eines niemals bestritten und angezweifelt worden. Es pflegt etwa so formuliert zu werden: Vorstellungen, welche gleichzeitig oder in unmittelbarer Aufeinanderfolge in demselben Bewußtsein erzeugt wurden, reproduzieren sich gegenseitig, und zwar mit größerer Leichtigkeit in der Richtung der ursprünglichen Folge, und mit um so größerer Sicherheit, je häufiger sie beisammen waren.
    Diese Art der unwillkürlichen Reproduktion ist eine der best beglaubigten und häufigst verwirklichten Tatsachen des ganzen psychischen Geschehens; sie durchsetzt in unabtrennbarer Weise jede, auch die sogenannte willkürliche, Reproduktion. Der bewußte Wille z. B. in allen den zahlreichen Reproduktionen von Silbenreihen, die wir kennen lernten, beschränkte sich auf die allgemeine Absicht des Reproduzierens und auf die Ergreifung des Anfangsgliedes. Das Übrige schloß sich daran sozusagen von selbst und eben in Erfüllung jenes Gesetzes, dass reihenförmig Zusammengewesenes sich in derselben Reihenform reproduziert.
    Indessen man hat sich, wie natürlich, nicht begnügt mit der Anerkennung dieser evidenten Tatsache, sondern man hat versucht, sie zu verstehen, einzudringen in das innere Getriebe, dem sie als Wirkung entspringt. Geht man diesen Spekulationen über das Warum einen Augenblick nach, so stößt man nach zwei Schritten auf Unklarheiten und auf die Grenze unseres Wissens über das Wie.
    Gewöhnlich beruft man sich zur Erklärung dieser Form der Assoziation auf die Natur der Seele. Die psychischen Vorgänge, sagt man, sind nicht ein passives Geschehen, sondern Tätigkeiten eines Subjekts. Was ist nun natürlicher, als dass dieses einheitliche Wesen die Inhalte seiner ebenfalls einheitlichen Akte in gewisser Weise zusammenschnürt? Das was gleichzeitig oder unmittelbar nacheinander vorgestellt wird, wird in einem Akt des Bewußtseins erfaßt und eben dadurch innerlich aneinander gekettet, natürlich um so fester, je häufiger dieses Band einer Bewußtseinseinheit darum geschlungen wurde. Wird nun einmal durch irgend einen Zufall nur ein Teil eines so zusammengehörigen Komplexes erzeugt, wie kann er anders, als die übrigen Teile an jenem alle zusammenhaltenden Bande nach sich ziehen?
    Zunächst erklärt diese Vorstellung nicht ganz was sie wollte. Denn die übrigen Teile des Komplexes werden nicht nur einfach herbeigezogen, sondern sie folgen dem Zuge in einer ganz bestimmten Ordnung. Werden die Teilinhalte lediglich durch ihre Zugehörigkeit zu einem Bewußtseinsakt, und demnach doch alle in gleicher Weise, zusammengefaßt, wie kommt es, dass eine Folge von Teilinhalten gerade in derselben Folge und nicht in einer beliebigen Permutation wiederkehrt? Um auch dies verständlich zu machen, kann man in zwiefacher Weise weitergehen.
    Entweder man kann sagen: eine Zusammenfassung des in einem Bewußtseinsakt gleichzeitig Gegenwärtigen geschieht nur von Glied zu Folgeglied, aber nicht über andere Glieder hinweg; sie wird aus irgendwelchen Gründen durch Zwischenglieder inhibiert, aber nicht durch das Dazwischentreten von Pausen, wofern nur Anfang und Ende der Pause noch in einem Bewußtseinsakt erfaßt werden können. Damit ist man zu den Tatsachen wieder zurückgekehrt, aber der Vorteil, den die ganz plausible Berufung auf die einheitlichen Bewußtseinsakte bot, ist stillschweigend wieder preisgegeben. Denn wie sehr man auch über die Zahl von Vorstellungen streiten möge, welche ein Bewußtseinsakt zu umfassen vermag, es ist ganz sicher, dass wir, wenn nicht immer, so doch zumeist mehr als zwei Glieder einer Folge noch in einem solchen Akte ergreifen. Benutzt man aber die eine Seite des Erklärungsgrundes, die Einheitlichkeit, als willkommenes Moment, so muß man sich auch mit der anderen Seite, der Vielheit von Gliedern, abzufinden wissen und ihr nicht, auf vermutete aber unangebbare Gründe hin, das Dreinreden verbieten. Sonst hat man im Grunde doch nur gesagt, wobei man ja möglicherweise stehen bleiben muß: es ist so, weil es Gründe gibt, dass es so ist.
    Man wird also vielmehr versucht sein, so zu sagen. Die in einem Bewußtseinsakt aufgefaßten Vorstellungen werden allerdings alle mit einander verknüpft, aber nicht alle in derselben Weise. Die Stärke der Verbindung ist vielmehr eine abnehmende Funktion der Zeit oder auch der Anzahl der Zwischenglieder; sie ist um so geringer, je größer das Intervall ist, welches die einzelnen Glieder trennt. Sei a, b, c, d eine Reihe, die gerade noch in einem Akt vorgestellt wird, so wird die Verknüpfung des a mit b stärker sein als die mit dem späteren c, und diese wiederum stärker als die mit d. Wird a irgendwoher wiedererzeugt, so bringt es zwar sowohl b wie c und d mit sich, aber das ihm enger verknüpfte b muß sich leichter und eher einstellen, dann das diesem eng verbundene c u. s. f. Die Reihe muß also, obwohl alle ihre Glieder unter einander verknüpft sind, doch gerade in der ursprünglichen Folge wieder ins Bewußtsein treten.
    Eine solche Vorstellung ist in folgerichtiger Weise von Herbart ausgesponnen worden. Den Grund der Verknüpfung der unmittelbar aufeinanderfolgenden Vorstellungen sieht er nicht direkt in der Einheitlichkeit der Bewußtseinsakte, aber in etwas Ähnlichem: gegensätzliche Vorstellungen, die in der einheitlichen Seele zusammen zu sein gezwungen sind, können dies nur dadurch, dass sie sich teilweise hemmen und dann in ihren Resten mit einander verschmelzen, sich verknüpfen. Doch dies ist für unseren Zweck nebensächlich; er fährt dann fort:
    "Eine Reihe a, b, c, d . . . sei in der Wahrnehmung gegeben worden, so ist durch andere, im Bewußtsein vorhandene, Vorstellungen schon a, von dem ersten Augenblicke der Wahrnehmung an, und während deren Dauer, einer Hemmung ausgesetzt gewesen. Indessen nun a, schon zum Teil im Bewußtsein gesunken, mehr und mehr gehemmt wurde, kam b dazu. Dieses, Anfangs ungehemmt, verschmolz mit dem sinkenden a. Es folgte c, und verband sich, selbst ungehemmt, mit dem sich verdunkelnden b und dem mehr verdunkelten a. Desgleichen folgte d, um sich in verschiedenen Abstufungen mit a, b, c zu verknüpfen. – Hieraus entspringt für jede von diesen Vorstellungen ein Gesetz, wie sie, nachdem die ganze Reihe eine Zeitlang aus dem Bewußtsein verdrängt war, auf eigne Weise beim erneuerten Hervortreten jede andre Vorstellung der nämlichen Reihe aufzurufen bemüht ist. Angenommen, a erhebe sieh zuerst, so ist es mehr mit b, minder mit c, noch minder mit d u. s. w. verknüpft; rückwärts aber sind b, c, d sämtlich im ungehemmten Zustande den Resten von a verschmolzen; folglich sucht a sie alle völlig wiederum bis zum ungehemmten Vorstellen zu bringen; aber es wirkt am schnellsten und stärksten auf b, langsamer auf c, noch langsamer auf d u. s. w. (wobei die feinere Untersuchung ergibt, dass b wieder sinkt, indem c noch steigt: ebenso c sich senkt, während d steigt u. s. w.); kurz, die Reihe läuft ab, wie sie gegeben war. – Nehmen wir dagegen an, c werde ursprünglich reproduziert, so wirkt es zwar auf d und die nachfolgenden gerade, wie eben von a gezeigt, das heißt, die Reihe c, d . . . läuft ihrer Ordnung gemäß allmählich ab. Hingegen b und a erfahren einen ganz anderen Einfluß; mit ihren verschiedenen Resten war das ungehemmte c verschmolzen; es wirkt also auch auf sie mit seiner ganzen Stärke und ohne Zögerung, aber nur, um den mit ihm verbundenen Rest von a und von b zurückzurufen, also um einen Teil von b und einen kleineren Teil von a ins Bewußtsein zu bringen. So geschieht es, wenn wir an irgend etwas aus der Mitte einer uns bekannten Reihe erinnert werden; das Vorhergehende stellt sich auf einmal, in abgestufter Klarheit dar; das Nachfolgende hingegen läuft in unsern Gedanken ab, wie die Reihenfolge es mit sich bringt. Aber niemals läuft die Reihe rückwärts, niemals entsteht, ohne geflissentliches Bemühen, ein Anagramm aus einem wohlaufgefaßten Worte1)."

1) Herbart, Lehrb. z. Psychol. § 29 (W.W.1 V S. 26 f.). Eine ähnliche "ansprechende" Ansicht, wie er sie nennt, entwickelt Lotze, Metaphysik (1879) S. 527, mit der Modifikation, dass er die verschiedene Stärke der Vorstellungen, die er verwarf, zu eliminieren sucht. Er hängt freilich nicht sehr daran. Den eigentlichen Grund der getreuen Reproduktion von Reihen sieht er, übereinstimmend mit der oben zuerst besprochenen Ansicht, darin, dass sich die .Assoziation nur von Glied zu Folgeglied knüpft. Dementsprechend lehrt er in den Vorlesungsdiktaten über Psychologie (S. 22): "Jede zwei Vorstellungen, gleichviel, welches ihr Inhalt sein mag, assoziieren sich, wenn sie entweder gleichzeitig oder unmittelbar, d. h. ohne ein Zwischenglied, aufeinander folgend erzeugt werden. Und hierauf würde auch ohne weitere Künste die besondere Leichtigkeit zu gründen sein, mit der wir eine Anzahl Vorstellungen ihrer Reihe nach, aber nicht außer der Reihe wiederholen." Mit den "weiteren Künsten" ist doch wohl der Herbartsche Versuch einer Zurechtlegung gemeint. Nach dieser Auffassung also sind die assoziativen Fäden, welche eine innerlich behaltene Reihe zusammenhalten, nicht nur einfach zwischen Glied und Folgeglied gesponnen, sondern es bestehen solche Fäden zwischen jedem einzelnen Glied und allen zeitlich benachbarten, über die Zwischenglieder hinweg. Die Stärke der Fäden variiert mit der Distanz der Glieder, aber selbst die schwächeren von ihnen müßten immer noch als relativ erhebliche angesehen werden.
    Für unsere Vorstellungen von dem inneren Zusammenhang des geistigen Geschehens, von der Reichhaltigkeit und Kompliziertheit seiner Gruppen und seiner Gliederung ist die Annahme oder Verwerfung dieser Auffassung offenbar von großer Bedeutung. Aber ebenso offenbar ist es ziemlich müßig, über sie zu streiten, wenn man sich auf die Beobachtung des bewußten geistigen Lebens beschränkt, auf die Registrierung dessen, was das Meer dieses Lebens zufällig und gelegentlich einmal gerade bis an die Oberfläche wirbelt. Denn da, der Voraussetzung nach, die von Glied zu Folgeglied gesponnenen Fäden zwar nicht die einzigen, aber doch die stärkeren sein sollen, so werden sie für das dem Bewußtsein Erscheinende im allgemeinen die maßgebenden und also die einzig zu beobachtenden sein.
    Dagegen erlaubt die den bisher mitgeteilten Untersuchungen zu Grunde gelegte Methode, bestehende Verbindungen selbst von geringer Stärke aufzudecken, dadurch, dass sie künstlich verstärkt werden, bis sie ein bestimmtes gleiches Niveau der Reproduzierbarkeit erreichen. Ich habe daher nach dieser Methode noch eine größere Anzahl von Versuchen angestellt, um die in Frage stehende Auffassung auf dem Gebiet unserer Silbenreihen experimentell zu prüfen und einer etwaigen Abhängigkeit der Stärke der Assoziation von der Folge der nach einander ins Bewußtsein tretenden Glieder der Reihe auf die Spur zu kommen.

§ 36.Methode der Untersuchung des tatsächlichen Verhaltens.

Die Versuche wurden wiederum mit 6 Reihen zu je 16 Silben angestellt. Zu größerer Klarheit bezeichne ich vorübergehend die Reihen mit römischen, die einzelnen Silben mit arabischen Ziffern. Den Gegenstand eines Versuchs bildete dann also jedesmal eine Silbengruppe folgender Form:

I1 I2 II3 . . . . . . . . . . . I15 I16
II1 II2 II3 . . . . . . . . . . . II15 II16.
.
.
VI1 . . . . . . . . . . . . . . . VI16
    Wenn ich eine solche Gruppe – jede Reihe für sich – bis zur ersten fehlerfreien Reproduktion auswendig lerne und 24 Stunden später in ganz derselben Reihenfolge der Silben bis zur Erreichung desselben Zieles repetiere, so ist diese Repetition in etwa 2/3 der zuerst erforderlichen Zeit möglich2). Die resultierende Arbeitsersparnis von 1/3 mißt dabei offenbar die Stärke der Assoziationen von Glied zu Folgeglied, welche sich durch das erstmalige Lernen bei mir bilden. 2) Ich habe einige Versuche für 16silbige Reihen, aus denen diese Zahl sich ergibt, oben nicht weiter mitgeteilt, weil die Resultate des sechsten Abschnitts sie mit genügender Annäherung belegen. Dort fand sich, dass sechs 16silbige Reihen, die je 32mal wiederholt wurden, nach 24 Stunden in durchschnittlich 863 Sekunden auswendig gelernt werden konnten. 32 Wiederholungen sind aber durchschnittlich gerade erforderlich zur Herbeiführung der erstmöglichen Reproduktion für 16silbige Reihen; bei der bestehenden Proportionalität zwischen der Zahl der Wiederholungen und der Arbeitsersparnis am nächsten Tage kann es daher nicht viel Unterschied machen, ob die Reihen je 32mal wiederholt oder je bis zur erstmöglichen Reproduktion auswendig gelernt werden. Da das letztere ca. 1270 Sekunden erfordert, so beträgt die Arbeit für die Repetition am nächsten Tage, wie oben angegeben, ca. 2/3 dieser Zeit. Die verhältnismäßige Ersparnis bei dem Wiederlernen 16silbiger Reihen nach 24 Stunden ist also kaum verschieden von der für 12- und 13silbige Reihen gefundenen (Abschnitt VII und VIII), während sie bei noch größerer Länge der Reihen allmählich zunimmt     Man nehme nun an, die Reihen würden nicht in ganz derselben Reihenfolge der Silben repetiert, in der sie zuerst gelernt wurden. Die in der Anordnung I1 I2 I3 . . . . I15 I16 gelernten Silben mögen z. B. in der Anordnung I1 I3 l5 . . . I15 l2 I6 .... I16 repetiert werden und die übrigen Reihen in derselben Umformung. Es werden also erst die sämtlichen Silben, die ursprünglich an ungeraden, dann die sämtlichen, die an geraden Stellen standen, unmittelbar hinter einander gesetzt und die so erhaltenen neuen, aber ebenfalls 16silbigen Reihen auswendig gelernt. Was wird geschehen? Jede Silbe der umgeformten Reihen war von den ihr jetzt unmittelbar benachbarten Silben bei der ursprünglichen Anordnung durch ein Zwischenglied getrennt, abgesehen von der Mitte, wo ein Bruch stattfindet. Sind diese Zwischenglieder wesentliche Hindernisse der assoziativen Verknüpfung, so sind die abgeleiteten Reihen so gut wie ganz unbekannte. Trotz des vorangegangenen Lernens der Silben in der ursprünglichen Reihenfolge kann man für die Repetition der Umformungen keine wesentliche Arbeitsersparnis erwarten. Spannen sich hingegen bei dem ersten Lernen Assoziationsfäden nicht nur von Glied zu Folgeglied, sondern auch über die Zwischenglieder hinweg zu entfernteren Silben, so bestehen für die neuen Reihen schon gewisse Prädispositionen. Die jetzt aufeinanderfolgenden Silben sind insgeheim schon mit einer gewissen Stärke aneinander geknüpft. Bei dem Lernen der Reihen wird sich dies dadurch verraten müssen, dass es einen merklich geringeren Arbeitsaufwand erfordert als das Lernen ganz neuer Reihen, obschon immerhin einen größeren als das Repetieren von vorher gelernten Reihen bei ungeänderter Reihenfolge der Silben. Und dabei würde dann wiederum die etwa gefundene Arbeitsersparnis ein Maß bilden für die Stärke der über ein Zwischenglied hinweg stattfindenden Assoziationen.

    Leitet man aus der ursprünglichen Anordnung der Silben neue Reihen ab durch Überspringen von 2, 3 und mehr Zwischengliedern, so ergeben sich analoge Betrachtungen. Die abgeleiteten Reihen werden entweder unverändert ohne jede merkliche Ersparnis von Arbeit gelernt werden, oder aber es werden jedesmal gewisse Arbeitsersparnisse resultieren, und diese werden dann bei wachsender Anzahl der Zwischenglieder immer kleiner werden.
    Auf Grund dieser Erwägungen habe ich nun folgendes Verfahren eingeschlagen. Ich bildete Gruppen von 6 Reihen zu je 16 Silben in beliebiger Zusammensetzung der letzteren. Aus jeder Gruppe wurde dann eine neue abgeleitet, wiederum zu 6 Reihen von 16 Silben, und zwar so, dass die unmittelbar benachbarten Silben der neuen Formation in der ursprünglichen durch entweder l oder 2 oder 3 oder 7 Zwischensilben getrennt waren.
    Bezeichnet man die einzelnen Silben durch die Stellen, welche sie in der ursprünglichen Anordnung innehaben, so erhält diese selbst , wie eben angegeben, das Schema

I1 I2 I3 . . . . . . . . . . . I15 I16
II1 II2 II3 . . . . . . . . . . . .II15 II16
.
.
VI1 . . . . . . . . . . . . . . . VI16
    Bei Beibehaltung dieser Bezeichnung sehen dann die abgeleiteten Gruppen so aus:
    Beim Überspringen von l Silbe:
I1 I3 I5 . . . . . . .I15 I2 I4 I6 . . . . . . . . . I16
II1 II3 II5 . . . .. . . II15 II2 II4 II6 . . . . . . . . . . II16
.
.
VI1 VI3 . . . . . . . .VI15 VI2 VI4 . . . . . . . . . . VI16
    Beim Überspringen von 2 Silben:
I1 I4 I7 I10 I13 I16 I2 I5 I8 I11 I14 I3 I6 I9 I12 I15
II1 II4 II7 . . . . . . . . . . . . II16 II2 II5 . . . . . . . II14 II3 II6 . . . . . . . II15
.
.
VI1 VI4. . . . . . .. . .VI16 VI2 VI5 . . . . . .VI14 VI3 VI6 . . . . VI15
    Beim Überspringen von 3 Silben:
I1 I5 I9 I13 I2 I6 I10 I14 I3 I7 I11 I15 I4 I8 I12 I16
II1 II5 . . . . . . II2 II6 . . . . . .. . .II3 II7 . . . . . . . . . II4 II8 . .. . . II16
.
.
VI1 VI5 . . . . .VI2 VI6 . . . . . . .VI3 VI7 . . . . . . .. VI4 VI8 . . . . VI16
    Beim Überspringen von 7 Silben:
I1 I9 II1 II9 III1 III9 IV1 IV9 V1 V9 VI1 VI9 I2 I10 II2 II10
III2 III10 IV2 IV10 V2 V10 VI2 VI10 I3 I11 II3 II11 III3 III11 IV3 IV11
.
.
V7 V15 VI7 VI15 I8 I16 II8 II16 III8 III16 IV8 IV16 V8 V16 VI8 VI16
    Wie ein Blick auf diese Schemata lehrt, waren nicht alle benachbarten Silben der abgeleiteten Reihen ursprünglich durch die jedesmal angegebene Zahl von Silben getrennt. An einzelnen Stellen sind, um wieder Reihen von 16 Silben zu erhalten, größere Sprünge gemacht worden, nirgendwo aber kleinere. Solche Stellen sind z. B. beim Überspringen von 2 Silben die Übergänge von I16 zu I2 und von I14 zu I3. Bei dem Überspringen von 7 Silben hat sogar an den 7 Stellen jeder Reihe, wo Silben aus ursprünglich verschiedenen Reihen aufeinander folgen (I9 II1, II9 III1 u. s. w.), gar keine vorherige Verknüpfung der Silben stattgefunden, da die Reihen, wie oft erwähnt, jede für sich gelernt wurden. Die Anzahl solcher Bruchstellen, sozusagen, ist verschieden je nach der Art der Ableitung, und zwar jedesmal ebenso groß wie die der übersprungenen Silben. Wegen dieser Verschiedenheit leiden die abgeleiteten Reihen an einer gewissen, durch die Natur des Verfahrens ihnen anhaftenden Ungleichheit.
    Im Verlauf der Untersuchung erwies sich ein Überspringen von noch mehr als 7 Zwischengliedern als wünschenswert, jedoch nahm ich davon Abstand. Die Untersuchungen waren mit sechs 16silbigen Reihen schon ziemlich weit vorgeschritten, und wenn aus diesen durch Einführung größerer Intervalle ebensolche Gruppen hergeleitet werden sollen, so erlangen dabei die eben erwähnten Bruchstellen zu sehr das Übergewicht. Die abgeleiteten Reihen enthalten dann schließlich immer weniger Silbenfolgen, für welche durch das Lernen der ursprünglichen Anordnung eine etwaige Verknüpfung möglich gewesen wäre; sie werden also immer unvergleichbarer.
    Die Untersuchungen selbst bestanden nun darin, dass jedesmal die sechs Reihen erst in der ursprünglichen, dann 24 Stunden später in der hieraus abgeleiteten Anordnung der Silben gerade eben auswendig gelernt und die dazu nötigen Zeiten verglichen wurden. Bei Beschränkung indessen auf die bisher beschriebenen Ableitungen würden die Resultate unter Umständen einem triftigen Einwande ausgesetzt sein. Gesetzt nämlich, es stellte sich heraus, dass wirklich die abgeleiteten Reihen mit einer mäßigen Zeitersparnis gelernt würden, so brauchte diese doch nicht der vermuteten Quelle, nämlich einer Assoziation von Silben über Zwischenglieder hinweg, zu entspringen. Man kann vielmehr auch so argumentieren. Die zuerst gelernten und nach 24 Stunden in anderer Anordnung wieder gelernten Silben sind eben in beiden Fällen dieselben Silben. Durch das erste Lernen werden sie nicht nur in ihrer bestimmten Anordnung, sondern auch abgesehen davon, rein als einzelne Silben eingeprägt; bei der Wiederholung sind sie daher noch einigermaßen bekannt, wenigstens bekannter als andere kurz vorher nicht gelernte Silben. Außerdem haben die aus ihnen gebildeten neuen Reihen zum Teil dieselben Anfangs- und Endglieder wie die alten. Werden sie also in etwas geringerer Zeit wiederholt als zuerst gelernt, so ist das nicht wunderbar. Der Grund davon braucht gar nicht in der künstlichen und systematischen Abänderung der Anordnung zu liegen, sondern er beruht möglicherweise lediglich auf der Identität der Silben. Würden diese am 2ten Tage in einer ganz beliebigen neuen Anordnung wiederholt, so würde sich vermutlich ebenfalls eine Arbeitsersparnis herausstellen.
    In Berücksichtigung dieses Einwandes und zur Kontrolle der übrigen Resultate habe ich daher noch eine weitere, fünfte Art abgeleiteter Reihen eingeführt. Anfangs- und Endsilben der ursprünglichen Reihen wurden an ihrer Stelle belassen, die sämtlichen zwischen ihnen befindlichen 84 Silben aber wurden ganz beliebig durcheinander gewürfelt und dann, wie der Zufall sie in die Hand führte, zur Herstellung neuer Reihen zwischen den ursprünglichen Anfangs- und Endsilben verwendet. Durch das Lernen der ursprünglichen und der abgeleiteten Reihen auch in diesem Falle mußte sich unmittelbar ergeben, ein wie großer Teil der etwaigen Arbeitsersparnis lediglich der Identität der Silbenmasse, sowie der Identität der Anfangs- und Endglieder der einzelnen Reihen zuzuschreiben sei.

§ 37. Resultate. Assoziation der mittelbaren Folge.

    Für jede Gruppe ursprünglicher und abgeleiteter Reihen wurden zunächst 11 Doppelversuche, im ganzen also 55, angestellt, die unregelmäßig über ca. 9 Monate verteilt sind. Die Resultate waren die folgenden.
    l) Bei Ableitung der Reihen durch Überspringen von l Zwischensilbe

wurden die ursprünglichen Reihen gelernt in x Sekunden die entsprechenden daraus abgeleiteten Reihen in y Sekunden letztere also mit einer Ersparnis von z Sekunden
x =
y =
z =
1187
1095
92
1220
1142
78
1139
1107
32
1428
1123
305
1279
1155
124
1245
1086
159
1390
1013
377
1254
1191
63
1335
1128
207
1266
1152
114
1259
1141
118
m 1273
1121
152

2) Bei Ableitung der Reihen durch Überspringen von 2 Zwischensilben

x =
y =
z =
1400
1185
215
1213
1252
- 39
1323
1245
78
1366
1103
263
1216
1066
150
1062
1003
59
1163
1161
2
1251
1204
47
1182
1086
96
1300
1076
224
1276
1339
- 63
m 1250
1156
94

3) Bei Ableitung der Reihen durch Überspringen von 3 Zwischensilben

wurden die ursprünglichen Reihen gelernt in x Sekunden die entsprechenden daraus abgeleiteten Reihen in y Sekunden letztere also mit einer Ersparnis von z Sekunden
x =
y =
z =
1282
1347
-65
1202
1131
71
1205
1157
48
1303
1271
32
1132
1098
34
1363
1235
130
1210
1145
65
1864
1176
188
1308
1175
133
1298
1209
89
1286
1148
138
m 1269
1190
78

4) Bei Ableitung der Reihen durch Überspringen von 7 Zwischensilben

wurden die ursprünglichen Reihen gelernt in x Sekunden die entsprechenden daraas abgeleiteten Reiben in y Sekunden, letztere also mit einer Ersparnis von z Sekunden
x=
y=
z =
1165
1086
79
1265
1295
- 30
1197
1091
106
1295
1254
41
1233
1207
26
1335
1288
47
1321
1278
43
1344
1275
69
1322
1328
- 6
1224
1212
12
1294
1217
77
m 1272
1230
42

5) Bei Ableitung der Reihen durch Beibehaltung der Anfangs- und Endsilben und beliebige Permutierung der übrigen Silben
 

Wurden die ursprünglichen Reihen gelernt in x Sekunden die entsprechenden daraus abgeleiteten Reihen in y Sekunden letztere also mit einer Ersparnis von z Sekunden
x =
y =
z =
1305
1302
3
1181
1259
- 78
1207
1237
- 30
1401
1277
124
1278
1271
7
1302
1301
1
1248
1879
- 131
1237
1240
- 3
1355
1236
119
1214
1142
72
1147
1101
46
m 1261
1250
12

    Es wurden also, um die Resultate zusammenzufassen, bei Ableitung der neuen Reihen durch Überspringen von
l, 2, 3, 7 Zwischengliedern,
die abgeleiteten Reihen gelernt mit einer mittleren Ersparnis von
152, 94, 78, 42 Sekunden.
Bei Ableitung der neuen Reihen durch bloße Permutierung der Silben ergab sich nur eine mittlere Ersparnis von 12 Sekunden.

    Um die Bedeutung dieser Zahlen zu würdigen, muß man sie vergleichen mit derjenigen Arbeitsersparnis, welche bei dem Wiedererlernen von ganz unveränderten Reihen nach 24 Stunden bei mir stattfindet. Dieselbe betrug bei 16silbigen Reihen etwa 1/3 der für das erste Lernen erforderlichen Zeit, also ungefähr 420 Sekunden. Diese Zahl mißt die Stärke der von Glied zu Folgeglied stattfindenden Verknüpfung, also der unter den festgesetzten Bedingungen überhaupt möglichen Maximalwirkung der Assoziation. Betrachtet man sie als Einheit, so ist die Stärke der Verknüpfung jedes Gliedes mit dem zweitfolgenden mit reichlich 1/3 und der Verknüpfung jedes Gliedes mit dem drittfolgenden mit knapp 1/4 zu bezeichnen u. s. w.
    Der Gang der gewonnenen Resultate bestätigt demnach – für mich und für die untersuchten Fälle – die oben an zweiter Stelle und mit Heranziehung Herbarts erörterte Auffassung: bei wiederholter Erzeugung von Silbenreihen assoziierten sich nicht nur die einzelnen Glieder mit ihren unmittelbaren Folgegliedern, sondern es bildeten sich Verknüpfungen zwischen jedem Glied und mehreren ihm zunächst folgenden, über die Zwischenglieder hinweg. Es scheint, wie man sieh ausdrücken kann, um eine kurze Bezeichnung zu haben, nicht nur eine Assoziation der unmittelbaren, sondern auch eine solche der mittelbaren Folge zu bestehen. Die Stärke jener Verknüpfungen nahm ab mit der Zahl der Zwischenglieder; bei einer geringen Anzahl war sie, wie man zugeben wird, von überraschender und nicht vorauszusehender Erheblichkeit.
    Eine wesentliche Erleichterung des Wiederlernens der Reihen dagegen durch die Identität der Silbenmaße und durch die Identität der Anfangs- und Endsilben der Reihen hat in den untersuchten Fällen nicht stattgefunden.

§ 38. Versuche mit Ausschluß des Wissens.

Ich habe vorläufig die wahrscheinlichen Fehler der Resultate nicht mitgeteilt, um jetzt die Vertrauenswürdigkeit der letzteren ausführlicher zu besprechen.
    Als ich an die Versuche herantrat, hatte ich keine entschiedene Meinung zu gunsten des schließlichen Resultats. Eine Arbeitserleichterung für das Lernen der abgeleiteten Reihen fand ich nicht wesentlich plausibler als das Gegenteil. Erst allmählich, nachdem mehr und mehr Zahlen für das Bestehen einer solchen Arbeitserleichterung sprachen, erschien mir diese auch als das Richtigere und Naturgemäße. Man könnte nun denken, nach dem oben (§ 14) Auseinandergesetzten, diese Vorstellung habe bei den noch übrigen Versuchen möglicherweise ein aufmerksameres und deshalb schnelleres Lernen der abgeleiteten Reihen begünstigt und so die resultierenden Arbeitsersparnisse, wenn nicht überhaupt veranlaßt, so doch mindestens sehr verstärkt.
    Für die drei größten der gefundenen Zahlen, also für die Arbeitserleichterungen, die sich beim Überspringen von l, 2 und 3 Zwischengliedern herausstellten, ist dieser Einwand von geringer Erheblichkeit. Denn diese sind verhältnismäßig so bedeutend, dass man einer unwillkürlichen Anspannung der willkürlich ohnedies möglichst konzentrierten Aufmerksamkeit (§ 13, 5) zuviel beimessen würde, wenn man ihr hier einen wesentlichen Einfluß zuschriebe. Außerdem aber und namentlich würde dadurch die aus den hin- und herfallenden Einzelwerten schließlich hervorgehende Abstufung der Zahlen, parallel der Anzahl der übersprungenen Zwischenglieder, geradezu unbegreiflich werden. Denn die vorausgesetzte größere Anspannung der Aufmerksamkeit könnte offenbar nur ganz im allgemeinen wirken. Wie sollte sie es vermögen, noch dazu für Versuche, die durch Wochen und Monate von einander getrennt waren, eine so regelmäßige Stufenfolge der Zahlen hervorzubringen?
    Einigermaßen zweifelhaft durch das angeführte Bedenken wird nur allerdings das vierte Resultat, die verhältnismäßig kleine Arbeitserleichterung für das Lernen von Reihen, die durch Überspringen von 7 Zwischengliedern aus anderen abgeleitet sind. Offenbar aber hat gerade in diesem Falle die sichere Konstatierung der Differenz ein besonderes Interesse, wegen der bedeutenden Größe des Intervalls, über welches hinweg doch noch eine Assoziation stattfände.
    Bei den gegenwärtigen Untersuchungen besteht nun die Möglichkeit, sie so anzustellen, dass das Mitwissen um den Ausfall der allmählich sich ansammelnden Resultate ausgeschlossen ist, sodaß also auch der etwaige trübende Einfluß von geheimen Ansichten und Wünschen in Wegfall kommt. Ich habe daher, zur Kontrolle der obigen Resultate und namentlich des mindest sicheren von ihnen, eine weitere Gruppe von 30 Doppelversuchen in folgender Weise angestellt.
    Je sechs beliebig zusammengesetzte 16silbige Reihen wurden auf die Vorderseite eines Blattes geschrieben und auf die Rückseite desselben Blattes 6 Reihen, die aus jenen durch eine der oben (§ 36) beschriebenen Ableitungsarten gewonnen waren. Für jede der 5 Umformungen wurden in dieser Weise 6 Blätter hergestellt, deren Vorderseiten wohl von den Rückseiten, die aber nicht untereinander durch irgend ein Abzeichen zu unterscheiden waren. Sämtliche 30 Blätter wurden gemischt und solange beiseite gelegt, bis jede etwaige Erinnerung an das Vorkommen einzelner Silben in bestimmten Umformungen als erloschen gelten durfte. Dann wurde die Vorderseite und 24 Stunden später die Rückseite eines beliebigen Blattes auswendig gelernt. Die für das Lernen der einzelnen Reihen erforderlichen Zeiten wurden notiert, aber nicht eher zusammengerechnet und weiter verarbeitet, als bis alle 30 Blätter durchgebraucht waren. Darnach fanden sich folgende Zahlen:

l) Bei Ableitung der umgeformten Reihen durch Überspringen von l Zwischensilbe

Wurden die ursprünglichen Reihen gelernt in x Sekunden die entsprechenden daraus abge-leiteten Reihen in y Sekunden, letztere also mit einer Ersparnis von z Sekunden
x =
y =
z =
1137
1081
56
1292
1045
247
1202
1237
- 35
1272
1202
70
1436
1299
137
1340
1157
183
m 1280
1170
110

2) Bei Ableitung der Reihen durch Überspringen von 2 Zwischensilben

x =
y =
z =
1415
1232
183
1201
1290
- 89
1291
1156
135
1358
1153
205
1232
1254
- 22
1168
1107
61
m 1278
1199
79

3) Bei Ableitung der Reihen durch Überspringen von 3 Zwischensilben

x =
y =
z =
1205
1166
39
1339
1068
271
1179
1293
- 114
1238
1196
42
1257
1231
26
1240
1122
118
m 1243
1179
64

4) Bei Ableitung der Reihen durch Überspringen von 7 Zwischensilben

x =
y =
z =
1191
1120
71
1191
1185
6
1237
1295
- 58
1350
1306
44
1308
1260
48
1289
1158
131
m 1261
1221
40

5) Bei Ableitung der Reihen durch Beibehaltung der Anfangs- und Endsilben und beliebige Permutierung der übrigen Silben
x =
y =
z =
1305
1180
125
1206
1205
1
1310
1426
- 116
1163
1089
74
1272
1388
- 116
1309
1305
4
m 1261
1266
- 5

    Bei Ableitung der umgeformten Reihen durch Überspringen von
l, 2, 3, 7 Zwischensilben,
wurden also die abgeleiteten Reihen gelernt mit einer mittleren Ersparnis von
110, 79, 64, 40 Sekunden.
Dagegen bei Ableitung durch Permutierung der Silben erforderte das Lernen der umgeformten Reihen einen mittleren Mehraufwand von 5 Sekunden.
    Der allgemeine Gang dieser Resultate bestätigt, wie man sieht, genau das erstgefundene Ergebnis. Trotz der verhältnismäßig geringen Anzahl der Versuche und bei völligem Ausschluß des Mitwissens um das jedesmal angestellte Experiment und seinen Ausfall, gruppieren sich die im einzelnen ganz unregelmäßig und scheinbar regellos fallenden Zahlen im ganzen zu einer einfachen Gesetzmäßigkeit. Je weniger Zwischenglieder zwei Silben einer auswendig gelernten Reihe von einander trennten, desto geringeren Widerstand setzten nachher die jetzt getrennten Silben der Einprägung ihrer Aufeinanderfolge entgegen, desto stärker also mußten sie sich bei dem Lernen der Reihe, über die Zwischenglieder hinweg, schon mit einander verbunden haben.
    Wie in ihrem allgemeinen Gange, so stimmen die Zahlen der beiden Versuchsgruppen auch noch darin überein, dass die Differenz zwischen der ersten und zweiten Zahl den größten und die zwischen der zweiten und dritten den kleinsten Wert hat. Dagegen muß es auffallen, dass der absoluten Größe nach die Zahlen der zweiten Gruppe durchweg kleiner sind als die der ersten. Zur Erklärung dieses, bei seiner Gleichförmigkeit kaum zufälligen, Verhaltens könnte man an zwei Ursachen denken. Entweder offenbart sich hier in der Tat der vorhin berührte Einfluß der Erwartung. Die Zahlen der ersten Gruppe sind etwas zu groß ausgefallen, weil im Laufe der Untersuchung das Bestehen einer Arbeitsersparnis für die abgeleiteten Reihen als wahrscheinlich vorausgesetzt wurde und dadurch das Lernen dieser Reihen unwillkürlich mit etwas größerer Anspannung geschah.
    Oder aber, es hat bei den Zahlen der zweiten Gruppe, gerade in Folge des ausgeschlossenen Mitwissens, ein störendes Moment mitgewirkt, welches sie verkleinert hat. Es machte sich nämlich allerdings in diesem Falle während des Lernens der abgeleiteten Reihen vielfach eine sehr lebhafte Neugier geltend, herauszubekommen, welcher Kategorie von Umformungen die gerade gelernten Reihen angehörten. Dass diese zerstreuend und dadurch verlangsamend eingewirkt haben muß, ist nicht nur an sich wahrscheinlich, sondern auch noch durch das Resultat bei den durch Silbenpermutation abgeleiteten Reihen. Man erwartet, dass die Identität der Silbenmaße sowie der Anfangs- und Endsilben sich bei diesen durch eine, wenn auch noch so geringe, Arbeitsersparnis geltend mache. Dies zeigt sich auch bei den Versuchen der ersten Gruppe. Bei denen der zweiten Gruppe dagegen wird an ihrer Stelle ein geringer Mehraufwand an Zeit bemerklich, der, wenn er nicht bloß zufällig ist, kaum anders als durch jene zerstreuende Neugier erklärt werden kann.
    Möglicherweise haben beide Ursachen gleichzeitig eingewirkt, sodass also die ersten Versuche etwas zu hohe, die zweiten etwas zu kleine Zahlen ergeben haben. Erlaubt man sich unter dieser Voraussetzung, die beiden Zahlenreihen zusammenzuwerfen, um die entgegengesetzten Fehler in etwa zu kompensieren, so gewinnt man schließlich aus sämtlichen 85 Doppelversuchen folgende Tabelle. (Die Zahlen der vier mittleren Kolumnen bedeuten Sekunden.)
 

Anzahl der bei Ableitung der Reihen übersprungenen Zwischensilben
Zeit für das Lernen der ursprünglichen Reihen
Zeit für das Lernen der abgeleiteten Reihen
Arbeitser-sparnis bei dem Lernen der abgeleiteten Reihen
Wahrscheinlicher Fehler der Arbeits-

ersparnis3)

Arbeitsersparnis in % der ursprünglichen Lernzeit
0
(1266)
(844)
(422)
 
(33,3)
l
1275
1138
137
± 16
10,8
2
1260
1171
89
± 18
7
3
1260
1186
73
± 13
5,8
7
1268
1227
42
± 7
3,3
Permutierung der Silben . . .
1261
1255
6
± 13
0,5
3) Die wahrscheinlichen Fehler sind berechnet aus den einzelnen Arbeitsersparnissen, indem diese, die tatsächlich durch Subtraktion ermittelt sind, als direkt gefundene Beobachtungsresultate betrachtet wurden (s. §28 Anm.).
§ 39. Diskussion der Resultate.

    Ein besonderes Interesse, wie mir scheint, knüpft sich bei der eben mitgeteilten Tabelle an die letzte und namentlich an die vorletzte Zahlenreihe. Bei völliger Identität der gesamten Silben und bei Belassung der Anfangs- und Endsilben an ihren Plätzen war eine Zeitersparnis bei dem Lernen der abgeleiteten Reihen im Durchschnitt aus 17 Versuchen kaum konstatierbar. Dieselbe fiel innerhalb der Hälfte ihres wahrscheinlichen Fehlers. Die Silben an sich, außer dem Zusammenhang, waren also für mich so bekannt, dass sie durch eine etwa 32malige Wiederholung nicht merklich bekannter wurden. Dagegen wurde, bei ebenso häufiger Wiederholung einer zusammenhängenden Reihe, jede Silbe mit der ihr an achter Stelle folgenden noch so fest verknüpft, dass 24 Stunden später eine Nachwirkung dieser Verknüpfung in ganz zweifelloser Weise konstatiert werden konnte. Dieselbe erreicht den sechsfachen Wert ihres wahrscheinlichen Fehlers; sie darf demnach, natürlich nicht gerade in ihrer oben gefundenen Größe, aber doch in ihrer Existenz überhaupt, als vollkommen gesichert betrachtet werden. Ist sie auch, dem absoluten Betrage nach, gering, so beträgt sie doch immerhin den zehnten Teil von der Nachwirkung derjenigen Verknüpfung, welche jedes Glied an das ihm unmittelbar folgende bindet. Sie ist noch so bedeutend und gleichzeitig ist die Abnahme der Nachwirkungen für die Verknüpfungen, welche sich über 2, 3, 7 Zwischenglieder hinweg bilden, eine so allmähliche, dass man ohne weiteres behaupten kann, auch die noch weiter von einander abstehenden Glieder seien bei dem Lernen der Reihe durch Fäden von merklicher Stärke innerlich an einander gebunden worden.
    Ich fasse die bisherigen Ergebnisse in hypothetischer Verallgemeinerung zusammen. Bei der Wiederholung von Silbenreihen bilden sich gewisse Verknüpfungen zwischen jedem Gliede und allen darauf folgenden. Dieselben äußern sich darin, dass fernerhin die so verknüpften Silbenpaare in der Seele leichter, mit Überwindung eines geringeren Widerstandes wieder hervorgerufen werden können als andere, bisher nicht verknüpfte, aber sonst gleichartige Paare. Die Stärke der Verknüpfung, also die Größe der eventuell ersparten Arbeit, ist eine abnehmende Funktion der Zeit oder der Anzahl der Zwischenglieder, welche die betreffenden Silben in der ursprünglichen Reihe von einander trennten. Sie ist ein Maximum für die unmittelbar aufeinander folgenden Glieder. Die nähere Beschaffenheit der Funktion ist unbekannt, nur nimmt sie für wachsende Entfernungen der Glieder zuerst sehr schnell und allmählich sehr langsam ab.
    Setzt man an die Stelle der konkreten Vorstellungen von Arbeitsersparnis, leichterer Wiedererzeugung, die abstrakten aber geläufigen Vorstellungen von Kraft, Disposition, so kann man auch folgendermaßen sagen: durch das Lernen einer Reihe erhält jedes Glied eine Tendenz, eine latente Disposition, bei seiner eigenen Wiederkehr ins Bewußtsein die sämtlichen folgenden Glieder der Reihe nach sich zu ziehen. Diese Tendenzen sind indes von verschiedener Stärke; am stärksten für die unmittelbar folgenden Glieder. Im allgemeinen werden daher diese am leichtesten wirklich in das Bewußtsein gezogen werden: ohne Intervention anderer Einflüsse wird die Reihe in der ursprünglichen Ordnung wiederkehren, während die auf Herbeiziehung der übrigen Glieder gerichteten Kräfte nur durch Hinzutreten anderer Umstände auch äußerlich erkennbar werden.
    Es ist natürlich nicht glaublich, dass durch eine Caprice der Natur die Gültigkeit der gefundenen Sätze ausschließlich an das begrenzte Material gebunden sei, an dem sie gewonnen wurden, an sinnlose Silbenreihen; sie werden in analoger Weise von jeder Art von Vorstellungsreihen und deren Gliedern behauptet werden dürfen. Selbstverständlich werden sie da, wo zwischen den einzelnen Vorstellungen noch andere Beziehungen bestehen als die der Zeitfolge und der Trennung durch Zwischenglieder, das assoziative Geschehen nicht ausschließlich beherrschen, sondern nur mit Berücksichtigung aller der Modifikationen und Komplikationen, welche durch Verhältnisse verschiedenartiger Verwandtschaft, des Zusammenhangs, Sinns u. s. w. herbeigeführt werden.
    Jedenfalls aber, wie man nicht leugnen wird, würde durch eine allgemeinere Gültigkeit dieser Resultate die Lehre von der Assoziation eine wesentliche Abrundung und sozusagen eine größere Vernünftigkeit gewinnen. Die gewöhnliche Formulierung: "Vorstellungen assoziieren sich, wenn sie wiederholt gleichzeitig oder unmittelbar aufeinander folgend erzeugt werden" hat etwas Irrationales. Nimmt man es mit der Unmittelbarkeit der Folge genau, so widerspricht der Satz den gewöhnlichsten Erfahrungen. Nimmt man es nicht genau, so wird es schwer, klar anzugeben, welche Art der Folge man eigentlich meint. Gleichzeitig sieht man nicht ein, weshalb das nicht ganz unvermittelte Folgen einen Vorzug haben soll, der bei dem etwas mehr vermittelten plötzlich wegfällt. Wie wir jetzt erkennen, ist die Unmittelbarkeit oder Mittelbarkeit der Folge auf die allgemeine Art des Geschehens zwischen den sich folgenden Vorstellungen ohne Einfluß. In beiden Fällen bilden sich Verknüpfungen, die man, bei ihrer völligen Gleichartigkeit nicht anders als mit dem gemeinsamen Namen "Assoziationen" bezeichnen kann. Nur sind dieselben von verschiedener Stärke. Je mehr die Aufeinanderfolge der verknüpften Vorstellungen sich der idealen Unmittelbarkeit nähert, desto stärker, je weiter sie sich davon entfernt, desto schwächer sind die zusammenhaltenden Fäden. Die Assoziationen der entfernteren Glieder, obwohl tatsächlich vorhanden und durch geeignete Mittel nachweisbar, haben doch, wegen ihrer geringen Stärke, praktisch keine Bedeutung mehr; die der näheren dagegen sind von relativer Erheblichkeit und werden darum ihren Einfluß wohl vielfach geltend machen. Wären freilich die Reihen ganz sich selbst überlassen, und würden sie immer nur in derselben Ordnung erzeugt, so würde für jedes Glied immer nur eine Assoziation zum Vorschein kommen, die relativ stärkste, die Assoziation mit dem unmittelbar folgenden Gliede. Aber Vorstellungsreihen sind eben nie sich selbst überlassen. Reiche und rasch wechselnde Schicksale bringen sie in die vielfältigsten Beziehungen; sie kehren wieder in den verschiedensten Kombinationen ihrer Glieder. Und da müssen unter Umständen auch die stärkeren der minder starken Assoziationen zwischen entfernteren Gliedern Gelegenheit finden, ihr Vorhandensein zu dokumentieren und modifizierend in das innere Getriebe einzugreifen. Man erkennt leicht, wie sie ein schnelleres Wachstum der von der Seele beherrschten Vorstellungsmaßen, eine reichere Gliederung und eine vielseitigere Verzweigung derselben begünstigen müssen; freilich auch eine größere Mannigfaltigkeit und damit scheinbar eine größere Willkür und Unregelmäßigkeit des geistigen Geschehens.
    Ehe ich weiter gehe, noch einige Worte über die oben (§ 35) berührte "Ableitung" der Assoziation von aufeinander folgenden Vorstellungen aus den einheitlichen Bewußtseinsakten der einheitlichen Seele. Derselben droht nämlich eine gewisse Gefahr aus der Zusammenhaltung eines jetzt gefundenen Ergebnisses mit einem früher gefundenen. Ich erwähnte oben (§ 19), dass die Anzahl der Silben, die ich gerade noch imstande bin, nach einmaligem Lesen fehlerfrei herzusagen, etwa sieben beträgt. Man kann mit einem gewissen Recht diese Zahl als ein Maß dessen ansehen, was ich von Vorstellungen solcher Art eben noch in einem einheitlichen Bewußtseinsakt zusammenzufassen vermag. Wie wir nun jetzt sahen, bilden sich, ebenfalls bei mir, noch Assoziationen von merklicher Stärke über sieben Zwischenglieder hinweg, also zwischen Anfang und Ende einer aus neun Silben bestehenden Reihe. Und wegen der Größe der gefundenen Zahlen und der Art ihrer Abstufung erschien es wahrscheinlich, dass selbst bei einer noch größeren Anzahl von Zwischensilben Verknüpfungen zwischen den am weitesten von einander abstehenden Gliedern stattfinden. Bilden sich aber Assoziationen über ebensoviele oder mehr Glieder hinweg, als das Bewußtsein in ein und demselben Akt zu umfassen imstande ist, so ist es nicht mehr möglich, das Zustandekommen jener Assoziationen aus der gleichzeitigen Anwesenheit der verknüpften Glieder im Bewußtsein zu erklären.
    Indes ich bemerke gleich, dass sich diejenigen, welchen eine solche Ableitung am Herzen liegt, welche die einheitlichen Akte der einheitlichen Seele für ursprünglichere, durchsichtigere oder besser beglaubigte Tatsachen halten als die oben beschriebenen einfachen Fakta der Assoziation, sodaß mit der Zurückführung der letzteren auf die ersteren etwas Erhebliches gewonnen würde, dass sich diese also durch die obige Argumentation doch nicht außer Fassung bringen zu lassen brauchen. Man braucht nur zu sagen, dass zwar bei einer bis dahin ganz unbekannten Folge von Silben das Bewußtsein nur etwa 7 Glieder in einem Akte zu umspannen vermöge, dass aber bei häufigerer Wiederholung und allmählichem Bekanntwerden der Reihe auch diese Kapazität des Bewußtseins eine Steigerung erfahre, und dass z. B. eine Reihe von 16 Silben, die vollständig auswendig gewußt werde, auch in einem Akt des Bewußtseins gegenwärtig sei. Dann ist die "Erklärung" ohne Zwang wieder herstellbar; diejenigen, denen sie etwas wert war für die Assoziation der Gleichzeitigkeit und der unmittelbaren Folge, können sie ganz ebenso verwerten für unsere Assoziationen der mittelbaren Folge. Und bei den mäßigen Ansprüchen, welche man in der Psychologie an Erklärungen zu stellen sich vielfach bescheidet, wird sie zweifellos noch lange fortfahren, den Blick für die unbefangene Anerkennung eines der wunderbarsten Rätsel alles Geschehens als eines solchen zu trüben und dem Suchen nach seinem wahrhaften Verständnis hinderlich zu sein.

§ 40. Rückläufige Assoziationen.

    Von den mannigfachen Fragen, welche sich an die bisherigen Ergebnisse anschließen, habe ich einstweilen nur wenige untersuchen können und auch diese nur mit einer geringen Zahl von Experimenten.
    Durch häufige Wiederholung einer Reihe a b c d . . bilden sich gewisse Verknüpfungen ab, ac, ad, bd u. s. w. Die Vorstellung a bekommt gewisse, verschieden starke Tendenzen, bei ihrem irgendwie veranlaßten Wiedereintritt ins Bewußtsein auch die Vorstellungen b, c, d wieder zu bewußten zu machen. Beruhen nun diese Verknüpfungen und Tendenzen auf Gegenseitigkeit? Das heißt, wenn einmal c und nicht a die zufällig wiedererzeugte Vorstellung ist, hat diese außer dem Bestreben, d und e nach sich zu ziehen, ein ebensolches Bestreben rückwärts für b und a? Oder in anderer Ausdrucksweise: werden durch das vorangegangene Lernen von a b c d . . hinterher nicht nur die Aufeinanderfolgen a b c . ., a c e . . leichter gelernt als irgendwelche gleichlange Gruppierung der vorher gar nicht berührten p, q, r . ., sondern auch die Folgen ... c b a, . . e c a? Bilden sich durch mehrfache Wiederholung einer Reihe Assoziationen der Glieder auch nach rückwärts?
    Die Ansichten der Psychologen hierüber scheinen sich entgegenzustehen. Die einen machen auf das unzweifelhafte Faktum aufmerksam, dass man trotz völliger Beherrschung z. B. des griechischen Alphabets schlechterdings nicht imstande sei, dasselbe geläufig rückwärts herzusagen, wenn man es nicht in dieser Form noch besonders gelernt und geübt habe.
    Die anderen machen von rückläufigen Assoziationen, als von etwas Selbstverständlichem, ausgiebigen Gebrauch bei der Erklärung des Ursprungs willkürlicher und zweckmäßiger Bewegungen. Die Bewegungen des Kindes sind nach ihnen zunächst unwillkürlich und zufällig. An gewisse Kombinationen derselben schließen sich lebhafte Lustgefühle. Von Bewegungen wie Gefühlen hinterbleiben Gedächtnisvorstellungen, die sich durch Wiederholung dieses Geschehens immer fester mit einander assoziieren. Hat diese Verbindung eine gewisse Stärke erlangt, so schließt sich dann rückwärts an die bloße Vorstellung des Lustgefühls die Vorstellung der es erzeugenden Bewegung, an diese die wirkliche Bewegung und damit auch das sinnlich reale Gefühl.
    Die Auffassung Herbarts, die wir kennen lernten, hält zwischen diesen beiden Ansichten sozusagen die Mitte. Die Vorstellung c, die im Verlauf einer Reihe auftritt, verschmilzt mit den noch vorhandenen, aber schon verdunkelten Vorstellungen b und a, die ihr vorangegangen waren. Wird später c wiedererzeugt, so bringt es zwar b und a mit sich, aber nur als verdunkelte, nicht als völlig ungehemmte und klar bewußte. Wir überschauen beim plötzlichen Auftauchen eines Gliedes aus der Mitte einer Reihe das Vorangegangene "auf einmal in abgestufter Klarheit"; niemals aber kommt es dazu, dass die Reihe etwa rückwärts abläuft. Sondern an das auftauchende Glied schließen sich als voll bewußte sukzessive diejenigen, die in der früher dagewesenen Reihe darauf folgten.
    Zur Prüfung des tatsächlichen Verhaltens habe ich ein ganz ähnliches Verfahren eingeschlagen wie bei den vorhin besprochenen Untersuchungen. Aus Gruppen von je sechs 16sil-bigen Silbenreihen, die durch beliebige Zusammenstellung entstanden waren, wurden neue Gruppen abgeleitet, und zwar entweder durch bloße Umkehrung der Silbenfolge oder durch Umkehrung der Silbenfolge und gleichzeitiges Überspringen einer Zwischensilbe. Dann wurden je zwei zusammengehörige Gruppen auswendig gelernt, die abgeleitete Form 24 Stunden später als die ursprüngliche.
    Entspricht einer der ursprünglichen Reihen das Schema

I1 I2 I3 . . . . . . . . . . . . . . I15 I16,

so muß demnach die entsprechende abgeleitete Reihe bezeichnet werden:
bei bloßer Umkehrung der Silbenfolge mit
I16 I15 I14 . . . . . . . . . . . . . . I2 I1,
bei Umkehrung der Silbenfolge und gleichzeitigem Überspringen einer Zwischensilbe mit
I16 I14 I12 . . . . I4 I2 I15 I13 . . . . I3 I1.
    Für die erste Art der Ableitung habe ich zehn Versuche angestellt, für die zweite nur vier.
Die Resultate sind diese:

l) Bei Ableitung der umgeformten Reihen durch bloße Umkehrung der Silbenfolge

wurden die ursprünglichen Reihen gelernt in x Sekunden die abgeleiteten Reihen in y Sekunden letztere also mit einer Ersparnis von z Sekunden
x =
y =
z =
1172
1023
149
1317
1170
147
1213
977
236
1202
1194
8
1257
1031
226
1210
1087
123
1285
1051
234
1260
1150
110
1245
1070
175
1329
1189
140
m 1249
1094
155
wm = 15

    Im Verhältnis zu der Lernzeit für die ursprünglichen Reihen beträgt die Ersparnis 12,4%.

    2) Bei der Ableitung der umgeformten Reihen durch Umkehrung der Silbenfolge und gleichzeitiges Überspringen einer Zwischensilbe

x =
y =
z =
1337
1291
46
1255
1164
91
1158
1143
15
1313
1224
89
m 1266
1206
60
wm = 12

Im Verhältnis zu der Lernzeit für die ursprünglichen Reihen beträgt die Ersparnis 5%.
    Es bildeten sich also in der Tat durch das Lernen einer Reihe gewisse Verknüpfungen der Glieder unter einander nach rückwärts ganz ebenso wie nach vorwärts. Dieselben äußerten sich dadurch, dass Reihen, welche aus derartig verknüpften Gliedern zusammengesetzt waren, leichter gelernt wurden als gleichlange Reihen, deren Glieder an sich ebenso bekannt waren, aber vorher nicht in dieser Weise mit einander verknüpft wurden. Die Stärke der so geschaffenen Prädispositionen war wiederum eine abnehmende Funktion der Entfernung der Glieder von einander in der ursprünglichen Reihe. Nur war sie bei gleichen Entfernungen für die Verknüpfungen rückwärts erheblich geringer als für diejenigen vorwärts. Bei durchschnittlich gleich häufiger Wiederholung einer Reihe wurde jedem Glied das ihm unmittelbar vorangegangene nicht sehr viel fester verbunden als das zweitfolgende, das zweitvorangegangene – soviel sich aus den wenigen Versuchen überhaupt schließen läßt – kaum so fest als das drittfolgende.
    Könnte man für dieses, hier zunächst bei Silbenreihen gefundene Verhalten eine allgemeinere Geltung voraussetzen, so würden, wie ich glaube, die soeben angeführten, sich entgegenstehenden Erfahrungen ganz wohl verständlich. Wo eine Reihe nur aus zwei Gliedern besteht – wie bei der Verbindung einer einfachen Bewegungsvorstellung mit der Vorstellung eines Lustgefühls – da wird allerdings durch häufige Wiederholung das Endglied eine so starke Tendenz erlangen können, das Anfangsglied nach sich zu ziehen, dass dieses tatsächlich eintritt. Denn hier ist für das zweite Glied die Herbeiführung des ihm vorangegangenen ersten das einzige, wofür es durch die häufigen Wiederholungen überhaupt eine Disposition hat empfangen können. Niemals aber wird, nach noch so häufiger Wiederholung einer längeren Reihe, bei Erzeugung eines mittleren Gliedes die Reihe nach rückwärts ablaufen können. Denn wie leicht auch an das wiedergekehrte Glied das unmittelbar vorangegangene sich knüpfen möge, das unmittelbar folgende tritt jedenfalls noch bei weitem leichter ein und muß also – beim Fernbleiben anderer Einflüsse – den Sieg davon tragen. Wer daher das griechische Alphabet noch so lange auswendig lernt, wird nie dahin kommen, es ohne weiteres rückwärts hersagen zu können. Wohl aber wird er, falls er sich einfallen läßt, es eigens auch rückwärts zu lernen, dies jetzt voraussichtlich in merklich kürzerer Zeit bewerkstelligen, als vorher das Lernen in der gewöhnlichen Folge. Man wird nicht einwerfen, dass man doch ein Gedicht oder eine Rede, die man auswendig weiß, rückwärts nicht schneller lerne, als zuerst vorwärts. Denn hier werden bei dem Lernen der Umkehrung die zahllosen Bande des inneren Zusammenhangs vernichtet, auf deren Bestehen das schnelle Lernen der sinnvollen Folge zu allermeist beruhte.

§ 41. Die Assoziationen der mittelbaren Folge in ihrer Abhängigkeit
von der Anzahl der Wiederholungen.

    Die durch häufige Wiederholungen geknüpfte Verbindung zwischen den unmittelbar auf einander folgenden Gliedern einer Vorstellungs- oder Silbenreihe ist eine Funktion der Anzahl jener Wiederholungen. Bei den eigens auf Ermittlung dieses Verhältnisses gerichteten Untersuchungen des VIten Abschnitts hatte sich innerhalb ziemlich weiter Grenzen annähernde Proportionalität herausgestellt zwischen der Anzahl der Wiederholungen und der durch sie bewirkten Stärke der Verknüpfung. Die letztere war dabei gemessen worden, ganz wie bei den Untersuchungen des gegenwärtigen Abschnitts, an der Größe der Arbeitsersparnis bei dem Wiederlernen der verknüpften Reihen nach 24 Stunden.
    Wenn nun durch die Wiederholungen auch zwischen den nicht unmittelbar auf einander folgenden Gliedern der Reihe Verknüpfungen geschaffen werden, so ist die Stärke dieser letzteren naturlich ebenfalls irgendwie abhängig von der Anzahl der Wiederholungen. Es fragt sich, in welcher Weise in diesem Falle die Abhängigkeit stattfindet. Wird hier ebenfalls Proportionalität bestehen? Werden also die verschieden starken Fäden, welche die sämtlichen Glieder einer auswendig gelernten Reihe unter einander verbinden, doch alle in gleichem Verhältnis an Stärke zunehmen, wenn die Zahl der Wiederholungen gesteigert wird? Oder ist, ganz ebenso wie die Stärke der Fäden selbst, so auch die Art und Schnelligkeit ihrer Verstärkung eine verschiedene? Für selbstverständlich wird man bei dem Stande unseres Wissens weder die eine noch die andere dieser Möglichkeiten erklären können.
    Zur Anbahnung einer Einsicht in das tatsächliche Verhalten habe ich einige vorläufige Untersuchungen in folgender Weise angestellt. Je sechs 16silbige Reihen wurden durch entweder 16- oder 64malige aufmerksame Wiederholung dem Gedächtnis eingeprägt. Nach 24 Stunden wurden gleich viele und gleich lange abgeleitete Reihen, die aus den jedesmal eingeprägten durch Überspringen von l Zwischensilbe gewonnen waren, bis zur erstmaligen Reproduktion auswendig gelernt. Die Methode der Ableitung war in diesem Falle, um die Untersuchungen noch anderweitig nutzbar zu machen, etwas verschieden von der oben (§ 36) beschriebenen. Es wurden nicht wie dort an die sämtlichen Silben, die in einer ursprünglichen Reihe an ungeraden Stellen standen, diejenigen unmittelbar angeschlossen, welche in derselben Reihe an den geraden Stellen gestanden hatten. Sondern erst wurden die sämtlichen Silben der ungeraden Stellen von zwei ursprünglichen Reihen zu einer neuen 16silbigen Reihe zusammengefaßt, dann die Silben der geraden Stellen derselben ursprünglichen Reihen zu einer 2ten neuen Reihe. Das Schema der abgeleiteten Reihen war also nicht, wie oben,

I1 I3 I5 . . . . . . . . . . . . I15 I2 I4 . . . . . . . . . . . I16
II1 II3 II5 . . . . . . . . . II15 II2 II4 . . . . . . . . II16
sondern vielmehr
I1 I3 I5 . . . . . . . . . . . . I15 II1 II3 . . . . . . . . . . . . II15
I2 l4 I6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .I16 II2 II4 . . . . . . . . . II16
    Der Effekt der Ableitung resp. des Lernens der abgeleiteten Reihen kann, wie es scheint, durch diese geringe Änderung nicht wesentlich tangiert werden. Hier wie bei der oben beschriebenen Ableitungsart werden Silben, die bei einer ersten Einprägung je durch eine Zwischensilbe von einander getrennt waren, 24 Stunden später in unmittelbarer Aufeinanderfolge auswendig gelernt.
    Für jede Anzahl von einprägenden Wiederholungen habe ich 8 Doppelversuche angestellt, welche folgende Resultate ergaben:
    Anzahl der Wiederholungen für das Einprägen jeder einzelnen der ursprünglichen Reihen
16                    64
    Anzahl der Sekunden für das Lernen der sechs abgeleiteten Reihen nach 24 Stunden (incl. Hersagen):
1178
1157
1216
982
1216
1193
950
1148
1358
995
1019
1017
1191
1183
1230
1196
m 1170
1109
wm 30
22

    Bei der geringen Zahl der Versuche sind die resultierenden Mittelwerte leider noch sehr ungenau; allein der allgemeine Charakter des Resultats wurde derselbe bleiben. wenn man selbst jeden Wert um die ganze Breite seines wahrscheinlichen Fehlers für falsch hielte. Man erkennt diesen Charakter nach Zuziehung des oben (§ 23) mitgeteilten Wertes für das Auswendiglernen von sechs vorher nicht eingeprägten 16silbigen Reihen. Dasselbe fand statt in 1270 Sekunden. Nach vorausgegangener 16maliger Wiederholung der ursprünglichen Reihen wurden demnach die abgeleiteten Reihen gelernt mit einer Ersparnis von 100 Sekunden, nach vorausgegangener 64maliger Wiederholung mit einer solchen von 161 Sekunden. Die vierfache Zahl von Wiederholungen bewirkte nur wenig mehr als die anderthalbfache Ersparnis. Die Verstärkung der über ein Zwischenglied hinweg stattfindenden Assoziationen geschah also in den untersuchten Fällen keineswegs proportional der Anzahl der Wiederholungen, selbst nicht innerhalb der Grenzen, in denen dies für die Assoziationen von Glied zu Folgeglied merklich der Fall war. Vielmehr nahm die Wirkung der Wiederholungen für die Assoziationen der mittelbaren Folge erheblich früher und erheblich schneller ab als für diejenigen der unmittelbaren Folge.
    Sehr gut paßt zu dem gefundenen Wertepaar die oben (§ 37,1) – wie hier ohne Ausschluß des Wissens – ermittelte Zahl für das Lernen von abgeleiteten Reihen, die Tags vorher in ihrer ursprünglichen Form bis zur erstmöglichen Reproduktion eingeprägt worden waren. Dieselbe ist allerdings unter etwas anderen Bedingungen erhalten worden. Erstens wurde auf die Einprägung nicht immer dieselbe Anzahl von Wiederholungen verwandt, sondern jedesmal so viele, wie für die Erzielung der erstmöglichen Reproduktion nötig waren. d. h. nicht genau, sondern durchschnittlich 32. Außerdem war die Art der Ableitung der Reihen eine etwas andere, wie soeben auseinandergesetzt wurde. Allein diese Verschiedenheiten fallen bei Zahlen, die ohnedies nicht auf große Genauigkeit Anspruch machen können, nicht sehr ins Gewicht. Ich ziehe diesen Wert also zur Vergleichung heran und außerdem die im VIten Abschnitt mitgeteilten Zahlen für den Einfluß einprägender Wiederholungen auf das Wiederlernen derselben, nicht umgeformten Reihen. Es ergibt sieh dann folgende Tabelle:
    (Die Zahlen der vier mittleren Kolumnen bedeuten Sekunden.)
 

Anzahl der einprägenden Wiederholungen Zeit für das Wiedererlernen der eingeprägten und nicht umgeformten Reihen nach 24 Stunden. Zeit für das Lernen der durch Überspringen von einer Zwischensilbe umgeformten Reihen nach 24 Stunden. Ersparnis bei dem Wiedererlernen der nicht umgeformten Reihen. Ersparnis bei dem Lernen der umgeformten Reihen.
Die Ersparnis bei den umgeformten Reihen in Prozenten derjenigen bei den nicht umgeformten.
0
1270
       
16
1078
1170
192
100
52 %
32
863
1121
407
149
37 %
64
454
1109
816
161
20 %

    Ich mache wiederholt darauf aufmerksam, dass die vorstehenden Zahlen zum Teil ziemlich unsicher sind und unter sehr eingeschränkten Bedingungen gewonnen wurden. Immerhin wird es gestattet sein, das Bild, welches sie für eine wichtige Gruppe innerer Vorgänge nun doch als das wahrscheinlichste erscheinen lassen, und welches eine bis dahin leere Stelle unseres Wissens mit einer ansprechenden und in sich geschlossenen Anschauung füllt, zusammenfassend und in hypothetischer Erweiterung zu skizzieren:
    Bei der Einprägung und inneren Befestigung von Vorstellungsreihen durch mehrfache Wiederholung derselben bilden sich innere Verknüpfungen, Assoziationen, zwischen allen einzelnen Gliedern der Reihe. Das Wesen derselben besteht darin, dass fernerhin Reihen aus derartig verknüpften Gliedern leichter, unter Überwindung eines geringeren Widerstandes, aufgenommen und reproduziert werden, als gleichartige Reihen aus bis dahin nicht verknüpf-ten Gliedern, oder – wie man auch sagen kann – darin, dass jedes Glied der Reihe gewisse Tendenzen erhält, bei seiner Wiederkehr ins Bewußtsein auch die anderen herbeizuführen. Diese Verknüpfungen resp. Tendenzen sind unter mehrfachen Gesichtspunkten von verschiedener Stärke. Für entferntere Glieder der ursprünglichen Reihe sind sie schwächer als für nähere; für bestimmte Entfernungen nach rückwärts schwächer als für dieselben Entfernungen nach vorwärts. Bei zunehmender Anzahl der Wiederholungen wächst die Stärke sämtlicher Verknüpfungen. Aber die von vornherein schon stärkeren Fäden zwischen den näheren Gliedern werden hierbei noch erheblich schneller verstärkt als die schwächeren Fäden zwischen entfernteren Gliedern. Je mehr die Zahl der Wiederholungen also steigt, desto stärker werden, absolut und relativ, die Verknüpfungen der unmittelbar auf einander folgenden Glieder, desto ausschließlicher und maßgebender wird die Tendenz jedes Gliedes, bei seiner eigenen Wiederkehr ins Bewußtsein dasjenige nach sich zu ziehen, welches ihm bei den Wiederholungen immer zunächst gefolgt war.

§ 42. Indirekte Verstärkung von Assoziationen.

    Ich schließe ab mit der Erwähnung eines merkwürdigen Verhaltens, welches sich bei den im vorigen Paragraphen mitgeteilten Untersuchungen nebenbei noch herausstellte. Bei der Unsicherheit der in Betracht kommenden Zahlen kann ich nur mit großer Reserve darauf aufmerksam machen. Aber ganz übergehen möchte ich es nicht, weil es in sieh wahrscheinlich ist und weil es, bei fernerer Bestätigung, ein charakteristisches Licht auf tatsächlich vorhandene, aber unbewußt bleibende innere Vorgänge werfen würde und auf die relative Unabhängigkeit derselben von bewußten Begleiterscheinungen, auf die ich schon oben einmal hinwies (§ 24).
    Die Ableitung der umgeformten Silbenreihen geschah, wie erwähnt, bei den zuletzt besprochenen Untersuchungen in der Weise, dass aus zwei beliebig zusammengesetzten 16sil-bigen Reihen erst die sämtlichen Silben der ungeraden Stellen zu einer neuen Reihe vereinigt wurden, dann die sämtlichen Silben der geraden Stellen zu einer zweiten, unmittelbar folgenden Reihe. Bei einer aus sechs Reihen dieser Art bestehenden Gruppe enthielt also die abgeleitete Reihe II lauter Silben, welche bei der vorangegangenen ersten Einprägung auf die entsprechenden Silben von Reihe I unmittelbar gefolgt waren, ebenso die abgeleitete Reihe IV im Verhältnis zu III, VI im Verhältnis zu V. Es zeigte sich nun – und darin besteht eben das zu erwähnende eigentümliche Verhalten –, dass bei dem Auswendiglernen von derartig abgeleiteten Reihengruppen für die Reihen II, IV, VI im Durchschnitt etwas weniger Zeit erforderlich war als für die Reihen I, III, V, während bei allen anderen daraufhin untersuchten Reihengruppen (abgeleiteten oder nicht abgeleiteten) gerade das Umgekehrte stattfand.
    Ich belege zunächst das letztere Verhältnis mit einigen Zahlen.
    Aus den Versuchen mit sechs 16silbigen Reihen, die zum erstenmal auswendig gelernt wurden, greife ich ganz beliebig je 10 auf einander folgende Versuche aus zwei verschiedenen Zeitperioden heraus, indem ich jedesmal die Zeiten für das Auswendiglernen der Reihen I, III, V und diejenigen für das Lernen von II, IV, VI zusammenrechne.

l.
å (I, III, V)
å (II, IV, VI)
D

å (II,IV, VI) -å (I,III,V)

467
790
323
544
666
122
662
704
42
548
668
120
523
539
16
475
657
182
612
753
141
853
548
- 305
637
641
4
499
780
281
m               582
675
93
    wm             ± 37

2.

å (I, III, V) å (II, IV, VI) D

å (II,IV, VI) - å (I,III,V)

488
694
206
604
704
100
551
734
183
596
637
41
559
686
127
611
744
133
653
682
129
598
700
102
723
606
-117
643
678
35
m               603
687
84
wm                ± 20

    Die Summe der IIten, IVten und VIten Reihe ist hier, wie man sieht, im Durchschnitt der 10 Versuche beide Male erheblich größer als die Summe der Reihen I, III, V. Bei den einzelnen Versuchen sind die Differenzen allerdings von sehr verschiedenem Betrage; in je einem Falle haben sie sogar erhebliche negative Werte; aber diese Schwankungen werden repräsentiert durch die großen wahrscheinlichen Fehler der Durchschnittsdifferenzen, und trotz der Größe dieser Fehler darf der positive Charakter der Differenzen als ziemlich gesichert gelten.
    In allen anderen untersuchten Fällen zeigte sich dasselbe: große Schwankungen der Differenzen bei den einzelnen Versuchen, aber bei Zusammenfassung mehrerer Versuche ein entschiedenes Überwiegen der å(II, IV, VI), meist allerdings von geringerem Betrage als bei den mitgeteilten beiden Versuchsreihen. So fand sich z. B. bei den 11 älteren Versuchen, in denen Reihen auswendig gelernt wurden, die durch Überspringen von l Zwischensilbe abgeleitet und Tags zuvor in ihrer ursprünglichen Form gelernt waren (§ 37, l),

å (II, IV, VI) -å(I, III, V) = 33 (wm = 23).
    Bei den 6 späteren Versuchen derselben Art (§ 38, l),
å (II, IV, VI) - å (I, III, V) = 42 (wm = 29).
    Bei den 10 Versuchen mit Reihen, die Tags vorher je 16 mal wiederholt worden waren (§ 23),
å (II, IV, VI) — å (I, III, V) = 17 (wm = 21) u. s. f.
    Eine einzelne der letztgenannten Zahlen hätte bei der Größe der wahrscheinlichen Fehler kaum irgendwelche Beweiskraft, durch ihre Übereinstimmung hinsichtlich der Art der Differenz gewinnen sie an Wahrscheinlichkeit, zumal dieses Verhalten nach den Ergebnissen des § 18 ganz wohl verständlich ist. Dort hatte sich – besonders deutlich bei 16silbigen Reihen – gezeigt, dass das Lernen der einzelnen Reihen in ziemlich regelmäßigen Oszillationen geschieht, der Art, dass auf eine verhältnismäßig schnell gelernte Reihe eine verhältnismäßig langsam gelernte folgt und umgekehrt (Kap. IV Fig. 3). Da nun die erste Reihe durchschnittlich die am schnellsten gelernte, die zweite fast die langsamst gelernte jedes Versuchs ist, so werden durch Zusammenfassung von I, III, V die durchschnittlichen Minima, durch Zusammenfassung von II, IV, VI die durchschnittlichen Maxima der gebrauchten Zeiten vereinigt. Die Differenz å (II, IV, VI) - å (I, III, V) wird also im allgemeinen positiv sein.
    Hiernach muß es in der Tat auffallen, dass bei den beiden im vorigen Paragraphen besprochenen Versuchsreihen diese Differenz vielmehr ein negatives Vorzeichen hat.
    l) Bei dem Lernen der abgeleiteten Reihen, die in der ursprünglichen Form Tags vorher 16 mal wiederholt worden waren, fand sich:
å(I, III, V) å(II, IV, VI) D

å (II,IV,VI) - å (I,II,V)

656
522
- 134
702
514
- 188
603
613
10
450
500
50
662
696
34
560
459
- 101
588
603
15
637
593
- 44
m          607
562
- 45
wm                  ± 21

    2) Bei dem Lernen der abgeleiteten Reihen, die in der ursprünglichen Form Tags vorher 64 mal wiederholt worden waren, fand sich:

å (I, III, V)
å(II, IV, VI)
D

å (II, IV, VI) - å (I, III, V)

515
642
127
567
415
- 152
626
572
- 54
588
560
- 28
543
452
- 91
539
478
- 61
584
599
15
592
604
12
m             569
540
- 29
wm             ± 20

    Die Schwankungen der Zahlen bei den einzelnen Versuchen sind auch hier sehr groß, indes erkennt man auf den ersten Blick, ohne weitere Zusammenfassung, dass eine starke Verschiebung der Differenzen in das Negative stattgefunden hat, die denn auch in den Durchschnittswerten zum Ausdruck kommt. Die Reihen II, IV, VI zusammengenommen, sind, entgegen dem sonst hervortretenden Verhalten, in etwas kürzerer Zeit gelernt worden als die Reihen I, III, V.
    Dass diese Abweichung auf bloßem Zufall beruhe, ist möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Dazu sind die wahrscheinlichen Fehler, obschon groß, doch nicht groß genug.
    Viel eher würde ich fürchten, dass hier eine Trübung der Resultate durch die mehrerwähnte Fehlerquelle antizipierender Erwartung vorliege (§ 14, 4 ff. u. § 38). Während der fortschreitenden Versuche glaubte ich allerdings mit wachsender Sicherheit den geringeren Zeitaufwand für das Lernen der Reihen II, IV, VI voraussehen zu können, und nur weil ich etwas Derartiges vermutete, hatte ich überhaupt die Ableitungsweise der umgeformten Reihen geändert. Ich kann sonach die Möglichkeit durchaus nicht ausschließen, dass lediglich auf Grund dieser geheimen Voraussetzung, in einer für das Bewußtsein ganz unmerklichen Weise, bei dem Lernen von II, IV, VI eine größere und bei dem Lernen von I, III, V eine geringere Anspannung der Aufmerksamkeit stattgefunden habe. Indes positiv als richtig behaupten läßt sich diese Vermutung auch nicht, und durch die Annahme, dass der ganze gefundene Unterschied auf den Einfluß dieser Fehlerquelle zurückzuführen sei, wird jedenfalls den unwillkürlichen und unbemerkt bleibenden Akkomodationen der Aufmerksamkeit an eine geheime Erwartung eine ziemlich erhebliche Leistung zugeschrieben.
    Es bleibt demnach immerhin eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die dritte Möglichkeit, dass nämlich die gefundene Verschiedenheit in dem Charakter der Durchschnittsdifferenz wenigstens teilweise sachlich begründet sei, dass das schnellere Lernen der abgeleiteten Reihen II, IV, VI eben durch die Art ihrer Ableitung verursacht werde.
    Wie man sich diese Verursachung eigentlich zu denken habe, würde wohl nur durch Heranziehung physiologischer Vorstellungen, die noch erst der Bildung oder mindestens der Durchbildung bedürfen, deutlich zu machen sein. Bedient man sich der Sprache der Psychologie, so kann man sich, wie bei allem unbewußten Geschehen, nur uneigentlich und bildlich ausdrücken.
    Durch das Auswendiglernen einer Reihe in der ursprünglichen Anordnung, so muß man sagen, erhalten die einzelnen Silben ziemlich starke Tendenzen, bei ihrer eigenen Wiederkehr ins Bewußtsein die zunächst folgenden Silben nach sich zu ziehen. Werden also die Silben l, 3, 5 u. s. w. wiedererzeugt, so erhalten 2, 4, 6 u. s. w. gewisse Antriebe, ebenfalls wieder hervor zu treten. Diese Antriebe sind bei weitem nicht stark genug, um ein bewußt bemerkbares Geschehen, ein wirkliches Eintreten von 2, 4, 6 zuwege zu bringen.
    Letztere geraten nur in einen gewissen inneren Erregungszustand, es geschieht irgend etwas mit ihnen, was unterbleiben würde, wenn l, 3, 5 nicht wiederholt wären. Sie verhalten sich ähnlich wie ein vergessener Name, den man durch Besinnen wieder zu beleben sucht. Bewußt ist dieser nicht vorhanden, man sucht ihn ja eben. In gewisser Weise aber, auf dem Wege zum Bewußtsein sozusagen, ist er doch auch unleugbar vorhanden. Denn wenn allerlei Vorstellungen wachgerufen werden, die mit früher dagewesenen Namen in Verbindung stehen, so vermag man meist anzugeben, ob sie mit dem jetzt gerade gesuchten und noch nicht gefundenen zusammenstimmen oder nicht. In einen ähnlichen wenig intensiven Erregungszustand zwischen dem bewußten Hervortreten einerseits und dem einfachen Nichtvorhandensein andrerseits werden also auch die Silben 2, 4, 6 versetzt durch die häufige Wiederholung der mit ihnen vorher verbunden gewesenen 1, 3, 5. Und diese Erregung hat nun, so scheint es nach unseren Versuchen, eine ganz ähnliche Wirkung wie das wirkliche Bewußtwerden. Es bilden sich innere Verbindungen zwischen sukzessive innerlich erregten Silben gerade wie zwischen sukzessive bewußt gemachten Silben, nur natürlich von geringerer Stärke; es spinnen sich geheime Fäden, welche die gar nicht bewußt werdenden 2, 4, 6 aneinanderfesseln und der bewußten Erzeugung ihrer Aufeinanderfolge vorarbeiten. Solche Fäden bestanden freilich schon in größerer Stärke von dem Lernen der ursprünglichen Reihe her; die gegenwärtige Wirkung wird sich also so äußern, dass sie die bestehenden Verknüpfungen etwas verstärkt. Und das ist nichts anderes als das oben Gefundene: sind zwei Silbenkombinationen l, 3, 5 . . und 2, 4, 6 . . häufig zusammen bewußt gemacht worden (Lernen der ursprünglichen Reihen), so hat hinterher das Lernen der zweiten Kombination (abgeleitete Reihen II, IV, VI) bald nach dem Lernen der ersten (abgeleitete Reihen I, III, V) einen etwas geringeren Widerstand zu überwinden als das letztere. Es findet eine gewisse Verstärkung von Assoziationen statt, nicht nur direkt, durch bewußte Wiederholung der assoziierten Glieder, sondern auch indirekt, durch bewußte Wiederholung anderer Glieder, mit denen jene ersten lediglich häufiger zusammen waren.
    Diese Vorstellungsweise der Sache liegt ganz in der Konsequenz der oben (§ 39, 6) erforderlich gewordenen Annahme von der Bildung assoziativer Verknüpfungen über mehr Zwischenglieder hinweg, als sich in einem deutlichen Bewußtseinsakt auf einmal umfassen lassen. Sie würde sich fruchtbar machen lassen für die Erklärung mancher auffallenden Erscheinungen des Gedächtnis- und Erinnerungslebens, aber bei der Unsicherheit der Erfahrungsgrundlagen, die ich ihr gegenwärtig geben kann, nehme ich einstweilen davon Abstand, ihr weiter nachzugehen.