Das Behalten als Funktion der Aufeinanderfolge der Reihenglieder.
Ich wende mich zu einer zusammengehörigen Gruppe von Untersuchungen
über Assoziationsverhältnisse, deren Resultate, wie mir scheint,
theoretisch von besonderem Interesse sind.
Das unwillkürliche Wiederauftauchen psychischer
Gebilde aus dem Dunkel des Gedächtnisses an das Licht des Bewußtseins
geschieht, wie man weiß und wie schon erwähnt wurde, nicht beliebig
und zufällig, sondern in gewissen regelmäßigen Formen,
gemäß den sogenannten Assoziationsgesetzen. Das allgemeine Wissen
um diese ist eben so alt wie die Psychologie selbst, seine genauere Fassung
dagegen ist – charakteristisch genug – bis in die Gegenwart hinein streitig
geblieben. Jede neue Darstellung setzt sich aufs neue auseinander mit dem
Inhalt einiger Zeilen des Aristoteles, und nach dem Stande unseres Wissens
hat sie allerdings auch die Verpflichtung dazu.
Von diesen "Gesetzen" nun – wenn man sich mit dem
Sprachgebrauch und hoffentlich in Antizipation der Zukunft die Anwendung
eines hohen Wortes auf Formeln von ziemlich vagem Charakter gestattet –
von diesen Gesetzen ist eines niemals bestritten und angezweifelt worden.
Es pflegt etwa so formuliert zu werden: Vorstellungen, welche gleichzeitig
oder in unmittelbarer Aufeinanderfolge in demselben Bewußtsein erzeugt
wurden, reproduzieren sich gegenseitig, und zwar mit größerer
Leichtigkeit in der Richtung der ursprünglichen Folge, und mit um
so größerer Sicherheit, je häufiger sie beisammen waren.
Diese Art der unwillkürlichen Reproduktion
ist eine der best beglaubigten und häufigst verwirklichten Tatsachen
des ganzen psychischen Geschehens; sie durchsetzt in unabtrennbarer Weise
jede, auch die sogenannte willkürliche, Reproduktion. Der bewußte
Wille z. B. in allen den zahlreichen Reproduktionen von Silbenreihen, die
wir kennen lernten, beschränkte sich auf die allgemeine Absicht des
Reproduzierens und auf die Ergreifung des Anfangsgliedes. Das Übrige
schloß sich daran sozusagen von selbst und eben in Erfüllung
jenes Gesetzes, dass reihenförmig Zusammengewesenes sich in derselben
Reihenform reproduziert.
Indessen man hat sich, wie natürlich, nicht
begnügt mit der Anerkennung dieser evidenten Tatsache, sondern man
hat versucht, sie zu verstehen, einzudringen in das innere Getriebe, dem
sie als Wirkung entspringt. Geht man diesen Spekulationen über das
Warum einen Augenblick nach, so stößt man nach zwei Schritten
auf Unklarheiten und auf die Grenze unseres Wissens über das Wie.
Gewöhnlich beruft man sich zur Erklärung
dieser Form der Assoziation auf die Natur der Seele. Die psychischen Vorgänge,
sagt man, sind nicht ein passives Geschehen, sondern Tätigkeiten eines
Subjekts. Was ist nun natürlicher, als dass dieses einheitliche Wesen
die Inhalte seiner ebenfalls einheitlichen Akte in gewisser Weise zusammenschnürt?
Das was gleichzeitig oder unmittelbar nacheinander vorgestellt wird, wird
in einem Akt des Bewußtseins erfaßt und eben dadurch
innerlich aneinander gekettet, natürlich um so fester, je häufiger
dieses Band einer Bewußtseinseinheit darum geschlungen wurde. Wird
nun einmal durch irgend einen Zufall nur ein Teil eines so zusammengehörigen
Komplexes erzeugt, wie kann er anders, als die übrigen Teile an jenem
alle zusammenhaltenden Bande nach sich ziehen?
Zunächst erklärt diese Vorstellung nicht
ganz was sie wollte. Denn die übrigen Teile des Komplexes werden nicht
nur einfach herbeigezogen, sondern sie folgen dem Zuge in einer ganz bestimmten
Ordnung. Werden die Teilinhalte lediglich durch ihre Zugehörigkeit
zu einem Bewußtseinsakt, und demnach doch alle in gleicher Weise,
zusammengefaßt, wie kommt es, dass eine Folge von Teilinhalten gerade
in derselben Folge und nicht in einer beliebigen Permutation wiederkehrt?
Um auch dies verständlich zu machen, kann man in zwiefacher Weise
weitergehen.
Entweder man kann sagen: eine Zusammenfassung des
in einem Bewußtseinsakt gleichzeitig Gegenwärtigen geschieht
nur von Glied zu Folgeglied, aber nicht über andere Glieder hinweg;
sie wird aus irgendwelchen Gründen durch Zwischenglieder inhibiert,
aber nicht durch das Dazwischentreten von Pausen, wofern nur Anfang und
Ende der Pause noch in einem Bewußtseinsakt erfaßt werden können.
Damit ist man zu den Tatsachen wieder zurückgekehrt, aber der Vorteil,
den die ganz plausible Berufung auf die einheitlichen Bewußtseinsakte
bot, ist stillschweigend wieder preisgegeben. Denn wie sehr man auch über
die Zahl von Vorstellungen streiten möge, welche ein Bewußtseinsakt
zu umfassen vermag, es ist ganz sicher, dass wir, wenn nicht immer, so
doch zumeist mehr als zwei Glieder einer Folge noch in einem solchen Akte
ergreifen. Benutzt man aber die eine Seite des Erklärungsgrundes,
die Einheitlichkeit, als willkommenes Moment, so muß man sich auch
mit der anderen Seite, der Vielheit von Gliedern, abzufinden wissen und
ihr nicht, auf vermutete aber unangebbare Gründe hin, das Dreinreden
verbieten. Sonst hat man im Grunde doch nur gesagt, wobei man ja möglicherweise
stehen bleiben muß: es ist so, weil es Gründe gibt, dass es
so ist.
Man wird also vielmehr versucht sein, so zu sagen.
Die in einem Bewußtseinsakt aufgefaßten Vorstellungen werden
allerdings alle mit einander verknüpft, aber nicht alle in derselben
Weise. Die Stärke der Verbindung ist vielmehr eine abnehmende Funktion
der Zeit oder auch der Anzahl der Zwischenglieder; sie ist um so geringer,
je größer das Intervall ist, welches die einzelnen Glieder trennt.
Sei a, b, c, d eine Reihe, die gerade noch
in einem Akt vorgestellt wird, so wird die Verknüpfung des a
mit b stärker sein als die mit dem späteren c,
und diese wiederum stärker als die mit d. Wird a irgendwoher
wiedererzeugt, so bringt es zwar sowohl b wie c und d
mit sich, aber das ihm enger verknüpfte b muß sich leichter
und eher einstellen, dann das diesem eng verbundene c u. s. f. Die
Reihe muß also, obwohl alle ihre Glieder unter einander verknüpft
sind, doch gerade in der ursprünglichen Folge wieder ins Bewußtsein
treten.
Eine solche Vorstellung ist in folgerichtiger Weise
von Herbart ausgesponnen worden. Den Grund der Verknüpfung
der unmittelbar aufeinanderfolgenden Vorstellungen sieht er nicht direkt
in der Einheitlichkeit der Bewußtseinsakte, aber in etwas Ähnlichem:
gegensätzliche Vorstellungen, die in der einheitlichen Seele zusammen
zu sein gezwungen sind, können dies nur dadurch, dass sie sich teilweise
hemmen und dann in ihren Resten mit einander verschmelzen, sich verknüpfen.
Doch dies ist für unseren Zweck nebensächlich; er fährt
dann fort:
"Eine Reihe a, b, c, d . . . sei in
der Wahrnehmung gegeben worden, so ist durch andere, im Bewußtsein
vorhandene, Vorstellungen schon a, von dem ersten Augenblicke der
Wahrnehmung an, und während deren Dauer, einer Hemmung ausgesetzt
gewesen. Indessen nun a, schon zum Teil im Bewußtsein gesunken,
mehr und mehr gehemmt wurde, kam b dazu. Dieses, Anfangs ungehemmt,
verschmolz mit dem sinkenden a. Es folgte c, und verband
sich, selbst ungehemmt, mit dem sich verdunkelnden b und dem mehr
verdunkelten a. Desgleichen folgte d, um sich in verschiedenen
Abstufungen mit a, b, c zu verknüpfen. – Hieraus
entspringt für jede von diesen Vorstellungen ein Gesetz, wie
sie, nachdem die ganze Reihe eine Zeitlang aus dem Bewußtsein verdrängt
war, auf eigne Weise beim erneuerten Hervortreten jede andre Vorstellung
der nämlichen Reihe aufzurufen bemüht ist. Angenommen, a
erhebe sieh zuerst, so ist es mehr mit b, minder mit c, noch
minder mit d u. s. w. verknüpft; rückwärts aber sind
b,
c, d sämtlich im ungehemmten Zustande den Resten von
a verschmolzen; folglich sucht a sie alle völlig wiederum
bis zum ungehemmten Vorstellen zu bringen; aber es wirkt am schnellsten
und stärksten auf b, langsamer auf c, noch langsamer
auf d u. s. w. (wobei die feinere Untersuchung ergibt, dass b
wieder sinkt, indem c noch steigt: ebenso c sich senkt, während
d
steigt u. s. w.); kurz, die Reihe läuft ab, wie sie gegeben war. –
Nehmen wir dagegen an, c werde ursprünglich reproduziert, so
wirkt es zwar auf d und die nachfolgenden gerade, wie eben von
a
gezeigt, das heißt, die Reihe c, d . . . läuft
ihrer Ordnung gemäß allmählich ab. Hingegen b und a
erfahren einen ganz anderen Einfluß; mit ihren verschiedenen
Resten
war das ungehemmte c verschmolzen; es wirkt also auch auf sie mit
seiner ganzen Stärke und ohne Zögerung, aber nur, um den
mit ihm verbundenen Rest von a und von b zurückzurufen,
also um einen Teil von b und einen kleineren Teil von
a
ins Bewußtsein zu bringen. So geschieht es, wenn wir an irgend etwas
aus der Mitte einer uns bekannten Reihe erinnert werden; das Vorhergehende
stellt sich auf einmal, in abgestufter Klarheit dar; das
Nachfolgende hingegen läuft in unsern Gedanken ab, wie die
Reihenfolge es mit sich bringt. Aber niemals läuft die Reihe rückwärts,
niemals entsteht, ohne geflissentliches Bemühen, ein Anagramm aus
einem wohlaufgefaßten Worte1)."
§ 36.Methode der Untersuchung des tatsächlichen Verhaltens.
Die Versuche wurden wiederum mit 6 Reihen zu je 16 Silben angestellt. Zu größerer Klarheit bezeichne ich vorübergehend die Reihen mit römischen, die einzelnen Silben mit arabischen Ziffern. Den Gegenstand eines Versuchs bildete dann also jedesmal eine Silbengruppe folgender Form:
Leitet man aus der ursprünglichen Anordnung
der Silben neue Reihen ab durch Überspringen von 2, 3 und mehr Zwischengliedern,
so ergeben sich analoge Betrachtungen. Die abgeleiteten Reihen werden entweder
unverändert ohne jede merkliche Ersparnis von Arbeit gelernt werden,
oder aber es werden jedesmal gewisse Arbeitsersparnisse resultieren, und
diese werden dann bei wachsender Anzahl der Zwischenglieder immer kleiner
werden.
Auf Grund dieser Erwägungen habe ich nun folgendes
Verfahren eingeschlagen. Ich bildete Gruppen von 6 Reihen zu je 16 Silben
in beliebiger Zusammensetzung der letzteren. Aus jeder Gruppe wurde dann
eine neue abgeleitet, wiederum zu 6 Reihen von 16 Silben, und zwar so,
dass die unmittelbar benachbarten Silben der neuen Formation in der ursprünglichen
durch entweder l oder 2 oder 3 oder 7 Zwischensilben getrennt waren.
Bezeichnet man die einzelnen Silben durch die Stellen,
welche sie in der ursprünglichen Anordnung innehaben, so erhält
diese selbst , wie eben angegeben, das Schema
§ 37. Resultate. Assoziation der mittelbaren Folge.
Für jede Gruppe ursprünglicher und abgeleiteter
Reihen wurden zunächst 11 Doppelversuche, im ganzen also 55, angestellt,
die unregelmäßig über ca. 9 Monate verteilt sind. Die Resultate
waren die folgenden.
l) Bei Ableitung der Reihen durch Überspringen
von l Zwischensilbe
wurden die ursprünglichen Reihen gelernt in x Sekunden | die entsprechenden daraus abgeleiteten Reihen in y Sekunden | letztere also mit einer Ersparnis von z Sekunden |
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2) Bei Ableitung der Reihen durch Überspringen von 2 Zwischensilben
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3) Bei Ableitung der Reihen durch Überspringen von 3 Zwischensilben
wurden die ursprünglichen Reihen gelernt in x Sekunden | die entsprechenden daraus abgeleiteten Reihen in y Sekunden | letztere also mit einer Ersparnis von z Sekunden |
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m 1269 |
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4) Bei Ableitung der Reihen durch Überspringen von 7 Zwischensilben
wurden die ursprünglichen Reihen gelernt in x Sekunden | die entsprechenden daraas abgeleiteten Reiben in y Sekunden, | letztere also mit einer Ersparnis von z Sekunden |
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m 1272 |
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5) Bei Ableitung der Reihen durch Beibehaltung der Anfangs- und Endsilben
und beliebige Permutierung der übrigen Silben
Wurden die ursprünglichen Reihen gelernt in x Sekunden | die entsprechenden daraus abgeleiteten Reihen in y Sekunden | letztere also mit einer Ersparnis von z Sekunden |
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Es wurden also, um die Resultate zusammenzufassen,
bei Ableitung der neuen Reihen durch Überspringen von
l, 2, 3, 7 Zwischengliedern,
die abgeleiteten Reihen gelernt mit einer mittleren Ersparnis von
152, 94, 78, 42 Sekunden.
Bei Ableitung der neuen Reihen durch bloße Permutierung der Silben
ergab sich nur eine mittlere Ersparnis von 12 Sekunden.
Um die Bedeutung dieser Zahlen zu würdigen,
muß man sie vergleichen mit derjenigen Arbeitsersparnis, welche bei
dem Wiedererlernen von ganz unveränderten Reihen nach 24 Stunden bei
mir stattfindet. Dieselbe betrug bei 16silbigen Reihen etwa 1/3
der für das erste Lernen erforderlichen Zeit, also ungefähr 420
Sekunden. Diese Zahl mißt die Stärke der von Glied zu Folgeglied
stattfindenden Verknüpfung, also der unter den festgesetzten Bedingungen
überhaupt möglichen Maximalwirkung der Assoziation. Betrachtet
man sie als Einheit, so ist die Stärke der Verknüpfung jedes
Gliedes mit dem zweitfolgenden mit reichlich 1/3
und der Verknüpfung jedes Gliedes mit dem drittfolgenden mit knapp
1/4
zu bezeichnen u. s. w.
Der Gang der gewonnenen Resultate bestätigt
demnach – für mich und für die untersuchten Fälle – die
oben an zweiter Stelle und mit Heranziehung Herbarts erörterte
Auffassung: bei wiederholter Erzeugung von Silbenreihen assoziierten sich
nicht nur die einzelnen Glieder mit ihren unmittelbaren Folgegliedern,
sondern es bildeten sich Verknüpfungen zwischen jedem Glied und mehreren
ihm zunächst folgenden, über die Zwischenglieder hinweg. Es scheint,
wie man sieh ausdrücken kann, um eine kurze Bezeichnung zu haben,
nicht nur eine Assoziation der unmittelbaren, sondern auch eine solche
der
mittelbaren Folge zu bestehen. Die Stärke jener Verknüpfungen
nahm ab mit der Zahl der Zwischenglieder; bei einer geringen Anzahl war
sie, wie man zugeben wird, von überraschender und nicht vorauszusehender
Erheblichkeit.
Eine wesentliche Erleichterung des Wiederlernens
der Reihen dagegen durch die Identität der Silbenmaße und durch
die Identität der Anfangs- und Endsilben der Reihen hat in den untersuchten
Fällen nicht stattgefunden.
§ 38. Versuche mit Ausschluß des Wissens.
Ich habe vorläufig die wahrscheinlichen Fehler der Resultate nicht
mitgeteilt, um jetzt die Vertrauenswürdigkeit der letzteren ausführlicher
zu besprechen.
Als ich an die Versuche herantrat, hatte ich keine
entschiedene Meinung zu gunsten des schließlichen Resultats. Eine
Arbeitserleichterung für das Lernen der abgeleiteten Reihen fand ich
nicht wesentlich plausibler als das Gegenteil. Erst allmählich, nachdem
mehr und mehr Zahlen für das Bestehen einer solchen Arbeitserleichterung
sprachen, erschien mir diese auch als das Richtigere und Naturgemäße.
Man könnte nun denken, nach dem oben (§ 14) Auseinandergesetzten,
diese Vorstellung habe bei den noch übrigen Versuchen möglicherweise
ein aufmerksameres und deshalb schnelleres Lernen der abgeleiteten Reihen
begünstigt und so die resultierenden Arbeitsersparnisse, wenn nicht
überhaupt veranlaßt, so doch mindestens sehr verstärkt.
Für die drei größten der gefundenen
Zahlen, also für die Arbeitserleichterungen, die sich beim Überspringen
von l, 2 und 3 Zwischengliedern herausstellten, ist dieser Einwand von
geringer Erheblichkeit. Denn diese sind verhältnismäßig
so bedeutend, dass man einer unwillkürlichen Anspannung der willkürlich
ohnedies möglichst konzentrierten Aufmerksamkeit (§ 13, 5) zuviel
beimessen würde, wenn man ihr hier einen wesentlichen Einfluß
zuschriebe. Außerdem aber und namentlich würde dadurch die aus
den hin- und herfallenden Einzelwerten schließlich hervorgehende
Abstufung der Zahlen, parallel der Anzahl der übersprungenen Zwischenglieder,
geradezu unbegreiflich werden. Denn die vorausgesetzte größere
Anspannung der Aufmerksamkeit könnte offenbar nur ganz im allgemeinen
wirken. Wie sollte sie es vermögen, noch dazu für Versuche, die
durch Wochen und Monate von einander getrennt waren, eine so regelmäßige
Stufenfolge der Zahlen hervorzubringen?
Einigermaßen zweifelhaft durch das angeführte
Bedenken wird nur allerdings das vierte Resultat, die verhältnismäßig
kleine Arbeitserleichterung für das Lernen von Reihen, die durch Überspringen
von 7 Zwischengliedern aus anderen abgeleitet sind. Offenbar aber hat gerade
in diesem Falle die sichere Konstatierung der Differenz ein besonderes
Interesse, wegen der bedeutenden Größe des Intervalls, über
welches hinweg doch noch eine Assoziation stattfände.
Bei den gegenwärtigen Untersuchungen besteht
nun die Möglichkeit, sie so anzustellen, dass das Mitwissen um den
Ausfall der allmählich sich ansammelnden Resultate ausgeschlossen
ist, sodaß also auch der etwaige trübende Einfluß von
geheimen Ansichten und Wünschen in Wegfall kommt. Ich habe daher,
zur Kontrolle der obigen Resultate und namentlich des mindest sicheren
von ihnen, eine weitere Gruppe von 30 Doppelversuchen in folgender Weise
angestellt.
Je sechs beliebig zusammengesetzte 16silbige Reihen
wurden auf die Vorderseite eines Blattes geschrieben und auf die Rückseite
desselben Blattes 6 Reihen, die aus jenen durch eine der oben (§ 36)
beschriebenen Ableitungsarten gewonnen waren. Für jede der 5 Umformungen
wurden in dieser Weise 6 Blätter hergestellt, deren Vorderseiten wohl
von den Rückseiten, die aber nicht untereinander durch irgend ein
Abzeichen zu unterscheiden waren. Sämtliche 30 Blätter wurden
gemischt und solange beiseite gelegt, bis jede etwaige Erinnerung an das
Vorkommen einzelner Silben in bestimmten Umformungen als erloschen gelten
durfte. Dann wurde die Vorderseite und 24 Stunden später die Rückseite
eines beliebigen Blattes auswendig gelernt. Die für das Lernen der
einzelnen Reihen erforderlichen Zeiten wurden notiert, aber nicht eher
zusammengerechnet und weiter verarbeitet, als bis alle 30 Blätter
durchgebraucht waren. Darnach fanden sich folgende Zahlen:
l) Bei Ableitung der umgeformten Reihen durch Überspringen von l Zwischensilbe
Wurden die ursprünglichen Reihen gelernt in x Sekunden | die entsprechenden daraus abge-leiteten Reihen in y Sekunden, | letztere also mit einer Ersparnis von z Sekunden |
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2) Bei Ableitung der Reihen durch Überspringen von 2 Zwischensilben
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3) Bei Ableitung der Reihen durch Überspringen von 3 Zwischensilben
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4) Bei Ableitung der Reihen durch Überspringen von 7 Zwischensilben
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5) Bei Ableitung der Reihen durch Beibehaltung der Anfangs- und Endsilben und beliebige Permutierung der übrigen Silben
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m 1261 |
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Bei Ableitung der umgeformten Reihen durch Überspringen
von
l, 2, 3, 7 Zwischensilben,
wurden also die abgeleiteten Reihen gelernt mit einer mittleren Ersparnis
von
110, 79, 64, 40 Sekunden.
Dagegen bei Ableitung durch Permutierung der Silben erforderte das
Lernen der umgeformten Reihen einen mittleren Mehraufwand von 5
Sekunden.
Der allgemeine Gang dieser Resultate bestätigt,
wie man sieht, genau das erstgefundene Ergebnis. Trotz der verhältnismäßig
geringen Anzahl der Versuche und bei völligem Ausschluß des
Mitwissens um das jedesmal angestellte Experiment und seinen Ausfall, gruppieren
sich die im einzelnen ganz unregelmäßig und scheinbar regellos
fallenden Zahlen im ganzen zu einer einfachen Gesetzmäßigkeit.
Je weniger Zwischenglieder zwei Silben einer auswendig gelernten Reihe
von einander trennten, desto geringeren Widerstand setzten nachher die
jetzt getrennten Silben der Einprägung ihrer Aufeinanderfolge entgegen,
desto stärker also mußten sie sich bei dem Lernen der Reihe,
über die Zwischenglieder hinweg, schon mit einander verbunden haben.
Wie in ihrem allgemeinen Gange, so stimmen die Zahlen
der beiden Versuchsgruppen auch noch darin überein, dass die Differenz
zwischen der ersten und zweiten Zahl den größten und die zwischen
der zweiten und dritten den kleinsten Wert hat. Dagegen muß es auffallen,
dass der absoluten Größe nach die Zahlen der zweiten Gruppe
durchweg kleiner sind als die der ersten. Zur Erklärung dieses, bei
seiner Gleichförmigkeit kaum zufälligen, Verhaltens könnte
man an zwei Ursachen denken. Entweder offenbart sich hier in der Tat der
vorhin berührte Einfluß der Erwartung. Die Zahlen der ersten
Gruppe sind etwas zu groß ausgefallen, weil im Laufe der Untersuchung
das Bestehen einer Arbeitsersparnis für die abgeleiteten Reihen als
wahrscheinlich vorausgesetzt wurde und dadurch das Lernen dieser Reihen
unwillkürlich mit etwas größerer Anspannung geschah.
Oder aber, es hat bei den Zahlen der zweiten Gruppe,
gerade in Folge des ausgeschlossenen Mitwissens, ein störendes Moment
mitgewirkt, welches sie verkleinert hat. Es machte sich nämlich allerdings
in diesem Falle während des Lernens der abgeleiteten Reihen vielfach
eine sehr lebhafte Neugier geltend, herauszubekommen, welcher Kategorie
von Umformungen die gerade gelernten Reihen angehörten. Dass diese
zerstreuend und dadurch verlangsamend eingewirkt haben muß, ist nicht
nur an sich wahrscheinlich, sondern auch noch durch das Resultat bei den
durch Silbenpermutation abgeleiteten Reihen. Man erwartet, dass die Identität
der Silbenmaße sowie der Anfangs- und Endsilben sich bei diesen durch
eine, wenn auch noch so geringe, Arbeitsersparnis geltend mache. Dies zeigt
sich auch bei den Versuchen der ersten Gruppe. Bei denen der zweiten Gruppe
dagegen wird an ihrer Stelle ein geringer Mehraufwand an Zeit bemerklich,
der, wenn er nicht bloß zufällig ist, kaum anders als durch
jene zerstreuende Neugier erklärt werden kann.
Möglicherweise haben beide Ursachen gleichzeitig
eingewirkt, sodass also die ersten Versuche etwas zu hohe, die zweiten
etwas zu kleine Zahlen ergeben haben. Erlaubt man sich unter dieser Voraussetzung,
die beiden Zahlenreihen zusammenzuwerfen, um die entgegengesetzten Fehler
in etwa zu kompensieren, so gewinnt man schließlich aus sämtlichen
85 Doppelversuchen folgende Tabelle. (Die Zahlen der vier mittleren Kolumnen
bedeuten Sekunden.)
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ersparnis3) |
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Ein besonderes Interesse, wie mir scheint, knüpft
sich bei der eben mitgeteilten Tabelle an die letzte und namentlich an
die vorletzte Zahlenreihe. Bei völliger Identität der gesamten
Silben und bei Belassung der Anfangs- und Endsilben an ihren Plätzen
war eine Zeitersparnis bei dem Lernen der abgeleiteten Reihen im Durchschnitt
aus 17 Versuchen kaum konstatierbar. Dieselbe fiel innerhalb der Hälfte
ihres wahrscheinlichen Fehlers. Die Silben an sich, außer dem Zusammenhang,
waren also für mich so bekannt, dass sie durch eine etwa 32malige
Wiederholung nicht merklich bekannter wurden. Dagegen wurde, bei ebenso
häufiger Wiederholung einer zusammenhängenden Reihe, jede Silbe
mit der ihr an achter Stelle folgenden noch so fest verknüpft, dass
24 Stunden später eine Nachwirkung dieser Verknüpfung in ganz
zweifelloser Weise konstatiert werden konnte. Dieselbe erreicht den sechsfachen
Wert
ihres wahrscheinlichen Fehlers; sie darf demnach, natürlich nicht
gerade in ihrer oben gefundenen Größe, aber doch in ihrer Existenz
überhaupt, als vollkommen gesichert betrachtet werden. Ist sie auch,
dem absoluten Betrage nach, gering, so beträgt sie doch immerhin den
zehnten Teil von der Nachwirkung derjenigen Verknüpfung, welche jedes
Glied an das ihm unmittelbar folgende bindet. Sie ist noch so bedeutend
und gleichzeitig ist die Abnahme der Nachwirkungen für die Verknüpfungen,
welche sich über 2, 3, 7 Zwischenglieder hinweg bilden, eine so allmähliche,
dass man ohne weiteres behaupten kann, auch die noch weiter von einander
abstehenden Glieder seien bei dem Lernen der Reihe durch Fäden von
merklicher Stärke innerlich an einander gebunden worden.
Ich fasse die bisherigen Ergebnisse in hypothetischer
Verallgemeinerung zusammen. Bei der Wiederholung von Silbenreihen bilden
sich gewisse Verknüpfungen zwischen jedem Gliede und allen darauf
folgenden. Dieselben äußern sich darin, dass fernerhin die so
verknüpften Silbenpaare in der Seele leichter, mit Überwindung
eines geringeren Widerstandes wieder hervorgerufen werden können als
andere, bisher nicht verknüpfte, aber sonst gleichartige Paare. Die
Stärke der Verknüpfung, also die Größe der eventuell
ersparten Arbeit, ist eine abnehmende Funktion der Zeit oder der Anzahl
der Zwischenglieder, welche die betreffenden Silben in der ursprünglichen
Reihe von einander trennten. Sie ist ein Maximum für die unmittelbar
aufeinander folgenden Glieder. Die nähere Beschaffenheit der Funktion
ist unbekannt, nur nimmt sie für wachsende Entfernungen der Glieder
zuerst sehr schnell und allmählich sehr langsam ab.
Setzt man an die Stelle der konkreten Vorstellungen
von Arbeitsersparnis, leichterer Wiedererzeugung, die abstrakten aber geläufigen
Vorstellungen von Kraft, Disposition, so kann man auch folgendermaßen
sagen: durch das Lernen einer Reihe erhält jedes Glied eine Tendenz,
eine latente Disposition, bei seiner eigenen Wiederkehr ins Bewußtsein
die sämtlichen folgenden Glieder der Reihe nach sich zu ziehen. Diese
Tendenzen sind indes von verschiedener Stärke; am stärksten für
die unmittelbar folgenden Glieder. Im allgemeinen werden daher diese am
leichtesten wirklich in das Bewußtsein gezogen werden: ohne Intervention
anderer Einflüsse wird die Reihe in der ursprünglichen Ordnung
wiederkehren, während die auf Herbeiziehung der übrigen Glieder
gerichteten Kräfte nur durch Hinzutreten anderer Umstände auch
äußerlich erkennbar werden.
Es ist natürlich nicht glaublich, dass durch
eine Caprice der Natur die Gültigkeit der gefundenen Sätze ausschließlich
an das begrenzte Material gebunden sei, an dem sie gewonnen wurden, an
sinnlose Silbenreihen; sie werden in analoger Weise von jeder Art von Vorstellungsreihen
und deren Gliedern behauptet werden dürfen. Selbstverständlich
werden sie da, wo zwischen den einzelnen Vorstellungen noch andere Beziehungen
bestehen als die der Zeitfolge und der Trennung durch Zwischenglieder,
das assoziative Geschehen nicht ausschließlich beherrschen, sondern
nur mit Berücksichtigung aller der Modifikationen und Komplikationen,
welche durch Verhältnisse verschiedenartiger Verwandtschaft, des Zusammenhangs,
Sinns u. s. w. herbeigeführt werden.
Jedenfalls aber, wie man nicht leugnen wird, würde
durch eine allgemeinere Gültigkeit dieser Resultate die Lehre von
der Assoziation eine wesentliche Abrundung und sozusagen eine größere
Vernünftigkeit gewinnen. Die gewöhnliche Formulierung: "Vorstellungen
assoziieren sich, wenn sie wiederholt gleichzeitig oder unmittelbar aufeinander
folgend erzeugt werden" hat etwas Irrationales. Nimmt man es mit der Unmittelbarkeit
der Folge genau, so widerspricht der Satz den gewöhnlichsten Erfahrungen.
Nimmt man es nicht genau, so wird es schwer, klar anzugeben, welche Art
der Folge man eigentlich meint. Gleichzeitig sieht man nicht ein, weshalb
das nicht ganz unvermittelte Folgen einen Vorzug haben soll, der bei dem
etwas mehr vermittelten plötzlich wegfällt. Wie wir jetzt erkennen,
ist die Unmittelbarkeit oder Mittelbarkeit der Folge auf die allgemeine
Art des Geschehens zwischen den sich folgenden Vorstellungen ohne Einfluß.
In beiden Fällen bilden sich Verknüpfungen, die man, bei ihrer
völligen Gleichartigkeit nicht anders als mit dem gemeinsamen Namen
"Assoziationen" bezeichnen kann. Nur sind dieselben von verschiedener Stärke.
Je mehr die Aufeinanderfolge der verknüpften Vorstellungen sich der
idealen Unmittelbarkeit nähert, desto stärker, je weiter sie
sich davon entfernt, desto schwächer sind die zusammenhaltenden Fäden.
Die Assoziationen der entfernteren Glieder, obwohl tatsächlich vorhanden
und durch geeignete Mittel nachweisbar, haben doch, wegen ihrer geringen
Stärke, praktisch keine Bedeutung mehr; die der näheren dagegen
sind von relativer Erheblichkeit und werden darum ihren Einfluß wohl
vielfach geltend machen. Wären freilich die Reihen ganz sich selbst
überlassen, und würden sie immer nur in derselben Ordnung erzeugt,
so würde für jedes Glied immer nur eine Assoziation zum Vorschein
kommen, die relativ stärkste, die Assoziation mit dem unmittelbar
folgenden Gliede. Aber Vorstellungsreihen sind eben nie sich selbst überlassen.
Reiche und rasch wechselnde Schicksale bringen sie in die vielfältigsten
Beziehungen; sie kehren wieder in den verschiedensten Kombinationen ihrer
Glieder. Und da müssen unter Umständen auch die stärkeren
der minder starken Assoziationen zwischen entfernteren Gliedern Gelegenheit
finden, ihr Vorhandensein zu dokumentieren und modifizierend in das innere
Getriebe einzugreifen. Man erkennt leicht, wie sie ein schnelleres Wachstum
der von der Seele beherrschten Vorstellungsmaßen, eine reichere Gliederung
und eine vielseitigere Verzweigung derselben begünstigen müssen;
freilich auch eine größere Mannigfaltigkeit und damit scheinbar
eine größere Willkür und Unregelmäßigkeit des
geistigen Geschehens.
Ehe ich weiter gehe, noch einige Worte über
die oben (§ 35) berührte "Ableitung" der Assoziation von aufeinander
folgenden Vorstellungen aus den einheitlichen Bewußtseinsakten der
einheitlichen Seele. Derselben droht nämlich eine gewisse Gefahr aus
der Zusammenhaltung eines jetzt gefundenen Ergebnisses mit einem früher
gefundenen. Ich erwähnte oben (§ 19), dass die Anzahl der Silben,
die ich gerade noch imstande bin, nach einmaligem Lesen fehlerfrei herzusagen,
etwa sieben beträgt. Man kann mit einem gewissen Recht diese
Zahl als ein Maß dessen ansehen, was ich von Vorstellungen solcher
Art eben noch in einem einheitlichen Bewußtseinsakt zusammenzufassen
vermag. Wie wir nun jetzt sahen, bilden sich, ebenfalls bei mir, noch Assoziationen
von merklicher Stärke über sieben Zwischenglieder hinweg, also
zwischen Anfang und Ende einer aus neun Silben bestehenden Reihe.
Und wegen der Größe der gefundenen Zahlen und der Art ihrer
Abstufung erschien es wahrscheinlich, dass selbst bei einer noch größeren
Anzahl von Zwischensilben Verknüpfungen zwischen den am weitesten
von einander abstehenden Gliedern stattfinden. Bilden sich aber Assoziationen
über ebensoviele oder mehr Glieder hinweg, als das Bewußtsein
in ein und demselben Akt zu umfassen imstande ist, so ist es nicht mehr
möglich, das Zustandekommen jener Assoziationen aus der gleichzeitigen
Anwesenheit der verknüpften Glieder im Bewußtsein zu erklären.
Indes ich bemerke gleich, dass sich diejenigen,
welchen eine solche Ableitung am Herzen liegt, welche die einheitlichen
Akte der einheitlichen Seele für ursprünglichere, durchsichtigere
oder besser beglaubigte Tatsachen halten als die oben beschriebenen einfachen
Fakta der Assoziation, sodaß mit der Zurückführung der
letzteren auf die ersteren etwas Erhebliches gewonnen würde, dass
sich diese also durch die obige Argumentation doch nicht außer Fassung
bringen zu lassen brauchen. Man braucht nur zu sagen, dass zwar bei einer
bis dahin ganz unbekannten Folge von Silben das Bewußtsein nur etwa
7 Glieder in einem Akte zu umspannen vermöge, dass aber bei häufigerer
Wiederholung und allmählichem Bekanntwerden der Reihe auch diese Kapazität
des Bewußtseins eine Steigerung erfahre, und dass z. B. eine Reihe
von 16 Silben, die vollständig auswendig gewußt werde, auch
in einem Akt des Bewußtseins gegenwärtig sei. Dann ist die "Erklärung"
ohne Zwang wieder herstellbar; diejenigen, denen sie etwas wert war für
die Assoziation der Gleichzeitigkeit und der unmittelbaren Folge, können
sie ganz ebenso verwerten für unsere Assoziationen der mittelbaren
Folge. Und bei den mäßigen Ansprüchen, welche man in der
Psychologie an Erklärungen zu stellen sich vielfach bescheidet, wird
sie zweifellos noch lange fortfahren, den Blick für die unbefangene
Anerkennung eines der wunderbarsten Rätsel alles Geschehens als eines
solchen zu trüben und dem Suchen nach seinem wahrhaften Verständnis
hinderlich zu sein.
§ 40. Rückläufige Assoziationen.
Von den mannigfachen Fragen, welche sich an die bisherigen
Ergebnisse anschließen, habe ich einstweilen nur wenige untersuchen
können und auch diese nur mit einer geringen Zahl von Experimenten.
Durch häufige Wiederholung einer Reihe a
b c d . . bilden sich gewisse Verknüpfungen ab, ac,
ad,
bd u. s. w. Die Vorstellung a bekommt gewisse, verschieden
starke Tendenzen, bei ihrem irgendwie veranlaßten Wiedereintritt
ins Bewußtsein auch die Vorstellungen b, c, d
wieder zu bewußten zu machen. Beruhen nun diese Verknüpfungen
und Tendenzen auf Gegenseitigkeit? Das heißt, wenn einmal c
und nicht a die zufällig wiedererzeugte Vorstellung ist, hat
diese außer dem Bestreben, d und e nach sich zu ziehen,
ein ebensolches Bestreben rückwärts für b und a?
Oder in anderer Ausdrucksweise: werden durch das vorangegangene Lernen
von a b c d . . hinterher nicht nur die Aufeinanderfolgen a b
c . ., a c e . . leichter gelernt als irgendwelche gleichlange
Gruppierung der vorher gar nicht berührten p, q, r
. ., sondern auch die Folgen ... c b a, . . e c a? Bilden
sich durch mehrfache Wiederholung einer Reihe Assoziationen der Glieder
auch nach rückwärts?
Die Ansichten der Psychologen hierüber scheinen
sich entgegenzustehen. Die einen machen auf das unzweifelhafte Faktum aufmerksam,
dass man trotz völliger Beherrschung z. B. des griechischen Alphabets
schlechterdings nicht imstande sei, dasselbe geläufig rückwärts
herzusagen, wenn man es nicht in dieser Form noch besonders gelernt und
geübt habe.
Die anderen machen von rückläufigen Assoziationen,
als von etwas Selbstverständlichem, ausgiebigen Gebrauch bei der Erklärung
des Ursprungs willkürlicher und zweckmäßiger Bewegungen.
Die Bewegungen des Kindes sind nach ihnen zunächst unwillkürlich
und zufällig. An gewisse Kombinationen derselben schließen sich
lebhafte Lustgefühle. Von Bewegungen wie Gefühlen hinterbleiben
Gedächtnisvorstellungen, die sich durch Wiederholung dieses Geschehens
immer fester mit einander assoziieren. Hat diese Verbindung eine gewisse
Stärke erlangt, so schließt sich dann rückwärts an
die bloße Vorstellung des Lustgefühls die Vorstellung der es
erzeugenden Bewegung, an diese die wirkliche Bewegung und damit auch das
sinnlich reale Gefühl.
Die Auffassung Herbarts, die wir kennen lernten,
hält zwischen diesen beiden Ansichten sozusagen die Mitte. Die Vorstellung
c,
die im Verlauf einer Reihe auftritt, verschmilzt mit den noch vorhandenen,
aber schon verdunkelten Vorstellungen b und a, die ihr vorangegangen
waren. Wird später c wiedererzeugt, so bringt es zwar b
und a mit sich, aber nur als verdunkelte, nicht als völlig
ungehemmte und klar bewußte. Wir überschauen beim plötzlichen
Auftauchen eines Gliedes aus der Mitte einer Reihe das Vorangegangene "auf
einmal in abgestufter Klarheit"; niemals aber kommt es dazu, dass die Reihe
etwa rückwärts abläuft. Sondern an das auftauchende Glied
schließen sich als voll bewußte sukzessive diejenigen, die
in der früher dagewesenen Reihe darauf folgten.
Zur Prüfung des tatsächlichen Verhaltens
habe ich ein ganz ähnliches Verfahren eingeschlagen wie bei den vorhin
besprochenen Untersuchungen. Aus Gruppen von je sechs 16sil-bigen Silbenreihen,
die durch beliebige Zusammenstellung entstanden waren, wurden neue Gruppen
abgeleitet, und zwar entweder durch bloße Umkehrung der Silbenfolge
oder durch Umkehrung der Silbenfolge und gleichzeitiges Überspringen
einer Zwischensilbe. Dann wurden je zwei zusammengehörige Gruppen
auswendig gelernt, die abgeleitete Form 24 Stunden später als die
ursprüngliche.
Entspricht einer der ursprünglichen Reihen
das Schema
I1 I2 I3 . . . . . . . . . . . . . . I15 I16,
l) Bei Ableitung der umgeformten Reihen durch bloße Umkehrung der Silbenfolge
wurden die ursprünglichen Reihen gelernt in x Sekunden | die abgeleiteten Reihen in y Sekunden | letztere also mit einer Ersparnis von z Sekunden |
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wm = 15 |
Im Verhältnis zu der Lernzeit für die ursprünglichen Reihen beträgt die Ersparnis 12,4%.
2) Bei der Ableitung der umgeformten Reihen durch Umkehrung der Silbenfolge und gleichzeitiges Überspringen einer Zwischensilbe
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wm = 12 |
Im Verhältnis zu der Lernzeit für die ursprünglichen
Reihen beträgt die Ersparnis 5%.
Es bildeten sich also in der Tat durch das Lernen
einer Reihe gewisse Verknüpfungen der Glieder unter einander nach
rückwärts ganz ebenso wie nach vorwärts. Dieselben äußerten
sich dadurch, dass Reihen, welche aus derartig verknüpften Gliedern
zusammengesetzt waren, leichter gelernt wurden als gleichlange Reihen,
deren Glieder an sich ebenso bekannt waren, aber vorher nicht in dieser
Weise mit einander verknüpft wurden. Die Stärke der so geschaffenen
Prädispositionen war wiederum eine abnehmende Funktion der Entfernung
der Glieder von einander in der ursprünglichen Reihe. Nur war sie
bei gleichen Entfernungen für die Verknüpfungen rückwärts
erheblich geringer als für diejenigen vorwärts. Bei durchschnittlich
gleich häufiger Wiederholung einer Reihe wurde jedem Glied das ihm
unmittelbar vorangegangene nicht sehr viel fester verbunden als das zweitfolgende,
das zweitvorangegangene – soviel sich aus den wenigen Versuchen überhaupt
schließen läßt – kaum so fest als das drittfolgende.
Könnte man für dieses, hier zunächst
bei Silbenreihen gefundene Verhalten eine allgemeinere Geltung voraussetzen,
so würden, wie ich glaube, die soeben angeführten, sich entgegenstehenden
Erfahrungen ganz wohl verständlich. Wo eine Reihe nur aus zwei Gliedern
besteht – wie bei der Verbindung einer einfachen Bewegungsvorstellung mit
der Vorstellung eines Lustgefühls – da wird allerdings durch häufige
Wiederholung das Endglied eine so starke Tendenz erlangen können,
das Anfangsglied nach sich zu ziehen, dass dieses tatsächlich eintritt.
Denn hier ist für das zweite Glied die Herbeiführung des ihm
vorangegangenen ersten das einzige, wofür es durch die häufigen
Wiederholungen überhaupt eine Disposition hat empfangen können.
Niemals aber wird, nach noch so häufiger Wiederholung einer längeren
Reihe, bei Erzeugung eines mittleren Gliedes die Reihe nach rückwärts
ablaufen können. Denn wie leicht auch an das wiedergekehrte Glied
das unmittelbar vorangegangene sich knüpfen möge, das unmittelbar
folgende tritt jedenfalls noch bei weitem leichter ein und muß also
– beim Fernbleiben anderer Einflüsse – den Sieg davon tragen. Wer
daher das griechische Alphabet noch so lange auswendig lernt, wird nie
dahin kommen, es ohne weiteres rückwärts hersagen zu können.
Wohl aber wird er, falls er sich einfallen läßt, es eigens auch
rückwärts zu lernen, dies jetzt voraussichtlich in merklich kürzerer
Zeit bewerkstelligen, als vorher das Lernen in der gewöhnlichen Folge.
Man wird nicht einwerfen, dass man doch ein Gedicht oder eine Rede, die
man auswendig weiß, rückwärts nicht schneller lerne, als
zuerst vorwärts. Denn hier werden bei dem Lernen der Umkehrung die
zahllosen Bande des inneren Zusammenhangs vernichtet, auf deren Bestehen
das schnelle Lernen der sinnvollen Folge zu allermeist beruhte.
§ 41. Die Assoziationen der mittelbaren Folge in ihrer Abhängigkeit
von der Anzahl der Wiederholungen.
Die durch häufige Wiederholungen geknüpfte
Verbindung zwischen den unmittelbar auf einander folgenden Gliedern einer
Vorstellungs- oder Silbenreihe ist eine Funktion der Anzahl jener Wiederholungen.
Bei den eigens auf Ermittlung dieses Verhältnisses gerichteten Untersuchungen
des VIten Abschnitts hatte sich innerhalb ziemlich weiter Grenzen
annähernde Proportionalität herausgestellt zwischen der Anzahl
der Wiederholungen und der durch sie bewirkten Stärke der Verknüpfung.
Die letztere war dabei gemessen worden, ganz wie bei den Untersuchungen
des gegenwärtigen Abschnitts, an der Größe der Arbeitsersparnis
bei dem Wiederlernen der verknüpften Reihen nach 24 Stunden.
Wenn nun durch die Wiederholungen auch zwischen
den nicht unmittelbar auf einander folgenden Gliedern der Reihe Verknüpfungen
geschaffen werden, so ist die Stärke dieser letzteren naturlich ebenfalls
irgendwie abhängig von der Anzahl der Wiederholungen. Es fragt sich,
in welcher Weise in diesem Falle die Abhängigkeit stattfindet. Wird
hier ebenfalls Proportionalität bestehen? Werden also die verschieden
starken Fäden, welche die sämtlichen Glieder einer auswendig
gelernten Reihe unter einander verbinden, doch alle in gleichem Verhältnis
an Stärke zunehmen, wenn die Zahl der Wiederholungen gesteigert wird?
Oder ist, ganz ebenso wie die Stärke der Fäden selbst, so auch
die Art und Schnelligkeit ihrer Verstärkung eine verschiedene? Für
selbstverständlich wird man bei dem Stande unseres Wissens weder die
eine noch die andere dieser Möglichkeiten erklären können.
Zur Anbahnung einer Einsicht in das tatsächliche
Verhalten habe ich einige vorläufige Untersuchungen in folgender Weise
angestellt. Je sechs 16silbige Reihen wurden durch entweder 16- oder 64malige
aufmerksame Wiederholung dem Gedächtnis eingeprägt. Nach 24 Stunden
wurden gleich viele und gleich lange abgeleitete Reihen, die aus den jedesmal
eingeprägten durch Überspringen von l Zwischensilbe gewonnen
waren, bis zur erstmaligen Reproduktion auswendig gelernt. Die Methode
der Ableitung war in diesem Falle, um die Untersuchungen noch anderweitig
nutzbar zu machen, etwas verschieden von der oben (§ 36) beschriebenen.
Es wurden nicht wie dort an die sämtlichen Silben, die in einer ursprünglichen
Reihe an ungeraden Stellen standen, diejenigen unmittelbar angeschlossen,
welche in derselben Reihe an den geraden Stellen gestanden hatten. Sondern
erst wurden die sämtlichen Silben der ungeraden Stellen von zwei ursprünglichen
Reihen zu einer neuen 16silbigen Reihe zusammengefaßt, dann die Silben
der geraden Stellen derselben ursprünglichen Reihen zu einer 2ten
neuen Reihe. Das Schema der abgeleiteten Reihen war also nicht, wie oben,
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Bei der geringen Zahl der Versuche sind die resultierenden
Mittelwerte leider noch sehr ungenau; allein der allgemeine Charakter des
Resultats wurde derselbe bleiben. wenn man selbst jeden Wert um die ganze
Breite seines wahrscheinlichen Fehlers für falsch hielte. Man erkennt
diesen Charakter nach Zuziehung des oben (§ 23) mitgeteilten Wertes
für das Auswendiglernen von sechs vorher nicht eingeprägten 16silbigen
Reihen. Dasselbe fand statt in 1270 Sekunden. Nach vorausgegangener 16maliger
Wiederholung der ursprünglichen Reihen wurden demnach die abgeleiteten
Reihen gelernt mit einer Ersparnis von 100 Sekunden, nach vorausgegangener
64maliger Wiederholung mit einer solchen von 161 Sekunden. Die vierfache
Zahl von Wiederholungen bewirkte nur wenig mehr als die anderthalbfache
Ersparnis. Die Verstärkung der über ein Zwischenglied hinweg
stattfindenden Assoziationen geschah also in den untersuchten Fällen
keineswegs proportional der Anzahl der Wiederholungen, selbst nicht innerhalb
der Grenzen, in denen dies für die Assoziationen von Glied zu Folgeglied
merklich der Fall war. Vielmehr nahm die Wirkung der Wiederholungen für
die Assoziationen der mittelbaren Folge erheblich früher und erheblich
schneller ab als für diejenigen der unmittelbaren Folge.
Sehr gut paßt zu dem gefundenen Wertepaar
die oben (§ 37,1) – wie hier ohne Ausschluß des Wissens – ermittelte
Zahl für das Lernen von abgeleiteten Reihen, die Tags vorher in ihrer
ursprünglichen Form bis zur erstmöglichen Reproduktion eingeprägt
worden waren. Dieselbe ist allerdings unter etwas anderen Bedingungen erhalten
worden. Erstens wurde auf die Einprägung nicht immer dieselbe
Anzahl von Wiederholungen verwandt, sondern jedesmal so viele, wie für
die Erzielung der erstmöglichen Reproduktion nötig waren. d.
h. nicht genau, sondern durchschnittlich 32. Außerdem war
die Art der Ableitung der Reihen eine etwas andere, wie soeben auseinandergesetzt
wurde. Allein diese Verschiedenheiten fallen bei Zahlen, die ohnedies nicht
auf große Genauigkeit Anspruch machen können, nicht sehr ins
Gewicht. Ich ziehe diesen Wert also zur Vergleichung heran und außerdem
die im VIten Abschnitt mitgeteilten Zahlen für den Einfluß
einprägender Wiederholungen auf das Wiederlernen derselben, nicht
umgeformten Reihen. Es ergibt sieh dann folgende Tabelle:
(Die Zahlen der vier mittleren Kolumnen bedeuten
Sekunden.)
Anzahl der einprägenden Wiederholungen | Zeit für das Wiedererlernen der eingeprägten und nicht umgeformten Reihen nach 24 Stunden. | Zeit für das Lernen der durch Überspringen von einer Zwischensilbe umgeformten Reihen nach 24 Stunden. | Ersparnis bei dem Wiedererlernen der nicht umgeformten Reihen. | Ersparnis bei dem Lernen der umgeformten Reihen. |
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Ich mache wiederholt darauf aufmerksam, dass die
vorstehenden Zahlen zum Teil ziemlich unsicher sind und unter sehr eingeschränkten
Bedingungen gewonnen wurden. Immerhin wird es gestattet sein, das Bild,
welches sie für eine wichtige Gruppe innerer Vorgänge nun doch
als das wahrscheinlichste erscheinen lassen, und welches eine bis dahin
leere Stelle unseres Wissens mit einer ansprechenden und in sich geschlossenen
Anschauung füllt, zusammenfassend und in hypothetischer Erweiterung
zu skizzieren:
Bei der Einprägung und inneren Befestigung
von Vorstellungsreihen durch mehrfache Wiederholung derselben bilden sich
innere Verknüpfungen, Assoziationen, zwischen allen einzelnen Gliedern
der Reihe. Das Wesen derselben besteht darin, dass fernerhin Reihen aus
derartig verknüpften Gliedern leichter, unter Überwindung eines
geringeren Widerstandes, aufgenommen und reproduziert werden, als gleichartige
Reihen aus bis dahin nicht verknüpf-ten Gliedern, oder – wie man auch
sagen kann – darin, dass jedes Glied der Reihe gewisse Tendenzen erhält,
bei seiner Wiederkehr ins Bewußtsein auch die anderen herbeizuführen.
Diese Verknüpfungen resp. Tendenzen sind unter mehrfachen Gesichtspunkten
von verschiedener Stärke. Für entferntere Glieder der ursprünglichen
Reihe sind sie schwächer als für nähere; für bestimmte
Entfernungen nach rückwärts schwächer als für dieselben
Entfernungen nach vorwärts. Bei zunehmender Anzahl der Wiederholungen
wächst die Stärke sämtlicher Verknüpfungen. Aber die
von vornherein schon stärkeren Fäden zwischen den näheren
Gliedern werden hierbei noch erheblich schneller verstärkt als die
schwächeren Fäden zwischen entfernteren Gliedern. Je mehr die
Zahl der Wiederholungen also steigt, desto stärker werden, absolut
und relativ, die Verknüpfungen der unmittelbar auf einander folgenden
Glieder, desto ausschließlicher und maßgebender wird die Tendenz
jedes Gliedes, bei seiner eigenen Wiederkehr ins Bewußtsein dasjenige
nach sich zu ziehen, welches ihm bei den Wiederholungen immer zunächst
gefolgt war.
§ 42. Indirekte Verstärkung von Assoziationen.
Ich schließe ab mit der Erwähnung eines
merkwürdigen Verhaltens, welches sich bei den im vorigen Paragraphen
mitgeteilten Untersuchungen nebenbei noch herausstellte. Bei der Unsicherheit
der in Betracht kommenden Zahlen kann ich nur mit großer Reserve
darauf aufmerksam machen. Aber ganz übergehen möchte ich es nicht,
weil es in sieh wahrscheinlich ist und weil es, bei fernerer Bestätigung,
ein charakteristisches Licht auf tatsächlich vorhandene, aber unbewußt
bleibende innere Vorgänge werfen würde und auf die relative Unabhängigkeit
derselben von bewußten Begleiterscheinungen, auf die ich schon oben
einmal hinwies (§ 24).
Die Ableitung der umgeformten Silbenreihen geschah,
wie erwähnt, bei den zuletzt besprochenen Untersuchungen in der Weise,
dass aus zwei beliebig zusammengesetzten 16sil-bigen Reihen erst die sämtlichen
Silben der ungeraden Stellen zu einer neuen Reihe vereinigt wurden, dann
die sämtlichen Silben der geraden Stellen zu einer zweiten, unmittelbar
folgenden Reihe. Bei einer aus sechs Reihen dieser Art bestehenden Gruppe
enthielt also die abgeleitete Reihe II lauter Silben, welche bei der vorangegangenen
ersten Einprägung auf die entsprechenden Silben von Reihe I unmittelbar
gefolgt waren, ebenso die abgeleitete Reihe IV im Verhältnis zu III,
VI im Verhältnis zu V. Es zeigte sich nun – und darin besteht eben
das zu erwähnende eigentümliche Verhalten –, dass bei dem Auswendiglernen
von derartig abgeleiteten Reihengruppen für die Reihen II, IV, VI
im Durchschnitt etwas weniger Zeit erforderlich war als für die Reihen
I, III, V, während bei allen anderen daraufhin untersuchten Reihengruppen
(abgeleiteten oder nicht abgeleiteten) gerade das Umgekehrte stattfand.
Ich belege zunächst das letztere Verhältnis
mit einigen Zahlen.
Aus den Versuchen mit sechs 16silbigen Reihen, die
zum erstenmal auswendig gelernt wurden, greife ich ganz beliebig je 10
auf einander folgende Versuche aus zwei verschiedenen Zeitperioden heraus,
indem ich jedesmal die Zeiten für das Auswendiglernen der Reihen I,
III, V und diejenigen für das Lernen von II, IV, VI zusammenrechne.
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å (II,IV, VI) -å (I,III,V) |
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m 582 |
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wm ± 37 |
2.
å (I, III, V) | å (II, IV, VI) | D
å (II,IV, VI) - å (I,III,V) |
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m 603 |
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wm ± 20 |
Die Summe der IIten, IVten
und VIten Reihe ist hier, wie man sieht, im Durchschnitt der
10 Versuche beide Male erheblich größer als die Summe der Reihen
I, III, V. Bei den einzelnen Versuchen sind die Differenzen allerdings
von sehr verschiedenem Betrage; in je einem Falle haben sie sogar erhebliche
negative Werte; aber diese Schwankungen werden repräsentiert durch
die großen wahrscheinlichen Fehler der Durchschnittsdifferenzen,
und trotz der Größe dieser Fehler darf der positive Charakter
der Differenzen als ziemlich gesichert gelten.
In allen anderen untersuchten Fällen zeigte
sich dasselbe: große Schwankungen der Differenzen bei den einzelnen
Versuchen, aber bei Zusammenfassung mehrerer Versuche ein entschiedenes
Überwiegen der å(II, IV, VI),
meist allerdings von geringerem Betrage als bei den mitgeteilten beiden
Versuchsreihen. So fand sich z. B. bei den 11 älteren Versuchen, in
denen Reihen auswendig gelernt wurden, die durch Überspringen von
l Zwischensilbe abgeleitet und Tags zuvor in ihrer ursprünglichen
Form gelernt waren (§ 37, l),
å(I, III, V) | å(II, IV, VI) | D
å (II,IV,VI) - å (I,II,V) |
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m 607 |
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wm ± 21 |
2) Bei dem Lernen der abgeleiteten Reihen, die in der ursprünglichen Form Tags vorher 64 mal wiederholt worden waren, fand sich:
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å (II, IV, VI) - å (I, III, V) |
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m 569 |
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wm ± 20 |
Die Schwankungen der Zahlen bei den einzelnen Versuchen
sind auch hier sehr groß, indes erkennt man auf den ersten Blick,
ohne weitere Zusammenfassung, dass eine starke Verschiebung der Differenzen
in das Negative stattgefunden hat, die denn auch in den Durchschnittswerten
zum Ausdruck kommt. Die Reihen II, IV, VI zusammengenommen, sind, entgegen
dem sonst hervortretenden Verhalten, in etwas kürzerer Zeit gelernt
worden als die Reihen I, III, V.
Dass diese Abweichung auf bloßem Zufall beruhe,
ist möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Dazu sind die wahrscheinlichen
Fehler, obschon groß, doch nicht groß genug.
Viel eher würde ich fürchten, dass hier
eine Trübung der Resultate durch die mehrerwähnte Fehlerquelle
antizipierender Erwartung vorliege (§ 14, 4 ff. u. § 38). Während
der fortschreitenden Versuche glaubte ich allerdings mit wachsender Sicherheit
den geringeren Zeitaufwand für das Lernen der Reihen II, IV, VI voraussehen
zu können, und nur weil ich etwas Derartiges vermutete, hatte ich
überhaupt die Ableitungsweise der umgeformten Reihen geändert.
Ich kann sonach die Möglichkeit durchaus nicht ausschließen,
dass lediglich auf Grund dieser geheimen Voraussetzung, in einer für
das Bewußtsein ganz unmerklichen Weise, bei dem Lernen von II, IV,
VI eine größere und bei dem Lernen von I, III, V eine geringere
Anspannung der Aufmerksamkeit stattgefunden habe. Indes positiv als richtig
behaupten läßt sich diese Vermutung auch nicht, und durch die
Annahme, dass der ganze gefundene Unterschied auf den Einfluß dieser
Fehlerquelle zurückzuführen sei, wird jedenfalls den unwillkürlichen
und unbemerkt bleibenden Akkomodationen der Aufmerksamkeit an eine geheime
Erwartung eine ziemlich erhebliche Leistung zugeschrieben.
Es bleibt demnach immerhin eine gewisse Wahrscheinlichkeit
für die dritte Möglichkeit, dass nämlich die gefundene Verschiedenheit
in dem Charakter der Durchschnittsdifferenz wenigstens teilweise sachlich
begründet sei, dass das schnellere Lernen der abgeleiteten Reihen
II, IV, VI eben durch die Art ihrer Ableitung verursacht werde.
Wie man sich diese Verursachung eigentlich
zu denken habe, würde wohl nur durch Heranziehung physiologischer
Vorstellungen, die noch erst der Bildung oder mindestens der Durchbildung
bedürfen, deutlich zu machen sein. Bedient man sich der Sprache der
Psychologie, so kann man sich, wie bei allem unbewußten Geschehen,
nur uneigentlich und bildlich ausdrücken.
Durch das Auswendiglernen einer Reihe in der ursprünglichen
Anordnung, so muß man sagen, erhalten die einzelnen Silben ziemlich
starke Tendenzen, bei ihrer eigenen Wiederkehr ins Bewußtsein die
zunächst folgenden Silben nach sich zu ziehen. Werden also die Silben
l, 3, 5 u. s. w. wiedererzeugt, so erhalten 2, 4, 6 u. s. w. gewisse Antriebe,
ebenfalls wieder hervor zu treten. Diese Antriebe sind bei weitem nicht
stark genug, um ein bewußt bemerkbares Geschehen, ein wirkliches
Eintreten von 2, 4, 6 zuwege zu bringen.
Letztere geraten nur in einen gewissen inneren Erregungszustand,
es geschieht irgend etwas mit ihnen, was unterbleiben würde, wenn
l, 3, 5 nicht wiederholt wären. Sie verhalten sich ähnlich wie
ein vergessener Name, den man durch Besinnen wieder zu beleben sucht. Bewußt
ist dieser nicht vorhanden, man sucht ihn ja eben. In gewisser Weise aber,
auf dem Wege zum Bewußtsein sozusagen, ist er doch auch unleugbar
vorhanden. Denn wenn allerlei Vorstellungen wachgerufen werden, die mit
früher dagewesenen Namen in Verbindung stehen, so vermag man meist
anzugeben, ob sie mit dem jetzt gerade gesuchten und noch nicht gefundenen
zusammenstimmen oder nicht. In einen ähnlichen wenig intensiven Erregungszustand
zwischen dem bewußten Hervortreten einerseits und dem einfachen Nichtvorhandensein
andrerseits werden also auch die Silben 2, 4, 6 versetzt durch die häufige
Wiederholung der mit ihnen vorher verbunden gewesenen 1, 3, 5. Und diese
Erregung hat nun, so scheint es nach unseren Versuchen, eine ganz ähnliche
Wirkung wie das wirkliche Bewußtwerden. Es bilden sich innere Verbindungen
zwischen sukzessive innerlich erregten Silben gerade wie zwischen
sukzessive bewußt gemachten Silben, nur natürlich von
geringerer Stärke; es spinnen sich geheime Fäden, welche die
gar nicht bewußt werdenden 2, 4, 6 aneinanderfesseln und der bewußten
Erzeugung ihrer Aufeinanderfolge vorarbeiten. Solche Fäden bestanden
freilich schon in größerer Stärke von dem Lernen der ursprünglichen
Reihe her; die gegenwärtige Wirkung wird sich also so äußern,
dass sie die bestehenden Verknüpfungen etwas verstärkt. Und das
ist nichts anderes als das oben Gefundene: sind zwei Silbenkombinationen
l, 3, 5 . . und 2, 4, 6 . . häufig zusammen bewußt gemacht worden
(Lernen der ursprünglichen Reihen), so hat hinterher das Lernen der
zweiten Kombination (abgeleitete Reihen II, IV, VI) bald nach dem Lernen
der ersten (abgeleitete Reihen I, III, V) einen etwas geringeren Widerstand
zu überwinden als das letztere. Es findet eine gewisse Verstärkung
von Assoziationen statt, nicht nur direkt, durch bewußte Wiederholung
der assoziierten Glieder, sondern auch indirekt, durch bewußte Wiederholung
anderer Glieder, mit denen jene ersten lediglich häufiger zusammen
waren.
Diese Vorstellungsweise der Sache liegt ganz in
der Konsequenz der oben (§ 39, 6) erforderlich gewordenen Annahme
von der Bildung assoziativer Verknüpfungen über mehr Zwischenglieder
hinweg, als sich in einem deutlichen Bewußtseinsakt auf einmal umfassen
lassen. Sie würde sich fruchtbar machen lassen für die Erklärung
mancher auffallenden Erscheinungen des Gedächtnis- und Erinnerungslebens,
aber bei der Unsicherheit der Erfahrungsgrundlagen, die ich ihr gegenwärtig
geben kann, nehme ich einstweilen davon Abstand, ihr weiter nachzugehen.