Das Behalten als Funktion der Anzahl der Wiederholungen.
§ 22. Stellung der Frage.
Das Resultat des vierten Abschnittes war das folgende:
wenn ich in wiederholten Fällen Silbenreihen von bestimmter Länge
so oft einprägte, dass sie gerade auswendig hergesagt werden konnten,
so fielen zwar die dazu nötigen Zeiten (oder Anzahlen von Wiederholungen)
erheblich verschieden von einander aus, gleichwohl aber hatten die aus
ihnen gewonnenen Mittelwerte den Charakter echter naturwissenschaftlicher
Konstanten. Ich pflege also gleichartige Silbenreihen unter gleichartigen
Umständen je nach einer durchschnittlich gleichen Anzahl von Wiederholungen
gerade auswendig zu wissen. Die großen Abweichungen der Einzelwerte
von einander ändern daran nichts; sie bewirken nur, dass eine genauere
Ermittelung der für bestimmte Umstände erforderlichen
Anzahl ziemlich zeitraubend wird.
Was wird nun geschehen, kann man fragen, wenn die
Anzahl von Wiederholungen einer bestimmten Reihe hinter der für das
Auswendiglernen derselben erforderlichen Anzahl zurückbleibt? oder
wenn sie über das erforderliche Minimum hinaus noch gesteigert wird?
Was im allgemeinen geschieht wurde früher bereits
angedeutet. Natürlich sind in dem zweiten Falle die überschießenden
Wiederholungen nicht verloren. Wenn auch der gegenwärtige Effekt,
das fehlerfreie glatte Hersagen, durch sie nicht geändert wird, so
kommen sie doch zur Geltung, indem sie seine Möglichkeit für
eine mehr oder minder entfernte Zukunft sicherstellen. Je länger man
lernt, desto länger behält man. Und auch in dem ersten Falle
geschieht offenbar etwas, wenn auch die Wiederholungen für die Ermöglichung
einer freien Reproduktion noch nicht zureichen. Es wird durch sie die erstmögliche
Reproduktion doch wenigstens angebahnt, und die einstweilen stückweise,
stockend und fehlerhaft geschehenden Reproduktionen nähern sich ihr
mehr und mehr.
Man kann diese Verhältnisse auch durch Vermittelung
der – zunächst bildlichen – Vorstellung einer inneren Festigkeit der
Reihen beschreiben. Mit Benutzung derselben würde man sagen: durch
eine zunehmende Zahl von Wiederholungen werden Vorstellungsreihen immer
fester und unvertilgbarer eingegraben; ist die Zahl gering, so ist auch
die Festigkeit gering, nur hie und da haften flüchtige Spuren der
Reihe auf kurze Augenblicke; bei einer gewissen größeren Anzahl
sitzt die Reihe so fest, dass sie in ihrer ganzen Ausdehnung – wenigstens
für kurze Zeit – reproduzierbar ist; werden die Wiederholungen auch
darüber hinaus fortgesetzt, so verbleicht das sehr gefestigte Bild
der Reihe erst nach immer längeren Zeiträumen.
Wenn man nun nicht zufrieden wäre mit dieser
allgemeinen Statuierung eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen
der Anzahl von Wiederholungen und der durch sie erreichten inneren Festigkeit,
wenn man dasselbe näher und im einzelnen präzisieren wollte,
wie müßte man sagen? Das Thermometer steigt mit steigender Temperatur,
die Magnetnadel wird um wachsende Winkel abgelenkt mit wachsender Intensität
des sie umkreisenden elektrischen Stromes. Aber während dort für
gleiche Temperaturzunahmen die Quecksilbersäule immer um gleiche Strecken
steigt, werden hier für gleiche Zuwüchse der Stromintensität
die Zuwüchse der Ablenkungswinkel immer kleiner. Was gilt nun nach
dieser Analogie von der inneren Festigkeit mehrfach wiederholter Reihen?
Soll man sie ohne weiteres proportional setzen der Anzahl der Wiederholungen
und sie demnach als doppelt oder dreimal so groß bezeichnen, wenn
gleichartige Reihen bei gleicher Aufmerksamkeit doppelt oder dreimal so
oft wiederholt wurden als andere? Oder wächst sie bei gleicher Zunahme
der Wiederholungen um immer geringere Bruchteile? oder wie sonst?
Offenbar hat diese Frage ihren guten Sinn; ihre
Beantwortung wäre theoretisch sowohl wie praktisch von Interesse und
Wichtigkeit. Mit den bisherigen Hilfsmitteln kann man sie indes weder entscheiden
noch auch untersuchen; ja nicht einmal ihre einfache Auffassung ist ganz
sichergestellt, solange die Worte "innere Festigkeit", "Eingegrabensein",
mehr etwas Unbestimmtes und Bildliches als etwas klar und anschaulich Definiertes
bezeichnen.
In Anwendung der oben (§ 5) entwickelten Prinzipien
definiere ich die innere Festigkeit einer Vorstellungsreihe, den Grad ihres
Haftens, durch die größere oder geringere Bereitwilligkeit,
mit der sie zu einer bestimmten Zeit nach ihrer ersten Einprägung
ihrer Reproduktion entgegenkommt. Diese Bereitwilligkeit messe ich an der
Arbeitsersparnis, welche bei dem Auswendiglernen der irgendwie haftenden
Reihe stattfindet, gegenüber derjenigen Arbeit, welche für eine
gleichartige aber noch nicht eingeprägte Reihe nötig sein würde.
Die Zeit nach der ersten Einprägung, zu der die Konstatierung der
Arbeitsersparnis vorgenommen wird, kann man zunächst natürlich
beliebig bestimmen; ich habe dafür den Zeitraum von 24 Stunden gewählt.
Da es sich bei dieser Definition nicht um Fixierung
eines allgemeinen Sprachgebrauchs handelt, so kann man nicht eigentlich
fragen, ob sie richtig, sondern nur, ob sie zweckmäßig sei,
allenfalls noch, ob sie die ganz unbestimmten Vorstellungen treffe, die
sich mit dem Gedanken an ein verschieden starkes psychisches Festsitzen
verbinden. Das letztere wird man vielleicht zugestehen. Über die Zweckmäßigkeit
aber läßt sich von vornherein nichts sagen; man wird sie erst
beurteilen können nach Gewinnung umfassenderer Resultate. Und zwar
wird der Ausfall des Urteils wesentlich davon abhängen, ob die mit
Hilfe des definierten Maßes gewonnenen Ergebnisse die Grundforderung
erfüllen, die wir an ein zweckmäßiges Maß zu stellen
pflegen. Diese besteht darin, dass bei beliebiger Änderung der willkürlichen
Bestimmungen, welche jedes Maß enthält, die mit dem geänderten
Maß gewonnenen Resultate durch Multiplikation mit ein und derselben
Konstanten auf die alten Maßzahlen zurückgeführt werden
können. Man müßte in unserem Falle also z. B. wissen, ob
der Charakter der Resultate derselbe bleibt, wenn statt der willkürlich
festgesetzten Zeit von 24 Stunden für die Bestimmung der Nachwirkung
der Wiederholungen irgend ein anderes Intervall eingeführt würde,
oder ob dadurch die ganze Gesetzmäßigkeit der Resultate ebensowohl
eine andere würde, wie dies natürlich mit ihren absoluten Werten
der Fall ist. Darüber aber kann man selbstverständlich a priori
nicht diskutieren.
Für die Ermittelung des Abhängigkeitsverhältnisses
zwischen der zunehmenden Anzahl von Wiederholungen einer Reihe und der
dadurch gewonnenen immer festeren Einprägung derselben habe ich demnach
die Frage so gestellt: wenn gleichartige Reihen durch verschieden häufige
Wiederholungen verschieden fest eingeprägt und dann 24 Stunden später
bis zur erstmöglichen Reproduktion auswendig gelernt werden, wie verhalten
sich die hierbei hervortretenden Arbeitsersparnisse zu einander und zu
den jedesmal vorangegangenen einprägenden Wiederholungen?
§ 23. Die Versuche und ihre Resultate.
Um über die eben formulierte Frage zu orientieren,
habe ich 70 Doppelversuche, je mit sechs 16 silbigen Reihen, angestellt.
Jeder Doppelversuch bestand darin, dass die einzelnen Reihen – jede für
sich – erst eine bestimmte Anzahl von Malen aufmerksam gelesen (resp. nach
häufig wiederholtem Lesen auch auswendig hergesagt) wurden, und dass
ich dann 24 Stunden später die so eingeprägten und halbwegs wieder
vergessenen Reihen bis zur erstmöglichen Reproduktion auswendig lernte.
Das erstmalige Lesen der Reihen geschah entweder 8 oder 16, 24, 32, 42,
53, 64 mal.
Eine Steigerung der einprägenden Wiederholungen
über 64 hinaus erwies sich, wenigstens für sechs Reihen dieser
Länge, als schwer tunlich. Denn bei dieser Zahl nimmt jeder Versuch
eine Dauer von etwa 3/4 Stunden in Anspruch und gegen
das Ende dieser Zeit stellten sich manchmal Abspannung, Eingenommenheit
des Kopfes u. s. w. ein, welche bei weiterer Steigerung die Versuchsumstände
kompliziert hätten.
Die Versuche waren regelmäßig auf die
untersuchten sieben Anzahlen von Wiederholungen verteilt, sodass also auf
jede derselben 10 Doppelversuche kommen. Die Resultate waren, jedesmal
für die sechs Reihen eines Versuchs zusammen und ohne Abzug der Zeit
für das Hersagen, die folgenden.
Nach voraufgegangener Einprägung der Reihen
durch x Wiederholungen wurden dieselben 24 Stunden später gelernt
mit einem Aufwand von y Sekunden.
y = |
y = |
y = |
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wm = ±14 |
± 28 |
± 17 |
y = |
y = |
y = |
y = |
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wm = ± 15 |
± 14 |
± 9 |
± 11 |
Die vorstehend mitgeteilten Zahlen bedeuten die Zeiten,
welche gebraucht wurden, um die 24 Stunden vorher eingeprägten
Reihen grade auswendig zu lernen. Da es uns aber nicht sowohl auf die gebrauchten
als vielmehr auf die ersparten Zeiten ankommt, so mußten wir wissen,
in wie viel Zeit dieselben Reihen auswendig gelernt worden wären,
wenn keine vorherige Einprägung stattgefunden hätte. Für
diejenigen Reihen, welche 42, 53 und 64 mal wiederholt wurden, kann man
diese Zeit aus den Versuchen selbst kennen lernen. Denn bei ihnen ist die
Anzahl der Wiederholungen größer als das durchschnittlich für
die erstmögliche Reproduktion erforderliche Minimum, welches bei einer
16silbigen Reihe (nach § 19) 31 Wiederholungen beträgt. Man kann
hier also konstatieren, bei der wievielten der nachher weiter fortgesetzten
Wiederholungen eben diese erste fehlerfreie Reproduktion jeder Reihe eintrat.
Allein durch die nachherige Fortsetzung der Wiederholungen und die damit
zusammenhängende Ausdehnung der Versuche über eine längere
Zeit werden die Umstände etwas andere als bei dem gewöhnlichen
Auswendiglernen nicht eingeprägter Reihen. Für die durch eine
geringere Anzahl von Wiederholungen eingeprägten Reihen kann man ohnedies
jene zur Vergleichung nötige Zahl nicht an ihnen selbst gewinnen,
da sie ja eben im Interesse des Experiments nicht vollständig auswendig
gelernt werden sollen. Ich habe daher überall vorgezogen, die gesuchten
Arbeitsersparnisse zu ermitteln durch Vergleichung mit der Zeit, welche
das Auswendiglernen nicht derselben, sondern gleichartiger,
aber bis dahin unbekannter Reihen erforderte. Hierfür besitze ich
aus eben der Zeit, aus der die gegenwärtig besprochenen Versuche stammen,
eine ziemlich sichere Zahl: je sechs 16 silbige Reihen wurden im Durchschnitt
aus 53 Versuchen gelernt in 1270 Sek., mit dem geringen wahrscheinlichen
Fehler ± 7.
Stellt man, unter Zuziehung dieses letzteren Wertes,
sämtliche Mittelwerte zusammen, so resultiert folgende Tabelle:
I.
Nach vorangegangener Einprägung der Reihen durch x Wiederholungen |
II.
wurden dieselben 24 Stunden später auswendig gelernt in y Sekunden |
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m = 12,7 |
Die in diesen Zahlen annähernd verwirklichte
einfache Beziehung liegt auf der Hand: die Anzahl der die Reihen einprägenden
Wiederholungen (Kol. I) und die 24 Stunden später als Folge der Einprägungen
noch konstatierbaren Arbeitsersparnisse bei dem Lernen der Reihen (Kol.
III) schreiten in ganz derselben Weise fort. Division der jedesmaligen
Arbeitsersparnisse durch die zu ihrer Hervorbringung erforderlichen Wiederholungen
führt überall fast zu derselben Zahl (Kol. IV).
Die Resultate der Versuche lassen sich also zusammenfassend
so formulieren: wurden 16silbige sinnlose Silbenreihen durch aufmerksame
Wiederholung dem Gedächtnis mehr und mehr eingeprägt, so wuchs
die ihnen dadurch zu teil werdende innere Festigkeit, gemessen an der größeren
Bereitwilligkeit, die sie nach 24 Stunden ihrer Reproduktion entgegenbrachten,
innerhalb gewisser Grenzen annähernd proportional der Anzahl jener
Wiederholungen. Die Grenzen, innerhalb deren dieses Verhalten konstatiert
wurde, waren einerseits Null, andererseits etwa das Doppelte derjenigen
Anzahl von Wiederholungen, die für das Auswendiglernen der Reihen
durchschnittlich gerade zureichte.
Für 6 Reihen zusammen betrug die Nachwirkung
jeder Wiederholung, die durch sie ermöglichte Ersparnis, im Mittel
12,7 Sekunden, für jede einzelne Reihe demnach 2,1 Sekunden. Da die
Wiederholung selbst, bei einer 16silbigen Reihe, 6,6–6,8 Sekunden dauert,
so betrug also die nach 24 Stunden von ihr noch verbliebene Nachwirkung
ein knappes Drittel ihrer eigenen Dauer. Mit anderen Worten: für je
drei Wiederholungen, die ich heute auf die Einprägung einer Reihe
mehr verwandte, ersparte ich nach 24 Stunden beim Wiederlernen derselben
Reihe durchschnittlich und ungefähr eine Wiederholung, und
dabei war es innerhalb der bezeichneten Grenzen einerlei, wie viele Wiederholungen
im ganzen auf die Einprägung der Reihe verwandt waren.
Ob den gefundenen Resultaten eine irgendwie allgemeinere
Bedeutung zukommt, oder ob sie bloß für das einmalige Geschehen
gelten, an dem sie ermittelt wurden und hier nur aus zufälligen Gründen
eine sonst nicht vorhandene Regelmäßigkeit vorspiegeln, kann
ich vorläufig nicht ausmachen. Direkte Kontrollversuche besitze ich
nicht; eine indirekte Bestätigung kann ich allerdings weiterhin (Abschn.
VIII § 34) noch mitteilen, indem Antworten, die beim Ausgehen von
einer ganz anderen Fragestellung gefunden wurden, sehr gut mit den gegenwärtigen
Resultaten zusammenstimmen. Ich würde daher geneigt sein, den letzteren
wenigstens für meine eigene Individualität eine allgemeinere
Gültigkeit zuzuschreiben.
Anmerkung.
Den Versuchen haftet eine innere Ungleichheit an, die ich weder vermeiden,
noch durch eine Korrektion beseitigen, sondern eben nur bezeichnen kann.
Nämlich eine geringe Anzahl von Wiederholungen der Reihen nimmt nur
wenige Minuten in Anspruch; ihre ganze Wirkung fällt also in eine
Zeit großer geistiger Frische. Bei 64 Wiederholungen dauert die ganze
Tätigkeit etwa 3/4 Stunde; die Mehrzahl der
Reihen wird daher in einem Zustand minderer Frische oder sogar einer gewissen
Abspannung eingeprägt, und die Wiederholungen werden also verhältnismäßig
minder wirksam sein. Umgekehrt ist es bei der Reproduktion der Reihen am
nächsten Tage. Die vorher durch 8malige Wiederholung eingeprägten
Reihen erfordern fast die dreifache Zeit, um gelernt zu werden, wie die
durch 64malige Wiederholung eingeprägten. Letztere werden daher, ganz
abgesehen von der größeren Festigkeit, die sie haben, schon
deshalb verhältnismäßig etwas rascher gelernt werden, weil
sie in eine Zeit von durchschnittlich etwas besserer Prädisponierung
fallen. Beide Unregelmäßigkeiten wirken gegen einander, wie
man sieht, und heben sich dadurch zum Teil auf: das unter den verhältnis-mäßig
ungünstigeren Umständen Eingeprägte wird unter verhältnismäßig
günstigeren Umständen wieder gelernt und umgekehrt. Inwieweit
aber diese Kompensation stattfindet und inwieweit noch ein Rest der Ungleichheit
der Bedingungen die Resultate trübt, vermag ich nicht zu bestimmen.
§ 24. Einfluß der Erinnerung.
An dem regelmäßigen Gange der gefundenen
Resultate scheint mir ein Moment noch besondere Beachtung zu verdienen.
Bei den Äußerungen des Gedächtnisses im gewöhnlichen
Leben ist der Unterschied von größter Bedeutung, ob die Reproduktionen
mit Erinnerung geschehen oder nicht, ob also die wiederkehrenden Vorstellungen
bloß einfach wiederkehren, oder ob sich mit ihnen gleichzeitig ein
Wissen davon verbindet, dass sie früher schon einmal vorhanden waren,
und eine Vorstellung der Umstände, von denen sie damals begleitet
waren. In diesem zweiten Falle nämlich gewinnen sie für die praktischen
Zwecke, die wir verfolgen, und für die Betätigung höheren
geistigen Lebens einen höheren und besonderen Wert. Es fragt sich
nun, in welchem Zusammenhange steht dieses komplizierte Phänomen Erinnerung,
welches das Hervortreten von Vorstellungen aus dem Gedächtnis unter
Umständen begleitet, unter Umständen nicht begleitet, zu dem
sonstigen inneren Leben dieser Vorstellungen. Zur Beantwortung dieser Frage
liefern unsere Resultate einen gewissen Beitrag.
Wurden die Reihen durch 8 oder 16 Wiederholungen
eingeprägt, so waren sie mir am nächsten Tage fremd geworden.
Ich wußte natürlich indirekt sehr genau, dass es dieselben sein
mußten, die am Tage vorher eingeprägt waren, aber ich wußte
dies eben nur indirekt, ihnen selbst merkte ich es nicht an, ich erkannte
sie nicht wieder. Bei 53 oder 64 Wiederholungen dagegen begrüßte
ich sie meist, wenn nicht sofort, doch sehr bald als alte Bekannte, ich
erinnerte mich ihrer mit voller Bestimmtheit. An den Zeiten für das
Auswendiglernen der Reihen, resp. an den dabei hervortretenden Arbeitsersparnissen,
findet sich nichts diesem Unterschied Entsprechendes. Sie sind verhältnismäßig
nicht kleiner, da wo von Erinnerung keine Rede ist, und verhältnismäßig
nicht größer, da wo diese sehr sicher und lebendig auftritt.
Die Gesetzmäßigkeit der Nachwirkung bei vielen Wiederholungen
tritt nicht merklich heraus aus der Linie, die durch den Effekt einer geringen
Anzahl von Wiederholungen gleichsam vorgezeichnet wird, obwohl die Konstatierung
dieser Nachwirkung im ersten Falle ebenso unzweifelhaft von Erinnerung
begleitet ist, wie sie im zweiten derselben entbehrt.
Ich begnüge mich, auf dieses bemerkenswerte
Verhalten hinzuweisen. Allgemeine Folgerungen daraus würden in der
Luft schweben, solange die Allgemeinheit der Unterlage nicht genügender
dargetan werden kann.
§ 25. Erhebliche Vermehrung der Anzahl der Wiederholungen.
Es wäre von Interesse zu wissen, ob die annähernde
Proportionalität zwischen der Anzahl der Wiederholungen einer Reihe
und der dadurch ermöglichten Arbeitsersparnis bei dem Wiedererlernen
der letzteren, die für meine Individualität innerhalb gewisser
Grenzen stattzufinden scheint, auch noch jenseit dieser Grenzen fortbesteht.
Wenn auch weiterhin durch jede Wiederholung für die Reproduktion nach
24 Stunden ein knappes Drittel ihres eigenen Wertes gespart wird, so müßte
ich eine 16silbige Reihe nach 24 Stunden bei gegebenem Anfangsglied gerade
noch spontan reproduzieren können, falls ich sie heute reichlich dreimal
so lange memorierte, als zu ihrem Auswendiglernen gerade erforderlich ist.
Da dieses letztere Erfordernis etwa 31–32 Wiederholungen beträgt,
so wären zur Erreichung des erstgenannten Zieles ungefähr 100
Wiederholungen nötig. Überhaupt könnte man dann – bei allgemeinerer
Geltung der gefundenen Beziehung – für eine beliebige Art von Reihen,
für die man erst sozusagen den Nachwirkungskoeffizienten der Wiederholungen
ermittelt hätte, direkt berechnen, wie oft sie jetzt wiederholt werden
müßten, damit sie nach 24 Stunden noch gerade hergesagt werden
könnten.
Ich habe diese Frage nicht durch weitere Steigerung
der Wiederholungen von bis dahin unbekannten 16silbigen Reihen untersucht,
weil, wie oben schon gesagt, bei erheblicher Ausdehnung der Versuche die
zunehmende Ermüdung und eine gewisse Schläfrigkeit Komplikationen
herbeiführen. Vielmehr habe ich probeweise einige Versuche teils mit
kürzeren, teils mit schon bekannten Reihen angestellt, die übereinstimmend
ergeben, dass die in Frage stehende Proportionalität bei weiterer
Vermehrung der Wiederholungen allmählich aufhört. Der Effekt
der späteren Wiederholungen, gemessen wie oben an der nach 24 Stunden
noch konstatierbaren Arbeitsersparnis, wird nach und nach geringer.
Zwölfsilbige Reihen (deren je 6 zu einem Versuch
zusammengefaßt waren) wurden bis zur erstmöglichen Reproduktion
gelernt und jede Reihe, unmittelbar nach dem fehlerfreien Hersagen, noch
dreimal (im ganzen also viermal) so oft wiederholt, als das Auswendiglernen
(excl. Hersagen) beansprucht hatte. Nach 24 Stunden wurden dann dieselben
Reihen bis zur erstmöglichen Reproduktion wiedergelernt. Vier Versuche
ergaben dabei folgende Resultate (die Zahlen bedeuten Wiederholungen):
Wiederholungen für Lernen und Hersagen der 6 Reihen | Unmittelbar folgende Wiederholungen behufs weiterer Einprägung | Gesamtzahl der auf die 6 Reihen verwandten Wiederholungen | Nach 24 Stunden waren für das lernen der Reihen erforderlich | Also betrug die durch die Gesamtzahl der Wiederholungen erzielte Arbeitsersparnis |
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Innerhalb mäßiger Grenzen ist – für
mich – bei 12silbigen Reihen die Nachwirkung der Wiederholungen nach 24
Stunden etwas geringer als bei 16silbigen; man muß sie aber mindestens
auf 3/10 des Betrages der Wiederholungen veranschlagen.
Wenn nun dieses Verhältnis auch bei sehr zahlreichen Wiederholungen
annähernd fortbestände, so sollte man erwarten, dass Reihen,
auf deren Einprägung viermal so viel Wiederholungen verwandt wurden
als für das Lernen bis zur erstmaligen Reproduktion nötig waren,
nach 24 Stunden ohne jeden neuen Arbeitsaufwand hergesagt werden könnten.
Statt dessen erforderte in den untersuchten Fällen das Wiederlernen
noch etwa 35 % des Aufwandes für das erstmalige Lernen; der Effekt
von durchschnittlich 410 Wiederholungen war eine Ersparnis von nur 1/6
dieser Summe. Waren nun hierbei die ersten Wiederholungen mit etwa 3/10
ihres Betrages beteiligt, so muß umsomehr der Effekt der späteren
ein verhältnismäßig sehr geringer gewesen sein.
Zu demselben Ergebnis führten Untersuchungen
der folgenden Art, die ich nicht weiter detailliert mitteile. Silbenreihen
verschiedener Länge wurden durch häufige Wiederholungen, die
aber nicht an demselben Tage stattfanden, sondern über mehrere aufeinanderfolgende
Tage verteilt waren, sukzessive fester eingeprägt (Abschn. VIII).
Waren dann, nach mehreren Tagen, nur noch wenige Wiederholungen erforderlich,
um die Reihen auswendig zulernen, so wurden sie drei- bis viermal so oft
wiederholt, als für das erste fehlerfreie Hersagen in diesem Stadium
der Festigkeit nötig war. Aber in keinem einzigen Falle gelang nun
24 Stunden später die fehlerfreie Reproduktion der Reihen, wenn sie
nicht wiederum noch ein oder einigemale durchgelesen wurden. Der Einfluß
der mehrfachen Wiederholungen zeigte sich zwar immer noch in einer gewissen
Arbeitsersparnis, aber diese wurde verhältnismäßig immer
geringer, je weniger noch zu ersparen übrig blieb. Die Beseitigung
des letzten Restes von Arbeit bei dem Wiederlernen der Reihen durch Wiederholungen,
die demselben 24 Stunden vorausgingen, war eine sehr schwierige.
Die Wirkung zunehmender Wiederholungen von Silbenreihen
auf die innere Befestigung derselben in dem oben definierten Sinne wuchs
also, um alles zusammen zu fassen, zunächst annähernd proportional
der Anzahl der Wiederholungen, wurde dann allmählich schwächer
und war schließlich sehr gering, wenn die Reihen so festsaßen,
dass sie nach 24 Stunden noch beinahe spontan repetiert werden konnten.
Da diese Abnahme der Wirkung als eine allmähliche und kontinuierliche
aufzufassen sein wird, würde sich für genauere Untersuchungen
vermutlich ein Beginn derselben auch schon innerhalb der Grenzen gezeigt
haben, innerhalb deren wir oben noch Proportionalität fanden, während
derselbe jetzt bei seinem geringen Betrage und den weiten Fehlergrenzen
verdeckt wird.