3. Fechners philosophische Methode.

    In der Einleitung zum "Zendavesta" (Bd. I, S. XXI ff.) hat Fechner hervorgehoben, daß er sich in seiner Philosophie keiner anderen Methoden bediene als der in der Wissenschaft überhaupt und insonderheit in der Naturwissenschaft anerkannten, nämlich der "Verallgemeinerung durch Induktion und Analogie". Er bleibe nur mit seinen Induktionen und Analogien nicht auf halbem Wege oder bei unvollständigen Resultaten stehen, sondern suche sie konsequent zu Ende zu führen; und im ganzen walte bei ihm die Verwertung der Analogie vor, während in der Naturwissenschaft diese gegen die Induktion zurücktrete. Man kann diese Selbstcharakteristik seiner Methode zutreffend nennen; aber man wird doch nicht umhin können, sie unvollständig zu finden. In bezug auf die Induktion ist sie es, insofern sie eine der bezeichnendsten Eigentümlichkeiten der Fechner'schen Induktion, die nämlich, daß sie meist von einer bestimmten Tatsachengruppe ausgeht, ohne sich nach irgendwelchen begleitenden Hilfsinduktionen umzusehen, unberücksichtigt läßt. Hinsichtlich der Analogie ist sie es, weil sie wiederum an der spezifischen Eigentümlichkeit des Fechner'schen Verfahrens, die Analogien zu häufen und ganz verschiedenen Erfahrungsgebieten zu entnehmen, vorübergeht. Durch diese Eigenschaften stehen aber Induktion und Analogie bei ihm nicht nur in einem Gegensatz zu einander, sondern sie stehen auch im Gegensatz zu den in den positiven Wissenschaften befolgten Anwendungsweisen dieser Methoden. Hier gilt es im allgemeinen als Regel, daß man der Induktion eine möglichst umfassende Basis gebe, und daß man die Analogie auf die nächsten Instanzen, auf diejenigen Fälle, die dem problematischen Objekt möglichst nahe stellen, beschränke. Dieser formale Gegensatz von Induktion und Analogie ist in der logischen Natur beider Methoden wohl begründet. Die Induktion will das allgemeine Prinzip finden, dem die einzelnen Tatsachen, die zu ihrer Grundlage gedient haben, subsumiert werden können: Dazu ist unbedingtes Erfordernis, daß keine wesentliche Tatsache übersehen werde, daß also die Induktion möglichst vollständig sei. Die Analogie dagegen folgert von einem Objekt auf ein anderes, indem sie aus der Übereinstimmung derselben in bestimmt gegebenen Eigenschaften auf die Übereinstimmung in anderen, nicht gegebenen zurückschließt. Sie muß also von vornherein darauf ausgehen, ihre Vergleichungen auf einzelne, einander möglichst nahe stehende Objekte zu beschränken. Indem nun Fechner umgekehrt seine Induktionen so beschränkt wie möglich und seine Analogien so umfassend wie möglich ausführt, pflegt bei ihm von selbst die Induktion schließlich in eine bloße Analogie auszulaufen, während seine Analogien durch ihre Häufung den Charakter von Induktionen annehmen, ohne daß dies jedoch ihrer Sicherheit förderlich wäre, da im Gegenteil Analogien, die von verschiedenen Angriffspunkten ausgehen, oft einander widerstreiten, ja widerstreiten müssen, weil eben die Analogie nach ihrem logischen Charakter eine solche Durchkreuzung verschieden gerichteter Vergleichungen nicht erträgt. Einige Beispiele mögen dies erläutern.

    Eine der wichtigsten Induktionen Fechner's ist diejenige, die seinem Begriff des Lebens zugrunde liegt. Der von ihm mit großer Energie geltend gemachten negativen Instanz, daß noch alle Versuche, aus Unorganischem organisches Leben hervorzubringen, gescheitert seien, wird man gewiß ihre Berechtigung nicht versagen. Wenn er sich aber dann zur Gewinnung eines positiven Begriffs vom Leben im wesentlichen auf eine Betrachtung der Lebensvorgänge unter dem rein mechanischen Gesichtspunkt einer irgendwie zusammengesetzteren regelmäßigen Periodizität beschränkt, so ist die Basis dieser Induktion sicherlich viel zu eng. Der Begriff des Lebens darf nicht bloß von dieser ganz abstrakten, mathematisch-physischen Seite her, er muß vor allem auch nach den chemischen und den physiologischen Eigenschaften, die das Leben charakterisieren, bestimmt werden; diese lassen sich aber jenem abstrakt mechanischen Gesichtspunkt nicht unterordnen. Dennoch ruht die ganze Lehre von der Entstehung des Molokularorganischen aus dem Kosmorganischen auf dieser bloß formalen, für den physiologischen Begriff des Lebens nebensächlichen Eigenschaft. Infolge dieser beschränkten Grundlage fällt aber zugleich das ganze Beweisverfahren aus der Rolle der Induktion in die der Analogie. Der Begriff des Lebens ist hier in Wahrheit gar nicht durch Induktion, sondern bloß dadurch entstanden, daß die regelmäßige Periodizität der kosmischen Vorgänge mit derjenigen der Stoffwechsel- und Reproduktionsvorgänge des organischen Lebens in Analogie gebracht wurde.

    Wie die Induktion durch die Beschränkung auf eine eng begrenzte Zahl von Merkmalen zur bloßen Analogie wird, so gestaltet sich nun aber bei Fechner die Fülle der Analogien, die er zur Begründung seiner Hauptsätze aufsucht, zu einer eigenartigen Nachbildung des Induktionsverfahrens. So ist der "Zendavesta" ebenso unerschöpflich in der Hervorhebung von Analogien zwischen den Eigenschaften der Erde und denen der lebenden Wesen auf ihr, wie in der Zurückweisung von Einwänden, die der Nichtübereinstimmung gewisser Merkmale entnommen werden könnten. Doch je mehr sich Fechner bemüht, alle möglichen positiven Instanzen, die nur irgend aufzufinden sind, zu verwerten, und darunter gelegentlich auch solche, die er, wenn sie dem Zweck seiner Beweisführung nicht entsprächen, sicher verwerfen würde, um so mehr verliert seine Deduktion ihre wissenschaftliche Unbefangenheit, und um so leichter ereignet es sich, daß die nebeneinander herlaufenden Analogien eigentlich unvereinbar sind. So kann man ihm möglicherweise beistimmen, wenn er sagt, daß man für die Erde als organisches Ganze nicht dieselbe Organisation noch einmal erwarten solle wie für die lebenden Geschöpfe auf ihr, da ja die Sinnesorgane, Nerven und Gehirne aller ihrer Geschöpfe zu ihr selbst gehören. Aber wenn er sich dann die Gelegenheit nicht entgehen läßt, die Meeresfläche als Auge der Erde mit den durchsichtigen und kugelförmig gewölbten Teilen des Sehorgans in Beziehung zu bringen usw. (Zendavesta II, S. 225ff.), dann muß man sich doch sagen, daß ein solches Auge im großen auch entsprechende optische Nerven und ein dazu gehöriges Gehirn im großen fordern würde. Hier schädigen sich die Analogien wechselseitig, indem die neue die Einwände wieder herbeiruft, die soeben gegen die vorangegangene aus dem Felde geschlagen waren. In den späteren Schriften ist Fechner in der Benutzung der Analogien vorsichtiger geworden. Aber ganz hat er doch auch hier diese schädliche Häufung nicht vermieden.