30.

Studien über die physikalischen Axiome. Die Axiome als Hypothesen. Die Grundfragen der Logik. Logik und Völkerpsychologie. Studien zur Geschichte der Physik und Mechanik. Die sechs axiomatischen Voraussetzungen der Physik. Die Bedeutung des Trägheitsprinzips. Die axiomatische Notwendigkeit als Resultat eines Gedankenexperiments. Anschauungsgrundlagen der axiomatischen Hypothesen. Apriorische Notwendigkeit und empirische Tatsächlichkeit. Raum und Zeit in ihrer erkenntnistheoretischen Bedeutung. Raum und Zeit in physikalischer und psychologischer Bedeutung.
 
 

Im Sommer 1875 hielt ich an der Universität Zürich eine Vorlesung über Logik in wöchentlich vier Stunden und eine solche über Völkerpsychologie in drei Stunden, beide zum ersten Male. Es war ein kühnes Unterfangen für einen Ordinarius, der vor kurzem erst sein Amt angetreten und zuvor als Privatdozent und Extraordinarius höchstens ein- bis zweistündige Vorlesungen über allerlei andere Gegenstände gehalten hatte. Aber ich hatte mich in meiner Lektüre gerade mit diesen Gegenständen viel beschäftigt, und es geschah nicht ohne Absicht, wenn ich diese äußerlich scheinbar so verschiedenen Aufgaben verband; auch tat ich es, wie ich bekennen muß, mindestens ebenso zu meiner eigenen Belehrung wie zu der meiner Zuhörer. Die Lage der Logik war in jenen Tagen in Deutschland zu einer höchst eigenartigen geworden. Justus Liebig hatte wenige Jahre zuvor zuerst den Naturforschern das Studium von John Stuart Mill’s Logik angelegentlich empfohlen, und nachdem die Übersetzung dieses Werkes von J. Schiel, einem jüngeren Liebig befreundeten Chemiker, rasch nacheinander zwei Auflagen erlebt hatte, übte Liebig’s Empfehlung eine Wirkung aus, die zum Teil weit über die Kreise der Naturforscher hinaus, namentlich in die der Juristen und Historiker sich ausbreitete. Mill’s Logik wurde, was noch niemals einem deutschen Werke über den gleichen Gegenstand begegnet war, ein in den Kreisen der Einzelwissenschaften viel gelesenes und empfohlenes Buch. Daß Helmholtz in seiner physiologischen Optik sich ausdrücklich auf Mill berief, trug nicht wenig zu dieser Verbreitung bei, die später nicht nur zu einer nochmaligen Übersetzung der Logik von Gomperz, sondern auch zu einer deutschen Ausgabe der gesammelten Werke dieses Philosophen führte, woran dann eine zunehmende Beachtung desselben von seiten der dem Positivismus zuneigenden deutschen Philosophen sich anschloß.

Noch erinnere ich mich der lebhaften Dispute, die ich kurz nach der Lektüre der Logik Mill’s mit seinem ersten Übersetzer Schiel führte. Dieser hatte ein etwas abenteuerndes Leben geführt. Als es ihm in Deutschland mit seinem Beruf als Chemiker nicht nach Wunsch glückte, war er nach Amerika ausgewandert und hatte dort mit einigen anderen ausgewanderten Kollegen eine Universität auf Aktien gegründet, die aber leider nicht glücken wollte. In der medizinischen Fakultät war z. B. wie er erzählte, der auf gemeinsame Kosten erstandene Kadaver das einzige Individuum gewesen, das außer den Dozenten diese Fakultät bevölkerte. In Heidelberg trieb dann Schiel eine eifrige Propaganda für englische Philosophie und ganz besonders für Stuart Mill. In der Tat ließ sich ja nicht leugnen, daß dessen Logik durch ihre lebendige Darstellungsweise eine ungleich anziehendere Lektüre bot als die irgendeines anderen Philosophen. Aber wenn Mill beispielsweise behauptete, die Eigenschaft der Dinge zählbar zu sein und also auch die Zahlen selbst seien ebenso gut empirische Qualitäten wie die Farben und Töne, so mußte das von vornherein jedem Deutschen, der sich auch nur wenig mit Kant beschäftigt oder etwas genauer in die Mathematik selbst geblickt hatte, von vornherein als eine absurde Behauptung erscheinen; und prüfte man erst, von solchen besonders augenfälligen Punkten ausgehend, den sonstigen Inhalt, so geriet unvermeidlich auch dieser in ein bedenkliches Schwanken. Mill hatte mich also nicht bekehrt. Aber auch Kant’s Raum- und Zeitlehre und im Gefolge dieser seine aprioristische Erkenntnistheorie erregten, nachdem ich einmal zum Zweifler geworden war, meine schweren Bedenken.

Lag darin Anlaß genug, die Grundfragen der Logik planmäßig durchzudenken und zu diesem Zweck das Ganze zunächst einmal der Feuerprobe einer eingehenderen akademischen Vorlesung zu unterwerfen, so kam aber dazu noch ein anderes Motiv, das mich nun veranlaßte, gerade das scheinbar der Logik heterogenste Thema, die Völkerpsychologie, in dem gleichen Semester und in parallele zur Logik vorzunehmen. Als ich den Versuch machte, mich von der Theorie der Sinneswahrnehmung ausgehend mit den zusammengesetzteren Problemen der Psychologie zu beschäftigen, konnte ich mich dem Eindruck nicht entziehen, daß zwischen beiden Gebieten eine Kluft bestehe, die um so dringender der Ausfüllung bedürfe, weil die mit Hilfe der Physiologie zur experimentellen Behandlung fortgeschrittenen Gebiete vielfach auf Beziehungen des logischen Denkens zu den verwickelteren Bewußtseinsvorgängen hinwiesen. Besonders seitdem ich selbst in der ersten Auflage der physiologischen Psychologie mir bereits die Aufgabe gestellt hatte, den im Grunde die wirkliche Lösung hinter einem bloßen Wort verbergenden Begriff der "unbewußten Schlüsse" zu eliminieren und durch tatsächliche, also bewußt nachweisbare psychische Vorgänge zu ersetzen, wurde mir der Gegensatz, in den hier die verschiedenen Gebiete der Psychologie zueinander geraten waren, immer unerträglicher. Auf der einen Seite war es gelungen, eine große Zahl sinnlicher Vorgänge, wie z. B. die Lokalisation der Tastendrücke, das stereoskopische Sehen, ja vielleicht, wenn auch unter Hinzunahme hypothetischer Voraussetzungen, Probleme wie die Entstehung des Sehfeldes und die Bedingungen zahlreicher Gesichtstäuschungen auf einen klaren kausalen Zusammenhang von Empfindungselementen zurückzuführen; auf der andern Seite fiel man, sobald von da aus zu den Assoziations- und Gedächtniserscheinungen oder vollends zu den höheren psychischen Prozessen, wie den Phantasie- und Willensvorgängen, übergegangen wurde, nicht bloß dem die ganze Psychologie beherrschenden Intellektualismus, sondern geradezu einem Logizismus anheim, der Logik und Psychologie in unerträglicher Weise miteinander vermischte. Hier stand mir daher die Ausgleichung zwischen der sogenannten höheren und der niederen Psychologie als eine der wichtigsten Aufgaben der Zukunft vor Augen, um so mehr, seitdem ich selbst einen wenn auch vielleicht nur scheinbaren Logizismus aus der Theorie der Sinneswahrnehmung verbannt hatte. Als ich es unternahm, die Logik und die Völkerpsychologie in einem und demselben Semester nebeneinander zu behandeln, schwebte mir daher eine doppelte Aufgabe vor: auf der einen Seite wollte ich durch gründliches Durchdenken der logischen Probleme tiefer in den Sinn derselben eindringen, um die Zweifel, die hier der Widerstreit der Richtungen, der sogenannten aprioristischen oder überlieferten scholastischen Logik und der vornehmlich durch Mill neu inaugurierten empiristischen oder psychologistischen erweckte, zu beseitigen. Anderseits hatte ich schon im zweiten Band der Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele bei der in ihm versuchten populären Behandlung der Völkerpsychologie den Eindruck erhalten, daß in ihr zugleich Aufschlüsse über die komplexen Phänomene des individuellen Bewußtseins zu gewinnen seien. Als ich dann in Zürich der Bearbeitung dieser Fragen näher trat, drängte sich mir damals schon die Überzeugung auf, daß vor allen anderen Erscheinungen der Gemeinschaftspsychologie die Sprache die durch die Wissenschaft bis dahin am meisten vorbereitete sei. Es mag sein, daß diese Ideen durch das in der letzten Zeit noch in Heidelberg betriebene Studium der logischen Schriften des Aristoteles und vielleicht mehr noch seiner mich vor allem fesselnden Werke zur Ethik und Politik, in denen ich bereits eine Art Psychologie der Gesellschaft erblickte, angeregt worden sind.

Es war eine Zeit stiller Zurückgezogenheit, die meinem Ausscheiden aus dem Heidelberger physiologischen Institut folgte, eine Zeit, in der ich mich vornehmlich logischen und naturphilosophischen Studien widmete. In einer nach der Gartenseite vier Treppen hoch liegenden Dachkammer meiner Wohnung hatte ich mir einen Arbeitsraum eingerichtet, der an idealer Stille und Ungestörtheit nichts zu wünschen übrig ließ. Hier war alles zusammengetragen, was ich auf der Universitätsbibliothek an Literatur zur Geschichte der Physik und Mechanik und der in diese hereinreichenden Philosophie vorfand. So ist das Büchlein über die "physikalischen Axiome" entstanden, von dem ich in dem Vorwort zur zweiten Auflage (1910) gesagt habe, es sei meine erste philosophische Arbeit gewesen. Ich hatte mir darin die Aufgabe gestellt, unter den Voraussetzungen, die der physikalischen Forschung zugrunde liegen, diejenigen herauszufinden, die den Charakter der Apriorität, also einer ihnen beigelegten logischen Notwendigkeit an sich trügen. Es sollten aber darunter hauptsächlich solche gemeint sein, denen dieser Charakter vorzugsweise bei ihrer ersten Auffindung und Anwendung beigelegt worden war, gleichgültig ob sie sich denselben in der späteren Geschichte der mechanischen Naturlehre bewahrt hatten. Im Gegenteil, mein Bemühen war besonders auch darauf gerichtet, da, wo sich in dieser Beziehung die Auffassung der betreffenden, von mir in dieser Schrift als Axiome bezeichneten Sätze gewandelt hatte, diesen Wandel geschichtlich nachzuweisen. Ich glaubte damals sechs Axiome solcher Art aufstellen zu dürfen, die sämtlich als apriorische Attribute des physikalischen Kausalprinzips anzusehen seien, weil sie nicht etwa unmittelbar der Erfahrung entnommen, sondern mindestens bei ihrer ersten Aufstellung vor aller Erfahrung vorausgesetzt worden waren. Das war in erster Linie der Satz, daß alle Ursachen in der Natur Bewegungsursachen sind, dem der andere zur Seite stand, jede Bewegungsursache liege außerhalb des Bewegten. Zu ihnen kamen die zwei weiteren Axiome von der geradlinigen Wirkung und das von dem Beharren der Wirkung, das gewöhnlich sogenannte Trägheitsgesetz, endlich der Satz von der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung und das Prinzip von der Äquivalenz der Ursachen und Wirkungen, das bekanntlich in dem sogenannten Gesetz von der Erhaltung der Kraft eine Art Übertragung des Beharrungsgesetzes von der einzelnen Kraftwirkung auf ein System zusammenwirkender Kräfte darstellt.

Im Vordergrund steht hier vor allem das Trägheitsprinzip. Es bietet ein schlagendes Beispiel, weil seine erste Aufstellung durch Galilei unzweifelhaft ist. Es ist klar, daß er es als ein apriori gültiges Gesetz betrachtet und eine streng empirische Nachweisung desselben sogar wegen der niemals fehlenden Widerstände der Bewegung für unmöglich gehalten hat. Es scheint einfach selbstverständlich, daß ein von einer momentanen Kraft in Bewegung gesetzter Körper sich ins Unendliche geradlinig und mit konstanter Geschwindigkeit fortbewegen würde, wenn er keinen Widerstand auf seiner Bahn fände. Freilich hat Galilei dieses Gesetz nicht etwa als eine subjektive Maxime oder ausdrücklich als ein logisch notwendiges betrachtet, sondern es galt ihm als ein objektiv in der Natur selbst liegendes, und darin war bereits das Motiv vorbereitet, welches die späteren Physiker veranlaßte, es in eine empirische Eigenschaft der Körper umzuwandeln. Zuerst war es, wie es scheint, Euler, der dem Prinzip den Namen der "Vis inertiae" gegeben hat. Darin lag, daß man es nun ähnlich wie Schwere, Wärme, Licht und andere Naturkräfte lediglich als eine in der Erfahrung gegebene Eigenschaft der Körper ansah. Es war dieselbe Objektivierung, die hier die Umwandlung der Apriorität des Gesetzes in eine empirische Tatsächlichkeit bewirkte, wie sie im Grunde für die Naturgesetze überhaupt Galilei selbst schon in seinem "Principium simplicitas" vorausgenommen hatte. Denn das Postulat der Einfachheit der Naturgesetze war ein überall seine Untersuchungen leitender Grundsatz. Er faßte aber diesen Grundsatz nicht als einen logischen unseres Denkens auf, sondern als ein objektiv gültiges Naturgesetz, indem er erklärte, die Natur vollbringe alle ihre Wirkungen mit den einfachsten Mitteln. Das Schicksal des Trägheitsprinzips ist dann vorbildlich geworden für alle späteren apriorischen Formulierungen von Naturgesetzen. Ein treffendes Beispiel ist hier das letzte der oben als Axiome hingestellten Gesetze, das der Äquivalenz von Ursache und Wirkung oder, wie es gewöhnlich genannt wird, das der Erhaltung der Kraft. Die Definition, mit der Robert Mayer seine erste Arbeit über diesen Gegenstand in Liebig’s Annalen der Chemie und Pharmazie vom Jahre 1842 eröffnete, und in der er die Naturkräfte als "unzerstörbare Objekte" bezeichnete, ist offenbar nichts anderes als ein Ausdruck für die selbstverständliche Wahrheit, die er der Erhaltung der Kraft beilegt. Nur geschieht das hier bereits mit Hilfe der Objektivierung dieses Satzes, zu welchem Zweck er sich des Substanzbegriffs bedient, dessen Eigenschaft zu beharren er auf die Naturkräfte überträgt.

Der wesentlich neue Gesichtspunkt, unter dem ich in der Schrift über die Axiome der Aufstellung dieser nachging, bestand nun darin, daß ich die ihre erste Aufstellung offenbar überall begleitende Idee ihrer apriorischen Notwendigkeit auf die wahren logischen Motive dieses Gedankens zurückzuführen suchte, indem ich die tatsächlich von ihren Entdeckern angeführten einer vermeintlichen Selbstverständlichkeit oder Einfachheit der Naturgesetze als bloße gefühlsmäßige Ausdrucksformen dieser verborgenen logischen Motive ansah. Da war es nun überall ein einziges Prinzip, das ich statt dieser unvollkommenen, zumeist auf einer unberechtigten Objektivierung beruhenden Scheinbaren, als das tatsächlich wirksame annehmen zu dürfen glaubte. Dies war das Prinzip, das ich allgemein als das der "Abstraktion von dem Zuschauer" bezeichnete. Es bestand in dem Gedankenexperiment, das der Entdecker eines Axioms anwende, indem er sich bei der Aufstellung eines Satzes die in demselben in Relation gebrachten Objekte ausschließlich in ihrem Verhältnis zu einander, unter Hinwegdenken von allen andern sonst möglichen räumlichen und zeitlichen Beziehungen, vorstelle. So gewinne der Satz von der Ausschließlichkeit der Bewegungsursachen seinen axiomatischen Charakter durch die logische Forderung einer Beschränkung der Betrachtung auf den einzelnen in Bewegung gedachten Punkt; so der Satz von der geradlinigen Wirkung der einfachen Bewegungsursache und derjenige von der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung durch die räumliche Isolierung zweier in Relation gedachter Punkte usw. Diese Interpretation ließ sich ohne Schwierigkeit auf die sämtlichen sechs Axiome anwenden. Zugleich konnte aber dieses Abstraktionsprinzip als ein logisch zwingendes und von den verwinkelteren Tatsachen der experimentellen Beobachtung auf die einfachsten denkbaren Fälle zurückgeführtes angesehen werden, das sich jedoch bei dem Beobachter nicht als ein logisch evidentes geltend mache, sondern sich hinter unbestimmten gefühlsmäßigen Ausdrücken, wie Selbstverständlichkeit oder Einfachheit, verberge. Natürlich sollte diese Deduktion der Axiome nicht die Wahrheit dieser selbst nach ihrem objektiven Gehalt, sondern lediglich eben jene unbestimmte Apriorität beweisen, die ihnen vor allem die Auffassung ihrer ersten Entdecker beilegte, und die daher immerhin als ein Motiv dieser Entdeckungen neben der im allgemeinen erst nachträglich sicher festzustellenden Übereinstimmung mit der objektiven Erfahrung zu betrachten sei.

Darin bestätigte sich nun zugleich eine allgemeine Folgerung, die für den Begriff der Erfahrung überhaupt von entscheidender Bedeutung ist, und zu der im Grunde jede Analyse der Erfahrung zurückführt, wenn sie auch bei den Erfahrungsinhalten, denen wir in der Wissenschaft Evidenz oder Notwendigkeit beilegen, am augenfälligsten zutage tritt. Dies will nicht bedeuten, daß in dieser Beziehung ein Wesensunterschied zwischen den beiden, an sich in vielen Fällen nur unsicher gegeneinander zu begrenzenden Arten der Erfahrung, der rein empirischen und der zugleich a priori evidenten, besteht. Indem schon die gemeine Erfahrung aus der unmittelbaren Auffassung unserer Vorstellungsinhalte, soweit ihr in der Wahrnehmung selbst Anlässe hierzu gegeben werden, die Sinnestäuschungen ausschaltet, bereitet sich in ihr die wissenschaftliche Erfahrung und damit die logische Prüfung der Erfahrung vor, doch sie bleibt fragmentarisch und geht erst durch eine methodische, logisch möglichst folgerichtige Umgestaltung in die wissenschaftliche über. Demnach sind Wahrnehmung und logisches Denken die Faktoren aller Erfahrung, Wahrnehmung und folgerichtiges logisches Denken die Faktoren der wissenschaftlichen Erfahrung. Indem aber die wissenschaftliche Erfahrung eine innere Übereinstimmung der Erfahrungsinhalte und der Resultate ihrer logischen Prüfung erstrebt, wird es begreiflich, daß von ihr nicht selten die Beteiligung des logischen Denkens an aller, auch schon der gemeinen Erfahrung mehr oder weniger vernachlässigt wird. Klassische Beispiele für diese beiden Fälle besitzen wir in den zwei originellsten neueren Werken über die Prinzipien der Mechanik von H. Hertz (1894) und von L. Boltzmann (1897), von denen das erstere nachdrücklich die Beteiligung des logischen Denkens und damit der apriorischen Konstruktion an der Aufstellung der Prinzipien betont, während das zweite sie ausschließlich auf die Erfahrung zurückführt. Dabei ist es jedoch bemerkenswert, daß beide mindestens indirekt insofern dem apriorischen Faktor sein Recht zugestehen, als sie einen notwendigen logischen Zusammenhang der verschiedenen Prinzipien untereinander voraussetzen, so daß es im Grunde gleichgültig ist, ob man mit Boltzmann nach der herrschenden Auffassung von den Begriffen der Geschwindigkeit und der Beschleunigung oder nach Hertz ausnahmsweise von dem der Masse ausgeht. Da der Begriff der Beschleunigung nur eine phänomenologische Übersetzung des Begriffs der Kraft, Kraft und Masse aber korrelate Begriffe sind, so ist die Möglichkeit, den einen oder den andern zum Grundbegriff zu nehmen, von vornherein einleuchtend. In beiden Fällen ist ein logischer Zusammenhang nicht denkbar, ohne daß an der Aufstellung eines solchen Systems von Prinzipien überhaupt das logische Denken beteiligt wäre. Wenn übrigens die Prinzipien, welche diese beiden Vertreter der klassischen Mechanik unterscheiden, an Zahl die von mir aufgestellten sechs übertreffen, so hat dies seinen Grund darin, daß es ihnen in erster Linie auf deren Vollständigkeit ankommt und sie daher auch solche aufnehmen, in denen, wie in Raum und Zeit, die logische und die empirische Notwendigkeit zusammenfallen, so daß hier von einer Entstehung- oder gar Entdeckungsgeschichte, wie bei den spezifischen Axiomen der Mechanik, nicht die Rede sein kann. Diese letzteren sind stets zugleich Hypothesen, also Voraussetzungen, die zwar innerhalb des eingeschlagenen Weges der Betrachtung, nicht aber in allgemeingültigem Sinne Notwendigkeit besitzen. In der Tat hat es nicht nur eine Zeit gegeben, in der die Wissenschaft die Axiome der klassischen Mechanik noch nicht kannte, sondern es ist auch die Möglichkeit vorhanden, daß ein anderes System an ihre Stelle gesetzt wird. Hierdurch kreuzt sich aber diese Möglichkeit, innerhalb eines und desselben Systems mechanischer Prinzipien die Ausgangspunkte zu variieren, mit dem fundamentaleren Unterschied, das System selbst durch ein anderes zu ersetzen oder, was damit zusammenfällt, den abstrakten Begriff der Mechanik in dem Sinne zu bilden, daß ihm beliebig verschiedene Systeme subsumiert werden können. Geschieht dies, so wandeln sich dann gerade die beiden Begriffe, die unter den Voraussetzungen der Mechanik selbst einen spezifisch mechanischen Charakter nicht besitzen, nämlich der Raum und die Zeit, in die beiden Faktoren um, auf deren Variation die verschiedenen möglichen mechanischen Systeme beruhen.

Nun haben sich von zwei Seiten her in der neueren Physik Gesichtspunkte eröffnet, die den Gedanken nahelegten, daß an die Stelle der Schwere, auf die die von Galilei und Newton ausgebildete Mechanik begründet ist, möglicherweise eine andere Naturkraft gesetzt werden könnte. Auf der einen Seite bereiteten die Arbeiten von Maxwell und Hertz zur elektromagnetischen Lichttheorie der Subsumtion unter die Begriffe der Gravitationsmechanik bisher nicht überwundene Schwierigkeiten. Auf der andern Seite führten von verschiedenen Richtungen her Spekulationen über den Ursprung des Trägheitsprinzips zu dem Gedanken einer Unterordnung der überlieferten Gravitationsmechanik als eines konkreten Beispiels unter einen allgemeineren Begriff, der weitere, an andere Naturkräfte, wie z. B. das Licht, gebundene Bezugssysteme nicht ausschließe. Von diesen beiden Seiten her hatte sich offenbar schon das oben bereits erwähnte sogenannte Relativitätsprinzip vorbereitet.

Als ich im Jahr 1910 zu einer zweiten Auflage der Schrift über die physikalischen Axiome schreiten mußte, waren es diese neuen Gesichtspunkte, die mich veranlaßten, den Begriff der Axiome durch den der Hypothesen oder, genauer ausgedrückt, der "axiomatischen Hypothesen der Mechanik" zu ersetzen. Es sollte damit eben gesagt werden, daß außer dem System der überlieferten klassischen Mechanik auch ein anderes denkbar sei. Aber dieser Vorbehalt bezog sich selbstverständlich nicht auf jene logischen und zugleich anschaulichen Motive, die den sechs in der Schrift behandelten Evidenzaxiomen zugrunde liegen. Da diese Motive der Raum- und Zeitanschauung, nicht den in dem gewählten Bezugssystem verwendeten Naturkräften angehören. So werden sie vielmehr als unabhängig von den letzteren anzusehen sein. Das gilt vor allem von dem Trägheitsprinzip, in ähnlichem Sinne aber auch von der Ausschließlichkeit der Bewegungsursachen, von der Konstanz der Naturkräfte, der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung usw.. Um so mehr bleibt daher für die allgemeine mechanische Betrachtung der Naturkräfte das Prinzip bestehen, daß sie auf einem untrennbaren Zusammenwirken empirischer und logischer Bedingungen beruht, die von hier aus auf die Gesamtheit der Naturerscheinungen übergeht und demnach in ihren ersten mehr instinktiven Anwendungen schon innerhalb der gemeinen Erfahrung beginnt, um darauf als festes Prinzip in der wissenschaftlichen Erfahrung zur Geltung zu kommen. Damit ist dann auch zugleich die Aufgabe einer wissenschaftlichen Logik ausgesprochen; sie kann nur darin bestehen, daß man sich in ihr über die Normen des Denkens Rechenschaft gibt, die jeder wissenschaftlichen Erfahrung zugrunde liegen.