Als ich im Winter 1856 in der Heidelberger Klinik Untersuchungen über die Veränderung der Tastempfindung bei Gelähmten anzustellen begann, war meine Absicht zunächst nur darauf gerichtet, den Weberschen Zirkelversuch bei Personen mit verminderter Tastempfindung der Haut zu wiederholen, und selbstverständlich erwartete ich von vornherein, überall an den anästhetischen Stellen eine entsprechende Vergrößerung der sogenannten Empfindungskreise zu finden. Dies bestätigte sich im allgemeinen; es stellte sich aber noch ein anderes Resultat heraus, das nicht in gleicher Weise mit Sicherheit zu erwarten, sondern im Gegenteil durch die Regelmäßigkeit, mit der es beobachtet wurde, nahezu überraschend war. Es bestand darin, daß stets die Reize falsch lokalisiert wurden, und zwar in dem Sinne, daß der Patient die Eindrücke an eine der wirklich betasteten benachbarte Stelle von normalerweise verminderter Empfindlichkeit verlegte. Am augenfälligsten ergab sich dieses Resultat bei der sehr häufig vorkommenden Anästhesie der unteren Extremitäten, bei denen im normalen Zustand der Fuß, der Unterschenkel und der Oberschenkel Stellen von abnehmender Empfindlichkeit sind, daß also die letztere am Oberschenkel am kleinsten ist, dann am Unterschenkel zunimmt und endlich am Fußrücken und namentlich an den Zehen den relativ höchsten Wert erreicht. Demnach stellte sich heraus, daß Eindrücke auf den Unterschenkel zur Unterscheidung eine Zirkeldistanz erforderten, die der gewöhnlich am Oberschenkel beobachteten ungefähr gleichkam, Eindrücke auf den Fuß derjenigen am Unterschenkel. Aber nicht bloß dies, sondern es wurde außerdem der Eindruck auf den Unterschenkel am Oberschenkel, der Eindruck auf den Fuß am Unterschenkel und zuweilen sogar noch höher oben am Oberschenkel lokalisiert. Neben dieser Lokalisation an einer benachbarten und zwar meist an der nächstbenachbarten unempfindlicheren Stelle ergab sich aber noch eine weitere Erscheinung, die geeignet war, Licht auf diese Beobachtung zu werfen. Sie bestand darin, daß der Eindruck bei dem Patienten mit einem Erinnerungsbild des Gesichtssinns verbunden zu sein pflegte, welches genau der falschen Lokalisation entsprach. Der Patient verlegte nicht nur den Eindruck an die falsche Hautstelle, sondern er glaubte im Erinnerungsbild des Gesichtssinns, das sich mit dem Eindruck verband, diese falsche, nicht die wirklich berührte Hautstelle zu sehen.
Aus diesen Ergebnissen ließen sich zwei Schlüsse ziehen. Erstens machte es jene Regelmäßigkeit in der Richtung der falschen Lokalisation im höchsten Grade wahrscheinlich, daß es die Qualität der Tastempfindung sei, welche die Lokalisation vermittle, da nur dann die Substitution einer benachbarten Stelle von geringerer Empfindlichkeit für die gereizte begreiflich wird, weil die benachbarten Eindrücke in ihrer Qualität immerhin einander am ähnlichsten sind, obgleich sie deutliche Gradunterschiede der Empfindlichkeit erkennen lassen. Zweitens wird durch die Assoziation des Eindrucks mit einem entsprechend veränderten Erinnerungsbild des Gesichtssinns die verbreitete Annahme der Physiologen widerlegt, nach der die Gesichtsbilder von den Tasteindrücken ihre Orientierung empfangen sollen. Vielmehr stellt sich das Umgekehrte heraus: der Tasteindruck empfängt seine deutliche Lokalisation durch das begleitende Gesichtsbild, nicht das Gesichtsbild durch den Tasteindruck. Dem entspricht es, daß auch bei normalem Verhalten in dem regelmäßigen Zusammenwirken beider Sinne der Gesichtssinn offenbar die führende Stellung einnimmt, so daß die an sich unbestimmte Qualität des Tasteindrucks erst durch die Assoziation mit dem Gesichtsbild, die von ihm wachgerufen wird, eine deutlichere Vorstellung der gereizten Stelle erweckt. Damit stimmt es überein, daß sich beim Kinde, wie man leicht beobachten kann, die Orientierung des Auges bei der Fixation der Objekte früher entwickelt als die der Tastorgane, die noch längere Zeit, nachdem das Auge fixieren gelernt hat, eine auffallende Unsicherheit bewahrt. Wenden wir den Ausdruck Lokalzeichen auf die von dem Ort des Eindrucks abhängige Qualität der Tastempfindung an, so vermittelt also dieses Lokalzeichen dadurch, daß es ein optisches Erinnerungsbild der berührten Hautstelle erweckt, die bestimmte Lokalisation des Tastendrucks, nicht aber umgekehrt dieses letztere eine ihr erst folgende Fixation und dadurch die Lokalisation des Gesichtsbildes. Hiergegen bildet die frühe Entwicklung des Tastsinns in der Tierreihe und demzufolge auch wahrscheinlich innerhalb der fötalen menschlichen Lebensperiode keinen Einwand, weil sie gänzlich außerhalb des Zusammenwirkens beider Sinne während des selbständigen Lebens liegt, bei welchem vielmehr das rapide Übergewicht in die Augen fällt, das sehr bald der Gesichts- über den Tastsinn gewinnt. Es spricht sich endlich auch darin aus, daß die stellvertretende Funktion des Tastsinns bei Blindgeborenen ein in ein weit späteres Lebensstadium fallender Vorgang ist, der, wie er aus einem qualitativ verschiedenen Empfindungsmaterial sich aufbaut, so auch dauernd einen qualitativ völlig abweichenden Inhalt bewahrt. Wie zwischen beiden disparaten Raumanschauungen, der des Sehenden und der des Blindgeborenen, gleichwohl übereinstimmende räumliche Ordnungen der abweichenden Elemente entstehen, das ist daher eine sekundäre Frage, die mit dem Problem der räumlichen Gesichtswahrnehmungen an sich nichts zu tun hat.
Hiernach ist nun aber dieses Problem auf die selbständige Funktion des Sehorgans gestellt, es kann nicht einem anderen Sinn zugewiesen werden, und sollte dieser irgendwo eine Mithilfe leisten, so würde eine solche nichts ausrichten, wenn das Auge nicht selbst schon die Macht in sich trüge, den Raum geradeso wie die Lichtempfindungen, an die er unwandelbar gebunden ist, mit diesen in die umgebende Welt hinauszutragen. Aus welchen in ihm selbst liegenden Anlagen entnimmt aber der Gesichtssinn diese Fähigkeit, die nur eine gewordene, keine ursprünglich gegebene sein kann, weil sie ein wesentlicher Bestandteil der seelischen Entwicklung überhaupt ist, für die nur die Anlage, nicht der fertige Besitz das überall maßgebende Kriterium bildet?
Dies war die Frage, die ich mir durch den Kopf gehen ließ, als ich an einem Frühlingsmorgen des Jahres 1858 auf einem Waldpfad des Gaisbergs bei Heidelberg dahinwanderte und mir die vergeblichen Bemühungen der Physiologen vergegenwärtigte, dieser Frage durch allerlei äußere Anlehen bei angeborenen Begriffen oder bei anderen Sinnesorganen näher zu kommen. Zwei Hilfsmittel waren es vor allem gewesen, die hier schon in der älteren Psychologie nebeneinander und im Kampf miteinander eine Rolle gespielt hatten. Auf der einen Seite hatte man in den Netzhautelementen oder noch früher, als diese noch unbekannt gewesen waren, in den Lichtempfindungen selbst das subjektive Substrat des Raumes gesehen, das mit allen anderen Empfindungen unmittelbar in die Außenwelt projiziert werde. Auf der andern Seite hatte man den Bewegungen des Auges gleich denen der sonstigen Körperteile die Eigenschaft zugeschrieben, aus dem Bewußtsein als ein objektives Erlebnis hinausverlegt und so als der dem Subjekt gegenüberstehende Raum angeschaut zu werden. Beide Hilfsmittel waren dann auch von den neueren physiologischen Theorien herbeigezogen worden, zunächst indem man zwischen beiden wählte, dann indem man, wie dies schließlich in der Helmholtz’schen Theorie geschah, zwei Sehfunktionen, die Ordnung des Nebeneinander und die Richtung des Sehens, unterschied, die fortan unabhängig an dem Aufbau des Raumes beteiligt sein sollten, die aber gerade wegen dieser disparaten Natur der beiden Begriffe Lage und Richtung offenbar die Vorstellung des Raumes selbst, aus dessen Analyse sie entstanden waren, bereits voraussetzten.
So erhob sich die weitere Frage: sind denn Lage und Richtung wirklich unabhängige Bestandteile der Gesichtswahrnehmung und sind sie nicht untrennbar zusammengehörige Elemente des Sehens, die in Wirklichkeit niemals gesondert voneinander existieren können, vielmehr eben als eine solche ursprüngliche synthetische Einheit den Raum selbst konstituieren, aus dessen in der Anschauung gegebener Einheit wir erst beide Begriffe gewinnen? Es ist dieselbe Verwechslung von Annschauung und Begriff, die in der Philosophie eine verhängnisvolle Rolle gespielt und auf die physiologischen Theorien ihre Schatten geworfen hat. Anschauungen werden für Begriffe, Begriffe für Anschauungen genommen. Die Anschauung ist aber immer das primäre, und Anschauungen können wir darum ebensowenig aus Begriffen wie umgekehrt Begriffe aus Anschauungen zusammensetzen. Mit Recht hat Kant den Raum eine Anschauung genannt. Doch ist er eine solche immer nur als das konkrete anschauliche Vorstellen, nicht als eine abstrakte Einheit, nicht als eine Form, die sich erst in konkrete Räume zerlegen läßt. Vielmehr sind diese konkreten Räume das allein Wirkliche, das wir dann wieder durch die Synthese des Einzelnen in ein begriffliches, niemals selbst anschauliches Ganzes verwandeln. In diesem Sinne ist der Raum anschaulich und begrifflich zugleich: aus einzelnen in der Anschauung gegebenen Räumen setzt er sich zusammen, als ein aus einer synthetischen Operation entstandenes Ganzes ist er Begriff. Wie dieser Totalbegriff des Raumes auf einer synthetischen, so beruhen dann alle die näheren Bestimmungen, die wir auf die einzelnen Raumvorstellungen oder auf den Raum als Ganzes anwenden, wiederum auf einer begrifflichen Analyse, und sie selbst sind darum Begriffe, nicht Anschauungen. In diesem Sinne sind die drei Dimensionen des Raumes und nicht minder Lage und Richtung begriffliche Faktoren der Anschauung, nicht selbst Anschauungen. Wenn wir von der Wahrnehmung der Lage eines Punktes reden, so liegt daher diesem Ausdruck, sobald wir ihn als eine Anschauung verstehen, immer auch eine Richtungsvorstellung zugrunde, und nicht minder schließt der Ausdruck Richtungsvorstellung zugleich eine Lagevorstellung oder einen Zusammenhang von Lagevorstellungen ein. Alle diese Bestandteile können erst isoliert gedacht werden, indem wir sie aus der Einheit der Anschauung begrifflich aussondern. Darum kommt nun aber auch dieser Verbindung der Begriffe in unseren Vorstellungen eine Eigenschaft zu, die allen Elementen fehlt, in die wir sie begrifflich zerlegen, und die in diesem Sinne einen schöpferischen Charakter besitzt. Sie ist in Wahrheit die Grundvoraussetzung alles psychischen Geschehens, ohne die alle weiteren Vorgänge desselben, bei denen die schöpferische Natur des geistigen Lebens immer und immer auf höheren Stufen wiederkehrt, unverständlich bleibt. Als eine Neuschöpfung, nicht bloß als eine Verbindung von Vorgängen, wie solche Verbindungen schon in der unorganischen Natur vorkommen, offenbart sich alles psychische Geschehen von Anfang an. Es entsteht nicht bloß erst in der menschlichen Seele, sondern es bereitet sich in dem tierischen und, nur mit eigenartigen Abänderungen, in dem pflanzlichen Leben vor. Darum ist die organische Welt nicht, wie die einseitig mechanistische Physiologie annimmt, eine für sich bestehende und mit einem plötzlichen Sprung die Kluft zwischen dem Organischen und dem Geistigen überschreitende Entwicklung, sondern beide zusammen bilden eine und dieselbe Entwicklung, innerhalb deren nur infolge der fortan sich wiederholenden Synthesen ihrer Bestandteile bestimmte Stufen Neuschöpfungen darstellen, die den Charakter des plötzlichen, noch nie in dem Vorangegangenen vorhanden gewesenen Geschehens annehmen. Sie verlieren aber diesen Charakter in dem Maße, als sie in die Totalität des Zusammenhangs beider Seiten, des physischen und des psychischen, eingereiht werden. Darum gibt es keine im wahren Sinn organische ohne eine mit ihr zur Einheit verbundene geistige Welt, ebensowenig wie es eine geistige ohne eine organische physische Welt gibt. Aus diesem Grunde ist nun über auch der Begriff eines "psychophysischen Parallelismus", wenn er, wie üblich, als eine Zweiheit von Gliedern verstanden wird, deren jedes nach dem andern orientiert sein soll, völlig unhaltbar, wenn man die wirkliche Einheit des organischen und des geistigen Lebens begreifen will. Die schöpferische Natur dieses Zusammenhangs tritt dagegen klar zutage, wenn man bedenkt, daß keine jener beiden Seiten jemals in irgendeiner Anschauung für sich allein besteht, sondern daß diese Isolierung wiederum nur das Resultat der Zerlegung eines in der Anschauung Gegebenen, also des Produktes einer schöpferischen Synthese in Begriffe ist, die als solche der Anschauung entzogen sind.
Kehren wir nun von diesem Blick auf das Ganze des organisch-geistigen Lebens zum psycho-physischen Anfang desselben, zur Empfindung und zu der in der Anschauung mit allen Empfindungen verbundenen räumlichen Wahrnehmung zurück, so gibt es unter den mannigfachen Begriffen, in die sich diese Wahrnehmung gliedern läßt, wie Lage, Richtung, Dimension, einen einzigen, der den anderen gegenüber als ein fundamentaler betrachtet werden muß: das ist der Begriff der Dimension. Daß der Raum aller unserer Wahrnehmungen, mögen Sie nun nach ihrem Empfindungssubstrat dem Tast- oder dem Gesichtssinn oder infolge ihrer Assoziationen mit den anderen Sinnesempfindungen einem dieser letzteren angehören, drei Dimensionen hat, das ist eine unzerstörbare Tatsache der Anschauung. Unzerstörbar ist sie aber nicht, weil sie etwa selbst im eigentlichen Sinne in der Anschauung gegeben ist, sondern weil die Anschauung zwar als schöpferische Synthese die Unendlichkeit aller möglichen Raumdimensionen zumal enthält, dabei jedoch zwei Grenzbegriffe als allgemeine Forderungen mit sich führt, deren einer in der abstrakten Isolierung der einzelnen Dimension als eines nicht weiter zerlegbaren Begriffs, der andere in der Dreiheit der in jeder einzelnen Raumanschauung enthaltenen Dimensionen besteht. Der fundamentale Charakter der Dimension gegenüber den sonstigen Wahrnehmungsbegriffen offenbart sich aber hier darin, daß diese stets auf Dimensionsbegriffe zurückführbar sind. So der Begriff der Lage auf den dreier zusammengehöriger Dimensionen, der Begriff der Richtung auf den einer einzigen, jedoch ihrerseits erst durch ihr Verhältnis zu den anderen die Lage eindeutig bestimmenden Dimension, daher von beiden Begriffen die Lage wieder die primäre, die Richtung eine sekundäre, von der allgemeinen Lagebestimmung abhängige Bedeutung besitzt. In dieser Zurückführbarkeit der begrifflichen Elemente der Raumanschauung auf die drei Raumdimensionen kommt endlich ein Prinzip zur Geltung, das für alle konkreten räumlichen Vorstellungen entscheidend ist: es ist das Prinzip der Relativität unserer Wahrnehmungen, neben dem das sie begleitende der Relativität der Sinnesempfindungen steht.
So allgemeingültig dieses Prinzip der Relativität ist, so ist es doch eine bemerkenswerte Eigenschaft aller Wahrnehmungsgebiete von der gewöhnlichen Sinneswahrnehmung an bis zu den begrifflichen Verarbeitungen derselben in der Wissenschaft, daß der Erkenntnis der Relativität überall der Begriff eines absoluten Seins vorausgeht. Es erhellt aber deutlich, daß diese ursprünglichere absolute Wertung ihre Grundlage in der willkürlichen Isolierung der Inhalte unserer Wahrnehmung hat, die dann wiederum eine ebenso willkürliche Überschätzung der Bedeutung einzelner dieser Werte für unser Erkennen mit sich führt. Eine klare Ausprägung hat die erst in Reaktion gegen die ursprüngliche Isolierung der Inhalte der Anschauung entstehende Erkenntnis ihrer durchgängigen Relativität in demjenigen Gebiet gefunden, das diese Relativität in den verwickeltsten, die gesamte Außenwelt umfassenden Beziehungen darbietet, in dem der allgemeinen Naturerscheinungen und in der Reduktion dieser Erscheinungen auf ein beliebig vertauschbares System von Dimensionen durch die Physik. In der Physik hat die Geltendmachung des Relativitätsprinzips deshalb ein so großes Aufsehen erregt, weil hier die durch die Erkenntnis des allgemeinen Zusammenhanges der Naturerscheinungen ermöglichte willkürliche Reduktion auf ein einziges System fester Wertbegriffe die an sich willkürliche Beziehung auf das System der Gravitation zugleich als das einzig natürliche und darum absolute erscheinen ließ. Darum ist es charakteristisch, daß hier der Übergang zu dem allgemeingültigen Relativitätsprinzip durch ein vorläufiges Stadium eines ebenso willkürlichen, aber total abweichenden Systems, nämlich des eines absoluten Wertes der Lichtbewegungen erfolgt ist. Dem gegenüber bietet die Welt der am entgegengesetzten Ende zu den kosmischen Erscheinungen vermöge ihres einfachen Aufbaus stehenden elementaren Empfindungen das Beispiel einer Anwendung des Relativitätsprinzips, bei welcher dieses unmittelbar aus der Auffassung einer Fülle voneinander isolierter Werte in die andere einer allgemeinen Relativität übergehen konnte. Der naiven Anschauung gilt jede einzelne Qualität der Empfindungen als ein absoluter, an sich unveränderlicher, darum aber auch die Zusammenfassung mit anderen Empfindungen ausschließender Wert. Die Psychologie, welche die Gesamtheit der Empfindungen in eine Mannigfaltigkeit von Qualitätssystemen sondert, weist zunächst nur jeder einzelnen Qualität eine relative Stellung innerhalb ihres Systems an, sie eröffnet aber dadurch sofort die Aufgabe, die Gesamtheit der einfachen Empfindungen in ein Ganzes sich durchkreuzender Systeme zu ordnen, bei dem in jeder der Dimensionen, nach denen sich die verschiedenen Elemente dieser mehrfach ausgedehnten Mannigfaltigkeit erstrecken, das Prinzip der Relativität für jedes Element besteht. Durchgeführt ist seine Gültigkeit freilich bis dahin nur für die verschiedenen Systeme der Empfindungsintensität, wo es in dem bekannten Weber-Fechnerschen Gesetz seinen im Grunde schon von Weber in seiner psychologischen Bedeutung erkannten Ausdruck gefunden hat. Daß sich die Psychologie mit der Auffassung der Gesamtheit der psychischen Erfahrungsinhalte als einer Fülle sich durchkreuzender Systeme mit jeweils beschränkten in Relation zu einander stehenden Elementen begnügen muß, während die Physik das Postulat einer das Ganze aller physikalischen Erscheinungen umfassenden Relativität erheben kann, hängt aber sichtlich mit der doppelten Verschiedenheit ihrer Aufgaben zusammen. Danach ist die Physik die Zusammenordnung aller Wahrnehmungsinhalte zu dem Begriffssystem einer objektiven Wissenschaft, die Wahrnehmungsinhalte dagegen in ihrer unmittelbaren subjektiven Beschaffenheit als Teile der im menschlichen Bewußtsein zusammenfließenden und in Wechselwirkung tretenden geistigen Werte sind der Gegenstand der Psychologie. Jene objektive und diese subjektive Betrachtung werden jedoch vereinigt durch die Raumanschauung, die alle Wahrnehmungen in eine dreidimensionale Ordnung dergestalt gliedert, daß der objektive Raum als eine Projektion der subjektiven Raumanschauung in die Außenwelt und die subjektive Raumanschauung als ein Spiegelbild des objektiven Raumes erscheint, beide zusammen also eine Einheit bilden, in der die körperliche und die geistige Welt untrennbar aneinander gebunden sind.
In der weiteren Ordnung der Inhalte der objektiven und der subjektiven Welt scheiden sich nun aber beide voneinander, indem die erstere alle Wahrnehmungsinhalte nach dem System des dreidimensionalen Raumes ordnet, dem sie für das Ganze des äußeren Weltbegriffs die Zeit und die Bewegung, jene als eine eindimensionale Mannigfaltigkeit, diese als eine Verbindung der beiden so erhaltenen dimensionalen Gebilde hinzufügt. Auf diese Weise gewinnt der gesamte Wahrnehmungsinhalt der Außenwelt die Bedeutung einer einzigen räumlichen Mannigfaltigkeit, die überall da, wo wir innerhalb der geistigen Welt einer festen Begrenzung und Ordnung bedürfen, diesen ebenfalls ihre Gesetze vorschreibt. Denn der Raum und die ihm in seiner Objektivierung zukommenden Begriffe der Zeit und der Bewegung ergehen sich in ihrer objektiven Bedeutung als die einzigen, die das Ganze einer nach Maß und Zahl zu ordnenden körperlichen und geistigen Welt konstituieren. In dieser festen Einordnung aller objektiven Wahrnehmungsinhalte liegt die Herrschaft begründet, die die äußere Natur über die geistige Welt ausübt. Diese Herrschaft ist demnach nicht in einem Gegensatz zweier Substanzen begründet, von denen die eine, die körperliche, der Anschauung angehört, die andere, die geistige, ein transzendenter Begriff ist, sondern beide bilden eine Einheit, die lediglich darauf beruht, daß der Raum mit seinen die räumliche Ordnung in allen ihren Veränderungen ergänzenden Hilfsbegriffen von Zeit und Bewegung für die körperliche Welt der Grundbestandteil aller Wahrnehmung ist, während diese für die geistige Welt nur einen relativ zurücktretender Teil der Inhalte bildet, die neben ihr aber wegen ihrer unerschöpfbaren Mannigfaltigkeit nur in bruchstückweisen Formen den Gesamtinhalt des geistigen Seins ausmachen. Aber dasselbe Prinzip der Relativität, das sich schließlich in den Gesetzen der körperlichen Welt als ein den gesamten Zusammenhang dieser Welt beherrschendes herausstellt, nach welchem es keine Naturgesetze gibt, die nicht in Relationen zu anderen allein ihren Ausdruck finden könnten, gilt auch für die geistige Welt. Nur ist es hier nicht in den einfachen Formen gegeben, in denen die Herrschaft des Raumes und der ihn ergänzenden sekundären Dimensionsbegriffe dies fordert, sondern der Schwerpunkt seiner Geltung liegt in der Gesamtheit jener geistigen Inhalte, die infolge der Fülle ihrer sich in der mannigfaltigsten Weise durchkreuzenden Elemente des geistigen Lebens im allgemeinen nur in singulären Fällen Bruchstücke einer dimensionalen Ordnung zulassen. So tritt ein anderer Gesichtspunkt an die Stelle jenes äußeren, an die Beschränkung der sinnlichen Wahrnehmung gebundenen einer gesetzmäßigen Ordnung, nämlich der mit dem Charakter der Unmittelbarkeit des geistigen Lebens zusammenhängende der durchgängigen wechselseitigen Beziehungen seiner Inhalte. Mit anderen Worten: statt der Frage nach der Einfügung der einzelnen Erscheinungen in die Ordnung des Ganzen wird die andere nach den Verbindungen und Beziehungen der Inhalte zu einander die herrschende für die Geisteswissenschaften überhaupt und darum in erster Linie für die Psychologie als die allgemeine Wissenschaft von den Gesetzen des geistigen Lebens.
Es ist ein altes Vorurteil, das aus der populären Auffassung der psychischen Vorgänge auch in die Wissenschaft und besonders in die Philosophie übergegangen ist, der Begriff der Quantität und mit ihm die Möglichkeit der Anwendung mathematischer Betrachtung sei auf die Naturwissenschaft beschränkt. Dagegen bestehe das geistige Leben aus einer Fülle qualitativer Elemente, die, wenn man von der Naturseite der physiologisch fundierten Erfahrungsgebiete absehe, also ihrem rein geistigen Gehalt nach, nur als eine unendliche Menge von Qualitäten zu begreifen sei. Vor allem Naturwissenschaft und Psychologie sollen daher, jene ein System quantitativer, in mathematischen Gesetzen auszudrückender Beziehungen, diese ein solches rein qualitativer Begriffsinhalte sein. Diese Betrachtungsweise, die dem metaphysischen Dualismus als ein unterstützendes empirisches Motiv zu Hilfe zu kommen sucht, ist jedoch so falsch wie möglich, weil sie bereits ein Produkt dieses metaphysischen Vorurteils selbst ist. In Wahrheit ist das geistige Leben, je reiner es uns, losgelöst von konkreten sinnlichen Inhalten entgegentritt, um so mehr ein unerschöpfliches Feld sich durchdringender Gesetzmäßigkeiten, die gerade wegen ihrer unendlichen Komplikationen nur an den wenigen Stellen sich unserer Beachtung aufdrängen, wo sie sich den dimensionalen Ordnungen der körperlichen Welt als qualitative Mannigfaltigkeiten einfügen. Darum ist, wie dies Leibniz zuerst klar ausgesprochen hat, die Mathematik kein bloßes Hilfsmittel der Naturerkenntnis, sondern sie durchdringt von den aus einer reichen Zahl von Elementen bestehenden Resultanten des kosmischen Geschehens an bis zu den abstraktesten Formen der Logik alle Inhalte des Denkens überhaupt. Aber indem die an sich überall vorhandene mathematische Gesetzmäßigkeit nie weiter reichen kann als in das Gebiet der den Charakter des mathematischen Denkens bestimmenden formalen Verknüpfungen, denen sich kein Erkenntnisinhalt entzieht, schließt es gerade das aus, was den eigentlichen Wert der geistigen Inhalte ausmacht, und was nun die Psychologie als ihre letzte Aufgabe anerkennen muß, nämlich eben jene Inhalte des geistigen Lebens zu erforschen, die sich zu einem Ganzen verbinden, das seinerseits die unerschöpflichen Formen des in seiner abstrakten mathematischen Natur unbestimmt bleibenden Denkens zur Wirklichkeit der geistigen Inhalte ergänzt. Die Eigenart dieser durch die qualitativen Werte des geistigen Lebens bestimmten Gesetze zu ermitteln, das aber ist offenbar die höchste Aufgabe der Psychologie, die nur in diesem Sinne als eine Geisteswissenschaft und damit zugleich als die allgemeinste unter ihnen anerkannt werden muß.