II.

Zum Ursprung der Sprache.

Schallnachahmungen und Lautmetaphern.

    In einem interessanten Vortrag über den Ursprung der Sprache hat Hermann Paul, außer einigen anderen, dieses alte und ewig neue Problem berührenden Punkten auch die Frage erörtert, inwiefern Schallnachahmungen auf der einen und sogenannte Lautmetaphern auf der anderen Seite etwa Licht auf dasselbe werfen könnten 1). Er gedenkt dabei in seinem sonst rein sachlich gehaltenen Vortrag meiner Anschauungen über diese Dinge in einer Weise, die mich vielleicht bei manchem Leser als einen Verfechter von Hypothesen über die Beziehungen zwischen Laut und Bedeutung erscheinen lassen, die heute mit Recht als überwunden gelten. Ich gestatte mir daher, um solchem Mißverständnisse zu begegnen, einige kurze Bemerkungen zu den Ausführungen des Verfassers der "Prinzipien der Sprachgeschichte", muß aber zu diesem Zweck, um das Verhältnis zwischen Paul’s Auffassung und der meinigen in das richtige Licht zu setzen, etwas weiter ausholen.

            1) Beilage der Allgemeinen Zeitung, 1902, Nr. 13 und 14.

    In den einleitenden Betrachtungen seines Vortrages betont Hermann Paul nachdrücklich, die Frage, wie die Sprache entstehen konnte und mußte, sei lediglich ein Problem der sprachlichen Prinzipienwissenschaft, nicht der Philosophie; und unter den besonderen Aufgaben, in die er jene Frage gliedert, kommt auch dasjenige Gebiet nicht vor, von dem man wohl vermuten sollte, daß es von einem solchen Ausschlusse der Philosophie nicht mitbetroffen werde; die Psychologie. Für den, der die Anschauungen des Verfassers der "Prinzipien der Sprachgeschichte" aus diesem auch von mir hochgeschätzten Werke näher kennt, kann es aber keinem Zweifel unterliegen, daß das Übergehen der psychologischen Seite der Sprachprobleme an dieser Stelle kein zufälliges ist. Der Ursprung der Sprache ist für Paul keine Frage der Psychologie, sondern er fällt mit allem, was sich an ihn anschließt, einer besonderen historischen Prinzipienwissenschaft anheim. Von der Psychologie wird diese höchstens indirekt berührt, insofern etwa, als die Ausdrucksbewegungen der Affekte auf psychologischen Bedingungen beruhen. Auch hier muß jedoch die Sprachgeschichte die Tatsache, daß es Affekte und Ausdrucksbewegungen gibt, als gegeben hinnehmen, ohne sich auf die Frage ihrer Entstehung und ihrer Beziehungen zur Sprache näher einzulassen.

    Diese ablehnende Haltung gegenüber der Psychologie im Gebiet der eigentlichen Sprachprobleme, der konkreteren wie der allgemeinsten, macht sich nun, wie ich meine, besonders in den Betrachtungen geltend, die Paul den Phänomenen der "Schallnachahmung" und der "Lautmetapher" widmet. Von der Schallnachahmung meint er, ihre Bedeutung lasse sich angesichts solcher verhältnismäßig neuer Bildungen, wie wir sie in Wörtern wie "plappern", "platzen", "poltern" usw. im Deutschen und ähnlich in anderen Sprachen vorfinden, nicht zurückweisen. Auch eine Übertragung solcher Nachahmungen auf Gesichtsvorstellungen sei nicht auszuschließen, wobei der Sprechende die Aufmerksamkeit auf sichtbare Gegenstände hinlenke, von denen unter anderen Umständen ein Geräusch auszugehen pflege. Ebenso werden die bekannten nachahmenden Laute der Kindersprache, wie "wau-wau", "hot-hot" usw., hierfür angeführt.

    Ich halte diese Theorie der Schallnachahmung, so sehr sie geläufigen Annahmen entspricht, für unhaltbar, weil mir die für sie angeführten, an sich richtigen Tatsachen nicht beweisend scheinen, und weil ich schließlich die ihr zugrunde liegenden Voraussetzungen für psychologisch unmöglich halte. Zunächst ist die Kindersprache hier nicht entscheidend. Sie ist, wie Paul selbst mit Recht bemerkt, im wesentlichen eine Sprache der Ammen und nicht der Kinder. Wenn sich nun jene, wie es keinem Zweifel unterliegt, durch absichtliche Schallnachahmungen dem Kinde verständlich machen, so hegt darin nicht der geringste Beweis, daß das Kind selbst, falls es eine Sprache schaffen sollte, oder der primitive Mensch ebenso zur Lautnachahmung greifen würde. Wer beobachtet hat, wie sich Kinder zunächst nicht selten ganz verständnislos jenen konventionellen Lautbildern der Kindersprache gegenüber verhalten und wie sie dieselben schließlich gleich anderen beliebigen Bezeichnungen bloß durch gewohnheitsmäßige Einübung übernehmen, der wird wohl diesem Argument kein besonderes Gewicht beilegen können, um so mehr, da solche schallnachahmende Wörter der Kindersprache nur in ganz seltenen Fällen in die allgemeine Sprache eingedrungen sind. Aber auch die große Zahl fortwährend sich neu bildender schallnachahmender Wörter in der wirklichen Sprache ist, beim Lichte besehen, eher ein Argument gegen, als für die Schallnachahmungstheorie. Mustert man nämlich eine beliebige, nicht gerade von vornherein absichtlich auf spezifische Schallbezeichnungen eingeschränkte Sammlung solcher Onomatopoetika, so zeigt sich, daß die eigentlichen Schallbilder nur einen Teil der Wörter ausmachen, bei denen wir Laut und Bedeutung als einander entsprechend auffassen, und daß vollends bei dem nicht als direkte Lautbilder zu deutenden Rest von einer Erinnerung an Schalleindrücke, die möglicherweise früher mit dem Gesichtseindruck verbunden waren, nicht die Rede sein kann. So kann man in einer Reihe wie "bammeln", "baumeln", "bummeln", "bimmeln" wohl das erste und das letzte Glied als Schallnachahmungen deuten; die beiden mittleren aber werden weder im direkten noch im indirekten, durch die Erinnerung an einstige Schauvorstellungen vermittelten Sinne als solche gelten können. Ich schließe daraus und aus den sonstigen psychophysischen Bedingungen der Lautbildung, daß die sogenannte Schallnachahmung nicht der Ursprung, sondern eine Nebenwirkung der zwischen dem objektiven Vorgang und der Lautbezeichnung spielenden Assoziation ist. Der lebhafte Eindruck erzeugt eine trieb- oder, wenn man will, reflexartige Bewegung der Artikulationsorgane, eine Lautgebärde, die dem objektiven Reiz ebenso adäquat ist, wie die hinweisende oder zeichnende Gebärde des Taubstummen dem Objekt, auf das er die Aufmerksamkeit seines Genossen lenken will. Die von der Ausstoßung eines Lautes begleitete Gebärde kann nun einer Schallnachahmung äußerlich gleichsehen und in gewissen Grenzfällen vielleicht in sie übergehen. Aber auch da, wo sie so erscheint, handelt es sich durchweg nicht um eine willkürliche subjektive Nachahmung des objektiven Lautes, wie beispielsweise bei den von den Müttern und Ammen erfundenen Schallnachahmungen der Kindersprache, sondern um eine durch die Ausdrucksbewegung der Artikulationsorgane entstehende Lautbildung, deren Ähnlichkeit mit dem Gehörseindruck eine unbeabsichtigte Begleiterscheinung der Artikulationsbewegung ist. Einen deutlichen Beleg hierzu bilden die meisten jener Lautgebärden, die zur Bezeichnung der Sprech- und anderer mit den Artikulationsorganen ausgeführten Bewegungen sowie dieser Organe selbst dienen, bei denen auch Paul die Wahrscheinlichkeit einer solchen Beziehung zugibt. Dahin gehören also die Benennungen des Essens, Blasens, der Zunge, der Zähne, des Mundes u. a. Meist lassen sich diese Wörter durchaus nicht als Schallnachahmungen deuten; aber sie erscheinen uns in ähnlichem Sinne als natürliche Lautgebärden, wie wir etwa bei dem taubstummen Kinde das Herausstrecken der Zunge oder die Eßbewegungen des Mundes ohne weiteres als Ausdrucksmittel für Zunge und Essen verstehen.

    Von da aus führt nun nur ein kleiner Schritt zu denjenigen Lautbildern, die man als "natürliche Lautmetaphern" bezeichnen kann. Dieser Ausdruck soll andeuten, daß hier eine ähnliche Übertragung einer Vorstellung in ein sinnliches Bild besteht, wie sie der mit diesem Namen bezeichneten Redefigur eigen ist. Das zugefügte Beiwort soll aber zugleich darauf aufmerksam machen, daß es sich dabei um eine unwillkürliche, unmittelbar aus dem natürlichen Gefühlston der Vorstellungen entstehende Assoziation handelt, die sich darum im allgemeinen auch in weit primitiverer Weise äußert als bei den eigentlichen Metaphern des rednerischen Stils. Das geläufigste Beispiel solch natürlicher Lautassoziation, das allen künstlichen Etymologien der älteren Indogermanistik siegreich standgehalten hat, ist das Begriffspaar Vater und Mutter oder, wie es in zahllosen Sprachen und in unserem Kinderidiom zu lauten pflegt, Papa und Mama, nebst einigen ihm ähnlichen Lautvariationen wie Tata und Nana usw. Ich habe auf Grund verschiedener Vokabularien eine Statistik der Häufigkeitsverhältnisse dieser Lautpaare mit ihrer spezifischen Verteilung der Konsonanten auf Vater und Mutter gegenüber anderen, abweichenden zu gewinnen gesucht. Es ergab sich, daß ungefähr 80 Prozent der herbeigezogenen Sprachen dem Papa- und Mama-Typus oder den ihm analogen Lautvariationen folgen und nur etwa 20 Prozent davon abweichen. Dieses Resultat mag sich ja auf Grund umfassenderer Ermittlungen verschieben; aber daß es seine Richtung wesentlich ändern werde, ist schwerlich anzunehmen. Ein solches Verhältnis kann aber um so weniger ein Produkt des Zufalls sein, je mehr es sich bei völlig stammesfremden Völkern, also unter Bedingungen bestätigt findet, welche die Abstammung der Wortpaare aus einer gemeinsamen Grundsprache ausschließen. Natürlich ist übrigens auch hier nicht das Kind selbst der Urheber dieser Auswahl nach der dem stärkeren Geschlecht der stärkere, dem schwächeren der schwächere Laut zugeteilt ist, sondern die Umgebung des Kindes hat diese frühesten Naturlaute desselben zu dieser Unterscheidung allerorten unter dem Antrieb der gleichen natürlichen Gefühlsassoziationen verwendet.

    Nach dem Vorbild dieser Lautvergleichungen des Vater- und Mutternamens wird nun in allen anderen Fällen zu verfahren sein, in denen sich die Vermutung analoger Beziehungen zwischen Laut und Bedeutung regen mag. Man wird demnach die hier maßgebenden Grundsätze wohl in die drei Regeln zusammenfassen können:

1. Nie ist ein einzelner Fall oder eine relativ kleine Zahl von Fällen entscheidend, sondern die in einer bestimmten Richtung liegenden Beziehungen zwischen Laut und Bedeutung müssen so zahlreich sein, daß die Wahrscheinlichkeit eines Zufalls ausgeschlossen ist.

2. Diese Beziehungen müssen sich in hinreichend vielen stammesfremden Sprachen vorfinden. Wo sie in noch so vielen Idiomen einer und derselben Sprachengruppe auftreten, da sind die Übereinstimmungen, weil sie mutmaßlich auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgehen, bedeutungslos.

3. Die gefühlsmäßige Affinität zwischen Laut und Bedeutung, die in einer bestimmten sprachlichen Erscheinung konstatiert werden soll, muß in anderen, womöglich noch offenkundigeren Assoziationen der gleichen Art ihre Stütze finden. Damit werden von selbst zugleich solche Übereinstimmungen ausgeschlossen, die nicht auf einer selbständigen Entwicklung aus den gleichen psychischen Grundmotiven, sondern auf einer äußeren, durch Wanderung und Verkehr vermittelten Übertragung beruhen, wie das in vielen Fällen bei den Zahlwörtern oder bei den Bezeichnungen von Gebrauchsgegenständen – man denke z. B. an das berühmte Wort Sack – angenommen werden kann.

    Wenn man nun von diesen drei Grundsätzen ausgeht, so bilden, wie ich glaube, Ortsadverbien und hinweisende Pronomina ein Gebiet sprachlicher Formen, bei denen eine gefühlsmäßige Assoziation zwischen Größe der Entfernung und Lautbildung in einer den Zufall ausschließenden Zahl von Fällen in dem Sinne besteht, daß ein intensiverer Laut oder auch ein dunklerer Vokalklang der größeren, ein schwächerer Laut oder ein hellerer Vokal einer kleineren Entfernung assoziiert ist, mag sich diese Lautabstufung zwischen bloß zwei oder, wie etwa in den drei polynesischen Formen ni, na, ra, in der Bedeutung hier, dort, dort in der Ferne, zwischen drei Gliedern bewegen. Die beiden ersten der obigen Forderungen sind nun bei den für diesen Zusammenhang aufzubringenden Beispielen durchaus erfüllt: die Zahl der Fälle ist nicht so groß wie bei Vater und Mutter, aber immer noch groß genug, um ein zufälliges Zusammentreffen unwahrscheinlich zu machen, und die Beispiele beziehen sich zum großen Teil auf stammesfremde Sprachen. An Bedingungen, die eine Wanderung begünstigen, läßt sich aber in diesem Falle nicht gut denken. Ebenso trifft die dritte Forderung zu: analoge Ausdrucksmodifikationen, bei denen die Lautverstärkung, Dehnung oder, was einer solchen im Effekt wesentlich gleichkommt, die Lautwiederholung eine Steigerung der Größe, der Entfernung oder eventuell der Zahl bedeutet, begegnen uns vielfach in der Sprache, namentlich in den relativ primitiven Formen derselben. Zahlreiche Belege hierzu hat schon A. F. Pott in seiner noch immer lesenswerten Schrift über Doppelung (1862) aus allen möglichen Sprachen zusammengetragen. Besonders charakteristische Beispiele teilt Westermann in seinem Wörterbuch und seiner Grammatik der in Deutsch-Togo gesprochenen Ewe-Sprache mit 2). Gleich den meisten anderen Sprachen des Sudan hat das Ewe Demonstrativpartikeln für kleine, mittlere und große Entfernungen, und es drückt dabei die Feme durch den tieferen, die Nähe durch den höheren Vokalton aus. Die nämlichen Lautunterschiede verwendet es aber bei Eigenschaftsbegriffen: ein Adjektiv mit Tiefton und verlängertem Vokal bezeichnet einen großen, dasselbe mit Hochton und verkürztem Vokal einen kleinen Gegenstand. Beim Verbum drückt der tiefe Vokal das Leiden, der hohe die Tätigkeit aus. Dieser letztere Gegensatz ist offenbar der konstanteste und verbreitetste: er erstreckt sich über das ganze Gebiet der Sudan-, der Bantu-, der hamitischen und einen großen Teil der semitischen Sprachen. Soll man nun diese Parallelen sämtlich für reine Zufallsprodukte halten? Gewiß, die Sprachgeschichte als solche kann auf die Frage nach dem Ursprung dieser Analogien zwischen stammesfremden Sprachen keine Antwort geben. Aber wenn sich der Historiker aus den Höhen der reinen Sprachvergleichung einmal in eine Kinderstube versetzt denkt, in der Märchen erzählt werden, wird er vielleicht doch an seiner Zufallshypothese irre werden. Er wird bemerken, daß, wenn das Märchen von Riesen und furchtbaren Ungeheuern oder von Zwergen und freundlichen Elfen handelt, die großen und furchterregenden Wesen mit tiefer, die kleinen und glückbringenden mit hoher Stimme erwähnt werden, und daß diese, wenn sie den Schmerz und die Trauer des Märchenhelden schildert, wiederum einen tieferen Klang annimmt. Solche Lautänderungen sind eben natürliche Ausdrucksmittel für den Gegensatz der Gefühle, und Naturvölker sind zwar keine Kinder, aber ihre Sprachen haben immerhin die Spuren des natürlichen Gefühlsausdrucks lebendiger bewahrt, als dies zumeist in den Sprachen der Kulturvölker geschehen ist. 2) Diedrich Westermann, Wörterbuch der Ewe-Sprache, 1905, Einleitung, S. 15*. Grammatik der Ewe-Sprache, 1907, S. 44 ff. Vgl. auch C. Meinhof, Die moderne Sprachforschung in Afrika 1910, S, 75 ff.
 
 
    Wenn übrigens in einem Fall die Dehnung eines Vokallautes, in einem anderen Reduplikation oder Wortwiederholung als Mittel der Begriffssteigerung dienen, so sind das an sich Ausdrucksformen von verwandter Beschaffenheit: man denke nur an die besonders in den romanischen Sprachen verbreiteten superlativen Wiederholungsformen, wie alto alto für "sehr hoch", oder an die auf frühere Stufen der Sprachentwicklung zurückreichenden Wortverdopplungen für sich wiederholende Gegenstände oder Vorgänge. Nun kann man freilich sagen, hier sei die Beziehung augenfälliger. Aber jene natürlichen Lautmetaphern für Entfernungs- und Größenunterschiede stehen jedenfalls hinter Papa und Mama nicht zurück. In beiden Fällen wird, was etwa für unsere Verständnisstufe, die ja mit der des Naturmenschen nicht verwechselt werden darf, unsicher bleiben sollte, durch die deutliche Beziehung zu ausgesprocheneren, auch uns augenfälligen Erscheinungen der gleichen Art und durch die Zahl der Fälle gedeckt. Ich glaube darum, daß diese Wahrscheinlichkeit es immer noch mit manchen der Analogiebildungen, die wir zur Erklärung gewisser Lautabweichungen widerspruchslos zulassen, sehr wohl aufnehmen kann. Auf keinen Fall scheint mir aber hier das Argument zulässig zu sein, das Paul anführt: über die Bedeutung solcher Formen lasse sich ohne eine genaue sprachgeschichtliche Untersuchung, die bei vielen Sprachen nicht möglich sei, nichts entscheiden. Unter diesem Gesichtspunkt würden wir auch Formen wie belfern, plappern, poltern und viele andere nicht als Lautbilder anerkennen dürfen, weil uns die sprachgeschichtliche Untersuchung über sie höchstens dies lehrt, daß sie zu einem bestimmten Zeitpunkte da sind, daß man aber weiteres über ihre Herkunft in der Regel nicht weiß. Mit der Frage, ob ein Lautgebilde irgendwie "onomatopoetisch" sei oder nicht, hat die sprachgeschichtliche Untersuchung überhaupt nichts zu tun. Auch ist es für diese Frage vollkommen gleichgültig, ob ein bestimmtes Wort von Uranfang an onomatopoetisch war, oder ob es dies erst im Verlauf der Lautgeschichte geworden ist. Die Geschichte kann uns höchstens lehren, daß in einzelnen Fällen ein Wort durch lautgesetzliche Änderungen, die an sich von Schallnachahmungen und Lautmetaphern unabhängig sind, gleichwohl onomatopoetisch geworden ist. Aber erstens kann das wohl in einem einzelnen Fall, aber es kann nicht in einer großen Zahl stammesfremder Sprachen bei denselben Begriffsklassen in übereinstimmendem Sinne stattfinden, ohne daß man dem Zufall eine allen Regeln der Wahrscheinlichkeit widerstreitende Macht einräumt. In der Tat könnte man dann ziemlich mit dem gleichen Rechte annehmen, auch das Wort Kuckuck habe, wie Lazarus Geiger und Max Müller dereinst behaupteten, mit dem Ruf des bekannten Vogels gar nichts zu tun. Sodann sind zweitens die Bedingungen hier in jeder Beziehung andere, ja entgegengesetzte zu denen, wie sie z. B. bei dem Ablaut im deutschen Verbum stattfinden. Lautänderungen, wie "binde, band, gebunden", "finde, fand, gefunden" u. dgl. sind nicht nur über weit voneinander abliegende Verbalbegriffe zerstreut, sondern es läßt sich auch zwischen den Tempusbegriffen und den ihnen entsprechenden Ablautformen nirgends eine andere analoge Beziehung von Laut und Begriff auffinden. An eine Lautmetapher kann man also hier um so weniger denken, als die massenhaften Lautassoziationen, die die Erscheinungen gleichförmig gestalten konnten, als vollkommen zureichende Bedingungen für die Bildung der Formen erscheinen. Nichtsdestoweniger meine ich, daß man selbst hier in gewissen Fällen angesichts der Komplikation der Bedingungen, die bei der Bildung der Sprachformen wahrscheinlich ist, die Möglichkeit eines Zusammenwirkens von Laut- und Bedeutungsassoziationen nicht ohne weiteres zurückweisen kann. Ein Beispiel hierfür ist vielleicht das erst in neuhochdeutscher Zeit zu dem aus dem Lateinischen assimilierten Verbum "plagen" ("Plage" = plaga Schlag) gebildete Intensivum "placken". Sollte einmal ein solches Intensivum entstehen, so mußte es natürlich der Analogie von "bücken" aus "biegen", "schmücken" aus "schmiegen" usw. folgen. Aber mußte denn überhaupt in diesem Fall ein Intensivum gebildet werden? Und konnte nicht eben dies, daß jene nach der Analogie der anderen Intensiva vorgenommene Lautänderung das Wort auch lautlich zu einem adäquaten Ausdruck der Begriffsnuance gemacht hat, zu der Angleichung an die schon bestehenden Vorbilder geführt haben? Läßt man dies gelten, so ist auch die Möglichkeit nicht abzuweisen, daß solche Intensivbildungen ursprünglich bei Begriffen begonnen haben, bei denen die Lautverstärkung als eine Art Lautmetapher gelten konnte, und daß dieser Ursprung dann erst bei der Ausbreitung des Phänomens durch reine Lautassoziationen verwischt wurde. Natürlich ist dies, weil es sich um ein singuläres Phänomen handelt, durchaus problematisch. Aber wir sollten doch bei so komplexen Erscheinungen wie denen der Sprache niemals vergessen, daß die Nachweisung einer einzelnen Bedingung die Mitwirkung anderer Bedingungen nicht ausschließt, und daß die Ausbreitung einer Erscheinung durch bloße Lautassoziationen zwar eben diese Ausbreitung, aber nicht im mindesten den Ursprung der Erscheinung selbst begreiflich macht. Man befindet sich hier in einer ähnlichen Lage wie den "Lois de l'imitation" der französischen Soziologie gegenüber, die auch alle möglichen sozialen Erscheinungen erklären sollen, aber leider ganz im dunkeln lassen, wie das entstanden ist, was sich durch Imitation verbreitet haben soll.

    Von diesem Gesichtspunkte aus möchte ich nun auch schließlich noch ein Wort zugunsten der Lautmetaphern in den hebräischen Konjugationsformen einlegen, eine Annahme, bei der ich mich ja übrigens mit angesehenen Hebraisten der Gegenwart wie Ed. Koenig im Einklang befinde. Daß das Hebräische charakteristische Lautmodifikationen im Schlußkonsonanten der zweisilbigen Verbalstämme darbietet, die den Bedeutungsmodifikationen parallel gehen, ist bekannt. Sie sind für das, was ich oben Lautmetaphern genannt habe, bezeichnender als die onomatopoetischen Neubildungen im Deutschen, weil von einer wirklichen Schallnachahmung bei ihnen meist noch viel weniger die Rede sein kann. Man nehme z. B. eine Wortreihe wie para lösen, parad trennen, paras zerstreuen, parak brechen, parar spalten usw. Eine einzelne unter diesen Formen würde natürlich ganz bedeutungslos sein. Aber wenn man sie in ihrem Zusammenhang übersieht, so kann an einem Parallelismus von Laut- und Bedeutungsmodifikation kaum gezweifelt werden, um so weniger, da sich hier verschiedene Reihen, in denen die Lautmodifikationen in übereinstimmendem Sinne wie in dieser stattfinden, wechselseitig stützen. Den gleichen Gesichtspunkt werden wir nun auch auf die Formen des Piël, Pual, Hiphil, Hophal usw. des hebräischen Verbums anwenden und dabei übrigens wiederum an eine Komplikation mit rein lautlichen Assoziationen denken dürfen, die beide sich bald durchkreuzen, bald auch wechselseitig unterstützen können. Von dem u-Laut des Pual als des Passivum ist schon oben die Rede gewesen: es ist die gleiche Vertiefung des Vokaltons, die als Ausdruck des Leidens über ein weites Gebiet afrikanischer Sprachen verbreitet und in den Sprachen des Sudan eng mit Eigenschaftsbezeichnungen von verwandtem Charakter verbunden ist. Ein weiteres Zeugnis für ein Mitwirken solcher Gefühlsassoziationen kann man aber wohl darin erblicken, daß auf dem gesetzmäßigen Wege dieser Abwandlungen des Verbums gelegentlich aus Formen, die jeder Beziehung zwischen Laut und Bedeutung bar sind, Modi entstehen, deren onomatopoetischer Klang sofort ins Gehör fällt. Schwerlich wird z. B. jemand in den Formen gara ziehen, zalal klingen, eine Lautmetapher sehen. Aber kaum wird man umgekehrt in den zugehörigen Palpelformen garar gurgeln und zilzel klingeln eine solche leugnen können.

    Gewiß darf man demnach verlangen, daß, wer immer über Ursprung und Bedeutung sprachlicher Formen Rechenschaft geben will, vor allem deren geschichtliche Entwicklung zu Rate ziehe. Doch die Laut- und die leider noch wenig ausgebaute Bedeutungsgeschichte für sich allein reichen nicht aus, um Phänomene zu deuten, in deren Entwicklung fortwährend teils physische, teils psychische Bedingungen eingreifen. Wenn ich diesen Gesichtspunkt betone, so glaube ich darum den mir gelegentlich gemachten Vorwurf, ich suchte die Geschichte aus der Interpretation der Sprache zu eliminieren, wahrlich nicht zu verdienen. Gerade weil die historische Sprachwissenschaft schon von sich aus mehr und mehr das Bedürfnis nach psychologischer Interpretation empfunden und damit sich genötigt gesehen hat, auf die noch in der Sprache der Gegenwart tätigen Kräfte der Neubildung und der Veränderung Rücksicht zu nehmen, ist ja endlich auch die dereinst mit Vorliebe von den Sprachhistorikern geflegte Vorstellung von einem geheimnisvollen Urzustand, dessen Wesen von uns nie zu ergründen und der der Ausgangspunkt aller geschichtlichen Entwicklung gewesen sei, glücklich verschwunden. Hermann Paul selbst hat sich in seinen "Prinzipien der Sprachgeschichte" dadurch ein besonderes Verdienst erworben, daß er auf die reiche Belehrung hinwies, die wir den Erscheinungen der lebenden Sprache entnehmen können. Doch der fruchtbaren Anregung, die er dadurch gegeben, entspricht sein methodologischer Grundsatz, aus der Geschichte allein sei das gegenwärtige Leben der Sprache zu interpretieren, nur teilweise. Er bedarf der Ergänzung durch seine Umkehrung: nur aus den Motiven, die noch in der Gegenwart das Leben der Sprache bestimmen, ist auch ihre Vergangenheit zu verstehen. Wie wir aber auf diese Motive, die doch mindestens zu einem guten Teil psychische Motive sind, zurückschließen sollen, ohne die Psychologie zu Rate zu ziehen, vermag ich nicht zu begreifen.

    Der etwas einseitige Historismus, der zu seiner Zeit seine gute Berechtigung in der Sprachwissenschaft hatte, und der heute zuweilen auch noch da angewandt wird, wo er nicht zum wenigsten durch die verdienstvolle Arbeit der Germanisten obsolet geworden ist, führt aber leider nicht selten eine weitere Einseitigkeit mit sich. Der Indogermanist läßt höchstens noch den Semitisten auf seinem Gebiete gelten, und ebenso dieser jenen. Andere Sprachgebiete, vollends die Sprachen der sogenannten Naturvölker, hält man für nicht beachtenswert, weil sie angeblich "keine Geschichte haben". Diese Behauptung entbehrt aber der Berechtigung. Allerdings, viele der Völker, um deren Sprachen es sich hier handelt, haben keine irgendwie sicher bezeugte Geschichte, die mehr als eine ziemlich nahe Vergangenheit umfaßt. Aber besitzen wir denn eine Geschichte der Indogermanen aus der Zeit, in die die früheste Geschichte ihrer Sprachen zurückreicht? Das ist bekanntlich so wenig der Fall, daß ein guter Teil dessen, was wir über diese Urzeit erschließen, der Sprache selber entnommen ist. Sprachgeschichte und Volksgeschichte sind eben keineswegs dasselbe. Die Quellen der Sprachgeschichte fließen unabhängig von aller Tradition in den dialektischen Verschiedenheiten, den Beziehungen zu anderen Sprachen, endlich zum Teil auch in den nachweisbaren Veränderungen in jüngerer Zeit. In diesem Sinne besitzen wir aber eine Sprachgeschichte nicht bloß von den Sprachen der Kulturvölker, sondern wertvolle Beiträge zu einer solchen auch von zahlreichen Sprachen der Naturvölker, in sprachvergleichenden Studien, die an strenger Methodik ähnlichen Zweigen der indogermanischen Philologie nicht mehr wesentlich nachstehen. Ich erinnere nur aus den Publikationen der letzten Jahre an C. Meinhofs Arbeiten über das Bantu, D. Westemanns über die Ewe-Sprache und das Ful, P. W. Schmidts über indonesische und ozeanische Sprachen u. a. Die Sprachen der Naturvölker bieten aber, so sehr sie in mancher Beziehung hinter den reicher ausgebildeten Kultursprachen zurückstehen mögen, für die psychologische Betrachtung jedenfalls einen unschätzbaren Vorteil: manche Ausdrucksformen der Begriffe verraten hier häufiger noch eine Affinität zwischen Laut und Bedeutung, als dies bei den Sprachen der Kulturvölker der Fall zu sein pflegt. Jene tragen vielfach noch das Gepräge einer Stufe der Sprachbildung, auf der der unmittelbar der Anschauung entstammende Antrieb zur Wortbildung mehr in seiner ungebrochenen, weniger durch Tradition und Kultur gehemmten Kraft zu beobachten ist, ähnlich wie das ja auch bis zu einem gewissen Grade selbst bei unserer Volkssprache in ihrem Verhältnis zur Schriftsprache zutrifft. Vor allem, wo es sich um den "Ursprung der Sprache" handelt, sollten darum, wie ich meine, diese trotz der langen geschichtlichen Vergangenheit, die auch sie hinter sich haben, doch in mancher Beziehung primitiveren und gewissermaßen naiveren Sprachformen nicht vernachlässigt werden.