Fünfter Abschnitt.

Von den Bewegungen.

Einundzwanzigstes Kapitel.

Reflex- und Willkürbewegungen.

    Der innere Zustand eines lebenden Wesens gibt sich dem außerhalb stehenden Beobachter einzig und allein in den Bewegungen zu erkennen. Nur die Selbstbeobachtung vermag neben dieser äußeren Folgeerscheinung gleichzeitig ihre inneren Ursachen aufzufassen. Doch gilt auch dies nur für einen Teil der eigenen Bewegungen. Viele derselben geschehen ohne Bewußtsein. Die meisten sind uns wenigstens in Bezug auf ihren Verlauf unbekannt; wir sind uns nur im allgemeinen des Zieles bewußt, welchem die Bewegung zustrebt. Wo nun innere Ursachen durch die Selbstbeobachtung zu erfassen sind, da führen dieselben am häufigsten auf Affekte und Triebe zurück. Diese Zustände sind aber, wenn auch in schwachen Graden, wahrscheinlich immer in uns wirksam1). Es ist daher zu vermuten, daß auch die im gewöhnlichen Sinne affektlosen Bewegungen aus solchen leise anklingenden Gemütsbewegungen entspringen. Als nächste Quelle der äußern erscheint so die innere Bewegung.

l) Siehe oben Kap. XX.

    Diejenigen Bewegungen aus innerem Antriebe, deren Ursprung mehr oder weniger deutlich von der Selbstbeobachtung erfaßt werden kann, gehen ohne bestimmte Grenze in jene anderen über, die ohne unser Wissen entstehen und ablaufen. Diese nahe Beziehung der bewußten und der unbewußten Bewegungen verrät sich hauptsächlich in zwei Erscheinungen. Zunächst ist uns fast immer nur ein kleiner Teil eines bewußten Bewegungsaktes wirklich bewußt. In seltenen Fällen nur verfolgen wir den Verlauf einer Bewegung von Anfang bis zu Ende mit Aufmerksamkeit. Die Regel ist es durchaus, daß wir nur im allgemeinen das Ziel im Auge haben, die Ausführung im einzelnen aber einem angeborenen oder eingeübten Mechanismus überlassen. Ferner können Bewegungen, denen ursprünglich eine bewußte Absicht zu Grunde lag, nach häufiger Wiederholung auch ohne solche, vollkommen unbewußt ausgeführt werden. Ein großer Teil der Bewegungen bei unsern täglichen Beschäftigungen gehört hierher. Meistens geht dabei allerdings noch der erste Anstoß von unserm Willen aus; zuweilen können wir aber auch einen ganzen Bewegungsakt oder sogar eine Reihe zusammengesetzter Bewegungen von Anfang bis zu Ende ohne Bewußtsein vollbringen, um erst dann, manchmal mit Überraschung, den Effekt wahrzunehmen. Überdies sind beide Bewegungen in ihrer ganzen Erscheinungsweise einander nahe verwandt. Das beste Dokument hierfür ist die Tatsache, daß noch jetzt die Bewegungen enthaupteter oder sonst an ihren Zentralorganen verstümmelter Tiere von vielen Physiologen für bewußte und von andern für unbewußte gehalten werden. Das Übereinstimmende dieser Bewegungen, das dem außerhalb stehenden Beobachter die Frage so schwer macht, liegt darin, daß sie nicht nur auf gewisse Zwecke gerichtet sind, sondern daß auch eine deutliche Anpassung an äußere Verhältnisse stattfindet, indem Hindernisse umgangen und unter verschiedenen Bewegungen anscheinend diejenigen gewählt werden, die unter den zufällig gegebenen Bedingungen dem Zweck am besten entsprechen. Trotzdem kann man unmöglich alle Bewegungen der Tiere, welche zweckmäßig und mit Anpassung geschehen, als bewußte Handlungen auffassen. Denn erstens beobachten wir bei uns selber Bewegungen, die den nämlichen Charakter an sich tragen, ohne stattfindendes Bewußtsein, und zweitens fehlen bei jenen Bewegungen der Tiere sehr häufig andere Erscheinungen, die wir als wesentliche Kennzeichen des Bewußtseins betrachten müssen.
    Hiernach bleiben zwei Vorstellungen über die Natur der in Rede stehenden Bewegungen möglich. Man kann dieselben entweder als unbewußte psychische Akte ansehen, ausgehend von unbewußten Empfindungen und Wahrnehmungen oder gar von unbewußten Willensantrieben. Oder man kann sie als rein mechanische Erfolge der in der Organisation und den physiologischen Eigenschaften des Nervensystems gegebenen Bedingungen betrachten. Die erste dieser Vorstellungen führt zu den unwahrscheinlichsten Folgerungen. Eine unbewußte Seele dieser Art müßte zunächst alle Eigenschaften besitzen, die wir dem Bewußtsein beilegen, deutliche Vorstellungen von dem Ort und der Richtung der Objekte, Assoziation der gegenwärtigen Eindrücke mit früheren Vorstellungen. Noch mehr, ihr müßte unter Umständen ein Maß von Einsicht und Überlegung zugeschrieben werden, wie es der bewußten keineswegs zu Gebote steht. Denn bei unsern willkürlichen Handlungen machen wir überall von eingeübten Bewegungen Gebrauch, über die wir uns im Moment der Ausführung nicht die geringste Rechenschaft geben. Will man alle diese Dinge auf ein unbewußtes geistiges Geschehen zurückführen, so kann man dabei doch des Mechanismus, der zusammenhängende Bewegungen in der bestimmten Form möglich macht, nicht im geringsten entbehren. Wohl aber wird, sobald man einmal diesen Mechanismus statuiert hat, jene unbewußte Seele eine überflüssige und nichtssagende Zutat. Auch widerspricht weder die Zweckmäßigkeit der Bewegungen noch ihre Anpassungsfähigkeit an äußere Bedingungen einer Ableitung aus mechanischen Ursachen. Jede Maschine ist zur Ausführung zweckmäßiger Bewegungen geschickt und kann nötigenfalls durch Vorrichtungen der Selbstregulierung innerhalb gewisser Grenzen veränderten Bedingungen ihrer Wirksamkeit angepaßt werden. Es ist zwar zuzugeben, daß die Selbstregulierungen, welche vorausgesetzt werden müssen, um die mannigfachen Modifikationen bewußtloser tierischer Bewegungen zu erklären, teilweise außerordentlich verwickelter Art sind. Aber wo ist, wenn man einmal das Prinzip des Mechanismus zuläßt, die Grenze, von der an die tierische Maschine nicht mehr zureicht? Alle Versuche, eine solche Grenze festzustellen, führen zu willkürlichen Scheidungen. Es bleibt nur übrig, entweder in dem einfachsten Reflexvorgang schon ein Minimum von Bewußtsein und Willen anzuerkennen, was zu einer bloßen Fiktion dieser Begriffe führt; oder man muß alle Bewegungen bei denen ein Bewußtsein nach der erfahrungsmäßigen Bestimmung dieses Begriffes nicht nachweisbar ist, als vollständig vorgebildet in der physiologischen Organisation des Nervensystems ansehen. Nun sehen wir aber, daß auch bei den bewußten Handlungen keineswegs der Ablauf der Bewegungen bekannt ist, sondern daß entweder die Bewegung überhaupt erst nach ihrem Ablauf, oder daß nur im allgemeinen das Ziel derselben bewußt wird während die Ausführung selbst durchaus dem nämlichen Mechanismus überlassen bleibt, welcher sich bei den unbewußten Bewegungen wirksam erweist. Will man also bestimmen, wo der Mechanismus aufhört, und wo der Wille anfängt, so ist die Frage überhaupt falsch gestellt. Denn man setzt hier Begriffe einander gegenüber, die gar keine Gegensätze sind. Vorgebildet in den mechanischen Bedingungen des Nervensystems sind alle Bewegungen. Alle setzen ein Ineinandergreifen von Prozessen voraus, bei denen durch mannigfache Selbstregulierungen eine weitgehende Anpassung an die äußeren Bedingungen der Bewegung stattfindet. Der Mechanismus dieser Selbstregulierungen ist uns verhältnismäßig am klarsten in jenen Fällen vor Augen gelegt, wo sich die einzelnen Nervenzentren, durch deren wechselseitige Einwirkung die Regulation erfolgt, in räumlich getrennten Organen befinden, wie bei der früher besprochenen Selbststeuerung der Atmung, der Herz- und Gefäßinnervation u. s. w.2). Viel unvollkommener ist natürlich unsere Einsicht, wenn alle Vorrichtungen in einem einzigen Zentralorgane vereinigt sind, wie dies bei allen Bewegungen stattfindet, die in höherem Grade dem Einfluß des Willens unterliegen. Hier werden wir uns dann in einzelnen Fällen einer inneren Erregung bewußt, die wir nun als die unmittelbare innere Ursache der äußeren Bewegung auffassen. Darum erfolgt jedoch diese nicht minder gemäß den Gesetzen des physiologischen Mechanismus. Hiernach haben wir zunächst alle Bewegungen aus innerm Antrieb in ihrer Abhängigkeil von den physiologischen Bedingungen des Nervensystems zu betrachten, und dann erst zu fragen, welche Kennzeichen denjenigen Bewegungen speziell zukommen, bei denen zugleich innere, psychologische Ursachen entweder der Selbstbeobachtung unmittelbar zugänglich sind oder aber durch die äußere Beobachtung wahrscheinlich werden.

2) Vergl. Kap. V.

    Die einfachsten mechanischen Bedingungen sind offenbar bei der einfachen Reflexbewegung gegeben, welche bei Tieren an den Rückenmarksreflexen nach Entfernung des Gehirns, beim Menschen zuweilen im Schlafe zu beobachten ist. Sehr oft hat dieser Reflex nicht einmal das Hauptkennzeichen der Zweckmäßigkeit, welches allgemein den Bewegungen aus innerem Antrieb zukommt. Der einwirkende Reiz hat eine auf den gereizten Körperteil beschränkte oder weiter verbreitete Zuckung zur Folge, welche auf kein bestimmtes Ziel gerichtet ist. Die schwächsten und die stärksten Reflexe pflegen diesen zwecklosen Charakter an sich zu tragen. So reagiert z. B. ein enthauptetes Tier auf Berührung in der Regel durch eine beschränkte, meist erfolglose Zuckung. Bei sehr gesteigerter Reizbarkeit des Rückenmarks aber, z. B. nach Strychninvergiftung, verfällt es nach jedem Reiz in allgemeine Krämpfe. Auch in den im Kap. IV angeführten Gesetzen der Reflexleitung kommen offenbar nur die mechanischen Bedingungen der Fortpflanzung des Reizes zum Ausdruck.
    Anders gestalten sich die Erscheinungen meistens bei Reflexbewegungen von mittlerer Stärke. Ein enthaupteter Frosch bewegt das Bein gegen die Pinzette, mit der man ihn reizt, oder er wischt den Tropfen Säure, den man auf seine Haut bringt, mit dem Fuße ab. Einer mechanischen oder elektrischen Reizung sucht er sich zuweilen durch einen Sprung zu entziehen. In eine ungewöhnliche Lage gebracht, z. B. auf den Rücken gelegt, kehrt er wohl auch in seine vorherige Körperlage zurück. Hier führt also der Reiz nicht bloß im allgemeinen eine Bewegung herbei, die sich mit zunehmender Reizstärke und wachsender Reizbarkeit von dem gereizten Körperteil ausbreitet, sondern die Bewegung ist angepaßt dem äußeren Eindruck. Im einen Fall ist sie eine Abwehrbewegung, in einem zweiten ist sie auf Beseitigung des Reizes, in einem dritten auf Entfernung des Körpers aus dem Bereich des Reizes, in einem vierten endlich auf Wiederherstellung der vorigen Körperlage gerichtet. Noch deutlicher tritt diese zweckmäßige Anpassung an den Reiz in den namentlich von pflüger und auerbach ausgedachten Versuchen hervor, in denen man die gewöhnlichen Bedingungen der Bewegung irgendwie abändert. Ein Frosch z. B., dem auf der Seite, auf welcher er mit Säure gereizt wird, das Bein abgeschnitten wurde, macht zuerst einige fruchtlose Versuche mit dem amputierten Stumpf, wählt dann aber ziemlich regelmäßig das andere Bein, welches beim unverstümmelten Tier in Ruhe zu bleiben pflegt3). Befestigt man den geköpften Frosch auf dem Rücken und benetzt die innere Seite des einen Schenkels mit Säure, so sucht er die letztere zu entfernen, indem er die beiden Schenkel an einander reibt; zieht man nun aber den bewegten Schenkel weit vom andern ab, so streckt er diesen nach einigen vergeblichen Bewegungen plötzlich herüber und erreicht ziemlich sicher den Punkt, welcher gereizt wurde4). Zerbricht man endlich geköpften Fröschen die Oberschenkel und ätzt man, während sie sich in der Bauchlage befinden, die Kreuzgegend, so treffen sie, trotz dieses störenden Eingriffs mit den Füßen der zerbrochenen Gliedmaßen die geätzte Stelle5).

3) Pflüger, die sensorischen Funktionen des Rückenmarks S. 125.
4) Auerbach in GÜNSBURG's Zeitschr. f. klin. Med. IV, S. 487.
5) Goltz, die Funktionen der Nervenzentren des Frosches S. 116.

    Diese Beobachtungen, die noch mannigfach variiert werden können, zeigen, daß das seines ganzen Gehirns beraubte Tier seine Bewegungen den veränderten Bedingungen in einer Weise anpassen kann, die, wenn Bewußtsein und Wille dabei im Spiele sein sollten, offenbar eine vollständige Kenntnis der Lage des ganzen Körpers und seiner einzelnen Teile voraussetzen würde. Das Tier, welches die Abwehrbewegung ausführt, müßte genau die gereizte Stelle erkennen und den Umfang der ausgeführten Bewegung ermessen; der Frosch, dessen Bein man gewaltsam abduziert hat, müßte von der Lage desselben eine richtige Vorstellung besitzen. Eine so umfangreiche Kenntnis seiner eigenen Körperzustände können wir nun dem enthaupteten Tier aus zwei Gründen nicht zuschreiben. Erstens besitzt der Mensch selbst, wenn er sich bei hellstem Bewußtsein befindet und vollständig Herr seines Willens ist, dieselbe kaum in der hier vorausgesetzten Weise. Wenn wir irgendwo einen Schmerz fühlen und nun mit Absicht die schmerzende Stelle berühren, so ist keineswegs erforderlich, daß wir uns zuvor ein genaues Bild derselben gemacht haben. Der Wille für sich genügt, um fast mit absoluter Sicherheit den schmerzenden Punkt zu treffen; über das genauere Lageverhältnis desselben geben wir uns aber vielleicht gar nicht, vielleicht erst nachträglich Rechenschaft, indem wir ihn durch eigenes Befühlen und Besehen näher bestimmen. Der willkürliche Gebrauch unserer Bewegungsorgane und die bewußte Reaktion auf äußere Reize würden ausnehmend erschwert sein, wenn wir in jedem einzelnen Fall von dem Maße der auszuführenden Bewegungen und von dem Orte der Empfindung eine klare Vorstellung haben müßten; Eine dunkle Vorstellung reicht aber, wenn man den ganzen Vorgang psychologisch erklären will, nicht aus, denn sie würde die genaue Anpassung der willkürlichen Bewegung an den äußeren Eindruck nicht erklären. Also bleibt nur übrig anzunehmen, daß der Wille einen sicher arbeitenden Mechanismus benutzt, dem er nur den ersten Impuls zu geben braucht, um eine genaue Befolgung seiner Befehle mit Berücksichtigung aller obwaltenden Umstände erwarten zu dürfen. Der erste und Hauptgrund, weshalb jene zweckmäßigen und den äußeren Bedingungen angepaßten Reflexe enthaupteter Tiere nicht Ausflüsse eines Bewußtseins sein können, ist also der, daß bei den bewußten Handlungen selbst gerade jene genaue Anpassung an die äußeren Bedingungen nur aus vorgebildeten Einrichtungen des physiologischen Mechanismus erklärt werden kann. Von dieser Seite fällt daher jedes Motiv weg, jenen Reflexen irgend einen Grad von Bewußtsein oder überhaupt von psychischer Tätigkeit im gewöhnlichen Sinne unterzuschieben. Wie der Wille nur ein innerer Reiz ist, der, nachdem er den ersten Anstoß zur Bewegung gegeben, den weiteren Ablauf der Selbstregulierung des physiologischen Mechanismus überläßt, so wird, wenn der letztere durch irgend einen äußeren Reiz ausgelöst wird, natürlich eine ähnliche Anpassung an die äußeren Umstände stattfinden, ohne daß eine bewußte Empfindung des Reizes hierzu erforderlich wäre.
    Zweitens fehlt dann aber auch in dem Verhalten des enthaupteten Tieres das wesentlichste Kennzeichen, welches uns auf das Vorhandensein von Bewußtsein könnte schließen lassen: nämlich irgend ein Merkmal, aus dem ein Fortwirken vorausgegangener Erregungen hervorginge. Keine einzige Bewegung erfolgt spontan. Ist die mehr oder weniger zweckmäßige Abwehrbewegung vollendet, so verharrt das Tier Stunden lang in der vollkommensten Ruhe, bis es etwa wieder durch einen neuen Reiz zu neuen Bewegungen gezwungen wird. In der Seele eines solchen Tieres können also die Eindrücke die Zeit ihrer Einwirkung nicht merklich überdauern. Momentane Empfindungen ohne Zusammenhang können aber kein Bewußtsein bilden, da sich das letztere gerade als ein durchgängiger Zusammenhang innerer Zustände darstellt. Die inneren Zustände eines Wesens, das einen Reiz mit einer augenblicklichen Bewegung beantwortet, ohne weitere Folgewirkung, kann man im Grunde mit nicht mehr Recht Empfindungen oder gar Vorstellungen nennen, als die innern Zustände aller Materie. Es gibt nur einen einzigen Fall, wo der innere Zustand zur Empfindung wird: dieser ist eben dort verwirklicht, wo die zeitlich getrennten Empfindungen in einen Zusammenhang treten. Nur in einer Beziehung könnten die Bewegungen enthaupteter Tiere auf die Ausbildung eines gewissen niederen Grades von Bewußtsein bezogen werden. Man sieht nämlich, daß dieselben bei häufiger Einwirkung des nämlichen Reizes sich allmälig vervollkommnen. Der amputierte Frosch, nachdem er einmal das Bein der andern Seite zur Entfernung der ätzenden Substanz gebraucht hat, macht in künftigen Fällen leichter die nämliche Bewegung wieder. Eine gewisse Einübung kann also hier augenscheinlich stattfinden. Es ist freilich nicht notwendig, daß eine solche auf Erinnerung beruht. Daß öfter ausgeführte Bewegungen bei neuen Anlässen mit immer größerer Sicherheit geschehen, liegt ja in den mechanischen Bedingungen des Nervensystems begründet. Anderseits läßt sich aber allerdings nicht unbedingt bestreiten, daß dabei eine dunkle Erinnerung nebenher gehen mag. Wir haben daher auch schon früher6) die Möglichkeit offen gelassen, in einem solchen Rest eines Nervensystems dürfte allmälig ein niederer Grad von Bewußtsein sich ausbilden. Sicher ist übrigens nach der Beobachtung, daß ein solches Bewußtsein, falls es existiert, höchstens durch kurze Zeiträume getrennte Empfindungen mit einander verbindet, und daß in ihm keine spontane Reproduktion früherer Eindrücke stattfindet, welche zu Bewegungen führen würde, die ohne direkte Anregung durch äußere Reize entstehen können.

6) Kap. XVIII.

    Diesen Mangel an jedem Bewußtsein, das eine Mehrheil zeitlich getrennter Empfindungen verbände, bezeugt nun auch das ganze Verhalten der enthaupteten Tiere. Läßt man bei den Versuchen, bei welchen der Ausführung einer bestimmten Bewegung absichtlich Hindernisse entgegengestellt sind, eine längere Zeit zwischen der Einwirkung der Reize verfließen, so sieht man immer wieder die nämlichen fruchtlosen Anstrengungen der endlich gelingenden richtigen Bewegung vorangehen, und in vielen Fällen kommt diese gar nicht zu Stande. Hier ist also auch der mechanisch erleichternde Einfluß der Übung schon wieder verloren gegangen. Schlagender noch ist der folgende von goltz ausgeführte Versuch7). Ein enthaupteter und ein geblendeter Frosch werden in ein Gefäß gesetzt, dessen Boden mit Wasser bedeckt ist, und das man dann allmälig von außen erhitzt. Ist die Temperatur auf 25°C. gestiegen, so wird der behirnte Frosch unruhig, er beginnt schneller zu atmen und sucht zuletzt durch verzweifelte Sprünge dem heißen Bad zu entrinnen, bis er, bei etwa 42°C, unter heftigen Schmerzäußerungen und tetanischen Krämpfen verendet. Indessen bleibt der enthauptete Frosch regungslos sitzen, bis endlich die Wärmestarre der Muskeln und der Tod eintritt. Wirft man einen zweiten Frosch, dessen Gehirn entfernt worden ist, plötzlich in das erhitzte Wasser, so verfällt er alsbald in heftige Krämpfe und stirbt so ähnlich dem unverstümmelten Tiere. Dieser Versuch zeigt sehr deutlich, wie der Mechanismus des Rückenmarks gemäß dem allgemeinen Gesetz der Nervenerregung nur auf solche Reize reagiert, die mit einer gewissen Geschwindigkeit einwirken, während ein allmälig anwachsender Reiz völlig wirkungslos bleibt. Bei dem hirnlosen Tier kommt nur dieses Gesetz der Nervenerregung zur Erscheinung. Nichts deutet darauf bin, daß in ihm ein Bewußtsein die allmälige Steigerung des Reizes wahrzunehmen, d. h. die momentane Empfindung in ihrem Verhältnis zu den vorangegangenen Empfindungen aufzufassen vermöge.

7) Goltz, Königsberger med. Jahrbücher II, S. 218. Funktionen der Nervenzentren des Frosches S. 127.

    Verwickeltere Bewegungen erfolgen auf die Einwirkung äußerer Reize, wenn die Großhirnlappen entfernt, aber die Hirnganglien, Vier-, Seh- und Streifenhügel, ganz oder teilweise erhalten geblieben sind. Wir haben die physiologische Bedeutung dieser Gebilde, wie sie sich teils aus dem Verhalten der Leitungsbahnen in denselben, teils aus den Erscheinungen nach ihrer Durchschneidung oder Ausrottung ergeben, im ersten Abschnitte schon besprochen8). Dort sind wir zu dem Ergebnisse gelangt, daß die Vier- und Sehhügel komplizierte Reflexzentren darstellen, indem in den ersteren die auf das Auge, in den letzteren die auf das Tastorgan wirkenden Eindrücke zusammengesetzte Bewegungen auslösen. Die Ganglien des Hirnschenkelfußes dagegen konnten mit Wahrscheinlichkeit als Organe aufgefaßt werden, in denen Erregungen, die von andern Zentralpunkten, namentlich von der Hirnrinde aus stattfinden, in kombinierte Bewegungen umgesetzt werden. Hier haben wir uns daher nur noch mit der Frage zu beschäftigen, ob und inwiefern die physiologische Funktion aller dieser Gebilde nebenbei etwa noch mit Empfindung und mit einem gewissen Grad von Bewußtsein verbunden sein möchte. Wollte man bloß den Maßstab der Zweckmäßigkeit und der Anpassung an die Beschaffenheit der Reize an die von jenen Zentralteilen ausgehenden Bewegungen anlegen, so würde man natürlich in ihnen einen viel deutlicheren Ausdruck psychischer Funktionen erkennen müssen als in den Rückenmarksreflexen. Ein Frosch, der seine Vierhügel noch besitzt, weicht, wenn er durch einen Reiz zu Fluchtbewegungen angeregt wurde, einem in den Weg gestellten Hindernis aus9). Wird die Unterlage, auf welcher das Tier sitzt, langsam gedreht, so verändert es dabei fortwährend die Lage seines Körpers in solcher Weise, daß das Gleichgewicht erhalten bleibt. Setzt man es z. B. auf die flache Hand und führt langsam eine Pronationsbewegung aus, so klettert es während derselben über die Kante der Hand hinweg und befindet sich nach Vollendung der Bewegung auf dem Handrücken10). Bringt man denselben Frosch in eine mit Wasser gefüllte Flasche, deren offener Hals in ein weites Wasserbecken getaucht wird, so veranlaßt ihn nach einiger Zeit das eintretende Atembedürfnis, unruhig an den Wänden der Flasche umherzusuchen, bis er schließlich den Ausgang gewinnt11). Selbst Kaninchen, deren Hirnlappen samt den Streifenhügeln sorgfältig abgetragen wurden, fliehen, wenn man sie reizt, bis irgend ein im Wege stehendes Hindernis sie aufhält12). Alle diese Erscheinungen zeigen, daß die in den genannten Hirnteilen anlangenden Erregungen nicht, wie im allgemeinen die Rückenmarksreflexe, nach der Ausführung einer einzigen zweckmäßigen und dem Eindruck mehr oder weniger angepaßten Bewegung ohne weitere Nachwirkung erlöschen. Vielmehr findet in der Regel eine ganze Reihenfolge zweckmäßiger Bewegungen statt, die schon aus diesem Grunde der Beschaffenheit des Eindrucks vollständiger angepaßt sein müssen. Aber in allem dem liegt noch kein Grund, diese Bewegungen als etwas von den Rückenmarksreflexen wesentlich verschiedenes aufzufassen, das aus einem physiologischen Mechanismus nicht mehr erklärt werden könnte. Es findet sich hier überall nur ein Gradunterschied, der wohl begreiflich wird, wenn wir erwägen, daß einem jeden jener kompliziertene Reflexzentren des Gehirns eine bestimmte Aufgabe in dem ganzen Zusammenhang der Leistungen des zentralen Mechanismus zugefallen ist. Es ist zwar richtig, die Selbstregulierungen, die hierbei vorausgesetzt werden müssen, um die Anpassung an die Art der Eindrücke zu erklären, sind unendlich viel verwickelter, als sie bei irgend einer der uns bekannten Maschinen, die von Menschenhand gebaut sind, vorkommen. Aber welcher Mechaniker möchte sich anheischig machen, auch nur eine Maschine zu konstruieren, welche die mannigfach veränderlichen Reflexe eines enthaupteten Frosches getreu nachahmte? Wir vermögen eben hier überall nur aus den allgemeinen Eigenschaften der zentralen Nervensubstanz die merkwürdige Vereinigung von mechanischer Sicherheit und anpassungsfähiger Veränderlichkeit der Bewegungen zu begreifen. Unsere rohen Kunsterzeugnisse werden niemals die Wirksamkeit jener Gebilde, die das vollendetste Produkt organischer Entwicklung sind, auch nur entfernt nachzuahmen im Stande sein. Der entscheidende Punkt bleibt hier immer die Frage: berechtigen uns irgend welche Erscheinungen anzunehmen, daß bestimmte Bewegungen nicht mehr die unmittelbaren mechanischen Erfolge vorangegangener Reize sind, und gibt es Anzeichen, welche auf eine Reproduktion früher vorangegangener Eindrücke hindeuten? In dieser Beziehung verhalten sich nun zweifellos solche noch ihre Vier- und Sehhügel besitzende Tiere gar nicht anders als völlig enthauptete. Sie bleiben zwar in der Regel aufrecht sitzen oder stehen; aber die Muskelspannungen, welche zu dieser Haltung führen, lassen sich als die unmittelbaren reflektorischen Erfolge der fortwährend auf die Haut stattfindenden Eindrücke ansehen. Dagegen ist keine Spur einer Bewegung wahrzunehmen, die nicht unmittelbar auf eine äußere Reizung zurückzuführen wäre. Eine Taube, deren Hirnlappen man entfernt hat, ein Frosch, dem das Großhirn von den Zweihügeln getrennt wurde, bleiben unverrückt Tage lang auf demselben Fleck. Nur wenn ein kleiner Teil der Hirnlappen erhalten blieb, ist nicht alle spontane Bewegung erloschen, und in solchem Fall kann sich diese sogar, vermöge der weitgehenden Vertretungen der Funktion, deren die einzelnen Teile der Hirnrinde fähig sind, fast vollständig wiederherstellen. Niemals aber ist bei gänzlichem Mangel des Hirnmantels und der ihn bedeckenden Rinde eine Lebensäußerung beobachtet worden, welche deutlich als eine spontane, nicht unmittelbar durch äußere Reize erweckte Bewegung zu deuten wäre13). Hieraus dürfen wir offenbar schließen, daß bei einem solchen Tier eine Reproduktion früher stattgehabter Empfindungen nicht mehr möglich ist; denn eine solche müßte notwendig dann und wann auch zu entsprechenden Bewegungen führen. Damit ist aber ein zusammenhängendes Bewußtsein, welches die stattfindenden Eindrücke auf frühere Empfindungen zurückbezieht, an und für sich ausgeschlossen. Immerhin kann, ebenso wie beim Rückenmark, die Möglichkeit nicht zurückgewiesen werden, daß sich allmälig ein niederer Grad von Bewußtsein ausbilden mag, der eine Aufbewahrung der Eindrücke während einer sehr kurzen Zeit gestattet. Nur muß man festhalten, daß ein solcher auch hier zur Erklärung der Bewegungen gar nichts beiträgt. In der direkten Verursachung durch einen äußeren Reiz tragen diese stets den Charakter wahrer Reflexbewegungen an sich. Sie beruhen, wie alle Reflexe, auf einem rein mechanischen Ablauf von Vorgängen, wobei aber durch die außerordentliche Vollkommenheit der stattfindenden Selbstregulierungen die zweckmäßige Anpassung der Bewegung an den äußeren Eindruck erzielt ist.

8) Vergl. Kap. V.
9) Siehe oben Kap. V.
10) Goltz, a. a. 0. S. 72.
11) Ebend. S. 70.
12) Siehe oben Kap. V.
13) Vögel, deren Hirnlappen entfernt wurden, bewegen allerdings dann und wann den Schnabel oder putzen sich die Federn. Es ist aber kaum zu zweifeln, daß solche Bewegungen in jenen Hautreizen ihren Grund haben, die auch bei dem unverstümmelten Tier die gleichen Bewegungen
herbeiführen.

    So bleibt als das einzige Zentralgebiet, von welchem die willkürlichen Bewegungen ausgehen, die Großhirnrinde übrig. Aber die Impulse des Willens bedienen sich zur Ausführung kombinierter Bewegungen teils ohne Zweifel der nämlichen Organe, in denen auch die Auslösung komplizierter Reflexe stattfindet, teils besonderer, im kleinen Gehirn und in den Ganglien des Hirnschenkelfußes gelegener Vorrichtungen. Von diesen scheinen die einen, die Gebilde des Kleinhirns, die Anpassung der Willenserregungen an die Sinneseindrücke zu vermitteln; die andern, die Ganglien des Hirnschenkelfußes, dürften der zweckmäßigen Verbindung der bei gewissen kombinierten Bewegungen zusammenwirkenden Leitungsbahnen bestimmt sein14). Diese letzteren Gebilde werden vermutlich nur in den verhältnismäßig seltenen Fällen umgangen, wo eine isolierte Bewegung willkürlich hervorgebracht wird. Diesem unmittelbaren Einfluß des Willens auf einzelne Muskeln ist, wie wir vermuten, die direkte motorische Leitungsbahn zur Großhirnrinde bestimmt15). Auch der Wille bedient sich also eines mit zahlreichen Vorrichtungen der Selbstregulierung versehenen Mechanismus. In der Regel ist es nur der erste Anstoß zum Beginn einer Bewegung und höchstens noch der Impuls, der das Aufhören derselben bewirkt, die unmittelbar vom Willen ausgehen. Nur selten greift dieser in den Ablauf derselben, der im einzelnen ganz und gar dem sicher arbeitenden physiologischen Mechanismus überlassen ist, bestimmend ein. Will ich z. B. auf einen Gegenstand zugehen, den ich in einiger Entfernung bemerke, so setzt der Impuls des Willens meine Gehwerkzeuge in Bewegung und sistiert diese wieder, wenn der Gegenstand erreicht ist. Aber was dazwischen liegt geschieht ebenso mechanisch wie die Bewegung eines seiner Großhirnlappen beraubten Tieres, das einem äußeren Reize so lange entflieht, bis es durch ein Hindernis aufgehalten wird.

14) Vergl. Kap. V.
15) Vergl. Kap. IV.

    Die Wirksamkeit des Willens äußert sich nun nicht bloß in der Hervorrufung bestimmter Bewegungen, sondern auch in der Auffassung der Sinneseindrücke und der reproduzierten Vorstellungen. Wie wir willkürlich eine Bewegung ausführen, so apperzipieren wir willkürlich eine Vorstellung. Dieser Punkt ist, obgleich schon locke16)auf ihn hinwies, gewöhnlich in der Theorie des Willens ganz übersehen worden. In Wahrheit liegt aber den Tätigkeiten der Apperzeption und der Willenserregung im wesentlichen der nämliche Vorgang zu Grunde, der sich nur im einen Fall auf den inneren Prozeß des Vorstellens beschränkt, im andern sich nach außen wendet, um die Gemütsbewegung in eine äußere Bewegung umzusetzen. Auch bei der Apperzeption folgt der Wille nicht Schritt für Schritt dem Gedankenlauf, sondern er begnügt sich insgemein, demselben seinen ersten Anstoß zu geben und dann da und dort leise regulierend in ihn einzugreifen; im übrigen verläßt er sich, wie bei der motorischen Erregung auf den Mechanismus der kombinierten Bewegungen so hier auf den Mechanismus der Assoziation und Reproduktion.

16) Essay on human understanding. Book II, chap. 21 §. 5.

    Wir empfinden in uns die Anstöße des Willens bald leiser bald lebhafter. Meist sind dieselben so schwach, daß wir uns kaum ihrer bewußt werden. Der Gedankenlauf und die Bewegungen scheinen sich von selbst zu vollziehen, ohne unser besonderes Zutun. Höchstens in einzelnen Momenten, wo wir zwischen verschiedenen Vorstellungen schwanken oder aus mehreren Bewegungen, die sich uns als möglich darstellen, eine bestimmte auswählen, fassen wir die Tätigkeit der Apperzeption deutlicher als eine von uns ausgehende auf, indem wir sie von den Anregungen unterscheiden, welche die Einwirkung der äußern Sinneseindrücke und die innere Assoziation der Vorstellungen dem Verlauf unserer Gedanken und Bewegungen darbieten.
    So kommt es, daß wir uns des Willens besonders deutlich dann bewußt werden, wenn wir uns zugleich die Möglichkeit einer Wahl vorstellen. Diese psychologische Beziehung hat jene Verwechslung der beiden Begriffe zu Stande gebracht, auf welcher durchaus die gewöhnliche Auffassung des Willens beruht. Nach, dieser ist jeder Willensakt ein Wahlakt. Der Wille soll darin bestehen, daß wir in jedem Augenblick unter den verschiedenen Handlungen, die sich als möglich darbieten, jede beliebige ausführen können. Der Wille soll also frei sein, indem er einzig und allein sich selbst bestimmt. So erscheint hier der Wille zugleich als Ursache und als Wirkung, als das Ich, das bestimmend ist und bestimmt wird. Dies führt auf jenen Begriff des freien Willens, wie aristoteles und kant ihn gefaßt haben: jeder Willensakt wird zum absoluten Anfang eines Geschehens.
    Das psychologische Motiv, welches zu der gewöhnlichen Auffassung der Willensfreiheit führt, ist lediglich jene Tatsache der Wahl. In den Fällen, wo uns die Wirkung des Willens auf Vorstellen und Handeln besonders deutlich zum Bewußtsein kommt, denken wir uns entweder die Möglichkeit, wir hätten statt der wirklich apperzipierten Vorstellung oder Handlung eine andere bevorzugen können, oder wir sind uns sogar eines gewissen Schwankens bewußt, welches der wirklichen Handlung vorausging. Diese Selbstbeobachtungen beweisen nun aber nicht im mindesten, daß der Wille nur sich selbst bestimme oder absoluter Anfang eines Geschehens sei, also keine weitere psychologische Ursache habe. Sogar das Schwanken vor dem Eintritt der Willensentscheidung zeigt nur, daß in vielen Fällen der Wille unter der gleichzeitigen Wirkung mehrerer psychologischer Ursachen stehe, die denselben nach verschiedenen Richtungen zu ziehen streben. Wenn nicht solche Ursachen auf den Willen einwirkten, so könnte ja ein Schwanken überhaupt nicht stattfinden. Und wenn der Wille schließlich einer Ursache nachgibt, so beweist dies, daß diese eine Ursache die stärkste Wirkung ausgeübt hat.
    Der Indeterminismus leugnet nun zwar nicht, daß der Wille Motiven folge, und er gesteht so in gewissem Umfang psychologische Ursachen für denselben zu. Aber das Motiv unterscheide sich, so behauptet er, von jener zwingenden Ursache, wie sie im Naturmechanismus herrschend ist, gerade dadurch, daß sie den Willen nicht determiniere. Die Motive sollen den Willen mehr oder weniger anziehen, sie sollen ihm die Wahl erschweren oder erleichtern; aber was dem einen oder andern Motiv zum Sieg verhelfe, das sei schließlich doch nur der Wille selbst, und so betätige sich die Freiheit desselben in der Wahl zwischen den verschiedenen Motiven, die auf ihn wirken. Aber hier begeht man den Fehler, daß man dem Begriff der psychologischen Verursachung ohne weiteres den des Motivs substituiert, eine Vertauschung, die wenigstens nach der gewöhnlichen Auffassung dieses letzteren Begriffs nicht zulässig ist. Unter Motiven pflegt man nämlich alle in einem gegebenen Fall in unserm Bewußtsein bereitliegenden äußeren Bestimmungsgründe einer Handlung zu verstehen. Wenn z. B. ein Mensch schwankt, ob er irgend eine zwar gewinnbringende, aber nicht ganz ehrenvolle Handlung begehen soll, so werden einerseits die in Aussicht stehenden Vorteile, die Annehmlichkeiten, die er sich dadurch verschaffen kann, anderseits die möglichen nachteiligen Folgen, der Verlust an Ehre und Ansehen, endlich die sittlichen Grundsätze, die er sich errungen, als Motive wirken, zwischen denen die Entscheidung schwankt. Es ist nun vollkommen richtig, daß alle diese Motive zusammengenommen nicht die Handlung bestimmen; und wäre man im Stande, das Gewicht eines jeden solchen Motivs numerisch anzugeben, so würde sich immer noch nicht die wirkliche Willensentscheidung berechnen lassen. Denn es wäre dabei nicht in Rechnung gezogen das ganze Gewicht der durch Erziehung, Lebensschicksale und angeborene Eigenschaften ausgeprägten Persönlichkeit des Wollenden. Diese kommt zwar auch schon unter den Motiven des Willens zum Vorschein, namentlich insofern sittliche Grundsätze unter denselben begriffen werden. Aber so lange man unter den Motiven nur diejenigen Bestimmungsgründe der Handlung versteht, deren sich der Wollende unmittelbar bewußt wird, ist jenes Gewicht der Persönlichkeit immer nur sehr bruchstückweise in den Motiven enthalten. So kommt es, daß der Willensakt dem Wollenden selbst als eine Tat erscheint, die nicht vollständig aus den für sie gegebenen Motiven hervorgegangen ist, sondern zu der sein eigenes Ich das beste hinzugetan hat. Und diese Auffassung ist kein Irrtum. Das Tier und einigermaßen auch noch der Naturmensch werden vor allem durch die unmittelbaren Eindrücke und die von ihnen geweckten Triebe in ihrem Handeln bestimmt; nur wenig werden diese einfachen Motive des Instinktes durch anerzogene Gewohnheiten verändert. Je reicher aber die geistige Entwicklung sich gestaltet, um so mehr treten die unmittelbaren äußeren Motive des Handelns gegen das Gewicht aller jener Eigenschaften zurück, welche der Wollende zu jeder Handlung als eine selbstverständliche Voraussetzung hinzufügt. Diese Eigenschaften sind es, die wir in dem Charakter des Menschen zusammenfassen. Was den menschlichen Willen vor allem und vor den äußern Motiven determiniert, ist der Charakter. Je unveränderlicher derselbe ist, und je vollständiger wir ihn kennen, um so sicherer machen wir uns anheischig vorauszusagen, wie ein Mensch, wenn bestimmte Motive des Handelns an ihn herantreten, unter denselben wählen wird. Damit gestehen wir aber auch unmittelbar zu, daß der Wille determiniert sei. Denn der Charakter birgt nur ein Summe psychologischer Ursachen in sich, über die zwar weder wir noch der Handelnde selbst vollständige Rechenschaft geben können, deren Totalwirkung wir aber instinktiv herausfühlen, wenn wir die mutmaßliche Handlungsweise eines Menschen aus seinem Charakter voraussagen. Jeder einzelne Willensakt ist also durch psychologische Ursachen bestimmt. Der Indeterminismus begeht den Fehler, die im allgemeinen für den objektiven Beobachter vorhandene Möglichkeit, daß von verschiedenen Handlungen irgend eine geschehe, für eine subjektive Wahlfreiheit zu nehmen, die sich in jedem einzelnen Willensakte betätigen soll. Er hebt so den Willen vollständig heraus aus dem Zusammenhang psychologischer Ursachen. Da nun der Wille, insofern er ebensowohl in dem Wechsel der apperzipierten Vorstellungen wie in der spontanen Bewegung sich betätigt, alles was in unserm Bewußtsein geschieht lenkt und bestimmt, so wird damit überhaupt das Bewußtsein und mit ihm das ganze Gebiet innerer Beobachtung als ein zufälliges Geschehen hingestellt, bei welchem jede Tatsache als eine Causa sui zu betrachten ist.
    Diese Ansicht würde, wenn sie richtig wäre, jede Gesetzmäßigkeit in den willkürlichen Handlungen eines Vereins menschlicher Individuen ausschließen. Die Tatsache, welche die Moralstatistik erweist, daß bei einem gegebenen Zustande einer Bevölkerung die jährliche Zahl von Heiraten, Selbstmorden, Verbrechen u. s. w. konstant bleibt, ist also mit dem Indeterminismus unvereinbar17). Es wäre freilich verkehrt, wenn man aus dieser Tatsache folgern wollte, jeder einzelne Mensch sei zu den Handlungen, die er begeht, durch ein Schicksal, dem er nicht entrinnen kann, gezwungen. Der Fatalismus, welcher dieser Anschauung huldigt, leugnet die Tatsache des Willens, während der Indeterminismus dessen psychologische Kausalität negiert. Die erste Voraussetzung, die aber gemacht werden muß, wenn man überhaupt über die Gründe des Willens sich Rechenschaft geben will, ist die Existenz desselben. Die Moralstatistik zeigt nun, daß in einem bestimmten Zustand einer größern Gesellschaft von Menschen sowohl die äußeren Motive wie die innern Bestimmungsgründe des Charakters durchschnittlich in konstanter Größe fortwirken. Der einzelne Mensch ist darum ebenso wenig einem Zwang unterworfen, wie in einer Bevölkerung, deren durchschnittliches Lebensalter 30 Jahre beträgt, jeder Dreißigjährige zum Sterben genötigt ist. Im einzelnen Fall können die innern Bestimmungsgründe des Handelns von dem äußern Zuschauer sowohl wie von dem Handelnden selbst nie vollständig erfaßt werden, denn sie verlieren sich in der Totalität der Gründe des Seins und Geschehens. Ebendarum ist der Mensch praktisch frei, und alle Folgerungen, die in praktischer Hinsicht aus der Willensfreiheit gezogen werden können, bleiben bestehen. Jeder Einzelne ist verantwortlich für seine Handlungen. Der Staat ist berechtigt sich gegen das Verbrechen zu schützen und verpflichtet den Verbrecher wo möglich zu bessern. Die Moralstatistik, welche den Indeterminismus widerlegt, unterstützt selbst durch ihre Resultate dieses praktische Streben der Gesellschaft nach ihrer eigenen Vervollkommnung. Denn sie zeigt, daß der öffentliche Rechtszustand auf die Zahl der unsittlichen Handlungen von Einfluß ist18).

17) Vergl. WAPPAEUS, allgemeine Bevölkerungstatistik. Bd. 2. Leipzig 1861. S. 215 f. Adolph WAGNER, die Gesetzmäßigkeit der scheinbar willkürlichen menschlichen Handlungen vom Standpunkte der Statistik. Hamburg 1864.

18) Wappaeus a. a. O. S. 443 f.

    Für die psychologische Unterscheidung der Willkür- von den Reflexbewegungen liegt nach allem diesem der entscheidende Punkt nicht darin, daß die letzteren aus einem ursächlichen Zusammenhange folgen, dessen die ersteren entbehrten. Vielmehr erscheint nur die Art der Kausalität hier und dort als eine verschiedene. Während der Reflex lediglich auf dem physiologischen Mechanismus beruht, geht der Wille aus innern, psychologischen Bestimmungsgründen hervor. Dabei bedient sich freilich dieser teils der nämlichen teils ähnlicher mechanischer Vorrichtungen, wie sie bei dem Reflexe wirksam werden. Anderseits bleibt bei dem letzteren das Bewußtsein nicht notwendig unbeteiligt. Wir können einen äußeren Eindruck empfinden und gleichzeitig auf denselben durch eine Reflexbewegung reagieren. Einzig und allein darin liegt der Unterschied, daß uns diese Bewegung nicht als eine solche bewußt ist, die aus innern Bestimmungsgründen hervorgeht. In diesem Ursprung der Willensbewegung aus innern, psychologischen Ursachen liegt aber nicht der mindeste Beweis, daß sie nicht zugleich Ausfluß des physiologischen Mechanismus sei. Denn psychologische und mechanische Kausalität bilden keinen Gegensatz und schließen sich nicht aus. Eine Handlung kann aus innern, der Selbstbeobachtung gegebenen Gründen entspringen, und kann doch zugleich durch den Naturmechanismus determiniert sein. Die Wahrnehmung innerer Bestimmungsgründe ist etwas, das zum Ablauf des Geschehens hinzukommt. Warum sollte dieses hinzukommende die äußere Gesetzmäßigkeit des Geschehens aufheben oder verändern? In praktischer Beziehung wird aber an der Tatsache der Willensfreiheit selbstverständlich nichts geändert, wenn der Wille, außer unter die psychologische, auch noch unter die mechanische Kausalität fällt. Denn auch hier ist damit nur ein allgemeines Postulat ausgedrückt. Die einzelne willkürliche Handlung würde nur demjenigen als wirklich determiniert erscheinen, dem der ganze Naturmechanismus offenbar wäre.
    Die Willenserregung fällt zusammen mit der Tätigkeit der Apperzeption. Die Apperzeption aber wird durch Ursachen bestimmt, deren wir immer nur einen kleinen Teil zu überschauen vermögen. Teils äußere Eindrücke teils reproduzierte Vorstellungen, die nach den Gesetzen der Assoziation im Bewußtsein wachgerufen sind, lenken unsere Aufmerksamkeit hierhin und dorthin und verursachen so den Verlauf der Vorstellungen und den Wechsel der willkürlichen Bewegungen. Indem diese letzteren nicht unmittelbar durch äußere Reize sondern im allgemeinen erst durch die psychische Reizung, welche reproduzierte Vorstellungen ausüben, geweckt werden, entsteht die charakteristische Eigenschaft der spontanen Bewegung, daß sie ohne eine direkte äußere Ursache entsteht, aus Motiven, die bloß der Selbstauffassung des handelnden Wesens zugänglich sind. Darum ist für den außerhalb stehenden Beobachter die spontane Bewegung hinwiederum das einzige Merkmal, aus welchem er auf das Vorhandensein sowohl von Willen wie von Bewußtsein zurückschließen kann. Aber in allem dem liegt kein Beweis gegen das Walten des Naturmechanismus auch in diesen höchsten Äußerungen des Lebens. Die Assoziation und Reproduktion der Vorstellungen geschieht gemäß den allgemeinen Gesetzen der physiologischen Nervenmechanik. Indem so die inneren psychischen Reize ebenso wie die äußeren Sinnesreize eingeschlossen sind im Zusammenhang der Naturwirkungen, müssen auch die Äußerungen, die sich aus ihnen entwickeln, der willkürliche Gedankenlauf und das willkürliche Handeln, in den physiologischen Vorgängen, den Nervener-regungen und Muskelspannungen, von denen sie begleitet sind, der Kette der Naturwirkungen zugehören. Wieder ist dies freilich nur eine allgemeine Forderung. Denn die Apperzeption ist nicht bloß von den jeweils im Bewußtsein vorhandenen Vorstellungen sondern von allen dem Denkenden und Handelnden selbst für immer unüberschaubaren Vorbedingungen abhängig, unter denen sich das individuelle Bewußtsein befindet.

Seit durch prochaska und J. Müller19) die Grundgesetze der Reflexe festgestellt sind, wurden in der Regel Reflex- und Willkürbewegungen streng auseinander gehalten. Die ersteren betrachtete man als die rein mechanischen Effekte der durch einen äußeren Reiz im Zentralorgan erweckten Vorgänge, die letzteren als Erscheinungen, die in ihrem ganzen Verlauf durch die Impulse des Willens beherrscht würden20). Auf die merkwürdige Anpassung der Reflexbewegungen an die Einwirkungsart der Reize hat hauptsächlich PFLÜGER aufmerksam gemacht und aus seinen Versuchen den Schluß gezogen, daß ein niederer Grad von Bewußtsein und Willen auch noch im Rückenmark nach der Entfernung des Gehirns zurückbleibe21). Mehrere Physiologen schlossen sich ihm an, von andern wurde die Auffassung vertreten, daß es auch hier nur um kompliziertere mechanische Wirkungen sich handle. Lotze, der dieser letzteren Auffassung zuneigte, suchte gewisse Bewegungen auf die mechanischen Nachwirkungen der Intelligenz zurückzuführen, auf die Einflüsse der Übung und Gewöhnung hinweisend22), Daß aber diese Erklärung mindestens nicht für alle Erscheinungen zureicht, hat schon Goltz hervorgehoben und durch verschiedene Versuche erläutert23). Er nahm daher, ähnlich wie es Schiff 24) bereits früher getan, umfangreiche Selbstregulierungen bei den Reaktionen des Rückenmarks an und suchte dies durch die Verschiedenheiten in dem Verhalten enthaupteter und bloß geblendeter Frösche zu stützen. Bei solchen Tieren dagegen, denen bloß die Großhirnhemisphären genommen sind, glaubte auch goltz einen gewissen Grad psychischer Funktionen zugeben zu müssen, indem er den Grundsatz aufstellte, überall wo die Bewegungen so verwickelter Natur seien, daß man sich eine Maschine, welche dieselben ausführe, nicht mehr vorstellen könne, sei das Vorhandensein von Seelenvermögen anzuerkennen25). Aber es scheint mir zweifelhaft, ob ein Mechanismus, wie er den Rückenmarksreflexen zu Grunde liegt, uns nicht auch sehr schwer vorstellbar ist. Jedenfalls kann hier nirgends eine scharfe Grenze gezogen werden, während eine solche deutlich zu bemerken ist, sobald spontane, d. h. nicht aus äußeren Reizen sondern aus reproduzierten Vorstellungen entspringende Bewegungen auftreten. Dies geschieht aber nur dann, wenn mindestens ein Teil der Großhirnlappen erhalten blieb. In dem Vorhandensein eines sogenannten Anpassungsvermögens liegt, wie ich glaube, ebensowenig wie in der Zweckmäßigkeit der Bewegungen ein Grund für die Existenz von Bewußtsein. Denn Anpassungsvermögen besitzt das Rückenmark oder irgend eine künstliche, mit Regulierungsvorrichtungen versehene Maschine auch, und Gradunterschiede können hier keine wesentliche Differenz begründen. Bewußtsein in dem Sinne, den wir gemäß unserer Selbstbeobachtung mit diesem Begriff verbinden, kann aber erst da statuiert werden, wo die Erscheinungen deutlich auf eine spontane Wiedererweckung früherer Vorstellungen hinweisen.

19) MÜLLER, Handbuch der Physiologie. I. 4te Aufl. S. 608.
20) VOLKMANN, Art. Gehirn in WAGNER's Handwörterbuch I S. 574. J. MÜLLER a, a. O. S. 621.
21) PFLÜGER, die sensorischen Funktionen des Rückenmarks S. 46, 114 f.
22) Lotze, Göttinger gelehrte Anzeigen. 1853. S. 1748 f.
23) Goltz, Funktionen der Nervenzentren des Frosches S. 82 f.
24) Lehrbuch der Physiologie I S. 214 f.
25) a. a. O. S. 113.

    In der Auffassung der Willkürbewegungen zieht sich der Kampf zwischen Determinismus und Indeterminismus fast durch die ganze Geschichte der Philosophie. Beide Ansichten stützen sich einerseits auf spekulative, anderseits auf empirischpsychologische Gründe. Den Alten, die dem Zufälligen auch in der Natur eine Stelle einräumten, galt im allgemeinen die Freiheit des Willens als eine durch die Selbstbeobachtung beglaubigte und mit metaphysischen Prinzipien nicht im Widerstreit liegende Tatsache26). Erst die Stoische Philosophenschule scheint den Widerspruch mit dem Grundsatz der allgemeinen Naturordnung empfunden zu haben. Dem Gegensatz der neueren Systeme ging der analoge Streit auf theologischem Gebiete voran, wo der Begriff der göttlichen Allmacht den Determinismus, und die Vorstellung von der Sünde als der aus dem Willen zum Bösen hervorgegangenen Handlung den Indeterminismus begünstigte; beide Vorstellungen haben dann aber in der Lehre von der Erbsünde, freilich nur für die Welt nach dem Sündenfall, ihre entschieden deterministische Versöhnung gefunden27). In der Philosophie verteidigte DESCARTES die unbedingte Autonomie des Willens, während die konsequenten Weltanschauungen, wie sie spinoza und in neuerer Zeit fichte und schelling entwickelten, dieselbe als widersprechend zurückweisen. Ebenso ist bei HEGEL28) der freie Wille nur der vernünftige Wille oder der Geist im Momente seiner Selbstbestimmung. Den psychologischen Determinismus hat Locke 29) begründet. Ihm folgt die ganze Schule der englischen Empiristen30), in Deutschland die HERBART'sche Psychologie31), welche auch hierin in Gegensatz tritt zu der älteren WOLFF'schen Psychologie, die in dieser Frage, der unmittelbaren Selbstbeobachtung folgend, von LEIBNIZens spekulativem Determinismus sich trennt32). Eine eigentümliche, für die Gesamtrichtung der deutschen Spekulation charakteristische Mittelstellung nimmt kant ein. Seine Naturphilosophie neigt zweifellos zu einer Anerkennung der Allgemeingültigkeit des Kausalprinzips, der sich selbstverständlich auch die willkürliche Handlung nicht entziehen kann. In der Psychologie ist er Indeterminist. So kommt er zu jener eigentümlichen Auffassung, nach der im Willen die übersinnliche Natur des Menschen die Welt der Erscheinungen durchbrechen und hierdurch zugleich die Begriffe Gott und Unsterblichkeit, die theoretisch nicht demonstriert werden können, als notwendige Postulate erweisen soll33). Aber wenn auch die praktischen Prinzipien des Handelns von der theoretischen Weltauffassung nicht notwendig beeinflußt sind, wie denn in der Tat der wahre Determinismus die praktischen Konsequenzen der Willensfreiheit akzeptiert, so können doch unmöglich, wie bei kant, beide mit einander in Widerstreit treten. Der Begriff Gottes, welcher nach kant aus der menschlichen Willensfreiheit folgen soll, ist vielmehr aus der Nötigung des menschlichen Geistes entstanden, eine absolute Ordnung der Natur und der sittlichen Welt voraussetzen, welche den Zufall und die unbedingte Selbstbestimmung des Willens ausschließt, wie dies die religiös-dogmatische Auffassung gerade solcher Zeiten, in denen das religiöse Gefühl am lebendigsten war, deutlich empfunden hat. Aus diesem Grunde hat jede konsequente Weltauffassung zum Determinismus geführt; und zwar muß sie, sobald sie die Welt als eine äußere und als eine innere anerkennt, denselben in einer doppelten Form annehmen: die willkürliche Handlung muß inbegriffen sein in dem Naturmechanismus, der sie nach der Kategorie der Ursache herbeiführt, und der Willenimpuls muß hervorgehen aus psychologischen Gründen, die nach der Kategorie des Zwecks ihn bestimmen.

26) Aristoteles de anima III 10. Eth. Nic. III, 5 (7).
27) Vergl. 3. H. SCHOLTEN, der freie Wille. Deutsche Ausgabe von C,. MANCHOT. Berlin 1874. S. 2. f. S. 12 f.
28) Enzyklopädie Thl. III §. 481 f. Werke Bd. 7, 2. S. 373.
29) Essays on human understanding Book II chap. 21 §. 11 f..
30) Vergl. John STUART Mill, System der Logik. Deutsche Ausgabe von Schiel. 2te Aufl. 6. Buch, Kap. 2, S. 439 f. A. Bain , the emotions and the will, sec. edit. p. 493 f.
31) Herbart, Psychologie als Wissenschaft §. 105, 150. Werke Bd. 6 S. 95, 347 f.. Vergl. ferner Bd. 9 S. 243 f.
32) WOLFF, psychologia empirica §. 926–946, LEIBNIZ, opera philos. ed. Erdmann p. 517.
33) Kant, Kritik der prakt. Vernunft. Werke Bd. 8 S. 156, 225, 261 f. Fortschritte der Metaphysik seit Leibniz und WOLFF. Bd. 1. S. 529 f.