Verlauf und Assoziation der Vorstellungen.
Unter den Vorstellungen, die sich in unserm Bewußtsein befinden,
sind in jedem Augenblick nur diejenigen unmittelbar der innern Beobachtung
zugänglich, die im Blickpunkt der Aufmerksamkeit liegen. Das ganze
Schauspiel des Verlaufs und der Verbindung der Vorstellungen ist daher
ganz und gar auf jene Zentralstelle des Bewußtseins beschränkt,
die unter dem Einfluß der innern Beobachtung steht, indem sie sich
in Folge derselben deutlich verengert. Auf das Gehen und Kommen der im
ganzen Umfang des Bewußtseins liegenden Vorstellungen können
wir aber nur aus ihren Rückwirkungen auf den inneren Blickpunkt zurückschließen.
Die Bewegung der Aufmerksamkeit von einer Vorstellung
zur andern wird teils durch die inneren Eigenschaften des Bewußtseins,
wie sie sich in der Assoziation und Reproduktion der Vorstellungen zu erkennen
geben, teils durch den äußeren Wechsel der Sinneseindrücke
bedingt. Es eröffnen sich daher zwei Wege der Beobachtung. Der eine
besteht in der Auffassung des Verlaufs der spontan an unserm inneren Auge
vorüberziehenden Erinnerungs- und Phantasiebilder, der andere in der
Untersuchung des von den äußeren Sinneseindrücken abhängigen
Wechsels der Vorstellungen. Von diesen beiden Wegen hat die Psychologie
bisher den ersten allein berücksichtigt, indem sie stillschweigend
voraussetzte, der Verlauf der Sinneswahrnehmungen wiederhole unmittelbar
und im wesentlichen unverändert den zeitlichen Verlauf der äußeren
Eindrücke. Dem ist jedoch nicht so; vielmehr wird die Art, wie das
äußere Geschehen in unseren Vorstellungen sich abbildet, durch
die Eigenschaften des Bewußtseins und der Aufmerksamkeit mitbedingt.
Nun kann aber das Verhältnis des Wechsels der Vorstellungen zu dem
der verursachenden Reize überhaupt nur bei den aus äußerer
Reizung stammenden Wahrnehmungen festgestellt werden, während es uns
hierzu bei den Erinnerungsbildern, die aus der psychischen Reizung der
Reproduktion hervorgehen, fast an jedem Anhaltspunkte gebricht. Anderseits
bieten wieder allein diese letzteren Gelegenheit, die von dem Inhalt der
Vorstellungen ausgehenden Ursachen der Verbindung und des zeitlichen Wechsels
derselben zu ermitteln. Demnach ergibt sich uns als erste Aufgabe
die Untersuchung der allgemeinen Gesetze des Verlaufs der Vorstellungen,
gegründet auf die experimentelle Erforschung des Verhältnisses
ihrer zeitlichen Entstehung und Aufeinanderfolge zu den verursachenden
äußeren Reizen; daran schließt sich als zweite
Aufgabe die Untersuchung der Verbindungsgesetze der Vorstellungen, gestützt
auf die innere Beobachtung ihres von äußeren Einwirkungen möglichst
frei gehaltenen Verlaufes.
Der einfachste und zugleich günstigste Fall
für die Erfassung einer äußeren Sinnesvorstellung durch
die Aufmerksamkeit ist offenbar dann gegeben, wenn die letztere auf den
Eindruck, der zur Vorstellung erhoben werden soll, gespannt ist, ohne durch
vorher, gleichzeitig oder kurz nachher einwirkende Reize irgendwie abgezogen
zu werden. Hierbei kann man sicher sein, daß der Eindruck, sofern
er nur die Reizschwelle überschreitet, dem Blickpunkt des Bewußtseins
nicht entgeht, und daß zugleich eine möglichst kurze Zeit zwischen
seiner Wirkung auf das Bewußtsein und seiner Erfassung durch die
Aufmerksamkeit verfließt. Diese zwischen der Perzeption und der Apperzeption
gelegene Zeit wollen wir als die Apperzeptionsdauer bezeichnen1).
Wir besitzen kein Hilfsmittel, um dieselbe direkt zu bestimmen, sondern
wir vermögen auf ihre Größe und auf ihre Veränderungen
unter bestimmten Bedingungen immer nur aus gewissen zusammengesetzten Zeiten
zurückzuschließen, in welche sie als Bestandteil eingeht. Die
zunächst sich darbietende Methode zu ihrer Messung besteht nämlich
darin, daß man an einer zeitmessenden Vorrichtung den Moment, in
welchem der Sinneseindruck stattfindet, durch den äußeren Vorgang
selbst genau angeben läßt, und sodann den Moment, in welchem
man den Eindruck apperzipiert, an derselben Vorrichtung registriert2).
Der ganze Vorgang, dessen Dauer auf diese Weise gemessen wird, setzt sich
nun aus folgenden einzelnen Vorgängen zusammen: 1) aus der Leitung
vom Sinnesorgan bis in das Gehirn, 2) aus dem Eintritt in das Blickfeld
des Bewußtseins oder der Perzeption, 3) aus dem Eintritt in den Blickpunkt
der Aufmerksamkeit oder der Apperzeption, 4) aus der Willenszeit, welche
erfordert wird, um im Zentralorgane die registrierende Bewegung auszulösen,
und 5) aus der Leitung der so entstandenen motorischen Erregung bis zu
den Muskeln und dem Anwachsen der Energie in denselben. Der erste und der
letzte dieser Vorgänge sind rein physiologischer Art. Bei jedem derselben
verfließt eine verhältnismäßig kurze Zeit, welche
der Eindruck braucht, um in den peripherischen Nerven geleitet zu werden,
und eine wahrscheinlich etwas längere, welche die Leitung im Zentralorgan
beansprucht3). So bleiben nur noch die
drei mittleren Vorgänge, die Perzeption, die Apperzeption und die
Entwicklung des Willensimpulses, als eigentlich psychologische übrig.
Unter ihnen ist nun die Perzeption höchst wahrscheinlich mit der Erregung
der zentralen Sinnesflächen unmittelbar gegeben. Wir haben allen Grund
anzunehmen, daß ein Eindruck, der auf die Zentralteile mit der zureichenden
Stärke einwirkt, dadurch an und für sich schon in dem allgemeinen
Blickfeld des Bewußtseins liege. Eine besondere Tätigkeit, die
wir auch subjektiv wahrnehmen, ist allerdings erforderlich, um nun einem
solchen Eindruck die Aufmerksamkeit zuzuwenden; aber diesen Vorgang unterscheiden
wir eben als Apperzeption von der einfachen Perzeption. Hiernach liegt
die Dauer der Perzeption in dem zeitlichen Verlauf der sensorischen Leitungsvorgänge
inbegriffen, und wir können unter ihr ebensowohl den letzten Akt der
physiologischen Vorbedingungen wie den ersten Akt der psychologischen Vorgänge
verstehen. Von einer besonderen Perzeptionsdauer läßt
sich daher nur reden, insofern man die Zeit, welche die den zentralen Sinneszentren
zugeführte Reizung braucht, um hier Erregung hervorzubringen, und
die Zeit der Erhebung des Eindrucks in das Blickfeld des Bewußtseins
als eine und dieselbe Zeitdauer auffaßt. Ähnlich verhält
es sich mit demjenigen Vorgang, welchen wir oben als Willenszeit
bezeichnet haben. Es wäre eine höchst unwahrscheinliche Annahme,
dieselbe für einen besonderen psychologischen Akt zu halten, der abgelaufen
sein müsse, wenn die motorische Erregung im Zentralorgane beginnen
solle. Vielmehr ist was sich unserer Selbstbeobachtung als Anwachsen
des Willensimpulses zu erkennen gibt offenbar gleichzeitig eine zentrale
motorische Reizung. Auch die Willenszeit ist daher ein psychophysischer,
d. h. ebensowohl ein psychischer wie ein physiologischer Zeitraum. So bleibt
nur das Mittelglied der ganzen Reihe, die Apperzeption, übrig,
der man wohl geneigt sein möchte eine rein psychologische Existenz
beizumessen. Wäre aber dies der Fall, so würde sich während
der Zeit, die zwischen der Perzeption und ihr verfließt, in den physiologischen
Bedingungen nichts ändern. Auch diese Annahme schließt offenbar
eine Unwahrscheinlichkeit in sich, da der Zustand der Aufmerksamkeit sehr
deutliche physiologische Rückwirkungen äußert. Man hat
nun meistens ausdrücklich oder stillschweigend angenommen, die Apperzeption
hänge unmittelbar mit der Perzeption zusammen: sie sei entweder nur
ein gesteigerter Perzeptionsvorgang, oder beide seien überhaupt eins
und dasselbe, es werde nichts perzipiert was nicht zugleich irgendwie von
der Aufmerksamkeit erfaßt oder apperzipiert werde. Aber der ersten
dieser Meinungen widersprechen durchaus die Beobachtungen über das
Wandern der Aufmerksamkeit. Würde diese nur durch die Stärke
der Perzeption gelenkt, so müßte sie stets dem intensivsten
Eindruck sich zuwenden. Nun prädisponiert zwar die Stärke des
Reizes denselben zur Apperzeption, aber sie ist durchaus nicht der bestimmende
Grund der letzteren, da wir erfahrungsgemäß die schwächeren
den stärkeren Eindrücken vorziehen können. Der zweiten Meinung
widerstreitet die früher hervorgehobene Tatsache, daß Vorstellungen
in unserm Bewußtsein gegenwärtig sein können, ohne daß
sich ihnen die Aufmerksamkeit zuwendet4).
Eine andere Möglichkeit ist meistens ganz unberücksichtigt geblieben,
diejenige nämlich, daß die Apperzeption mit der Willenserregung
zusammenfalle. Wir wollen jedoch von dieser Verbindung, obgleich auf sie
die Betrachtungen des vorigen Kapitels schon hinweisen, vorerst noch absehen
und zunächst bei derjenigen Voraussetzung, die sich der Beobachtung
zunächst darzubieten scheint, stehen bleiben, daß die Apperzeption
ein besonderer, zwischen Perzeption und Willenserregung sich einschiebender
Vorgang sei. Hiermit ist die Annahme noch keineswegs notwendig verbunden,
daß derselbe keine physiologische Grundlage habe. Bei dem Akt der
Apperzeption bemerken wir vielmehr stets jenes sinnliche Gefühl, welches
überall die Spannung der Aufmerksamkeit begleitet5),
und für welches wir notwendig eine physiologische Grundlage, nämlich
irgend einen zentral entspringenden Innervationsvorgang, annehmen müssen.
So bleiben denn im allgemeinen die oben unterschiedenen fünf Vorgänge,
von denen die drei mittleren als psychophysische zu betrachten sind. Zwei
derselben, die Apperzeption und die Willenserregung, lassen sich in vielen
Fällen in Bezug auf ihren zeitlichen Verlauf nicht mit Sicherheit
trennen. Wir werden sie dann als Reaktionszeit zusammenfassen, da
ja beide Vorgänge in einer zentralen Reaktion auf die in das Bewußtsein
eingetretenen Vorstellungen bestehen. Unter dieser Voraussetzung zieht
sich daher der ganze Prozeß in vier Akte, in zwei rein physiologische
und in zwei psychologische, zusammen. Wir besitzen zunächst kein Hilfsmittel,
um die beiden letzteren getrennt von einander und getrennt von den physiologischen
Leitungsvorgängen, die ihnen vorausgehen und nachfolgen, zu bestimmen.
Dieser Umstand würde verhängnisvoll sein, wenn die psychologischen
Zeiträume verhältnismäßig sehr klein wären. Aber
wir haben allen Grund anzunehmen, daß das Gegenteil der Fall ist,
daß jene Prozesse der zentralen Sinneserregung und der Willensreaktion
auf dieselbe viel mehr Zeit beanspruchen als die Leitungsvorgänge.
Den ganzen Zeitraum, welcher aus den angegebenen Einzelzeiten besteht,
wollen wir, nach einem von den astronomischen Beobachtern eingeführten
Ausdruck, die physiologische Zeit nennen. Wo die Beobachtung beträchtlichere
Veränderungen dieser Zeit ergibt, da werden wir aus dem angegebenen
Grunde solches vorzugsweise auf Rechnung der psychologischen Vorgänge,
die in sie eingehen, schreiben können. Diese selbst lassen sich zwar
auch nicht unmittelbar von einander trennen, aber es kann doch nach der
Selbstbeobachtung und den Versuchsbedingungen zuweilen mit einiger Wahrscheinlichkeit
vermutet werden, daß gewisse Schwankungen der physiologischen Zeit
vorzugsweise auf Rechnung der Perzeptionsdauer, andere mehr auf die der
Reaktionsdauer zu schreiben sind. Die Frage, wie die letztere aus ihren
beiden Bestandteilen, der Apperzeption und der Willenserregung, zusammengesetzt
sei, wird schließlich immer noch eine besondere Untersuchung erheischen.
Dies vorausgeschickt, wollen wir nun die physiologische Zeit 1) unter den
einfachsten Bedingungen, die für sie möglich sind, untersuchen,
wenn nämlich der Beobachter auf einen Eindruck von bestimmter Qualität
und Stärke gespannt, über die Zeit seines Eintritts aber ungewiß
ist. Daran reihen sich 2) die Veränderungen der physiologischen Zeit
unter der erleichternden Bedingung, daß der Eindruck auch
in Bezug auf die Zeit seines Eintritts bekannt ist, sowie 3) die Veränderungen,
die sich unter erschwerenden Bedingungen ergeben, sei es weil der
Eindruck überhaupt oder mit Rücksicht auf seine Beschaffenheit
unerwartet ist, sei es weil die Art der Willensreaktion auf denselben erst
von seiner Qualität abhängig gemacht wird.
1) Vgl. oben.
2) Die Beschreibung solcher Registrierapparate sowie
aller andern Vorrichtungen, die im folgenden noch erwähnt werden,
folgt weiter unten. Siehe Fig.
153 und 154.
3) Man hat die Vermutung ausgesprochen, daß zu den peripherischen Leitungsvorgängen vielleicht auch noch eine besondere Aufnahmezeit gerechnet werden müsse, welche der Eindruck braucht, um vom Sinnesorgan auf den Nerven übertragen zu werden. (EXNER, PFLÜGER'S Archiv VII S. 631.) Es ist aber bis jetzt kein zureichender Anhaltspunkt in den Beobachtungen gegeben, welcher darauf hinweist, daß die Zeit der latenten Sinnesreizung merklich größer sei als die Zeit der gewöhnlichen latenten Nervenreizung. exner fand zwar, daß die ganze physiologische Zeit beim Sehen eines Funkens etwas größer war, als wenn der Sehnerv direkt gereizt wurde. Hierbei liegen aber außerdem Verschiedenheiten in der Stärke der Reizung vor, welche, wie wir sehen werden, das gleiche Resultat herbeiführen müssen
4) Vergl. Kap. XVIII.
5) Vergl. Kap. XVIII.
Wird die physiologische Zeit in der oben angegebenen
Weise durch Registrieren eines nach seiner Beschaffenheit bekannten,
in Bezug auf seine Zeit aber unbestimmt gelassenen Eindrucks mittelst
einer Bewegung gemessen, so beträgt sie durchschnittlich bei einer
mäßigen Stärke der Reize etwa 1/5
Sekunde. In den meisten Beobachtungen zeigen die Eindrücke auf die
verschiedenen Sinne kleine Unterschiede, indem die Zeit für Haut und
Gehörsreize etwas kleiner zu sein pflegt als für Gesichtsreize.
Doch ist es wahrscheinlich, daß diese Unterschiede nicht sowohl vom
Sinnesorgan als von der Art und Stärke der Reizung herrühren.
So fand ich, daß die physiologische Zeit für Hauteindrücke
bei der elektrischen Reizung kleiner ist als bei eigentlichen Tastempfindungen,
wie die folgenden Mittelzahlen dies zeigen6):
Mittel. Mittlere Variation.
Wahrscheinlicher Fehler.
Schall ......
0,167
0,0221
0,0160
Licht .......
0,222
0,0219
0,0183
Elektrische Hautempfindung .
0,201
0,0115
0,0099
Tastempfindung.
0,213
0,0134
0,0107
6) Ist M das Mittel aus den Beobachtungen a, b, c, d ..., deren Zahl n ist, so ist die mittlere Variation
Ich stelle hiermit die Mittelzahlen, welche von einigen andern Beobachtern
gewonnen worden sind, zusammen:
Hirsch 7).
Hankel 8).
Exner 9).
Schall ......
0,149
0,1505
0,1360
Licht ......
0,200
0,2246
0,1506
Hautempfindung..
0,182
0,1546
0,1337
7) Moleschott's Untersuchungen IX, S. 199.
8) Poggendorff's Ann. Bd. 132, S. 134 f.
9) PFLÜGER'S Archiv VII, S. 645, 648, 649.
Es würde voreilig sein, auf diese Zahlen hin
den Schall- und Hauteindrücken an und für sich eine kürzere
physiologische Zeit zuzuschreiben als den Lichtempfindungen. Denn wählen
wir auch in allen drei Fällen Reize von mäßiger Stärke,
so ist damit doch nicht gesagt, daß die physiologische Stärke
derselben, nämlich ihre Wirkungsfähigkeit auf die Sinnesnerven,
eine vollkommen gleiche sei. Namentlich kommt in Betracht, daß bei
der gewöhnlichen Anstellung der Versuche das Auge fortwährend
unter der Einwirkung von Lichteindrücken steht, zu denen der zu registrierende
Reiz erst hinzukommt. Wir besitzen kein Mittel, um verschiedenartige Sinnesreize
in Bezug auf ihre Stärke vergleichen zu können. Doch gibt es
einen einzigen Fall, wo wir voraussetzen dürfen, daß die Wirkungsfähigkeit
der Reize auf das Bewußtsein nicht verschieden sei: wenn nämlich
dieselben gerade nur die Reizschwelle erreichen. Eine eben merkliche
Empfindung hat für unser Bewußtsein notwendig immer die nämliche
Größe, welchem Sinnesgebiet sie auch angehören möge.
Wollen wir daher die physiologische Zeit für disparate Empfindungen
unter übereinstimmenden Bedingungen vergleichen, so müssen wir
von ihren Schwellenwerten ausgehen. Hier zeigt sich nun, daß die
verfließende Zeit erheblich größer als bei stärkeren
Reizen, aber für die verschiedenen Sinne nahezu gleich ist. Mit dem
Durchschnittswert der physiologischen Zeit nimmt außerdem auch die
mittlere Abweichung der Einzelbeobachtungen zu. Folgendes sind die aus
Versuchsreihen von je 24 Beobachtungen gefundenen Werte:
Reizschwelle: Mittel. Mittlere
Variation. Wahrscheinlicher Fehler.
Schall ......
0,337
0,0504
0,0390
Licht ......
0,331
0,0577
0,0389
Tastempfindung...
0,327
0,0324
0,0278
Nach diesen Versuchen glaube ich annehmen zu dürfen,
daß die physiologische Zeit, unter Voraussetzung möglichst gleicher
Bedingungen für die Dauer der sensorischen und motorischen Leitung
und gleichbleibender Eigenschaften des Bewußtseins, bei eben merklichen
Reizen aller Sinne gleich groß, daß also die Dauer der Perzeption
und Reaktion bei der Reizschwelle eine konstante Größe ist.
Die größere Variation der Einzelversuche erklärt sich aus
der schwankenden Natur der Schwellenwerte, die auch bei der Intensitätsmessung
der Empfindung ihre Bestimmung unsicher macht. Weiterhin werden wir aus
diesen Erfahrungen folgern dürfen, daß keiner unserer Sinne
in Bezug auf Geschwindigkeit der Perzeption an sich bevorzugt ist, sondern
daß die gewöhnlich beobachteten Verschiedenheiten nur von der
verschiedenen Intensität herrühren, mit welcher die Reize auf
das Bewußtsein wirken. Diese Intensität ist aber nicht bloß
von ihrer objektiven Stärke sondern auch von der Beschaffenheit der
peripherischen, vielleicht auch der zentralen Sinneswerkzeuge sowie von
der etwa gleichzeitig stattfindenden Einwirkung anderer Reize abhängig.
Aus der Vergleichung der physiologischen Zeit beim
Schwellenwert und bei stärkeren Eindrücken erhellt bereits, daß
diese Zeit mit wachsender Stärke des Reizes abnehmen muß. Solches
läßt sich nun auch noch für Reize von verschiedener Stärke,
die über dem Schwellenwerte gelegen sind, nachweisen, am besten eignen
sich dazu Schalleindrücke, wegen der Sicherheit, mit der ihre Intensität
abgestuft werden kann. Ich benutzte hierzu teils den HIPP'schen
Fallapparat (Fig. 153),
bei dem eine Kugel von 15 gm. Gewicht auf ein Brett herabfällt, teils
einen eigens zu diesem Zweck konstruierten elektromagnetischen Fallhammel.
Je nach der Höhe, aus der die Kugel oder der Hammer herabfiel, wechselte
dabei die Stärke des Schalls. Das Verhältnis der Schallstärken
an beiden Apparaten war so, daß eine Fallhöhe des Hammers von
16 mm ungefähr einer solchen der Kugel von 3 cm gleichkam. Ich führe
zwei Versuchsreihen, die eine bei schwächeren, die andere bei höheren
Schallstärken an, die zugleich von verschiedenen Individuen herrühren.
W. W.
S. W.
Diese Versuche lassen bei Reizen von beträchtlich
verschiedener Intensität eine deutliche Abnahme der physiologischen
Zeit mit der Zunahme des Reizes erkennen. Bei geringeren Intensitätsunterschieden
trifft aber allerdings, wenigstens in kürzeren Versuchsreihen, diese
Regel nicht mehr überall zu. Wir werden daher annehmen dürfen,
daß zwischen engeren Grenzen der Einfluß der Reizstärke
sehr unbedeutend ist gegenüber der Wirkung, welche der wechselnde
Zustand der Aufmerksamkeit mit sich führt, und welche sich an der
bei allen Beobachtungen über die physiologische Zeit verhältnismäßig
bedeutenden Größe der mittleren Variation zu erkennen gibt.
Diese Wirkung läßt sich auch in längeren Versuchsreihen
nicht völlig eliminieren, weil in solchen der Zustand des Bewußtseins
nicht etwa um eine bestimmte Gleichgewichtslage auf- und abschwankt, sondern
weil diese Gleichgewichtslage selbst stetigen Veränderungen unterworfen
ist, die im allgemeinen um so bedeutender werden, über je längere
Zeiträume sich die Beobachtungen erstrecken.
An der Abnahme der physiologischen Zeit mit der
Reizstärke sind zweifellos die rein physiologischen Vorgänge
der Leitung bis zu einem gewissen Grade mitbeteiligt. Dies zeigt die Erfahrung,
daß die Fortpflanzung des Reizes in der Nervenfaser mit wachsender
Reizstärke an Geschwindigkeit zunimmt10).
Aber so bedeutend auch diese Unterschiede an sich sind, so bleibt doch
die Dauer der Fortpflanzung in allen Fällen so klein im Verhältnis
zur ganzen Größe der physiologischen Zeit, daß auch hier
die gefundenen Unterschiede jedenfalls zu ihrem wesentlichsten Teile auf
Rechnung der psychophysischen Zeiträume der Perzeption und Reaktion
zu schreiben sind. Wie diese beiden sich wieder in die auf sie fallende
Zeit teilen, läßt sich nicht mit völliger Sicherheit ermitteln,
sondern höchstens durch Erwägung der psychologischen Versuchsbedingungen
mit einiger Wahrscheinlichkeit bestimmen. Es ist nämlich nicht zu
übersehen, daß bei den mitgeteilten Beobachtungen während
einer Versuchsreihe immer mit der nämlichen Schallstärke experimentiert
wurde. Dem Beobachter war also der aufzufassende Schall bekannt, und seine
ganze Aufmerksamkeit war gerade auf die gegebene Schallstarke gerichtet.
Man kann daher nicht zugeben, daß der Zustand der Aufmerksamkeit,
von den zufälligen Schwankungen derselben abgesehen, für die
verschiedenen Reizstärken ein verschiedener sei, und es läßt
sich nicht einsehen, warum auf einen stärkeren Schall, nachdem er
perzipiert worden ist, schneller reagiert werden sollte als auf einen minder
starken. Nur für einen Fall glaube ich, der Selbstbeobachtung zufolge,
eine Ausnahme statuieren zu müssen, für die Reizschwelle nämlich.
Hier befindet man sich, mindestens in vielen Versuchen, während einer
sehr kurzen Zeit in einem Zustand des Zweifels, ob wirklich auch ein Eindruck
stattgefunden habe, und man fühlt deutlich, wie darüber eine
gewisse Zeit vergeht. Es ist bemerkenswert, daß ein derartiger Zustand
nicht etwa bloß in solchen Fällen besteht, wo das Urteil überhaupt
zweifelhaft bleibt, sondern auch in jenen, wo entschieden der Eindruck
perzipiert wird, sich also jedenfalls noch über der Schwelle befindet.
Auch über den näheren Grund dieses Zustandes gibt schon die Selbstbeobachtung
einigen Aufschluß. Man findet nämlich, daß es ausnehmend
schwer wird die Spannung der Aufmerksamkeit einem Reiz von fast verschwindender
Intensität anzupassen; unwillkürlich ist man dabei auf einen
Eindruck gefaßt, der stärker ist als der wirklich eintretende.
Nun ist aber, wie wir unten sehen werden für einen Eindruck, dessen
Intensität nicht vorausgesehen werden kann, stets die physiologische
Zeit beträchtlich vergrößert.
10) Vergl. meine Untersuchungen zur Mechanik der Nerven. Abth. I, S. 193.
Schließlich erhebt sich die Frage, wie bei
diesen einfachen Registrierversuchen die beiden Vorgänge, die wir
in der Reaktionszeit zusammengefaßt haben, die Apperzeption und Willenserregung,
sich zu einander verhalten. Es ist wohl nicht zu bezweifeln, daß
in manchen Fällen, namentlich wo die Reaktionszeit größer
ausfällt, die Entwicklung des Willensimpulses eine gewisse Zeit in
Anspruch nimmt. Zuweilen faßt man auch in der Selbstbeobachtung deutlich
die Apperzeption und die willkürliche Bewegung als zwei sukzessive
Akte auf. In der Mehrzahl der Fälle hat man aber von einer solchen
Trennung kein Bewußtsein, sondern in demselben Augenblick, in welchem
man den Reiz wahrnimmt, glaubt man ihn auch schon zu registrieren. In der
Tat sind nun die Bedingungen bei diesen Versuchen geeignet, die Willenszeit
zu einer verschwindend kleinen Dauer herabzudrücken. Da nämlich
die auszuführende Bewegung zuvor genau bekannt und bei längeren
Versuchsreihen zu großer mechanischer Sicherheit gebracht ist, so
ist offenbar die Rückwirkung der Apperzeption auf die Willenserregung
möglichst erleichtert. Auch gibt es eine spezielle Erscheinung, welche
die Annahme, daß in vielen Fällen die Willenszeit verschwindend
klein werde, so daß die Reaktionsdauer allein auf Rechnung der Apperzeption
kommt, mindestens zu sehr hoher Wahrscheinlichkeit erhebt. Wenn man nämlich
mit großer Spannung der Aufmerksamkeit den Eindruck erwartet, so
kommt es vor, daß man statt desselben einen ganz andern Eindruck
registriert, und zwar handelt es sich dabei nicht etwa um eine Verwechselung.
Vielmehr weiß man schon im Moment der Bewegung sehr gut, daß
man einen falschen Reiz registriert hat; ja es kommt vor, wenn gleich selten,
daß der letztere gar nicht demselben Sinnesgebiet angehört,
daß man also z. B. bei Versuchen über Schalleindrücke einen
zufällig oder absichtlich herbeigeführten Lichtblitz registriert.
Wir können diese Erscheinung nicht wohl anders als so erklären,
daß durch die Spannung der Aufmerksamkeit, welche dem erwarteten
Eindruck entgegenkommt, gleichzeitig eine vorbereitende Innervation der
motorischen Zentralgebiete sich entwickelt hat, welche bei dem geringsten
Anstoß in wirkliche Erregung übergeht. Dieser Anstoß kann
dann in solchem Fall auch von jeder zufälligen Apperzeption ausgehen,
deren Registrierung gar nicht beabsichtigt wurde. Wenn aber die vorbereitende
Innervation zu diesem Grade angewachsen ist, so wird auch zwischen dem
von der Apperzeption ausgehenden Impuls und der wirklichen Erregung nur
eine verschwindend kleine Zeit verfließen. In der Tat wird diese
Annahme durch eine große Zahl anderer Tatsachen, die wir noch kennen
lernen werden, außer Zweifel gesetzt.
Die Auffassung eines Eindrucks wird wesentlich erleichtert,
wenn demselben irgend ein Signal vorhergeht, durch welches die Zeit
seines Eintritts vorausbestimmt ist. Dieser Fall ist also immer dann
verwirklicht, wenn mehrere Reize in gleichmäßigen Intervallen
auf einander folgen, wenn wir z. B. Pendelbewegungen mit dem Gesichtssinn
oder Pendelschläge mit dem Ohr wahrnehmen. Jeder einzelne Pendelschlag
bildet hier das Signal für den ihm nachfolgenden, dem nun die Aufmerksamkeit
vollkommen vorbereitet entgegenkommt. Das nämliche begegnet uns schon,
wenn wir dem aufzufassenden Eindruck nur ein einziges durch ein gewisses
Zeitintervall getrenntes Signal vorangehen lassen. Man findet dabei stets
die physiologische Zeit bedeutend verkürzt. Zugleich nehmen aber die
Abweichungen zwischen den einzelnen Beobachtungen so sehr zu, daß
die mittlere Variation nahezu dem Betrag der ganzen physiologischen Zeit
gleichkommen kann. Vergleichsversuche über die mit und ohne vorangegangenes
Signal verfließende Zeit habe ich nach folgendem Plane ausgeführt.
Als Schallreiz diente das Auffallen einer Kugel auf dem Brett des Fallapparates
(s. Fig. 153). Diese
Kugel fiel in der einen Reihe von Versuchen aus freier Hand aus der Höhe
des offen stehenden Ringes ( T ), welcher zum Halten der Fallkugel
bestimmt ist. In der zweiten Reihe von Versuchen war der Ring geschlossen
und wurde durch Druck an der daran befindlichen Feder geöffnet, wodurch
alsdann die auf demselben ruhende Kugel herabfiel. Im ersten Fall ging
dem Aufschlagen der Kugel kein Signal vorher, im zweiten diente als solches
das Geräusch der Feder beim Öffnen des Ringes. Bei konstanter
Fallhöhe blieb daher das Zeitintervall zwischen Signal und Hauptreiz
konstant, und durch Veränderung der Fallhöhe konnte dasselbe
gleichzeitig variiert werden. Folgendes sind die Mittelwerte aus zwei solchen
Versuchsreihen:
Mittel.
Mittlere Variation. Zahl
der Versuche.
Fallhöhe ohne Signal
0,253
0,051
13
25 cm mit Signal
0,076
0,060
17
Fallhöhe ohne Signal
0,266
0,036
14
5 cm mit Signal
0,175
0,035
17
Man sieht hieraus, daß die Abnahme der physiologischen
Zeit größer wird, wenn das konstante Intervall zwischen Signal
und Haupteindruck zunimmt, und gleichzeitig steigt dann auch die relative
Größe der mittleren Variation. Außerdem ist aber auf diese
Abnahme die häufigere Wiederholung der Beobachtungen von großem
Einfluß. In einer längeren Versuchsreihe verkürzt sich
die physiologische Zeit, wenn das Intervall zwischen Signal und Eindruck
gleich bleibt, immer mehr, und es gelingt in einzelnen Fällen, sie
auf eine verschwindend kleine Größe (von einigen
tausendel Sekunden) oder vollständig auf Null herabzudrücken.
Es ist dazu nur erforderlich, daß das Intervall zwischen Signal und
Eindruck einerseits nicht zu groß und anderseits nicht zu klein sei.
Die obere Grenze vermochte ich wegen der beschränkten Dimensionen
des zu diesen Versuchen dienenden HIPP'schen Fallapparates
nicht festzustellen. Was die untere betrifft, so gelang es bei einer Fallhöhe
von 20 cm noch leicht die physiologische Zeit zum Verschwinden zu bringen,
mit Verkürzung der Fallzeit wurde dies immer schwerer, und bei 5 cm
war zwar noch die Verkürzung deutlich bemerkbar, aber die Zeit wurde
in keinem einzigen Fall mehr gleich null. Demnach dürfte etwa bei
einem Intervall von 0,04" zwischen Signal und Eindruck die untere Grenze
erreicht sein.
Der einzige Grund, der sich für diese ganze
Erscheinung annehmen läßt, ist die vorbereitende Spannung
der Aufmerksamkeit. Daß durch diese die physiologische Zeit verkürzt
werden muß, ist leicht begreiflich; daß sie unter Umständen
auf null herabsinken kann, möchte auffallender scheinen. Trotzdem
erklärt sich auch letzteres leicht aus den bei den gewöhnlichen
Registrierversuchen gemachten Beobachtungen. Die wachsende Spannung der
Aufmerksamkeit bei der Erwartung eines seiner Zeit nach unbestimmten Eindrucks
gibt sich, wie wir bemerkt haben, nicht bloß an dem subjektiven Gefühl,
sondern auch an der merkwürdigen Tatsache zu erkennen, daß,
wo die Spannung ihren höchsten Grad erreicht hat, die vorbereitete
Bewegung gar nicht mehr unter der Herrschaft unseres Willens steht; denn
in solchem Fall registrieren wir einen Reiz, dessen Verschiedenheit von
dem erwarteten Eindruck wir unmittelbar erkennen. In den vorliegenden Versuchen,
wo der Eindruck auch in Bezug auf seine Zeit voraus bekannt ist, akkommodiert
sich nun offenbar die Aufmerksamkeit so genau an den Eintritt des Reizes,
daß dieser im selben Moment, in welchem er zur Perzeption gelangt,
auch apperzipiert wird, und daß mit der Apperzeption die Willenserregung
zusammenfällt. Hierdurch bestätigt sich unmittelbar die oben
schon aufgestellte Vermutung, daß, wo wir durch eine eindeutig vorausbestimmte
Bewegung auf einen Eindruck reagieren, im Moment der Apperzeption in der
Regel auch die Willenserregung stattfinden kann. Ist ein Eindruck in Bezug
auf Qualität und Stärke bekannt, in Bezug auf die Zeit seines
Eintritts nicht fest bestimmt, so bedarf die Apperzeption noch eine gewisse
Zeit. Während dieser wächst jedoch die Willenserregung hinreichend
an, um im selben Moment, wo die Apperzeption vollendet ist, den motorischen
Impuls zu bewirken. Ist der Eindruck auch in Bezug auf die Zeit seines
Eintrittes fest bestimmt, so kann nun aber die vorbereitende Spannung der
Aufmerksamkeit so sehr demselben sich akkommodieren, daß die Zeit
der Apperzeption ebenfalls null wird und nur noch die verhältnismäßig
sehr kurzen Zeiten der physiologischen Leitung übrig bleiben. Aber
merkwürdiger Weise können in einzelnen Versuchen offenbar selbst
diese verschwinden, indem der Eindruck früher apperzipiert werden
muß, als er wirklich stattfindet, und zwar genau um ebenso viel frühere,
als die Zeit der motorischen Leitung beträgt. Diese Erscheinung erklärt
sich aus folgendem Umstand. Für die Gleichzeitigkeit zweier an Stärke
nicht sehr verschiedener Reize haben wir im allgemeinen ein sehr genaues
Gefühl. Unwillkürlich sucht man nun in einer Reihe von Versuchen,
in welchen das Signal dem Haupteindruck um eine bestimmte Zeit vorhergeht,
nicht nur möglichst rasch, sondern auch so zu registrieren, daß
die eigene Bewegung mit dem Eindruck zusammenfällt: man sucht also
die beim Registrieren vorhandene Innervations- und Tastempfindung dem gehörten
Schall gleichzeitig zu machen, und der Versuch zeigt, daß dies in
einzelnen Fällen in der Tat vollständig gelingt. So kommt es,
daß man bei diesen Versuchen das deutliche Gefühl hat, in einem
und demselben Moment den Schall zu hören, auf ihn zu reagieren und
den Eindruck, der durch diese Reaktion geschieht, zu empfinden. Hierin
besteht ein wesentlicher Unterschied von den Registrierversuchen ohne Signal,
bei denen man nur die Apperzeption und den Willensimpuls meistens als gleichzeitige
Akte empfindet, während man sich deutlich bewußt ist, daß
die vom Willensimpuls ausgehende Reaktionsbewegung etwas später fällt.
So kommt es auch, daß man, wie verschiedene Beobachter auf diesem
Gebiete bestätigen11), sehr bestimmt
zu sagen weiß, ob man im einen Fall "gut" und in einem anderen Fall
"schlecht" registriert habe, obgleich man doch immer möglichst schnell
die Bewegung auszuführen sucht und die so gefühlten Unterschiede
meistens auch nur wenige Hundertteile einer Sekunde betragen. Man ermißt
aber hierbei die Genauigkeit des Registrierens an dem Zeitintervall zwischen
dem Eindruck und der Bewegungsempfindung. Nebenbei zeigt diese Erscheinung,
wie außerordentlich genau unsere Selbstauffassung bei solchen Versuchen
sein kann.
11) Vgl. EXNER, a. a. O. S. 613.
Von besonderem Interesse ist endlich noch, daß
bei den Signalversuchen, obgleich uns die Auffassung des Eindrucks und
die reagierende Bewegung auf denselben gleichzeitig zu sein scheint, oder
vielmehr weil dies so ist, in Wirklichkeit die Apperzeption dem äußern
Eindruck vorangehen muß. Auf diese Tatsache werden wir unten bei
andern Beobachtungen zurückkommen, wo sich dieselbe in viel weiterem
Umfange, als ein für die vorbereitende Spannung der Aufmerksamkeit
höchst charakteristisches Phänomen, bestätigen wird.
Wir wenden uns nun zur Untersuchung der Verhältnisse
der physiologischen Zeit, wenn erschwerende Bedingungen für
die Auffassung des Eindrucks oder für die Willensreaktion gegeben
sind. Der einfachste Fall dieser Art ist da gegeben, wo der Eindruck nicht
bloß in Bezug auf die Zeit seines Eintritts, sondern auch in Bezug
auf seine Stärke unbestimmt gelassen ist. Führt man z.
B. Schallversuche in solcher Weise aus, daß fortwährend zwischen
starken und schwachen Reizen unregelmäßig gewechselt wird, wobei
also der Beobachter niemals eine bestimmte Schallstärke sicher erwarten
kann, so wird die physiologische Zeit für alle Schallstärken
vergrößert; ebenso nimmt die mittlere Variation zu. Ich stelle
beispielsweise zwei in wenig verschiedener Zeit an demselben Individuum
ausgeführte Versuchsreihen zusammen. In Reihe I wechselten
starker und schwacher Schall regelmäßig, so daß jedesmal
die Intensität voraus bekannt war; in Reihe II wechselten die
verschiedenen Schallstärken in ganz unregelmäßiger Weise.
I. Regelmäßiger Wechsel.
II. Unregelmäßiger Wechsel.
Noch bedeutender wächst die Zeit, wenn man ganz unerwartet in eine Versuchsreihe mit lauter starken Eindrücken plötzlich einen schwachen oder auch umgekehrt zwischen schwache Reize einen starken einschiebt. Auf diese Weise sah ich in einzelnen Fällen die Zeit für einen Eindruck nahe der Reizschwelle auf 0,4–0,8 sec. und für einen ziemlich starken Reiz, eine fallende Kugel von 50 cm Höhe, bis auf 0,25 sec. ansteigen. Es ist also eine allgemeine Tatsache, daß ein Reiz, dessen Eintritt zwar im allgemeinen erwartet wird, für dessen Intensität aber eine Adaptation der Aufmerksamkeit nicht stattfinden konnte, eine größere physiologische Zeit erfordert. Es kann nun in solchem Fall ebenso wenig an Veränderungen der Perzeption wie an solche der physiologischen Leitung gedacht werden, sondern der Grund des Unterschieds kann allein darin liegen, daß überall, wo eine vorangegangene Spannung der Aufmerksamkeit nicht stattfindet, die Reaktionsdauer zunimmt. Schon oben wurde bemerkt, daß die auffallende Größe der physiologischen Zeit bei Reizstärken, welche den Schwellenwert eben erreichen oder kaum überschreiten, nach diesen Beobachtungen über unerwartete Eindrücke darauf zurückgeführt werden kann, daß sich bei den schwächsten Reizen die Aufmerksamkeit stets über das richtige Maß hinaus adaptiert, so daß ein ähnlicher Zustand wie bei unerwarteten Eindrücken vorhanden ist. Dem entspricht vollständig die Art, wie im allgemeinen mit dem allmäligen Wachsen des Reizes die Zeit abnimmt. Nahe dem Schwellenwert sinkt sie nämlich sehr schnell, um hierauf bei weiterer Verstärkung des Reizes viel langsamer abzunehmen. Wahrscheinlich tritt in der Nähe der Reizhöhe wieder ein ähnliches Verhalten ein. Man bemerkt nämlich, daß bei einem Schall, der stark genug ist, um Erschrecken hervorzubringen, immer die physiologische Zeit etwas verlängert wird, auch dann, wenn ein starker Schall erwartet wurde. Man nähert sich augenscheinlich bei der Verstärkung des Eindrucks einer Grenze, wo das Erschrecken selbst dann bei jedem einzelnen Reize eintritt, wenn sich dieser in gleicher Intensität mehrmals wiederholt, also vollständig zuvor bekannt ist. Besonders bei elektrischen Versuchen ist dies deutlich zu bemerken, da der elektrische Reiz bei den meisten Menschen sehr zum Erschrecken disponiert. Offenbar findet also bei diesen Eindrücken, die sich der Reizhöhe nähern, wieder etwas ähnliches wie bei der Reizschwelle statt. Die Aufmerksamkeit vermag sich dem Eindruck nicht mehr zu adaptieren, und zwar bleibt jetzt ihre Spannung unter der Größe desselben, ebenso wie sie dort unwillkürlich über dieselbe gesteigert wurde12).
12) In Bezug auf diese Wirkung des Erschreckens befinde ich mich mit dem neuesten Experimentator über unsern Gegenstand, mit Exner, in Widerspruch, welcher bemerkt, daß im Gegenteil beim Erschrecken eine Verkürzung der physiologischen Zeit eintrete (a. a. O. S. 619). Es mag diese Differenz darin ihren Grund haben, daß bei EXNER nur erst die bei Verstärkung des Reizes eintretende Verkürzung der Perzeptionsdauer zur Wirkung kam.
Da die Bedingungen für die willkürliche
Innervation bei diesen Beobachtungen im wesentlichen keine anderen sind,
als bei der Registrierung solcher Eindrücke, deren Stärke zuvor
bekannt ist, so wird man im allgemeinen annehmen dürfen, daß
die Verlängerung der Reaktionsdauer wesentlich auf Rechnung der Apperzeption
kommt. Diese kann die adäquate Spannung nicht vor dem Eintritt des
Reizes annehmen; es wird also dazu eine gewisse Zeit verbraucht, die bei
der Reaktion auf bekannte Reize ganz oder großenteils erspart wird.
Die von der Stärke
des Reizes abhängigen Veränderungen der Perzeptions- und Reaktionsdauer
können wir uns gemäß den obigen Betrachtungen etwa durch
die Fig. 151 veranschaulichen,
in welcher die Zeiträume als Ordinaten auf eine Abszissenlinie x
x' aufgetragen sind, welche die Reizstärken abmißt. Stellen
wir zunächst, mit Vernachlässigung der Leitungsvorgänge,
den Gesamtwert der in der physiologischen Zeit gemessenen Perzeptions-
und Reaktionsdauer durch die ausgezogene Kurve r r' dar,
so beginnt diese bei dem Schwellenwerte a des Reizes in verhältnismäßig
bedeutender Höhe, um zuerst rasch und dann allmälig langsamer
zu sinken bis zu einer der Reizhöhe m nahe gelegenen Grenze
h, bei der sie sich plötzlich von neuem erhebt. Suchen wir
nun daraus die einzelnen Zeiträume der Perzeption und Reaktion zu
gewinnen, so werden sich die Veränderungen des ersten höchst
wahrscheinlich durch eine Kurve p p' darstellen lassen, welche anfangs
schneller und dann immer langsamer sinkt, um in der Gegend der Reizhöhe
einen konstant bleibenden Minimalwert zu erreichen. Die nähere Gestalt
dieser Kurve läßt sich selbstverständlich nur vermutungsweise
bestimmen. Als im allgemeinen wahrscheinlich und auch in zureichender Übereinstimmung
mit der Beobachtung stehend wird man aber wohl die Annahme betrachten können,
daß die Perzeptionsdauer der Intensität der Wirkung, welche
der Eindruck auf das Bewußtsein äußert, umgekehrt proportional
sei, und daß hinwiederum die Wirkung des Eindrucks auf das Bewußtsein
durch die Intensität der Empfindung gemessen werde. Nun ist die Abhängigkeit
der Empfindung vom äußeren Eindruck durch das psychophysische
Gesetz bestimmt. Reproduzieren wir den positiven Teil der in Fig.
69 dargestellten Kurve, welche das Wachstum der Empfindung mit
dem Reize darstellt, durch die unter die Abszissenlinie gelegte Kurve a
e (Fig. 151),
so werden demnach die Ordinaten der Kurve p p' von ihrem Maximalwerte
a p bei der Reizschwelle an proportional den Unterschieden 1, 2,
3 ... von a e abnehmen, d. h. die allgemeine Gestalt von p p'
wird eine Umkehrung der Kurve a e sein. Die Veränderungen der
Reaktionszeit endlich werden durch die zwischen p p' und r r'
gelegenen Ordinatenwerte gemessen. Diese sind für Eindrücke,
welche weder der Reizschwelle noch der Reizhöhe nahekommen, von b
bis h, von konstant bleibender Größe: es sind dies die
Grenzen der vollkommenen Anpassungsfähigkeit der Aufmerksamkeit an
die Reizstärke. Zu beiden Seiten derselben steigt die Reaktionszeit,
denn diesseits b findet eine Über-, jenseits h
eine Unteradaptation der Aufmerksamkeit statt.
Mathematisch lassen
sich diese Verhältnisse folgendermaßen darstellen. Bezeichnen
wir durch t die Perzeptionsdauer und durch E die Stärke
der Empfindung, so nehmen wir
an, wo c eine aus den Versuchen zu bestimmende Konstante bedeutet.
Dann ist nach Kap. VIII
13) De Jaager, de physiologische tijd bij psychische processen. Utrecht 1865. Donders, Archiv f. Anatomie und Physiologie. 1868. S. 657 f.
14) In andern Versuchsreihen schwankt diese Differenz zwischen 0,122 und 0,184 (De Jaager a. a. O. S. 43, DONDERS a. a. O. S. 666); bei den Haut- und Gehörseindrücken sind die Abweichungen unbedeutender.
Es ist nun nicht zu übersehen, daß in jedem dieser Fälle die Versuchsbedingungen nicht unbeträchtlich von einander abweichen, und daß daher die Differenz der physiologischen Zeit zwischen dem erwarteten und dem unerwarteten Eindruck nicht jedesmal dieselbe Bedeutung hat. Indem bei den Tastversuchen auf die Reizung einer jeden Seite die reagierende Bewegung mit der Hand der nämlichen Seite geschieht, bildet sich hier eine feste Assoziation aus, welche offenbar durch die zentrale Reflexverbindung des Tastorgans mit den Skelettmuskeln begünstigt wird. Der ähnliche Fall liegt vor bei der Registrierung von Vokalklängen durch das Nachsprechen derselben. Hier benutzen wir die an und für sich schon bestehende Assoziation zwischen den Schalleindrücken und den Muskeln des Sprachorgans. Ganz anders liegt die Sache bei den Lichtreizen. Daß man z. B. auf rote Eindrücke mit der linken, auf weiße mit der rechten Hand registrieren wolle, ist ganz willkürlich nur für diese Versuche festgesetzt; keine bestehende Assoziation kommt uns hier zu Hilfe, und um eine solche neu auszubilden, würde man jedenfalls eine sehr lange Zeit nötig haben. So beobachtet man denn auch deutlich genug, daß bei den Lichtversuchen immer ein gewisses Besinnen stattfindet, während auf die Tast- und Gehörsreize die Bewegung mit nahezu vollkommener mechanischer Sicherheit erfolgt. Damit hängt wohl auch die von DONDERS weiterhin gefundene Tatsache teilweise zusammen, daß die durch die Sprache erfolgende Reaktion auf ein dem Gesichtssinn gegebenes Vokalzeichen nahezu die doppelte Zeit erfordert als die auf gleiche Weise geschehende Reaktion auf den Vokalklang15). Die Verbindung zwischen Schriftzeichen und Sprachlaut ist ohne Zweifel nicht ganz so fest und eingeübt wie die zwischen Schall und Sprachlaut. Doch kommt dabei außerdem in Betracht, daß ein Vokalklang ein einfacherer Sinneseindruck ist als ein Vokalzeichen: es ist also wahrscheinlich, daß hier auch die Perzeptionsdauer vergrößert wird. Was dagegen die übrigen Fälle betrifft, in denen Eindrücke von gleich einfacher Beschaffenheit auf die verschiedenen Sinne einwirken, so können wir die Verzögerung der physiologischen Zeit für den unbekannten im Vergleich mit dem bekannten Reiz nicht wohl auf eine Verschiedenheit der Perzeptionsdauer beziehen. Ein roter und ein weißer Lichteindruck werden, wie de jaager auch experimentell bestätigt hat, gleich schnell registriert, wenn man immer eine und dieselbe Hand zur Ausführung der Bewegung wählt. Ebenso ist nicht anzunehmen, daß die Perzeptionszeit für rechte und linke Hautreizung oder für verschiedene Vokalklänge eine verschiedene sei. Auch scheint es nicht wahrscheinlich, daß der Eintritt in das allgemeine Blickfeld des Bewußtseins davon abhänge, ob der Eindruck zuvor bekannt sei oder nicht. Wohl aber ist es begreiflich, daß sein Eintritt in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit hiervon wesentlich bedingt wird. Es ist also anzunehmen, daß wir es hier überall mit Verlängerungen der physiologischen Zeit zu tun haben, welche die Reaktionsdauer treffen. Diese letztere steht aber zugleich nicht unter den einfachen Bedingungen, wie sie bei der Reaktion auf einen erwarteten Eindruck stattfinden. Während nämlich bei dem letzteren die Spannung der Aufmerksamkeit unmittelbar mit der vorbereitenden Spannung des registrierenden Bewegungsorganes verbunden ist, folgt jetzt der Apperzeption eine Zwischenzeit, welche erfordert wird, um zwischen den zwei vorbereiteten Bewegungen zu wählen. Es ist also neben der Apperzeptionszeit deutlich noch eine Willenszeit zu unterscheiden. Zweifellos kommen nun die Differenzen der physiologischen Zeiten für bekannte und für unbekannte Eindrücke wesentlich auf Rechnung dieser Willenszeit. Aber außerdem kommt in Betracht, daß solche unbekannte nebenbei immer einigermaßen unerwartete Eindrücke sind, indem auch bei ihnen eine vollkommene Adaptation der Aufmerksamkeit nicht möglich ist. Aus den Versuchen selbst geht hervor, daß die Dauer der Willenszeit wesentlich abhängt von den physiologischen Verbindungen, in welchen die zentralen Empfindungsgebiete mit den reagierenden Bewegungswerkzeugen stehen. Wir können daher mit Wahrscheinlichkeit voraussetzen, daß in jenen Fällen, wo die reagierende Bewegung durch die Mechanik des Nervensystems und eingeübte Assoziationen erleichtert ist, wie bei der Reaktion von Handbewegung auf gleichseitige Fußreizung oder von Sprachlaut auf übereinstimmenden Schallreiz, die Verlängerung vorzugsweise auf Rechnung der Apperzeption zu schreiben ist. Bei den minder erleichterten Bewegungen dürfte dagegen der Willenszeit die wesentliche Rolle zufallen.
15) DONDERS a. a. O. S. 669.
DONDERS hat noch weitere Versuche ausgeführt, durch die er unmittelbar die Zeit der Vorstellungsbildung, also nach den oben gebrauchten Ausdrücken wohl die absolute Apperzeptions-dauer, bestimmen zu können glaubte. Er ließ nämlich zuerst auf bekannten Vokalklang (a), dann auf unbekannten (b) mit dem gleichen Laut reagieren und führte außerdem noch eine dritte Reihe von Versuchen (c) aus, bei denen die Mundstellung dauernd einem bestimmten Vokal angepaßt war, der aber nur in unregelmäßigen Intervallen zwischen andern Vokalklängen angegeben und auf den allein reagiert wurde. Hierbei ist natürlich die physiologische Zeit weniger verlängert als bei der gewöhnli-chen Registrierung eines unbekannten Klanges, und zwar beträgt die Differenz c–a durchschnittlich 0,039 Sek. donders glaubt, daß diese Größe, also etwa 1/25 Sek., als Zeit der Vorstellungsbildung, und die nach Abzug von c restierende Zeit a, etwa 1/28 Sek., als Dauer der Willensbestimmung angenommen werden könne. (DONDERS a. a. O. S. 572.) Aber diese Voraussetzung ist, wie mir scheint, nicht einwurfsfrei. Erstens fällt bei den c-Versuchen die Wahlzeit nicht völlig weg. Mit Recht bemerkt DONDERS, daß, sobald man mit Spannung auf eine Erscheinung harre, man unwillkürlich auch auf einen andern Eindruck reagiere, woraus wir oben gleichfalls geschlossen haben, daß beim Registrieren erwarteter Eindrücke die Wahlzeit verschwindend klein sei. Aber bei den c-Versuchen von Donders verhält sich die Sache eben nicht mehr ganz so: man nimmt sich vor, nur bei einem bestimmten Eindruck die Willensbestimmung eintreten zu lassen, und man kann daher, wenn die Versuche gelingen sollen, die Spannung der Aufmerksamkeit nicht so weit treiben, daß auf jeden beliebigen Eindruck reagiert wird, sondern nach der Apperzeption des Eindrucks muß noch eine Wahlzeit übrig bleiben. Diese ist also nur verkleinert, aber keineswegs verschwindend klein geworden. Zweitens ist es zweifellos, daß in den Versuchen a und c sich auch die Apperzeption unter verschiedenen Bedingungen befindet. Wenn wir nur auf einen bestimmten Eindruck aus einer größeren Reihe reagieren wollen, so ist auf ihn von vornherein unsere Aufmerksamkeit gespannt. Die Apperzeptionsdauer ist also hier sehr wahrscheinlich kleiner, als wenn jeder Eindruck für uns gleichen Wert hat. Demnach ist wohl anzunehmen, daß jene Differenz c–a in der Verkürzung sowohl der Apperzeptions- wie der Willenszeit ihren Grund hat, ohne daß aber jemals einer dieser Zeiträume, wie donders annimmt, gleich null würde.
Komplikationen anderer Art entstehen in den Bedingungen der physiologischen Zeit, wenn man zwar, wie bei den Fundamentalversuchen (s. o.), von denen wir ausgingen, nur einen einzigen, in seiner Qualität und Stärke zuvor bekannten Eindruck registrieren, daneben aber andere Reize einwirken läßt, welche die Spannung der Aufmerksamkeit erschweren. Hierbei wird stets die physiologische Zeit mehr oder weniger beträchtlich verlängert. Der einfachste Fall solcher Art ist dann vorhanden, wenn ein momentaner Eindruck registriert wird, während ein dauernder Sinnesreiz von bedeutender Stärke einwirkt. Dieser dauernde Reiz kann entweder dem nämlichen oder einem andern Sinnesgebiet angehören. Es wurde schon bemerkt, daß das erstere bei den Versuchen über Lichtreizung in der Regel stattfindet, und daß die verhältnismäßig lange Dauer der physiologischen Zeit bei derselben vielleicht zum Teil diesem Umstande zuzuschreiben ist16). Bei dieser Störung durch gleichartige Eindrücke kann nun die Verlängerung sowohl durch die Ablenkung der Aufmerksamkeit als auch dadurch herbeigeführt werden, daß der Eindruck in Folge des begleitenden Reizes nur noch einen geringen Empfindungsunterschied hervorbringt und also der Reizschwelle nahe gerückt wird. In der Tat kommen wohl beide Momente in Betracht. Man findet nämlich, daß die Zeit bei Eindrücken von geringerer Intensität durch den begleitenden Reiz mehr verlängert wird als bei stärkeren Reizen. Ich führte Versuche aus, in denen der Haupteindruck in einem Glockenschlag bestand, der durch eine den Hammer spannende Feder und durch ein an demselben verschiebbares Gewicht in seiner Stärke abgestuft werden konnte. In je einer Versuchsreihe wurde dieser Schall in der gewöhnlichen Weise registriert, in der andern wurde während der ganzen Versuchsdauer ein dauerndes Geräusch hervorgebracht, indem ein mit dem Uhrwerk des Zeitmessungsapparates in Verbindung stehendes Zahnrad sich an einer Metallfeder vorbeibewegte. In der Versuchsreihe A war der Glockenschlag mäßig stark, so daß er durch das begleitende Geräusch sehr vermindert, aber noch nicht völlig zur Sehwelle herabgedrückt wurde; in B war der Schall sehr stark, so daß er auch neben dem Geräusch vollkommen deutlich wahrgenommen werden konnte.
Mittel. Maximum.
Minimum. Zahl d. Vers.
A Ohne Nebengeräusch
0,189
0,244
0,156
21
Mäßiger Schall Mit Nebengeräusch
0,313
0,499
0,183
16
B Ohne Nebengeräusch
0,158
0,206
0,133
20
Starker Schall Mit Nebengeräusch
0,203
0,295
0,140
19
16) Vgl. oben.
Da bei diesen Versuchen der Schall B neben dem Geräusch immer noch merklich stärker empfunden wurde als der Schall A ohne dasselbe, so muß man wohl hierin einen direkten Einfluß des begleitenden Geräusches auf den Vorgang der Reaktion erkennen. Dieser Einfluß kommt nun aber erst rein zur Geltung, wenn der dauernde Reiz und der momentane Eindruck disparaten Sinnesgebieten angehören. Ich wählte zu solchen Versuchen den Gesichts- und Gehörssinn. Momentaner Eindruck war ein zwischen zwei Platinspitzen vor dunklem Hintergrunde überspringender Induktionsfunke. Dauernder Reiz war das in der oben angegebenen Weise hervorgebrachte Geräusch.
Lichtfunken. Mittel.
Maximum. Minimum.
Zahl der Versuche.
Ohne Nebengeräusch
0,222
0,284
0,158
20
Mit Nebengeräusch
0,300
0,390
0,280
18
Bedenkt man, daß bei den Versuchen mit gleichartigen Reizen immerhin auch noch die Intensität des Haupteindrucks herabgedrückt wird, so macht es diese Beobachtung wahrscheinlich, daß die störende Wirkung auf die Aufmerksamkeit bei disparaten Reizen größer ist als bei gleichartigen. Dies bestätigt auch die Selbstbeobachtung bei der Ausführung der Versuche. Man findet es nämlich nicht besonders schwer, den zu dem Geräusch hinzutretenden Schall alsbald zu registrieren; bei den Lichtversuchen hat man aber das Gefühl, daß man sich von dem Geräusch gewaltsam weg- und dem Gesichtseindruck zuwenden müsse. Diese Tatsache steht wohl mit früher berührten Eigenschaften der Aufmerksamkeit in unmittelbarem Zusammenhang. Die Spannung der letzteren ist, wie wir sahen, mit verschiedenen sinnlichen Gefühlen verbunden, je nach dem Sinnesgebiet, auf das sie sich richtet17). Die Innervation, welche bei der Spannung der Aufmerksamkeit existiert, ist also bei disparaten Eindrücken wahrscheinlich eine verschiedene, vielleicht weil sie von verschiedenen Lokalitäten im Zentralorgan ausgeht.
17) Vergl. Kap. XVIII.
Ein zweites Verfahren, durch welches sich der wechselseitige
Einfluß verschiedener Eindrücke ermitteln läßt, besteht
darin, daß man entweder gleichzeitig mit dem Haupteindruck oder durch
eine sehr kurze Zwischenzeit von demselben getrennt, sei es vorher sei
es nachher, einen zweiten momentanen Reiz einwirken läßt. Auch
hier kann dieser zweite Reiz entweder dem nämlichen oder einem disparaten
Sinnesgebiete angehören; im ersteren Fall muß er nur hinreichend
verschieden von dem ersten sein, damit keine Verwechselung stattfinden
könne. An dem unten zu beschreibenden physiologischen Chronoskop (Fig.
154) ließen sich leicht hierauf abzielende Versuchsanordnungen
herstellen. Es konnten nämlich die für gewöhnlich fast unhörbaren
Schwingungen der kleinen Stimmgabel, welche die Zeitmessung besorgt, deutlich
hörbar gemacht werden. Das Entstehen des Tons gab dann einen Eindruck,
dessen Zeit durch die Einstellung des Apparates willkürlich variiert
werden konnte; in der Regel wurde sie so gewählt, daß sie etwas
vor den Zeitpunkt des zu registrierenden Reizes fiel. Dieser bestand wieder
in einer Reihe von Versuchen in einem Glockenschlag, in einer andern in
einem Induktionsfunken. Stets war der störende Klang bedeutend schwächer
als der Haupteindruck. War hierdurch der letztere bevorzugt, so war dies
aber wieder dadurch einigermaßen ausgeglichen, daß der Stimmgabelklang
vorherging. So kam es, daß in einer größeren Reihe von
Versuchen mit gleicher Zeitanordnung immer drei Fälle zu unterscheiden
waren: 1) solche wo der störende Klang vor dem Haupteindruck
gehört wurde, 2) solche wo er gleichzeitig mit demselben und
3) solche wo er nachher gehört wurde. Natürlich muß,
wenn diese drei Fälle neben einander sollen eintreten können,
der Zeitunterschied der beiden Eindrücke unterhalb einer gewissen
Grenze bleiben. Hier aber liegt schon in der Beobachtung selbst, daß
sich bei gleichbleibendem Zeitverhältnis der objektiven Reize die
zeitliche Auffassung derselben verschieben kann, ein bemerkenswertes Resultat.
Diese Beobachtung zeigt nämlich, daß die Sukzession unserer
Sinneswahrnehmungen nicht einmal ihrer Richtung nach mit der Sukzession
der Sinnesreize übereinstimmen muß, sondern daß ein in
Wirklichkeit nachfolgender Eindruck möglicher Weise antizipiert werden
kann. Die Selbstbeobachtung läßt den Ursprung dieser Täuschungen
nicht zweifelhaft: sie beruhen auf der wechselnden Spannung der Aufmerksamkeit.
Bei der oben geschilderten Anordnung der Versuche wird, wenn diese Spannung
sehr klein ist, regelmäßig der zuerst entstehende Eindruck,
der Stimmgabelklang, auch zuerst wahrgenommen. Sobald aber die dem Haupteindruck
zugewandte Spannung bis zu einer gewissen Grenze angewachsen ist, so vermag
dieselbe den in Wirklichkeit späteren Reiz doch gleichzeitig oder
sogar früher in den Blickpunkt des Bewußtseins zu heben. Je
größer die Aufmerksamkeit, um so bedeutender wird die Zeitdifferenz,
die von ihr überwunden werden kann. Neben dieser Erscheinung, die
sich uns noch bei ganz andern Verfahrungsweisen bestätigen wird, findet
man nun die andere, daß die Reihenfolge, in welcher die Eindrücke
wahrgenommen werden, auf die Dauer der physiologischen Zeit von großem
Einfluß ist. Wird der störende Klang erst nach dem Haupteindruck
gehört, so ist die physiologische Zeit des letzteren nicht größer
als unter den gewöhnlichen einfachen Bedingungen: der Eindruck wird
so aufgefaßt, als wenn der störende Nebenklang gar nicht existierte.
Ebenso beobachtet man keine merkliche Abweichung bei gleichzeitiger Auffassung.
Wird dagegen der störende Klang vor dem Haupteindruck wahrgenommen,
so ist die physiologische Zeit immer vergrößert, wie die folgenden
Beispiele zeigen.
Störender Klang:
Mittel. Maximum.
Minimum. Zahl d. Vers.
gleichzeitig oder
A nachher gehört
0,176 0,237
0,140 8
Schallversuche vorher gehört
0,228 0,359
0,159 12
gleichzeitig oder
B nachher gehört
0,218 0,284
0,158 17
Lichtversuche vorher gehört
0,250 0,291
0,212 23
Bei den disparaten Eindrücken wurde der Lichtreiz,
der zu registrieren war, häufiger gleichzeitig mit dem störenden
Klang als nach demselben wahrgenommen; bei den gleichartigen Eindrücken
trat die synchronische Auffassung seltener ein. Ferner macht sich bei allen
diesen Versuchen deutlich eine gewisse Gewohnheit des Beobachtens geltend.
Hat man die Eindrücke bei einem ersten Versuch in einer bestimmten
Folge wahlgenommen, so ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß
sie in dem nächsten Versuch in der nämlichen Folge aufgefaßt
werden. Die Spannung der Aufmerksamkeit tritt also, wie dies auch die Selbstbeobachtung
bestätigt, vorzugsweise leicht in der ihr einmal angewiesenen Richtung
ein. Geschieht plötzlich durch zufällige oder absichtliche Änderung
der Beobachtungsweise eine Umkehrung in der bisherigen Reihenfolge der
Wahrnehmungen, so pflegt bei dem ersten Versuch dieser Art die physiologische
Zeit unter allen Umständen vergrößert zu sein, auch wenn
die Änderung so geschieht, daß der Haupteindruck vor den störenden
Reiz tritt. Es entspricht dies aber der weiteren Tatsache, daß die
ersten Beobachtungen einer neuen Versuchsreihe häufig eine größere
physiologische Zeit ergeben als die folgenden. Erst durch Übung gewinnt
also die Aufmerksamkeit für eine bestimmte Auffassungsweise die möglichst
günstige Anpassung.
Die Verlängerung der physiologischen Zeit durch
die Interferenz des Haupteindrucks mit dauernden oder mit momentanen Reizen
kann, wenn wir von dem Fall absehen, wo der störende Reiz gleichartig
ist und den Eindruck gegen die Schwelle herabdrückt, wieder nicht
wohl in der Perzeptionsdauer ihren Grund haben. Im allgemeinen Blickfeld
des Bewußtseins wird ein Lichtblitz von gegebener Stärke in
derselben Zeit aufleuchten, ob ihn ein Geräusch begleitet oder nicht.
Wohl aber kann die Apperzeption desselben durch einen solchen Nebeneindruck,
der fortwährend die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen strebt, wesentlich
beeinträchtigt werden. Ferner entsteht die Frage, ob nicht in allen
diesen Fällen außerdem noch die Willenszeit verlängert
ist. Sobald ein störender Nebeneindruck stattfindet, ist es unmöglich
die Spannung der Aufmerksamkeit bis zu ihrem höchsten Grade zu steigern,
weil man in diesem Falle jeden Eindruck, auch den nicht beabsichtigten,
also den störenden Reiz selbst, registrieren würde. Es zeigt
sich nun aber gerade bei diesen Versuchen sehr deutlich, wie innig die
beiden Vorgänge der Apperzeption und der Willenserregung mit einander
zusammenhängen. Die Aufmerksamkeit so anzuspannen, daß Auffassung
des Eindrucks und Willenserregung unmittelbar eins sind, daran hindert
eben der gleichzeitig bestehende oder voraufgegangene störende Reiz.
Ist jedoch der Eindruck in den Blickpunkt des Bewußtseins getreten,
so hat damit auch wahrscheinlich immer die Willenserregung ihre erforderliche
Höhe erreicht, weil in den vorliegenden Fällen nicht zugleich
eine Wahl zwischen verschiedenen Bewegungen gefordert ist. Da also bei
unsern Störungsversuchen durch die ablenkende Wirkung des störenden
Reizes auf die Aufmerksamkeit von selbst schon die Vermeidung falscher
Registrierung erreicht wird, so ist es wenigstens nicht notwendig dabei
neben der vergrößerten Apperzeptionsdauer noch eine vergrößerte
Willenszeit anzunehmen. Mit jenem Anwachsen der Spannung, welches zum Eintritt
des Eindrucks in den Blickpunkt erfordert wird, kann vollkommen gleichzeitig
das Anwachsen der Willenserregung verbunden, und es kann so die Zwischenzeit,
wie bei der gewöhnlichen Reaktion auf erwartete Eindrücke, verschwindend
klein sein. Übrigens ist zu bemerken, daß zuweilen auch in diesen
Versuchen unwillkürlich die Spannung der Aufmerksamkeit zu bedeutend
wird, so daß man in der Tat statt des Haupteindrucks den störenden
Reiz registriert.
Den zuletzt besprochenen gerade entgegengesetzte
Bedingungen für die Auffassung der Eindrücke werden dann hervorgebracht,
wenn dem Hauptreiz, welcher apperzipiert werden soll, ein anderer Reiz
nicht, wie in den Störungsversuchen, um eine sehr kurze Zeit vorangeht,
sondern nachfolgt. In diesem Fall treten insofern wesentliche Veränderungen
der Beobachtungsmethode ein, als es nicht mehr erforderlich ist, die isolierte
Auffassung des ersten Eindrucks durch eine ausgeführte Bewegung zu
registrieren, sondern man kann nun den zweiten Eindruck, falls er dem nämlichen
Sinne angehört, selbst benutzen, um die Apperzeptionsdauer des ersten
Eindrucks festzustellen. Es ist zu diesem Zweck nur erforderlich, daß
man die Zwischenzeit zwischen den beiden Eindrücken variabel macht
und durch Versuche die Zeitdistanz bestimmt, welche nötig ist, damit
der erste Eindruck nicht durch den zweiten ausgelöscht werde. Jener
Teil der Reaktionszeit, welcher der Willenserregung zugehört, fällt
also hier von selbst hinweg. Diesem Versuchsplan setzen sich nun aber Schwierigkeiten
entgegen, welche denselben nicht vollständig zur Durchführung
gelangen lassen. Jeder Reiz bewirkt nämlich in dem Sinnesorgane eine
rein physiologische Nachwirkung, die vorübergegangen sein muß,
wenn er von dem nachfolgenden Eindruck getrennt werden soll. Bei einfachen
Sinneseindrücken, z. B. bei momentanen Lichtblitzen oder Schallreizen,
fällt die Zeitgrenze, innerhalb deren auf einander folgende Eindrücke
von gleicher Beschaffenheit getrennt werden können, ohne Zweifel ganz
und gar mit dieser Zeit der physiologischen Nachwirkung zusammen. So erklärt
es sich, daß das Intervall zwischen intermittierenden Lichtreizen
viel größer sein muß, als zwischen Haut- und Schallreizen,
wie dies z. B. die folgenden von MACH mitgeteilten
Zahlen zeigen18):
Beim Gehör dauert die Nachwirkung des Reizes am kürzesten; sie fällt hier ziemlich genau mit der früher mittelst der Schwebungen bestimmten Zeitgrenze von etwa 1/60 Sek. zusammen19).
19) Vergl. Kap. IX.
Ein einzelner Eindruck kann natürlich bei sehr viel kürzerer Dauer eine Empfindung hervorbringen, da die Nachwirkung, die im vorigen Fall das Zusammenfließen der Eindrücke begünstigt, hier im Gegenteil die Wahrnehmbarkeit erleichtert. Doch ist diese Untersuchung erst in Bezug auf Lichteindrücke ausgeführt worden. Hier geht aus EXNER's Beobachtungen hervor, daß hauptsächlich die Intensität und Extensität des Reizes auf die Zeit seiner Auffassung von Einfluß ist. Annähernd nimmt nämlich diese Zeit in arithmetischer Progression ab, wenn die Lichtstärken in geometrischer Progression wachsen; das nämliche Verhältnis scheint zwischen der Ausdehnung der gereizten Netzhautfläche und der erforderlichen Dauer der Reizung zu bestehen. Außerdem befördert die Entwicklung eines Nachbildes die Auffassung. Schneidet man dieses durch einen schnell darauf folgenden Reiz ab, so muß man also den Haupteindruck selbst länger einwirken lassen20).
20) EXNER, Sitzungsber. der WienerAkademie. Math.-naturw. CI. Abth. II. Bd. 58. S. 596 f.
Anders verhält es sich, wenn der Haupteindruck, der durch einen folgenden ausgelöscht wird, von zusammengesetzterer Art ist, also z. B. aus geometrischen Figuren oder Buchstaben besteht. Der Umstand, dass wir auch solche zusammengesetzte Vorstellungen beim momentanen Blitz des elektrischen Funkens bilden können, darf nicht verführen, für ihre Entstehung wirklich bloß einen momentanen physiologischen Reiz vorauszusetzen; denn wir bedienen uns hierbei gerade jener Nachwirkung des Reizes, durch welche derselbe namentlich beim Auge ziemlich lange von der Empfindung überdauert wird. Man kann nun die letztere in diesem Fall einigermaßen dadurch eliminieren, daß man dem aufzufassenden Eindruck einen andern folgen läßt, welcher, indem er ihn auslöscht, zugleich seine physiologische Nachwirkung abschneidet. Solche Versuche sind von BAXT ausgeführt worden21). Indem dabei die Zeit zwischen dem Haupteindruck und dem zweiten, auslöschenden Reize mehrfach variiert wurde, konnte durch Probieren diejenige Zwischenzeit der beiden Reize bestimmt werden, bei welcher eben noch eine Wahrnehmung zu Stande kam. Da, wenn kein auslöschender Reiz nachfolgt, schon ein momentaner Eindruck genügt, um die Wahrnehmung entstehen zu lassen, so kann man erwarten, daß jene Zwischenzeit der wirklichen Apperzeptionsdauer entspreche. Die so gemessene Zeit ist nun aber erheblich verschieden und nimmt mit der Intensität des auslöschenden Reizes bedeutend zu. Hieraus läßt sich schließen, daß durch schwächere Reize die Entwicklung der Vorstellung nicht völlig abgeschnitten wird, sondern daß sie sich gegen dieselben emporarbeiten kann. Bei verschiedener Stärke des auslöschenden Reizes variierte nämlich unter sonst gleichen Bedingungen die Zeit, die zur Wahrnehmung von etwa 3 Buchstaben erforderlich war, zwischen 1/40 und 1/18Sek. Nehmen wir an, daß durch die stärksten Reize das Emporarbeiten der Vorstellung vollständig abgeschnitten werde, so würde demnach für einen Eindruck dieser Art etwa 1/18 Sek. der Betrag der Apperzeptionsdauer sein22). Mit der Komplikation des Eindrucks nimmt diese Zeit beträchtlich zu. Als z. B. baxt einfachere und kompliziertere Kurven als Objekt benutzte, verhielten sich die gebrauchten Zeiten wie 1 : 523). Auch die Ausdehnung des Eindrucks ist von bedeutendem Einfluß: große Buchstaben können z. B. schon bei einer Zeitdauer gelesen werden, bei der kleine nicht einmal als Buchstaben erkannt werden; es ist aber wohl möglich, daß dies von der Akkommodation des Auges herrührt, weil kleinere Objekte zu ihrer Erkennung eine schärfere Akkommodation nötig machen als große24). Endlich übt auch der Kontrast mit den übrigen im Blickfeld gelegenen Eindrücken eine gewisse Wirkung aus, indem die Apperzeptionsdauer um so kürzer wird, je größer der Beleuchtungsunterschied des wahrzunehmenden Objektes von seiner Umgebung ist25).
21) Baxt, PFLÜGER'S Archiv IV, S. 325.
22) Baxt a. a. O. S. 330.
23) Die Kurven, welche als Objekte dienten, waren Schwingungskurven
der LISSAJOU’schen Stimmgabel (S. 331).
24) Außerdem kann dabei die Lage des Bildes auf
der Netzhaut in Betracht kommen. Nach Exner's Beobachtungen wird ein Kontur
dann am schärfsten wahrgenommen, wenn sein Bild etwa um 0,29 Mm. vom
Netzhautzentrum entfernt liegt. Diese Stelle der schärfsten Wahrnehmung
fällt nicht mit der empfindlichsten Stelle zusammen, welche nach EXNER
etwa 1,33 Mm. vom Mittelpunkt abliegt. (Exner, a. a. 0. S. 627, 631.)
25) BAXT a. a. 0. S. 334.
Bei diesen und ähnlichen Beobachtungen gehen die beiden einander folgenden Eindrücke kontinuierlich in einander über: zwischen dem ersten und zweiten Reiz findet sich objektiv keine Zwischenzeit, denn in dem Moment, wo der zweite Reiz entsteht, ist die von der Nachwirkung des ersten herrührende Empfindung noch nicht erloschen. Trotzdem ist deutlich ein kleines Intervall zu bemerken, in welchem keiner der beiden Eindrücke mit Bestimmtheit aufgefaßt wird. Es bestätigt sich also hier der im allgemeinen schon hervorgehobene Satz26), daß die Zeit ein diskretes Gebilde sei: den Wechsel der Vorstellungen fassen wir überall als einen unstetigen auf, auch wenn die verursachenden Eindrücke vollkommen stetig in einander übergehen. Es gibt nur einen einzigen Fall, wo auch unsere Vorstellung den Veränderungen des Eindrucks stetig nachfolgt: wenn nämlich diese entweder in stetigen Veränderungen der Qualität und Stärke oder in einem stetigen Ortswechsel im Raume bestehen. Hierbei handelt es sich aber in Wahrheit nicht eigentlich um einen Wechsel von Vorstellungen sondern nur um die stetige Veränderung einer einzigen Vorstellung. Überall dagegen wo an die Stelle eines gegebenen Eindrucks ein anderer verschiedenartiger tritt, da schieben wir ein kleines Intervall zwischen unsere Vorstellungen. Dieses Gesetz des diskreten Wechsels der Vorstellungen beruht nun ganz und gar auf dem Wesen der Apperzeption. Unsere Aufmerksamkeit braucht eine gewisse Zeit, um von einem Eindruck zu einem andern überzugehen. So lange der erste Eindruck dauert, ist ihm die ganze Spannung der Aufmerksamkeit zugewandt: diese kann also nicht vorbereitend anwachsen, um den zweiten im selben Moment, wo er einwirkt, schon zu erfassen. Es vergeht daher eine Zwischenzeit, in welcher der erste Eindruck noch nachwirkt und der zweite sich gegen ihn aufarbeitet. Diese Zeit, die uns im allgemeinen als ein leerer oder doch unbestimmt ausgefüllter Zwischenraum zwischen den zwei deutlichen Vorstellungen zum Bewußtsein kommt, kann nun unter Umständen null werden, so daß die Eindrücke gleichzeitig zu sein scheinen, oder sie kann sogar negative Werte annehmen, wo der spätere Eindruck früher vorgestellt wird.
26) Vergl. Kap. XVI.
Eine solche Umkehrung in der Reihenfolge der Vorstellungen ist, wie aus unsern früheren Versuchen hervorgeht27), sowohl zwischen disparaten wie zwischen gleichartigen Sinneseindrücken möglich. So kann ein Lichtblitz vor oder nach dem gleichzeitig einwirkenden Tone gehört werden, aber auch ein Schall kann unter besonders günstigen Bedingungen in Bezug auf sein Zeitverhältnis zu einem andern Gehöreindruck verschoben werden. Die Beobachtung, daß man zuweilen beim Aderlaß mit dem Schnepper diesen später in die Haut ein- als das Blut hervordringen sieht28), gehört ebenfalls zu diesen Verschiebungen der Reihenfolge im nämlichen Sinnesgebiet. Bedingung zu ihrem Eintritt ist stets, daß die Aufmerksamkeit vorzugsweise der einen der beiden Vorstellungen zugekehrt sei, wobei außerdem die Stärke des Reizes wesentlich seine Bevorzugung begünstigt. Es ist aber keineswegs notwendig, daß eine solche Zwischenzeit existiere, sondern es können selbst bei sehr gespannter Aufmerksamkeit beide Eindrücke gleichzeitig in den Blickpunkt des Bewußtseins treten: es ist dazu nur erforderlich, daß dieselbe möglichst gleichmäßig auf die zwei Eindrücke gespannt sei, was eben bei den bisher angeführten Beobachtungen gerade nicht stattfand. Einen Fall aber, wo die Bedingungen entgegengesetzter Art sind, haben wir gleichfalls schon kennen gelernt: er liegt in jenen Versuchen vor, wo man einen signalisierten Eindruck möglichst gleichzeitig zu registrieren sucht und dies an der Gleichzeitigkeit der Innervations- und Tastempfindung abmißt. Wir sahen, daß hier nicht nur in der Selbstbeobachtung die Auffassung der verschiedenen Sinne sich meistens als eine gleichzeitige darstellt, sondern daß auch zuweilen die Registrierung wirklich eine gleichzeitige ist. Die Schwierigkeit, dieser Beobachtungen und die verhältnismäßige Seltenheit, mit der es gelingt die physiologische Zeit ganz zum Verschwinden zu bringen, zeigt aber schon, daß es sehr schwer ist, auch nur zwei verschiedene Vorstellungen neben einander bei möglichst gespannter Aufmerksamkeit im Blickpunkt des Bewußtseins festzuhalten. Zugleich muß daran erinnert werden, daß, wie früher schon hervorgehoben29), man dabei immer die verschiedenen Vorstellungen in eine gewisse Verbindung bringt, sie also zu Bestandteilen einer einzigen komplexen Vorstellung gestaltet. Bei den erwähnten Registrierversuchen ist es mir z. B. nicht selten, als wenn ich den Schall, den die Kugel auf dem Fallbrett hervorbringt, selbst durch meine Registrierbewegung erzeugte.
27) Vergl. Beginn des Kap.
28) FECHNER, Psychophysik II, S. 433.
29) Vergl. Kap. XVIII.
Wichtig für das Wesen der Zeitanschauung ist es nun aber, daß bei der zeitlichen Lagebestimmung zweier Vorstellungen, welche gleichzeitigen oder durch ein sehr kurzes Intervall getrennten Eindrücken entsprechen, von den drei denkbaren Fällen, Gleichzeitigkeit, stetigem und unstetigem Übergang, nur der erste und der letzte vorkommen, nicht der zweite. Sobald wir die Eindrücke nicht gleichzeitig auffassen, wobei wir sie in eine Komplexion vereinigen, bemerken wir immer eine kürzere oder längere Zwischenzeit, die dem Sinken der einen und dem Steigen der andern Vorstellung zu entsprechen scheint. Hierin gibt sich eben deutlich die an sich diskrete Natur unserer Zeitanschauung zu erkennen. Ihre letzte Quelle hat diese in dem Wesen der Apperzeption. Unsere Aufmerksamkeit kann sich möglicher Weise zwei Eindrücken gleichmäßig anpassen: dann treten diese in eine Vorstellung zusammen. Oder sie kann nur einem Eindruck genügend adaptiert sein, um denselben sehr rasch nach seiner Einwirkung zu apperzipieren: dann hat der zweite Eindruck eine gewisse Zeit der Latenz nötig, während deren die Spannung der Aufmerksamkeit für ihn wächst und für den ersten sich vermindert. Jetzt werden die Eindrücke als zwei Vorstellungen wahrgenommen, die in dem Verhältnis der Sukzession zu einander stehen, d. h. durch ein Zeitintervall getrennt sind, in welchem die Aufmerksamkeit auf keinen zureichend adaptiert ist, um ihn zur Apperzeption zu bringen. Es erinnert dies an Beobachtungen, welche uns bei Gelegenheit der Vorstellungsbildung in den Erscheinungen des Glanzes und des Wettstreits der Sehfelder30), schon entgegengetreten sind. Auch sie deuten darauf hin, daß wir alle gleichzeitig von der Aufmerksamkeit erfaßten Eindrücke in eine mehr oder weniger zusammengesetzte Vorstellung vereinigen, daß wir aber, wo diese Vereinigung durch irgend welche Bedingungen gehindert ist, die gleichzeitig gegebenen Eindrücke in eine Sukzession des Vorstellens auflösen. Für die Bewegung der Aufmerksamkeit sind endlich alle diese Tatsachen von großer Wichtigkeit. Wir haben uns diese Bewegung als Wanderung eines Blickpunktes von wechselnder Ausdehnung und von einer im umgekehrten, Verhältnis zur Ausdehnung wechselnden Helligkeit über das Blickfeld gedacht. Die sukzessive Anpassung an verschiedene Eindrücke können wir uns nun so vorstellen, daß der innere Blickpunkt, wenn er von einer Vorstellung zu einer andern übergeht, sich immer zuerst über einen beträchtlichen Teil des ganzen Blickfeldes ausdehnt und hierauf an einer andern Stelle desselben wieder verengert. Auch darin verhält sich also das innere Blickfeld wesentlich verschieden von dem äußern des Auges. Von einem ersten zu einem davon entfernten zweiten Lichteindruck können wir nur übergehen, indem der Blickpunkt zwischenliegende Eindrücke streift. Wenn aber die Apperzeption von einer Vorstellung zur andern eilt, so verschwindet dazwischen alles in dem Halbdunkel des allgemeinen Bewußtseins.
30) Vergl. Kap. XIV.
Neuen Bedingungen begegnet der Vorgang der Apperzeption
endlich dann, wenn eine Reihe in regelmäßigem Wechsel verlaufender
Vorstellungen gegeben ist und in diese Reihe nun irgend ein anderer Eindruck
eingeschoben wird. Hier entsteht die Frage: mit welchem Glied der Vorstellungsreihe
wird die hinzutretende Vorstellung durch die Apperzeption verbunden? Fällt
sie regelmäßig mit demjenigen zusammen, mit welchem der äußere
Eindruck gleichzeitig ist, oder können Abweichungen hiervon stattfinden?
— Auch hier ist der hinzutretende Eindruck entweder ein gleichartiger oder
ein disparater Reiz. Ist derselbe gleichartig, tritt z. B. ein Gesichtsreiz
in eine Reihe von Gesichtsvorstellungen, ein Schallreiz in eine Reihe von
Gehörsvorstellungen, so vermag zwar ebenfalls die Apperzeption die
Reihenfolge der Vorstellungen zu verschieben. Solches findet aber ganz
innerhalb der engen Grenzen statt, in der sich dies bei der Einwirkung
zweier isolierter Eindrücke ereignen kann, so daß zwischen der
Verbindung der Vorstellungen und der wirklichen Verbindung der Eindrücke
keine oder kaum merkliche Differenzen gefunden werden. Ist dagegen der
hinzutretende Eindruck ein disparater Reiz, so ergeben sich sehr bedeutende
Zeitverschiebungen der Vorstellung, welche in hohem Grade unsere Beachtung
verdienen.
Am zweckmäßigsten ist es bei diesen Versuchen
als Vorstellungsreihe eine Anzahl von Gesichtsvorstellungen, welche man
sich leicht mittelst eines bewegten Objektes verschaffen kann, und als
hinzutretenden disparaten Eindruck einen Schallreiz zu wählen. Man
läßt z. B. vor einer kreisförmigen Skala einen Zeiger mit
gleichförmiger und hinreichend langsamer Geschwindigkeit sich bewegen,
so daß die Einzelbilder desselben nicht verschmelzen, sondern seine
Stellung in jedem Momente deutlich aufgefaßt werden kann. Dem Uhrwerk,
welches den Zeiger dreht, gibt man eine solche Einrichtung, daß bei
jeder Umdrehung ein einmaliger Glockenschlag ausgelöst wird, dessen
Eintrittszeit beliebig variiert werden kann, so daß der Beobachter
niemals zuvor weiß, wann der Glockenschlag wirklich stattfindet.
Es sind nun bei diesen Beobachtungen drei Dinge möglich: entweder
kann der Glockenschlag genau im selben Moment apperzipiert werden, in welchem
der Zeiger zur Zeit des Schalls steht; in diesem Fall findet also keine
Zeitverschiebung statt. Oder der Schall kann mit einer späteren Zeigerstellung
kombiniert werden: dann werden wir, falls der Zeitunterschied so bedeutend
ist, daß er nicht bloß auf die Fortpflanzungsvorgänge
bezogen werden kann, eine Zeitverschiebung der Vorstellungen annehmen müssen,
die wir, wenn der Schall später apperzipiert wird, als er wirklich
stattfindet, positiv nennen wollen. Endlich kann aber auch der Glockenschlag
mit einer Zeigerstellung kombiniert werden, welche früher liegt, als
der wirkliche Schall: hier werden wir die Zeitverschiebung eine negative
nennen. Das scheinbar natürlichste, am meisten der Voraussicht gemäße
scheint wohl die positive Zeitverschiebung zu sein, da wir vermuten dürfen,
daß zur Apperzeption immer eine gewisse Zeit erfordert wird. Man
könnte denken, daß diese Versuche sogar die einwurfsfreieste
Methode abgeben möchten, um die wirkliche Apperzeptionsdauer beim
Wechsel disparater Vorstellungen zu bestimmen, weil bei ihnen die Zeit
der Willenserregung wieder gar nicht in's Spiel kommt. Aber der Erfolg
zeigt, daß gerade das Gegenteil richtig ist. Der weitaus häufigste
Fall ist, daß die Zeitverschiebung negativ wird, daß
also der Schall anscheinend früher gehört wird, als er wirklich
stattfindet. Viel seltener ist sie null oder positiv. Zu bemerken ist übrigens,
daß bei allen diesen Versuchen die sichere Kombination des Schalls
mit einer bestimmten Zeigerstellung eine gewisse Zeit erfordert, und daß
dazu niemals etwa eine einzige Umdrehung des Zeigers genügt. Es muß
also die Bewegung eine längere Zeit hindurch vor sich gehen, wobei
auch die Schalleindrücke eine regelmäßige Reihe bilden,
so daß immer ein gleichzeitiges Ablaufen zweier disparater
Vorstellungsreihen stattfindet, deren jede durch ihre Geschwindigkeit die
Erscheinung beeinflussen kann. Dabei bemerkt man, daß zuerst der
Schall nur im allgemeinen in eine gewisse Region der Skala verlegt wird,
und daß er sich erst allmälig bei einer bestimmten Zeigerstellung
fixiert. Ein auf solche Weise durch Beobachtung bei mehreren Umdrehungen
zu Stande gekommenes Resultat bietet übrigens noch keine zureichende
Sicherheit. Denn zufällige Kombinationen der Aufmerksamkeit spielen
hier eine große Rolle. Wenn man sich vornimmt, den Glockenschlag
mit irgend einer willkürlich gewählten Zeigerstellung zu verbinden,
so gelingt dies gar nicht schwer, falls man nur diese Stellung nicht zu
weit von dem wirklichen Ort des Schalls währt. Verdeckt man ferner
die ganze Skala mit Ausnahme eines einzigen Teilstrichs, vor welchem man
nun den Zeiger vorbeigehen sieht, so ist man sehr geneigt, den Glockenschlag
gerade mit dieser wirklich gesehenen Stellung zu kombinieren, und zwar
kann dabei leicht ein Zeitintervall von mehr als 1/4
Sekunde ignoriert werden. Brauchbare Resultate lassen sich also
nur aus lange fortgesetzten sehr zahlreichen Versuchen gewinnen, in denen
sich nach dem Gesetz der großen Zahlen solche unregelmäßige
Schwankungen der Aufmerksamkeit immer mehr ausgleichen, so daß die
wahren Gesetze ihrer Bewegung deutlich hervortreten können. Obgleich
meine Versuche sich, mit freilich vielen unvermeidlichen Unterbrechungen,
über eine lange Reihe von Jahren erstrecken, so sind sie daher doch
noch nicht zahlreich genug, um alle Verhältnisse zu erschöpfen;
immerhin lassen sie die Hauptgesetze erkennen, welchen die Apperzeption
unter den angegebenen Bedingungen folgt. Ich habe diese Versuche teils
an einer Scheibe, vor welcher ein Zeiger mit konstanter, übrigens
zwischen gewissen Grenzen zu variierender Geschwindigkeit sich bewegte,
teils an einem Pendel ausgeführt, dessen Schwingungsdauer man durch
ein schweres an der Pendelstange verschiebbares Gewicht zwischen 1 und
1,75 Sekunden verändern konnte (Fig.
155). Die Versuche an dem ersten Apparat sind nicht zahlreich
genug, doch sind sie hinreichend, um die Abhängigkeit der Zeitverschiebung
von der Geschwindigkeit der Vorstellungsreihe erkennen zu lassen. Eine
größere Zahl von Versuchen wurde an dem zweiten Apparat ausgeführt;
sie lassen außer der Abhängigkeit von der einfachen Geschwindigkeit
auch den Einfluß der Geschwindigkeitsänderung erkennen, da bei
jeder halben Pendelschwingung zuerst die Geschwindigkeit in der Aufeinanderfolge
der Zeigerstellungen bis zu einem Maximum zu- und dann wieder abnimmt.
Wir müssen nun bei diesen Beobachtungen unterscheiden:
1) die Veränderungen, welche die Zeitverschiebung ihrem Sinne nach
erfährt, also die Verhältnisse ihrer positiven, negativen und
Nullwerte, und 2) die Schwankungen, welche sie in Bezug auf ihre Größe
darbietet. In ersterer Hinsicht zeigt sich die Geschwindigkeit der ablaufenden
Vorstellungsreihe vom wesentlichsten Einflusse. Sobald diese Geschwindigkeit
eine gewisse Grenze überschreitet, gewinnt die Zeitverschiebung positive,
unter dieser Grenze hat sie fast ausnahmslos negative Werte. Bei
jener Zeitgrenze selbst ist sie bald positiv, bald negativ und zuweilen
völlig null. Hier sind also die günstigsten Bedingungen gegeben,
um in einer größern Zahl von Beobachtungen die wirkliche Zeit
des Eindrucks wahrzunehmen, zugleich ist aber die mittlere Variation sehr
bedeutend. Bei einer Scheibe von 16 cm Halbmesser, an deren Peripherie
jeder zehnte Winkelgrad durch einen Teilstrich bezeichnet war, fand ich
den angegebenen Grenzwert etwa erreicht, wenn die Umdrehungsgeschwindigkeit
gerade 1 Sekunde, also das Zeitintervall zwischen je zwei Glockenschlägen
ebenfalls l", dasjenige zwischen zwei Gesichtszeichen 1/36"
betrug. Bei noch größerer Geschwindigkeit wurde der Schalleindruck
meistens erst mit einem später kommenden, bei kleinerer Geschwindigkeit
wurde er fast regelmäßig mit einem vorangehenden Teilstrich
kombiniert. Ist die Geschwindigkeit der Vorstellungsreihen veränderlich,
so ist dann außerdem die im Moment des hinzutretenden Eindrucks vorhandene
Geschwindigkeitsänderung von Einfluß. Man ist nämlich
geneigt, in solchen Augenblicken, in denen die Geschwindigkeit zunimmt,
eine negative, wo dagegen die Geschwindigkeit abnimmt, eine positive
Zeitverschiebung eintreten zu lassen, also immer den hinzutretenden Eindruck
mit den langsamer vorübergehenden Gliedern der Reihe zu verbinden.
Dies zeigen die Versuche am Pendel, aus denen ich in der nachfolgenden
kleinen Tabelle eine Zusammenstellung gebe. Dabei ist zu bemerken, daß
die Geschwindigkeit der Pendelschwingungen nur eben der Grenze nahe gebracht
werden konnte, bei welcher positive Zeitverschiebung eintritt, so daß
im allgemeinen die negative bevorzugt ist. Die Versuche sind nach den Werten
der Geschwindigkeit c, die in der ersten Horizontalkolumne verzeichnet
sind, und nach den Werten der Geschwindigkeitsänderung c',
die in der ersten Vertikalcolumne links stehen, geordnet; c' ist
positiv genommen, wenn die Geschwindigkeit zunimmt, negativ, wenn sie abnimmt.
Die einzelnen Fälle positiver und negativer Zeitverschiebungen sind
nach denjenigen Gruppen geordnet, welche zwischen gewissen Grenzen von
c und von c' gefunden wurden. Die zwei Zahlen +1 –8 in der
zweiten Vertikalreihe bedeuten also z. B., daß bei einer Winkelgeschwindigkeit
zwischen 5 und 7 und bei einer Geschwindigkeitsänderung von 0 bis
10 eine positive auf 8 negative Zeitverschiebungen beobachtet wurde31).
c'
c
+
5—7 7— 9
9—11 11—13
13—15
0—10 + 1—8
+ 9—45
+10—39 + 5—24
+ 1— 6
10—20 —3
+ 3— 5
+ 6—16 + 1—13
+ 4— 4
20—30 —
+ 1— 1
+ 1— 2
—11
— 2
30—40 —
—
—
— 1
— 1
40––50 ––
––
––
–– 1
––
––
0—10 + 4—16 +19—35
+ 28—31 + 5—24
+1—2
10—20 +14— 4 + 13— 6
+ 10—16 + 4—15
— 4
20—30 + 4— 1 + 6— 3
+ 4— 6 + 3—
6 + 2—1
30—40 + 1— 1 + 3— 3
+ 3— 1 + 1—
5
—
40—50 + 1
+ 2— 2
+ 1— 4 + 1
+ 1
31) Bezeichnen wir mit t die Schwingungsdauer des Pendels, mit a dessen Amplitude, mit b den Ort des wirklichen Glockenschlags und mit b ' denjenigen des scheinbaren, beide in Winkeln von der Mittellage aus gerechnet, so findet man die Zeit x, die zwischen dem Vorbeigang bei b und bei b ' liegt, aus der folgenden Annäherungsformel:
Wenn diese Versuche, wie es hier geschehen ist, ein
einzelner Beobachter an sich selbst ausführt, so ist es nötig
den Ort des Schalls durch möglichst unaufmerksame Einstellung des
Glockenschlags zu variieren. Daraus erklärt sich, daß die Versuche
ihrer Zahl nach sehr ungleich über die einzelnen Werte von c
und c' verteilt sind; namentlich bevorzugt man bei solchen zufälligen
Einstellungen vermöge der Einrichtung des Apparates (Fig.
155) leicht diejenigen Hammerstellungen, bei denen die Geschwindigkeitsänderung
klein ist. Trotzdem erkennt man deutlich sowohl den Einfluß der Geschwindigkeit
wie den der Geschwindigkeitsänderung.
Beide Einflüsse kommen nun auch bei der Größe
der Zeitverschiebung in Rücksicht. Diese ist im allgemeinen am
bedeutendsten bei geringer Geschwindigkeit und geringer Geschwindigkeitsänderung,
und mit wachsenden Werten beider nimmt sie ab. Will man also eine möglichst
kleine Zeitverschiebung erhalten, so müssen c und c'
möglichst groß sein. Beispielsweise führe ich die Mittelzahlen
einer einen Monat (5. Juli–4. Aug. 1865) dauernden Versuchsreihe an. Die
Zahlen der folgenden Tabelle bedeuten die absoluten Werte der Zeitverschiebung.
In solchen Rubriken für c und c', in welchen sowohl
positive als negative Bestimmungen vorliegen, sind nur diejenigen benutzt,
welche der häufigsten Verschiebung zugehören. Die Tabelle läßt
daher gleichzeitig wieder an dem Vorzeichen der Zeitwerte den Einfluß
der Geschwindigkeitsänderung auf den Sinn der Zeitverschiebung erkennen.
Man sieht, daß die letztere bei den langsamsten Geschwindigkeiten
der Größe der physiologischen Zeit, wie sie durch die Registrierversuche
bestimmt wird, nahe kommt, mit dem Unterschied, daß hier die Zeit
negativ ist, indem der Eindruck apperzipiert wird, ehe er wirklich
stattfindet. Diese größten Werte der Zeitverschiebung betragen
über 1/10". Von da an nimmt
sie immer mehr ab, und bei der äußersten Geschwindigkeit und
Geschwindigkeitsänderung, welche erreicht werden konnte, ist sie bis
auf 1/25" gesunken. Die Abweichungen
der Einzelbeobachtungen sind bei diesen Versuchen sehr bedeutend, namentlich
wenn man das bei höheren Werten von c und c' häufig
vorkommende Überspringen der Zeitverschiebung von der negativen auf
die positive Seite und umgekehrt berücksichtigt. Am kleinsten ist
die mittlere Variation, nämlich kaum größer als bei den
gewöhnlichen Registrierversuchen (0,012—0,025), bei geringer und gleichförmiger
Geschwindigkeit. Mit der Größe von c und c' steigt
sie dann aber sehr und kann schließlich nahezu den ganzen Betrag
der absoluten Zeitverschiebung erreichen.
c
c'
+
—
0— 10 10—20 20—40
40¾ 50 0—10
10—20 20—40 40—50
5—7
—0,124 —0,070 —
— —0,120
+0,069 —
+ 0,076
7—9
—0,095 —0,073 —
—
+0,079 —
9¾ 11
¾ 0,082
¾
+ 0,083
¾ 0,069 ¾ 0,055
+0,077 +0,069
+0,040
11¾ 13
¾
¾
¾
Es ist zweifellos, daß bei Beobachtungen dieser Art individuelle Unterschiede von bedeutender Größe vorkommen. Für die Nachweisung derselben fehlt es mir an unmittelbarem Material; doch werden sie schon durch die Schwankungen, die der einzelne Beobachter zu verschiedenen Zeiten an sich selbst findet, wahrscheinlich. Direkter noch geht ihre Existenz aus gewissen astronomischen Beobachtungen hervor, deren Bedingungen mit unsern Versuchen im wesentlichen übereinstimmen. Bei der älteren Methode, die Zeit des Durchgangs eines Sterns durch den Meridian des Beobachtungsortes zu bestimmen, bedient sich der Astronom eines an einem Stativ um einen Vertikal- und einen Horizontalkreis drehbaren Fernrohrs, des sogenannten Passageinstruments. Zur Orientierung im Gesichtsfelde dient ein in der gemeinsamen Fokalebene der Objektiv- und Ocularlinse ausgespanntes Fadennetz, das gewöhnlich aus 2 Horizontalfäden und aus 5 oder 7 Vertikalfäden besteht. Das Fernrohr wird nun so aufgestellt, daß der mittlere Vertikalfäden genau mit dem Meridiane zusammenfällt. Einige Zeit, ehe der Stern diesen Faden erreicht, sieht man nach der Uhr und zählt dann, während man durch das Fernrohr blickt, nach den Schlägen der Uhr die Sekunden weiter fort. Da nun der Stern, namentlich wenn er eine größere Geschwindigkeit besitzt32), selten mit dem Sekundenschlag durch den Meridian treten wird, so muß der Beobachter, um auch noch die Bruchteile einer Sekunde bestimmen zu können, sich den Ort des Sterns bei dem letzten Sekundenschlag vor dem Durchtritt und bei dem ersten Sekundenschlag nach dem Durchtritt durch den Mittelfaden des Fernrohrs merken und dann die Zeit nach dem durchmessenen Raum einteilen. Gesetzt z. B. man habe 20 Sekunden gezählt, bei der 21sten Sekunde befindet sich der Stern im Abstand a c, bei der 22sten im Abstand b c von dem Mittelfaden c (Fig. 152), und es verhalten sich a c : b c wie 1 : 2, so muß, da die ganze Distanz a b in einer Sekunde durchlaufen wurde, der Stern den Mittelfaden c bei 211/3 Sek. Uhrzeit passiert haben. Offenbar sind nun die Bedingungen bei diesen Beobachtungen ähnliche wie bei unsern Versuchen. Die Bewegung des Sterns vor den Vertikalfäden des Fernrohrs gleicht der Vorbeibewegung des Zeigers vor der Skala der Scheibe oder des Pendels. Es wird also auch hier eine Zeitverschiebung erwartet werden können, die bei größeren Geschwindigkeiten leichter im positiven Sinne, im entgegengesetzten Fall leichter im negativen stattfinden wird. Die Beobachtungen der Astronomen geben keine Gelegenheit, die absolute Größe dieser Zeitverschiebung zu bestimmen. Aber die Existenz derselben verrät sich darin, daß, nachdem alle sonstigen Fehler der Beobachtung möglichst eliminiert sind, stets zwischen den Zeitbestimmungen je zweier Beobachter eine bestimmte Differenz bleibt, die man nach dem Vorgang von bessel als persönliche Differenz oder persönliche Gleichung zu bezeichnen pflegt33). Sie beläuft sich in vielen Fällen nur auf Zehn- oder Hundertteile einer Sekunde, in andern kann sie eine volle Sekunde und darüber betragen. Es ist wohl kaum zu bezweifeln, daß bei den kleineren persönlichen Gleichungen die Zeitverschiebungen der zwei Beobachter im selben Sinne stattfinden und nur von verschiedener Größe sind; wo die persönlichen Gleichungen bedeutender sind, werden dagegen auch Unterschiede in der Richtung der Zeitverschiebung zu erwarten sein. Dabei kommt überdies in Betracht, daß bei jeder Durchgangsbestimmung eine doppelte Lagebestimmung des Sterns stattfindet, daher die individuellen Unterschiede der Zeitverschiebung sich verdoppeln müssen34). Hieraus erklärt es sich, daß die persönliche Gleichung meistens größer ist, als man nach den unter einfacheren Bedingungen erhaltenen absoluten Zeitwerten der obigen Tabelle erwarten würde. Die Vergleichung der persönlichen Differenzen einzelner Beobachter, welche in mehreren Fällen durch viele Jahre hindurch fortgesetzt wurde, zeigt ferner, daß dieselben keineswegs konstant sind. Offenbar stehen also die individuellen Bedingungen der Aufmerksamkeit nicht stille, sondern sie sind teils unregelmäßigeren Schwankungen teils aber auch länger dauernden stetigen Veränderungen unterworfen.
32) Dies ist immer der Fall, weil man die Methode so wie sie oben beschrieben ist nur bei solchen Sternen anzuwenden pflegt, die nicht allzufern vom Himmelsäquator liegen. Bei dem Polarstern ist die Beobachtungs-weise eine andere, worauf wir hier nicht näher eingehen können, da dieselbe für die vorliegende Frage ohne jedes Interesse ist. Vergl. darüber peters, astronomische Nachrichten, Bd. 49, S. 16.
33) Bessel, astronomische Beobachtungen der Sternwarte zu Königsberg. Abth. VIII. 1822.
34) ARGELANDER bemerkt überdies, daß bei der Beobachtung des Sterns nach dem Durchgang durch den Mittelfaden die Aufmerksamkeit erschöpft sei, weshalb man hier den Stern beim Sekundenschlag zuweilen an zwei Orten zu sehen glaube, deren Zeitdistanz 0,1—0,15 betragen könne. (Tageblatt der Naturforscherversammlung zu Speyer. 1861. S. 25.)
Alle diese Erscheinungen, welche bei der Ordnung disparater Vorstellungsreihen zur Beobachtung kommen, erklären sich leicht aus den uns nunmehr schon aus andern Beobachtungen geläufigen Spannungsgesetzen der Aufmerksamkeit. Jeder Eindruck bedarf einer gewissen Zeit zu seiner Apperzeption. Diese wird wesentlich abgekürzt, wenn der Eindruck zuvor in Bezug auf seine Qualität und Stärke bekannt ist. Sie wird noch mehr vermindert, wenn auch die Zeit seines Eintritts bestimmt wurde. Wir sind schon früher auf Tatsachen aufmerksam geworden, welche darauf hindeuten, daß in solchen Fällen unter Umständen die Apperzeption dem wirklichen Eindruck vorauseilen kann. Bei den jetzigen Beobachtungen sind nun Bedingungen eingeführt, welche eine solche negative Zeitverschiebung mit einer gewissen Regelmäßigkeit herbeiführen. Sobald nämlich die Vorstellungsreihe, mit welcher sich der in bestimmten Zeitintervallen einwirkende Reiz verbindet, mit einer gewissen Langsamkeit abläuft, erreicht die auf denselben gerichtete vorbereitende Spannung der Aufmerksamkeit regelmäßig schon vor dem Stattfinden des Eindrucks ihr Maximum, und dieser wird nun mit einem Gesichtszeichen kombiniert, das ihm in Wirklichkeit vorangeht. Je schneller aber die Vorstellungsreihe abläuft, um so schwerer gelingt es vor dem Stattfinden des Eindrucks die Aufmerksamkeit hinreichend auf denselben anzuspannen, daher zuerst die Zeitverschiebung in ihren negativen Werten abnimmt, dann auf null sinkt und zuletzt ihre positiven Größen erreicht. Der Punkt des Übergangs von der einen zur andern Seite wechselt nun schon bei einem und demselben Beobachter, und offenbar zeigt er bei verschiedenen Individuen noch viel größere Abweichungen. So erklärt sich die persönliche Gleichung, und es stimmt damit vollständig überein, daß die letztere nach den Beobachtungen aller Astronomen bei der Zeitbestimmung plötzlicher Erscheinungen bedeutend vermindert wird35). Hierbei kann die Zeitverschiebung nur noch eine positive sein, weil die Anspannung der Aufmerksamkeit erst bei der Perzeption des Eindrucks zur erforderlichen Größe anwachsen kann. Die beobachtete Zeit wird daher in diesem Fall von der wirklichen mehr abweichen als bei erwarteten Erscheinungen, aber die einzelnen Beobachtungen werden weniger von einander differieren, wie dies auch die Tatsache bestätigt, daß der mittlere Beobachtungsfehler bei solchen plötzlichen Zeitbestimmungen kleiner ist. Die merkwürdige von bessel beobachtete Erscheinung endlich, daß seine persönliche Gleichung mit andern Beobachtern sich nahezu auf die Hälfte verminderte, wenn er eine Uhr benutzte, die statt ganzer halbe Sekunden schlug, erklärt sich vollständig aus dem oben nachgewiesenen Einfluß der Geschwindigkeit. Wir haben denselben unter Bedingungen näher verfolgt, wo die Sukzession der Gesichts- und der Gehöreindrücke immer gleichzeitig variiert wurde. Es ist aber klar, daß die bloße Änderung in der Geschwindigkeit der Schallvorstellungen den nämlichen Erfolg herbeiführen muß. Die Aufmerksamkeit kann sich einem neuen Schall erst wieder akkommodieren, wenn der letzte vorbeigegangen ist. Wenn also bei langsamerer Folge der Pendelschläge die Zeitverschiebung negativ war, so wird sie bei schnellerer positiv werden. In der Tat ist nun dies offenbar bei BESSEL der Fall gewesen, der eine auffallend große Neigung zu negativer Zeitverschiebung besessen haben muß, da er die Sterndurchgänge früher als alle andern Beobachter sah.
35) Die astronomische Zeitbestimmung plötzlicher Erscheinungen geschieht in etwas verschiedener Weise. Im allgemeinen schätzt man dabei entweder die Zeit, die seit dem letzten Sekundenschlag verflossen ist, oder diejenige, die bis zum nächsten Schlag verfließt, nach dem Gehör. Vergl. Peters a. a. O. S. 21.
Unsere Versuche lehren endlich noch einen leicht
begreiflichen Einfluß der Geschwindigkeitsänderung kennen.
Der Aufmerksamkeit wird es um so schwerer, den hinzutretenden Schall mit
einer bestimmten Stellung des Zeigers zu kombinieren, mit je größerer
Geschwindigkeit sich der letztere bewegt. Wir sind daher, wo dessen Geschwindigkeit
ungleichförmig ist, von vornherein geneigt, den Schall in die langsameren
Teile der Bahn zu verlegen. So kommt es, daß die Zeitverschiebung
bei zunehmender Geschwindigkeit leichter negativ, bei abnehmender positiv
wird.
Blicken wir auf den ganzen Kreis der nun über
den Eintritt und Verlauf der Vorstellungen ermittelten Erscheinungen zurück,
so sprechen sich in denselben vor allem die Tatsachen aus, daß 1)
die Aufmerksamkeit stets einer gewissen Anpassungszeit bedarf, um die Eindrücke
in den Blickpunkt des Bewußtseins zu heben, und 2) daß solche
Anpassung, wo die Sinnesreize in Bezug auf irgend welche ihrer Elemente
vorher bekannt sind, vorbereitend geschehen kann. Hierdurch wird
die Zeit zwischen Perzeption und Apperzeption mehr oder weniger abgekürzt,
oder sie kann, falls die Eindrücke auch in Bezug auf ihren Zeiteintritt
bestimmt sind, sogar negativ werden. Sind die Bedingungen derart, daß
gleichzeitig mit der Apperzeption des Eindrucks eine Willenserregung stattfinden
soll, so sind wieder zwei Fälle zu unterscheiden. Es kann 1) die Art
der willkürlichen Bewegung zuvor gegeben und eingeübt sein, oder
sie kann 2) unbestimmt gelassen werden, indem man sie von der variabeln
Beschaffenheit des aufzufassenden Reizes abhängig macht. Im ersten
Fall ist in der Regel eine besondere Willenszeit nicht vorhanden: die Entwicklung
des Willensimpulses fällt hier vollständig mit der Apperzeption
zusammen. Sobald die letztere vollendet ist, wird gleichzeitig oder wenigstens
nach verschwindend kurzer Zwischenzeit auch der Eindruck registriert. Diese
Tatsache kann nicht anders als durch die Annahme erklärt werden, daß
die vorbereitende Spannung der Aufmerksamkeit in einem Innervationsvorgang
besteht, welcher sich gleichzeitig als anwachsende Willensenergie geltend
macht. Hiermit steht es im vollen Einklang, daß jene vorbereitende
Spännung selber ein willkürlicher Akt ist. Als physiologische
Grundlage des Vorgangs der Apperzeption haben wir also hier das Anwachsen
einer motorischen Innervation vorauszusetzen, welche vollkommen gleichzeitig
bereit ist auf ein bestimmtes zentrales Sinnesgebiet überzufließen
und eine bestimmte motorische Leitung zu ergreifen. Auch das subjektive
Gefühl der Aufmerksamkeit wechselt daher bei diesen Beobachtungen
mit beiden Bedingungen: es verändert sich mit der Qualität und
Stärke des erwarteten Eindrucks und mit der Form der intendierten
Bewegung36). Nun kann von diesen zwei Bedingungen
die eine oder die andere mehr oder weniger unbestimmt gelassen werden.
Ist die Art des äußeren Eindrucks völlig unbekannt, so
gewinnt zwar die motorische Spannung das zureichende Maß vorbereitender
Energie, aber der Abfluß der motorischen Innervation teilt sich nun
zwischen verschiedenen Sinnesgebieten. So entsteht ein Gefühl der
Unruhe, sehr verschieden von jener sichern Spannung, welche der Beobachtung
eines erwarteten Eindrucks vorangeht. Hier ist nun die Apperzeptionsdauer
vergrößert, aber die Willenszeit fällt noch immer mit derselben
zusammen. Minder erschwert wird die Apperzeption, wenn wenigstens die Qualität
der Reizung bekannt ist. Jetzt ist der vorbereitenden Innervation ihr bestimmter
Weg angewiesen, nur die Stärke, zu welcher sie in ihrer sensorischen
Abzweigung anwachsen soll, ist unbestimmt gelassen. Eine ähnliche
Teilung der Aufmerksamkeit wie bei der offen gelassenen Wahl zwischen verschiedenen
Sinnen entsteht, wenn vor der Beobachtung die auszuführende Bewegung
unbestimmt bleibt. Hier wechselt die vorbereitende Spannung zwischen den
motorischen Gebieten, unter denen die Wahl stattfinden soll; es entsteht
ein ähnliches Gefühl der Unruhe wie oben, das aber doch in seiner
subjektiven Beschaffenheit wieder charakteristisch verschieden ist. Nun
muß, nachdem der sensorische Teil der Apperzeption vollendet ist,
der motorische erst seine zureichende Stärke gewinnen.
36) Vergl. Kap. XVIII.
Diese Betrachtungen führen demnach zu dem Schlusse,
daß die Apperzeption und die Willensreaktion auf dieselbe im wesentlichen
einen zusammenhängenden Vorgang darstellen, dessen physiologischer
Ausgangspunkt in den Gebieten der zentralen motorischen Innervation liegt.
Steht die willkürliche Bewegung zu dem erwarteten Sinneseindruck
in fester Beziehung, so ist der Vorgang auch nach seinem Zeitverlauf ein
einziger. Ist dies nicht der Fall, sondern muß nach geschehener Wahrnehmung
noch eine gewisse Wahl stattfinden, so trennt sich der ganze Vorgang in
zwei Akte, die aber im Grunde beide nur verschiedene Formen der
Apperzeption sind. Denn jene Wahl zwischen den verschiedenen Bewegungen
besteht eben nur darin, daß die dem Sinneseindruck korrespondierende
Art der Bewegung apperzipiert wird. Der Vorgang der Apperzeption,
vorhin ein einziger, fällt nun in zwei aus einander. Jeder derselben
geht aus von einer zentralen Willenserregung: diese ist aber bei dem ersten
auf zentrale Sinnesgebiete, bei dem zweiten auf zentrifugale motorische
Leitungen gerichtet. So drängen diese Erwägungen schließlich
zu der Voraussetzung hin, daß jene Zentralgebiete, von denen aus
unsere willkürlichen Bewegungen beherrscht werden, gleichzeitig in
eine nahe Verbindung mit den zentralen Sinnesflächen gesetzt sind.
Die Apperzeption und der Impuls zur freiwilligen Bewegung sind nur verschiedene
Formen der Willenserregung. Dies ist der Grund, weshalb beide unter allen
Umständen so innig an einander gekettet sind, unter gewissen Bedingungen
aber, sogar in einen einzigen Akt zusammenfallen können. Wir werden
sehen, daß diese Folgerung in den Erscheinungen der willkürlichen
Reproduktion der Vorstellungen eine vollkommen selbständige Bestätigung
findet. Auch eine physiologische Tatsache, welche für die bisher angenommene
Trennung der zentralen Sinnesvorgänge und der Willensreaktionen ein
Rätsel bleiben mußte, empfängt nun mit einem Mal
ein unerwartetes Licht. Wir sahen, daß von den Vorderteilenhirn höchst
wahrscheinlich die willkürlichen Bewegungen ausgehen, während
die zentralen Sinnesflächen vorzugsweise in den hinteren Gebieten
der Hirnrinde zu liegen scheinen. Anderseits ist es kaum zu bezweifeln,
daß die höheren Geistesfunktionen namentlich an die Entwicklung
des Vorderhirns gebunden sind. (Kap. IV u. V.) Dieser Zusammenhang wird
erst verständlich, wenn wir erwägen, daß jene Herde der
Willensinnervation zugleich die Sinneszentren beherrschen und so nicht
bloß die Bewegung sondern auch die Auffassung der Sinneseindrücke
und, wie wir bald sehen werden, den Wechsel der reproduzierten Vorstellungen
bestimmen.
Etwas anders gestalten sich die Bedingungen der
Apperzeption, wenn diese nicht mit einer Willensreaktion verbunden ist,
sondern wenn sie entweder unmittelbar in Bezug auf ihre Dauer bestimmt
wird, dadurch, daß man die Auffassung eines ersten Eindrucks durch
einen nachfolgenden von großer Stärke abschneidet, oder wenn
sie, wie in den zuletzt dargestellten Versuchen, in Bezug auf das Verhältnis
der Apperzeptionen verschiedenartiger Eindrücke zu einander untersucht
wird. Die erstgenannten Beobachtungen lehren uns im allgemeinen, daß
die ohne motorische Miterregung vollzogene Apperzeption wahrscheinlich
eine nur wenig kürzere Dauer beansprucht, als wenn gleichzeitig eine
gegebene Willensreaktion gefordert ist, was mit unseren Resultaten und
Schlußfolgerungen wohl übereinstimmt. Wichtiger sind die Erscheinungen
der Zeitverschiebung, die sich bei der Einordnung eines zu bestimmter Zeit
erwarteten Reizes in eine ablaufende Vorstellungsreihe ergeben. Hierbei
ist die regelmäßige Wiederholung des einzuordnenden Reizes von
wesentlicher Bedeutung. Dadurch wird die Apperzeption nicht nur im allgemeinen
vorbereitet, sondern es wird auch, sobald das regelmäßige Intervall
verflossen ist, der Eindruck unmittelbar reproduziert. Dieser Umstand macht
im allgemeinen schon die Tatsache der negativen Zeitverschiebung begreiflich.
Sobald nämlich zwischen dem Lebendigwerden des Erinnerungsbildes und
dem wirklichen Stattfinden des Eindrucks ein nicht zu langes Intervall
liegt, werden beide zusammenfließen, und es wird jetzt der Moment,
wo das Erinnerungsbild lebendig geworden ist, für den Moment des Eindrucks
gehalten werden. Von der Richtigkeit dieser Erklärung kann man sich
leicht bei den oben besprochenen Schallversuchen mit vorausgehendem Signal
überzeugen. Wir haben gesehen, daß hier auch die Apperzeption
und der Willensimpuls zuweilen dem Eindruck vorangehen müssen, weil
dieser nahezu gleichzeitig registriert werden kann. Schiebt man nun in
eine Versuchsreihe, in welcher möglichst rasch registriert wird, einen
einzelnen Versuch ein, bei welchem dem Signal der wirkliche Eindruck gar
nicht nachfolgt, so ereignet es sich sehr häufig, daß trotzdem
auf denselben reagiert wird, obgleich der Beobachter im Moment der Bewegung
schon weiß, daß der Eindruck nicht stattfand. Hier ertappt
man sich also direkt darüber, daß man in Wahrheit nicht auf
den wirklichen Eindruck, sondern auf das aus früheren Versuchen in
Bezug auf seine Zeit bekannte Erinnerungsbild reagiert. Ganz dasselbe findet
sich nun bei unsern Beobachtungen über die Interpolation einander
folgender Schalleindrücke in eine Reihe von Gesichtsvorstellungen.
Dieselben unterscheiden sich aber in der einen Beziehung, daß
bei ihnen in gewissen Fällen, namentlich bei langsamer Bewegung der
Vorstellungsreihen, die negative Zeitverschiebung viel bedeutendere Größen
erreichen kann. Dies erklärt sich jedoch aus den immerhin wesentlich
verschiedenen Bedingungen des Versuchs. Zahlreiche Erfahrungen bezeugen
es, daß eingeübte Verbindungen bestimmter willkürlicher
Bewegungen mit Sinneswahrnehmungen außerordentlich fest werden, so
daß ja, wie wir gesehen haben, Apperzeption und Willenserregung in
solchem Falle ein einziger Vorgang sind. Dies ist ganz anders bei der Einordnung
eines Sinneseindrucks in eine Reihe disparater Vorstellungen. Hier kann
der Eindruck innerhalb gewisser Grenzen mit jeder dieser Vorstellungen
kombiniert werden, so daß die Verbindung nur noch von dem Spannungswachstum
der Aufmerksamkeit abhängt. Die Versuche lehren nun, daß dieses
Spannungswachstum durch die Geschwindigkeit bestimmt wird, mit welcher
die Eindrücke auf einander folgen. Bei einer gewissen Geschwindigkeit
kann sich die Anpassung der Aufmerksamkeit gerade vom einen Schall zum
andern vollenden: hier ist daher die Zeitverschiebung durchschnittlich
null, oder sie wechselt zwischen positiven und negativen Werten von annähernd
gleicher Größe. Bei noch größerer Geschwindigkeit
ist die Anpassung noch nicht vollendet, bei einer kleineren ist sie durchschnittlich
früher vollendet. Dabei ist aber offenbar die Anpassungsgeschwindigkeit
selbst nicht immer dieselbe, sondern sie ist größer, wenn die
Eindrücke rascher, kleiner, wenn dieselben langsamer auf einander
folgen. So kommt es, daß der absolute Wert der Zeitverschiebung um
so größer wird, mit je geringerer Geschwindigkeit die Vorstellungen
ablaufen. Ist nun aber durch die Schnelligkeit der Sukzession eine große
Anpassungsgeschwindigkeit der Aufmerksamkeit gefordert, so wird dieselbe
zugleich unsicherer, daher mit der Abnahme der mittleren Zeitverschiebung
die Abweichungen zwischen den einzelnen Beobachtungen wachsen.
Die obenstehenden Untersuchungen verdanken ihre ganze Anregung den Arbeiten von Bessel37) über die persönliche Gleichung bei den astronomischen Durchgangsbeobachtungen. Der Ausdruck "persönliche Gleichung" rührt von bessel selbst her, da er die bisher völlig unerklärt gebliebenen Differenzen der Zeitbestimmung auf individuelle Eigenschaften der Beobachter zurückführte. Die Aufdeckung dieser Fehlerquelle ist für die Astronomen der Anlaß zur Einführung der Registrierapparate geworden, bei denen sowohl die Zeitsekunden wie die Momente der Beobachtung durch galvanische Vorrichtungen aufgezeichnet werden, so daß hier die Versuchsbedingungen den im ersten Teil unserer Versuche gegebenen gleichkommen. Erst seit Einführung der Registrierapparate sind auch einige Versuche gemacht worden, mittelst derselben die absolute Größe der physiologischen Zeit zu bestimmen, so von HARTMANN38) und von HIRSCH und PLANTAMOUR39). Doch kommt dabei in Betracht, daß der Wert der persönlichen Differenz, wie namentlich die Zusammenstellungen von Peters40) zeigen, bei der Registriermethode erheblich kleiner ist als bei der älteren Methode der Beobachtung mit dem Passageinstrument. Ich selbst habe schon im Jahre 1861 vor der astronomischen Sektion der Naturforscherversammlung in Speyer über Versuche berichtet, die den letzteren Beobachtungen nachgebildet waren41). Seither sind dann namentlich von HIRSCH42), von DONDERS und De Jaager43) und in neuester Zeit von EXNER44) in physiologischem Interesse Versuche nach der Registriermethode ausgeführt worden.
37) Astronomische Beobachtungen auf der kgl. Universitäts-Sternwarte
zu Königsberg. Abth. VIII. Königsberg 1822.
38) GRUNERT'S Archiv f. Mathematik und Physik. Bd. 31.
1858 S. 1 f.
39) Moleschott's Untersuchungen IX, S. 200 f.
40) Astronomische Nachrichten, Bd. 49, S. 24.
41) Tageblatt der Naturforscherversammlung zu Speyer.
1861. S. 25.
42) a. a. O. S. 185.
43) De Jaager, de physiologische Tijd bij psychische
Prozessen. Utrecht 1865. DONDERS, Archiv f. Anatomie u. Physiologie. 1868.
S. 657 f.
44) Pflüger's Archiv VII, S. 601 f.
Die Beobachtungen der Astronomen über die persönliche Gleichung geben, da sie immer nur Differenzwerte enthalten, natürlich nur über einzelne Punkte Aufschluß. Sie sind namentlich wertvoll durch die Veränderungen in der physiologischen Zeit, die sie erkennen lassen und die teils in langen Zeiträumen stetig geschehen, wobei sie eine bedeutende Größe erreichen können, teils aber auch als unbedeutende Schwankungen in kürzerer Zeit sich geltend machen. Ein auffallendes Beispiel langsamer Veränderung gibt die folgende, von PETERS45) mitgeteilte Tabelle über die mittlere persönliche Differenz zwischen den Astronomen Main und ROGERSON vom Jahre 1840 bis 1853; sie beziehen sich auf die ältere Methode am Passageinstrument.
Es ist augenscheinlich, daß hier, von einer sehr kleinen Schwankung (zwischen 1843 und 45) abgesehen, die persönliche Gleichung in einer stetigen Zunahme in positivem Sinne begriffen ist, so daß die ganze Veränderung innerhalb der 13 Jahre 0,85" erreicht. Innerhalb eines einzigen Tages beobachteten WOLFERS und nehus am Passageinstrument Differenzen bis zum Betrag von 0,22". HIRSCH und plantamour. bestimmten ihre persönliche Gleichung am Registrierapparat an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zu (H—P) + 0,047 und + 0,11446). EXNER suchte den Zusammenhang der physiologischen Zeit mit dem Temperament und sonstigen Eigenschaften zu ermitteln, indem er dieselbe, bei möglichst verschiedenen Individuen an einem Registrierapparat bestimmte. Es zeigte sich aber, daß sehr phlegmatische Personen durchschnittlich eben so rasch auf Eindrücke reagieren als andere. Bei einem 77-jährigen Greise war zwar die physiologische Zeit anfänglich bedeutend größer als bei den andern Beobachtern; aber dieser Unterschied glich sich zum großen Teil durch fortgesetzte Übung aus. Auch Genuß von Tee und Morphium hatte keinen nachweisbaren Einfluß; nur ein Versuch mit Rheinwein gab positive Resultate, indem durch die Einverleibung von zwei Flaschen dieses Getränkes die verbrauchte Zeit von 0,19 auf 0,29" gesteigert wurde47). —
46) MOLESCHOTT'S Untersuchungen IX, S. 205.
47) EXNER, a. a. O., S. 628.
Die Hilfsmittel zur Untersuchung der Apperzeptionszeit zerfallen in die Registrier- und in die Passageapparate. Mit dem letzteren Namen will ich alle diejenigen Vorrichtungen belegen, welche durch die Methode der Beobachtung mit dem älteren Passageinstrument der Astronomen Ähnlichkeit haben. Die Registrierapparate sind sehr zahlreich. Auf vielen Sternwarten ist gegenwärtig der KRIlLE'sche Registrierapparat eingeführt. Derselbe besteht im wesentlichen aus einem durch ein Uhrwerk in gleichmäßige Rotation versetzten horizontal liegenden Zylinder und aus drei mit Zeichenstiften versehenen Elektromagneten, die, während der Zylinder rotiert, ebenfalls mit gleichförmiger Geschwindigkeit auf einem Schlitten an demselben vorbeibewegt werden. Jeder Stift befindet sich durch eine Hebelverbindung in einer solchen Lage zum Zylinder und zu seinem Elektromagneten, daß er, im Moment wo der Strom des letzteren geschlossen oder geöffnet wird; auf dem Papier des Zylinders eine Linie beschreibt, die nach der Abwicklung des Papiers eine vertikale Ordinate bildet, zu welcher die bei dauerndem Offensein des Stromes gezogene Linie die horizontale Abszissenlinie ist. Der erste Elektromagnet befindet sich in solcher Verbindung mit der astronomischen Uhr, daß sein Strom immer beim einen Sekundenschlag geöffnet und beim andern wieder geschlossen wird. Die Ströme der beiden andern Elektromagnete können jeder durch einen auf eine Taste ausgeübten Druck eines Beobachters plötzlich geschlossen und beim Nachlassen des Drucks wieder geöffnet werden. Es können somit gleichzeitig zwei Beobachter, die entweder an verschiedenen Orten oder der eine am Meridiankreis, der andere am Äquatorealkreis observieren, auf das Instrument aufzeichnen. Bei physiologischen Beobachtungen kann man aber die Einrichtung so treffen, daß der Strom des einen Elektromagneten durch den äußeren Reizungsvorgang unterbrochen wird48).
48) Eine ausführliche Beschreibung des KRILLE'schen Registrierapparats geben peters, astronomische Nachrichten, Bd. 49 , und KUHN, angewandte Elektrizitätslehre, Leipzig, 1866, S. 1254. (KARSTEN's Enzyklopädie der Physik XX.) In letzterem Werke sind außerdem zahlreiche andere Apparate zu chronoskopischen Zwecken beschrieben. Über weitere Vorrichtungen vergl. auch hankel, POGGEKDORFF's Annalen Bd. 132, S. 134, DONDERS, Archiv für Anatomie und Physiologie 1868 (Nederl. arch. 1867), EXNER, pflüger's Archiv VII, S. 659.
Ich selbst habe
zu meinen Versuchen zwei Registrierapparate benutzt: erstens das
hipp'sche Chronoskop,
mit welchem auch hirsch und PLANTAMOUR
ihre Versuche ausführten, und zweitens einen eigens zu diesen Zwecken
gebauten Apparat, den ich, weil er speziell zur Messung der physiologischen
Zeit unter verschiedenen Verhältnissen dient, das physiologische
Chronoskop nennen will.
Das HIPP'sche
Chronoskop (Fig.
153 H) ist ein durch ein Gewicht getriebenes Uhrwerk,
in dessen Steigrad eine Regulatorfeder in der Weise eingreift, daß
sie im Ruhezustand das Rad kaum am Umdrehen hindert, bei der Bewegung aber
in Schwingungen gerät, durch welche die Geschwindigkeit des Steigrads
und dadurch des ganzen Uhrwerks eine gleichförmige wird. In Gang gesetzt
wird das Uhrwerk durch Ziehen an dem Knöpfchen a, dessen Schnur
mit einem Auslösehebel in Verbindung steht; angehalten wird es durch
einen zweiten Hebel, den man durch Ziehen an b beherrscht. Der Zeiger
des oberen Zifferblatts Z2 macht
eine Umdrehung grade in 1/10
Sek. Da es in 100 Teile geteilt ist, so entspricht also jeder Teilstrich
1/1000".
Der Zeiger des unteren Zifferblatts Z1
rückt, während der obere Zeiger eine ganze Umdrehung macht, um
einen Teilstrich weiter fort, vollendet also eine ganze Umdrehung
in 10". Die wesentliche Einrichtung des Chronoskops besteht nun darin,
daß das Rad, welches die Bewegung des Uhrwerks zunächst auf
den Zeiger des oberen und damit indirekt auch auf den des unteren Zifferblatts
überträgt, durch den Anker eines Elektromagneten momentan angehalten
und ebenso momentan wieder losgelassen werden kann; das erstere geschieht,
sobald ein Strom durch den Elektromagneten gesandt wird, das letztere im
Augenblick der Unterbrechung dieses Stroms49).
Soll ein sehr kurzer Zeitraum gemessen werden, so muß man also zuerst
den durch das Chronoskop gehenden Strom schließen; dann richtet man
den Versuch so ein, daß im Beginn des zu messenden Zeitraums die
Kette geöffnet und zu Ende desselben wieder geschlossen wird. Soll
die Zeitmessung möglichst genau sein, so muß die Bewegung des
Ankers sehr schnell und sicher vor sich gehen, was man teils durch Abstufung
der Stromstärke, teils durch angemessene Spannung einer mit dem Anker
verbundenen Feder erreicht. Die Fig.
153 stellt beispielsweise die Versuchsanordnung dar, welche
ich zur Messung der physiologischen Zeit bei Schalleindrücken von
wechselnder Intensität benutzte. Außer dem Chronoskop bedarf
man dazu des Fallapparates F, der galvanischen Kette K, des
Rheostaten R und des Stromunterbrechers U. Der von hipp
konstruierte Fallapparat besteht aus einem Fuß, auf welchem sich
das Fallbrett B befindet, aus einer vertikalen viereckigen Säule
von 64cm Höhe und aus dem an derselben festzustellenden Träger
T. An dem letzteren befindet sich vorn eine Messinggabel, deren
Arme durch eine Zange an einander festgehalten werden können, so daß
die Kugel k in der Gabel ruht. Mittelst Drucks an einer Feder kann
diese Zange sehr rasch geöffnet werden, worauf die Kugel herabfällt
und durch Auffallen auf das Fallbrett B den zu registrierenden Schall
hervorbringt. Das beim Öffnen der Gabel bewirkte Geräusch kann
als Signal für den bevorstehenden Schall benutzt werden. Will man
dieses Signal vermeiden, so wird die Gabel offen gelassen und die Kugel
zwischen den Armen derselben bis zum Moment des Falls mit den Fingern festgehalten.
Das Fallbrett B schlägt in Folge des Anschlagens der Kugel
auf das unter ihm befindliche Brettchen auf und schließt dabei einen
Metallkontakt, so daß die zwei am hintern Ende des Brettchens stehenden
Klemmschrauben z und y, die zuvor von einander isoliert waren,
nunmehr leitend verbunden sind. Der Rheostat R besteht aus zwei
Platindrähten, welche ein Quecksilbernäpfchen Q durchbohren;
je weiter man Q von den beiden Klemmschrauben m und n
entfernt, eine um so größere Drahtlänge wird daher zwischen
m und n eingeschaltet und so der Strom der Kette K
geschwächt. Vor Beginn einer Versuchsreihe muß durch Verschieben
von Q die Stromstärke so reguliert werden, daß der Anker
des Chronoskops möglichst momentan dem Schließen und Öffnen
des Stromes folgt. Der Unterbrecher U ist ein Metallhebel, welcher
sich auf einer isolierenden Unterlage aus Hartgummi befindet, und an dessen
Ende ein Handgriff h angebracht ist, auf den der Beobachter, der
die Registrierung ausführt, seine Hand legt. Wird auf h ein
Druck ausgeübt, so werden die Messingklötzchen a und ß
gegen einander gepreßt und so der durch den Unterbrecher gehende
Strom geschlossen. Beim Nachlassen des Drucks schnellt der Hebel durch
die unter h befindliche Feder sehr rasch in die Höhe, wobei
der Strom unterbrochen wird. Die verschiedenen Apparate sind durch die
in der Figur angegebenen Leitungsdrähte mit einander verbunden. Die
Ausführung des Versuchs geschieht nun in folgender Weise. Nachdem
der Fallapparat und der Rheostat in der richtigen Weise eingestellt sind,
setzt sich die Versuchsperson, für die alle anderen Apparate verdeckt
sind, vor den Unterbrecher U und drückt den Handgriff h
nieder, so daß a
und b in festem Kontakt
stehen. Es geht nun der Strom von der Kette K durch 1 nach m,
von da durch den Rheostaten nach n, und durch 2 in das Chronoskop;
er verläßt dasselbe durch 3, geht nach der Klemmschraube z
und durch 4 nach der Kette zurück. Der Elektromagnet ist also nun
in Tätigkeit und hält die Zeiger Z2
und Z1 fest,
wenn durch Anziehen des Hebels a das Uhrwerk in Gang gesetzt wird.
Nachdem letzteres geschehen ist, läßt man nun die Kugel k
aus freier Hand oder durch Öffnen der Gabel herabfallen. Im Moment
wo sie auf dem Fallbrett B anlangt und der Schall entsteht, setzt
sie durch Schließen des Metallkontaktes die beiden Klemmen z
und y mit einander in Verbindung. Dadurch hat sich nun eine zweite
Leitung für den Strom eröffnet. Dieselbe geht von der Kette aus
durch 5, durch den geschlossenen Unterbrecher U nach 6, y, z,
und durch 4 nach der Kette zurück. Diese zweite Leitung bietet einen
sehr viel geringeren Widerstand als die erste, in welcher durch den Rheostaten
und die Windungen des Elektromagneten der Strom geschwächt ist. Im
Moment, wo diese Nebenleitung geschlossen wird, sinkt daher die Stromstärke
in der durch das Chronoskop gehenden Hauptleitung auf eine verschwindend
kleine Größe. Dadurch hört der Magnetismus des Elektromagneten
auf, und die beiden Zeiger Z2
und Z1 werden
momentan in Bewegung gesetzt. Sobald aber die Versuchsperson den Schall
hört, löst sie durch Loslassen des Handgriffs h den Kontakt
bei a
und b . So wird die
Nebenleitung wieder geöffnet, und der volle Strom geht abermals durch
das Chronoskop, dessen beide Zeiger nun wieder angehalten werden. Der Versuch
ist jetzt zu Ende, und das Uhrwerk wird alsbald durch Ziehen an dem Hebel
b festgehalten, ebenso der Strom für die Zwischenzeit bis zum
nächsten Versuch geöffnet, um ein dauerndes Magnetischwerden
des Eisens im Elektromagneten möglichst zu vermeiden. Die beiden Zeiger
Z2
und Z1 haben sich
grade so lange bewegt, als vom Moment des Schalls bis zum Moment seiner
Registrierung verfloß. Die Zeitbestimmung ist, da der obere Zeiger
noch 1/1000"
angibt, bei sorgfältiger Ausführung der Versuche bis auf 1/500"
genau. Das HIPP'sche Chronoskop
hat, vor andern Registrierapparaten den Vorzug, daß seine Anwendung
sehr bequem ist, und daß die Ablesung an beiden Zifferblättern
unmittelbar die absolute Zeit angibt. Von dem richtigen Gang des Uhrwerks
überzeugt man sich durch die gleich bleibende Höhe des Tons der
Regulierfeder. Es ist aber bei diesem Apparat durch die Bewegung des Ankers
eine Fehlerquelle gegeben, welche große Sorgfall erforderlich macht.
Sobald nämlich die Stromstärke etwas zu bedeutend ist, so läßt
der Elektromagnet den Anker nicht momentan los, und es kann dadurch ein
bedeutender Fehler in der Zeitbestimmung entstehen. Herr hipp
gibt seinen Instrumenten zwar eine kleine Boussole bei, an deren Ablenkung
man die richtige Stromstärke abmessen kann. Man darf sich aber damit
nicht begnügen, sondern es ist zweckmäßig sich vor jedem
Versuch von der raschen Bewegung des Ankers direkt zu überzeugen.
Auch läßt sich der Fallapparat zu Kontrollversuchen verwenden,
indem man die Fallzeit der Kugel durch das Chronoskop bestimmt und mit
der berechneten Fallzeit vergleicht. Zu diesem Zwecke richtet man die Versuche
so ein, daß beim Öffnen der Gabel des Halters T der Strom
unterbrochen und beim Auffallen auf das Brett B wieder geschlossen
wird. Für solche Fallversuche befinden sich an T zwei Klemmschrauben,
deren jede mit einem Arm der Gabel in Verbindung steht. Beide sind nur
durch die Zange, welche die Gabel schließt, leitend verbunden.
49) Über die innere Konstruktion des Hipp'schen Chronoskops vergl. Hirsch, Moleschott's Untersuchungen IX, S. 188 f. KUHN, angewandte Elektrizitätslehre. S. 11 85 f.
Das physiologische Chronoskop, von dem die Fig. 154 eine schematische Ansicht gibt, hat vor dem HIPP'schen Instrument den Vorzug absoluter Zuverlässigkeit seiner Angaben; es gestattet außerdem manche für psychologische Zwecke interessante Modifikationen der Beobachtung, und bietet die bei solchen Versuchen sehr schätzbare Möglichkeit, die Beobachtungen ganz ohne Assistenz ausführen zu können; es ist aber allerdings viel unbequemer in der Anwendung. Die Fig. 154 zeigt beispielsweise eine Versuchsanordnung, wie sie beim Registrieren eines Lichtblitzes angewandt werden kann. Die Zeitbestimmung geschieht bei diesem Apparat durch eine kleine Stimmgabel b, welche in dem Aufriß B auf der rechten Seite der Figur zu sehen ist. Sie befindet sich zwischen den Armen eines hufeisenförmigen Elektromagneten E3, und an ihrer einen Branche ist eine Borste befestigt, durch welche ihre Schwingungen auf die hintere Seite der Glasscheibe G, die zuvor über der Lampe berußt wurde, aufgezeichnet werden. In der Zeichnung A, wo der ganze Apparat von seiner hinteren Fläche aus gesehen wird, bemerkt man auf der Scheibe G eine Anzahl solcher Schwingungskurven. Die Glasscheibe wird durch einen Trieb t bewegt; welcher mit den Rädern u1, u2 eines durch ein Gewicht getriebenen Uhrwerks in Verbindung steht. Eine Regulierung, um dieses Uhrwerk in konstanter Geschwindigkeit zu erhalten, ist nicht angebracht. Hat dasselbe eine gewisse Geschwindigkeit erreicht, so bleibt aber an und für sich durch die verschiedenen Widerstände die Geschwindigkeit während mehrerer Umdrehungen konstant. Übrigens sind auch bei ungleichmäßiger Geschwindigkeit die Zeitbestimmungen absolut sicher, weil dieselben durch Abzählen der von der Stimmgabel b aufgezeichneten Schwingungen geschehen. Aus diesen kann, da die Schwingungsdauer der Gabel zuvor bestimmt worden ist, die Zeit unmittelbar berechnet werden. Damit nun aber nicht durch Superposition vieler Schwingungsreihen das Zählen derselben unmöglich werde, ist eine Vorrichtung angebracht, welche bewirkt, daß die Stimmgabel b erst sehr kurze Zeit vor dem Anfang des zu messenden Zeitraums zu schwingen beginne. Zu diesem Zwecke ist zunächst eine zweite Stimmgabel B angewandt, von ähnlicher Konstruktion wie sie helmholtz für akustische Versuche benutzt hat50). Auch die Zinken dieser größeren Gabel, welche um eine Oktave tiefer als die Gabel b gestimmt ist, befinden sich zwischen den Armen eines Elektromagneten, der mit einer starken konstanten Kette in solcher Weise verbunden ist, daß der Strom in demselben durch die Schwingungen der Stimmgabel abwechselnd geschlossen und wieder unterbrochen wird, indem ein am untern Zinken der Gabel festgelöteter und rechtwinkelig gebogener Draht in dem Quecksilbernäpfchen q abwechselnd den Strom schließt und wieder öffnet. Auf der Oberfläche des Quecksilbers muß sich, damit dasselbe nicht rasch durch die Funken verbrenne, immer etwas Alkohol befinden. Nun ist die Einrichtung getroffen, daß der durch die Stimmgabel B fließende Strom durch eine an dem Registrierapparat angebrachte Vorrichtung sehr kurze Zeit vor der Einwirkung des Reizes plötzlich in die Windungen des Elektromagneten der kleinen Stimmgabel b abgezweigt werde. Diese letztere muß hinreichend dünn gearbeitet sein, damit sie durch das abwechselnde Entstehen, und Verschwinden des Stromes in ihrem Elektromagneten leicht von selbst in Schwingungen gerate. Da nun durch die Gabel B solche Stromunterbrechungen in regelmäßigen Intervallen geschehen, die zu den Schwingungen der Gabel b in dem einfachen Verhältnis 1 : 2 stehen, so verstärken sich die letzteren Schwingungen außerordentlich rasch, und es werden deutlich sichtbare Schwingungskurven auf der berußten Glasplatte gezeichnet. Sowohl die Eröffnung dieser Nebenleitung zum Elektromagneten E3 der kleinen Stimmgabel wie die Auslösung des Reizes wird durch das Uhrwerk selbst besorgt. Es befindet sich nämlich an dem größten, sehr langsam bewegten Rad u2 eine Achse e, welche zweimal in Form einer Archimedischen Spirale geschnitten ist. Auf dieser Achse ruht aber ein am Hebel H befindlicher Daumen, durch welchen der Hebel während der Umdrehung des Rades u2 zuerst langsam gehoben wird und dann plötzlich niederfällt. An dem Hebel H, dessen Bewegung durch die Feder f und das vorn festgeschraubte Gewicht p gesichert ist, befinden sich zwei Hammerköpfe m und n, deren Höhe durch Schrauben in ziemlich weitem Umfang variiert werden kann. Der Kopf m bewirkt durch sein Herunterfallen die Öffnung des Unterbrechers o. Dieser ist geschlossen, so lange der Platinstift mit dem Metallplättchen, das, wie man sieht, federnd gegen denselben andrückt, in Kontakt steht; der Kopf m löst durch sein Herabfallen diesen Kontakt. Der Kopf n fällt beim Niedersinken des Hebels H auf den einen Arm eines kleinen Metallhebels h, wodurch sich ein am andern Arm dieses Hebels befindlicher Stift aus einem darunter stehenden Quecksilbernäpfchen hebt und so eine zwischen dem letzteren und dem Hebel h bestehende Leitung unterbricht. Durch Verstellen der Schrauben m und n sowie des Quecksilbernäpfchens bei h kann man es leicht so einrichten, daß durch den Hebel H der Kontakt bei n entweder gleichzeitig oder eine kurze Zeit früher gelöst wird als der bei m, Die Registrierung des Reizes, und seiner Apperzeption wird endlich durch die zwei Elektromagnete E1 und E2 besorgt. Der Elektromagnet E1 stellt in Verbindung mit der Kette K1 und dem Unterbrecher o, der Elektromagnet E2 mit der Kette K2 und dem Unterbrecher U, welcher letztere vollständig dem in Figur 153 abgebildeten gleicht. Auch hier wird der Kontakt U von dem Beobachter in dem Moment gelöst, in welchem er den Eindruck wahrnimmt. Beide Elektromagnete liegen über einander, und an ihren Ankern finden sich vorn die Stifte a1 und a2 (Fig. B), die, sobald die Anker nicht angezogen sind, in dem Ruß der Glasplatte G Linien ziehen. Der Stift a1 ist sehr fein, so daß er der Bewegung der Glasplatte keinen bedeutenden Widerstand entgegensetzt, der Stift a2 dagegen ist breit und bringt durch die Reibung in sehr kurzer Zeit die Scheibe zum Stillstande. Befestigt sind die beiden Anker an den Hebeln c1 und c2, welche oben mit Gewichten p1, p2 belastet sind, durch deren Einstellung die rasche Bewegung der Anker und Stifte im Moment der Stromunterbrechung bewirkt wird. Die Elektromagnete befinden sich samt der kleinen Stimmgabel b an einem Stativ, welches durch die Schraube l auf dem Schlitten S vor- und rückwärts bewegt werden kann, um dadurch die richtige Entfernung der Stifte von der Glasplatte zu Stande zu bringen. Außerdem ist an dem Apparate noch eine zweite Schlittenverschiebung in der Richtung des Radius der Glasplatte angebracht, welche in unsere schematische Abbildung der Einfachheit halber nicht aufgenommen wurde. Dieselbe hat den Zweck das Stativ mit den Elektromagneten und der Stimmgabel so zu verrücken, daß mit einer und derselben Platte mehrer Versuche hinter einander ausgeführt werden können. J ist ein kleiner RUMKORFF'scher Induktionsapparat, F eine Vorrichtung, welche im Moment der Stromunterbrechung das Überspringen der Funken desselben zwischen zwei Platinspitzen vermittelt. Der Unterbrecher U wird samt dem Funkengeber F am besten auf einen besondern Tisch gestellt, so daß der ganze übrige Apparat für den Beobachter nicht sichtbar ist. Bei der Ausführung eines Versuchs verfährt man nun folgendermaßen. Zunächst werden die beiden Köpfe m und n in der richtigen Weise eingestellt; bei h und o werden die Kontakte geschlossen, der Hebel H an die Achse e so angelegt, daß das Uhrwerk mehrere Minuten zu gehen hat, bis der Fall des Hebels eintritt. Die Ketten K, K1 und K2 werden geschlossen, die Stimmgabel B in Schwingungen versetzt, der Unterbrecher U niedergedrückt und das Uhrwerk durch Druck an einem mit dem Rad u2 in Verbindung stehenden (hier nicht abgebildeten) Schlüssel in Bewegung gesetzt. Zunächst geht der Strom der Kette K von 1 durch q, B und 2 nach h, von hier durch das Quecksilbernäpfchen und 5 nach K zurück. Der Strom der Kette K1 geht durch 6 nach dem Elektromagneten E1: dann durch 7 zum Unterbrecher o, durch 8 nach dem Induktionsapparat J und durch q zu K1 zurück. F ist durch die Drähte 10 und 11 mit den Enden der sekundären Spirale von J verbunden. Endlich der Strom der Kette K2 geht durch 12 zum geschlossen gehaltenen Unterbrecher U, durch 13 zum Elektromagneten E2 und durch 14 zur Kette zurück. Da K1 und K2 geschlossen sind, so werden die Anker der Elektromagnete angezogen, und die beiden Stifte a1 und a2 berühren die Glasplatte nicht. Da ferner die Leitung bei h geschlossen ist, so tritt der Strom der Stimmgabel B nicht in den Kreis des Elektromagneten E3 ein, die kleine Stimmgabel bleibt also in Ruhe und zeichnet bloß einen kreisförmigen Strich auf die Glasplatte. Im Moment wo der Hebel H herabfällt ereignet sich nun folgendes. Zuerst trifft n auf den Hebel h, und der Kontakt desselben wird geöffnet. Jetzt geht daher der Strom der Kette K durch 1, B, 2 nach h, von da nach 3, durch die Klemme b' zum Elektromagneten E3, aus diesem durch 4 und 5 nach K zurück. Jetzt ist also der Elektromagnet der kleinen Stimmgabel in den Kreis aufgenommen, und diese empfängt durch jede von der großen Stimmgabel ausgeführte Unterbrechung einen Anstoß, der sie in immer kräftigere Schwingungen versetzt. Sehr kurze Zeit nachdem n auf h gestoßen ist, erreicht aber auch der Kopf m das Plättchen des Unterbrechers o und reißt es von der Platinspitze ab. Dadurch wird der Strom der Kette K1 unterbrochen, bei F springt ein Öffnungsinduktionsfunke über, und gleichzeitig berührt a1 die Glasplatte G und zeichnet auf derselben einen kreisförmigen Strich. Sobald der Beobachter den Funken sieht, löst er den Kontakt in U. Dadurch wird der Strom der Kette K2 unterbrochen, der Stift a2 fährt vor und hemmt zugleich nach sehr kurzer Zeit die Bewegung. Nehmen wir an, bei a auf der Platte G beginne der von a1, bei b der von a2 herrührende Strich, so hat man nur einfach die zwischen a und ß gelegenen Schwingungen zu zählen, woraus sich unter Berücksichtigung der Schwingungsdauer der Stimmgabel b die absolute Dauer der physiologischen Zeit ergibt. Die von mir benutzte Stimmgabel machte 348 Schwingungen in 1 Sekunde. Da nun 1/4 einer ganzen Schwingung noch sehr gut bestimmt werden konnte, so war die Genauigkeit mindestens 1/1000" 51) .
50) Helmholtz, Lehre von den Tonempfindungen. 3. Aufl. S. 185, Fig. 83.
51) In Fig. 154 sind der Deutlichkeit wegen die Schwingungen im Verhältnis zu den übrigen Dimensionen stark vergrößert: sie sind nämlich ungefähr in der Hälfte, die Glasplatte dagegen nur in 1/5 ihrer wirklichen Größe dargestellt. Noch mehr sind die Distanzen der von den Stiften gezeichneten Linien und der Schwingungskurve vergrößert. Diese Distanzen betragen höchstens je 2 Mm., teils um die Punkte a und b genau bestimmen zu können, teils um viele Versuche auf eine einzige Glasplatte zu bringen.
Für Schallversuche
wurde entweder eine kleine Glocke angewandt, wobei der Fall des Kopfes
m gegen die Glocke zugleich eine Nebenschließung von sehr
kleinem Widerstand zum Elektromagneten E1
schloß, oder es wurde der Unterbrecher o zunächst mit
einem besonderen elektromagnetischen Fallhammer in Verbindung gesetzt,
der dann im Moment des Falls wieder eine Nebenleitung zu E1
schloß und so das Losfahren des Stiftes a1
bewerkstelligte. Bei den Versuchen über elektrische Reizung war die
Anordnung eine ähnliche wie in Fig.
154. Nur war statt des RUMKORFF'schen ein du
BOIS'scher Schlittenapparat eingeschaltet, wie er
zu physiologischen Reizversuchen gebräuchlich ist. Zu Versuchen über
schwache Tasteindrücke ließ ich dem Hebel H auf der entgegengesetzten
Seite einen zweiten Arm geben, der sich beim Herabfallen des Hebels H
aufwärts bewegte, wobei ein am Ende jenes Hebelarms angebrachter Hammerkopf
gegen ein auf einem durchbohrten Tischchen (ähnlich dem Tischchen
T1 in Fig.
155) befestigtes sehr dünnes Metallplättchen anschlug.
Auf dieses Metallplättchen, durch dessen Kontakt mit dem Hebel abermals
eine Nebenleitung zu E1
geschlossen wurde, hatte der Beobachter seinen Finger gelegt. Es fielen
also nun wieder der Eindruck und die Bewegung des Stiftes a1
zusammen.
Bei den Passageapparaten
ist die Registrierbewegung des Beobachters ausgeschlossen. Es wird bei
ihnen entweder die zum Vollzug einer Vorstellung nötige Dauer bestimmt,
indem man einen Eindruck nach veränderlicher Zeit durch einen zweiten
Eindruck auf den nämlichen Sinnesnerven auslöscht; oder es werden
disparate Sinneseindrücke in regelmäßiger Zeitfolge hervorgebracht,
um die eintretenden Zeitverschiebungen zu ermitteln. Der Apparat, welchen
helmholtz, EXNER und baxt
zum ersteren Zweck anwandten, besteht im wesentlichen aus zwei parallel
gestellten kreisförmigen Scheiben, die sich um die nämliche durch
die Mittelpunkte der Scheiben gehende Achse mit ungleicher Geschwindigkeit
drehen. Letzteres ist dadurch erzielt, daß die Rotation der einen
Scheibe mittelst Zahnrädern auf die andere übertragen wird. Beide
Scheiben haben Ausschnitte und lassen, so lange diese Ausschnitte koinzidieren,
dem Auge des Beobachters einen sonst verdeckten Gegenstand sichtbar werden.
Die Dauer der Sichtbarkeit kann aus der Winkelgeschwindigkeit der Scheiben,
welche durch eine elektromagnetische Rotationsmaschine konstant erhalten
wird, und aus der Größe der Ausschnitte berechnet werden. Ein
zwischen den beiden Scheiben angebrachtes schwach vergrößerndes
Linsensystem dient endlich noch dazu, von den Rändern des einen der
Ausschnitte ein so starkes Zerstreuungsbild zu entwerfen, daß der
Gegenstand in allen seinen Teilen gleichzeitig erscheint und wieder verschwindet52).
52) EXNER, Sitzungsber. der Wiener Akademie. Mathem.-naturw. Cl. Abth. II. Bd. 58. S. 602 f.
Zur Messung der
psychologischen Zeitverschiebung habe ich, wie oben bemerkt, teils
eine mit gleichförmiger Geschwindigkeit rotierende Scheibe teils einen
Pendelapparat benutzt. Ich werde mich auf die Beschreibung des letzteren
beschränken, da die Einrichtungen für die Auslösung des
Schalleindrucks bei beiden Vorrichtungen ähnlicher Art waren, aber
nur die zweite sorgfältiger ausgeführt worden ist und zu zahlreichen
Versuchsreihen gedient hat. Der Pendelapparat ist im wesentlichen
eine Pendeluhr mit veränderlicher Pendellänge. Auf einem Fußbrett,
welches durch drei Stellschrauben und mit Hilfe eines an dem Faden g
hängenden Lotes nivelliert wird, befindet sich eine hölzerne
Säule M von 120 cm Höhe. Der obere Teil derselben samt
den damit zusammenhängenden wesentlichen Teilen ist in Fig.
155 abgebildet. Auf dem obern Ende der Säule M sitzt
eine Messingplatte m fest, auf welche hinten der Skalenhalter n
und vorn das Zeigerwerk festgeschraubt ist. Der erstere hat zwei divergierende
Arme o o', an deren oberem Ende zwei auf der Fläche
der Arme senkrechte Säulchen aufsitzen, welche die Skala S
tragen. Der äußere Krümmungsradius der Skala beträgt
11 cm. Sie ist von zwei zu zwei Winkelgraden durch Teilstriche, von zehn
zu zehn durch Ziffern eingeteilt. Am rechten Arm o' des Halters
befindet sich außerdem eine kleine Messinghülse h, in
welcher die Glocke vermittelst ihres Stiels b festsitzt. Diesen
kann man samt der Glocke in der Hülse emporschieben und durch Anziehen
der Schraube s feststellen. Es geschieht dies, falls man, wie z.
B. in Tastversuchen, das Anschlagen der Glocke bei den Bewegungen des Uhrwerks
und des Hebels vermeiden will. Die Drehungsachse des Zeigers Z ist
mit einem kleinen Zahnrad y versehen. Der Zeiger kann an dieser
Achse in jeder beliebigen Lage festgestellt werden. Außer den eben
beschriebenen Teilen trägt die Messingplatte m auf der rechten
Seite das Lager für die gemeinsame Achse des Schallhammers q
und des Hebels H; beide sind dicht neben einander auf der nämlichen
Drehungsachse befestigt. In das obere Ende von q ist ein Knopf eingeschraubt,
der bei einer bestimmten Stellung der Hebelachse auf die Glocke G
aufschlägt. Der Hebel H besteht aus einem linken längeren
und einem rechten kürzeren Arm. Am Ende des letzteren befindet sich
ein Schraubengang, auf welchem der Knopf l hin- und hergeschraubt
werden kann, um die Last auf beiden Seiten zweckmäßig zu verteilen.
Am Ende des linken Arms befindet sich der Tasthammer v, welcher
mit einem elfenbeinernen Knopfe versehen ist. Zu diesem für die Tastversuche
bestimmten Teil des Apparats gehört außerdem das an der Säule
befestigte Tischchen T, welches ein auf drei Messingfüßen
stehendes kleineres rundes Tischchen T' trägt. Dieses hat in
der Mitte, dem Tasthammer v gegenüber, eine runde Öffnung,
in welche das Elfenbeinplättchen f eingeschraubt werden kann.
Auf seiner untern Fläche ist das letztere, um den Stoß von v
abzuschwächen, mit Leder überzogen. Das Tischchen T ist
der Öffnung T' gegenüber von der Schraube k durchbohrt,
auf deren oberem Ende v aufruht, wenn das Uhrwerk still steht. Durch
Auf- oder Niederschrauben der Schraube k und der Platte f
kann die Schwingungsweite von v und damit auch des Hebels H
verändert werden. An der vordem Seite der Säule M, etwas
nach unten von der Messingplatte m, ist das Uhrgehäuse U
angebracht. Dasselbe enthält ein einfaches Pendeluhrwerk, welches
nur hinsichtlich der Einrichtung des Kronrades eine Besonderheit bietet.
Die Achse des letzteren läuft nämlich unten in einer Stahlplatte,
welche mittelst einer Schraube einer über ihr befindlichen festen
Messingplatte entweder genähert oder von ihr entfernt werden kann.
Dadurch kann die Wirkung des Uhrwerks auf das Pendel und in Folge dessen
die Amplitude der Schwingungen innerhalb ziemlich weiter Grenzen variiert
werden. Außerdem läßt durch diese Einrichtung die während
längerer Versuchsperioden unvermeidlich eintretende Abnutzung der
Zähne des Kronrades sich kompensieren. Die Verbindung des letzteren
mit der Pendelachse ist die bei größeren Pendeluhren gewöhnliche.
Die Achse des Steigrads durchbohrt die Säule M und trägt
auf der hinteren Seite das Gewichtsrad, an welchem mittelst einer mehrfach
umgeschlungenen Schnur das Gewicht Q befestigt ist; durch Umdrehen
des Gewichtsrades wird das Uhrwerk aufgezogen. Die Pendelstange P
ist in ihrem oberen Teil aus Metall, in ihrem unteren größeren
aus Holz. Die ziemlich schwere Linse L kann an dem hölzernen
Teil der Pendelstange mittelst der an ihr befindlichen Schraube verstellt
werden, wodurch sich die Schwingungsdauer verändert. Die Pendelstange
selbst ist darnach empirisch graduiert. Um die Pendelbewegungen auf das
Zeigerwerk zu übertragen, stellt das Ende x des Pendels den
Sektor eines Zahnrades dar, dessen Zähne genau in das an der Achse
des Zeigers befindliche Zahnrädchen y eingreifen. Da der Halbmesser
des Zahnrädchens genau 1/10
von demjenigen des Sektors beträgt, so muß sich der Zeiger
mit der zehnfachen Winkelgeschwindigkeit des Pendels bewegen. Mit dem obern
Teil des Pendels ist endlich ein Messingansatz fest verbunden, der von
der Pendelachse durchbohrt wird und um dieselbe gedreht werden kann. Dieser
Ansatz ragt in den von dem gezahnten Sektor umschlossenen Raum hinein und
endigt hier mit dem Daumen d. Die Verbindungsstücke des Sektors
mit der Pendelstange sind aber von den Schrauben r r’ durchbohrt,
die, wenn man sie möglichst sich annähert, das den Daumen d
tragende Ansatzstück zwischen sich fassen. Durch Änderung der
Schraubenstellung kann daher die Stellung des Daumens innerhalb ziemlich
weiter Grenzen verändert werden. Die Bewegung des Pendels wird nun
auf den Hebel H mittelst einer Zwischenvorrichtung übertragen.
Dieselbe besteht aus einer von einer Feder umsponnenen Achse, die vorn
den an den Daumen des Pendels sich anlegenden Fortsatz e trägt,
und an der sich hinten nahe vor dem Hebel H der Mitnehmer i
befindet. Dieser umfaßt etwa in der Weise eines in zwei Phalangen
gebogenen Fingers einen an dem Hebel befindlichen Stift p. Wenn
Pendel und Zeiger sich für den Beobachter von links nach rechts bewegen,
so stößt der Daumen d an den Fortsatz e an, dadurch
dreht sich die mit dem letzteren verbundene Achse gleichfalls von links
nach rechts, der Mitnehmer i, und durch ihn der Stift p und
Hebel H werden in die Höhe gehoben, bis der an diesem befestigte
Hammer bei einer bestimmten Stellung an die Glocke anschlägt. Der
Apparat muß so eingestellt sein, daß in dem Moment, in welchem
dies eintritt, der Fortsatz e wieder von dem Daumen d abgleitet,
was durch die Wirkung einer Spiralfeder unterstützt wird, welche die
Achse, an der e befestigt ist, umwindet. Im selben Augenblick aber
fällt auch der Hebel und der Hammer wieder zurück. Es kann also
die Berührung zwischen Hammer und Glocke durch sorgfältige Einstellung
des Hebels und des Hammerköpfchens geradezu auf einen Moment beschränkt
werden, so daß der Glockenschlag keinen die Bewegung des Pendels
und Zeigers störenden Stoß verursacht. Geht dann das Pendel
rückwärts von rechts nach links, so gleitet der Daumen d
ohne erheblichen Widerstand an dem Fortsatz e vorbei, da, wenn die
Achse des letzteren in dieser Richtung sich dreht, die Feder nicht gespannt
wird, und der Mitnehmer i gleitet leicht von dem Stift p,
der in ihm ruht, ab. Es findet also immer nur dann, wenn Pendel und Zeiger
von links nach rechts gehen, eine Bewegung des Hebels und ein Glockenschlag
statt. Die Zeit aber, zu welcher der Glockenschlag stattfindet, läßt
sich durch wechselnde Einstellung des Daumens d mittelst der Schrauben
r r' variieren. Da die Bewegungen des Hebels und Hämmerchens
die Versuche stören würden, indem sie die Aufmerksamkeit abziehen,
so werden alle hinter der Skala befindlichen Teile des Apparats durch einen
schwarzen (in der Abbildung weggelassenen) Schirm verdeckt, der oben an
den die Skala tragenden Messingsäulchen festgebunden ist.
Die Anstellung
der Beobachtungen geschieht nun in folgender Weise. Nachdem die Bewegung
des Hebels reguliert wurde, bringt man zunächst die Pendellinse in
die für die beabsichtigte Schwingungsdauer erforderliche Höhe
und erzeugt dann durch die früher beschriebene Verstellung des Kronrades
die gewünschte Schwingungsamplitude. Hierauf wird der Daumen d
durch die Einstellung der Schrauben r r' in eine beliebige, jedenfalls
aber dem Beobachtenden unbekannte Lage gebracht. Macht man an sich selber
die Versuche, und hat man keinen Gehilfen, der die Einstellung übernimmt,
so stellt man am besten unmittelbar nach jeder Beobachtung für die
nächste ein und verfährt dabei möglichst unaufmerksam. Sind
alle Vorbereitungen beendet, so wird durch Anstoßen des Pendels
das Uhrwerk in Bewegung gesetzt. Bei jeder Bewegung des Zeigers von links
nach rechts sucht man denjenigen Teilstrich der Skala zu bestimmen, vor
welchem der Zeiger im Moment des Glockenschlags oder des Tasteindrucks
vorbeizugehen scheint. Damit diese Auffassung mit der erforderlichen Genauigkeit
geschehen könne, muß das Uhrwerk einige Zeit im Gang erhalten
bleiben. Im allgemeinen ist das Urteil um so länger schwankend, je
rascher die Bewegung ist. Nachdem man hinreichend scharf den Teilstrich
der Skala festgestellt hat, bei welchem der Eindruck aufgefaßt wurde,
wird derselbe samt der zugleich stattfindenden Schwingungamplitude und
Schwingungsdauer notiert. Dann erst sieht man nach, welcher Moment der
Bewegung des Zeigers wirklich mit dem Eindruck zusammenfiel. Dies geschieht,
indem man langsam das Pendel von links nach rechts führt, bis der
Hammer q die Glocke oder das Knöpfchen v den Finger
berührt.
Mit den Vorstellungen, welche durch äußere Sinneseindrücke geweckt werden, verweben sich fortwährend die Erinnerungsbilder früherer Anschauungen, bald die unmittelbare Wahrnehmung ergänzend und mit ihr untrennbar verschmelzend, bald ihr selbständig gegenübertretend und dann durch ein Zeitintervall deutlich getrennt. Zieht sich unsere Aufmerksamkeit zurück von der sinnlichen Wahrnehmung, so beginnen nun die Erinnerungsbilder selbst mit einander zu wechseln, und es gestaltet sich so ein innerer Verlauf reproduzierter Vorstellungen, bei dessen Untersuchung wir die störende Einwirkung äußerer Sinnesreize ebenso fern halten müssen, wie wir uns bisher möglichst auf das Verhalten der unmittelbaren Sinneseindrücke im Bewußtsein beschränkten. Es zeigt sich aber freilich sogleich, daß eine solche Scheidung der beiden Gebiete nicht vollständig durchzuführen ist. Das Hereinragen der Reproduktion in die Auffassung des zeitlichen Verlaufs der äußeren Reize haben wir oben bei der Wahrnehmung erwarteter Eindrücke kennen gelernt. Die Erinnerungsbilder stammen nun vollends ganz und gar aus früheren Sinnesanschauungen. Wie daher bei der Betrachtung der Qualität und Stärke derselben die Vergleichung mit den Anschauungsvorstellungen den Maßstab angeben mußte53), so erhebt sich bei ihrem Verlauf vor allem die Frage, wie sich derselbe zu dem zeitlichen Wechsel der ursprünglichen Eindrücke, auf welche sie sich zurückbeziehen, verhalte. Ist diese Frage beantwortet, so wird dann erst zu untersuchen sein, wie die Erinnerungsbilder ihrem Inhalte nach mit einander verbunden werden, wenn sie ihrem eigenen Ablaufe überlassen sind.
53) Vergl. Kap. XV.
Wir können uns einen zwischen zwei Eindrücken gelegenen Zeitraum in der Erinnerung größer oder kleiner vorstellen, als er wirklich ist. In der Tat findet sich das erste ganz allgemein bei kleinen, das zweite bei größeren Zeiträumen. Dies ist schon aus der gewöhnlichen Selbstbeobachtung bekannt. Wollen wir uns z. B. Bruchteile einer Sekunde denken, so machen wir uns unwillkürlich eine zu große Zeitvorstellung; das entgegengesetzte geschieht bei der Vorstellung mehrerer Minuten oder Stunden. vierordt hat für kleinere Zeitintervalle diese Erscheinungen experimentell verfolgt, indem er die Pendelschläge eines Metronoms beobachten und dann durch eigene Einstellung den Beobachter diejenige Schlagfolge hervorbringen ließ, welche ihm ebenso schnell wie die zuvor gehörte erschien. Es fiel dabei die nachgemachte Zeit länger aus als die wahrgenommene, wenn diese klein, kürzer, wenn sie groß war. Dazwischen lag ein Indifferenzpunkt, wo ungefähr die richtige Einstellung getroffen wurde. Dieser Punkt wechselt bei verschiedenen Individuen; er hängt außerdem von den Nebenumständen des Versuchs und vielleicht von dem in Anspruch genommenen Sinnesgebiete ab. Die individuellen Schwankungen erstreckten sich beim Gehör von 1,5 bis zu 3,5 Sek. Bei sich selbst fand VIERORDT jenen Punkt für den Tastsinn bei 2,2—2,5, für den Gehörssinn bei 3—3,5 Sek., wenn zwischen der Empfindung und ihrer Wiederholung ein kleines Zeitintervall gelegen war. Wurde dieses Intervall möglichst kurz genommen, so sank der angegebene Zeitwert, und mit der Verlängerung desselben nahm er zu54).
54) VIERORDT, der Zeitsinn nach Versuchen. Tübingen 1868. S. 36 f. S. 111 f.
Auch bei der Schätzung größerer durchlebter
Zeiträume machen sich diese Gesetze sowohl in der allgemeinen Verkürzung
durch die Erinnerung wie insbesondere noch darin geltend, daß eine
kürzere Zeit relativ in der Regel größer als eine
längere empfunden wird. Ein eben durchlebter Monat und ein eben durchlebtes
Jahr erscheinen uns also beide zu kurz in der Erinnerung, das letztere
ist aber doch relativ weit mehr verkürzt. Entfernen wir uns außerdem
auch noch von dem Endpunkt der Zeitreihe, so rückt dieselbe in der
Erinnerung immer mehr zusammen. So schließen diese altbekannten psychologischen
Tatsachen unmittelbar den Beobachtungen sich an, welche sich für den
Verlauf der Vorstellungen unter den einfachsten Bedingungen des physiologischen
Versuchs ergeben.
Schon in jenen Fällen der gewöhnlichen
Erfahrung wird aber stets die Zeitauffassung noch durch andere Bedingungen
kompliziert, namentlich durch die Beschaffenheit der Vorstellungen, welche
die Zeit ausfüllen. Beginnen wir hier wieder mit der Schätzung
einfacher Sinneseindrücke, so läßt sich z. B. das Intervall
zweier Pendelschläge ohne weiteres annähernd richtig feststellen,
nur mit den kleinen Fehlern behaftet, welche, wie oben bemerkt, die Größe
der Zwischenzeit mit sich führt. Suchen wir aber eine größere
Zahl gleicher Pendelschläge zusammenzufassen, so gelingt dies nur,
indem wir den einzelnen je nach ihrer Zeitordnung eine verschiedene Intensität
beilegen. Man ertappt sich daher bei diesen Versuchen immer darüber,
daß man die einander regelmäßig folgenden Eindrücke
in die Taktform bringt. Hierin gibt sich deutlich die früher
hervorgehobene Wichtigkeit des Taktes für die Zeitauffassung zu erkennen55).
55) Vergl. Kap. XIII. VIERORDT, a. a. O. S. 141.
Anders verhält sich die Sache, wenn verschiedene
Vorstellungen unregelmäßig wechselnd den Zeitraum ausfüllen.
Nach bekannter Erfahrung verfließt uns die Zeit am schnellsten, wenn
uns irgend eine Beschäftigung veranlaßt nicht an die
Zeit zu denken, und sie verfließt uns am langsamsten, wenn wir immerfort
an sie denken, in der Langeweile. In diesen Fällen handelt es sich
aber nicht um eine Schätzung verflossener sondern um eine solche bevorstehender
Zeiträume. Eine in Langeweile verbrachte Zeit kann in der Erinnerung
kurz erscheinen. Das Gefühl des langsamen Abflusses der Zeit entspringt
hier nur aus der Spannung der Aufmerksamkeit auf zukünftige Eindrücke.
Darum wird uns z. B. die Zeit ausnehmend lang, wenn wir Jemanden erwarten,
der nicht kommen will. Trifft der Ersehnte wirklich ein, so ist jene Spannung
plötzlich vergessen, und die Zeit der Erwartung kann nun in der Erinnerung
sogar sehr kurz erscheinen. Dem mit Arbeit Beschäftigten verfließt
dagegen nur darum die Zeit schnell, weil seine Aufmerksamkeit in jedem
Moment durch die gegenwärtigen Eindrücke gefesselt wird. Verschieden
davon ist das Gefühl für die vergangene Zeit. Eine in aufmerksamer
Arbeit verbrachte Zeit kommt uns zwar in der Regel auch in der Erinnerung
kurz vor, aber aus einem andern Grunde, weil nämlich die Vorstellungen,
die bei derselben wirksam gewesen sind, in einem durchgängigen Zusammenhange
stehen, so daß sie einander leicht durch Reproduktion wachrufen.
Auf diese Weise ist uns dann die ganze Zeitstrecke nach ihrem Abfluß
ohne Schwierigkeit in einem Gesamtbilde gegenwärtig. Die Regel der
rückwärtsgehenden Zeitverkürzung ist deshalb hier nicht
ohne Ausnahmen. Wer mit tausenderlei kleinen, nicht zusammenhängenden
Arbeiten eine gewisse Zeit hinbrachte, die ihm während des Ablaufs
schnell verfloß, hat doch am Ende derselben das Gefühl einer
langen Zeit. Ebenso empfinden wir mitten in einem lebhaften Traume keine
Langeweile; dennoch glauben wir beim Erwachen unendlich lange geträumt
zu haben, und das um so mehr, je mannigfaltiger und unzusammenhängender
die einzelnen Traumbilder gewesen sind. Wir müssen also das prospektive
und retrospektive Zeitgefühl unterscheiden. Das erstere besteht
einfach in der Spannung der Aufmerksamkeit auf erwartete Eindrücke;
das letztere beruht auf der Reproduktion der in einer gewissen Zeitstrecke
vorhanden gewesenen Vorstellungen. Hierin liegt dann zugleich die Erklärung
für alle Erscheinungen, die wir in Bezug auf dieses retrospektive
Zeitgefühl festgestellt haben. Eine Zeitstrecke bedarf in allen Fällen
mindestens zweier auf einander folgender Vorstellungen. In der Erinnerung
reproduzieren wir diese in derselben Reihenfolge, in der sie uns durch
den unmittelbaren Sinneseindruck gegeben wurden. Nun bedarf aber die Reproduktion
unter allen Umständen einer gewissen Zeit. Die Schätzung sehr
kleiner Zeitstrecken zeigt, daß diese Zeit der Reproduktion sich
der kürzesten Zeitfolge der unmittelbaren Empfindungen nicht mehr
anzupassen vermag. Zur Reproduktion einer Vorstellung wird also im allgemeinen
mehr Zeit erfordert, als zu ihrer Produktion nötig ist.
Auch die Zeit, welche die Produktion der Vorstellung
erfordert, ist nun wie wir früher gesehen haben, nicht unveränderlich.
Zwei gleichzeitige Eindrücke können z. B. gleichzeitig apperzipiert,
sie können aber auch in eine Sukzession geordnet werden, und die Minimalzeit,
die in diesem Fall zwischen ihnen verfließt, ist von der Spannung
der Aufmerksamkeit abhängig. Je größere Intensität
die letztere hat, um so mehr Zeit verfließt, bis der zweite Eindruck
apperzipiert werden kann. Ohne Zweifel wird daher auch die Reproduktionsdauer
von der Spannung der Aufmerksamkeit abhängen. Der Indifferenzpunkt
wird derjenigen Zeitgröße entsprechen, bei welcher die Aufmerksamkeit
mit der geringsten Schwierigkeit zwischen den zwei einander folgenden Eindrücken
wechseln kann. Diese Zeit ist immer sehr erheblich, und sie scheint bei
Beobachtern, die im Aufmerken geübt sind, besonders groß zu
sein, was mit den allgemeinen Eigenschaften der Aufmerksamkeit wohl übereinstimmt.
Obgleich die Spannung der Aufmerksamkeit erst nach
einer so langen Zeitdauer vollständig genug wird, um den Fehler zwischen
der direkt empfundenen und der reproduzierten Zeit zu einem Minimum zu
machen, so werden nun doch auch noch erheblich kleinere Zeiträume
in der Reproduktion deutlich als kleinere unterschieden. Dies könnte
auffallend scheinen. Es ist aber dabei erstens zu bedenken, daß wir
selbstverständlich auch noch an solche Zeitunterschiede uns erinnern
können, denen die Spannung der Aufmerksamkeit sich minder sicher anzupassen
vermag; die Folge ist dann eben ein größerer durchschnittlicher
Fehler, wie er sich in der Tat aus den Beobachtungen ergibt. Jene Zeit
von 2–3 Sekunden bei einem kurzen Intervall zwischen den wirklichen Eindrücken
und ihrer Reproduktion bezeichnet eben nur diejenige Zeitgrenze, welche
unter den gegebenen Bedingungen für den Spannungswechsel der Aufmerksamkeit
am günstigsten ist. Sodann kommt aber in Betracht, daß wir bei
einem schnelleren Wechsel sehr bald dazu kommen, immer einen oder einige
zwischenliegende Eindrücke minder stark zu betonen und so eine Taktform
herzustellen, wobei die Senkungen als Unterabteilungen der Zeit zwischen
den Hebungen betrachtet werden, welche letzteren wir hauptsächlich
zur Abmessung der Zeitstrecken benutzen. Steigt das Intervall der Eindrücke
über den Indifferenzpunkt, so wird es in der Reproduktion verkürzt,
weil der Spannung der Aufmerksamkeit zu viel Zeit gelassen ist. Auch hier
kann übrigens der Spannungswechsel der Aufmerksamkeit mit verschiedener
Geschwindigkeit geschehen, und im allgemeinen akkommodieren wir uns bei
der Reproduktion ebenfalls möglichst der Geschwindigkeit der äußern
Eindrücke. Wir reproduzieren daher noch weit über dem Indifferenzpunkt
Zeiträume von verschiedener Dauer im richtigen Sinne, aber der absolute
Fehler, den wir begehen, wird wieder um so größer, je weiter
wir uns von jener Grenze des leichtesten Spannungswechsels entfernen.
Mit den hier erörterten Eigentümlichkeiten
der absoluten Zeitauffassung hängen die Erscheinungen der relativen
Zeitschätzung unmittelbar zusammen. Wenn wir ein erstes Zeitintervall
mit einem zweiten vergleichen, welches um irgend einen Betrag von jenem
verschieden ist, so ist uns dabei das erste im Moment der Vergleichung
nur noch als Erinnerungsbild gegenwärtig, also mit jenen Fehlern behaftet,
welche durch die Reproduktion in die Zeitschätzung kommen. Es muß
daher notwendig die Auffassung der Zeitunterschiede bei solchen Intervallen
am genauesten sein, welche dem angegebenen Indifferenzpunkt entsprechen,
unter und über diesem muß sie in steigendem Grade ungenau werden.
So zeigt denn auch der Versuch, daß der eben merkliche Zeitunterschied
im Vergleich mit der Totalgröße der verglichenen Zeiten bei
einer sehr kleinen absoluten Zeitdauer groß ist, dann ein Minimum
erreicht, und endlich bei wachsender Zeit wieder zunimmt. Den ganzen Verlauf
dieser Abhängigkeit ersieht man aus der ersten der folgenden Versuchsreihen;
die beiden andern lassen nur die obere Zunahme erkennen. Mit t ist
hier die zur Vergleichung dienende Zeit, mit
der Quotient des erkannten Zeitunterschiedes in die absolute Zeitdauer
bezeichnet. Als Reize dienten Pendelschlage oder ähnliche intermittierende
Schalleindrücke.
56) Die Versuche von mach sind alle nach der Methode der eben merklichen Unterschiede ausgeführt, für etwas größere Zeiten mit einem Pendel, bei dem je ein kürzerer auf einen längeren Schlag folgte, wobei dieser Zeitunterschied vom unter- bis zum übermerklichen gesteigert werden konnte. Für schnellere Zeiten benutzte mach ein durch eine Kurbel in Bewegung gesetztes Zahnrad mit zwei gegen einander verstellbaren Scheiben, welches an einem daran gehaltenen Stabe rasch aufeinanderfolgende Schläge bewirkte. Vierordt und HOERING haben ihre Versuche nach der Methode der richtigen und falschen Fälle ausgeführt und das Metronom benutzt, dessen Schwingungsdauer in schnell auf einander folgenden Beobachtungen variiert wurde. Die obigen Zahlen sind von VIERORDT (a. a. O. S. 153) approximativ aus den direkt erhaltenen Zahlen in Werte der Unterschiedsempfindlichkeit umgerechnet. Die Haupttabelle siehe ebend. S. 70.
57) Die Versuche HOERING'S über relative Zeitschätzung sind allerdings in ähnlicher Weise ausgeführt. Da sie aber nach der Methode der richtigen und falschen Fälle gewonnen sind, so lassen die Zahlen keine unmittelbare Vergleichung zu.
58) Bei Mach ist höchstens zwischen 0,3 und 1 Sek bei HOERING innerhalb wenig weiterer Grenzen die Unterschiedsempfindlichkeit annähernd konstant. Einige nach ähnlicher Methode ausgeführte Versuche von MAURITIUS (Programm des Gymnasium Casimirianum in Coburg, 1870) scheinen mehr übereinzustimmen, sind aber nicht zahlreich genug.
Als allgemeines Resultat ergibt sich aus diesen Beobachtungen, daß der Verlauf der reproduzierten Vorstellungen in ganz derselben Weise von dem Spannungswechsel der Aufmerksamkeit beherrscht wird, wie der Verlauf der unmittelbaren Wahrnehmungen. Jeder Vorstellung muß sich die Aufmerksamkeit akkommodieren, damit eine Apperzeption derselben stattfinden kann. Wie wir nun bei den Erscheinungen der Zeitverschiebung beobachteten, daß ein Eindruck zu früh oder zu spät wahrgenommen werden kann, weil der Aufmerksamkeit entweder zu viel oder zu wenig Zeit zu ihrer Anpassung gelassen ist, so kann auch eine Vorstellung zu früh oder zu spät reproduziert werden. Das erstere sehen wir da eintreten, wo eine langsame, das letztere wo eine rasche Reproduktion gefordert ist. Auch hier paßt sich der Spannungswechsel der Aufmerksamkeit in seiner Geschwindigkeit den erinnerten Eindrücken an. Wir wiederholen daher in unserer Erinnerung im allgemeinen die Erlebnisse nach ihren wirklichen Unterschieden; wir mengen nur die Fehler bei, die sich aus der Anpassungszeit der Aufmerksamkeit ergeben und die mit der absoluten Zunahme der Zeitintervalle enorm zunehmen. Letzteres führt uns zugleich auf den Punkt, in welchem sich der Verlauf der reproduzierten Vorstellungen von demjenigen der entsprechenden Wahrnehmungen wesentlich unterscheidet. Durch die Reproduktion wird erstens der für den vollständigen Spannungswechsel der Apperzeption günstigste Zeitraum bedeutend vergrößert. Er erreicht, wie die Versuche über Zeitverschiebung lehren, bei der Sukzession der Wahrnehmungen kaum eine Sekunde, da erst, wenn zwei Schalleindrücke durch 1 Sekunde getrennt sind, die Zeitverschiebung durchschnittlich null wird. Wenn dagegen nur ein kurzes Intervall zwischen den Eindrücken und ihrer Reproduktion liegt, so kann sich der Indifferenzpunkt zwischen den positiven und negativen Werten der Zeitschätzung schon auf mehrere Sekunden erheben. Zweitens nehmen die Unterschiede der Reproduktion von der unmittelbaren Auffassung zu mit der Vergrößerung der zwischen den Vorstellungen gelegenen Zeitdistanz und der Zeit, welche von der Einwirkung der Eindrücke bis zum Moment der Reproduktion verflossen ist. Diese zweite Regel folgt ohne weiteres aus den vorhin erörterten Beobachtungen.
Dem in den obigen Sätzen enthaltenen Gesetze läßt sich folgender Ausdruck geben. Nennen wir t die zwischen zwei Sinneseindrücken gelegene Zeit, J die Wiederholung dieser Zeit in der Reproduktion, und bezeichnen wir mit d die veränderliche Zeitgröße zwischen dem Ende der wahrgenommenen und dem Anfang der reproduzierten Zeit, so folgt die Beziehung zwischen J , t und d annähernd der Gleichung
worin b und a näher
zu bestimmende Konstanten bedeuten. Durch das Produkt a t wird das
Zeitintervall gemessen, welches jenem Indifferenzpunkte entspricht, wo
die reproduzierte der wirklichen Zeit gleichkommt. Dieses Zeitintervall
nimmt zu mit der Größe der Zeit t, und wir drücken
es deshalb durch das Produkt a t aus. Ist d
= a t, so wird J
= t, was eben die Tatsache der Gleichheit reproduzierter und unmittelbar
empfundener Zeit ausdrückt. Wird d
kleiner als a t, so wird J
größer als t, was den Zeiträumen unter der Indifferenzlage
entspricht. Wird dagegen d
größer als a t, so vermindert sich nun J
im Verhältnis zu t in immer wachsendem Maße.
Indem sich frühere Sinnesvorstellungen anscheinend
spontan in unserm Bewußtsein erneuern, folgen sie dabei bestimmten
Regeln der gegenseitigen Verbindung. Reproduktion und Assoziation
stehen auf diese Weise in inniger Beziehung. Sie sind im Grunde eine und
dieselbe Tatsache von verschiedenen Standpunkten aus betrachtet. Bei der
Reproduktion haben wir das Hervortreten einer Vorstellung in das Bewußtsein,
bei der Association ihren Zusammenhang mit einem vorausgegangenen Erinnerungsbild
oder Sinneseindruck im Auge. Jedenfalls in der Mehrzahl der Fälle
erweist sich die Assoziation als der Grund der Reproduktion. Wir
haben gesehen, wie dieser Zusammenhang selbst in den anscheinend regellosesten
Phantasiebildern des Traumes nachweisbar ist59).
Doch läßt sich die Möglichkeit nicht bestreiten, daß,
ebenso wie ein äußerer Sinneseindruck oder ein anderes Erinnerungsbild,
so auch die automatische Reizung bestimmter zentraler Gebiete eine Reproduktion
erzeugen kann. Aber schon durch das Vorkommen der automatischen Reizung
ist diese Form der Reproduktion eine beschränktere60).
Mit Rücksicht auf ihre nächste Ursache lassen sich demnach zunächst
zwei Fälle der Reproduktion unterscheiden: solche aus physiologischer
und solche aus psychischer Reizung. Bei der ersten gibt eine unmittelbare
Sinnesanschauung (in seltenen Fällen eine zentrale Reizung), bei der
zweiten ein anderes Erinnerungsbild den Grund zur Wiedererzeugung der Vorstellung.
59) Kap. XV.
60)Vergl. Kap. V.
Die Sinnesanschauung übt, wie die Erfahrung
lehrt, eine außerordentlich starke reproduktive Wirkung aus. Dies
zeigt sich vor allem in jenen Reproduktionen, welche für uns hier
nicht weiter in Betracht kommen, weil sie mit der sinnlichen Wahrnehmung
selbst untrennbar verschmelzen, in den Reproduktionen der Innervationsgefühle
und Tastempfindungen bei der räumlichen Anschauung sowie in den Erscheinungen
der physiologischen Illusion. Doch regt ein äußerer Eindruck
leicht auch solche Erinnerungsbilder auf, welche sich ihm getrennt gegenüberstellen.
Dabei folgt die Reproduktion im allgemeinen den nämlichen Regeln wie
bei der Sukzession reiner Erinnerungsbilder. Diese letztere die Reproduktion
aus psychischer Reizung, ist es nun vorzugsweise, welche man unter den
Erscheinungen der Assoziation der Vorstellungen zu begreifen
pflegt. Die Selbstbeobachtung zeigt, wie unsere Erinnerungsbilder, so schwankend
auch ihr Verlauf sein mag, doch durchgängig in einem gewissen Zusammenhange
stehen, der teils, wie es scheint, von ihrer inneren Verwandtschaft teils
von ihrer äußeren, mehr oder weniger zufälligen Verbindung
beherrscht wird. Die unmittelbar unserer inneren Beobachtung sich aufdrängenden
Regeln dieses Zusammenhanges sind es, welche man als die Assoziationsgesetze
bezeichnet hat. Diese Regeln enthalten zweifellos einen im allgemeinen
richtigen Ausdruck der unmittelbar wahrzunehmenden Tatsachen, mehr aber
freilich auch nicht. Zunächst sind zwei, wirklich überall in
dem Verlauf unserer Vorstellungen sich kundgebende Erscheinungen in denselben
ausgedrückt, nämlich 1) daß jede Vorstellung geneigt ist,
eine ihr ähnliche in's Bewußtsein zu rufen, und 2) daß
eine Vorstellung sich besonders leicht mit solchen assoziiert, mit denen
sie häufig verbunden gewesen ist, sei es in Folge räumlicher
Koexistenz, sei es durch die regelmäßige Ordnung in einer Zeitreihe.
Bei der ersten dieser Regeln muß man jedoch festhalten, daß
der Begriff der Ähnlichkeit zweier Vorstellungen ein sehr weiter ist,
indem derselbe in jedem möglichen Empfindungsbestandteil, namentlich
auch im Gefühlstone liegen kann, daß also ein solches Gesetz
der Ähnlichkeit sehr weite Schranken hat. Hinsichtlich der zweiten
Regel ist zu bemerken, daß die Koexistenz im Raume und die zeitliche
Ordnung offenbar nur besondere Fälle einer Verbindung sind, welche
durch die Gewohnheit herbeigeführt ist, daher wir dieselbe zweckmäßiger
als die Regel der assoziativen Gewöhnung bezeichnen. In der
Tat scheiden sich nun diese beiden Fälle der Assoziation sehr deutlich
in der Selbstbeobachtung. Auf der Assoziation durch Verwandtschaft beruht
die ursprünglichste Art der Verbindung der Vorstellungen. Sie pflegt
noch verhältnismäßig am reinsten dann hervorzutreten, wenn
unser Bewußtsein ganz dem zufälligen Spiel seiner Phantasiebilder
hingegeben ist, also z. B. im Traume oder in halbträumenden Zuständen
des wachen Lebens. Bei voller Besinnung ist dagegen die assoziative Gewöhnung
weitaus mächtiger. Auf ihr beruht nicht nur die Neigung Dinge, die
wir oft zusammen wahrgenommen, neben oder nacheinander vorzustellen, sondern
auch ein großer Teil der erlernten Zusammenhänge unserer Vorstellungen.
Es ist ja bekannt, wie außerordentlich schwer es ist, das Alphabet
oder irgend einen wohlbekannten Satz rückwärts zu sagen. Hier
hat die assoziative Gewöhnung gewissen Vorstellungen, die noch dazu
manchmal, wie z. B. beim Alphabet; in gar keinem innern Zusammenhang stehen,
eine ganz bestimmte Richtung ihres Verlaufs angewiesen. Am meisten ist
aber allerdings der Abfluß der Vorstellungen dann erleichtert, wenn
Verwandtschaft und assoziative Gewöhnung zusammenwirken. Darauf beruht
die viel größere Sicherheit, mit der wir eine Melodie oder einen
logisch zusammenhängenden Gedanken reproduzieren; ein Umstand, der
bekanntlich in den versifizierten Genusregeln und andern mnemonischen Kunststücken
benutzt wird. Vor allem bewährt in allen diesen Fällen wieder
die rhythmische Klangfolge ihre Bedeutung für die zeitliche Ordnung
der Vorstellungen.
Ehe wir die Frage erheben können, worin das
Prinzip der Verwandtschaft und das der assoziativen Gewöhnung ihren
Grund haben, erhebt sich die Vorfrage, wie überhaupt eine Reproduktion
dem Bewußtsein entschwundener Vorstellungen möglich sei. Hierauf
sind drei Antworten denkbar, und sie sind alle drei gegeben worden. Die
Vorstellungen bleiben entweder l) fortwährend selbst in der
Seele, sie verschwinden nur scheinbar, weil sie durch andere Vorstellungen
aus dem Bewußtsein verdrängt werden, oder es bleiben 2) von
ihnen Reste oder Spuren zurück, welche irgendwie ihre
Wiedererzeugung bewirken können, oder endlich, es hinterläßt
3) jede Vorstellung eine Disposition zu ihrer Erneuerung, welche
Disposition zur wirklichen Reproduktion führt, sobald irgend eines
jener Motive vorliegt, welche in den Regeln der Assoziation enthalten sind.
Die erste dieser Ansichten muß eine latente
oder unbewußte Existenz der Vorstellungen annehmen. Nun kann eine
latente Vorstellung möglicherweise wegen anderer im Bewußtsein
vorhandener Vorstellungen oder wegen ihrer eigenen, von derjenigen der
bewußten Vorstellungen verschiedenen Natur nicht bewußt sein.
Nimmt man das erstere an, wie es die HERBART'sche Schule
tut, so wird als einziger Grund der Unbewußtheit die Eigenschaft,
des Bewußtseins gesetzt, nur eine beschränkte Zahl von Vorstellungen
umfassen zu können. Es ist uns aber das Bewußtsein nur aus unsern
Vorstellungen bekannt, ebenso wie wir unsere Vorstellungen nur aus dem
Bewußtsein kennen. Eine unbewußte Vorstellung ist daher, ebenso
wie ein nicht-vorstellendes Bewußtsein, ein Begriff, dem eigentlich
sein Inhalt verloren ging. Eine Vorstellung die nicht vorgestellt wird,
ist eben keine Vorstellung. Die empirische Tatsache der Enge des Bewußtseins
kann also nur so gedeutet werden, daß nicht alle Vorstellungen als
solche fortbestehen; und eine reproduzierte Vorstellung wird erst in dem
Moment, wo sie reproduziert wird, auch wieder Vorstellung. So bliebe denn
nur übrig anzunehmen, daß der latenten Vorstellung gewisse Eigenschaften
fehlen, welche zu ihrem Bewußtsein erforderlich sind, eine Annahme,
die auf die zweite Theorie, die der Reste oder Spuren, hinausführt.
Denn unter den letzteren versteht man eben solche irgendwie veränderte
und deshalb nicht mehr bewußte Vorstellungen. Diese Theorie, ob sie
nun die Spuren als materielle Eindrücke im Gehirn oder als Vorstellungsreste
in der Seele oder als beides zugleich ansehen mag, muß aber notwendig
voraussetzen, daß zu der Spur, wenn sie wieder zur wirklichen Vorstellung
werden soll, irgend etwas hinzutreten müsse; und zwar kann dies hinzutretende
nicht etwa bloß in dem Assoziationsmotiv bestehen, welches immer
nur den äußeren Grund der Reproduktion abgibt, sondern es muß
sich der angenommene Vorstellungsrest selbst in Folge dieses äußeren
Anlasses wieder zur ganzen Vorstellung integrieren. Jener Rest ist also
offenbar nur eine zurückbleibende funktionelle Anlage zur Wiedererneuerung
der einmal vorhanden gewesenen Vorstellung. So führt die Theorie der
Reste oder Spuren schließlich ganz notwendig auf die dritte Ansicht
hinaus, auf die Annahme einer zurückbleibenden Disposition
zur Vorstellung. Diese Annahme ist aber zugleich der einfachste und unmittelbarste
Ausdruck der Tatsachen. Eine Disposition für die Erneuerung der Vorstellungen
müssen wir annehmen, und mehr anzunehmen ist durch nichts gefordert.
Man kann freilich sagen: eine Disposition muß
doch auf irgend einem. physischen oder psychischen Zustande beruhen, der,
ehe die Vorstellung einwirkte, nicht vorhanden war, also auf einer Spur,
welche die Vorstellung zurückließ. Wollte man allgemein unter
der "Spur" bloß eine Nachwirkung irgend welcher Art verstehen, so
wäre auch dagegen nichts einzuwenden. Aber die "Spur" wird eben von
der bloßen "Disposition" als eine Art der Nachwirkung unterschieden,
welche nicht bloß die Entstehung gewisser Vorgänge erleichtert,
sondern welche selbst einen bleibenden, noch dazu mit dem zu erneuernden
Vorgang verwandten Zustand darstellt. Analogien aus dem physiologischen
Gebiet werden diesen Unterschied deutlicher hervortreten lassen. In einem
Auge, das in blendendes Licht gesehen hat, hinterbleibt eine Nachwirkung
des Eindrucks in dem Nachbilde; ein Auge aber, welches häufig räumliche
Entfernungen messend vergleicht, gewinnt ein immer schärferes Augenmaß.
Das Nachbild ist eine zurückbleibende Spur, das Augenmaß eine
funktionelle Disposition. Die Netzhaut und die Muskeln des geübten
Auges können möglicherweise gerade so beschaffen sein wie die
des ungeübten und doch hat das eine die Disposition in stärkerem
Maße als das andere. Man kann nun freilich auch hier sagen: die physiologische
Übung der Organe beruht weniger auf ihren eigenen Veränderungen
als auf den Spuren, welche in ihren Nervenzentren zurückgeblieben
sind. Alles aber, was wir in der physiologischen Untersuchung des Nervensystems
über die Vorgänge der Übung, Anpassung an gegebene Bedingungen
u. dergl. erfahren haben, weist darauf hinm, daß auch hier die Spuren
wesentlich in funktionellen Dispositionen bestehen. Auf einer Leitungsbahn,
welche oft in Anspruch genommen wurde, geht die Leitung immer leichter
vonstatten. Nun ist allerdings eine solche funktionelle Disposition nicht
ohne bleibende Veränderungen denkbar, die als Nachwirkungen der Übung
geblieben sind. Die bleibenden Nachwirkungen dieser Art sind aber etwas
von der Funktion, zu deren Erleichterung sie beitragen, total verschiedenes.
Die Muskeln schleifen und biegen bei der Bewegung der Glieder die Knochen
allmälig gemäß der Wirkung, die sie ausüben, und erleichtern
dadurch bestimmte Bewegungen. Aber die Form des Skeletts und der Muskeln,
die so allmälig durch Übung herbeigeführt wird, ist von
den Bewegungen, zu denen sie die funktionelle Disposition bildet, total
verschieden. Gerade so werden zweifellos auch in den Nerven und in den
Zentralorganen bei der Einübung bestimmter Bewegungen und Sinnestätigkeiten
bleibende Veränderungen vor sich gehen, die jedoch mit der Funktion,
die dadurch prädisponiert wird, nicht im mindesten direkt vergleichbar
sind.
Die Übertragung dieser Gesichtspunkte auf die
Reproduktion der Vorstellungen liegt um so näher, als es sich bei
dieser augenscheinlich um etwas handelt, was mit der physiologischen Übung
ganz und gar übereinstimmt. Die assoziative Gewöhnung können
wir ebenso gut eine Übung in der Assoziation bestimmter Vorstellungen
nennen, und das Prinzip der Verwandtschaft läßt sich ohne weiteres
der Regel unterordnen, daß jeder Vorgang durch Übung die funktionelle
Disposition für einen ähnlichen Vorgang befördern
muß. Gibt man also zu, daß keine Vorstellung ohne begleitende
zentrale Sinneserregungen stattfindet, so wird man auch voraussetzen müssen,
daß die Einflüsse der physiologischen Übung, die schon
bei den Vorgängen der Leitung, der Reflexerregung u. s. w. eine wichtige
Rolle spielen, auch hier in Betracht kommen. Jede Erregung einer zentralen
Sinnesfläche muß, gemäß den früher erörterten
Eigenschaften der Nervensubstanz, eine Disposition zur Erneuerung dieser
Erregung zurücklassen. Die Regel der Verwandtschaft bestätigt
und erweitert dies in dem Erfahrungssatz, daß eine zentrale Sinneserregung
ähnlicher Art geeignet ist, vermöge einer zurückgebliebenen
Disposition eine frühere Erregung zu wiederholen; die Regel der assoziativen
Gewöhnung fügt die weitere Erfahrung hinzu, daß zentrale
Sinneserregungen, welche oft mit einander verbunden gewesen sind, sich
in dieser Beziehung ganz so wie verwandte Erregungen verhalten.
Diese Annahmen müssen gemacht werden, sobald
man nur von der Voraussetzung ausgeht, daß Reproduktion und Assoziation
mit physiologischen Vorgängen verbunden sind61).
Ist aber einmal diese Voraussetzung gegeben, so sind damit auch alle Erscheinungen
in der Verbindung unserer Vorstellungen, welche bloß auf die Gesetze
der Verwandtschaft und der assoziativen Gewöhnung zurückführen,
vollständig erklärt, und es ist nicht im geringsten erforderlich,
außerdem noch besondere psychologische Prozesse anzunehmen, abgesehen
von der allgemeinen Tatsache, daß gewisse Reizungsvorgänge in
der zentralen Nervensubstanz in unserer Selbstauffassung als Empfindungen
existieren.
6l) Vgl. Kap. XV.
Wem diese Ableitung der Assoziationsgesetze aus Gehirnprozessen
etwa deshalb wiederstreben sollte, weil sie ihm die Würde des menschlichen
Geistes zu beeinträchtigen scheint, der vergegenwärtige sich
nur die Fälle, wo die Regeln der Vorstellungsassoziation möglichst
rein zum Ausdruck gelangen. In Wahrheit sind sie nirgends anzutreffen,
weil die willkürliche Spannung der Aufmerksamkeit den Wechsel unserer
Erinnerungsbilder ebenso sehr beherrscht, wie den Verlauf der äußeren
Wahrnehmungen. Annäherungen findet man aber immerhin in den Traumbildern
und in der Ideenflucht des Irren. Hier beobachtet man auf das schönste
die Herrschaft der Assoziationsgesetze. Und doch ringen dieselben in jenen
Zuständen immer noch mindestens mit den Nachwirkungen einer Zeit,
in welcher sie nicht geherrscht haben, sondern unterworfen gewesen sind
der Herrschaft der Apperzeption. Sollte man nun wirklich glauben, daß
es für die Würde des menschlichen Geistes besonders förderlich
sei, in den wilden Phantasmen des Traumes und des Wahnsinns dessen eigenste
innere Tätigkeit zu verehren? Und sollte es nicht vielmehr eine auch
ethisch angemessenere Vorstellung sein, daß das Spiel der Assoziationsgesetze
zwar für die Ausbildung unseres Geistes eine nicht minder wichtige
Grundlage bildet, als die Sinnesempfindungen, daß es aber ebenso
wenig wie diese den Wechsel unserer Vorstellungen wirklich beherrscht?
In der Tat sind nun die Assoziationsgesetze durchaus
nur Regeln, welche einen Wechsel der Vorstellungen in bestimmter Richtung
begünstigen, keineswegs aber denselben notwendig herbeiführen,
ähnlich wie jeder äußere Sinneseindruck ein Reiz zur Apperzeption
ist, ohne daß dieselbe immer eintreten muß. Auch die Assoziationsgesetze
sind ganz und gar der Herrschaft der Aufmerksamkeit unterworfen, welche
zwar in der Regel die geläufigere Assoziation vorzieht, gerade so
wie sie sich mit Vorliebe dem stärkeren Sinneseindruck zuwendet, dabei
aber doch spontan ihre Wahl trifft zwischen den bereit liegenden Assoziationen
ebenso wie zwischen den dargebotenen Sinnesreizen. Da die Assoziation selbst
nur auf einer Wechselwirkung physiologischer Reizungen beruht, so sind
in Wirklichkeit beide Fälle gar nicht von einander verschieden. Irgend
eine vorhandene zentrale Sinnesreizung ruft andere hervor, die ihr verwandt
sind, oder mit denen sie oft verbunden gewesen ist. Aber die Vorstellungen,
die so in das allgemeine Blickfeld des Bewußtseins treten, sind zunächst
außerordentlich schwach, bis die Spannung der Aufmerksamkeit hinzukommt,
die auf eine oder einige wenige sich konzentriert und dieselben in den
Blickpunkt hebt. Diese Wirkung müssen wir uns ganz ebenso, wie bei
der Apperzeption der äußeren Sinneseindrücke denken. Sie
besteht in einer willkürlichen Innervation, welche in ihren stärkeren
Graden auch hier deutlich als Spannungsgefühl sich verrät. Sie
wirkt zurück auf die Sinneszentren und verstärkt so unter allen
den leise anklingenden Erregungen eine bestimmte, die sich nun als deutliches
Erinnerungsbild in den Mittelpunkt des Bewußtseins stellt. Wir empfinden
diese Spannung der Aufmerksamkeit immer dann als eine willkürliche
Tätigkeit, wenn dieselbe zu bedeutenderer Stärke anwachsen muß,
um eine bestimmte Vorstellung in den Vordergrund zu ziehen. In dem Maß
erscheint uns daher der Verlauf unserer Vorstellungen mehr dem Willen unterworfen,
als die Assoziationen undeutlicher werden. Wo diese offen vor Augen liegen,
da kann es im Gegenteil scheinen, als wenn die Vorstellungen von selbst
abliefen, ohne irgend eine Tätigkeit von unserer Seite. In Wahrheit
handelt es sich aber dabei immer nur um Gradunterschiede in der Adaptation
der Aufmerksamkeit. In irgend einem Grade muß diese, mindestens bei
jedem geordneten Gedankenlauf, vorhanden sein, um demselben seine Richtung
anzuweisen, und zu verhindern, daß er nicht fortwährend auf
Nebenwege abschweife. Solches Abschweifen zeigt eben der Traum und die
Ideenflucht des Irren, Zustände, in denen häufig, wie es scheint,
die Spannung der Aufmerksamkeit fast völlig verschwindet. Neben dem
Abschweifen auf bereit liegende Assoziationen zeigt sich dabei aber immer
auch das Gesetz wirksam, daß eine öfter wiederholte Erregung
mehr und mehr die Erregbarkeit in der nämlichen Richtung anwachsen
läßt. So kommt es, daß die Ideenflucht und die Einschränkung
auf fixe Ideen, beides unmittelbare Folgen der Assoziationsgesetze, in
dem Gedankenverlauf des Irrsinnigen enge verbunden sind.
Der beherrschende Einfluß der Aufmerksamkeit
auf den Wechsel der Vorstellungen weist dem letzteren vor allem seine Geschwindigkeit
an. Durch ihn wird jede Vorstellung so lange in dem innern Blickpunkt festgehalten,
als zu ihrer vollständigen Apperzeption erforderlich ist. Wo die Spannung
der Aufmerksamkeit nachläßt und die Assoziationsgesetze zügellos
ihr Spiel treiben, da schweifen deshalb die Phantasiebilder nicht bloß
nach allen möglichen Richtungen ab, sondern sie halten auch niemals
Stand, sie drängen und überstürzen sich, daher gerade der
Ausdruck Ideenflucht für diese Zustände so charakteristisch
ist. Das Spannungsgefühl der Aufmerksamkeit verhält sich aber
je nach der Geschwindigkeit, mit welcher die Apperzeption wechselt, wesentlich
verschieden. War eine Vorstellung lange Zeit in den innern Blickpunkt gehoben,
so bewirkt die hierbei aufgewandte Tätigkeit eine Ermüdung, welche
das Hervortreten einer kontrastierenden Vorstellung begünstigt,
weil bei dieser eine möglichst verschiedenartige Adaptation einzutreten
hat. Schon die ältere Psychologie hat daher dem Assoziationsgesetz
der Ähnlichkeit das scheinbar damit geradezu im Widerspruch stehende
Gesetz des Kontrastes beigefügt. Später hat man das letztere
negiert oder auf assoziative Gewöhnung zurückgeführt62).
Die Wahrheit ist, daß die Regel der Verwandtschaft allerdings vorherrscht,
und daß insbesondere bei einem schnellen Wechsel der Vorstellungen
sich selten der Kontrast geltend macht. Er kann aber entstehen, indem die
Spannung der Aufmerksamkeit für eine einzelne Vorstellung oder für
eine bestimmte Form und Richtung der Vorstellungen nachläßt,
um einem entgegengesetzten Spannungszustande Platz zu machen. Auf diese
Weise können selbst in der Ideenflucht die auf einander folgenden
Vorstellungsreihen kontrastieren. Ein solcher Kontrast ist immer von einem
deutlichen Wechsel im Spannungsgefühl der Aufmerksamkeit begleitet.
Indem die bisherige Anpassung aufhört und einer andern weicht, fühlen
wir uns innerlich erleichtert, und so ist jeder Übergang von einer
Vorstellungsreihe zur andern mit einer Art Lustgefühl verbunden, welches
von dem Inhalt der Vorstellungen zunächst nicht abhängt63).
Andere Wirkungen hat der Ablauf der Vorstellungen, wenn derselbe, wie in
der Ideenflucht, so beschleunigt ist, daß sich eine zureichende Adaptation
der Aufmerksamkeit gar nicht vollenden kann. Indem bei jeder neuen Vorstellung,
welche durch Assoziation hervortritt, eine neue Anspannung der Aufmerksamkeit
erfordert wird, die, noch nicht zureichend vollendet, von einer andern
abgelöst wird, tritt eine außerordentlich rasche Erschöpfung
ein, welche notwendig auf die ganze Fähigkeit der Apperzeption verderblich
zurückwirken und die freie Herrschaft der bloßen Assoziationsgesetze
immer mehr unterstützen muß. Schon die Reden eines Irrsinnigen,
der mit Ideenflucht behaftet ist, reproduzieren in dem Zuhörer das
Bild dieses Zustandes, indem sich ihm das unüberwindliche Gefühl
aufdrängt, er müsse bei fortgesetztem Zuhören notwendig
selber verrückt werden64).
62) So im wesentlichen die HEBBART'sche Schule, welche nur die Assoziation ähnlicher Vorstellungen als unmittelbare Reproduktion gelten läßt, alle andern Verbindungen aber auf eine mittelbare Reproduktion zurückführt, welche durch Verschmelzung der einander nicht störenden Reste der Vorstellungen geschehen soll.
63) Auch A. Horwicz hat in seiner Schrift: psychologische Analysen auf physiologischer Grundlage S. 322, mit Recht, wie ich glaube, auf eine Beziehung des Kontrastgesetzes der Assoziation zum Gefühl hingewiesen.
64) Diejenigen Leser, welche nicht Gelegenheit haben, solche Beobachtungen anzustellen, mache ich darauf aufmerksam, daß sich in dem Bücherkatalog fast eines jeden Jahres einige Werke befinden, die von wirklich Verrückten geschrieben und meist schon an ihren Titeln zu erkennen sind. Für das Studium der Assoziationsgesetze sind dieselben sehr zu empfehlen.
So erweist sich uns denn überall die spontane
Wirkung der Aufmerksamkeit, deren physiologische Grundlage die willkürliche
Innervation ist, als der wesentlichste Motor unserer Vorstellungen den
äußeren Sinneseindrücken sowohl wie dem Spiel der Assoziation
gegenüber, die für unsere Apperzeption, gleich dem direkten Sinnesreiz,
nur ein äußeres Motiv ist, ihre Tätigkeit zu entfalten.
Darin grade liegt die vorherrschende Bedeutung der Zentralorgane, daß
in ihnen vermöge ihrer Strukturanlage eine Disposition zurückbleibt,
frühere Sinneserregungen zu erneuern, und zwar in den Verbindungen,
in die sie durch Verwandtschaft und Gewöhnung gesetzt sind. Nicht
sowohl die Fähigkeit der Empfindung, als die Eigenschaft, Empfindungen
in den Verbänden, in die sie einmal gebracht sind, wieder erneuern
zu können, ist aber die physiologische Grundlage des Bewußtseins.
Die Anlage zur Aufmerksamkeit selbst ist durch die
Eigenschaft der spontanen Innervation und ihre Rückwirkung auf die
sinnliche Empfindung gegeben. Aus dieser Anlage entwickelt sich deutlich
ihre Funktion. Im Bewußtsein des Kindes und des Naturmenschen spielt
die unbeherrschte Assoziation noch eine wichtige Rolle. Die geistige Erziehung
des Menschen besteht hauptsächlich in jener Lenkung der Aufmerksamkeit,
durch welche diese über Sinneseindrücke und Assoziationen die
nötige Macht gewinnt. Nicht durch Gewalt oder Vorschriften läßt
sich das erreichen, sondern dem Erzieher muß es glücken, die
Apperzeption so zu lenken, daß sie von selbst das Richtige bevorzugt.
Die wirksamste Hilfe gewährt es ihm dabei, wenn er mit der Spannung
der Aufmerksamkeit angemessen zu wechseln versteht, damit jenes Lustgefühl
entstehen könne, welches den ungezwungenen Abfluß der apperzipierten
Vorstellungen begleitet.
Indem wir so die Apperzeption als eine Funktion
des Willens auffassen, bleibt unsere Untersuchung des Verlaufs der Vorstellungen
schließlich bei der Frage nach der Entwicklung des Willens
stehen. Nun dokumentiert sich aber der Wille, außer in den Erscheinungen
der Aufmerksamkeit, auch noch in den willkürlichen Bewegungen. Erst
nachdem wir diese betrachtet haben, wird es daher an der Zeit sein auf
jene Frage zurückzukommen65).
65) Kap. XXI.
Daß die vier Assoziationsgesetze der älteren Psychologie, die Verbindung durch Ähnlichkeit, Kontrast, Koexistenz und Sukzession, nur eine dürftige Subsumtion der innern Erscheinungen unter einige allgemeine Regeln darstellen, ist gegenwärtig allgemein anerkannt. Weniger einig ist man darüber, was an deren Stelle zu setzen sei. Das Bestreben, eine wissenschaftlich strenge Entwicklung des Verlaufs und der Verbindung der Vorstellungen zu gewinnen, bildet den Mittelpunkt von HERBART's psychologischen Untersuchungen. Die metaphysischen Voraussetzungen, auf welche dieselben gegründet sind, können wir hier nur berühren66). Die Vorstellung ist nach herbart Selbsterhaltung der Seele gegen die störende Einwirkung anderer einfacher Wesen. Die einmal entstandene Vorstellung soll nun, als Tätigkeit des Vorstellens, unvermindert beharren, aber der Effekt dieser Tätigkeit, das vorgestellte Bild, soll geschwächt oder auch ganz aufgehoben werden, indem sich die wirkliche Vorstellung in ein Streben vorzustellen verwandelt. Solches geschieht dann, wenn entgegengesetzte Vorstellungen gleichzeitig vorgestellt werden sollen. Das Bewußtsein ist die Summe des gleichzeitigen wirklichen Vorstellens. Die Vorstellungen entschwinden aus dem Bewußtsein, indem entgegengesetzte Vorstellungen eine Hemmung auf einander ausüben, und sie treten wieder in das Bewußtsein, wenn die Hemmung aufhört. Bis hierhin lassen sich diese Sätze als zwar bestreitbare, aber immerhin mögliche Hypothesen ansehen, mit deren Hilfe der Versuch gemacht werden könnte, das Schauspiel des Verlaufs der Vorstellungen zu erklären. HERBART fügt ihnen dann noch die weitere Annahme hinzu, daß disparate Vorstellungen sich nicht hemmen sondern eine Komplikation einfacher Vorstellungen bilden, und daß von den Vorstellungen desselben Sinnes die gleichartigen Bestandteile sich nicht hemmen, sondern mit einander verschmelzen. Von diesen Annahmen aus ergibt sich nun die naheliegende Voraussetzung, bei gleichen Gegensätzen verschiedener Vorstellungen seien die Hemmungen, die sie erfahren, ihren Intensitäten umgekehrt proportional, und bei gleichen Intensitäten sei die Hemmung jeder einzelnen Vorstellung der Summe der Gegensätze, in denen sie sich zu den andern Vorstellungen befindet, direkt proportional. Sind also, was der gewöhnliche Fall sein wird, sowohl die Intensitäten wie die Gegensätze ungleich, so wird die Abhängigkeit eine zusammengesetzte sein. Drei Vorstellungen von der Stärke a, b, c werden also z. B. in den Verhältnissen gehemmt werden, wenn der Gegensatz von a und b = m, von a und c = p, von b und c = n ist. Durch diese Feststellung des Hemmungsverhältnisses ist aber noch kein Aufschluß über das Verhalten der Vorstellungen im Bewußtsein gewonnen; zu diesem Zweck müßte man offenbar nicht bloß das Hemmungsverhältnis, sondern die absolute Intensität des Vorstellens kennen, welche nach geschehener Hemmung übrig bleibt. Wir kennen diese absolute Intensität nicht. So hilft sich denn HERBART mit einer Hypothese. Er nimmt nämlich an, die absolute Summe der Hemmungen sei möglichst klein, was dann stattfinde, wenn nicht alle Vorstellungen gegen alle, sondern alle gegen eine, und zwar gegen diejenige, der die kleinste Summe von Gegensätzen gegenüberstehe, sich richten. Diese Annahme ist nun nicht nur willkürlich, sondern auch so unwahrscheinlich wie möglich. Wenn zu zwei Vorstellungen a und b, die in starkem Gegensatze stehen, eine dritte c von minderem Gegensatze hinzutritt, so sollen plötzlich a und b einander loslassen, um sich beide auf die ihnen verwandtere c zu werfen, ähnlich wie zwei erbitterte Gegner über irgend einen unschuldigen Dritten herfallen, der sich beikommen läßt, zwischen ihnen vermitteln zu wollen. Der einzige Grund für diese Behauptung ist der in verschiedenen Wendungen wiederkehrende ideologische Gedanke: da alle Vorstellungen der Hemmung entgegenstrebten, so würden sie sich zweckmäßiger Weise wohl mit der kleinsten Hemmungssumme begnügen, worauf die Frage nahe liegt, warum sie denn nicht lieber diese unzweckmäßige Tätigkeit ganz einstellen. Gehört es aber zum Wesen der entgegengesetzten Vorstellungen sich zu hemmen, so kann die Hemmungssumme zwischen a und b durch den Hinzutritt einer dritten Vorstellung c nur insoweit alteriert werden, als diese dritte Vorstellung selbst wieder a und b hemmt und von ihnen gehemmt wird, ähnlich wie die Attraktionskraft zweier Körper durch einen dritten in ihrer Wirkung kompliziert, aber nimmermehr aufgehoben wird. Die übrigen Voraussetzungen HERBART's, wie sein dynamisches Gesetz, daß die Hemmungen, welche die Vorstellungen in jedem Augenblick erleiden, der Summe des noch zu Hemmenden proportional seien, und die Annahme, daß die Vorstellungen durch die Reste, durch welche sie mit einander verschmolzen sind, eine gegenseitige Hilfe empfangen, welche dem Produkt der Verschmelzungsreste direkt, der Intensität jeder einzelnen Vorstellung aber umgekehrt proportional sei, diese Annahmen könnten an und für sich als mehr oder weniger plausible Hypothesen gelten, wenn nicht, sobald jenes Axiom von der kleinsten Hemmungssumme hinfällig wird, dem ganzen Gebäude der Boden entzogen wäre.
66) Herbart, Psychologie als Wissenschaft. §. 36, §. 41 f. (Werke Bd. 8.) Man vgl. dazu dessen Lehrbuch der Psychologie Kap. II u. f. (ebend.) und Hauptpunkte der Metaphysik §. 13 (Bd. 3, S. 41).
Es könnte jedoch immerhin, auch wenn man den Versuch einer mathematischen Deduktion preisgibt, dem Hauptgedanken derselben eine gewisse Wahrheit zukommen, daß nämlich alle Tatsachen der innern Beobachtung auf einer Wechselwirkung der Vorstellungen beruhen, welche lediglich durch den Gegensatz oder die Verwandtschaft derselben bedingt ist. Nun tragen aber die Erklärungen, welche HERBART von den Grundtatsachen des Bewußtseins gibt, durchweg den Charakter zufällig entdeckter Ähnlichkeiten, die er an den ihm begegnenden mathematischen Resultaten mit den innern Erfahrungen herausfindet. Die Spannungen, welche die Vorstellungen bei ihrer Wechselwirkung im Bewußtsein erfahren, nennt er Gefühle, weil wir bei manchen Gefühlen uns beklemmt oder erleichtert finden; das Aufstreben einer Vorstellung wird ihm zum Begehren, weil auch wir in diesem Seelenzustande irgend etwas erstreben; endlich in der Verschmelzung einer Vorstellungsmasse mit einer andern oder, wie in diesem Fall, um auf das gewünschte Resultat vorzubereiten, gesagt wird, in der Aneignung der einen Masse durch die andere, soll das Wesen der Apperzeption bestehen, weil bei dieser bekanntlich wir die Vorstellungen uns aneignen. So löst denn bei HERBART alles innere Geschehen in Verhältnisse der Vorstellungen zu einander sich auf. Was wir sonst selbst zu tun und zu leiden glauben, das tun und leiden bei ihm die Vorstellungen. Der Grundirrtum dieser Psychologie liegt in ihrem Begriff der Apperzeption. Hat man einmal zugegeben, daß aus der Verschmelzung von Vorstellungsmassen ein Selbstbewußtsein entstehen kann, so läßt sich auch nicht mehr erhebliches dagegen einwenden, daß wir die Spannung und das Aufstreben der Vorstellungen als Fühlen und Begehren empfinden. Die entscheidende Wichtigkeit, welche der spontanen Tätigkeit des Vorstellenden bei der Apperzeption zukommt, ist hier ganz und gar übersehen. So wird denn alles was ihre Wirkung ist bei HERBART in jene Wechselwirkungen der Vorstellungen verlegt, welche doch in Wahrheit nur dieselbe Bedeutung haben wie die äußern Sinneseindrücke, indem sie eine physiologische Grundlage des geistigen Geschehens, nicht aber dieses selbst sind. Wenn man die Anschaulichkeit gerühmt hat, mit der herbart das Steigen und Sinken der Vorstellungen in uns schildert, so besteht diese bloß darin, daß er eben überhaupt eine Bewegung schildert. Ob aber die letztere mit dem wirklichen Steigen und Sinken unserer Vorstellungen übereinstimme, dafür fehlt es überall an einem Beweise. Im Gegenteil, wo es je einmal gelingt an diese Fiktionen den Maßstab exakter Beobachtung anzulegen, da widerstreiten sie derselben. So kennt jene Theorie nur eine Hemmung zwischen gleichartigen Vorstellungen. Die Untersuchung zeigt aber zweifellos, daß auch disparate Vorstellungen sich hemmen können. Dieses Faktum weist eben darauf hin, daß die so genannte Hemmung der Vorstellungen nicht in den Vorstellungen selbst sondern in der Tätigkeit der Apperzeption ihren Grund hat. Treffend sagt HERBART selbst von seiner Psychologie, sie konstruiere den Geist aus Vorstellungsreihen, ähnlich wie die Physiologie den Leib aus Fibern67). In der Tat, so wenig es jemals gelingen wird, aus der Reizbarkeit der Nervenfasern die physiologischen Funktionen zu erklären, so fruchtlos ist das Unternehmen aus dem Drücken und Stoßen der Vorstellungen die innere Erfahrung abzuleiten. Die Nerven- und Muskelfasern und Drüsenzellen bedürfen des Zusammenhalts durch zentrale Gebilde, von denen aus sie regiert werden. Die Vorstellungen aber stehen unter der Herrschaft der Apperzeption.
67) HERBART's Werke Bd. 5, S. 192.
Ein weiterer bemerkenswerter Versuch, die Reproduktion und Assoziation zum Ausgangspunkt einer zusammenhängenden psychologischen Theorie zu machen, rührt von BENEKE her, einem Philosophen, den die unmittelbaren Resultate der Selbstbeobachtung in der ganzen Richtung seines Denkens bestimmt haben68). Alles Vorstellen setzt sich ihm aus der Äußerung ursprünglicher Seelenkräfte, so genannter Urvermögen, und aus der Einwirkung von Reizen zusammen. Das Urvermögen ist ein Streben, welches durch die Begegnung mit dem Reize zur wirklichen Vorstellung wird. Jede einzelne Vorstellung geht, wie sie einen neuen Reiz voraussetzt, so auch aus einem neuen Urvermögen hervor. Die Vorstellungen verschwinden nur scheinbar aus dem Bewußtsein. Sie dauern in ihrer Zusammensetzung aus Vermögen und Reiz fort. Aber einzelne Elemente des Reizes sind an das Vermögen weniger fest gebunden und werden darum leicht an andere, fremde Elemente abgegeben. So entstehen die unbewußten Vorstellungen oder Spuren. Jede Spur strebt nach ihrer Wiederausfüllung, also zum Wiederbewußtwerden. Auch von dem Abfließen der beweglichen Elemente des Reizes bleiben aber Spuren zurück: so entsteht ein Streben nach Reproduktion gewisser Gruppen von Vorstellungen, die Assoziation. Jene abfließenden Reizelemente verbinden sich endlich immer mit verwandten Gebilden: die Assoziation findet daher statt zwischen verwandten Vorstellungen. Zur Reproduktion ist erforderlich, daß die Reizelemente, welche die Vorstellungen beim Unbewußtwerden verloren haben, ihnen wieder zufließen. Solches kann aber geschehen, indem entweder bewegliche Reizelemente ähnlicher Art übertragen werden, wie bei der Reproduktion durch assoziierte Vorstellungen, oder indem neue Urvermögen gebildet werden, welche von den immer in der Seele vorhandenen beweglichen Reizelementen an sich heranziehen: so bei der spontanen Reproduktion. Gefühle entstehen endlich nach beneke's Annahme durch das Verhältnis der Urvermögen zur Stärke der sie ausfüllenden Reize, sowie durch die Art des Abflusses der Reizelemente vom einen Gebilde auf das andere.
68) Beneke, psychologische Skizzen. Bd. 2. Göttingen 1827. Lehrbuch der Psychologie. Kap. l.
Beneke's Theorie geht von der Erfahrung aus, daß bei der ersten Bildung unserer Vorstellungen äußere Reize und gewisse denselben gegenüberstehende subjektive Eigenschaften, so genannte "Urvermögen", wirksam sind. Dieser Gedanke wird nun festgehalten. Der Vorstellung bleibt ihre Zusammensetzung aus Reiz und subjektiver Reizempfänglichkeit. So wird dieselbe ganz willkürlich in zwei Bestandteile geschieden, die lediglich der ersten Gelegenheitsursache ihrer Entstehung entnommen sind, und von denen an ihr selbst gar nichts zu bemerken ist. Wenn beneke die innere Erfahrung als die allein zuverlässige preist, nach welcher vielmehr die äußere Erfahrung beurteilt werden müsse, statt umgekehrt, so fehlt er hier selbst gegen diese Regel, denn der Begriff des Reizes ist ja lediglich der äußern Erfahrung entnommen. Die Trennung der physischen und der psychischen Bedingungen bei der Bildung der Sinneswahrnehmung ist in die innere Wechselwirkung der Vorstellungen herübergeholt, indem auch der Reiz zu einem psychischen Gebilde gestempelt wird. Der so umgestaltete Reizbegriff wird dann in einer durchaus der Klarheit ermangelnden Weise aus Elementen zusammengesetzt gedacht, und die Hypothese eingeführt, daß gleichartige Elemente sich anziehen, eine Hypothese, welche die Assoziation der Vorstellungen erklären soll, der sie augenscheinlich entnommen ist. Aber nicht bloß die Reizelemente ziehen einander an, sondern diese werden auch von den Urvermögen angezogen, eine Eigenschaft, welche ebensowohl bei der Bildung neuer Wahrnehmungen wie bei der spontanen Reproduktion zum Vorschein kommt. Endlich wird, nachdem anfangs die Spur als das nicht mehr vollständig von Reizen ausgefüllte Urvermögen definiert worden, auch dem Prozeß des Abfließens der Reizelemente die Eigenschaft zugesprochen eine Spur zurückzulassen. So wird keiner der Begriffe in seiner ursprünglich aufgestellten Bedeutung festgehalten. Aber auch von den Ursachen der Bewegung der Vorstellungen wird keine Rechenschaft gegeben. Warum hält das Urvermögen seine Reizelemente nicht fest? Oder warum, wenn dies durch das Nachwachsen neuer Urvermögen gehindert wird, fließen nicht gelegentlich alle Reizelemente ab? Hier fehlt überall die mathematische Bestimmtheit, welche HERBART's Darstellung auszeichnet, und welche bei ihm den willkürlichen Hypothesen wenigstens zu einer konsequenten Durchführung verhilft. Die Ansicht BENEKE's von dem Bewußtsein ist ebenso ungenügend wie die HERBART's. Die bewußte Vorstellung ist ihm von der unbewußten nur dem Grade nach verschieden, alle einmal erzeugten Vorstellungen bleiben wirklich vorhanden und verändern sich nur in ihrer Stärke. Ein besonderer Vorgang der Apperzeption existiert für diese Auffassung überhaupt nicht.