Neunzehntes Kapitel.

Verlauf und Assoziation der Vorstellungen.

Unter den Vorstellungen, die sich in unserm Bewußtsein befinden, sind in jedem Augenblick nur diejenigen unmittelbar der innern Beobachtung zugänglich, die im Blickpunkt der Aufmerksamkeit liegen. Das ganze Schauspiel des Verlaufs und der Verbindung der Vorstellungen ist daher ganz und gar auf jene Zentralstelle des Bewußtseins beschränkt, die unter dem Einfluß der innern Beobachtung steht, indem sie sich in Folge derselben deutlich verengert. Auf das Gehen und Kommen der im ganzen Umfang des Bewußtseins liegenden Vorstellungen können wir aber nur aus ihren Rückwirkungen auf den inneren Blickpunkt zurückschließen.
    Die Bewegung der Aufmerksamkeit von einer Vorstellung zur andern wird teils durch die inneren Eigenschaften des Bewußtseins, wie sie sich in der Assoziation und Reproduktion der Vorstellungen zu erkennen geben, teils durch den äußeren Wechsel der Sinneseindrücke bedingt. Es eröffnen sich daher zwei Wege der Beobachtung. Der eine besteht in der Auffassung des Verlaufs der spontan an unserm inneren Auge vorüberziehenden Erinnerungs- und Phantasiebilder, der andere in der Untersuchung des von den äußeren Sinneseindrücken abhängigen Wechsels der Vorstellungen. Von diesen beiden Wegen hat die Psychologie bisher den ersten allein berücksichtigt, indem sie stillschweigend voraussetzte, der Verlauf der Sinneswahrnehmungen wiederhole unmittelbar und im wesentlichen unverändert den zeitlichen Verlauf der äußeren Eindrücke. Dem ist jedoch nicht so; vielmehr wird die Art, wie das äußere Geschehen in unseren Vorstellungen sich abbildet, durch die Eigenschaften des Bewußtseins und der Aufmerksamkeit mitbedingt. Nun kann aber das Verhältnis des Wechsels der Vorstellungen zu dem der verursachenden Reize überhaupt nur bei den aus äußerer Reizung stammenden Wahrnehmungen festgestellt werden, während es uns hierzu bei den Erinnerungsbildern, die aus der psychischen Reizung der Reproduktion hervorgehen, fast an jedem Anhaltspunkte gebricht. Anderseits bieten wieder allein diese letzteren Gelegenheit, die von dem Inhalt der Vorstellungen ausgehenden Ursachen der Verbindung und des zeitlichen Wechsels derselben zu ermitteln. Demnach ergibt sich uns als erste Aufgabe die Untersuchung der allgemeinen Gesetze des Verlaufs der Vorstellungen, gegründet auf die experimentelle Erforschung des Verhältnisses ihrer zeitlichen Entstehung und Aufeinanderfolge zu den verursachenden äußeren Reizen; daran schließt sich als zweite Aufgabe die Untersuchung der Verbindungsgesetze der Vorstellungen, gestützt auf die innere Beobachtung ihres von äußeren Einwirkungen möglichst frei gehaltenen Verlaufes.
    Der einfachste und zugleich günstigste Fall für die Erfassung einer äußeren Sinnesvorstellung durch die Aufmerksamkeit ist offenbar dann gegeben, wenn die letztere auf den Eindruck, der zur Vorstellung erhoben werden soll, gespannt ist, ohne durch vorher, gleichzeitig oder kurz nachher einwirkende Reize irgendwie abgezogen zu werden. Hierbei kann man sicher sein, daß der Eindruck, sofern er nur die Reizschwelle überschreitet, dem Blickpunkt des Bewußtseins nicht entgeht, und daß zugleich eine möglichst kurze Zeit zwischen seiner Wirkung auf das Bewußtsein und seiner Erfassung durch die Aufmerksamkeit verfließt. Diese zwischen der Perzeption und der Apperzeption gelegene Zeit wollen wir als die Apperzeptionsdauer bezeichnen1). Wir besitzen kein Hilfsmittel, um dieselbe direkt zu bestimmen, sondern wir vermögen auf ihre Größe und auf ihre Veränderungen unter bestimmten Bedingungen immer nur aus gewissen zusammengesetzten Zeiten zurückzuschließen, in welche sie als Bestandteil eingeht. Die zunächst sich darbietende Methode zu ihrer Messung besteht nämlich darin, daß man an einer zeitmessenden Vorrichtung den Moment, in welchem der Sinneseindruck stattfindet, durch den äußeren Vorgang selbst genau angeben läßt, und sodann den Moment, in welchem man den Eindruck apperzipiert, an derselben Vorrichtung registriert2). Der ganze Vorgang, dessen Dauer auf diese Weise gemessen wird, setzt sich nun aus folgenden einzelnen Vorgängen zusammen: 1) aus der Leitung vom Sinnesorgan bis in das Gehirn, 2) aus dem Eintritt in das Blickfeld des Bewußtseins oder der Perzeption, 3) aus dem Eintritt in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit oder der Apperzeption, 4) aus der Willenszeit, welche erfordert wird, um im Zentralorgane die registrierende Bewegung auszulösen, und 5) aus der Leitung der so entstandenen motorischen Erregung bis zu den Muskeln und dem Anwachsen der Energie in denselben. Der erste und der letzte dieser Vorgänge sind rein physiologischer Art. Bei jedem derselben verfließt eine verhältnismäßig kurze Zeit, welche der Eindruck braucht, um in den peripherischen Nerven geleitet zu werden, und eine wahrscheinlich etwas längere, welche die Leitung im Zentralorgan beansprucht3). So bleiben nur noch die drei mittleren Vorgänge, die Perzeption, die Apperzeption und die Entwicklung des Willensimpulses, als eigentlich psychologische übrig. Unter ihnen ist nun die Perzeption höchst wahrscheinlich mit der Erregung der zentralen Sinnesflächen unmittelbar gegeben. Wir haben allen Grund anzunehmen, daß ein Eindruck, der auf die Zentralteile mit der zureichenden Stärke einwirkt, dadurch an und für sich schon in dem allgemeinen Blickfeld des Bewußtseins liege. Eine besondere Tätigkeit, die wir auch subjektiv wahrnehmen, ist allerdings erforderlich, um nun einem solchen Eindruck die Aufmerksamkeit zuzuwenden; aber diesen Vorgang unterscheiden wir eben als Apperzeption von der einfachen Perzeption. Hiernach liegt die Dauer der Perzeption in dem zeitlichen Verlauf der sensorischen Leitungsvorgänge inbegriffen, und wir können unter ihr ebensowohl den letzten Akt der physiologischen Vorbedingungen wie den ersten Akt der psychologischen Vorgänge verstehen. Von einer besonderen Perzeptionsdauer läßt sich daher nur reden, insofern man die Zeit, welche die den zentralen Sinneszentren zugeführte Reizung braucht, um hier Erregung hervorzubringen, und die Zeit der Erhebung des Eindrucks in das Blickfeld des Bewußtseins als eine und dieselbe Zeitdauer auffaßt. Ähnlich verhält es sich mit demjenigen Vorgang, welchen wir oben als Willenszeit bezeichnet haben. Es wäre eine höchst unwahrscheinliche Annahme, dieselbe für einen besonderen psychologischen Akt zu halten, der abgelaufen sein müsse, wenn die motorische Erregung im Zentralorgane beginnen solle. Vielmehr ist was sich unserer Selbstbeobachtung als Anwachsen des Willensimpulses zu erkennen gibt offenbar gleichzeitig eine zentrale motorische Reizung. Auch die Willenszeit ist daher ein psychophysischer, d. h. ebensowohl ein psychischer wie ein physiologischer Zeitraum. So bleibt nur das Mittelglied der ganzen Reihe, die Apperzeption, übrig, der man wohl geneigt sein möchte eine rein psychologische Existenz beizumessen. Wäre aber dies der Fall, so würde sich während der Zeit, die zwischen der Perzeption und ihr verfließt, in den physiologischen Bedingungen nichts ändern. Auch diese Annahme schließt offenbar eine Unwahrscheinlichkeit in sich, da der Zustand der Aufmerksamkeit sehr deutliche physiologische Rückwirkungen äußert. Man hat nun meistens ausdrücklich oder stillschweigend angenommen, die Apperzeption hänge unmittelbar mit der Perzeption zusammen: sie sei entweder nur ein gesteigerter Perzeptionsvorgang, oder beide seien überhaupt eins und dasselbe, es werde nichts perzipiert was nicht zugleich irgendwie von der Aufmerksamkeit erfaßt oder apperzipiert werde. Aber der ersten dieser Meinungen widersprechen durchaus die Beobachtungen über das Wandern der Aufmerksamkeit. Würde diese nur durch die Stärke der Perzeption gelenkt, so müßte sie stets dem intensivsten Eindruck sich zuwenden. Nun prädisponiert zwar die Stärke des Reizes denselben zur Apperzeption, aber sie ist durchaus nicht der bestimmende Grund der letzteren, da wir erfahrungsgemäß die schwächeren den stärkeren Eindrücken vorziehen können. Der zweiten Meinung widerstreitet die früher hervorgehobene Tatsache, daß Vorstellungen in unserm Bewußtsein gegenwärtig sein können, ohne daß sich ihnen die Aufmerksamkeit zuwendet4). Eine andere Möglichkeit ist meistens ganz unberücksichtigt geblieben, diejenige nämlich, daß die Apperzeption mit der Willenserregung zusammenfalle. Wir wollen jedoch von dieser Verbindung, obgleich auf sie die Betrachtungen des vorigen Kapitels schon hinweisen, vorerst noch absehen und zunächst bei derjenigen Voraussetzung, die sich der Beobachtung zunächst darzubieten scheint, stehen bleiben, daß die Apperzeption ein besonderer, zwischen Perzeption und Willenserregung sich einschiebender Vorgang sei. Hiermit ist die Annahme noch keineswegs notwendig verbunden, daß derselbe keine physiologische Grundlage habe. Bei dem Akt der Apperzeption bemerken wir vielmehr stets jenes sinnliche Gefühl, welches überall die Spannung der Aufmerksamkeit begleitet5), und für welches wir notwendig eine physiologische Grundlage, nämlich irgend einen zentral entspringenden Innervationsvorgang, annehmen müssen. So bleiben denn im allgemeinen die oben unterschiedenen fünf Vorgänge, von denen die drei mittleren als psychophysische zu betrachten sind. Zwei derselben, die Apperzeption und die Willenserregung, lassen sich in vielen Fällen in Bezug auf ihren zeitlichen Verlauf nicht mit Sicherheit trennen. Wir werden sie dann als Reaktionszeit zusammenfassen, da ja beide Vorgänge in einer zentralen Reaktion auf die in das Bewußtsein eingetretenen Vorstellungen bestehen. Unter dieser Voraussetzung zieht sich daher der ganze Prozeß in vier Akte, in zwei rein physiologische und in zwei psychologische, zusammen. Wir besitzen zunächst kein Hilfsmittel, um die beiden letzteren getrennt von einander und getrennt von den physiologischen Leitungsvorgängen, die ihnen vorausgehen und nachfolgen, zu bestimmen. Dieser Umstand würde verhängnisvoll sein, wenn die psychologischen Zeiträume verhältnismäßig sehr klein wären. Aber wir haben allen Grund anzunehmen, daß das Gegenteil der Fall ist, daß jene Prozesse der zentralen Sinneserregung und der Willensreaktion auf dieselbe viel mehr Zeit beanspruchen als die Leitungsvorgänge. Den ganzen Zeitraum, welcher aus den angegebenen Einzelzeiten besteht, wollen wir, nach einem von den astronomischen Beobachtern eingeführten Ausdruck, die physiologische Zeit nennen. Wo die Beobachtung beträchtlichere Veränderungen dieser Zeit ergibt, da werden wir aus dem angegebenen Grunde solches vorzugsweise auf Rechnung der psychologischen Vorgänge, die in sie eingehen, schreiben können. Diese selbst lassen sich zwar auch nicht unmittelbar von einander trennen, aber es kann doch nach der Selbstbeobachtung und den Versuchsbedingungen zuweilen mit einiger Wahrscheinlichkeit vermutet werden, daß gewisse Schwankungen der physiologischen Zeit vorzugsweise auf Rechnung der Perzeptionsdauer, andere mehr auf die der Reaktionsdauer zu schreiben sind. Die Frage, wie die letztere aus ihren beiden Bestandteilen, der Apperzeption und der Willenserregung, zusammengesetzt sei, wird schließlich immer noch eine besondere Untersuchung erheischen. Dies vorausgeschickt, wollen wir nun die physiologische Zeit 1) unter den einfachsten Bedingungen, die für sie möglich sind, untersuchen, wenn nämlich der Beobachter auf einen Eindruck von bestimmter Qualität und Stärke gespannt, über die Zeit seines Eintritts aber ungewiß ist. Daran reihen sich 2) die Veränderungen der physiologischen Zeit unter der erleichternden Bedingung, daß der Eindruck auch in Bezug auf die Zeit seines Eintritts bekannt ist, sowie 3) die Veränderungen, die sich unter erschwerenden Bedingungen ergeben, sei es weil der Eindruck überhaupt oder mit Rücksicht auf seine Beschaffenheit unerwartet ist, sei es weil die Art der Willensreaktion auf denselben erst von seiner Qualität abhängig gemacht wird.

1) Vgl. oben.
2) Die Beschreibung solcher Registrierapparate sowie aller andern Vorrichtungen, die im folgenden noch erwähnt werden, folgt weiter unten. Siehe Fig. 153 und 154.

3) Man hat die Vermutung ausgesprochen, daß zu den peripherischen Leitungsvorgängen vielleicht auch noch eine besondere Aufnahmezeit gerechnet werden müsse, welche der Eindruck braucht, um vom Sinnesorgan auf den Nerven übertragen zu werden. (EXNER, PFLÜGER'S Archiv VII S. 631.) Es ist aber bis jetzt kein zureichender Anhaltspunkt in den Beobachtungen gegeben, welcher darauf hinweist, daß die Zeit der latenten Sinnesreizung merklich größer sei als die Zeit der gewöhnlichen latenten Nervenreizung. exner fand zwar, daß die ganze physiologische Zeit beim Sehen eines Funkens etwas größer war, als wenn der Sehnerv direkt gereizt wurde. Hierbei liegen aber außerdem Verschiedenheiten in der Stärke der Reizung vor, welche, wie wir sehen werden, das gleiche Resultat herbeiführen müssen

4) Vergl. Kap. XVIII.
5) Vergl. Kap. XVIII.

    Wird die physiologische Zeit in der oben angegebenen Weise durch Registrieren eines nach seiner Beschaffenheit bekannten, in Bezug auf seine Zeit aber unbestimmt gelassenen Eindrucks mittelst einer Bewegung gemessen, so beträgt sie durchschnittlich bei einer mäßigen Stärke der Reize etwa 1/5 Sekunde. In den meisten Beobachtungen zeigen die Eindrücke auf die verschiedenen Sinne kleine Unterschiede, indem die Zeit für Haut und Gehörsreize etwas kleiner zu sein pflegt als für Gesichtsreize. Doch ist es wahrscheinlich, daß diese Unterschiede nicht sowohl vom Sinnesorgan als von der Art und Stärke der Reizung herrühren. So fand ich, daß die physiologische Zeit für Hauteindrücke bei der elektrischen Reizung kleiner ist als bei eigentlichen Tastempfindungen, wie die folgenden Mittelzahlen dies zeigen6):
                                                    Mittel.         Mittlere Variation.     Wahrscheinlicher Fehler.
    Schall ......                                 0,167             0,0221                     0,0160
    Licht .......                                  0,222             0,0219                     0,0183
    Elektrische Hautempfindung .      0,201             0,0115                     0,0099
    Tastempfindung.                         0,213             0,0134                     0,0107

6) Ist M das Mittel aus den Beobachtungen a, b, c, d ..., deren Zahl n ist, so ist die mittlere Variation

wobei die einzelnen Differenzen alle positiv genommen werden. Der wahrscheinliche Fehler ? ist nach den Grundsätzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung == 0,6745. f, wo f den mittleren Fehler der Beobachtungen bedeutet und bei einer verhältnismäßig nicht sehr großen Zahl von Beobachtungen bestimmt wird aus der Formel:

Ich stelle hiermit die Mittelzahlen, welche von einigen andern Beobachtern gewonnen worden sind, zusammen:
                                            Hirsch 7).             Hankel 8).             Exner 9).
    Schall ......                         0,149                 0,1505                 0,1360
    Licht ......                          0,200                 0,2246                 0,1506
    Hautempfindung..              0,182                 0,1546                 0,1337

7) Moleschott's Untersuchungen IX, S. 199.
8) Poggendorff's Ann. Bd. 132, S. 134 f.
9) PFLÜGER'S Archiv VII, S. 645, 648, 649.

    Es würde voreilig sein, auf diese Zahlen hin den Schall- und Hauteindrücken an und für sich eine kürzere physiologische Zeit zuzuschreiben als den Lichtempfindungen. Denn wählen wir auch in allen drei Fällen Reize von mäßiger Stärke, so ist damit doch nicht gesagt, daß die physiologische Stärke derselben, nämlich ihre Wirkungsfähigkeit auf die Sinnesnerven, eine vollkommen gleiche sei. Namentlich kommt in Betracht, daß bei der gewöhnlichen Anstellung der Versuche das Auge fortwährend unter der Einwirkung von Lichteindrücken steht, zu denen der zu registrierende Reiz erst hinzukommt. Wir besitzen kein Mittel, um verschiedenartige Sinnesreize in Bezug auf ihre Stärke vergleichen zu können. Doch gibt es einen einzigen Fall, wo wir voraussetzen dürfen, daß die Wirkungsfähigkeit der Reize auf das Bewußtsein nicht verschieden sei: wenn nämlich dieselben gerade nur die Reizschwelle erreichen. Eine eben merkliche Empfindung hat für unser Bewußtsein notwendig immer die nämliche Größe, welchem Sinnesgebiet sie auch angehören möge. Wollen wir daher die physiologische Zeit für disparate Empfindungen unter übereinstimmenden Bedingungen vergleichen, so müssen wir von ihren Schwellenwerten ausgehen. Hier zeigt sich nun, daß die verfließende Zeit erheblich größer als bei stärkeren Reizen, aber für die verschiedenen Sinne nahezu gleich ist. Mit dem Durchschnittswert der physiologischen Zeit nimmt außerdem auch die mittlere Abweichung der Einzelbeobachtungen zu. Folgendes sind die aus Versuchsreihen von je 24 Beobachtungen gefundenen Werte:
                                            Reizschwelle: Mittel.         Mittlere Variation.     Wahrscheinlicher Fehler.
    Schall ......                                             0,337                 0,0504                     0,0390
    Licht ......                                               0,331                 0,0577                     0,0389
    Tastempfindung...                                   0,327                 0,0324                     0,0278

    Nach diesen Versuchen glaube ich annehmen zu dürfen, daß die physiologische Zeit, unter Voraussetzung möglichst gleicher Bedingungen für die Dauer der sensorischen und motorischen Leitung und gleichbleibender Eigenschaften des Bewußtseins, bei eben merklichen Reizen aller Sinne gleich groß, daß also die Dauer der Perzeption und Reaktion bei der Reizschwelle eine konstante Größe ist. Die größere Variation der Einzelversuche erklärt sich aus der schwankenden Natur der Schwellenwerte, die auch bei der Intensitätsmessung der Empfindung ihre Bestimmung unsicher macht. Weiterhin werden wir aus diesen Erfahrungen folgern dürfen, daß keiner unserer Sinne in Bezug auf Geschwindigkeit der Perzeption an sich bevorzugt ist, sondern daß die gewöhnlich beobachteten Verschiedenheiten nur von der verschiedenen Intensität herrühren, mit welcher die Reize auf das Bewußtsein wirken. Diese Intensität ist aber nicht bloß von ihrer objektiven Stärke sondern auch von der Beschaffenheit der peripherischen, vielleicht auch der zentralen Sinneswerkzeuge sowie von der etwa gleichzeitig stattfindenden Einwirkung anderer Reize abhängig.
    Aus der Vergleichung der physiologischen Zeit beim Schwellenwert und bei stärkeren Eindrücken erhellt bereits, daß diese Zeit mit wachsender Stärke des Reizes abnehmen muß. Solches läßt sich nun auch noch für Reize von verschiedener Stärke, die über dem Schwellenwerte gelegen sind, nachweisen, am besten eignen sich dazu Schalleindrücke, wegen der Sicherheit, mit der ihre Intensität abgestuft werden kann. Ich benutzte hierzu teils den HIPP'schen Fallapparat (Fig. 153), bei dem eine Kugel von 15 gm. Gewicht auf ein Brett herabfällt, teils einen eigens zu diesem Zweck konstruierten elektromagnetischen Fallhammel. Je nach der Höhe, aus der die Kugel oder der Hammer herabfiel, wechselte dabei die Stärke des Schalls. Das Verhältnis der Schallstärken an beiden Apparaten war so, daß eine Fallhöhe des Hammers von 16 mm ungefähr einer solchen der Kugel von 3 cm gleichkam. Ich führe zwei Versuchsreihen, die eine bei schwächeren, die andere bei höheren Schallstärken an, die zugleich von verschiedenen Individuen herrühren.

W. W.

            Höhe des Fallhammers.     Mittel.         Mittlere Var.         Zahl der Vers.
            1 mm                                 0,217             0,0220                 21
            4 ,,                                     0,146             0,0270                 24
            8 ,,                                     0,132             0,0114                 24
          16 ,,                                     0,135             0,0275                 25

S. W.

            Höhe der Kugel.                 Mittel.         Mittlere Var.         Zahl der Vers.
            2 cm                                    0,161            0,024                  31
             5 ,,                                      0,176            0,024                  30
            25 ,,                                      0,159            0,030                  25
            55 ,,                                      0,094            0,026                  16

    Diese Versuche lassen bei Reizen von beträchtlich verschiedener Intensität eine deutliche Abnahme der physiologischen Zeit mit der Zunahme des Reizes erkennen. Bei geringeren Intensitätsunterschieden trifft aber allerdings, wenigstens in kürzeren Versuchsreihen, diese Regel nicht mehr überall zu. Wir werden daher annehmen dürfen, daß zwischen engeren Grenzen der Einfluß der Reizstärke sehr unbedeutend ist gegenüber der Wirkung, welche der wechselnde Zustand der Aufmerksamkeit mit sich führt, und welche sich an der bei allen Beobachtungen über die physiologische Zeit verhältnismäßig bedeutenden Größe der mittleren Variation zu erkennen gibt. Diese Wirkung läßt sich auch in längeren Versuchsreihen nicht völlig eliminieren, weil in solchen der Zustand des Bewußtseins nicht etwa um eine bestimmte Gleichgewichtslage auf- und abschwankt, sondern weil diese Gleichgewichtslage selbst stetigen Veränderungen unterworfen ist, die im allgemeinen um so bedeutender werden, über je längere Zeiträume sich die Beobachtungen erstrecken.
    An der Abnahme der physiologischen Zeit mit der Reizstärke sind zweifellos die rein physiologischen Vorgänge der Leitung bis zu einem gewissen Grade mitbeteiligt. Dies zeigt die Erfahrung, daß die Fortpflanzung des Reizes in der Nervenfaser mit wachsender Reizstärke an Geschwindigkeit zunimmt10). Aber so bedeutend auch diese Unterschiede an sich sind, so bleibt doch die Dauer der Fortpflanzung in allen Fällen so klein im Verhältnis zur ganzen Größe der physiologischen Zeit, daß auch hier die gefundenen Unterschiede jedenfalls zu ihrem wesentlichsten Teile auf Rechnung der psychophysischen Zeiträume der Perzeption und Reaktion zu schreiben sind. Wie diese beiden sich wieder in die auf sie fallende Zeit teilen, läßt sich nicht mit völliger Sicherheit ermitteln, sondern höchstens durch Erwägung der psychologischen Versuchsbedingungen mit einiger Wahrscheinlichkeit bestimmen. Es ist nämlich nicht zu übersehen, daß bei den mitgeteilten Beobachtungen während einer Versuchsreihe immer mit der nämlichen Schallstärke experimentiert wurde. Dem Beobachter war also der aufzufassende Schall bekannt, und seine ganze Aufmerksamkeit war gerade auf die gegebene Schallstarke gerichtet. Man kann daher nicht zugeben, daß der Zustand der Aufmerksamkeit, von den zufälligen Schwankungen derselben abgesehen, für die verschiedenen Reizstärken ein verschiedener sei, und es läßt sich nicht einsehen, warum auf einen stärkeren Schall, nachdem er perzipiert worden ist, schneller reagiert werden sollte als auf einen minder starken. Nur für einen Fall glaube ich, der Selbstbeobachtung zufolge, eine Ausnahme statuieren zu müssen, für die Reizschwelle nämlich. Hier befindet man sich, mindestens in vielen Versuchen, während einer sehr kurzen Zeit in einem Zustand des Zweifels, ob wirklich auch ein Eindruck stattgefunden habe, und man fühlt deutlich, wie darüber eine gewisse Zeit vergeht. Es ist bemerkenswert, daß ein derartiger Zustand nicht etwa bloß in solchen Fällen besteht, wo das Urteil überhaupt zweifelhaft bleibt, sondern auch in jenen, wo entschieden der Eindruck perzipiert wird, sich also jedenfalls noch über der Schwelle befindet. Auch über den näheren Grund dieses Zustandes gibt schon die Selbstbeobachtung einigen Aufschluß. Man findet nämlich, daß es ausnehmend schwer wird die Spannung der Aufmerksamkeit einem Reiz von fast verschwindender Intensität anzupassen; unwillkürlich ist man dabei auf einen Eindruck gefaßt, der stärker ist als der wirklich eintretende. Nun ist aber, wie wir unten sehen werden für einen Eindruck, dessen Intensität nicht vorausgesehen werden kann, stets die physiologische Zeit beträchtlich vergrößert.

10) Vergl. meine Untersuchungen zur Mechanik der Nerven. Abth. I, S. 193.

    Schließlich erhebt sich die Frage, wie bei diesen einfachen Registrierversuchen die beiden Vorgänge, die wir in der Reaktionszeit zusammengefaßt haben, die Apperzeption und Willenserregung, sich zu einander verhalten. Es ist wohl nicht zu bezweifeln, daß in manchen Fällen, namentlich wo die Reaktionszeit größer ausfällt, die Entwicklung des Willensimpulses eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Zuweilen faßt man auch in der Selbstbeobachtung deutlich die Apperzeption und die willkürliche Bewegung als zwei sukzessive Akte auf. In der Mehrzahl der Fälle hat man aber von einer solchen Trennung kein Bewußtsein, sondern in demselben Augenblick, in welchem man den Reiz wahrnimmt, glaubt man ihn auch schon zu registrieren. In der Tat sind nun die Bedingungen bei diesen Versuchen geeignet, die Willenszeit zu einer verschwindend kleinen Dauer herabzudrücken. Da nämlich die auszuführende Bewegung zuvor genau bekannt und bei längeren Versuchsreihen zu großer mechanischer Sicherheit gebracht ist, so ist offenbar die Rückwirkung der Apperzeption auf die Willenserregung möglichst erleichtert. Auch gibt es eine spezielle Erscheinung, welche die Annahme, daß in vielen Fällen die Willenszeit verschwindend klein werde, so daß die Reaktionsdauer allein auf Rechnung der Apperzeption kommt, mindestens zu sehr hoher Wahrscheinlichkeit erhebt. Wenn man nämlich mit großer Spannung der Aufmerksamkeit den Eindruck erwartet, so kommt es vor, daß man statt desselben einen ganz andern Eindruck registriert, und zwar handelt es sich dabei nicht etwa um eine Verwechselung. Vielmehr weiß man schon im Moment der Bewegung sehr gut, daß man einen falschen Reiz registriert hat; ja es kommt vor, wenn gleich selten, daß der letztere gar nicht demselben Sinnesgebiet angehört, daß man also z. B. bei Versuchen über Schalleindrücke einen zufällig oder absichtlich herbeigeführten Lichtblitz registriert. Wir können diese Erscheinung nicht wohl anders als so erklären, daß durch die Spannung der Aufmerksamkeit, welche dem erwarteten Eindruck entgegenkommt, gleichzeitig eine vorbereitende Innervation der motorischen Zentralgebiete sich entwickelt hat, welche bei dem geringsten Anstoß in wirkliche Erregung übergeht. Dieser Anstoß kann dann in solchem Fall auch von jeder zufälligen Apperzeption ausgehen, deren Registrierung gar nicht beabsichtigt wurde. Wenn aber die vorbereitende Innervation zu diesem Grade angewachsen ist, so wird auch zwischen dem von der Apperzeption ausgehenden Impuls und der wirklichen Erregung nur eine verschwindend kleine Zeit verfließen. In der Tat wird diese Annahme durch eine große Zahl anderer Tatsachen, die wir noch kennen lernen werden, außer Zweifel gesetzt.
    Die Auffassung eines Eindrucks wird wesentlich erleichtert, wenn demselben irgend ein Signal vorhergeht, durch welches die Zeit seines Eintritts vorausbestimmt ist. Dieser Fall ist also immer dann verwirklicht, wenn mehrere Reize in gleichmäßigen Intervallen auf einander folgen, wenn wir z. B. Pendelbewegungen mit dem Gesichtssinn oder Pendelschläge mit dem Ohr wahrnehmen. Jeder einzelne Pendelschlag bildet hier das Signal für den ihm nachfolgenden, dem nun die Aufmerksamkeit vollkommen vorbereitet entgegenkommt. Das nämliche begegnet uns schon, wenn wir dem aufzufassenden Eindruck nur ein einziges durch ein gewisses Zeitintervall getrenntes Signal vorangehen lassen. Man findet dabei stets die physiologische Zeit bedeutend verkürzt. Zugleich nehmen aber die Abweichungen zwischen den einzelnen Beobachtungen so sehr zu, daß die mittlere Variation nahezu dem Betrag der ganzen physiologischen Zeit gleichkommen kann. Vergleichsversuche über die mit und ohne vorangegangenes Signal verfließende Zeit habe ich nach folgendem Plane ausgeführt. Als Schallreiz diente das Auffallen einer Kugel auf dem Brett des Fallapparates (s. Fig. 153). Diese Kugel fiel in der einen Reihe von Versuchen aus freier Hand aus der Höhe des offen stehenden Ringes ( T ), welcher zum Halten der Fallkugel bestimmt ist. In der zweiten Reihe von Versuchen war der Ring geschlossen und wurde durch Druck an der daran befindlichen Feder geöffnet, wodurch alsdann die auf demselben ruhende Kugel herabfiel. Im ersten Fall ging dem Aufschlagen der Kugel kein Signal vorher, im zweiten diente als solches das Geräusch der Feder beim Öffnen des Ringes. Bei konstanter Fallhöhe blieb daher das Zeitintervall zwischen Signal und Hauptreiz konstant, und durch Veränderung der Fallhöhe konnte dasselbe gleichzeitig variiert werden. Folgendes sind die Mittelwerte aus zwei solchen Versuchsreihen:
                                            Mittel.             Mittlere Variation.         Zahl der Versuche.
    Fallhöhe ohne Signal         0,253                 0,051                         13
    25 cm mit Signal               0,076                 0,060                         17
    Fallhöhe ohne Signal         0,266                 0,036                         14
    5 cm mit Signal                 0,175                 0,035                         17

    Man sieht hieraus, daß die Abnahme der physiologischen Zeit größer wird, wenn das konstante Intervall zwischen Signal und Haupteindruck zunimmt, und gleichzeitig steigt dann auch die relative Größe der mittleren Variation. Außerdem ist aber auf diese Abnahme die häufigere Wiederholung der Beobachtungen von großem Einfluß. In einer längeren Versuchsreihe verkürzt sich die physiologische Zeit, wenn das Intervall zwischen Signal und Eindruck gleich bleibt, immer mehr, und es gelingt in einzelnen Fällen, sie auf eine verschwindend kleine Größe (von einigen tausendel Sekunden) oder vollständig auf Null herabzudrücken. Es ist dazu nur erforderlich, daß das Intervall zwischen Signal und Eindruck einerseits nicht zu groß und anderseits nicht zu klein sei. Die obere Grenze vermochte ich wegen der beschränkten Dimensionen des zu diesen Versuchen dienenden HIPP'schen Fallapparates nicht festzustellen. Was die untere betrifft, so gelang es bei einer Fallhöhe von 20 cm noch leicht die physiologische Zeit zum Verschwinden zu bringen, mit Verkürzung der Fallzeit wurde dies immer schwerer, und bei 5 cm war zwar noch die Verkürzung deutlich bemerkbar, aber die Zeit wurde in keinem einzigen Fall mehr gleich null. Demnach dürfte etwa bei einem Intervall von 0,04" zwischen Signal und Eindruck die untere Grenze erreicht sein.
    Der einzige Grund, der sich für diese ganze Erscheinung annehmen läßt, ist die vorbereitende Spannung der Aufmerksamkeit. Daß durch diese die physiologische Zeit verkürzt werden muß, ist leicht begreiflich; daß sie unter Umständen auf null herabsinken kann, möchte auffallender scheinen. Trotzdem erklärt sich auch letzteres leicht aus den bei den gewöhnlichen Registrierversuchen gemachten Beobachtungen. Die wachsende Spannung der Aufmerksamkeit bei der Erwartung eines seiner Zeit nach unbestimmten Eindrucks gibt sich, wie wir bemerkt haben, nicht bloß an dem subjektiven Gefühl, sondern auch an der merkwürdigen Tatsache zu erkennen, daß, wo die Spannung ihren höchsten Grad erreicht hat, die vorbereitete Bewegung gar nicht mehr unter der Herrschaft unseres Willens steht; denn in solchem Fall registrieren wir einen Reiz, dessen Verschiedenheit von dem erwarteten Eindruck wir unmittelbar erkennen. In den vorliegenden Versuchen, wo der Eindruck auch in Bezug auf seine Zeit voraus bekannt ist, akkommodiert sich nun offenbar die Aufmerksamkeit so genau an den Eintritt des Reizes, daß dieser im selben Moment, in welchem er zur Perzeption gelangt, auch apperzipiert wird, und daß mit der Apperzeption die Willenserregung zusammenfällt. Hierdurch bestätigt sich unmittelbar die oben schon aufgestellte Vermutung, daß, wo wir durch eine eindeutig vorausbestimmte Bewegung auf einen Eindruck reagieren, im Moment der Apperzeption in der Regel auch die Willenserregung stattfinden kann. Ist ein Eindruck in Bezug auf Qualität und Stärke bekannt, in Bezug auf die Zeit seines Eintritts nicht fest bestimmt, so bedarf die Apperzeption noch eine gewisse Zeit. Während dieser wächst jedoch die Willenserregung hinreichend an, um im selben Moment, wo die Apperzeption vollendet ist, den motorischen Impuls zu bewirken. Ist der Eindruck auch in Bezug auf die Zeit seines Eintrittes fest bestimmt, so kann nun aber die vorbereitende Spannung der Aufmerksamkeit so sehr demselben sich akkommodieren, daß die Zeit der Apperzeption ebenfalls null wird und nur noch die verhältnismäßig sehr kurzen Zeiten der physiologischen Leitung übrig bleiben. Aber merkwürdiger Weise können in einzelnen Versuchen offenbar selbst diese verschwinden, indem der Eindruck früher apperzipiert werden muß, als er wirklich stattfindet, und zwar genau um ebenso viel frühere, als die Zeit der motorischen Leitung beträgt. Diese Erscheinung erklärt sich aus folgendem Umstand. Für die Gleichzeitigkeit zweier an Stärke nicht sehr verschiedener Reize haben wir im allgemeinen ein sehr genaues Gefühl. Unwillkürlich sucht man nun in einer Reihe von Versuchen, in welchen das Signal dem Haupteindruck um eine bestimmte Zeit vorhergeht, nicht nur möglichst rasch, sondern auch so zu registrieren, daß die eigene Bewegung mit dem Eindruck zusammenfällt: man sucht also die beim Registrieren vorhandene Innervations- und Tastempfindung dem gehörten Schall gleichzeitig zu machen, und der Versuch zeigt, daß dies in einzelnen Fällen in der Tat vollständig gelingt. So kommt es, daß man bei diesen Versuchen das deutliche Gefühl hat, in einem und demselben Moment den Schall zu hören, auf ihn zu reagieren und den Eindruck, der durch diese Reaktion geschieht, zu empfinden. Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied von den Registrierversuchen ohne Signal, bei denen man nur die Apperzeption und den Willensimpuls meistens als gleichzeitige Akte empfindet, während man sich deutlich bewußt ist, daß die vom Willensimpuls ausgehende Reaktionsbewegung etwas später fällt. So kommt es auch, daß man, wie verschiedene Beobachter auf diesem Gebiete bestätigen11), sehr bestimmt zu sagen weiß, ob man im einen Fall "gut" und in einem anderen Fall "schlecht" registriert habe, obgleich man doch immer möglichst schnell die Bewegung auszuführen sucht und die so gefühlten Unterschiede meistens auch nur wenige Hundertteile einer Sekunde betragen. Man ermißt aber hierbei die Genauigkeit des Registrierens an dem Zeitintervall zwischen dem Eindruck und der Bewegungsempfindung. Nebenbei zeigt diese Erscheinung, wie außerordentlich genau unsere Selbstauffassung bei solchen Versuchen sein kann.

11) Vgl. EXNER, a. a. O. S. 613.

    Von besonderem Interesse ist endlich noch, daß bei den Signalversuchen, obgleich uns die Auffassung des Eindrucks und die reagierende Bewegung auf denselben gleichzeitig zu sein scheint, oder vielmehr weil dies so ist, in Wirklichkeit die Apperzeption dem äußern Eindruck vorangehen muß. Auf diese Tatsache werden wir unten bei andern Beobachtungen zurückkommen, wo sich dieselbe in viel weiterem Umfange, als ein für die vorbereitende Spannung der Aufmerksamkeit höchst charakteristisches Phänomen, bestätigen wird.
    Wir wenden uns nun zur Untersuchung der Verhältnisse der physiologischen Zeit, wenn erschwerende Bedingungen für die Auffassung des Eindrucks oder für die Willensreaktion gegeben sind. Der einfachste Fall dieser Art ist da gegeben, wo der Eindruck nicht bloß in Bezug auf die Zeit seines Eintritts, sondern auch in Bezug auf seine Stärke unbestimmt gelassen ist. Führt man z. B. Schallversuche in solcher Weise aus, daß fortwährend zwischen starken und schwachen Reizen unregelmäßig gewechselt wird, wobei also der Beobachter niemals eine bestimmte Schallstärke sicher erwarten kann, so wird die physiologische Zeit für alle Schallstärken vergrößert; ebenso nimmt die mittlere Variation zu. Ich stelle beispielsweise zwei in wenig verschiedener Zeit an demselben Individuum ausgeführte Versuchsreihen zusammen. In Reihe I wechselten starker und schwacher Schall regelmäßig, so daß jedesmal die Intensität voraus bekannt war; in Reihe II wechselten die verschiedenen Schallstärken in ganz unregelmäßiger Weise.

I. Regelmäßiger Wechsel.

                                        Mittel.             Mittlere Var.             Zahl der Versuche.
    Starker Schall                 0,116                 0,010                     18
    Schwacher Schall           0,127                 0,012                        9

II. Unregelmäßiger Wechsel.

    Starker Schall                 0,189                 0,038                       9
    Schwacher Schall           0,298                  0,076                     15

    Noch bedeutender wächst die Zeit, wenn man ganz unerwartet in eine Versuchsreihe mit lauter starken Eindrücken plötzlich einen schwachen oder auch umgekehrt zwischen schwache Reize einen starken einschiebt. Auf diese Weise sah ich in einzelnen Fällen die Zeit für einen Eindruck nahe der Reizschwelle auf 0,4–0,8 sec. und für einen ziemlich starken Reiz, eine fallende Kugel von 50 cm Höhe, bis auf 0,25 sec. ansteigen. Es ist also eine allgemeine Tatsache, daß ein Reiz, dessen Eintritt zwar im allgemeinen erwartet wird, für dessen Intensität aber eine Adaptation der Aufmerksamkeit nicht stattfinden konnte, eine größere physiologische Zeit erfordert. Es kann nun in solchem Fall ebenso wenig an Veränderungen der Perzeption wie an solche der physiologischen Leitung gedacht werden, sondern der Grund des Unterschieds kann allein darin liegen, daß überall, wo eine vorangegangene Spannung der Aufmerksamkeit nicht stattfindet, die Reaktionsdauer zunimmt. Schon oben wurde bemerkt, daß die auffallende Größe der physiologischen Zeit bei Reizstärken, welche den Schwellenwert eben erreichen oder kaum überschreiten, nach diesen Beobachtungen über unerwartete Eindrücke darauf zurückgeführt werden kann, daß sich bei den schwächsten Reizen die Aufmerksamkeit stets über das richtige Maß hinaus adaptiert, so daß ein ähnlicher Zustand wie bei unerwarteten Eindrücken vorhanden ist. Dem entspricht vollständig die Art, wie im allgemeinen mit dem allmäligen Wachsen des Reizes die Zeit abnimmt. Nahe dem Schwellenwert sinkt sie nämlich sehr schnell, um hierauf bei weiterer Verstärkung des Reizes viel langsamer abzunehmen. Wahrscheinlich tritt in der Nähe der Reizhöhe wieder ein ähnliches Verhalten ein. Man bemerkt nämlich, daß bei einem Schall, der stark genug ist, um Erschrecken hervorzubringen, immer die physiologische Zeit etwas verlängert wird, auch dann, wenn ein starker Schall erwartet wurde. Man nähert sich augenscheinlich bei der Verstärkung des Eindrucks einer Grenze, wo das Erschrecken selbst dann bei jedem einzelnen Reize eintritt, wenn sich dieser in gleicher Intensität mehrmals wiederholt, also vollständig zuvor bekannt ist. Besonders bei elektrischen Versuchen ist dies deutlich zu bemerken, da der elektrische Reiz bei den meisten Menschen sehr zum Erschrecken disponiert. Offenbar findet also bei diesen Eindrücken, die sich der Reizhöhe nähern, wieder etwas ähnliches wie bei der Reizschwelle statt. Die Aufmerksamkeit vermag sich dem Eindruck nicht mehr zu adaptieren, und zwar bleibt jetzt ihre Spannung unter der Größe desselben, ebenso wie sie dort unwillkürlich über dieselbe gesteigert wurde12).

12) In Bezug auf diese Wirkung des Erschreckens befinde ich mich mit dem neuesten Experimentator über unsern Gegenstand, mit Exner, in Widerspruch, welcher bemerkt, daß im Gegenteil beim Erschrecken eine Verkürzung der physiologischen Zeit eintrete (a. a. O. S. 619). Es mag diese Differenz darin ihren Grund haben, daß bei EXNER nur erst die bei Verstärkung des Reizes eintretende Verkürzung der Perzeptionsdauer zur Wirkung kam.

    Da die Bedingungen für die willkürliche Innervation bei diesen Beobachtungen im wesentlichen keine anderen sind, als bei der Registrierung solcher Eindrücke, deren Stärke zuvor bekannt ist, so wird man im allgemeinen annehmen dürfen, daß die Verlängerung der Reaktionsdauer wesentlich auf Rechnung der Apperzeption kommt. Diese kann die adäquate Spannung nicht vor dem Eintritt des Reizes annehmen; es wird also dazu eine gewisse Zeit verbraucht, die bei der Reaktion auf bekannte Reize ganz oder großenteils erspart wird.
 
    Die von der Stärke des Reizes abhängigen Veränderungen der Perzeptions- und Reaktionsdauer können wir uns gemäß den obigen Betrachtungen etwa durch die Fig. 151 veranschaulichen, in welcher die Zeiträume als Ordinaten auf eine Abszissenlinie x x' aufgetragen sind, welche die Reizstärken abmißt. Stellen wir zunächst, mit Vernachlässigung der Leitungsvorgänge, den Gesamtwert der in der physiologischen Zeit gemessenen Perzeptions- und Reaktionsdauer durch die ausgezogene Kurve r r' dar, so beginnt diese bei dem Schwellenwerte a des Reizes in verhältnismäßig bedeutender Höhe, um zuerst rasch und dann allmälig langsamer zu sinken bis zu einer der Reizhöhe m nahe gelegenen Grenze h, bei der sie sich plötzlich von neuem erhebt. Suchen wir nun daraus die einzelnen Zeiträume der Perzeption und Reaktion zu gewinnen, so werden sich die Veränderungen des ersten höchst wahrscheinlich durch eine Kurve p p' darstellen lassen, welche anfangs schneller und dann immer langsamer sinkt, um in der Gegend der Reizhöhe einen konstant bleibenden Minimalwert zu erreichen. Die nähere Gestalt dieser Kurve läßt sich selbstverständlich nur vermutungsweise bestimmen. Als im allgemeinen wahrscheinlich und auch in zureichender Übereinstimmung mit der Beobachtung stehend wird man aber wohl die Annahme betrachten können, daß die Perzeptionsdauer der Intensität der Wirkung, welche der Eindruck auf das Bewußtsein äußert, umgekehrt proportional sei, und daß hinwiederum die Wirkung des Eindrucks auf das Bewußtsein durch die Intensität der Empfindung gemessen werde. Nun ist die Abhängigkeit der Empfindung vom äußeren Eindruck durch das psychophysische Gesetz bestimmt. Reproduzieren wir den positiven Teil der in Fig. 69 dargestellten Kurve, welche das Wachstum der Empfindung mit dem Reize darstellt, durch die unter die Abszissenlinie gelegte Kurve a e (Fig. 151), so werden demnach die Ordinaten der Kurve p p' von ihrem Maximalwerte a p bei der Reizschwelle an proportional den Unterschieden 1, 2, 3 ... von a e abnehmen, d. h. die allgemeine Gestalt von p p' wird eine Umkehrung der Kurve a e sein. Die Veränderungen der Reaktionszeit endlich werden durch die zwischen p p' und r r' gelegenen Ordinatenwerte gemessen. Diese sind für Eindrücke, welche weder der Reizschwelle noch der Reizhöhe nahekommen, von b bis h, von konstant bleibender Größe: es sind dies die Grenzen der vollkommenen Anpassungsfähigkeit der Aufmerksamkeit an die Reizstärke. Zu beiden Seiten derselben steigt die Reaktionszeit, denn diesseits b findet eine Über-, jenseits h eine Unteradaptation der Aufmerksamkeit statt.
    Mathematisch lassen sich diese Verhältnisse folgendermaßen darstellen. Bezeichnen wir durch t die Perzeptionsdauer und durch E die Stärke der Empfindung, so nehmen wir  an, wo c eine aus den Versuchen zu bestimmende Konstante bedeutet. Dann ist nach Kap. VIII

,
.
Die Reaktionsdauer J läßt sich dagegen durch eine Funktion von folgender Form darstellen:
.
worin a eine kleine Zahl, welche nur im Vergleich mit sehr kleinen Werten der Empfindung E in Betracht kommt, und umgekehrt b eine so große Zahl bedeutet, daß der Quotient  erst bei den Maximalwerten der Empfindung eine merkliche Größe erreicht.
    Im allgemeinen noch mehr als bei Reizen, deren Stärke zuvor bekannt ist, wird die physiologische Zeit bei völlig unerwarteten Eindrücken verzögert. Diese Bedingung wird bei den Registrierversuchen durch Zufall bisweilen verwirklicht, wenn der Beobachter, statt die Spannung der Aufmerksamkeit dem erwarteten Eindruck zuzuwenden, zerstreut ist. Absichtlich kann man das nämliche herbeiführen, wenn man in einer längeren Versuchsreihe mit regelmäßigen Intervallen der Reize plötzlich, ohne Wissen der Versuchsperson, ein viel kürzeres Intervall nimmt. Auch der subjektive Effekt ist dabei sehr ähnlich dem Erschrecken; manchmal fährt der Beobachter sichtlich zusammen. Die physiologische Zeit wird bei stärkeren Schalleindrücken leicht bis zu 1/4 bei schwachen manchmal bis zu 1/2 Sekunde verzögert. Geringer, aber immer noch sehr merklich ist die Verzögerung, wenn man den Versuch so einrichtet, daß der Beobachter nicht vorher weiß, ob ein Licht-, Schall- oder Tasteindruck stattfinden werde, so daß sich die Aufmerksamkeit keinem bestimmten Sinnesorgane zuwenden kann. Man bemerkt dann zugleich eine eigentümliche Unruhe, weil das die Aufmerksamkeit begleitende Spannungsgefühl fortwährend zwischen den einzelnen Sinnen hin- und herwandert.
    Wie in den zuletzt erwähnten Beobachtungen eine Verzögerung der physiologischen Zeit entsteht, weil das Sinnesgebiet unbestimmt gelassen ist, welchem sich die Aufmerksamkeit zuwenden soll, so kann der nämliche Erfolg auch eintreten, wenn zwar die Sinneseindrücke immer von derselben Art sind, aber das Bewegungsorgan, mit welchem man die registrierende Bewegung ausführen soll, so lange unbestimmt gelassen wird, bis der Eindruck stattfindet. Versuche dieser Art sind von donders und de jaager ausgeführt worden13). In einer ersten Versuchsreihe wurden auf beide Füße Elektroden gesetzt und mit der Reizung unregelmäßig gewechselt; jede Reizung wurde aber mit der Hand der gleichen Seite registriert. In andern Versuchen wurde bald ein roter, bald ein weißer Lichteindruck hervorgebracht und im ersten Fall mit der rechten, im zweiten Fall mit der linken Hand registriert. Beim Ohr bestand die Reizung in einem gehörten Vokalklang; der Beobachter wiederholte denselben Vokal, und beide Bewegungen wurden auf den zeitmessenden Apparat übertragen. In allen Fällen verglich man die Resultate mit denjenigen, welche bei erwarteter Art des Eindrucks und gegebener Form der Bewegung erhalten wurden. So ergab sich:
Physiologische Zeit.
                                        Bekannter Eindruck.         Unbekannter Eindruck.         Differenz.
    Hautreiz .....                     0,205                                 0,272                                 0,067
    Lichteindruck ....              0,184                                 0,356                                 0,17214)
    Schalleindruck ...              0,180                                 0,250                                 0,070

13) De Jaager, de physiologische tijd bij psychische processen. Utrecht 1865. Donders, Archiv f. Anatomie und Physiologie. 1868. S. 657 f.

14) In andern Versuchsreihen schwankt diese Differenz zwischen 0,122 und 0,184 (De Jaager a. a. O. S. 43, DONDERS a. a. O. S. 666); bei den Haut- und Gehörseindrücken sind die Abweichungen unbedeutender.

    Es ist nun nicht zu übersehen, daß in jedem dieser Fälle die Versuchsbedingungen nicht unbeträchtlich von einander abweichen, und daß daher die Differenz der physiologischen Zeit zwischen dem erwarteten und dem unerwarteten Eindruck nicht jedesmal dieselbe Bedeutung hat. Indem bei den Tastversuchen auf die Reizung einer jeden Seite die reagierende Bewegung mit der Hand der nämlichen Seite geschieht, bildet sich hier eine feste Assoziation aus, welche offenbar durch die zentrale Reflexverbindung des Tastorgans mit den Skelettmuskeln begünstigt wird. Der ähnliche Fall liegt vor bei der Registrierung von Vokalklängen durch das Nachsprechen derselben. Hier benutzen wir die an und für sich schon bestehende Assoziation zwischen den Schalleindrücken und den Muskeln des Sprachorgans. Ganz anders liegt die Sache bei den Lichtreizen. Daß man z. B. auf rote Eindrücke mit der linken, auf weiße mit der rechten Hand registrieren wolle, ist ganz willkürlich nur für diese Versuche festgesetzt; keine bestehende Assoziation kommt uns hier zu Hilfe, und um eine solche neu auszubilden, würde man jedenfalls eine sehr lange Zeit nötig haben. So beobachtet man denn auch deutlich genug, daß bei den Lichtversuchen immer ein gewisses Besinnen stattfindet, während auf die Tast- und Gehörsreize die Bewegung mit nahezu vollkommener mechanischer Sicherheit erfolgt. Damit hängt wohl auch die von DONDERS weiterhin gefundene Tatsache teilweise zusammen, daß die durch die Sprache erfolgende Reaktion auf ein dem Gesichtssinn gegebenes Vokalzeichen nahezu die doppelte Zeit erfordert als die auf gleiche Weise geschehende Reaktion auf den Vokalklang15). Die Verbindung zwischen Schriftzeichen und Sprachlaut ist ohne Zweifel nicht ganz so fest und eingeübt wie die zwischen Schall und Sprachlaut. Doch kommt dabei außerdem in Betracht, daß ein Vokalklang ein einfacherer Sinneseindruck ist als ein Vokalzeichen: es ist also wahrscheinlich, daß hier auch die Perzeptionsdauer vergrößert wird. Was dagegen die übrigen Fälle betrifft, in denen Eindrücke von gleich einfacher Beschaffenheit auf die verschiedenen Sinne einwirken, so können wir die Verzögerung der physiologischen Zeit für den unbekannten im Vergleich mit dem bekannten Reiz nicht wohl auf eine Verschiedenheit der Perzeptionsdauer beziehen. Ein roter und ein weißer Lichteindruck werden, wie de jaager auch experimentell bestätigt hat, gleich schnell registriert, wenn man immer eine und dieselbe Hand zur Ausführung der Bewegung wählt. Ebenso ist nicht anzunehmen, daß die Perzeptionszeit für rechte und linke Hautreizung oder für verschiedene Vokalklänge eine verschiedene sei. Auch scheint es nicht wahrscheinlich, daß der Eintritt in das allgemeine Blickfeld des Bewußtseins davon abhänge, ob der Eindruck zuvor bekannt sei oder nicht. Wohl aber ist es begreiflich, daß sein Eintritt in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit hiervon wesentlich bedingt wird. Es ist also anzunehmen, daß wir es hier überall mit Verlängerungen der physiologischen Zeit zu tun haben, welche die Reaktionsdauer treffen. Diese letztere steht aber zugleich nicht unter den einfachen Bedingungen, wie sie bei der Reaktion auf einen erwarteten Eindruck stattfinden. Während nämlich bei dem letzteren die Spannung der Aufmerksamkeit unmittelbar mit der vorbereitenden Spannung des registrierenden Bewegungsorganes verbunden ist, folgt jetzt der Apperzeption eine Zwischenzeit, welche erfordert wird, um zwischen den zwei vorbereiteten Bewegungen zu wählen. Es ist also neben der Apperzeptionszeit deutlich noch eine Willenszeit zu unterscheiden. Zweifellos kommen nun die Differenzen der physiologischen Zeiten für bekannte und für unbekannte Eindrücke wesentlich auf Rechnung dieser Willenszeit. Aber außerdem kommt in Betracht, daß solche unbekannte nebenbei immer einigermaßen unerwartete Eindrücke sind, indem auch bei ihnen eine vollkommene Adaptation der Aufmerksamkeit nicht möglich ist. Aus den Versuchen selbst geht hervor, daß die Dauer der Willenszeit wesentlich abhängt von den physiologischen Verbindungen, in welchen die zentralen Empfindungsgebiete mit den reagierenden Bewegungswerkzeugen stehen. Wir können daher mit Wahrscheinlichkeit voraussetzen, daß in jenen Fällen, wo die reagierende Bewegung durch die Mechanik des Nervensystems und eingeübte Assoziationen erleichtert ist, wie bei der Reaktion von Handbewegung auf gleichseitige Fußreizung oder von Sprachlaut auf übereinstimmenden Schallreiz, die Verlängerung vorzugsweise auf Rechnung der Apperzeption zu schreiben ist. Bei den minder erleichterten Bewegungen dürfte dagegen der Willenszeit die wesentliche Rolle zufallen.

15) DONDERS a. a. O. S. 669.

    DONDERS hat noch weitere Versuche ausgeführt, durch die er unmittelbar die Zeit der Vorstellungsbildung, also nach den oben gebrauchten Ausdrücken wohl die absolute Apperzeptions-dauer, bestimmen zu können glaubte. Er ließ nämlich zuerst auf bekannten Vokalklang (a), dann auf unbekannten (b) mit dem gleichen Laut reagieren und führte außerdem noch eine dritte Reihe von Versuchen (c) aus, bei denen die Mundstellung dauernd einem bestimmten Vokal angepaßt war, der aber nur in unregelmäßigen Intervallen zwischen andern Vokalklängen angegeben und auf den allein reagiert wurde. Hierbei ist natürlich die physiologische Zeit weniger verlängert als bei der gewöhnli-chen Registrierung eines unbekannten Klanges, und zwar beträgt die Differenz c–a durchschnittlich 0,039 Sek. donders glaubt, daß diese Größe, also etwa 1/25 Sek., als Zeit der Vorstellungsbildung, und die nach Abzug von c restierende Zeit a, etwa 1/28 Sek., als Dauer der Willensbestimmung angenommen werden könne. (DONDERS a. a. O. S. 572.) Aber diese Voraussetzung ist, wie mir scheint, nicht einwurfsfrei. Erstens fällt bei den c-Versuchen die Wahlzeit nicht völlig weg. Mit Recht bemerkt DONDERS, daß, sobald man mit Spannung auf eine Erscheinung harre, man unwillkürlich auch auf einen andern Eindruck reagiere, woraus wir oben gleichfalls geschlossen haben, daß beim Registrieren erwarteter Eindrücke die Wahlzeit verschwindend klein sei. Aber bei den c-Versuchen von Donders verhält sich die Sache eben nicht mehr ganz so: man nimmt sich vor, nur bei einem bestimmten Eindruck die Willensbestimmung eintreten zu lassen, und man kann daher, wenn die Versuche gelingen sollen, die Spannung der Aufmerksamkeit nicht so weit treiben, daß auf jeden beliebigen Eindruck reagiert wird, sondern nach der Apperzeption des Eindrucks muß noch eine Wahlzeit übrig bleiben. Diese ist also nur verkleinert, aber keineswegs verschwindend klein geworden. Zweitens ist es zweifellos, daß in den Versuchen a und c sich auch die Apperzeption unter verschiedenen Bedingungen befindet. Wenn wir nur auf einen bestimmten Eindruck aus einer größeren Reihe reagieren wollen, so ist auf ihn von vornherein unsere Aufmerksamkeit gespannt. Die Apperzeptionsdauer ist also hier sehr wahrscheinlich kleiner, als wenn jeder Eindruck für uns gleichen Wert hat. Demnach ist wohl anzunehmen, daß jene Differenz ca in der Verkürzung sowohl der Apperzeptions- wie der Willenszeit ihren Grund hat, ohne daß aber jemals einer dieser Zeiträume, wie donders annimmt, gleich null würde.

    Komplikationen anderer Art entstehen in den Bedingungen der physiologischen Zeit, wenn man zwar, wie bei den Fundamentalversuchen (s. o.), von denen wir ausgingen, nur einen einzigen, in seiner Qualität und Stärke zuvor bekannten Eindruck registrieren, daneben aber andere Reize einwirken läßt, welche die Spannung der Aufmerksamkeit erschweren. Hierbei wird stets die physiologische Zeit mehr oder weniger beträchtlich verlängert. Der einfachste Fall solcher Art ist dann vorhanden, wenn ein momentaner Eindruck registriert wird, während ein dauernder Sinnesreiz von bedeutender Stärke einwirkt. Dieser dauernde Reiz kann entweder dem nämlichen oder einem andern Sinnesgebiet angehören. Es wurde schon bemerkt, daß das erstere bei den Versuchen über Lichtreizung in der Regel stattfindet, und daß die verhältnismäßig lange Dauer der physiologischen Zeit bei derselben vielleicht zum Teil diesem Umstande zuzuschreiben ist16). Bei dieser Störung durch gleichartige Eindrücke kann nun die Verlängerung sowohl durch die Ablenkung der Aufmerksamkeit als auch dadurch herbeigeführt werden, daß der Eindruck in Folge des begleitenden Reizes nur noch einen geringen Empfindungsunterschied hervorbringt und also der Reizschwelle nahe gerückt wird. In der Tat kommen wohl beide Momente in Betracht. Man findet nämlich, daß die Zeit bei Eindrücken von geringerer Intensität durch den begleitenden Reiz mehr verlängert wird als bei stärkeren Reizen. Ich führte Versuche aus, in denen der Haupteindruck in einem Glockenschlag bestand, der durch eine den Hammer spannende Feder und durch ein an demselben verschiebbares Gewicht in seiner Stärke abgestuft werden konnte. In je einer Versuchsreihe wurde dieser Schall in der gewöhnlichen Weise registriert, in der andern wurde während der ganzen Versuchsdauer ein dauerndes Geräusch hervorgebracht, indem ein mit dem Uhrwerk des Zeitmessungsapparates in Verbindung stehendes Zahnrad sich an einer Metallfeder vorbeibewegte. In der Versuchsreihe A war der Glockenschlag mäßig stark, so daß er durch das begleitende Geräusch sehr vermindert, aber noch nicht völlig zur Sehwelle herabgedrückt wurde; in B war der Schall sehr stark, so daß er auch neben dem Geräusch vollkommen deutlich wahrgenommen werden konnte.

                                                            Mittel.         Maximum.         Minimum.     Zahl d. Vers.
    A Ohne Nebengeräusch                     0,189             0,244             0,156             21
    Mäßiger Schall Mit Nebengeräusch    0,313             0,499             0,183             16
    B Ohne Nebengeräusch                     0,158             0,206             0,133              20
    Starker Schall Mit Nebengeräusch      0,203             0,295             0,140              19

16) Vgl. oben.

    Da bei diesen Versuchen der Schall B neben dem Geräusch immer noch merklich stärker empfunden wurde als der Schall A ohne dasselbe, so muß man wohl hierin einen direkten Einfluß des begleitenden Geräusches auf den Vorgang der Reaktion erkennen. Dieser Einfluß kommt nun aber erst rein zur Geltung, wenn der dauernde Reiz und der momentane Eindruck disparaten Sinnesgebieten angehören. Ich wählte zu solchen Versuchen den Gesichts- und Gehörssinn. Momentaner Eindruck war ein zwischen zwei Platinspitzen vor dunklem Hintergrunde überspringender Induktionsfunke. Dauernder Reiz war das in der oben angegebenen Weise hervorgebrachte Geräusch.

                                Lichtfunken.         Mittel.         Maximum.         Minimum.         Zahl der Versuche.
    Ohne Nebengeräusch                         0,222             0,284             0,158                 20
    Mit Nebengeräusch                            0,300             0,390             0,280                 18

    Bedenkt man, daß bei den Versuchen mit gleichartigen Reizen immerhin auch noch die Intensität des Haupteindrucks herabgedrückt wird, so macht es diese Beobachtung wahrscheinlich, daß die störende Wirkung auf die Aufmerksamkeit bei disparaten Reizen größer ist als bei gleichartigen. Dies bestätigt auch die Selbstbeobachtung bei der Ausführung der Versuche. Man findet es nämlich nicht besonders schwer, den zu dem Geräusch hinzutretenden Schall alsbald zu registrieren; bei den Lichtversuchen hat man aber das Gefühl, daß man sich von dem Geräusch gewaltsam weg- und dem Gesichtseindruck zuwenden müsse. Diese Tatsache steht wohl mit früher berührten Eigenschaften der Aufmerksamkeit in unmittelbarem Zusammenhang. Die Spannung der letzteren ist, wie wir sahen, mit verschiedenen sinnlichen Gefühlen verbunden, je nach dem Sinnesgebiet, auf das sie sich richtet17). Die Innervation, welche bei der Spannung der Aufmerksamkeit existiert, ist also bei disparaten Eindrücken wahrscheinlich eine verschiedene, vielleicht weil sie von verschiedenen Lokalitäten im Zentralorgan ausgeht.

17) Vergl. Kap. XVIII.

    Ein zweites Verfahren, durch welches sich der wechselseitige Einfluß verschiedener Eindrücke ermitteln läßt, besteht darin, daß man entweder gleichzeitig mit dem Haupteindruck oder durch eine sehr kurze Zwischenzeit von demselben getrennt, sei es vorher sei es nachher, einen zweiten momentanen Reiz einwirken läßt. Auch hier kann dieser zweite Reiz entweder dem nämlichen oder einem disparaten Sinnesgebiete angehören; im ersteren Fall muß er nur hinreichend verschieden von dem ersten sein, damit keine Verwechselung stattfinden könne. An dem unten zu beschreibenden physiologischen Chronoskop (Fig. 154) ließen sich leicht hierauf abzielende Versuchsanordnungen herstellen. Es konnten nämlich die für gewöhnlich fast unhörbaren Schwingungen der kleinen Stimmgabel, welche die Zeitmessung besorgt, deutlich hörbar gemacht werden. Das Entstehen des Tons gab dann einen Eindruck, dessen Zeit durch die Einstellung des Apparates willkürlich variiert werden konnte; in der Regel wurde sie so gewählt, daß sie etwas vor den Zeitpunkt des zu registrierenden Reizes fiel. Dieser bestand wieder in einer Reihe von Versuchen in einem Glockenschlag, in einer andern in einem Induktionsfunken. Stets war der störende Klang bedeutend schwächer als der Haupteindruck. War hierdurch der letztere bevorzugt, so war dies aber wieder dadurch einigermaßen ausgeglichen, daß der Stimmgabelklang vorherging. So kam es, daß in einer größeren Reihe von Versuchen mit gleicher Zeitanordnung immer drei Fälle zu unterscheiden waren: 1) solche wo der störende Klang vor dem Haupteindruck gehört wurde, 2) solche wo er gleichzeitig mit demselben und 3) solche wo er nachher gehört wurde. Natürlich muß, wenn diese drei Fälle neben einander sollen eintreten können, der Zeitunterschied der beiden Eindrücke unterhalb einer gewissen Grenze bleiben. Hier aber liegt schon in der Beobachtung selbst, daß sich bei gleichbleibendem Zeitverhältnis der objektiven Reize die zeitliche Auffassung derselben verschieben kann, ein bemerkenswertes Resultat. Diese Beobachtung zeigt nämlich, daß die Sukzession unserer Sinneswahrnehmungen nicht einmal ihrer Richtung nach mit der Sukzession der Sinnesreize übereinstimmen muß, sondern daß ein in Wirklichkeit nachfolgender Eindruck möglicher Weise antizipiert werden kann. Die Selbstbeobachtung läßt den Ursprung dieser Täuschungen nicht zweifelhaft: sie beruhen auf der wechselnden Spannung der Aufmerksamkeit. Bei der oben geschilderten Anordnung der Versuche wird, wenn diese Spannung sehr klein ist, regelmäßig der zuerst entstehende Eindruck, der Stimmgabelklang, auch zuerst wahrgenommen. Sobald aber die dem Haupteindruck zugewandte Spannung bis zu einer gewissen Grenze angewachsen ist, so vermag dieselbe den in Wirklichkeit späteren Reiz doch gleichzeitig oder sogar früher in den Blickpunkt des Bewußtseins zu heben. Je größer die Aufmerksamkeit, um so bedeutender wird die Zeitdifferenz, die von ihr überwunden werden kann. Neben dieser Erscheinung, die sich uns noch bei ganz andern Verfahrungsweisen bestätigen wird, findet man nun die andere, daß die Reihenfolge, in welcher die Eindrücke wahrgenommen werden, auf die Dauer der physiologischen Zeit von großem Einfluß ist. Wird der störende Klang erst nach dem Haupteindruck gehört, so ist die physiologische Zeit des letzteren nicht größer als unter den gewöhnlichen einfachen Bedingungen: der Eindruck wird so aufgefaßt, als wenn der störende Nebenklang gar nicht existierte. Ebenso beobachtet man keine merkliche Abweichung bei gleichzeitiger Auffassung. Wird dagegen der störende Klang vor dem Haupteindruck wahrgenommen, so ist die physiologische Zeit immer vergrößert, wie die folgenden Beispiele zeigen.
            Störender Klang:                                      Mittel.         Maximum.     Minimum.     Zahl d. Vers.
    gleichzeitig oder
    A nachher gehört                                                0,176           0,237          0,140         8
    Schallversuche vorher gehört                              0,228           0,359          0,159        12
    gleichzeitig oder
    B nachher gehört                                                 0,218          0,284          0,158        17
    Lichtversuche vorher gehört                                0,250           0,291          0,212        23

    Bei den disparaten Eindrücken wurde der Lichtreiz, der zu registrieren war, häufiger gleichzeitig mit dem störenden Klang als nach demselben wahrgenommen; bei den gleichartigen Eindrücken trat die synchronische Auffassung seltener ein. Ferner macht sich bei allen diesen Versuchen deutlich eine gewisse Gewohnheit des Beobachtens geltend. Hat man die Eindrücke bei einem ersten Versuch in einer bestimmten Folge wahlgenommen, so ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß sie in dem nächsten Versuch in der nämlichen Folge aufgefaßt werden. Die Spannung der Aufmerksamkeit tritt also, wie dies auch die Selbstbeobachtung bestätigt, vorzugsweise leicht in der ihr einmal angewiesenen Richtung ein. Geschieht plötzlich durch zufällige oder absichtliche Änderung der Beobachtungsweise eine Umkehrung in der bisherigen Reihenfolge der Wahrnehmungen, so pflegt bei dem ersten Versuch dieser Art die physiologische Zeit unter allen Umständen vergrößert zu sein, auch wenn die Änderung so geschieht, daß der Haupteindruck vor den störenden Reiz tritt. Es entspricht dies aber der weiteren Tatsache, daß die ersten Beobachtungen einer neuen Versuchsreihe häufig eine größere physiologische Zeit ergeben als die folgenden. Erst durch Übung gewinnt also die Aufmerksamkeit für eine bestimmte Auffassungsweise die möglichst günstige Anpassung.
    Die Verlängerung der physiologischen Zeit durch die Interferenz des Haupteindrucks mit dauernden oder mit momentanen Reizen kann, wenn wir von dem Fall absehen, wo der störende Reiz gleichartig ist und den Eindruck gegen die Schwelle herabdrückt, wieder nicht wohl in der Perzeptionsdauer ihren Grund haben. Im allgemeinen Blickfeld des Bewußtseins wird ein Lichtblitz von gegebener Stärke in derselben Zeit aufleuchten, ob ihn ein Geräusch begleitet oder nicht. Wohl aber kann die Apperzeption desselben durch einen solchen Nebeneindruck, der fortwährend die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen strebt, wesentlich beeinträchtigt werden. Ferner entsteht die Frage, ob nicht in allen diesen Fällen außerdem noch die Willenszeit verlängert ist. Sobald ein störender Nebeneindruck stattfindet, ist es unmöglich die Spannung der Aufmerksamkeit bis zu ihrem höchsten Grade zu steigern, weil man in diesem Falle jeden Eindruck, auch den nicht beabsichtigten, also den störenden Reiz selbst, registrieren würde. Es zeigt sich nun aber gerade bei diesen Versuchen sehr deutlich, wie innig die beiden Vorgänge der Apperzeption und der Willenserregung mit einander zusammenhängen. Die Aufmerksamkeit so anzuspannen, daß Auffassung des Eindrucks und Willenserregung unmittelbar eins sind, daran hindert eben der gleichzeitig bestehende oder voraufgegangene störende Reiz. Ist jedoch der Eindruck in den Blickpunkt des Bewußtseins getreten, so hat damit auch wahrscheinlich immer die Willenserregung ihre erforderliche Höhe erreicht, weil in den vorliegenden Fällen nicht zugleich eine Wahl zwischen verschiedenen Bewegungen gefordert ist. Da also bei unsern Störungsversuchen durch die ablenkende Wirkung des störenden Reizes auf die Aufmerksamkeit von selbst schon die Vermeidung falscher Registrierung erreicht wird, so ist es wenigstens nicht notwendig dabei neben der vergrößerten Apperzeptionsdauer noch eine vergrößerte Willenszeit anzunehmen. Mit jenem Anwachsen der Spannung, welches zum Eintritt des Eindrucks in den Blickpunkt erfordert wird, kann vollkommen gleichzeitig das Anwachsen der Willenserregung verbunden, und es kann so die Zwischenzeit, wie bei der gewöhnlichen Reaktion auf erwartete Eindrücke, verschwindend klein sein. Übrigens ist zu bemerken, daß zuweilen auch in diesen Versuchen unwillkürlich die Spannung der Aufmerksamkeit zu bedeutend wird, so daß man in der Tat statt des Haupteindrucks den störenden Reiz registriert.
    Den zuletzt besprochenen gerade entgegengesetzte Bedingungen für die Auffassung der Eindrücke werden dann hervorgebracht, wenn dem Hauptreiz, welcher apperzipiert werden soll, ein anderer Reiz nicht, wie in den Störungsversuchen, um eine sehr kurze Zeit vorangeht, sondern nachfolgt. In diesem Fall treten insofern wesentliche Veränderungen der Beobachtungsmethode ein, als es nicht mehr erforderlich ist, die isolierte Auffassung des ersten Eindrucks durch eine ausgeführte Bewegung zu registrieren, sondern man kann nun den zweiten Eindruck, falls er dem nämlichen Sinne angehört, selbst benutzen, um die Apperzeptionsdauer des ersten Eindrucks festzustellen. Es ist zu diesem Zweck nur erforderlich, daß man die Zwischenzeit zwischen den beiden Eindrücken variabel macht und durch Versuche die Zeitdistanz bestimmt, welche nötig ist, damit der erste Eindruck nicht durch den zweiten ausgelöscht werde. Jener Teil der Reaktionszeit, welcher der Willenserregung zugehört, fällt also hier von selbst hinweg. Diesem Versuchsplan setzen sich nun aber Schwierigkeiten entgegen, welche denselben nicht vollständig zur Durchführung gelangen lassen. Jeder Reiz bewirkt nämlich in dem Sinnesorgane eine rein physiologische Nachwirkung, die vorübergegangen sein muß, wenn er von dem nachfolgenden Eindruck getrennt werden soll. Bei einfachen Sinneseindrücken, z. B. bei momentanen Lichtblitzen oder Schallreizen, fällt die Zeitgrenze, innerhalb deren auf einander folgende Eindrücke von gleicher Beschaffenheit getrennt werden können, ohne Zweifel ganz und gar mit dieser Zeit der physiologischen Nachwirkung zusammen. So erklärt es sich, daß das Intervall zwischen intermittierenden Lichtreizen viel größer sein muß, als zwischen Haut- und Schallreizen, wie dies z. B. die folgenden von MACH mitgeteilten Zahlen zeigen18):

Zeitintervall eben unterscheidbarer Eindrücke.
                Auge ........             0,0470 Sekunden.
                Haut (des Fingers)  0,0277 ,,
                Ohr ........               0,0160 ,,
18) Mach, Sitzungsberichte der Wiener Akademie. Bd. 51. S. 142.

    Beim Gehör dauert die Nachwirkung des Reizes am kürzesten; sie fällt hier ziemlich genau mit der früher mittelst der Schwebungen bestimmten Zeitgrenze von etwa 1/60 Sek. zusammen19).

19) Vergl. Kap. IX.

    Ein einzelner Eindruck kann natürlich bei sehr viel kürzerer Dauer eine Empfindung hervorbringen, da die Nachwirkung, die im vorigen Fall das Zusammenfließen der Eindrücke begünstigt, hier im Gegenteil die Wahrnehmbarkeit erleichtert. Doch ist diese Untersuchung erst in Bezug auf Lichteindrücke ausgeführt worden. Hier geht aus EXNER's Beobachtungen hervor, daß hauptsächlich die Intensität und Extensität des Reizes auf die Zeit seiner Auffassung von Einfluß ist. Annähernd nimmt nämlich diese Zeit in arithmetischer Progression ab, wenn die Lichtstärken in geometrischer Progression wachsen; das nämliche Verhältnis scheint zwischen der Ausdehnung der gereizten Netzhautfläche und der erforderlichen Dauer der Reizung zu bestehen. Außerdem befördert die Entwicklung eines Nachbildes die Auffassung. Schneidet man dieses durch einen schnell darauf folgenden Reiz ab, so muß man also den Haupteindruck selbst länger einwirken lassen20).

20) EXNER, Sitzungsber. der WienerAkademie. Math.-naturw. CI. Abth. II. Bd. 58. S. 596 f.

    Anders verhält es sich, wenn der Haupteindruck, der durch einen folgenden ausgelöscht wird, von zusammengesetzterer Art ist, also z. B. aus geometrischen Figuren oder Buchstaben besteht. Der Umstand, dass wir auch solche zusammengesetzte Vorstellungen beim momentanen Blitz des elektrischen Funkens bilden können, darf nicht verführen, für ihre Entstehung wirklich bloß einen momentanen physiologischen Reiz vorauszusetzen; denn wir bedienen uns hierbei gerade jener Nachwirkung des Reizes, durch welche derselbe namentlich beim Auge ziemlich lange von der Empfindung überdauert wird. Man kann nun die letztere in diesem Fall einigermaßen dadurch eliminieren, daß man dem aufzufassenden Eindruck einen andern folgen läßt, welcher, indem er ihn auslöscht, zugleich seine physiologische Nachwirkung abschneidet. Solche Versuche sind von BAXT ausgeführt worden21). Indem dabei die Zeit zwischen dem Haupteindruck und dem zweiten, auslöschenden Reize mehrfach variiert wurde, konnte durch Probieren diejenige Zwischenzeit der beiden Reize bestimmt werden, bei welcher eben noch eine Wahrnehmung zu Stande kam. Da, wenn kein auslöschender Reiz nachfolgt, schon ein momentaner Eindruck genügt, um die Wahrnehmung entstehen zu lassen, so kann man erwarten, daß jene Zwischenzeit der wirklichen Apperzeptionsdauer entspreche. Die so gemessene Zeit ist nun aber erheblich verschieden und nimmt mit der Intensität des auslöschenden Reizes bedeutend zu. Hieraus läßt sich schließen, daß durch schwächere Reize die Entwicklung der Vorstellung nicht völlig abgeschnitten wird, sondern daß sie sich gegen dieselben emporarbeiten kann. Bei verschiedener Stärke des auslöschenden Reizes variierte nämlich unter sonst gleichen Bedingungen die Zeit, die zur Wahrnehmung von etwa 3 Buchstaben erforderlich war, zwischen 1/40 und 1/18Sek. Nehmen wir an, daß durch die stärksten Reize das Emporarbeiten der Vorstellung vollständig abgeschnitten werde, so würde demnach für einen Eindruck dieser Art etwa 1/18 Sek. der Betrag der Apperzeptionsdauer sein22). Mit der Komplikation des Eindrucks nimmt diese Zeit beträchtlich zu. Als z. B. baxt einfachere und kompliziertere Kurven als Objekt benutzte, verhielten sich die gebrauchten Zeiten wie 1 : 523). Auch die Ausdehnung des Eindrucks ist von bedeutendem Einfluß: große Buchstaben können z. B. schon bei einer Zeitdauer gelesen werden, bei der kleine nicht einmal als Buchstaben erkannt werden; es ist aber wohl möglich, daß dies von der Akkommodation des Auges herrührt, weil kleinere Objekte zu ihrer Erkennung eine schärfere Akkommodation nötig machen als große24). Endlich übt auch der Kontrast mit den übrigen im Blickfeld gelegenen Eindrücken eine gewisse Wirkung aus, indem die Apperzeptionsdauer um so kürzer wird, je größer der Beleuchtungsunterschied des wahrzunehmenden Objektes von seiner Umgebung ist25).

21) Baxt, PFLÜGER'S Archiv IV, S. 325.
22) Baxt a. a. O. S. 330.
23) Die Kurven, welche als Objekte dienten, waren Schwingungskurven der LISSAJOU’schen Stimmgabel (S. 331).

24) Außerdem kann dabei die Lage des Bildes auf der Netzhaut in Betracht kommen. Nach Exner's Beobachtungen wird ein Kontur dann am schärfsten wahrgenommen, wenn sein Bild etwa um 0,29 Mm. vom Netzhautzentrum entfernt liegt. Diese Stelle der schärfsten Wahrnehmung fällt nicht mit der empfindlichsten Stelle zusammen, welche nach EXNER etwa 1,33 Mm. vom Mittelpunkt abliegt. (Exner, a. a. 0. S. 627, 631.)
25) BAXT a. a. 0. S. 334.

    Bei diesen und ähnlichen Beobachtungen gehen die beiden einander folgenden Eindrücke kontinuierlich in einander über: zwischen dem ersten und zweiten Reiz findet sich objektiv keine Zwischenzeit, denn in dem Moment, wo der zweite Reiz entsteht, ist die von der Nachwirkung des ersten herrührende Empfindung noch nicht erloschen. Trotzdem ist deutlich ein kleines Intervall zu bemerken, in welchem keiner der beiden Eindrücke mit Bestimmtheit aufgefaßt wird. Es bestätigt sich also hier der im allgemeinen schon hervorgehobene Satz26), daß die Zeit ein diskretes Gebilde sei: den Wechsel der Vorstellungen fassen wir überall als einen unstetigen auf, auch wenn die verursachenden Eindrücke vollkommen stetig in einander übergehen. Es gibt nur einen einzigen Fall, wo auch unsere Vorstellung den Veränderungen des Eindrucks stetig nachfolgt: wenn nämlich diese entweder in stetigen Veränderungen der Qualität und Stärke oder in einem stetigen Ortswechsel im Raume bestehen. Hierbei handelt es sich aber in Wahrheit nicht eigentlich um einen Wechsel von Vorstellungen sondern nur um die stetige Veränderung einer einzigen Vorstellung. Überall dagegen wo an die Stelle eines gegebenen Eindrucks ein anderer verschiedenartiger tritt, da schieben wir ein kleines Intervall zwischen unsere Vorstellungen. Dieses Gesetz des diskreten Wechsels der Vorstellungen beruht nun ganz und gar auf dem Wesen der Apperzeption. Unsere Aufmerksamkeit braucht eine gewisse Zeit, um von einem Eindruck zu einem andern überzugehen. So lange der erste Eindruck dauert, ist ihm die ganze Spannung der Aufmerksamkeit zugewandt: diese kann also nicht vorbereitend anwachsen, um den zweiten im selben Moment, wo er einwirkt, schon zu erfassen. Es vergeht daher eine Zwischenzeit, in welcher der erste Eindruck noch nachwirkt und der zweite sich gegen ihn aufarbeitet. Diese Zeit, die uns im allgemeinen als ein leerer oder doch unbestimmt ausgefüllter Zwischenraum zwischen den zwei deutlichen Vorstellungen zum Bewußtsein kommt, kann nun unter Umständen null werden, so daß die Eindrücke gleichzeitig zu sein scheinen, oder sie kann sogar negative Werte annehmen, wo der spätere Eindruck früher vorgestellt wird.

26) Vergl. Kap. XVI.

    Eine solche Umkehrung in der Reihenfolge der Vorstellungen ist, wie aus unsern früheren Versuchen hervorgeht27), sowohl zwischen disparaten wie zwischen gleichartigen Sinneseindrücken möglich. So kann ein Lichtblitz vor oder nach dem gleichzeitig einwirkenden Tone gehört werden, aber auch ein Schall kann unter besonders günstigen Bedingungen in Bezug auf sein Zeitverhältnis zu einem andern Gehöreindruck verschoben werden. Die Beobachtung, daß man zuweilen beim Aderlaß mit dem Schnepper diesen später in die Haut ein- als das Blut hervordringen sieht28), gehört ebenfalls zu diesen Verschiebungen der Reihenfolge im nämlichen Sinnesgebiet. Bedingung zu ihrem Eintritt ist stets, daß die Aufmerksamkeit vorzugsweise der einen der beiden Vorstellungen zugekehrt sei, wobei außerdem die Stärke des Reizes wesentlich seine Bevorzugung begünstigt. Es ist aber keineswegs notwendig, daß eine solche Zwischenzeit existiere, sondern es können selbst bei sehr gespannter Aufmerksamkeit beide Eindrücke gleichzeitig in den Blickpunkt des Bewußtseins treten: es ist dazu nur erforderlich, daß dieselbe möglichst gleichmäßig auf die zwei Eindrücke gespannt sei, was eben bei den bisher angeführten Beobachtungen gerade nicht stattfand. Einen Fall aber, wo die Bedingungen entgegengesetzter Art sind, haben wir gleichfalls schon kennen gelernt: er liegt in jenen Versuchen vor, wo man einen signalisierten Eindruck möglichst gleichzeitig zu registrieren sucht und dies an der Gleichzeitigkeit der Innervations- und Tastempfindung abmißt. Wir sahen, daß hier nicht nur in der Selbstbeobachtung die Auffassung der verschiedenen Sinne sich meistens als eine gleichzeitige darstellt, sondern daß auch zuweilen die Registrierung wirklich eine gleichzeitige ist. Die Schwierigkeit, dieser Beobachtungen und die verhältnismäßige Seltenheit, mit der es gelingt die physiologische Zeit ganz zum Verschwinden zu bringen, zeigt aber schon, daß es sehr schwer ist, auch nur zwei verschiedene Vorstellungen neben einander bei möglichst gespannter Aufmerksamkeit im Blickpunkt des Bewußtseins festzuhalten. Zugleich muß daran erinnert werden, daß, wie früher schon hervorgehoben29), man dabei immer die verschiedenen Vorstellungen in eine gewisse Verbindung bringt, sie also zu Bestandteilen einer einzigen komplexen Vorstellung gestaltet. Bei den erwähnten Registrierversuchen ist es mir z. B. nicht selten, als wenn ich den Schall, den die Kugel auf dem Fallbrett hervorbringt, selbst durch meine Registrierbewegung erzeugte.

27) Vergl. Beginn des Kap.
28) FECHNER, Psychophysik II, S. 433.
29) Vergl. Kap. XVIII.

    Wichtig für das Wesen der Zeitanschauung ist es nun aber, daß bei der zeitlichen Lagebestimmung zweier Vorstellungen, welche gleichzeitigen oder durch ein sehr kurzes Intervall getrennten Eindrücken entsprechen, von den drei denkbaren Fällen, Gleichzeitigkeit, stetigem und unstetigem Übergang, nur der erste und der letzte vorkommen, nicht der zweite. Sobald wir die Eindrücke nicht gleichzeitig auffassen, wobei wir sie in eine Komplexion vereinigen, bemerken wir immer eine kürzere oder längere Zwischenzeit, die dem Sinken der einen und dem Steigen der andern Vorstellung zu entsprechen scheint. Hierin gibt sich eben deutlich die an sich diskrete Natur unserer Zeitanschauung zu erkennen. Ihre letzte Quelle hat diese in dem Wesen der Apperzeption. Unsere Aufmerksamkeit kann sich möglicher Weise zwei Eindrücken gleichmäßig anpassen: dann treten diese in eine Vorstellung zusammen. Oder sie kann nur einem Eindruck genügend adaptiert sein, um denselben sehr rasch nach seiner Einwirkung zu apperzipieren: dann hat der zweite Eindruck eine gewisse Zeit der Latenz nötig, während deren die Spannung der Aufmerksamkeit für ihn wächst und für den ersten sich vermindert. Jetzt werden die Eindrücke als zwei Vorstellungen wahrgenommen, die in dem Verhältnis der Sukzession zu einander stehen, d. h. durch ein Zeitintervall getrennt sind, in welchem die Aufmerksamkeit auf keinen zureichend adaptiert ist, um ihn zur Apperzeption zu bringen. Es erinnert dies an Beobachtungen, welche uns bei Gelegenheit der Vorstellungsbildung in den Erscheinungen des Glanzes und des Wettstreits der Sehfelder30), schon entgegengetreten sind. Auch sie deuten darauf hin, daß wir alle gleichzeitig von der Aufmerksamkeit erfaßten Eindrücke in eine mehr oder weniger zusammengesetzte Vorstellung vereinigen, daß wir aber, wo diese Vereinigung durch irgend welche Bedingungen gehindert ist, die gleichzeitig gegebenen Eindrücke in eine Sukzession des Vorstellens auflösen. Für die Bewegung der Aufmerksamkeit sind endlich alle diese Tatsachen von großer Wichtigkeit. Wir haben uns diese Bewegung als Wanderung eines Blickpunktes von wechselnder Ausdehnung und von einer im umgekehrten, Verhältnis zur Ausdehnung wechselnden Helligkeit über das Blickfeld gedacht. Die sukzessive Anpassung an verschiedene Eindrücke können wir uns nun so vorstellen, daß der innere Blickpunkt, wenn er von einer Vorstellung zu einer andern übergeht, sich immer zuerst über einen beträchtlichen Teil des ganzen Blickfeldes ausdehnt und hierauf an einer andern Stelle desselben wieder verengert. Auch darin verhält sich also das innere Blickfeld wesentlich verschieden von dem äußern des Auges. Von einem ersten zu einem davon entfernten zweiten Lichteindruck können wir nur übergehen, indem der Blickpunkt zwischenliegende Eindrücke streift. Wenn aber die Apperzeption von einer Vorstellung zur andern eilt, so verschwindet dazwischen alles in dem Halbdunkel des allgemeinen Bewußtseins.

30) Vergl. Kap. XIV.

    Neuen Bedingungen begegnet der Vorgang der Apperzeption endlich dann, wenn eine Reihe in regelmäßigem Wechsel verlaufender Vorstellungen gegeben ist und in diese Reihe nun irgend ein anderer Eindruck eingeschoben wird. Hier entsteht die Frage: mit welchem Glied der Vorstellungsreihe wird die hinzutretende Vorstellung durch die Apperzeption verbunden? Fällt sie regelmäßig mit demjenigen zusammen, mit welchem der äußere Eindruck gleichzeitig ist, oder können Abweichungen hiervon stattfinden? — Auch hier ist der hinzutretende Eindruck entweder ein gleichartiger oder ein disparater Reiz. Ist derselbe gleichartig, tritt z. B. ein Gesichtsreiz in eine Reihe von Gesichtsvorstellungen, ein Schallreiz in eine Reihe von Gehörsvorstellungen, so vermag zwar ebenfalls die Apperzeption die Reihenfolge der Vorstellungen zu verschieben. Solches findet aber ganz innerhalb der engen Grenzen statt, in der sich dies bei der Einwirkung zweier isolierter Eindrücke ereignen kann, so daß zwischen der Verbindung der Vorstellungen und der wirklichen Verbindung der Eindrücke keine oder kaum merkliche Differenzen gefunden werden. Ist dagegen der hinzutretende Eindruck ein disparater Reiz, so ergeben sich sehr bedeutende Zeitverschiebungen der Vorstellung, welche in hohem Grade unsere Beachtung verdienen.
    Am zweckmäßigsten ist es bei diesen Versuchen als Vorstellungsreihe eine Anzahl von Gesichtsvorstellungen, welche man sich leicht mittelst eines bewegten Objektes verschaffen kann, und als hinzutretenden disparaten Eindruck einen Schallreiz zu wählen. Man läßt z. B. vor einer kreisförmigen Skala einen Zeiger mit gleichförmiger und hinreichend langsamer Geschwindigkeit sich bewegen, so daß die Einzelbilder desselben nicht verschmelzen, sondern seine Stellung in jedem Momente deutlich aufgefaßt werden kann. Dem Uhrwerk, welches den Zeiger dreht, gibt man eine solche Einrichtung, daß bei jeder Umdrehung ein einmaliger Glockenschlag ausgelöst wird, dessen Eintrittszeit beliebig variiert werden kann, so daß der Beobachter niemals zuvor weiß, wann der Glockenschlag wirklich stattfindet. Es sind nun bei diesen Beobachtungen drei Dinge möglich: entweder kann der Glockenschlag genau im selben Moment apperzipiert werden, in welchem der Zeiger zur Zeit des Schalls steht; in diesem Fall findet also keine Zeitverschiebung statt. Oder der Schall kann mit einer späteren Zeigerstellung kombiniert werden: dann werden wir, falls der Zeitunterschied so bedeutend ist, daß er nicht bloß auf die Fortpflanzungsvorgänge bezogen werden kann, eine Zeitverschiebung der Vorstellungen annehmen müssen, die wir, wenn der Schall später apperzipiert wird, als er wirklich stattfindet, positiv nennen wollen. Endlich kann aber auch der Glockenschlag mit einer Zeigerstellung kombiniert werden, welche früher liegt, als der wirkliche Schall: hier werden wir die Zeitverschiebung eine negative nennen. Das scheinbar natürlichste, am meisten der Voraussicht gemäße scheint wohl die positive Zeitverschiebung zu sein, da wir vermuten dürfen, daß zur Apperzeption immer eine gewisse Zeit erfordert wird. Man könnte denken, daß diese Versuche sogar die einwurfsfreieste Methode abgeben möchten, um die wirkliche Apperzeptionsdauer beim Wechsel disparater Vorstellungen zu bestimmen, weil bei ihnen die Zeit der Willenserregung wieder gar nicht in's Spiel kommt. Aber der Erfolg zeigt, daß gerade das Gegenteil richtig ist. Der weitaus häufigste Fall ist, daß die Zeitverschiebung negativ wird, daß also der Schall anscheinend früher gehört wird, als er wirklich stattfindet. Viel seltener ist sie null oder positiv. Zu bemerken ist übrigens, daß bei allen diesen Versuchen die sichere Kombination des Schalls mit einer bestimmten Zeigerstellung eine gewisse Zeit erfordert, und daß dazu niemals etwa eine einzige Umdrehung des Zeigers genügt. Es muß also die Bewegung eine längere Zeit hindurch vor sich gehen, wobei auch die Schalleindrücke eine regelmäßige Reihe bilden, so daß immer ein gleichzeitiges Ablaufen zweier disparater Vorstellungsreihen stattfindet, deren jede durch ihre Geschwindigkeit die Erscheinung beeinflussen kann. Dabei bemerkt man, daß zuerst der Schall nur im allgemeinen in eine gewisse Region der Skala verlegt wird, und daß er sich erst allmälig bei einer bestimmten Zeigerstellung fixiert. Ein auf solche Weise durch Beobachtung bei mehreren Umdrehungen zu Stande gekommenes Resultat bietet übrigens noch keine zureichende Sicherheit. Denn zufällige Kombinationen der Aufmerksamkeit spielen hier eine große Rolle. Wenn man sich vornimmt, den Glockenschlag mit irgend einer willkürlich gewählten Zeigerstellung zu verbinden, so gelingt dies gar nicht schwer, falls man nur diese Stellung nicht zu weit von dem wirklichen Ort des Schalls währt. Verdeckt man ferner die ganze Skala mit Ausnahme eines einzigen Teilstrichs, vor welchem man nun den Zeiger vorbeigehen sieht, so ist man sehr geneigt, den Glockenschlag gerade mit dieser wirklich gesehenen Stellung zu kombinieren, und zwar kann dabei leicht ein Zeitintervall von mehr als 1/4 Sekunde ignoriert werden. Brauchbare Resultate lassen sich also nur aus lange fortgesetzten sehr zahlreichen Versuchen gewinnen, in denen sich nach dem Gesetz der großen Zahlen solche unregelmäßige Schwankungen der Aufmerksamkeit immer mehr ausgleichen, so daß die wahren Gesetze ihrer Bewegung deutlich hervortreten können. Obgleich meine Versuche sich, mit freilich vielen unvermeidlichen Unterbrechungen, über eine lange Reihe von Jahren erstrecken, so sind sie daher doch noch nicht zahlreich genug, um alle Verhältnisse zu erschöpfen; immerhin lassen sie die Hauptgesetze erkennen, welchen die Apperzeption unter den angegebenen Bedingungen folgt. Ich habe diese Versuche teils an einer Scheibe, vor welcher ein Zeiger mit konstanter, übrigens zwischen gewissen Grenzen zu variierender Geschwindigkeit sich bewegte, teils an einem Pendel ausgeführt, dessen Schwingungsdauer man durch ein schweres an der Pendelstange verschiebbares Gewicht zwischen 1 und 1,75 Sekunden verändern konnte (Fig. 155). Die Versuche an dem ersten Apparat sind nicht zahlreich genug, doch sind sie hinreichend, um die Abhängigkeit der Zeitverschiebung von der Geschwindigkeit der Vorstellungsreihe erkennen zu lassen. Eine größere Zahl von Versuchen wurde an dem zweiten Apparat ausgeführt; sie lassen außer der Abhängigkeit von der einfachen Geschwindigkeit auch den Einfluß der Geschwindigkeitsänderung erkennen, da bei jeder halben Pendelschwingung zuerst die Geschwindigkeit in der Aufeinanderfolge der Zeigerstellungen bis zu einem Maximum zu- und dann wieder abnimmt.
    Wir müssen nun bei diesen Beobachtungen unterscheiden: 1) die Veränderungen, welche die Zeitverschiebung ihrem Sinne nach erfährt, also die Verhältnisse ihrer positiven, negativen und Nullwerte, und 2) die Schwankungen, welche sie in Bezug auf ihre Größe darbietet. In ersterer Hinsicht zeigt sich die Geschwindigkeit der ablaufenden Vorstellungsreihe vom wesentlichsten Einflusse. Sobald diese Geschwindigkeit eine gewisse Grenze überschreitet, gewinnt die Zeitverschiebung positive, unter dieser Grenze hat sie fast ausnahmslos negative Werte. Bei jener Zeitgrenze selbst ist sie bald positiv, bald negativ und zuweilen völlig null. Hier sind also die günstigsten Bedingungen gegeben, um in einer größern Zahl von Beobachtungen die wirkliche Zeit des Eindrucks wahrzunehmen, zugleich ist aber die mittlere Variation sehr bedeutend. Bei einer Scheibe von 16 cm Halbmesser, an deren Peripherie jeder zehnte Winkelgrad durch einen Teilstrich bezeichnet war, fand ich den angegebenen Grenzwert etwa erreicht, wenn die Umdrehungsgeschwindigkeit gerade 1 Sekunde, also das Zeitintervall zwischen je zwei Glockenschlägen ebenfalls l", dasjenige zwischen zwei Gesichtszeichen 1/36" betrug. Bei noch größerer Geschwindigkeit wurde der Schalleindruck meistens erst mit einem später kommenden, bei kleinerer Geschwindigkeit wurde er fast regelmäßig mit einem vorangehenden Teilstrich kombiniert. Ist die Geschwindigkeit der Vorstellungsreihen veränderlich, so ist dann außerdem die im Moment des hinzutretenden Eindrucks vorhandene Geschwindigkeitsänderung von Einfluß. Man ist nämlich geneigt, in solchen Augenblicken, in denen die Geschwindigkeit zunimmt, eine negative, wo dagegen die Geschwindigkeit abnimmt, eine positive Zeitverschiebung eintreten zu lassen, also immer den hinzutretenden Eindruck mit den langsamer vorübergehenden Gliedern der Reihe zu verbinden. Dies zeigen die Versuche am Pendel, aus denen ich in der nachfolgenden kleinen Tabelle eine Zusammenstellung gebe. Dabei ist zu bemerken, daß die Geschwindigkeit der Pendelschwingungen nur eben der Grenze nahe gebracht werden konnte, bei welcher positive Zeitverschiebung eintritt, so daß im allgemeinen die negative bevorzugt ist. Die Versuche sind nach den Werten der Geschwindigkeit c, die in der ersten Horizontalkolumne verzeichnet sind, und nach den Werten der Geschwindigkeitsänderung c', die in der ersten Vertikalcolumne links stehen, geordnet; c' ist positiv genommen, wenn die Geschwindigkeit zunimmt, negativ, wenn sie abnimmt. Die einzelnen Fälle positiver und negativer Zeitverschiebungen sind nach denjenigen Gruppen geordnet, welche zwischen gewissen Grenzen von c und von c' gefunden wurden. Die zwei Zahlen +1 –8 in der zweiten Vertikalreihe bedeuten also z. B., daß bei einer Winkelgeschwindigkeit zwischen 5 und 7 und bei einer Geschwindigkeitsänderung von 0 bis 10 eine positive auf 8 negative Zeitverschiebungen beobachtet wurde31).
    c'                                     c
    +             5—7         7— 9                     9—11         11—13         13—15
 0—10     + 1—8      + 9—45               +10—39        + 5—24        + 1— 6
10—20         —3      + 3— 5                 + 6—16        + 1—13        + 4— 4
20—30         —        + 1— 1                 + 1— 2              —11              — 2
30—40         —             —                         —                  — 1               — 1
40––50         ––             ––                         ––                  –– 1               ––
––
0—10      + 4—16    +19—35              + 28—31         + 5—24         +1—2
10—20    +14— 4   + 13— 6               + 10—16         + 4—15            — 4
20—30    + 4— 1      + 6— 3                + 4— 6           + 3— 6         + 2—1
30—40    + 1— 1      + 3— 3                + 3— 1           + 1— 5              —
40—50    + 1             + 2— 2                + 1— 4           + 1                 + 1

31) Bezeichnen wir mit t die Schwingungsdauer des Pendels, mit a dessen Amplitude, mit b den Ort des wirklichen Glockenschlags und mit b ' denjenigen des scheinbaren, beide in Winkeln von der Mittellage aus gerechnet, so findet man die Zeit x, die zwischen dem Vorbeigang bei b und bei b ' liegt, aus der folgenden Annäherungsformel:

Mit c ist oben die momentane Geschwindigkeit des Pendels beim Durchgang des Zeigers durch den Punkt b , mit c' die bei diesem Punkte stattfindende Geschwindigkeitsänderung bezeichet. Hiernach ist

Vergl. Duhamel, analytische Mechanik, deutsch von Schlömilch, I S. 369 f.

    Wenn diese Versuche, wie es hier geschehen ist, ein einzelner Beobachter an sich selbst ausführt, so ist es nötig den Ort des Schalls durch möglichst unaufmerksame Einstellung des Glockenschlags zu variieren. Daraus erklärt sich, daß die Versuche ihrer Zahl nach sehr ungleich über die einzelnen Werte von c und c' verteilt sind; namentlich bevorzugt man bei solchen zufälligen Einstellungen vermöge der Einrichtung des Apparates (Fig. 155) leicht diejenigen Hammerstellungen, bei denen die Geschwindigkeitsänderung klein ist. Trotzdem erkennt man deutlich sowohl den Einfluß der Geschwindigkeit wie den der Geschwindigkeitsänderung.
    Beide Einflüsse kommen nun auch bei der Größe der Zeitverschiebung in Rücksicht. Diese ist im allgemeinen am bedeutendsten bei geringer Geschwindigkeit und geringer Geschwindigkeitsänderung, und mit wachsenden Werten beider nimmt sie ab. Will man also eine möglichst kleine Zeitverschiebung erhalten, so müssen c und c' möglichst groß sein. Beispielsweise führe ich die Mittelzahlen einer einen Monat (5. Juli–4. Aug. 1865) dauernden Versuchsreihe an. Die Zahlen der folgenden Tabelle bedeuten die absoluten Werte der Zeitverschiebung. In solchen Rubriken für c und c', in welchen sowohl positive als negative Bestimmungen vorliegen, sind nur diejenigen benutzt, welche der häufigsten Verschiebung zugehören. Die Tabelle läßt daher gleichzeitig wieder an dem Vorzeichen der Zeitwerte den Einfluß der Geschwindigkeitsänderung auf den Sinn der Zeitverschiebung erkennen. Man sieht, daß die letztere bei den langsamsten Geschwindigkeiten der Größe der physiologischen Zeit, wie sie durch die Registrierversuche bestimmt wird, nahe kommt, mit dem Unterschied, daß hier die Zeit negativ ist, indem der Eindruck apperzipiert wird, ehe er wirklich stattfindet. Diese größten Werte der Zeitverschiebung betragen über 1/10". Von da an nimmt sie immer mehr ab, und bei der äußersten Geschwindigkeit und Geschwindigkeitsänderung, welche erreicht werden konnte, ist sie bis auf 1/25" gesunken. Die Abweichungen der Einzelbeobachtungen sind bei diesen Versuchen sehr bedeutend, namentlich wenn man das bei höheren Werten von c und c' häufig vorkommende Überspringen der Zeitverschiebung von der negativen auf die positive Seite und umgekehrt berücksichtigt. Am kleinsten ist die mittlere Variation, nämlich kaum größer als bei den gewöhnlichen Registrierversuchen (0,012—0,025), bei geringer und gleichförmiger Geschwindigkeit. Mit der Größe von c und c' steigt sie dann aber sehr und kann schließlich nahezu den ganzen Betrag der absoluten Zeitverschiebung erreichen.

    c                                                                                     c'
                                            +                                                                                 —
                        0— 10     10—20     20—40                 40¾ 50     0—10     10—20     20—40     40—50
    5—7             —0,124      —0,070    —                         —       —0,120                     +0,069           —
                                                                                                                        + 0,076
    7—9             —0,095      —0,073    —                         —                                         +0,079           —
    9¾ 11         ¾ 0,082                                                    ¾         + 0,083
                                            ¾ 0,069   ¾ 0,055                                             +0,077    +0,069         +0,040
   11¾ 13         ¾                                                            ¾                 ¾

    Es ist zweifellos, daß bei Beobachtungen dieser Art individuelle Unterschiede von bedeutender Größe vorkommen. Für die Nachweisung derselben fehlt es mir an unmittelbarem Material; doch werden sie schon durch die Schwankungen, die der einzelne Beobachter zu verschiedenen Zeiten an sich selbst findet, wahrscheinlich. Direkter noch geht ihre Existenz aus gewissen astronomischen Beobachtungen hervor, deren Bedingungen mit unsern Versuchen im wesentlichen übereinstimmen. Bei der älteren Methode, die Zeit des Durchgangs eines Sterns durch den Meridian des Beobachtungsortes zu bestimmen, bedient sich der Astronom eines an einem Stativ um einen Vertikal- und einen Horizontalkreis drehbaren Fernrohrs, des sogenannten Passageinstruments. Zur Orientierung im Gesichtsfelde dient ein in der gemeinsamen Fokalebene der Objektiv- und Ocularlinse ausgespanntes Fadennetz, das gewöhnlich aus 2 Horizontalfäden und aus 5 oder 7 Vertikalfäden besteht. Das Fernrohr wird nun so aufgestellt, daß der mittlere Vertikalfäden genau mit dem Meridiane zusammenfällt. Einige Zeit, ehe der Stern diesen Faden erreicht, sieht man nach der Uhr und zählt dann, während man durch das Fernrohr blickt, nach den Schlägen der Uhr die Sekunden weiter fort. Da nun der Stern, namentlich wenn er eine größere Geschwindigkeit besitzt32), selten mit dem Sekundenschlag durch den Meridian treten wird, so muß der Beobachter, um auch noch die Bruchteile einer Sekunde bestimmen zu können, sich den Ort des Sterns bei dem letzten Sekundenschlag vor dem Durchtritt und bei dem ersten Sekundenschlag nach dem Durchtritt durch den Mittelfaden des Fernrohrs merken und dann die Zeit nach dem durchmessenen Raum einteilen. Gesetzt z. B. man habe 20 Sekunden gezählt, bei der 21sten Sekunde befindet sich der Stern im Abstand a c, bei der 22sten im Abstand b c von dem Mittelfaden c (Fig. 152), und es verhalten sich a c : b c wie 1 : 2, so muß, da die ganze Distanz a b in einer Sekunde durchlaufen wurde, der Stern den Mittelfaden c bei 211/3 Sek. Uhrzeit passiert haben. Offenbar sind nun die Bedingungen bei diesen Beobachtungen ähnliche wie bei unsern Versuchen. Die Bewegung des Sterns vor den Vertikalfäden des Fernrohrs gleicht der Vorbeibewegung des Zeigers vor der Skala der Scheibe oder des Pendels. Es wird also auch hier eine Zeitverschiebung erwartet werden können, die bei größeren Geschwindigkeiten leichter im positiven Sinne, im entgegengesetzten Fall leichter im negativen stattfinden wird. Die Beobachtungen der Astronomen geben keine Gelegenheit, die absolute Größe dieser Zeitverschiebung zu bestimmen. Aber die Existenz derselben verrät sich darin, daß, nachdem alle sonstigen Fehler der Beobachtung möglichst eliminiert sind, stets zwischen den Zeitbestimmungen je zweier Beobachter eine bestimmte Differenz bleibt, die man nach dem Vorgang von bessel als persönliche Differenz oder persönliche Gleichung zu bezeichnen pflegt33). Sie beläuft sich in vielen Fällen nur auf Zehn- oder Hundertteile einer Sekunde, in andern kann sie eine volle Sekunde und darüber betragen. Es ist wohl kaum zu bezweifeln, daß bei den kleineren persönlichen Gleichungen die Zeitverschiebungen der zwei Beobachter im selben Sinne stattfinden und nur von verschiedener Größe sind; wo die persönlichen Gleichungen bedeutender sind, werden dagegen auch Unterschiede in der Richtung der Zeitverschiebung zu erwarten sein. Dabei kommt überdies in Betracht, daß bei jeder Durchgangsbestimmung eine doppelte Lagebestimmung des Sterns stattfindet, daher die individuellen Unterschiede der Zeitverschiebung sich verdoppeln müssen34). Hieraus erklärt es sich, daß die persönliche Gleichung meistens größer ist, als man nach den unter einfacheren Bedingungen erhaltenen absoluten Zeitwerten der obigen Tabelle erwarten würde. Die Vergleichung der persönlichen Differenzen einzelner Beobachter, welche in mehreren Fällen durch viele Jahre hindurch fortgesetzt wurde, zeigt ferner, daß dieselben keineswegs konstant sind. Offenbar stehen also die individuellen Bedingungen der Aufmerksamkeit nicht stille, sondern sie sind teils unregelmäßigeren Schwankungen teils aber auch länger dauernden stetigen Veränderungen unterworfen.

32) Dies ist immer der Fall, weil man die Methode so wie sie oben beschrieben ist nur bei solchen Sternen anzuwenden pflegt, die nicht allzufern vom Himmelsäquator liegen. Bei dem Polarstern ist die Beobachtungs-weise eine andere, worauf wir hier nicht näher eingehen können, da dieselbe für die vorliegende Frage ohne jedes Interesse ist. Vergl. darüber peters, astronomische Nachrichten, Bd. 49, S. 16.

33) Bessel, astronomische Beobachtungen der Sternwarte zu Königsberg. Abth. VIII. 1822.

34) ARGELANDER bemerkt überdies, daß bei der Beobachtung des Sterns nach dem Durchgang durch den Mittelfaden die Aufmerksamkeit erschöpft sei, weshalb man hier den Stern beim Sekundenschlag zuweilen an zwei Orten zu sehen glaube, deren Zeitdistanz 0,1—0,15 betragen könne. (Tageblatt der Naturforscherversammlung zu Speyer. 1861. S. 25.)

    Alle diese Erscheinungen, welche bei der Ordnung disparater Vorstellungsreihen zur Beobachtung kommen, erklären sich leicht aus den uns nunmehr schon aus andern Beobachtungen geläufigen Spannungsgesetzen der Aufmerksamkeit. Jeder Eindruck bedarf einer gewissen Zeit zu seiner Apperzeption. Diese wird wesentlich abgekürzt, wenn der Eindruck zuvor in Bezug auf seine Qualität und Stärke bekannt ist. Sie wird noch mehr vermindert, wenn auch die Zeit seines Eintritts bestimmt wurde. Wir sind schon früher auf Tatsachen aufmerksam geworden, welche darauf hindeuten, daß in solchen Fällen unter Umständen die Apperzeption dem wirklichen Eindruck vorauseilen kann. Bei den jetzigen Beobachtungen sind nun Bedingungen eingeführt, welche eine solche negative Zeitverschiebung mit einer gewissen Regelmäßigkeit herbeiführen. Sobald nämlich die Vorstellungsreihe, mit welcher sich der in bestimmten Zeitintervallen einwirkende Reiz verbindet, mit einer gewissen Langsamkeit abläuft, erreicht die auf denselben gerichtete vorbereitende Spannung der Aufmerksamkeit regelmäßig schon vor dem Stattfinden des Eindrucks ihr Maximum, und dieser wird nun mit einem Gesichtszeichen kombiniert, das ihm in Wirklichkeit vorangeht. Je schneller aber die Vorstellungsreihe abläuft, um so schwerer gelingt es vor dem Stattfinden des Eindrucks die Aufmerksamkeit hinreichend auf denselben anzuspannen, daher zuerst die Zeitverschiebung in ihren negativen Werten abnimmt, dann auf null sinkt und zuletzt ihre positiven Größen erreicht. Der Punkt des Übergangs von der einen zur andern Seite wechselt nun schon bei einem und demselben Beobachter, und offenbar zeigt er bei verschiedenen Individuen noch viel größere Abweichungen. So erklärt sich die persönliche Gleichung, und es stimmt damit vollständig überein, daß die letztere nach den Beobachtungen aller Astronomen bei der Zeitbestimmung plötzlicher Erscheinungen bedeutend vermindert wird35). Hierbei kann die Zeitverschiebung nur noch eine positive sein, weil die Anspannung der Aufmerksamkeit erst bei der Perzeption des Eindrucks zur erforderlichen Größe anwachsen kann. Die beobachtete Zeit wird daher in diesem Fall von der wirklichen mehr abweichen als bei erwarteten Erscheinungen, aber die einzelnen Beobachtungen werden weniger von einander differieren, wie dies auch die Tatsache bestätigt, daß der mittlere Beobachtungsfehler bei solchen plötzlichen Zeitbestimmungen kleiner ist. Die merkwürdige von bessel beobachtete Erscheinung endlich, daß seine persönliche Gleichung mit andern Beobachtern sich nahezu auf die Hälfte verminderte, wenn er eine Uhr benutzte, die statt ganzer halbe Sekunden schlug, erklärt sich vollständig aus dem oben nachgewiesenen Einfluß der Geschwindigkeit. Wir haben denselben unter Bedingungen näher verfolgt, wo die Sukzession der Gesichts- und der Gehöreindrücke immer gleichzeitig variiert wurde. Es ist aber klar, daß die bloße Änderung in der Geschwindigkeit der Schallvorstellungen den nämlichen Erfolg herbeiführen muß. Die Aufmerksamkeit kann sich einem neuen Schall erst wieder akkommodieren, wenn der letzte vorbeigegangen ist. Wenn also bei langsamerer Folge der Pendelschläge die Zeitverschiebung negativ war, so wird sie bei schnellerer positiv werden. In der Tat ist nun dies offenbar bei BESSEL der Fall gewesen, der eine auffallend große Neigung zu negativer Zeitverschiebung besessen haben muß, da er die Sterndurchgänge früher als alle andern Beobachter sah.

35) Die astronomische Zeitbestimmung plötzlicher Erscheinungen geschieht in etwas verschiedener Weise. Im allgemeinen schätzt man dabei entweder die Zeit, die seit dem letzten Sekundenschlag verflossen ist, oder diejenige, die bis zum nächsten Schlag verfließt, nach dem Gehör. Vergl. Peters a. a. O. S. 21.

    Unsere Versuche lehren endlich noch einen leicht begreiflichen Einfluß der Geschwindigkeitsänderung kennen. Der Aufmerksamkeit wird es um so schwerer, den hinzutretenden Schall mit einer bestimmten Stellung des Zeigers zu kombinieren, mit je größerer Geschwindigkeit sich der letztere bewegt. Wir sind daher, wo dessen Geschwindigkeit ungleichförmig ist, von vornherein geneigt, den Schall in die langsameren Teile der Bahn zu verlegen. So kommt es, daß die Zeitverschiebung bei zunehmender Geschwindigkeit leichter negativ, bei abnehmender positiv wird.
    Blicken wir auf den ganzen Kreis der nun über den Eintritt und Verlauf der Vorstellungen ermittelten Erscheinungen zurück, so sprechen sich in denselben vor allem die Tatsachen aus, daß 1) die Aufmerksamkeit stets einer gewissen Anpassungszeit bedarf, um die Eindrücke in den Blickpunkt des Bewußtseins zu heben, und 2) daß solche Anpassung, wo die Sinnesreize in Bezug auf irgend welche ihrer Elemente vorher bekannt sind, vorbereitend geschehen kann. Hierdurch wird die Zeit zwischen Perzeption und Apperzeption mehr oder weniger abgekürzt, oder sie kann, falls die Eindrücke auch in Bezug auf ihren Zeiteintritt bestimmt sind, sogar negativ werden. Sind die Bedingungen derart, daß gleichzeitig mit der Apperzeption des Eindrucks eine Willenserregung stattfinden soll, so sind wieder zwei Fälle zu unterscheiden. Es kann 1) die Art der willkürlichen Bewegung zuvor gegeben und eingeübt sein, oder sie kann 2) unbestimmt gelassen werden, indem man sie von der variabeln Beschaffenheit des aufzufassenden Reizes abhängig macht. Im ersten Fall ist in der Regel eine besondere Willenszeit nicht vorhanden: die Entwicklung des Willensimpulses fällt hier vollständig mit der Apperzeption zusammen. Sobald die letztere vollendet ist, wird gleichzeitig oder wenigstens nach verschwindend kurzer Zwischenzeit auch der Eindruck registriert. Diese Tatsache kann nicht anders als durch die Annahme erklärt werden, daß die vorbereitende Spannung der Aufmerksamkeit in einem Innervationsvorgang besteht, welcher sich gleichzeitig als anwachsende Willensenergie geltend macht. Hiermit steht es im vollen Einklang, daß jene vorbereitende Spännung selber ein willkürlicher Akt ist. Als physiologische Grundlage des Vorgangs der Apperzeption haben wir also hier das Anwachsen einer motorischen Innervation vorauszusetzen, welche vollkommen gleichzeitig bereit ist auf ein bestimmtes zentrales Sinnesgebiet überzufließen und eine bestimmte motorische Leitung zu ergreifen. Auch das subjektive Gefühl der Aufmerksamkeit wechselt daher bei diesen Beobachtungen mit beiden Bedingungen: es verändert sich mit der Qualität und Stärke des erwarteten Eindrucks und mit der Form der intendierten Bewegung36). Nun kann von diesen zwei Bedingungen die eine oder die andere mehr oder weniger unbestimmt gelassen werden. Ist die Art des äußeren Eindrucks völlig unbekannt, so gewinnt zwar die motorische Spannung das zureichende Maß vorbereitender Energie, aber der Abfluß der motorischen Innervation teilt sich nun zwischen verschiedenen Sinnesgebieten. So entsteht ein Gefühl der Unruhe, sehr verschieden von jener sichern Spannung, welche der Beobachtung eines erwarteten Eindrucks vorangeht. Hier ist nun die Apperzeptionsdauer vergrößert, aber die Willenszeit fällt noch immer mit derselben zusammen. Minder erschwert wird die Apperzeption, wenn wenigstens die Qualität der Reizung bekannt ist. Jetzt ist der vorbereitenden Innervation ihr bestimmter Weg angewiesen, nur die Stärke, zu welcher sie in ihrer sensorischen Abzweigung anwachsen soll, ist unbestimmt gelassen. Eine ähnliche Teilung der Aufmerksamkeit wie bei der offen gelassenen Wahl zwischen verschiedenen Sinnen entsteht, wenn vor der Beobachtung die auszuführende Bewegung unbestimmt bleibt. Hier wechselt die vorbereitende Spannung zwischen den motorischen Gebieten, unter denen die Wahl stattfinden soll; es entsteht ein ähnliches Gefühl der Unruhe wie oben, das aber doch in seiner subjektiven Beschaffenheit wieder charakteristisch verschieden ist. Nun muß, nachdem der sensorische Teil der Apperzeption vollendet ist, der motorische erst seine zureichende Stärke gewinnen.

36) Vergl. Kap. XVIII.

    Diese Betrachtungen führen demnach zu dem Schlusse, daß die Apperzeption und die Willensreaktion auf dieselbe im wesentlichen einen zusammenhängenden Vorgang darstellen, dessen physiologischer Ausgangspunkt in den Gebieten der zentralen motorischen Innervation liegt. Steht die willkürliche Bewegung zu dem erwarteten Sinneseindruck in fester Beziehung, so ist der Vorgang auch nach seinem Zeitverlauf ein einziger. Ist dies nicht der Fall, sondern muß nach geschehener Wahrnehmung noch eine gewisse Wahl stattfinden, so trennt sich der ganze Vorgang in zwei Akte, die aber im Grunde beide nur verschiedene Formen der Apperzeption sind. Denn jene Wahl zwischen den verschiedenen Bewegungen besteht eben nur darin, daß die dem Sinneseindruck korrespondierende Art der Bewegung apperzipiert wird. Der Vorgang der Apperzeption, vorhin ein einziger, fällt nun in zwei aus einander. Jeder derselben geht aus von einer zentralen Willenserregung: diese ist aber bei dem ersten auf zentrale Sinnesgebiete, bei dem zweiten auf zentrifugale motorische Leitungen gerichtet. So drängen diese Erwägungen schließlich zu der Voraussetzung hin, daß jene Zentralgebiete, von denen aus unsere willkürlichen Bewegungen beherrscht werden, gleichzeitig in eine nahe Verbindung mit den zentralen Sinnesflächen gesetzt sind. Die Apperzeption und der Impuls zur freiwilligen Bewegung sind nur verschiedene Formen der Willenserregung. Dies ist der Grund, weshalb beide unter allen Umständen so innig an einander gekettet sind, unter gewissen Bedingungen aber, sogar in einen einzigen Akt zusammenfallen können. Wir werden sehen, daß diese Folgerung in den Erscheinungen der willkürlichen Reproduktion der Vorstellungen eine vollkommen selbständige Bestätigung findet. Auch eine physiologische Tatsache, welche für die bisher angenommene Trennung der zentralen Sinnesvorgänge und der Willensreaktionen ein Rätsel bleiben mußte, empfängt nun mit einem Mal ein unerwartetes Licht. Wir sahen, daß von den Vorderteilenhirn höchst wahrscheinlich die willkürlichen Bewegungen ausgehen, während die zentralen Sinnesflächen vorzugsweise in den hinteren Gebieten der Hirnrinde zu liegen scheinen. Anderseits ist es kaum zu bezweifeln, daß die höheren Geistesfunktionen namentlich an die Entwicklung des Vorderhirns gebunden sind. (Kap. IV u. V.) Dieser Zusammenhang wird erst verständlich, wenn wir erwägen, daß jene Herde der Willensinnervation zugleich die Sinneszentren beherrschen und so nicht bloß die Bewegung sondern auch die Auffassung der Sinneseindrücke und, wie wir bald sehen werden, den Wechsel der reproduzierten Vorstellungen bestimmen.
    Etwas anders gestalten sich die Bedingungen der Apperzeption, wenn diese nicht mit einer Willensreaktion verbunden ist, sondern wenn sie entweder unmittelbar in Bezug auf ihre Dauer bestimmt wird, dadurch, daß man die Auffassung eines ersten Eindrucks durch einen nachfolgenden von großer Stärke abschneidet, oder wenn sie, wie in den zuletzt dargestellten Versuchen, in Bezug auf das Verhältnis der Apperzeptionen verschiedenartiger Eindrücke zu einander untersucht wird. Die erstgenannten Beobachtungen lehren uns im allgemeinen, daß die ohne motorische Miterregung vollzogene Apperzeption wahrscheinlich eine nur wenig kürzere Dauer beansprucht, als wenn gleichzeitig eine gegebene Willensreaktion gefordert ist, was mit unseren Resultaten und Schlußfolgerungen wohl übereinstimmt. Wichtiger sind die Erscheinungen der Zeitverschiebung, die sich bei der Einordnung eines zu bestimmter Zeit erwarteten Reizes in eine ablaufende Vorstellungsreihe ergeben. Hierbei ist die regelmäßige Wiederholung des einzuordnenden Reizes von wesentlicher Bedeutung. Dadurch wird die Apperzeption nicht nur im allgemeinen vorbereitet, sondern es wird auch, sobald das regelmäßige Intervall verflossen ist, der Eindruck unmittelbar reproduziert. Dieser Umstand macht im allgemeinen schon die Tatsache der negativen Zeitverschiebung begreiflich. Sobald nämlich zwischen dem Lebendigwerden des Erinnerungsbildes und dem wirklichen Stattfinden des Eindrucks ein nicht zu langes Intervall liegt, werden beide zusammenfließen, und es wird jetzt der Moment, wo das Erinnerungsbild lebendig geworden ist, für den Moment des Eindrucks gehalten werden. Von der Richtigkeit dieser Erklärung kann man sich leicht bei den oben besprochenen Schallversuchen mit vorausgehendem Signal überzeugen. Wir haben gesehen, daß hier auch die Apperzeption und der Willensimpuls zuweilen dem Eindruck vorangehen müssen, weil dieser nahezu gleichzeitig registriert werden kann. Schiebt man nun in eine Versuchsreihe, in welcher möglichst rasch registriert wird, einen einzelnen Versuch ein, bei welchem dem Signal der wirkliche Eindruck gar nicht nachfolgt, so ereignet es sich sehr häufig, daß trotzdem auf denselben reagiert wird, obgleich der Beobachter im Moment der Bewegung schon weiß, daß der Eindruck nicht stattfand. Hier ertappt man sich also direkt darüber, daß man in Wahrheit nicht auf den wirklichen Eindruck, sondern auf das aus früheren Versuchen in Bezug auf seine Zeit bekannte Erinnerungsbild reagiert. Ganz dasselbe findet sich nun bei unsern Beobachtungen über die Interpolation einander folgender Schalleindrücke in eine Reihe von Gesichtsvorstellungen. Dieselben unterscheiden sich aber in der einen Beziehung, daß bei ihnen in gewissen Fällen, namentlich bei langsamer Bewegung der Vorstellungsreihen, die negative Zeitverschiebung viel bedeutendere Größen erreichen kann. Dies erklärt sich jedoch aus den immerhin wesentlich verschiedenen Bedingungen des Versuchs. Zahlreiche Erfahrungen bezeugen es, daß eingeübte Verbindungen bestimmter willkürlicher Bewegungen mit Sinneswahrnehmungen außerordentlich fest werden, so daß ja, wie wir gesehen haben, Apperzeption und Willenserregung in solchem Falle ein einziger Vorgang sind. Dies ist ganz anders bei der Einordnung eines Sinneseindrucks in eine Reihe disparater Vorstellungen. Hier kann der Eindruck innerhalb gewisser Grenzen mit jeder dieser Vorstellungen kombiniert werden, so daß die Verbindung nur noch von dem Spannungswachstum der Aufmerksamkeit abhängt. Die Versuche lehren nun, daß dieses Spannungswachstum durch die Geschwindigkeit bestimmt wird, mit welcher die Eindrücke auf einander folgen. Bei einer gewissen Geschwindigkeit kann sich die Anpassung der Aufmerksamkeit gerade vom einen Schall zum andern vollenden: hier ist daher die Zeitverschiebung durchschnittlich null, oder sie wechselt zwischen positiven und negativen Werten von annähernd gleicher Größe. Bei noch größerer Geschwindigkeit ist die Anpassung noch nicht vollendet, bei einer kleineren ist sie durchschnittlich früher vollendet. Dabei ist aber offenbar die Anpassungsgeschwindigkeit selbst nicht immer dieselbe, sondern sie ist größer, wenn die Eindrücke rascher, kleiner, wenn dieselben langsamer auf einander folgen. So kommt es, daß der absolute Wert der Zeitverschiebung um so größer wird, mit je geringerer Geschwindigkeit die Vorstellungen ablaufen. Ist nun aber durch die Schnelligkeit der Sukzession eine große Anpassungsgeschwindigkeit der Aufmerksamkeit gefordert, so wird dieselbe zugleich unsicherer, daher mit der Abnahme der mittleren Zeitverschiebung die Abweichungen zwischen den einzelnen Beobachtungen wachsen.

    Die obenstehenden Untersuchungen verdanken ihre ganze Anregung den Arbeiten von Bessel37) über die persönliche Gleichung bei den astronomischen Durchgangsbeobachtungen. Der Ausdruck "persönliche Gleichung" rührt von bessel selbst her, da er die bisher völlig unerklärt gebliebenen Differenzen der Zeitbestimmung auf individuelle Eigenschaften der Beobachter zurückführte. Die Aufdeckung dieser Fehlerquelle ist für die Astronomen der Anlaß zur Einführung der Registrierapparate geworden, bei denen sowohl die Zeitsekunden wie die Momente der Beobachtung durch galvanische Vorrichtungen aufgezeichnet werden, so daß hier die Versuchsbedingungen den im ersten Teil unserer Versuche gegebenen gleichkommen. Erst seit Einführung der Registrierapparate sind auch einige Versuche gemacht worden, mittelst derselben die absolute Größe der physiologischen Zeit zu bestimmen, so von HARTMANN38) und von HIRSCH und PLANTAMOUR39). Doch kommt dabei in Betracht, daß der Wert der persönlichen Differenz, wie namentlich die Zusammenstellungen von Peters40) zeigen, bei der Registriermethode erheblich kleiner ist als bei der älteren Methode der Beobachtung mit dem Passageinstrument. Ich selbst habe schon im Jahre 1861 vor der astronomischen Sektion der Naturforscherversammlung in Speyer über Versuche berichtet, die den letzteren Beobachtungen nachgebildet waren41). Seither sind dann namentlich von HIRSCH42), von DONDERS und De Jaager43) und in neuester Zeit von EXNER44) in physiologischem Interesse Versuche nach der Registriermethode ausgeführt worden.

37) Astronomische Beobachtungen auf der kgl. Universitäts-Sternwarte zu Königsberg. Abth. VIII. Königsberg 1822.
38) GRUNERT'S Archiv f. Mathematik und Physik. Bd. 31. 1858 S. 1 f.
39) Moleschott's Untersuchungen IX, S. 200 f.
40) Astronomische Nachrichten, Bd. 49, S. 24.
41) Tageblatt der Naturforscherversammlung zu Speyer. 1861. S. 25.
42) a. a. O. S. 185.
43) De Jaager, de physiologische Tijd bij psychische Prozessen. Utrecht 1865. DONDERS, Archiv f. Anatomie u. Physiologie. 1868. S. 657 f.
44) Pflüger's Archiv VII, S. 601 f.

    Die Beobachtungen der Astronomen über die persönliche Gleichung geben, da sie immer nur Differenzwerte enthalten, natürlich nur über einzelne Punkte Aufschluß. Sie sind namentlich wertvoll durch die Veränderungen in der physiologischen Zeit, die sie erkennen lassen und die teils in langen Zeiträumen stetig geschehen, wobei sie eine bedeutende Größe erreichen können, teils aber auch als unbedeutende Schwankungen in kürzerer Zeit sich geltend machen. Ein auffallendes Beispiel langsamer Veränderung gibt die folgende, von PETERS45) mitgeteilte Tabelle über die mittlere persönliche Differenz zwischen den Astronomen Main und ROGERSON vom Jahre 1840 bis 1853; sie beziehen sich auf die ältere Methode am Passageinstrument.

     M—R                                             M—R
1840  - 0,15                                         1847 + 0,35
    41 + 0,08                                            48 + 0,37
    43 + 0,20                                            49 + 0,39
    44 + 0,18                                            50 + 0,45
    45 + 0,20                                            51 + 0,47
    46 + 0,26                                            52 + 0,63                       53 + 0,70
45) a. a. O. S. 20.

    Es ist augenscheinlich, daß hier, von einer sehr kleinen Schwankung (zwischen 1843 und 45) abgesehen, die persönliche Gleichung in einer stetigen Zunahme in positivem Sinne begriffen ist, so daß die ganze Veränderung innerhalb der 13 Jahre 0,85" erreicht. Innerhalb eines einzigen Tages beobachteten WOLFERS und nehus am Passageinstrument Differenzen bis zum Betrag von 0,22". HIRSCH und plantamour. bestimmten ihre persönliche Gleichung am Registrierapparat an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zu (H—P) + 0,047 und + 0,11446). EXNER suchte den Zusammenhang der physiologischen Zeit mit dem Temperament und sonstigen Eigenschaften zu ermitteln, indem er dieselbe, bei möglichst verschiedenen Individuen an einem Registrierapparat bestimmte. Es zeigte sich aber, daß sehr phlegmatische Personen durchschnittlich eben so rasch auf Eindrücke reagieren als andere. Bei einem 77-jährigen Greise war zwar die physiologische Zeit anfänglich bedeutend größer als bei den andern Beobachtern; aber dieser Unterschied glich sich zum großen Teil durch fortgesetzte Übung aus. Auch Genuß von Tee und Morphium hatte keinen nachweisbaren Einfluß; nur ein Versuch mit Rheinwein gab positive Resultate, indem durch die Einverleibung von zwei Flaschen dieses Getränkes die verbrauchte Zeit von 0,19 auf 0,29" gesteigert wurde47). —

46) MOLESCHOTT'S Untersuchungen IX, S. 205.
47) EXNER, a. a. O., S. 628.

    Die Hilfsmittel zur Untersuchung der Apperzeptionszeit zerfallen in die Registrier- und in die Passageapparate. Mit dem letzteren Namen will ich alle diejenigen Vorrichtungen belegen, welche durch die Methode der Beobachtung mit dem älteren Passageinstrument der Astronomen Ähnlichkeit haben. Die Registrierapparate sind sehr zahlreich. Auf vielen Sternwarten ist gegenwärtig der KRIlLE'sche Registrierapparat eingeführt. Derselbe besteht im wesentlichen aus einem durch ein Uhrwerk in gleichmäßige Rotation versetzten horizontal liegenden Zylinder und aus drei mit Zeichenstiften versehenen Elektromagneten, die, während der Zylinder rotiert, ebenfalls mit gleichförmiger Geschwindigkeit auf einem Schlitten an demselben vorbeibewegt werden. Jeder Stift befindet sich durch eine Hebelverbindung in einer solchen Lage zum Zylinder und zu seinem Elektromagneten, daß er, im Moment wo der Strom des letzteren geschlossen oder geöffnet wird; auf dem Papier des Zylinders eine Linie beschreibt, die nach der Abwicklung des Papiers eine vertikale Ordinate bildet, zu welcher die bei dauerndem Offensein des Stromes gezogene Linie die horizontale Abszissenlinie ist. Der erste Elektromagnet befindet sich in solcher Verbindung mit der astronomischen Uhr, daß sein Strom immer beim einen Sekundenschlag geöffnet und beim andern wieder geschlossen wird. Die Ströme der beiden andern Elektromagnete können jeder durch einen auf eine Taste ausgeübten Druck eines Beobachters plötzlich geschlossen und beim Nachlassen des Drucks wieder geöffnet werden. Es können somit gleichzeitig zwei Beobachter, die entweder an verschiedenen Orten oder der eine am Meridiankreis, der andere am Äquatorealkreis observieren, auf das Instrument aufzeichnen. Bei physiologischen Beobachtungen kann man aber die Einrichtung so treffen, daß der Strom des einen Elektromagneten durch den äußeren Reizungsvorgang unterbrochen wird48).

48) Eine ausführliche Beschreibung des KRILLE'schen Registrierapparats geben peters, astronomische Nachrichten, Bd. 49 , und KUHN, angewandte Elektrizitätslehre, Leipzig, 1866, S. 1254. (KARSTEN's Enzyklopädie der Physik XX.) In letzterem Werke sind außerdem zahlreiche andere Apparate zu chronoskopischen Zwecken beschrieben. Über weitere Vorrichtungen vergl. auch hankel, POGGEKDORFF's Annalen Bd. 132, S. 134, DONDERS, Archiv für Anatomie und Physiologie 1868 (Nederl. arch. 1867), EXNER, pflüger's Archiv VII, S. 659.

    Ich selbst habe zu meinen Versuchen zwei Registrierapparate benutzt: erstens das hipp'sche Chronoskop, mit welchem auch hirsch und PLANTAMOUR ihre Versuche ausführten, und zweitens einen eigens zu diesen Zwecken gebauten Apparat, den ich, weil er speziell zur Messung der physiologischen Zeit unter verschiedenen Verhältnissen dient, das physiologische Chronoskop nennen will.
    Das HIPP'sche Chronoskop (Fig. 153 H) ist ein durch ein Gewicht getriebenes Uhrwerk, in dessen Steigrad eine Regulatorfeder in der Weise eingreift, daß sie im Ruhezustand das Rad kaum am Umdrehen hindert, bei der Bewegung aber in Schwingungen gerät, durch welche die Geschwindigkeit des Steigrads und dadurch des ganzen Uhrwerks eine gleichförmige wird. In Gang gesetzt wird das Uhrwerk durch Ziehen an dem Knöpfchen a, dessen Schnur mit einem Auslösehebel in Verbindung steht; angehalten wird es durch einen zweiten Hebel, den man durch Ziehen an b beherrscht. Der Zeiger des oberen Zifferblatts Z2 macht eine Umdrehung grade in 1/10 Sek. Da es in 100 Teile geteilt ist, so entspricht also jeder Teilstrich 1/1000". Der Zeiger des unteren Zifferblatts Z1 rückt, während der obere Zeiger eine ganze Umdrehung macht, um einen Teilstrich weiter fort, vollendet also eine ganze Umdrehung in 10". Die wesentliche Einrichtung des Chronoskops besteht nun darin, daß das Rad, welches die Bewegung des Uhrwerks zunächst auf den Zeiger des oberen und damit indirekt auch auf den des unteren Zifferblatts überträgt, durch den Anker eines Elektromagneten momentan angehalten und ebenso momentan wieder losgelassen werden kann; das erstere geschieht, sobald ein Strom durch den Elektromagneten gesandt wird, das letztere im Augenblick der Unterbrechung dieses Stroms49). Soll ein sehr kurzer Zeitraum gemessen werden, so muß man also zuerst den durch das Chronoskop gehenden Strom schließen; dann richtet man den Versuch so ein, daß im Beginn des zu messenden Zeitraums die Kette geöffnet und zu Ende desselben wieder geschlossen wird. Soll die Zeitmessung möglichst genau sein, so muß die Bewegung des Ankers sehr schnell und sicher vor sich gehen, was man teils durch Abstufung der Stromstärke, teils durch angemessene Spannung einer mit dem Anker verbundenen Feder erreicht. Die Fig. 153 stellt beispielsweise die Versuchsanordnung dar, welche ich zur Messung der physiologischen Zeit bei Schalleindrücken von wechselnder Intensität benutzte. Außer dem Chronoskop bedarf man dazu des Fallapparates F, der galvanischen Kette K, des Rheostaten R und des Stromunterbrechers U. Der von hipp konstruierte Fallapparat besteht aus einem Fuß, auf welchem sich das Fallbrett B befindet, aus einer vertikalen viereckigen Säule von 64cm Höhe und aus dem an derselben festzustellenden Träger T. An dem letzteren befindet sich vorn eine Messinggabel, deren Arme durch eine Zange an einander festgehalten werden können, so daß die Kugel k in der Gabel ruht. Mittelst Drucks an einer Feder kann diese Zange sehr rasch geöffnet werden, worauf die Kugel herabfällt und durch Auffallen auf das Fallbrett B den zu registrierenden Schall hervorbringt. Das beim Öffnen der Gabel bewirkte Geräusch kann als Signal für den bevorstehenden Schall benutzt werden. Will man dieses Signal vermeiden, so wird die Gabel offen gelassen und die Kugel zwischen den Armen derselben bis zum Moment des Falls mit den Fingern festgehalten. Das Fallbrett B schlägt in Folge des Anschlagens der Kugel auf das unter ihm befindliche Brettchen auf und schließt dabei einen Metallkontakt, so daß die zwei am hintern Ende des Brettchens stehenden Klemmschrauben z und y, die zuvor von einander isoliert waren, nunmehr leitend verbunden sind. Der Rheostat R besteht aus zwei Platindrähten, welche ein Quecksilbernäpfchen Q durchbohren; je weiter man Q von den beiden Klemmschrauben m und n entfernt, eine um so größere Drahtlänge wird daher zwischen m und n eingeschaltet und so der Strom der Kette K geschwächt. Vor Beginn einer Versuchsreihe muß durch Verschieben von Q die Stromstärke so reguliert werden, daß der Anker des Chronoskops möglichst momentan dem Schließen und Öffnen des Stromes folgt. Der Unterbrecher U ist ein Metallhebel, welcher sich auf einer isolierenden Unterlage aus Hartgummi befindet, und an dessen Ende ein Handgriff h angebracht ist, auf den der Beobachter, der die Registrierung ausführt, seine Hand legt. Wird auf h ein Druck ausgeübt, so werden die Messingklötzchen a und ß gegen einander gepreßt und so der durch den Unterbrecher gehende Strom geschlossen. Beim Nachlassen des Drucks schnellt der Hebel durch die unter h befindliche Feder sehr rasch in die Höhe, wobei der Strom unterbrochen wird. Die verschiedenen Apparate sind durch die in der Figur angegebenen Leitungsdrähte mit einander verbunden. Die Ausführung des Versuchs geschieht nun in folgender Weise. Nachdem der Fallapparat und der Rheostat in der richtigen Weise eingestellt sind, setzt sich die Versuchsperson, für die alle anderen Apparate verdeckt sind, vor den Unterbrecher U und drückt den Handgriff h nieder, so daß a und b in festem Kontakt stehen. Es geht nun der Strom von der Kette K durch 1 nach m, von da durch den Rheostaten nach n, und durch 2 in das Chronoskop; er verläßt dasselbe durch 3, geht nach der Klemmschraube z und durch 4 nach der Kette zurück. Der Elektromagnet ist also nun in Tätigkeit und hält die Zeiger Z2 und Z1 fest, wenn durch Anziehen des Hebels a das Uhrwerk in Gang gesetzt wird. Nachdem letzteres geschehen ist, läßt man nun die Kugel k aus freier Hand oder durch Öffnen der Gabel herabfallen. Im Moment wo sie auf dem Fallbrett B anlangt und der Schall entsteht, setzt sie durch Schließen des Metallkontaktes die beiden Klemmen z und y mit einander in Verbindung. Dadurch hat sich nun eine zweite Leitung für den Strom eröffnet. Dieselbe geht von der Kette aus durch 5, durch den geschlossenen Unterbrecher U nach 6, y, z, und durch 4 nach der Kette zurück. Diese zweite Leitung bietet einen sehr viel geringeren Widerstand als die erste, in welcher durch den Rheostaten und die Windungen des Elektromagneten der Strom geschwächt ist. Im Moment, wo diese Nebenleitung geschlossen wird, sinkt daher die Stromstärke in der durch das Chronoskop gehenden Hauptleitung auf eine verschwindend kleine Größe. Dadurch hört der Magnetismus des Elektromagneten auf, und die beiden Zeiger Z2 und Z1 werden momentan in Bewegung gesetzt. Sobald aber die Versuchsperson den Schall hört, löst sie durch Loslassen des Handgriffs h den Kontakt bei a und b . So wird die Nebenleitung wieder geöffnet, und der volle Strom geht abermals durch das Chronoskop, dessen beide Zeiger nun wieder angehalten werden. Der Versuch ist jetzt zu Ende, und das Uhrwerk wird alsbald durch Ziehen an dem Hebel b festgehalten, ebenso der Strom für die Zwischenzeit bis zum nächsten Versuch geöffnet, um ein dauerndes Magnetischwerden des Eisens im Elektromagneten möglichst zu vermeiden. Die beiden Zeiger Z2 und Z1 haben sich grade so lange bewegt, als vom Moment des Schalls bis zum Moment seiner Registrierung verfloß. Die Zeitbestimmung ist, da der obere Zeiger noch 1/1000" angibt, bei sorgfältiger Ausführung der Versuche bis auf 1/500" genau. Das HIPP'sche Chronoskop hat, vor andern Registrierapparaten den Vorzug, daß seine Anwendung sehr bequem ist, und daß die Ablesung an beiden Zifferblättern unmittelbar die absolute Zeit angibt. Von dem richtigen Gang des Uhrwerks überzeugt man sich durch die gleich bleibende Höhe des Tons der Regulierfeder. Es ist aber bei diesem Apparat durch die Bewegung des Ankers eine Fehlerquelle gegeben, welche große Sorgfall erforderlich macht. Sobald nämlich die Stromstärke etwas zu bedeutend ist, so läßt der Elektromagnet den Anker nicht momentan los, und es kann dadurch ein bedeutender Fehler in der Zeitbestimmung entstehen. Herr hipp gibt seinen Instrumenten zwar eine kleine Boussole bei, an deren Ablenkung man die richtige Stromstärke abmessen kann. Man darf sich aber damit nicht begnügen, sondern es ist zweckmäßig sich vor jedem Versuch von der raschen Bewegung des Ankers direkt zu überzeugen. Auch läßt sich der Fallapparat zu Kontrollversuchen verwenden, indem man die Fallzeit der Kugel durch das Chronoskop bestimmt und mit der berechneten Fallzeit vergleicht. Zu diesem Zwecke richtet man die Versuche so ein, daß beim Öffnen der Gabel des Halters T der Strom unterbrochen und beim Auffallen auf das Brett B wieder geschlossen wird. Für solche Fallversuche befinden sich an T zwei Klemmschrauben, deren jede mit einem Arm der Gabel in Verbindung steht. Beide sind nur durch die Zange, welche die Gabel schließt, leitend verbunden.

49) Über die innere Konstruktion des Hipp'schen Chronoskops vergl. Hirsch, Moleschott's Untersuchungen IX, S. 188 f. KUHN, angewandte Elektrizitätslehre. S. 11 85 f.

    Das physiologische Chronoskop, von dem die Fig. 154 eine schematische Ansicht gibt, hat vor dem HIPP'schen Instrument den Vorzug absoluter Zuverlässigkeit seiner Angaben; es gestattet außerdem manche für psychologische Zwecke interessante Modifikationen der Beobachtung, und bietet die bei solchen Versuchen sehr schätzbare Möglichkeit, die Beobachtungen ganz ohne Assistenz ausführen zu können; es ist aber allerdings viel unbequemer in der Anwendung. Die Fig. 154 zeigt beispielsweise eine Versuchsanordnung, wie sie beim Registrieren eines Lichtblitzes angewandt werden kann. Die Zeitbestimmung geschieht bei diesem Apparat durch eine kleine Stimmgabel b, welche in dem Aufriß B auf der rechten Seite der Figur zu sehen ist. Sie befindet sich zwischen den Armen eines hufeisenförmigen Elektromagneten E3, und an ihrer einen Branche ist eine Borste befestigt, durch welche ihre Schwingungen auf die hintere Seite der Glasscheibe G, die zuvor über der Lampe berußt wurde, aufgezeichnet werden. In der Zeichnung A, wo der ganze Apparat von seiner hinteren Fläche aus gesehen wird, bemerkt man auf der Scheibe G eine Anzahl solcher Schwingungskurven. Die Glasscheibe wird durch einen Trieb t bewegt; welcher mit den Rädern u1, u2 eines durch ein Gewicht getriebenen Uhrwerks in Verbindung steht. Eine Regulierung, um dieses Uhrwerk in konstanter Geschwindigkeit zu erhalten, ist nicht angebracht. Hat dasselbe eine gewisse Geschwindigkeit erreicht, so bleibt aber an und für sich durch die verschiedenen Widerstände die Geschwindigkeit während mehrerer Umdrehungen konstant. Übrigens sind auch bei ungleichmäßiger Geschwindigkeit die Zeitbestimmungen absolut sicher, weil dieselben durch Abzählen der von der Stimmgabel b aufgezeichneten Schwingungen geschehen. Aus diesen kann, da die Schwingungsdauer der Gabel zuvor bestimmt worden ist, die Zeit unmittelbar berechnet werden. Damit nun aber nicht durch Superposition vieler Schwingungsreihen das Zählen derselben unmöglich werde, ist eine Vorrichtung angebracht, welche bewirkt, daß die Stimmgabel b erst sehr kurze Zeit vor dem Anfang des zu messenden Zeitraums zu schwingen beginne. Zu diesem Zwecke ist zunächst eine zweite Stimmgabel B angewandt, von ähnlicher Konstruktion wie sie helmholtz für akustische Versuche benutzt hat50). Auch die Zinken dieser größeren Gabel, welche um eine Oktave tiefer als die Gabel b gestimmt ist, befinden sich zwischen den Armen eines Elektromagneten, der mit einer starken konstanten Kette in solcher Weise verbunden ist, daß der Strom in demselben durch die Schwingungen der Stimmgabel abwechselnd geschlossen und wieder unterbrochen wird, indem ein am untern Zinken der Gabel festgelöteter und rechtwinkelig gebogener Draht in dem Quecksilbernäpfchen q abwechselnd den Strom schließt und wieder öffnet. Auf der Oberfläche des Quecksilbers muß sich, damit dasselbe nicht rasch durch die Funken verbrenne, immer etwas Alkohol befinden. Nun ist die Einrichtung getroffen, daß der durch die Stimmgabel B fließende Strom durch eine an dem Registrierapparat angebrachte Vorrichtung sehr kurze Zeit vor der Einwirkung des Reizes plötzlich in die Windungen des Elektromagneten der kleinen Stimmgabel b abgezweigt werde. Diese letztere muß hinreichend dünn gearbeitet sein, damit sie durch das abwechselnde Entstehen, und Verschwinden des Stromes in ihrem Elektromagneten leicht von selbst in Schwingungen gerate. Da nun durch die Gabel B solche Stromunterbrechungen in regelmäßigen Intervallen geschehen, die zu den Schwingungen der Gabel b in dem einfachen Verhältnis 1 : 2 stehen, so verstärken sich die letzteren Schwingungen außerordentlich rasch, und es werden deutlich sichtbare Schwingungskurven auf der berußten Glasplatte gezeichnet. Sowohl die Eröffnung dieser Nebenleitung zum Elektromagneten E3 der kleinen Stimmgabel wie die Auslösung des Reizes wird durch das Uhrwerk selbst besorgt. Es befindet sich nämlich an dem größten, sehr langsam bewegten Rad u2 eine Achse e, welche zweimal in Form einer Archimedischen Spirale geschnitten ist. Auf dieser Achse ruht aber ein am Hebel H befindlicher Daumen, durch welchen der Hebel während der Umdrehung des Rades u2 zuerst langsam gehoben wird und dann plötzlich niederfällt. An dem Hebel H, dessen Bewegung durch die Feder f und das vorn festgeschraubte Gewicht p gesichert ist, befinden sich zwei Hammerköpfe m und n, deren Höhe durch Schrauben in ziemlich weitem Umfang variiert werden kann. Der Kopf m bewirkt durch sein Herunterfallen die Öffnung des Unterbrechers o. Dieser ist geschlossen, so lange der Platinstift mit dem Metallplättchen, das, wie man sieht, federnd gegen denselben andrückt, in Kontakt steht; der Kopf m löst durch sein Herabfallen diesen Kontakt. Der Kopf n fällt beim Niedersinken des Hebels H auf den einen Arm eines kleinen Metallhebels h, wodurch sich ein am andern Arm dieses Hebels befindlicher Stift aus einem darunter stehenden Quecksilbernäpfchen hebt und so eine zwischen dem letzteren und dem Hebel h bestehende Leitung unterbricht. Durch Verstellen der Schrauben m und n sowie des Quecksilbernäpfchens bei h kann man es leicht so einrichten, daß durch den Hebel H der Kontakt bei n entweder gleichzeitig oder eine kurze Zeit früher gelöst wird als der bei m, Die Registrierung des Reizes, und seiner Apperzeption wird endlich durch die zwei Elektromagnete E1 und E2 besorgt. Der Elektromagnet E1 stellt in Verbindung mit der Kette K1 und dem Unterbrecher o, der Elektromagnet E2 mit der Kette K2 und dem Unterbrecher U, welcher letztere vollständig dem in Figur 153 abgebildeten gleicht. Auch hier wird der Kontakt U von dem Beobachter in dem Moment gelöst, in welchem er den Eindruck wahrnimmt. Beide Elektromagnete liegen über einander, und an ihren Ankern finden sich vorn die Stifte a1 und a2 (Fig. B), die, sobald die Anker nicht angezogen sind, in dem Ruß der Glasplatte G Linien ziehen. Der Stift a1 ist sehr fein, so daß er der Bewegung der Glasplatte keinen bedeutenden Widerstand entgegensetzt, der Stift a2 dagegen ist breit und bringt durch die Reibung in sehr kurzer Zeit die Scheibe zum Stillstande. Befestigt sind die beiden Anker an den Hebeln c1 und c2, welche oben mit Gewichten p1, p2 belastet sind, durch deren Einstellung die rasche Bewegung der Anker und Stifte im Moment der Stromunterbrechung bewirkt wird. Die Elektromagnete befinden sich samt der kleinen Stimmgabel b an einem Stativ, welches durch die Schraube l auf dem Schlitten S vor- und rückwärts bewegt werden kann, um dadurch die richtige Entfernung der Stifte von der Glasplatte zu Stande zu bringen. Außerdem ist an dem Apparate noch eine zweite Schlittenverschiebung in der Richtung des Radius der Glasplatte angebracht, welche in unsere schematische Abbildung der Einfachheit halber nicht aufgenommen wurde. Dieselbe hat den Zweck das Stativ mit den Elektromagneten und der Stimmgabel so zu verrücken, daß mit einer und derselben Platte mehrer Versuche hinter einander ausgeführt werden können. J ist ein kleiner RUMKORFF'scher Induktionsapparat, F eine Vorrichtung, welche im Moment der Stromunterbrechung das Überspringen der Funken desselben zwischen zwei Platinspitzen vermittelt. Der Unterbrecher U wird samt dem Funkengeber F am besten auf einen besondern Tisch gestellt, so daß der ganze übrige Apparat für den Beobachter nicht sichtbar ist. Bei der Ausführung eines Versuchs verfährt man nun folgendermaßen. Zunächst werden die beiden Köpfe m und n in der richtigen Weise eingestellt; bei h und o werden die Kontakte geschlossen, der Hebel H an die Achse e so angelegt, daß das Uhrwerk mehrere Minuten zu gehen hat, bis der Fall des Hebels eintritt. Die Ketten K, K1 und K2 werden geschlossen, die Stimmgabel B in Schwingungen versetzt, der Unterbrecher U niedergedrückt und das Uhrwerk durch Druck an einem mit dem Rad u2 in Verbindung stehenden (hier nicht abgebildeten) Schlüssel in Bewegung gesetzt. Zunächst geht der Strom der Kette K von 1 durch q, B und 2 nach h, von hier durch das Quecksilbernäpfchen und 5 nach K zurück. Der Strom der Kette K1 geht durch 6 nach dem Elektromagneten E1: dann durch 7 zum Unterbrecher o, durch 8 nach dem Induktionsapparat J und durch q zu K1 zurück. F ist durch die Drähte 10 und 11 mit den Enden der sekundären Spirale von J verbunden. Endlich der Strom der Kette K2 geht durch 12 zum geschlossen gehaltenen Unterbrecher U, durch 13 zum Elektromagneten E2 und durch 14 zur Kette zurück. Da K1 und K2 geschlossen sind, so werden die Anker der Elektromagnete angezogen, und die beiden Stifte a1 und a2 berühren die Glasplatte nicht. Da ferner die Leitung bei h geschlossen ist, so tritt der Strom der Stimmgabel B nicht in den Kreis des Elektromagneten E3 ein, die kleine Stimmgabel bleibt also in Ruhe und zeichnet bloß einen kreisförmigen Strich auf die Glasplatte. Im Moment wo der Hebel H herabfällt ereignet sich nun folgendes. Zuerst trifft n auf den Hebel h, und der Kontakt desselben wird geöffnet. Jetzt geht daher der Strom der Kette K durch 1, B, 2 nach h, von da nach 3, durch die Klemme b' zum Elektromagneten E3, aus diesem durch 4 und 5 nach K zurück. Jetzt ist also der Elektromagnet der kleinen Stimmgabel in den Kreis aufgenommen, und diese empfängt durch jede von der großen Stimmgabel ausgeführte Unterbrechung einen Anstoß, der sie in immer kräftigere Schwingungen versetzt. Sehr kurze Zeit nachdem n auf h gestoßen ist, erreicht aber auch der Kopf m das Plättchen des Unterbrechers o und reißt es von der Platinspitze ab. Dadurch wird der Strom der Kette K1 unterbrochen, bei F springt ein Öffnungsinduktionsfunke über, und gleichzeitig berührt a1 die Glasplatte G und zeichnet auf derselben einen kreisförmigen Strich. Sobald der Beobachter den Funken sieht, löst er den Kontakt in U. Dadurch wird der Strom der Kette K2 unterbrochen, der Stift a2 fährt vor und hemmt zugleich nach sehr kurzer Zeit die Bewegung. Nehmen wir an, bei a auf der Platte G beginne der von a1, bei b der von a2 herrührende Strich, so hat man nur einfach die zwischen a und ß gelegenen Schwingungen zu zählen, woraus sich unter Berücksichtigung der Schwingungsdauer der Stimmgabel b die absolute Dauer der physiologischen Zeit ergibt. Die von mir benutzte Stimmgabel machte 348 Schwingungen in 1 Sekunde. Da nun 1/4 einer ganzen Schwingung noch sehr gut bestimmt werden konnte, so war die Genauigkeit mindestens 1/1000" 51) .

50) Helmholtz, Lehre von den Tonempfindungen. 3. Aufl. S. 185, Fig. 83.

51) In Fig. 154 sind der Deutlichkeit wegen die Schwingungen im Verhältnis zu den übrigen Dimensionen stark vergrößert: sie sind nämlich ungefähr in der Hälfte, die Glasplatte dagegen nur in 1/5 ihrer wirklichen Größe dargestellt. Noch mehr sind die Distanzen der von den Stiften gezeichneten Linien und der Schwingungskurve vergrößert. Diese Distanzen betragen höchstens je 2 Mm., teils um die Punkte a und b genau bestimmen zu können, teils um viele Versuche auf eine einzige Glasplatte zu bringen.

    Für Schallversuche wurde entweder eine kleine Glocke angewandt, wobei der Fall des Kopfes m gegen die Glocke zugleich eine Nebenschließung von sehr kleinem Widerstand zum Elektromagneten E1 schloß, oder es wurde der Unterbrecher o zunächst mit einem besonderen elektromagnetischen Fallhammer in Verbindung gesetzt, der dann im Moment des Falls wieder eine Nebenleitung zu E1 schloß und so das Losfahren des Stiftes a1 bewerkstelligte. Bei den Versuchen über elektrische Reizung war die Anordnung eine ähnliche wie in Fig. 154. Nur war statt des RUMKORFF'schen ein du BOIS'scher Schlittenapparat eingeschaltet, wie er zu physiologischen Reizversuchen gebräuchlich ist. Zu Versuchen über schwache Tasteindrücke ließ ich dem Hebel H auf der entgegengesetzten Seite einen zweiten Arm geben, der sich beim Herabfallen des Hebels H aufwärts bewegte, wobei ein am Ende jenes Hebelarms angebrachter Hammerkopf gegen ein auf einem durchbohrten Tischchen (ähnlich dem Tischchen T1 in Fig. 155) befestigtes sehr dünnes Metallplättchen anschlug. Auf dieses Metallplättchen, durch dessen Kontakt mit dem Hebel abermals eine Nebenleitung zu E1 geschlossen wurde, hatte der Beobachter seinen Finger gelegt. Es fielen also nun wieder der Eindruck und die Bewegung des Stiftes a1 zusammen.
    Bei den Passageapparaten ist die Registrierbewegung des Beobachters ausgeschlossen. Es wird bei ihnen entweder die zum Vollzug einer Vorstellung nötige Dauer bestimmt, indem man einen Eindruck nach veränderlicher Zeit durch einen zweiten Eindruck auf den nämlichen Sinnesnerven auslöscht; oder es werden disparate Sinneseindrücke in regelmäßiger Zeitfolge hervorgebracht, um die eintretenden Zeitverschiebungen zu ermitteln. Der Apparat, welchen helmholtz, EXNER und baxt zum ersteren Zweck anwandten, besteht im wesentlichen aus zwei parallel gestellten kreisförmigen Scheiben, die sich um die nämliche durch die Mittelpunkte der Scheiben gehende Achse mit ungleicher Geschwindigkeit drehen. Letzteres ist dadurch erzielt, daß die Rotation der einen Scheibe mittelst Zahnrädern auf die andere übertragen wird. Beide Scheiben haben Ausschnitte und lassen, so lange diese Ausschnitte koinzidieren, dem Auge des Beobachters einen sonst verdeckten Gegenstand sichtbar werden. Die Dauer der Sichtbarkeit kann aus der Winkelgeschwindigkeit der Scheiben, welche durch eine elektromagnetische Rotationsmaschine konstant erhalten wird, und aus der Größe der Ausschnitte berechnet werden. Ein zwischen den beiden Scheiben angebrachtes schwach vergrößerndes Linsensystem dient endlich noch dazu, von den Rändern des einen der Ausschnitte ein so starkes Zerstreuungsbild zu entwerfen, daß der Gegenstand in allen seinen Teilen gleichzeitig erscheint und wieder verschwindet52).

52) EXNER, Sitzungsber. der Wiener Akademie. Mathem.-naturw. Cl. Abth. II. Bd. 58. S. 602 f.

    Zur Messung der psychologischen Zeitverschiebung habe ich, wie oben bemerkt, teils eine mit gleichförmiger Geschwindigkeit rotierende Scheibe teils einen Pendelapparat benutzt. Ich werde mich auf die Beschreibung des letzteren beschränken, da die Einrichtungen für die Auslösung des Schalleindrucks bei beiden Vorrichtungen ähnlicher Art waren, aber nur die zweite sorgfältiger ausgeführt worden ist und zu zahlreichen Versuchsreihen gedient hat. Der Pendelapparat ist im wesentlichen eine Pendeluhr mit veränderlicher Pendellänge. Auf einem Fußbrett, welches durch drei Stellschrauben und mit Hilfe eines an dem Faden g hängenden Lotes nivelliert wird, befindet sich eine hölzerne Säule M von 120 cm Höhe. Der obere Teil derselben samt den damit zusammenhängenden wesentlichen Teilen ist in Fig. 155 abgebildet. Auf dem obern Ende der Säule M sitzt eine Messingplatte m fest, auf welche hinten der Skalenhalter n und vorn das Zeigerwerk festgeschraubt ist. Der erstere hat zwei divergierende Arme o o', an deren oberem Ende zwei auf der Fläche der Arme senkrechte Säulchen aufsitzen, welche die Skala S tragen. Der äußere Krümmungsradius der Skala beträgt 11 cm. Sie ist von zwei zu zwei Winkelgraden durch Teilstriche, von zehn zu zehn durch Ziffern eingeteilt. Am rechten Arm o' des Halters befindet sich außerdem eine kleine Messinghülse h, in welcher die Glocke vermittelst ihres Stiels b festsitzt. Diesen kann man samt der Glocke in der Hülse emporschieben und durch Anziehen der Schraube s feststellen. Es geschieht dies, falls man, wie z. B. in Tastversuchen, das Anschlagen der Glocke bei den Bewegungen des Uhrwerks und des Hebels vermeiden will. Die Drehungsachse des Zeigers Z ist mit einem kleinen Zahnrad y versehen. Der Zeiger kann an dieser Achse in jeder beliebigen Lage festgestellt werden. Außer den eben beschriebenen Teilen trägt die Messingplatte m auf der rechten Seite das Lager für die gemeinsame Achse des Schallhammers q und des Hebels H; beide sind dicht neben einander auf der nämlichen Drehungsachse befestigt. In das obere Ende von q ist ein Knopf eingeschraubt, der bei einer bestimmten Stellung der Hebelachse auf die Glocke G aufschlägt. Der Hebel H besteht aus einem linken längeren und einem rechten kürzeren Arm. Am Ende des letzteren befindet sich ein Schraubengang, auf welchem der Knopf l hin- und hergeschraubt werden kann, um die Last auf beiden Seiten zweckmäßig zu verteilen. Am Ende des linken Arms befindet sich der Tasthammer v, welcher mit einem elfenbeinernen Knopfe versehen ist. Zu diesem für die Tastversuche bestimmten Teil des Apparats gehört außerdem das an der Säule befestigte Tischchen T, welches ein auf drei Messingfüßen stehendes kleineres rundes Tischchen T' trägt. Dieses hat in der Mitte, dem Tasthammer v gegenüber, eine runde Öffnung, in welche das Elfenbeinplättchen f eingeschraubt werden kann. Auf seiner untern Fläche ist das letztere, um den Stoß von v abzuschwächen, mit Leder überzogen. Das Tischchen T ist der Öffnung T' gegenüber von der Schraube k durchbohrt, auf deren oberem Ende v aufruht, wenn das Uhrwerk still steht. Durch Auf- oder Niederschrauben der Schraube k und der Platte f kann die Schwingungsweite von v und damit auch des Hebels H verändert werden. An der vordem Seite der Säule M, etwas nach unten von der Messingplatte m, ist das Uhrgehäuse U angebracht. Dasselbe enthält ein einfaches Pendeluhrwerk, welches nur hinsichtlich der Einrichtung des Kronrades eine Besonderheit bietet. Die Achse des letzteren läuft nämlich unten in einer Stahlplatte, welche mittelst einer Schraube einer über ihr befindlichen festen Messingplatte entweder genähert oder von ihr entfernt werden kann. Dadurch kann die Wirkung des Uhrwerks auf das Pendel und in Folge dessen die Amplitude der Schwingungen innerhalb ziemlich weiter Grenzen variiert werden. Außerdem läßt durch diese Einrichtung die während längerer Versuchsperioden unvermeidlich eintretende Abnutzung der Zähne des Kronrades sich kompensieren. Die Verbindung des letzteren mit der Pendelachse ist die bei größeren Pendeluhren gewöhnliche. Die Achse des Steigrads durchbohrt die Säule M und trägt auf der hinteren Seite das Gewichtsrad, an welchem mittelst einer mehrfach umgeschlungenen Schnur das Gewicht Q befestigt ist; durch Umdrehen des Gewichtsrades wird das Uhrwerk aufgezogen. Die Pendelstange P ist in ihrem oberen Teil aus Metall, in ihrem unteren größeren aus Holz. Die ziemlich schwere Linse L kann an dem hölzernen Teil der Pendelstange mittelst der an ihr befindlichen Schraube verstellt werden, wodurch sich die Schwingungsdauer verändert. Die Pendelstange selbst ist darnach empirisch graduiert. Um die Pendelbewegungen auf das Zeigerwerk zu übertragen, stellt das Ende x des Pendels den Sektor eines Zahnrades dar, dessen Zähne genau in das an der Achse des Zeigers befindliche Zahnrädchen y eingreifen. Da der Halbmesser des Zahnrädchens genau 1/10 von demjenigen des Sektors beträgt, so muß sich der Zeiger mit der zehnfachen Winkelgeschwindigkeit des Pendels bewegen. Mit dem obern Teil des Pendels ist endlich ein Messingansatz fest verbunden, der von der Pendelachse durchbohrt wird und um dieselbe gedreht werden kann. Dieser Ansatz ragt in den von dem gezahnten Sektor umschlossenen Raum hinein und endigt hier mit dem Daumen d. Die Verbindungsstücke des Sektors mit der Pendelstange sind aber von den Schrauben r r’ durchbohrt, die, wenn man sie möglichst sich annähert, das den Daumen d tragende Ansatzstück zwischen sich fassen. Durch Änderung der Schraubenstellung kann daher die Stellung des Daumens innerhalb ziemlich weiter Grenzen verändert werden. Die Bewegung des Pendels wird nun auf den Hebel H mittelst einer Zwischenvorrichtung übertragen. Dieselbe besteht aus einer von einer Feder umsponnenen Achse, die vorn den an den Daumen des Pendels sich anlegenden Fortsatz e trägt, und an der sich hinten nahe vor dem Hebel H der Mitnehmer i befindet. Dieser umfaßt etwa in der Weise eines in zwei Phalangen gebogenen Fingers einen an dem Hebel befindlichen Stift p. Wenn Pendel und Zeiger sich für den Beobachter von links nach rechts bewegen, so stößt der Daumen d an den Fortsatz e an, dadurch dreht sich die mit dem letzteren verbundene Achse gleichfalls von links nach rechts, der Mitnehmer i, und durch ihn der Stift p und Hebel H werden in die Höhe gehoben, bis der an diesem befestigte Hammer bei einer bestimmten Stellung an die Glocke anschlägt. Der Apparat muß so eingestellt sein, daß in dem Moment, in welchem dies eintritt, der Fortsatz e wieder von dem Daumen d abgleitet, was durch die Wirkung einer Spiralfeder unterstützt wird, welche die Achse, an der e befestigt ist, umwindet. Im selben Augenblick aber fällt auch der Hebel und der Hammer wieder zurück. Es kann also die Berührung zwischen Hammer und Glocke durch sorgfältige Einstellung des Hebels und des Hammerköpfchens geradezu auf einen Moment beschränkt werden, so daß der Glockenschlag keinen die Bewegung des Pendels und Zeigers störenden Stoß verursacht. Geht dann das Pendel rückwärts von rechts nach links, so gleitet der Daumen d ohne erheblichen Widerstand an dem Fortsatz e vorbei, da, wenn die Achse des letzteren in dieser Richtung sich dreht, die Feder nicht gespannt wird, und der Mitnehmer i gleitet leicht von dem Stift p, der in ihm ruht, ab. Es findet also immer nur dann, wenn Pendel und Zeiger von links nach rechts gehen, eine Bewegung des Hebels und ein Glockenschlag statt. Die Zeit aber, zu welcher der Glockenschlag stattfindet, läßt sich durch wechselnde Einstellung des Daumens d mittelst der Schrauben r r' variieren. Da die Bewegungen des Hebels und Hämmerchens die Versuche stören würden, indem sie die Aufmerksamkeit abziehen, so werden alle hinter der Skala befindlichen Teile des Apparats durch einen schwarzen (in der Abbildung weggelassenen) Schirm verdeckt, der oben an den die Skala tragenden Messingsäulchen festgebunden ist.
    Die Anstellung der Beobachtungen geschieht nun in folgender Weise. Nachdem die Bewegung des Hebels reguliert wurde, bringt man zunächst die Pendellinse in die für die beabsichtigte Schwingungsdauer erforderliche Höhe und erzeugt dann durch die früher beschriebene Verstellung des Kronrades die gewünschte Schwingungsamplitude. Hierauf wird der Daumen d durch die Einstellung der Schrauben r r' in eine beliebige, jedenfalls aber dem Beobachtenden unbekannte Lage gebracht. Macht man an sich selber die Versuche, und hat man keinen Gehilfen, der die Einstellung übernimmt, so stellt man am besten unmittelbar nach jeder Beobachtung für die nächste ein und verfährt dabei möglichst unaufmerksam. Sind alle Vorbereitungen beendet, so wird durch Anstoßen des Pendels das Uhrwerk in Bewegung gesetzt. Bei jeder Bewegung des Zeigers von links nach rechts sucht man denjenigen Teilstrich der Skala zu bestimmen, vor welchem der Zeiger im Moment des Glockenschlags oder des Tasteindrucks vorbeizugehen scheint. Damit diese Auffassung mit der erforderlichen Genauigkeit geschehen könne, muß das Uhrwerk einige Zeit im Gang erhalten bleiben. Im allgemeinen ist das Urteil um so länger schwankend, je rascher die Bewegung ist. Nachdem man hinreichend scharf den Teilstrich der Skala festgestellt hat, bei welchem der Eindruck aufgefaßt wurde, wird derselbe samt der zugleich stattfindenden Schwingungamplitude und Schwingungsdauer notiert. Dann erst sieht man nach, welcher Moment der Bewegung des Zeigers wirklich mit dem Eindruck zusammenfiel. Dies geschieht, indem man langsam das Pendel von links nach rechts führt, bis der Hammer q die Glocke oder das Knöpfchen v den Finger berührt.

    Mit den Vorstellungen, welche durch äußere Sinneseindrücke geweckt werden, verweben sich fortwährend die Erinnerungsbilder früherer Anschauungen, bald die unmittelbare Wahrnehmung ergänzend und mit ihr untrennbar verschmelzend, bald ihr selbständig gegenübertretend und dann durch ein Zeitintervall deutlich getrennt. Zieht sich unsere Aufmerksamkeit zurück von der sinnlichen Wahrnehmung, so beginnen nun die Erinnerungsbilder selbst mit einander zu wechseln, und es gestaltet sich so ein innerer Verlauf reproduzierter Vorstellungen, bei dessen Untersuchung wir die störende Einwirkung äußerer Sinnesreize ebenso fern halten müssen, wie wir uns bisher möglichst auf das Verhalten der unmittelbaren Sinneseindrücke im Bewußtsein beschränkten. Es zeigt sich aber freilich sogleich, daß eine solche Scheidung der beiden Gebiete nicht vollständig durchzuführen ist. Das Hereinragen der Reproduktion in die Auffassung des zeitlichen Verlaufs der äußeren Reize haben wir oben bei der Wahrnehmung erwarteter Eindrücke kennen gelernt. Die Erinnerungsbilder stammen nun vollends ganz und gar aus früheren Sinnesanschauungen. Wie daher bei der Betrachtung der Qualität und Stärke derselben die Vergleichung mit den Anschauungsvorstellungen den Maßstab angeben mußte53), so erhebt sich bei ihrem Verlauf vor allem die Frage, wie sich derselbe zu dem zeitlichen Wechsel der ursprünglichen Eindrücke, auf welche sie sich zurückbeziehen, verhalte. Ist diese Frage beantwortet, so wird dann erst zu untersuchen sein, wie die Erinnerungsbilder ihrem Inhalte nach mit einander verbunden werden, wenn sie ihrem eigenen Ablaufe überlassen sind.

53) Vergl. Kap. XV.

    Wir können uns einen zwischen zwei Eindrücken gelegenen Zeitraum in der Erinnerung größer oder kleiner vorstellen, als er wirklich ist. In der Tat findet sich das erste ganz allgemein bei kleinen, das zweite bei größeren Zeiträumen. Dies ist schon aus der gewöhnlichen Selbstbeobachtung bekannt. Wollen wir uns z. B. Bruchteile einer Sekunde denken, so machen wir uns unwillkürlich eine zu große Zeitvorstellung; das entgegengesetzte geschieht bei der Vorstellung mehrerer Minuten oder Stunden. vierordt hat für kleinere Zeitintervalle diese Erscheinungen experimentell verfolgt, indem er die Pendelschläge eines Metronoms beobachten und dann durch eigene Einstellung den Beobachter diejenige Schlagfolge hervorbringen ließ, welche ihm ebenso schnell wie die zuvor gehörte erschien. Es fiel dabei die nachgemachte Zeit länger aus als die wahrgenommene, wenn diese klein, kürzer, wenn sie groß war. Dazwischen lag ein Indifferenzpunkt, wo ungefähr die richtige Einstellung getroffen wurde. Dieser Punkt wechselt bei verschiedenen Individuen; er hängt außerdem von den Nebenumständen des Versuchs und vielleicht von dem in Anspruch genommenen Sinnesgebiete ab. Die individuellen Schwankungen erstreckten sich beim Gehör von 1,5 bis zu 3,5 Sek. Bei sich selbst fand VIERORDT jenen Punkt für den Tastsinn bei 2,2—2,5, für den Gehörssinn bei 3—3,5 Sek., wenn zwischen der Empfindung und ihrer Wiederholung ein kleines Zeitintervall gelegen war. Wurde dieses Intervall möglichst kurz genommen, so sank der angegebene Zeitwert, und mit der Verlängerung desselben nahm er zu54).

54) VIERORDT, der Zeitsinn nach Versuchen. Tübingen 1868. S. 36 f. S. 111 f.

    Auch bei der Schätzung größerer durchlebter Zeiträume machen sich diese Gesetze sowohl in der allgemeinen Verkürzung durch die Erinnerung wie insbesondere noch darin geltend, daß eine kürzere Zeit relativ in der Regel größer als eine längere empfunden wird. Ein eben durchlebter Monat und ein eben durchlebtes Jahr erscheinen uns also beide zu kurz in der Erinnerung, das letztere ist aber doch relativ weit mehr verkürzt. Entfernen wir uns außerdem auch noch von dem Endpunkt der Zeitreihe, so rückt dieselbe in der Erinnerung immer mehr zusammen. So schließen diese altbekannten psychologischen Tatsachen unmittelbar den Beobachtungen sich an, welche sich für den Verlauf der Vorstellungen unter den einfachsten Bedingungen des physiologischen Versuchs ergeben.
    Schon in jenen Fällen der gewöhnlichen Erfahrung wird aber stets die Zeitauffassung noch durch andere Bedingungen kompliziert, namentlich durch die Beschaffenheit der Vorstellungen, welche die Zeit ausfüllen. Beginnen wir hier wieder mit der Schätzung einfacher Sinneseindrücke, so läßt sich z. B. das Intervall zweier Pendelschläge ohne weiteres annähernd richtig feststellen, nur mit den kleinen Fehlern behaftet, welche, wie oben bemerkt, die Größe der Zwischenzeit mit sich führt. Suchen wir aber eine größere Zahl gleicher Pendelschläge zusammenzufassen, so gelingt dies nur, indem wir den einzelnen je nach ihrer Zeitordnung eine verschiedene Intensität beilegen. Man ertappt sich daher bei diesen Versuchen immer darüber, daß man die einander regelmäßig folgenden Eindrücke in die Taktform bringt. Hierin gibt sich deutlich die früher hervorgehobene Wichtigkeit des Taktes für die Zeitauffassung zu erkennen55).

55) Vergl. Kap. XIII. VIERORDT, a. a. O. S. 141.

    Anders verhält sich die Sache, wenn verschiedene Vorstellungen unregelmäßig wechselnd den Zeitraum ausfüllen. Nach bekannter Erfahrung verfließt uns die Zeit am schnellsten, wenn uns irgend eine Beschäftigung veranlaßt nicht an die Zeit zu denken, und sie verfließt uns am langsamsten, wenn wir immerfort an sie denken, in der Langeweile. In diesen Fällen handelt es sich aber nicht um eine Schätzung verflossener sondern um eine solche bevorstehender Zeiträume. Eine in Langeweile verbrachte Zeit kann in der Erinnerung kurz erscheinen. Das Gefühl des langsamen Abflusses der Zeit entspringt hier nur aus der Spannung der Aufmerksamkeit auf zukünftige Eindrücke. Darum wird uns z. B. die Zeit ausnehmend lang, wenn wir Jemanden erwarten, der nicht kommen will. Trifft der Ersehnte wirklich ein, so ist jene Spannung plötzlich vergessen, und die Zeit der Erwartung kann nun in der Erinnerung sogar sehr kurz erscheinen. Dem mit Arbeit Beschäftigten verfließt dagegen nur darum die Zeit schnell, weil seine Aufmerksamkeit in jedem Moment durch die gegenwärtigen Eindrücke gefesselt wird. Verschieden davon ist das Gefühl für die vergangene Zeit. Eine in aufmerksamer Arbeit verbrachte Zeit kommt uns zwar in der Regel auch in der Erinnerung kurz vor, aber aus einem andern Grunde, weil nämlich die Vorstellungen, die bei derselben wirksam gewesen sind, in einem durchgängigen Zusammenhange stehen, so daß sie einander leicht durch Reproduktion wachrufen. Auf diese Weise ist uns dann die ganze Zeitstrecke nach ihrem Abfluß ohne Schwierigkeit in einem Gesamtbilde gegenwärtig. Die Regel der rückwärtsgehenden Zeitverkürzung ist deshalb hier nicht ohne Ausnahmen. Wer mit tausenderlei kleinen, nicht zusammenhängenden Arbeiten eine gewisse Zeit hinbrachte, die ihm während des Ablaufs schnell verfloß, hat doch am Ende derselben das Gefühl einer langen Zeit. Ebenso empfinden wir mitten in einem lebhaften Traume keine Langeweile; dennoch glauben wir beim Erwachen unendlich lange geträumt zu haben, und das um so mehr, je mannigfaltiger und unzusammenhängender die einzelnen Traumbilder gewesen sind. Wir müssen also das prospektive und retrospektive Zeitgefühl unterscheiden. Das erstere besteht einfach in der Spannung der Aufmerksamkeit auf erwartete Eindrücke; das letztere beruht auf der Reproduktion der in einer gewissen Zeitstrecke vorhanden gewesenen Vorstellungen. Hierin liegt dann zugleich die Erklärung für alle Erscheinungen, die wir in Bezug auf dieses retrospektive Zeitgefühl festgestellt haben. Eine Zeitstrecke bedarf in allen Fällen mindestens zweier auf einander folgender Vorstellungen. In der Erinnerung reproduzieren wir diese in derselben Reihenfolge, in der sie uns durch den unmittelbaren Sinneseindruck gegeben wurden. Nun bedarf aber die Reproduktion unter allen Umständen einer gewissen Zeit. Die Schätzung sehr kleiner Zeitstrecken zeigt, daß diese Zeit der Reproduktion sich der kürzesten Zeitfolge der unmittelbaren Empfindungen nicht mehr anzupassen vermag. Zur Reproduktion einer Vorstellung wird also im allgemeinen mehr Zeit erfordert, als zu ihrer Produktion nötig ist.
    Auch die Zeit, welche die Produktion der Vorstellung erfordert, ist nun wie wir früher gesehen haben, nicht unveränderlich. Zwei gleichzeitige Eindrücke können z. B. gleichzeitig apperzipiert, sie können aber auch in eine Sukzession geordnet werden, und die Minimalzeit, die in diesem Fall zwischen ihnen verfließt, ist von der Spannung der Aufmerksamkeit abhängig. Je größere Intensität die letztere hat, um so mehr Zeit verfließt, bis der zweite Eindruck apperzipiert werden kann. Ohne Zweifel wird daher auch die Reproduktionsdauer von der Spannung der Aufmerksamkeit abhängen. Der Indifferenzpunkt wird derjenigen Zeitgröße entsprechen, bei welcher die Aufmerksamkeit mit der geringsten Schwierigkeit zwischen den zwei einander folgenden Eindrücken wechseln kann. Diese Zeit ist immer sehr erheblich, und sie scheint bei Beobachtern, die im Aufmerken geübt sind, besonders groß zu sein, was mit den allgemeinen Eigenschaften der Aufmerksamkeit wohl übereinstimmt.
    Obgleich die Spannung der Aufmerksamkeit erst nach einer so langen Zeitdauer vollständig genug wird, um den Fehler zwischen der direkt empfundenen und der reproduzierten Zeit zu einem Minimum zu machen, so werden nun doch auch noch erheblich kleinere Zeiträume in der Reproduktion deutlich als kleinere unterschieden. Dies könnte auffallend scheinen. Es ist aber dabei erstens zu bedenken, daß wir selbstverständlich auch noch an solche Zeitunterschiede uns erinnern können, denen die Spannung der Aufmerksamkeit sich minder sicher anzupassen vermag; die Folge ist dann eben ein größerer durchschnittlicher Fehler, wie er sich in der Tat aus den Beobachtungen ergibt. Jene Zeit von 2–3 Sekunden bei einem kurzen Intervall zwischen den wirklichen Eindrücken und ihrer Reproduktion bezeichnet eben nur diejenige Zeitgrenze, welche unter den gegebenen Bedingungen für den Spannungswechsel der Aufmerksamkeit am günstigsten ist. Sodann kommt aber in Betracht, daß wir bei einem schnelleren Wechsel sehr bald dazu kommen, immer einen oder einige zwischenliegende Eindrücke minder stark zu betonen und so eine Taktform herzustellen, wobei die Senkungen als Unterabteilungen der Zeit zwischen den Hebungen betrachtet werden, welche letzteren wir hauptsächlich zur Abmessung der Zeitstrecken benutzen. Steigt das Intervall der Eindrücke über den Indifferenzpunkt, so wird es in der Reproduktion verkürzt, weil der Spannung der Aufmerksamkeit zu viel Zeit gelassen ist. Auch hier kann übrigens der Spannungswechsel der Aufmerksamkeit mit verschiedener Geschwindigkeit geschehen, und im allgemeinen akkommodieren wir uns bei der Reproduktion ebenfalls möglichst der Geschwindigkeit der äußern Eindrücke. Wir reproduzieren daher noch weit über dem Indifferenzpunkt Zeiträume von verschiedener Dauer im richtigen Sinne, aber der absolute Fehler, den wir begehen, wird wieder um so größer, je weiter wir uns von jener Grenze des leichtesten Spannungswechsels entfernen.
    Mit den hier erörterten Eigentümlichkeiten der absoluten Zeitauffassung hängen die Erscheinungen der relativen Zeitschätzung unmittelbar zusammen. Wenn wir ein erstes Zeitintervall mit einem zweiten vergleichen, welches um irgend einen Betrag von jenem verschieden ist, so ist uns dabei das erste im Moment der Vergleichung nur noch als Erinnerungsbild gegenwärtig, also mit jenen Fehlern behaftet, welche durch die Reproduktion in die Zeitschätzung kommen. Es muß daher notwendig die Auffassung der Zeitunterschiede bei solchen Intervallen am genauesten sein, welche dem angegebenen Indifferenzpunkt entsprechen, unter und über diesem muß sie in steigendem Grade ungenau werden. So zeigt denn auch der Versuch, daß der eben merkliche Zeitunterschied im Vergleich mit der Totalgröße der verglichenen Zeiten bei einer sehr kleinen absoluten Zeitdauer groß ist, dann ein Minimum erreicht, und endlich bei wachsender Zeit wieder zunimmt. Den ganzen Verlauf dieser Abhängigkeit ersieht man aus der ersten der folgenden Versuchsreihen; die beiden andern lassen nur die obere Zunahme erkennen. Mit t ist hier die zur Vergleichung dienende Zeit, mit  der Quotient des erkannten Zeitunterschiedes in die absolute Zeitdauer bezeichnet. Als Reize dienten Pendelschlage oder ähnliche intermittierende Schalleindrücke.

I.                                             II.                                             III. Mach (Reihe 1)             Mach (Reihe 2)             VIERORDT und HOERING             t                          t                              t 
        0,016 . . 0,750*                 0,300 . . 0,050                     0,300 . . 0,033
        0,110 . . 0,491                   0,594 . . 0,064                     0,594 . . 0,033
        0,375 . . 0,052                   0,804 . . 0,080                     0,804 . . 0,045
        0,535 . . 0,054                   1,136 . . 0,135                     1,136 . . 0,075
        1,153 . . 0,069
        4,520 . . 0,095 Die mit * bezeichneten Werte sind unsicher.
        8,000 . . 0,095*
    Die beträchtlichen Unterschiede in diesen Versuchsreihen sind wohl teils individuell, teils erklären sie sich aus der Verschiedenheit der Versuchsbedingungen56). Die Werte des Quotienten  scheinen sich zwischen einem unteren und einem oberen Maximum zu bewegen und in der Mitte, in Mach's Versuchen etwa bei 0,37", ein Minimum zu haben: hier ist also die Unterschiedsempfindlichkeit der Zeit am größten. Der Zeitwert von 0,37" ist nun allerdings ziemlich viel kleiner als der von VIERORDT für die genaueste Auffassung einer absoluten Zeitgröße gefundene Betrag. Dies kann aber davon herrühren, daß in mach's Versuchen die zu vergleichenden Zeiten ohne alle Zwischenzeit und in regelmäßigem Wechsel auf einander folgten, während bei VIERORDT im günstigsten Fall die zur Einstellung des Metronoms erforderliche Zwischenzeit verging und überdies kein stetiger Wechsel der Schlagfolge möglich war57). Daß aber mit dem Intervall zwischen Eindruck und Reproduktion sehr rasch der Indifferenzpunkt steigt, haben wir gesehen. Jedenfalls befindet sich die Erscheinung, daß das Maximum der Unterschiedsempfindlichkeit bei einem bestimmten Zeitwert erreicht wird, von wo dann dieselbe nach unten und nach oben abnimmt, in vollkommener Übereinstimmung mit der Tatsache des Indifferenzpunktes. Aus diesem Gang der Unterschiedsempfindlichkeit für Zeitgrößen geht hervor, daß das allgemeine psychophysische Gesetz hier nicht oder jedenfalls nur innerhalb engerer Grenzen annähernd verwirklicht sein kann. Bei Gültigkeit dieses Gesetzes müßte der Quotient  konstant sein; die angeführten Verhältnisse der absoluten Zeitschätzung bedingen aber eine Zunahme desselben sowohl bei abnehmenden wie bei zunehmenden Werten von t 58).

56) Die Versuche von mach sind alle nach der Methode der eben merklichen Unterschiede ausgeführt, für etwas größere Zeiten mit einem Pendel, bei dem je ein kürzerer auf einen längeren Schlag folgte, wobei dieser Zeitunterschied vom unter- bis zum übermerklichen gesteigert werden konnte. Für schnellere Zeiten benutzte mach ein durch eine Kurbel in Bewegung gesetztes Zahnrad mit zwei gegen einander verstellbaren Scheiben, welches an einem daran gehaltenen Stabe rasch aufeinanderfolgende Schläge bewirkte. Vierordt und HOERING haben ihre Versuche nach der Methode der richtigen und falschen Fälle ausgeführt und das Metronom benutzt, dessen Schwingungsdauer in schnell auf einander folgenden Beobachtungen variiert wurde. Die obigen Zahlen sind von VIERORDT (a. a. O. S. 153) approximativ aus den direkt erhaltenen Zahlen in Werte der Unterschiedsempfindlichkeit umgerechnet. Die Haupttabelle siehe ebend. S. 70.

57) Die Versuche HOERING'S über relative Zeitschätzung sind allerdings in ähnlicher Weise ausgeführt. Da sie aber nach der Methode der richtigen und falschen Fälle gewonnen sind, so lassen die Zahlen keine unmittelbare Vergleichung zu.

58) Bei Mach ist höchstens zwischen 0,3 und 1 Sek bei HOERING innerhalb wenig weiterer Grenzen die Unterschiedsempfindlichkeit annähernd konstant. Einige nach ähnlicher Methode ausgeführte Versuche von MAURITIUS (Programm des Gymnasium Casimirianum in Coburg, 1870) scheinen mehr übereinzustimmen, sind aber nicht zahlreich genug.

    Als allgemeines Resultat ergibt sich aus diesen Beobachtungen, daß der Verlauf der reproduzierten Vorstellungen in ganz derselben Weise von dem Spannungswechsel der Aufmerksamkeit beherrscht wird, wie der Verlauf der unmittelbaren Wahrnehmungen. Jeder Vorstellung muß sich die Aufmerksamkeit akkommodieren, damit eine Apperzeption derselben stattfinden kann. Wie wir nun bei den Erscheinungen der Zeitverschiebung beobachteten, daß ein Eindruck zu früh oder zu spät wahrgenommen werden kann, weil der Aufmerksamkeit entweder zu viel oder zu wenig Zeit zu ihrer Anpassung gelassen ist, so kann auch eine Vorstellung zu früh oder zu spät reproduziert werden. Das erstere sehen wir da eintreten, wo eine langsame, das letztere wo eine rasche Reproduktion gefordert ist. Auch hier paßt sich der Spannungswechsel der Aufmerksamkeit in seiner Geschwindigkeit den erinnerten Eindrücken an. Wir wiederholen daher in unserer Erinnerung im allgemeinen die Erlebnisse nach ihren wirklichen Unterschieden; wir mengen nur die Fehler bei, die sich aus der Anpassungszeit der Aufmerksamkeit ergeben und die mit der absoluten Zunahme der Zeitintervalle enorm zunehmen. Letzteres führt uns zugleich auf den Punkt, in welchem sich der Verlauf der reproduzierten Vorstellungen von demjenigen der entsprechenden Wahrnehmungen wesentlich unterscheidet. Durch die Reproduktion wird erstens der für den vollständigen Spannungswechsel der Apperzeption günstigste Zeitraum bedeutend vergrößert. Er erreicht, wie die Versuche über Zeitverschiebung lehren, bei der Sukzession der Wahrnehmungen kaum eine Sekunde, da erst, wenn zwei Schalleindrücke durch 1 Sekunde getrennt sind, die Zeitverschiebung durchschnittlich null wird. Wenn dagegen nur ein kurzes Intervall zwischen den Eindrücken und ihrer Reproduktion liegt, so kann sich der Indifferenzpunkt zwischen den positiven und negativen Werten der Zeitschätzung schon auf mehrere Sekunden erheben. Zweitens nehmen die Unterschiede der Reproduktion von der unmittelbaren Auffassung zu mit der Vergrößerung der zwischen den Vorstellungen gelegenen Zeitdistanz und der Zeit, welche von der Einwirkung der Eindrücke bis zum Moment der Reproduktion verflossen ist. Diese zweite Regel folgt ohne weiteres aus den vorhin erörterten Beobachtungen.

    Dem in den obigen Sätzen enthaltenen Gesetze läßt sich folgender Ausdruck geben. Nennen wir t die zwischen zwei Sinneseindrücken gelegene Zeit, J die Wiederholung dieser Zeit in der Reproduktion, und bezeichnen wir mit d die veränderliche Zeitgröße zwischen dem Ende der wahrgenommenen und dem Anfang der reproduzierten Zeit, so folgt die Beziehung zwischen J , t und d annähernd der Gleichung

J = t — b (da t),

worin b und a näher zu bestimmende Konstanten bedeuten. Durch das Produkt a t wird das Zeitintervall gemessen, welches jenem Indifferenzpunkte entspricht, wo die reproduzierte der wirklichen Zeit gleichkommt. Dieses Zeitintervall nimmt zu mit der Größe der Zeit t, und wir drücken es deshalb durch das Produkt a t aus. Ist d = a t, so wird J = t, was eben die Tatsache der Gleichheit reproduzierter und unmittelbar empfundener Zeit ausdrückt. Wird d kleiner als a t, so wird J größer als t, was den Zeiträumen unter der Indifferenzlage entspricht. Wird dagegen d größer als a t, so vermindert sich nun J im Verhältnis zu t in immer wachsendem Maße.
    Indem sich frühere Sinnesvorstellungen anscheinend spontan in unserm Bewußtsein erneuern, folgen sie dabei bestimmten Regeln der gegenseitigen Verbindung. Reproduktion und Assoziation stehen auf diese Weise in inniger Beziehung. Sie sind im Grunde eine und dieselbe Tatsache von verschiedenen Standpunkten aus betrachtet. Bei der Reproduktion haben wir das Hervortreten einer Vorstellung in das Bewußtsein, bei der Association ihren Zusammenhang mit einem vorausgegangenen Erinnerungsbild oder Sinneseindruck im Auge. Jedenfalls in der Mehrzahl der Fälle erweist sich die Assoziation als der Grund der Reproduktion. Wir haben gesehen, wie dieser Zusammenhang selbst in den anscheinend regellosesten Phantasiebildern des Traumes nachweisbar ist59). Doch läßt sich die Möglichkeit nicht bestreiten, daß, ebenso wie ein äußerer Sinneseindruck oder ein anderes Erinnerungsbild, so auch die automatische Reizung bestimmter zentraler Gebiete eine Reproduktion erzeugen kann. Aber schon durch das Vorkommen der automatischen Reizung ist diese Form der Reproduktion eine beschränktere60). Mit Rücksicht auf ihre nächste Ursache lassen sich demnach zunächst zwei Fälle der Reproduktion unterscheiden: solche aus physiologischer und solche aus psychischer Reizung. Bei der ersten gibt eine unmittelbare Sinnesanschauung (in seltenen Fällen eine zentrale Reizung), bei der zweiten ein anderes Erinnerungsbild den Grund zur Wiedererzeugung der Vorstellung.

59) Kap. XV.
60)Vergl. Kap. V.

    Die Sinnesanschauung übt, wie die Erfahrung lehrt, eine außerordentlich starke reproduktive Wirkung aus. Dies zeigt sich vor allem in jenen Reproduktionen, welche für uns hier nicht weiter in Betracht kommen, weil sie mit der sinnlichen Wahrnehmung selbst untrennbar verschmelzen, in den Reproduktionen der Innervationsgefühle und Tastempfindungen bei der räumlichen Anschauung sowie in den Erscheinungen der physiologischen Illusion. Doch regt ein äußerer Eindruck leicht auch solche Erinnerungsbilder auf, welche sich ihm getrennt gegenüberstellen. Dabei folgt die Reproduktion im allgemeinen den nämlichen Regeln wie bei der Sukzession reiner Erinnerungsbilder. Diese letztere die Reproduktion aus psychischer Reizung, ist es nun vorzugsweise, welche man unter den Erscheinungen der Assoziation der Vorstellungen zu begreifen pflegt. Die Selbstbeobachtung zeigt, wie unsere Erinnerungsbilder, so schwankend auch ihr Verlauf sein mag, doch durchgängig in einem gewissen Zusammenhange stehen, der teils, wie es scheint, von ihrer inneren Verwandtschaft teils von ihrer äußeren, mehr oder weniger zufälligen Verbindung beherrscht wird. Die unmittelbar unserer inneren Beobachtung sich aufdrängenden Regeln dieses Zusammenhanges sind es, welche man als die Assoziationsgesetze bezeichnet hat. Diese Regeln enthalten zweifellos einen im allgemeinen richtigen Ausdruck der unmittelbar wahrzunehmenden Tatsachen, mehr aber freilich auch nicht. Zunächst sind zwei, wirklich überall in dem Verlauf unserer Vorstellungen sich kundgebende Erscheinungen in denselben ausgedrückt, nämlich 1) daß jede Vorstellung geneigt ist, eine ihr ähnliche in's Bewußtsein zu rufen, und 2) daß eine Vorstellung sich besonders leicht mit solchen assoziiert, mit denen sie häufig verbunden gewesen ist, sei es in Folge räumlicher Koexistenz, sei es durch die regelmäßige Ordnung in einer Zeitreihe. Bei der ersten dieser Regeln muß man jedoch festhalten, daß der Begriff der Ähnlichkeit zweier Vorstellungen ein sehr weiter ist, indem derselbe in jedem möglichen Empfindungsbestandteil, namentlich auch im Gefühlstone liegen kann, daß also ein solches Gesetz der Ähnlichkeit sehr weite Schranken hat. Hinsichtlich der zweiten Regel ist zu bemerken, daß die Koexistenz im Raume und die zeitliche Ordnung offenbar nur besondere Fälle einer Verbindung sind, welche durch die Gewohnheit herbeigeführt ist, daher wir dieselbe zweckmäßiger als die Regel der assoziativen Gewöhnung bezeichnen. In der Tat scheiden sich nun diese beiden Fälle der Assoziation sehr deutlich in der Selbstbeobachtung. Auf der Assoziation durch Verwandtschaft beruht die ursprünglichste Art der Verbindung der Vorstellungen. Sie pflegt noch verhältnismäßig am reinsten dann hervorzutreten, wenn unser Bewußtsein ganz dem zufälligen Spiel seiner Phantasiebilder hingegeben ist, also z. B. im Traume oder in halbträumenden Zuständen des wachen Lebens. Bei voller Besinnung ist dagegen die assoziative Gewöhnung weitaus mächtiger. Auf ihr beruht nicht nur die Neigung Dinge, die wir oft zusammen wahrgenommen, neben oder nacheinander vorzustellen, sondern auch ein großer Teil der erlernten Zusammenhänge unserer Vorstellungen. Es ist ja bekannt, wie außerordentlich schwer es ist, das Alphabet oder irgend einen wohlbekannten Satz rückwärts zu sagen. Hier hat die assoziative Gewöhnung gewissen Vorstellungen, die noch dazu manchmal, wie z. B. beim Alphabet; in gar keinem innern Zusammenhang stehen, eine ganz bestimmte Richtung ihres Verlaufs angewiesen. Am meisten ist aber allerdings der Abfluß der Vorstellungen dann erleichtert, wenn Verwandtschaft und assoziative Gewöhnung zusammenwirken. Darauf beruht die viel größere Sicherheit, mit der wir eine Melodie oder einen logisch zusammenhängenden Gedanken reproduzieren; ein Umstand, der bekanntlich in den versifizierten Genusregeln und andern mnemonischen Kunststücken benutzt wird. Vor allem bewährt in allen diesen Fällen wieder die rhythmische Klangfolge ihre Bedeutung für die zeitliche Ordnung der Vorstellungen.
    Ehe wir die Frage erheben können, worin das Prinzip der Verwandtschaft und das der assoziativen Gewöhnung ihren Grund haben, erhebt sich die Vorfrage, wie überhaupt eine Reproduktion dem Bewußtsein entschwundener Vorstellungen möglich sei. Hierauf sind drei Antworten denkbar, und sie sind alle drei gegeben worden. Die Vorstellungen bleiben entweder l) fortwährend selbst in der Seele, sie verschwinden nur scheinbar, weil sie durch andere Vorstellungen aus dem Bewußtsein verdrängt werden, oder es bleiben 2) von ihnen Reste oder Spuren zurück, welche irgendwie ihre Wiedererzeugung bewirken können, oder endlich, es hinterläßt 3) jede Vorstellung eine Disposition zu ihrer Erneuerung, welche Disposition zur wirklichen Reproduktion führt, sobald irgend eines jener Motive vorliegt, welche in den Regeln der Assoziation enthalten sind.
    Die erste dieser Ansichten muß eine latente oder unbewußte Existenz der Vorstellungen annehmen. Nun kann eine latente Vorstellung möglicherweise wegen anderer im Bewußtsein vorhandener Vorstellungen oder wegen ihrer eigenen, von derjenigen der bewußten Vorstellungen verschiedenen Natur nicht bewußt sein. Nimmt man das erstere an, wie es die HERBART'sche Schule tut, so wird als einziger Grund der Unbewußtheit die Eigenschaft, des Bewußtseins gesetzt, nur eine beschränkte Zahl von Vorstellungen umfassen zu können. Es ist uns aber das Bewußtsein nur aus unsern Vorstellungen bekannt, ebenso wie wir unsere Vorstellungen nur aus dem Bewußtsein kennen. Eine unbewußte Vorstellung ist daher, ebenso wie ein nicht-vorstellendes Bewußtsein, ein Begriff, dem eigentlich sein Inhalt verloren ging. Eine Vorstellung die nicht vorgestellt wird, ist eben keine Vorstellung. Die empirische Tatsache der Enge des Bewußtseins kann also nur so gedeutet werden, daß nicht alle Vorstellungen als solche fortbestehen; und eine reproduzierte Vorstellung wird erst in dem Moment, wo sie reproduziert wird, auch wieder Vorstellung. So bliebe denn nur übrig anzunehmen, daß der latenten Vorstellung gewisse Eigenschaften fehlen, welche zu ihrem Bewußtsein erforderlich sind, eine Annahme, die auf die zweite Theorie, die der Reste oder Spuren, hinausführt. Denn unter den letzteren versteht man eben solche irgendwie veränderte und deshalb nicht mehr bewußte Vorstellungen. Diese Theorie, ob sie nun die Spuren als materielle Eindrücke im Gehirn oder als Vorstellungsreste in der Seele oder als beides zugleich ansehen mag, muß aber notwendig voraussetzen, daß zu der Spur, wenn sie wieder zur wirklichen Vorstellung werden soll, irgend etwas hinzutreten müsse; und zwar kann dies hinzutretende nicht etwa bloß in dem Assoziationsmotiv bestehen, welches immer nur den äußeren Grund der Reproduktion abgibt, sondern es muß sich der angenommene Vorstellungsrest selbst in Folge dieses äußeren Anlasses wieder zur ganzen Vorstellung integrieren. Jener Rest ist also offenbar nur eine zurückbleibende funktionelle Anlage zur Wiedererneuerung der einmal vorhanden gewesenen Vorstellung. So führt die Theorie der Reste oder Spuren schließlich ganz notwendig auf die dritte Ansicht hinaus, auf die Annahme einer zurückbleibenden Disposition zur Vorstellung. Diese Annahme ist aber zugleich der einfachste und unmittelbarste Ausdruck der Tatsachen. Eine Disposition für die Erneuerung der Vorstellungen müssen wir annehmen, und mehr anzunehmen ist durch nichts gefordert.
    Man kann freilich sagen: eine Disposition muß doch auf irgend einem. physischen oder psychischen Zustande beruhen, der, ehe die Vorstellung einwirkte, nicht vorhanden war, also auf einer Spur, welche die Vorstellung zurückließ. Wollte man allgemein unter der "Spur" bloß eine Nachwirkung irgend welcher Art verstehen, so wäre auch dagegen nichts einzuwenden. Aber die "Spur" wird eben von der bloßen "Disposition" als eine Art der Nachwirkung unterschieden, welche nicht bloß die Entstehung gewisser Vorgänge erleichtert, sondern welche selbst einen bleibenden, noch dazu mit dem zu erneuernden Vorgang verwandten Zustand darstellt. Analogien aus dem physiologischen Gebiet werden diesen Unterschied deutlicher hervortreten lassen. In einem Auge, das in blendendes Licht gesehen hat, hinterbleibt eine Nachwirkung des Eindrucks in dem Nachbilde; ein Auge aber, welches häufig räumliche Entfernungen messend vergleicht, gewinnt ein immer schärferes Augenmaß. Das Nachbild ist eine zurückbleibende Spur, das Augenmaß eine funktionelle Disposition. Die Netzhaut und die Muskeln des geübten Auges können möglicherweise gerade so beschaffen sein wie die des ungeübten und doch hat das eine die Disposition in stärkerem Maße als das andere. Man kann nun freilich auch hier sagen: die physiologische Übung der Organe beruht weniger auf ihren eigenen Veränderungen als auf den Spuren, welche in ihren Nervenzentren zurückgeblieben sind. Alles aber, was wir in der physiologischen Untersuchung des Nervensystems über die Vorgänge der Übung, Anpassung an gegebene Bedingungen u. dergl. erfahren haben, weist darauf hinm, daß auch hier die Spuren wesentlich in funktionellen Dispositionen bestehen. Auf einer Leitungsbahn, welche oft in Anspruch genommen wurde, geht die Leitung immer leichter vonstatten. Nun ist allerdings eine solche funktionelle Disposition nicht ohne bleibende Veränderungen denkbar, die als Nachwirkungen der Übung geblieben sind. Die bleibenden Nachwirkungen dieser Art sind aber etwas von der Funktion, zu deren Erleichterung sie beitragen, total verschiedenes. Die Muskeln schleifen und biegen bei der Bewegung der Glieder die Knochen allmälig gemäß der Wirkung, die sie ausüben, und erleichtern dadurch bestimmte Bewegungen. Aber die Form des Skeletts und der Muskeln, die so allmälig durch Übung herbeigeführt wird, ist von den Bewegungen, zu denen sie die funktionelle Disposition bildet, total verschieden. Gerade so werden zweifellos auch in den Nerven und in den Zentralorganen bei der Einübung bestimmter Bewegungen und Sinnestätigkeiten bleibende Veränderungen vor sich gehen, die jedoch mit der Funktion, die dadurch prädisponiert wird, nicht im mindesten direkt vergleichbar sind.
    Die Übertragung dieser Gesichtspunkte auf die Reproduktion der Vorstellungen liegt um so näher, als es sich bei dieser augenscheinlich um etwas handelt, was mit der physiologischen Übung ganz und gar übereinstimmt. Die assoziative Gewöhnung können wir ebenso gut eine Übung in der Assoziation bestimmter Vorstellungen nennen, und das Prinzip der Verwandtschaft läßt sich ohne weiteres der Regel unterordnen, daß jeder Vorgang durch Übung die funktionelle Disposition für einen ähnlichen Vorgang befördern muß. Gibt man also zu, daß keine Vorstellung ohne begleitende zentrale Sinneserregungen stattfindet, so wird man auch voraussetzen müssen, daß die Einflüsse der physiologischen Übung, die schon bei den Vorgängen der Leitung, der Reflexerregung u. s. w. eine wichtige Rolle spielen, auch hier in Betracht kommen. Jede Erregung einer zentralen Sinnesfläche muß, gemäß den früher erörterten Eigenschaften der Nervensubstanz, eine Disposition zur Erneuerung dieser Erregung zurücklassen. Die Regel der Verwandtschaft bestätigt und erweitert dies in dem Erfahrungssatz, daß eine zentrale Sinneserregung ähnlicher Art geeignet ist, vermöge einer zurückgebliebenen Disposition eine frühere Erregung zu wiederholen; die Regel der assoziativen Gewöhnung fügt die weitere Erfahrung hinzu, daß zentrale Sinneserregungen, welche oft mit einander verbunden gewesen sind, sich in dieser Beziehung ganz so wie verwandte Erregungen verhalten.
    Diese Annahmen müssen gemacht werden, sobald man nur von der Voraussetzung ausgeht, daß Reproduktion und Assoziation mit physiologischen Vorgängen verbunden sind61). Ist aber einmal diese Voraussetzung gegeben, so sind damit auch alle Erscheinungen in der Verbindung unserer Vorstellungen, welche bloß auf die Gesetze der Verwandtschaft und der assoziativen Gewöhnung zurückführen, vollständig erklärt, und es ist nicht im geringsten erforderlich, außerdem noch besondere psychologische Prozesse anzunehmen, abgesehen von der allgemeinen Tatsache, daß gewisse Reizungsvorgänge in der zentralen Nervensubstanz in unserer Selbstauffassung als Empfindungen existieren.

6l) Vgl. Kap. XV.

    Wem diese Ableitung der Assoziationsgesetze aus Gehirnprozessen etwa deshalb wiederstreben sollte, weil sie ihm die Würde des menschlichen Geistes zu beeinträchtigen scheint, der vergegenwärtige sich nur die Fälle, wo die Regeln der Vorstellungsassoziation möglichst rein zum Ausdruck gelangen. In Wahrheit sind sie nirgends anzutreffen, weil die willkürliche Spannung der Aufmerksamkeit den Wechsel unserer Erinnerungsbilder ebenso sehr beherrscht, wie den Verlauf der äußeren Wahrnehmungen. Annäherungen findet man aber immerhin in den Traumbildern und in der Ideenflucht des Irren. Hier beobachtet man auf das schönste die Herrschaft der Assoziationsgesetze. Und doch ringen dieselben in jenen Zuständen immer noch mindestens mit den Nachwirkungen einer Zeit, in welcher sie nicht geherrscht haben, sondern unterworfen gewesen sind der Herrschaft der Apperzeption. Sollte man nun wirklich glauben, daß es für die Würde des menschlichen Geistes besonders förderlich sei, in den wilden Phantasmen des Traumes und des Wahnsinns dessen eigenste innere Tätigkeit zu verehren? Und sollte es nicht vielmehr eine auch ethisch angemessenere Vorstellung sein, daß das Spiel der Assoziationsgesetze zwar für die Ausbildung unseres Geistes eine nicht minder wichtige Grundlage bildet, als die Sinnesempfindungen, daß es aber ebenso wenig wie diese den Wechsel unserer Vorstellungen wirklich beherrscht?
    In der Tat sind nun die Assoziationsgesetze durchaus nur Regeln, welche einen Wechsel der Vorstellungen in bestimmter Richtung begünstigen, keineswegs aber denselben notwendig herbeiführen, ähnlich wie jeder äußere Sinneseindruck ein Reiz zur Apperzeption ist, ohne daß dieselbe immer eintreten muß. Auch die Assoziationsgesetze sind ganz und gar der Herrschaft der Aufmerksamkeit unterworfen, welche zwar in der Regel die geläufigere Assoziation vorzieht, gerade so wie sie sich mit Vorliebe dem stärkeren Sinneseindruck zuwendet, dabei aber doch spontan ihre Wahl trifft zwischen den bereit liegenden Assoziationen ebenso wie zwischen den dargebotenen Sinnesreizen. Da die Assoziation selbst nur auf einer Wechselwirkung physiologischer Reizungen beruht, so sind in Wirklichkeit beide Fälle gar nicht von einander verschieden. Irgend eine vorhandene zentrale Sinnesreizung ruft andere hervor, die ihr verwandt sind, oder mit denen sie oft verbunden gewesen ist. Aber die Vorstellungen, die so in das allgemeine Blickfeld des Bewußtseins treten, sind zunächst außerordentlich schwach, bis die Spannung der Aufmerksamkeit hinzukommt, die auf eine oder einige wenige sich konzentriert und dieselben in den Blickpunkt hebt. Diese Wirkung müssen wir uns ganz ebenso, wie bei der Apperzeption der äußeren Sinneseindrücke denken. Sie besteht in einer willkürlichen Innervation, welche in ihren stärkeren Graden auch hier deutlich als Spannungsgefühl sich verrät. Sie wirkt zurück auf die Sinneszentren und verstärkt so unter allen den leise anklingenden Erregungen eine bestimmte, die sich nun als deutliches Erinnerungsbild in den Mittelpunkt des Bewußtseins stellt. Wir empfinden diese Spannung der Aufmerksamkeit immer dann als eine willkürliche Tätigkeit, wenn dieselbe zu bedeutenderer Stärke anwachsen muß, um eine bestimmte Vorstellung in den Vordergrund zu ziehen. In dem Maß erscheint uns daher der Verlauf unserer Vorstellungen mehr dem Willen unterworfen, als die Assoziationen undeutlicher werden. Wo diese offen vor Augen liegen, da kann es im Gegenteil scheinen, als wenn die Vorstellungen von selbst abliefen, ohne irgend eine Tätigkeit von unserer Seite. In Wahrheit handelt es sich aber dabei immer nur um Gradunterschiede in der Adaptation der Aufmerksamkeit. In irgend einem Grade muß diese, mindestens bei jedem geordneten Gedankenlauf, vorhanden sein, um demselben seine Richtung anzuweisen, und zu verhindern, daß er nicht fortwährend auf Nebenwege abschweife. Solches Abschweifen zeigt eben der Traum und die Ideenflucht des Irren, Zustände, in denen häufig, wie es scheint, die Spannung der Aufmerksamkeit fast völlig verschwindet. Neben dem Abschweifen auf bereit liegende Assoziationen zeigt sich dabei aber immer auch das Gesetz wirksam, daß eine öfter wiederholte Erregung mehr und mehr die Erregbarkeit in der nämlichen Richtung anwachsen läßt. So kommt es, daß die Ideenflucht und die Einschränkung auf fixe Ideen, beides unmittelbare Folgen der Assoziationsgesetze, in dem Gedankenverlauf des Irrsinnigen enge verbunden sind.
    Der beherrschende Einfluß der Aufmerksamkeit auf den Wechsel der Vorstellungen weist dem letzteren vor allem seine Geschwindigkeit an. Durch ihn wird jede Vorstellung so lange in dem innern Blickpunkt festgehalten, als zu ihrer vollständigen Apperzeption erforderlich ist. Wo die Spannung der Aufmerksamkeit nachläßt und die Assoziationsgesetze zügellos ihr Spiel treiben, da schweifen deshalb die Phantasiebilder nicht bloß nach allen möglichen Richtungen ab, sondern sie halten auch niemals Stand, sie drängen und überstürzen sich, daher gerade der Ausdruck Ideenflucht für diese Zustände so charakteristisch ist. Das Spannungsgefühl der Aufmerksamkeit verhält sich aber je nach der Geschwindigkeit, mit welcher die Apperzeption wechselt, wesentlich verschieden. War eine Vorstellung lange Zeit in den innern Blickpunkt gehoben, so bewirkt die hierbei aufgewandte Tätigkeit eine Ermüdung, welche das Hervortreten einer kontrastierenden Vorstellung begünstigt, weil bei dieser eine möglichst verschiedenartige Adaptation einzutreten hat. Schon die ältere Psychologie hat daher dem Assoziationsgesetz der Ähnlichkeit das scheinbar damit geradezu im Widerspruch stehende Gesetz des Kontrastes beigefügt. Später hat man das letztere negiert oder auf assoziative Gewöhnung zurückgeführt62). Die Wahrheit ist, daß die Regel der Verwandtschaft allerdings vorherrscht, und daß insbesondere bei einem schnellen Wechsel der Vorstellungen sich selten der Kontrast geltend macht. Er kann aber entstehen, indem die Spannung der Aufmerksamkeit für eine einzelne Vorstellung oder für eine bestimmte Form und Richtung der Vorstellungen nachläßt, um einem entgegengesetzten Spannungszustande Platz zu machen. Auf diese Weise können selbst in der Ideenflucht die auf einander folgenden Vorstellungsreihen kontrastieren. Ein solcher Kontrast ist immer von einem deutlichen Wechsel im Spannungsgefühl der Aufmerksamkeit begleitet. Indem die bisherige Anpassung aufhört und einer andern weicht, fühlen wir uns innerlich erleichtert, und so ist jeder Übergang von einer Vorstellungsreihe zur andern mit einer Art Lustgefühl verbunden, welches von dem Inhalt der Vorstellungen zunächst nicht abhängt63). Andere Wirkungen hat der Ablauf der Vorstellungen, wenn derselbe, wie in der Ideenflucht, so beschleunigt ist, daß sich eine zureichende Adaptation der Aufmerksamkeit gar nicht vollenden kann. Indem bei jeder neuen Vorstellung, welche durch Assoziation hervortritt, eine neue Anspannung der Aufmerksamkeit erfordert wird, die, noch nicht zureichend vollendet, von einer andern abgelöst wird, tritt eine außerordentlich rasche Erschöpfung ein, welche notwendig auf die ganze Fähigkeit der Apperzeption verderblich zurückwirken und die freie Herrschaft der bloßen Assoziationsgesetze immer mehr unterstützen muß. Schon die Reden eines Irrsinnigen, der mit Ideenflucht behaftet ist, reproduzieren in dem Zuhörer das Bild dieses Zustandes, indem sich ihm das unüberwindliche Gefühl aufdrängt, er müsse bei fortgesetztem Zuhören notwendig selber verrückt werden64).

62) So im wesentlichen die HEBBART'sche Schule, welche nur die Assoziation ähnlicher Vorstellungen als unmittelbare Reproduktion gelten läßt, alle andern Verbindungen aber auf eine mittelbare Reproduktion zurückführt, welche durch Verschmelzung der einander nicht störenden Reste der Vorstellungen geschehen soll.

63) Auch A. Horwicz hat in seiner Schrift: psychologische Analysen auf physiologischer Grundlage S. 322, mit Recht, wie ich glaube, auf eine Beziehung des Kontrastgesetzes der Assoziation zum Gefühl hingewiesen.

64) Diejenigen Leser, welche nicht Gelegenheit haben, solche Beobachtungen anzustellen, mache ich darauf aufmerksam, daß sich in dem Bücherkatalog fast eines jeden Jahres einige Werke befinden, die von wirklich Verrückten geschrieben und meist schon an ihren Titeln zu erkennen sind. Für das Studium der Assoziationsgesetze sind dieselben sehr zu empfehlen.

    So erweist sich uns denn überall die spontane Wirkung der Aufmerksamkeit, deren physiologische Grundlage die willkürliche Innervation ist, als der wesentlichste Motor unserer Vorstellungen den äußeren Sinneseindrücken sowohl wie dem Spiel der Assoziation gegenüber, die für unsere Apperzeption, gleich dem direkten Sinnesreiz, nur ein äußeres Motiv ist, ihre Tätigkeit zu entfalten. Darin grade liegt die vorherrschende Bedeutung der Zentralorgane, daß in ihnen vermöge ihrer Strukturanlage eine Disposition zurückbleibt, frühere Sinneserregungen zu erneuern, und zwar in den Verbindungen, in die sie durch Verwandtschaft und Gewöhnung gesetzt sind. Nicht sowohl die Fähigkeit der Empfindung, als die Eigenschaft, Empfindungen in den Verbänden, in die sie einmal gebracht sind, wieder erneuern zu können, ist aber die physiologische Grundlage des Bewußtseins.
    Die Anlage zur Aufmerksamkeit selbst ist durch die Eigenschaft der spontanen Innervation und ihre Rückwirkung auf die sinnliche Empfindung gegeben. Aus dieser Anlage entwickelt sich deutlich ihre Funktion. Im Bewußtsein des Kindes und des Naturmenschen spielt die unbeherrschte Assoziation noch eine wichtige Rolle. Die geistige Erziehung des Menschen besteht hauptsächlich in jener Lenkung der Aufmerksamkeit, durch welche diese über Sinneseindrücke und Assoziationen die nötige Macht gewinnt. Nicht durch Gewalt oder Vorschriften läßt sich das erreichen, sondern dem Erzieher muß es glücken, die Apperzeption so zu lenken, daß sie von selbst das Richtige bevorzugt. Die wirksamste Hilfe gewährt es ihm dabei, wenn er mit der Spannung der Aufmerksamkeit angemessen zu wechseln versteht, damit jenes Lustgefühl entstehen könne, welches den ungezwungenen Abfluß der apperzipierten Vorstellungen begleitet.
    Indem wir so die Apperzeption als eine Funktion des Willens auffassen, bleibt unsere Untersuchung des Verlaufs der Vorstellungen schließlich bei der Frage nach der Entwicklung des Willens stehen. Nun dokumentiert sich aber der Wille, außer in den Erscheinungen der Aufmerksamkeit, auch noch in den willkürlichen Bewegungen. Erst nachdem wir diese betrachtet haben, wird es daher an der Zeit sein auf jene Frage zurückzukommen65).

65) Kap. XXI.

    Daß die vier Assoziationsgesetze der älteren Psychologie, die Verbindung durch Ähnlichkeit, Kontrast, Koexistenz und Sukzession, nur eine dürftige Subsumtion der innern Erscheinungen unter einige allgemeine Regeln darstellen, ist gegenwärtig allgemein anerkannt. Weniger einig ist man darüber, was an deren Stelle zu setzen sei. Das Bestreben, eine wissenschaftlich strenge Entwicklung des Verlaufs und der Verbindung der Vorstellungen zu gewinnen, bildet den Mittelpunkt von HERBART's psychologischen Untersuchungen. Die metaphysischen Voraussetzungen, auf welche dieselben gegründet sind, können wir hier nur berühren66). Die Vorstellung ist nach herbart Selbsterhaltung der Seele gegen die störende Einwirkung anderer einfacher Wesen. Die einmal entstandene Vorstellung soll nun, als Tätigkeit des Vorstellens, unvermindert beharren, aber der Effekt dieser Tätigkeit, das vorgestellte Bild, soll geschwächt oder auch ganz aufgehoben werden, indem sich die wirkliche Vorstellung in ein Streben vorzustellen verwandelt. Solches geschieht dann, wenn entgegengesetzte Vorstellungen gleichzeitig vorgestellt werden sollen. Das Bewußtsein ist die Summe des gleichzeitigen wirklichen Vorstellens. Die Vorstellungen entschwinden aus dem Bewußtsein, indem entgegengesetzte Vorstellungen eine Hemmung auf einander ausüben, und sie treten wieder in das Bewußtsein, wenn die Hemmung aufhört. Bis hierhin lassen sich diese Sätze als zwar bestreitbare, aber immerhin mögliche Hypothesen ansehen, mit deren Hilfe der Versuch gemacht werden könnte, das Schauspiel des Verlaufs der Vorstellungen zu erklären. HERBART fügt ihnen dann noch die weitere Annahme hinzu, daß disparate Vorstellungen sich nicht hemmen sondern eine Komplikation einfacher Vorstellungen bilden, und daß von den Vorstellungen desselben Sinnes die gleichartigen Bestandteile sich nicht hemmen, sondern mit einander verschmelzen. Von diesen Annahmen aus ergibt sich nun die naheliegende Voraussetzung, bei gleichen Gegensätzen verschiedener Vorstellungen seien die Hemmungen, die sie erfahren, ihren Intensitäten umgekehrt proportional, und bei gleichen Intensitäten sei die Hemmung jeder einzelnen Vorstellung der Summe der Gegensätze, in denen sie sich zu den andern Vorstellungen befindet, direkt proportional. Sind also, was der gewöhnliche Fall sein wird, sowohl die Intensitäten wie die Gegensätze ungleich, so wird die Abhängigkeit eine zusammengesetzte sein. Drei Vorstellungen von der Stärke a, b, c werden also z. B. in den Verhältnissen  gehemmt werden, wenn der Gegensatz von a und b = m, von a und c = p, von b und c = n ist. Durch diese Feststellung des Hemmungsverhältnisses ist aber noch kein Aufschluß über das Verhalten der Vorstellungen im Bewußtsein gewonnen; zu diesem Zweck müßte man offenbar nicht bloß das Hemmungsverhältnis, sondern die absolute Intensität des Vorstellens kennen, welche nach geschehener Hemmung übrig bleibt. Wir kennen diese absolute Intensität nicht. So hilft sich denn HERBART mit einer Hypothese. Er nimmt nämlich an, die absolute Summe der Hemmungen sei möglichst klein, was dann stattfinde, wenn nicht alle Vorstellungen gegen alle, sondern alle gegen eine, und zwar gegen diejenige, der die kleinste Summe von Gegensätzen gegenüberstehe, sich richten. Diese Annahme ist nun nicht nur willkürlich, sondern auch so unwahrscheinlich wie möglich. Wenn zu zwei Vorstellungen a und b, die in starkem Gegensatze stehen, eine dritte c von minderem Gegensatze hinzutritt, so sollen plötzlich a und b einander loslassen, um sich beide auf die ihnen verwandtere c zu werfen, ähnlich wie zwei erbitterte Gegner über irgend einen unschuldigen Dritten herfallen, der sich beikommen läßt, zwischen ihnen vermitteln zu wollen. Der einzige Grund für diese Behauptung ist der in verschiedenen Wendungen wiederkehrende ideologische Gedanke: da alle Vorstellungen der Hemmung entgegenstrebten, so würden sie sich zweckmäßiger Weise wohl mit der kleinsten Hemmungssumme begnügen, worauf die Frage nahe liegt, warum sie denn nicht lieber diese unzweckmäßige Tätigkeit ganz einstellen. Gehört es aber zum Wesen der entgegengesetzten Vorstellungen sich zu hemmen, so kann die Hemmungssumme zwischen a und b durch den Hinzutritt einer dritten Vorstellung c nur insoweit alteriert werden, als diese dritte Vorstellung selbst wieder a und b hemmt und von ihnen gehemmt wird, ähnlich wie die Attraktionskraft zweier Körper durch einen dritten in ihrer Wirkung kompliziert, aber nimmermehr aufgehoben wird. Die übrigen Voraussetzungen HERBART's, wie sein dynamisches Gesetz, daß die Hemmungen, welche die Vorstellungen in jedem Augenblick erleiden, der Summe des noch zu Hemmenden proportional seien, und die Annahme, daß die Vorstellungen durch die Reste, durch welche sie mit einander verschmolzen sind, eine gegenseitige Hilfe empfangen, welche dem Produkt der Verschmelzungsreste direkt, der Intensität jeder einzelnen Vorstellung aber umgekehrt proportional sei, diese Annahmen könnten an und für sich als mehr oder weniger plausible Hypothesen gelten, wenn nicht, sobald jenes Axiom von der kleinsten Hemmungssumme hinfällig wird, dem ganzen Gebäude der Boden entzogen wäre.

66) Herbart, Psychologie als Wissenschaft. §. 36, §. 41 f. (Werke Bd. 8.) Man vgl. dazu dessen Lehrbuch der Psychologie Kap. II u. f. (ebend.) und Hauptpunkte der Metaphysik §. 13 (Bd. 3, S. 41).

    Es könnte jedoch immerhin, auch wenn man den Versuch einer mathematischen Deduktion preisgibt, dem Hauptgedanken derselben eine gewisse Wahrheit zukommen, daß nämlich alle Tatsachen der innern Beobachtung auf einer Wechselwirkung der Vorstellungen beruhen, welche lediglich durch den Gegensatz oder die Verwandtschaft derselben bedingt ist. Nun tragen aber die Erklärungen, welche HERBART von den Grundtatsachen des Bewußtseins gibt, durchweg den Charakter zufällig entdeckter Ähnlichkeiten, die er an den ihm begegnenden mathematischen Resultaten mit den innern Erfahrungen herausfindet. Die Spannungen, welche die Vorstellungen bei ihrer Wechselwirkung im Bewußtsein erfahren, nennt er Gefühle, weil wir bei manchen Gefühlen uns beklemmt oder erleichtert finden; das Aufstreben einer Vorstellung wird ihm zum Begehren, weil auch wir in diesem Seelenzustande irgend etwas erstreben; endlich in der Verschmelzung einer Vorstellungsmasse mit einer andern oder, wie in diesem Fall, um auf das gewünschte Resultat vorzubereiten, gesagt wird, in der Aneignung der einen Masse durch die andere, soll das Wesen der Apperzeption bestehen, weil bei dieser bekanntlich wir die Vorstellungen uns aneignen. So löst denn bei HERBART alles innere Geschehen in Verhältnisse der Vorstellungen zu einander sich auf. Was wir sonst selbst zu tun und zu leiden glauben, das tun und leiden bei ihm die Vorstellungen. Der Grundirrtum dieser Psychologie liegt in ihrem Begriff der Apperzeption. Hat man einmal zugegeben, daß aus der Verschmelzung von Vorstellungsmassen ein Selbstbewußtsein entstehen kann, so läßt sich auch nicht mehr erhebliches dagegen einwenden, daß wir die Spannung und das Aufstreben der Vorstellungen als Fühlen und Begehren empfinden. Die entscheidende Wichtigkeit, welche der spontanen Tätigkeit des Vorstellenden bei der Apperzeption zukommt, ist hier ganz und gar übersehen. So wird denn alles was ihre Wirkung ist bei HERBART in jene Wechselwirkungen der Vorstellungen verlegt, welche doch in Wahrheit nur dieselbe Bedeutung haben wie die äußern Sinneseindrücke, indem sie eine physiologische Grundlage des geistigen Geschehens, nicht aber dieses selbst sind. Wenn man die Anschaulichkeit gerühmt hat, mit der herbart das Steigen und Sinken der Vorstellungen in uns schildert, so besteht diese bloß darin, daß er eben überhaupt eine Bewegung schildert. Ob aber die letztere mit dem wirklichen Steigen und Sinken unserer Vorstellungen übereinstimme, dafür fehlt es überall an einem Beweise. Im Gegenteil, wo es je einmal gelingt an diese Fiktionen den Maßstab exakter Beobachtung anzulegen, da widerstreiten sie derselben. So kennt jene Theorie nur eine Hemmung zwischen gleichartigen Vorstellungen. Die Untersuchung zeigt aber zweifellos, daß auch disparate Vorstellungen sich hemmen können. Dieses Faktum weist eben darauf hin, daß die so genannte Hemmung der Vorstellungen nicht in den Vorstellungen selbst sondern in der Tätigkeit der Apperzeption ihren Grund hat. Treffend sagt HERBART selbst von seiner Psychologie, sie konstruiere den Geist aus Vorstellungsreihen, ähnlich wie die Physiologie den Leib aus Fibern67). In der Tat, so wenig es jemals gelingen wird, aus der Reizbarkeit der Nervenfasern die physiologischen Funktionen zu erklären, so fruchtlos ist das Unternehmen aus dem Drücken und Stoßen der Vorstellungen die innere Erfahrung abzuleiten. Die Nerven- und Muskelfasern und Drüsenzellen bedürfen des Zusammenhalts durch zentrale Gebilde, von denen aus sie regiert werden. Die Vorstellungen aber stehen unter der Herrschaft der Apperzeption.

67) HERBART's Werke Bd. 5, S. 192.

    Ein weiterer bemerkenswerter Versuch, die Reproduktion und Assoziation zum Ausgangspunkt einer zusammenhängenden psychologischen Theorie zu machen, rührt von BENEKE her, einem Philosophen, den die unmittelbaren Resultate der Selbstbeobachtung in der ganzen Richtung seines Denkens bestimmt haben68). Alles Vorstellen setzt sich ihm aus der Äußerung ursprünglicher Seelenkräfte, so genannter Urvermögen, und aus der Einwirkung von Reizen zusammen. Das Urvermögen ist ein Streben, welches durch die Begegnung mit dem Reize zur wirklichen Vorstellung wird. Jede einzelne Vorstellung geht, wie sie einen neuen Reiz voraussetzt, so auch aus einem neuen Urvermögen hervor. Die Vorstellungen verschwinden nur scheinbar aus dem Bewußtsein. Sie dauern in ihrer Zusammensetzung aus Vermögen und Reiz fort. Aber einzelne Elemente des Reizes sind an das Vermögen weniger fest gebunden und werden darum leicht an andere, fremde Elemente abgegeben. So entstehen die unbewußten Vorstellungen oder Spuren. Jede Spur strebt nach ihrer Wiederausfüllung, also zum Wiederbewußtwerden. Auch von dem Abfließen der beweglichen Elemente des Reizes bleiben aber Spuren zurück: so entsteht ein Streben nach Reproduktion gewisser Gruppen von Vorstellungen, die Assoziation. Jene abfließenden Reizelemente verbinden sich endlich immer mit verwandten Gebilden: die Assoziation findet daher statt zwischen verwandten Vorstellungen. Zur Reproduktion ist erforderlich, daß die Reizelemente, welche die Vorstellungen beim Unbewußtwerden verloren haben, ihnen wieder zufließen. Solches kann aber geschehen, indem entweder bewegliche Reizelemente ähnlicher Art übertragen werden, wie bei der Reproduktion durch assoziierte Vorstellungen, oder indem neue Urvermögen gebildet werden, welche von den immer in der Seele vorhandenen beweglichen Reizelementen an sich heranziehen: so bei der spontanen Reproduktion. Gefühle entstehen endlich nach beneke's Annahme durch das Verhältnis der Urvermögen zur Stärke der sie ausfüllenden Reize, sowie durch die Art des Abflusses der Reizelemente vom einen Gebilde auf das andere.

68) Beneke, psychologische Skizzen. Bd. 2. Göttingen 1827. Lehrbuch der Psychologie. Kap. l.

    Beneke's Theorie geht von der Erfahrung aus, daß bei der ersten Bildung unserer Vorstellungen äußere Reize und gewisse denselben gegenüberstehende subjektive Eigenschaften, so genannte "Urvermögen", wirksam sind. Dieser Gedanke wird nun festgehalten. Der Vorstellung bleibt ihre Zusammensetzung aus Reiz und subjektiver Reizempfänglichkeit. So wird dieselbe ganz willkürlich in zwei Bestandteile geschieden, die lediglich der ersten Gelegenheitsursache ihrer Entstehung entnommen sind, und von denen an ihr selbst gar nichts zu bemerken ist. Wenn beneke die innere Erfahrung als die allein zuverlässige preist, nach welcher vielmehr die äußere Erfahrung beurteilt werden müsse, statt umgekehrt, so fehlt er hier selbst gegen diese Regel, denn der Begriff des Reizes ist ja lediglich der äußern Erfahrung entnommen. Die Trennung der physischen und der psychischen Bedingungen bei der Bildung der Sinneswahrnehmung ist in die innere Wechselwirkung der Vorstellungen herübergeholt, indem auch der Reiz zu einem psychischen Gebilde gestempelt wird. Der so umgestaltete Reizbegriff wird dann in einer durchaus der Klarheit ermangelnden Weise aus Elementen zusammengesetzt gedacht, und die Hypothese eingeführt, daß gleichartige Elemente sich anziehen, eine Hypothese, welche die Assoziation der Vorstellungen erklären soll, der sie augenscheinlich entnommen ist. Aber nicht bloß die Reizelemente ziehen einander an, sondern diese werden auch von den Urvermögen angezogen, eine Eigenschaft, welche ebensowohl bei der Bildung neuer Wahrnehmungen wie bei der spontanen Reproduktion zum Vorschein kommt. Endlich wird, nachdem anfangs die Spur als das nicht mehr vollständig von Reizen ausgefüllte Urvermögen definiert worden, auch dem Prozeß des Abfließens der Reizelemente die Eigenschaft zugesprochen eine Spur zurückzulassen. So wird keiner der Begriffe in seiner ursprünglich aufgestellten Bedeutung festgehalten. Aber auch von den Ursachen der Bewegung der Vorstellungen wird keine Rechenschaft gegeben. Warum hält das Urvermögen seine Reizelemente nicht fest? Oder warum, wenn dies durch das Nachwachsen neuer Urvermögen gehindert wird, fließen nicht gelegentlich alle Reizelemente ab? Hier fehlt überall die mathematische Bestimmtheit, welche HERBART's Darstellung auszeichnet, und welche bei ihm den willkürlichen Hypothesen wenigstens zu einer konsequenten Durchführung verhilft. Die Ansicht BENEKE's von dem Bewußtsein ist ebenso ungenügend wie die HERBART's. Die bewußte Vorstellung ist ihm von der unbewußten nur dem Grade nach verschieden, alle einmal erzeugten Vorstellungen bleiben wirklich vorhanden und verändern sich nur in ihrer Stärke. Ein besonderer Vorgang der Apperzeption existiert für diese Auffassung überhaupt nicht.