Vierter Abschnitt.

Von dem Bewußtsein und der Wechselwirkung der Vorstellungen.

Achtzehntes Kapitel.

Bewußtsein und Aufmerksamkeit.

Da das Bewußtsein selbst die Bedingung aller inneren Erfahrung ist, so kann aus dieser nicht unmittelbar das Wesen des Bewußtseins erkannt werden. Alle Versuche dieser Art führen daher entweder zu tautologischen Umschreibungen1) oder zu Bestimmungen der im Bewußtsein wahrgenommenen Tätigkeiten, welche eben deshalb nicht das Bewußtsein sind, sondern dasselbe voraussetzen2). Es ergeht uns also hier gerade so wie bei der Empfindung, bei der auch keine weitere Definition möglich ist als die, daß sie das Einfachste sei was wir in uns finden und daher überall erst durch Auflösung der zusammengesetzten Zustände in ihre Bestandteile gewonnen werde. Ähnlich besteht das Bewußtsein lediglich darin, daß wir überhaupt Zustände und Vorgänge in uns finden. So könnte es denn scheinen, als wenn dasselbe gar keine weitere Untersuchung zulasse, sondern zu jenen ursprünglichen Tatsachen gehöre, bei denen wir uns ohne weitere Nachfrage beruhigen müssen. Nichts desto weniger wäre dies irrig. Wie wir nämlich bei der Empfindung die Bedingungen feststellen konnten, unter denen sie vorkommt, sowie diejenigen, welche auf ihre wechselnde Beschaffenheit, ihre Intensität und Qualität, von Einfluß sind, so werden wir auch hier untersuchen können, unter welchen Bedingungen überhaupt Bewußtsein vorkommt, und unter welchen es in Bezug auf seinen Inhalt und Umfang bestimmten Veränderungen unterworfen ist.

1) So die Definition Herbart's und seiner Schule: das Bewußtsein ist die Summe aller wirklichen oder gleichzeitig gegenwärtigen Vorstellungen (Herbart V, S. 208, VOLKMANN, Psychologie S. 90). Die wirklichen oder gegenwärtigen sind eben nur tautologisch für die bewußten Vorstellungen gesetzt.

2) Hierher gehören alle jene Auffassungen, nach welchen das Bewußtsein eine unterscheidende, eine Subjekt und Objekt einander gegenüberstellende Tätigkeit ist. Indem diese Theorien zwischen Bewußtsein und Selbstbewußtsein keinen wesentlichen Unterschied machen, verraten sie ihre Beeinflussung durch die idealistischen Systeme Fichte's und HEGEL'S. Von neueren Psychologen gehören hierher George (Lehrbuch der Psychologie, S. 229), ULRICI (Leib und Seele, S. 274); auch meine eigene frühere Auffassung entspricht diesem Standpunkte (Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele I S. 285). Verwandt sind jene Ansichten, welche das Bewußtsein auf einen inneren Sinn, auf eine besondere die Vorstellungen erleuchtende Tätigkeit zurückführen. Vergl. Fortlage, System der Psychologie I, S. 57. J. H. Fichte, Psychologie I, S. 83.

    Unbewußte Zustände und Vorgänge können wir uns nie anders als nach den Eigenschaften vorstellen, die sie im Bewußtsein annehmen. Die aus dem Bewußtsein getretene Vorstellung denken wir uns immer noch wie eine bewußte, die reine Empfindung in den zeitlichen und räumlichen Verbindungen, in die sie vom Bewußtsein gebracht wird. Daß von diesen Verbindungen abgesehen werden müsse, ist bloß ein Postulat, das wir nachträglich zufügen. So lassen sich denn überhaupt die Vorbedingungen des Bewußtseins psychologisch allein in der Form bewußter Zustände und Vorgänge vergegenwärtigen. Nur die eine Forderung läßt sich hinzudenken und muß hinzugedacht werden, daß außerhalb des Bewußtseins die einzelnen psychischen Elemente nicht in den Zusammenhängen existieren, in welche erst das Bewußtsein sie bringt. Hiergegen kann man allerdings einwenden, daß die meisten psychischen Produkte von zusammengesetzter Beschaffenheit vollkommen fertig in das Bewußtsein zu kommen scheinen. Werden wir uns doch jener Synthese, welche der Bildung aller Vorstellungen zu Grunde liegt, so wenig bewußt, daß erst die wissenschaftliche Analyse die Elemente derselben nachweisen kann. Ebenso sind uns gewisse Assoziationen der Vorstellungen so geläufig, daß es scheinen könnte, als wenn sie ohne Zutun des Bewußtseins sich bildeten. Von diesem Gesichtspunkte aus hat denn auch die neuere Psychologie, so weit sie nicht der nativistischen Richtung huldigt, durchweg die Vorgänge bei den Sinneswahrnehmungen behandelt, indem sie dieselben als einen unbewußten Erkenntnisprozess auffaßte3). In der Tat läßt sich nun die Möglichkeit nicht bestreiten, daß sowohl die Wahrnehmungen wie zahlreiche andere psychische Vorgänge in Urteils- und Schlußprozesse aufgelöst werden können, die, weil sie nicht in unser Bewußtsein fallen, notwendig als unbewußte logische Vorgänge betrachtet werden müssten4). Diesem Gesichtspunkte kommt ohne Zweifel insofern ein gewisser Wert zu, als er der Überzeugung, daß die Prozesse psychologischer Art sind oder eine psychologische Seite haben, einen kräftigen Ausdruck gibt. Die Formen der Logik bilden ein Gewand, in das jeder geistige Zusammenhang gekleidet werden kann. Wo sich daher ein Vorgang in die logische Form bringen läßt, da darf man wohl auch umgekehrt dies als einen Beweis ansehen, daß es ein geistiger Vorgang sei. Jene logische Einkleidungsweise ist so eine namentlich für populäre Zwecke sich empfehlende Art der Darstellung, weil dem gewöhnlichen Bewußtsein vor Allem das Logische als eine geistige Verbindung zu gelten pflegt. Da aber nur den logischen Formen diese Eigenschaft zukommt, so erhellt zugleich, wie gänzlich unberechtigt es ist, beliebige andere Tatsachen des Bewußtseins nun in ähnlicher Weise übertragen zu wollen, also z. B. mit Schopenhauer von einem "unbewußten Willen" zu sprechen. Wir können den Willen, wie allen andern Inhalt unseres Bewußtseins, mit den logischen Formen in Verbindung bringen, indem wir die Motive desselben in Urteile und Schlüsse kleiden. Aber der Wille selbst kann auf irgend andere bewußte oder unbewußte Vorgänge nicht übertragen werden, ohne seine wirklichen Eigenschaften völlig einzubüßen. Es gibt keine anderen Tatsachen, geeignet alle geistigen Zusammenhänge darzustellen, als die logischen, weil die Logik die Wissenschaft der geistigen Formen ist. Hierin liegt möglicher Weise noch eine tiefere metaphysische Bedeutung, für deren Erörterung aber hier nicht der Ort ist.

3) Vergl. Kap. XIV.
4) Von der Sinneswahrnehmung ausgehend habe ich in meinen Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele diese Betrachtungsweise auf das ganze Gebiet der innern Beobachtung auszudehnen gesucht.

    Für die psychologische Analyse kann jedoch in dem Faktum, daß psychologische Prozesse in eine logische Form gebracht werden können, noch kein zureichender Grund liegen, sie auch in ihrem wirklichen Verlauf als logische Urteile und Schlüsse anzusehen. Nicht einmal den bewußten Urteilen und Schlüssen pflegt die von der Logik vorgeschriebene Form zuzukommen. Solches ist in der Regel nur da der Fall, wo wir mit Absicht einen schon gehabten Gedanken nachträglich in sein logisches Gewand kleiden. Dieser Prozeß der nachträglichen logischen Gliederung unserer Gedanken ist ein deutliches Zeichen der wirklichen Bedeutung der Logik. Sie stellt ideale Normen für unser Denken auf, mittelst deren wir prüfen sollen, ob der Zusammenhang desselben Allgemeingültigkeit besitzt; aber den Verlauf des wirklichen Denkens beschreibt sie nicht. Man wird fragen, wie wir denn zu den logischen Normen kommen, wenn sie nicht aus der innern Erfahrung abstrahiert, also nicht in dieser vorhanden sind. Die Antwort hierauf liegt teilweise schon in der früher geführten Erörterung über die Entwicklung der Begriffe5). Der Begriff als logische Norm existiert nicht in unserm Bewußtsein, sondern nur als allgemeine Vorstellung oder als besonderes Begriffszeichen, aber mit dem letzteren verbinden wir die Forderung es als Begriff zu denken. In gleicher Weise existieren Urteile und Schlüsse für das ursprüngliche Bewußtsein nicht in der logischen Form. Dem Urteil "der Baum ist grün" z. B. entspricht in der unmittelbaren Auffassung nur die Vorstellung, daß die eine Vorstellung "grün" in der andern "Baum" als Bestandteil enthalten sei. Diese Verbindung von Vorstellungen ist uns in einem Akte gegenwärtig, und sie trennt sich erst in ein Urteil, wenn wir ihr absichtlich diese Gestalt geben. Die ganze Anwendung logischer Formen nimmt aber ihren Ursprung aus jener Entwicklung der Begriffe, vermöge deren wir zu der Vorstellung eines Begriffszeichens zugleich das Postulat seiner abstrakten Bedeutung hinzudenken. In dem Begriff Baum ist die Vorstellung des Grün ein nicht notwendiger Bestandteil; anderseits ist die Eigenschaft Grün zahlreichen andern Vorstellungen gemeinsam. Haben wir daher beide Begriffe erst gebildet, d. h. in uns das Wissen entwickelt, daß die Vorstellungen verbunden oder getrennt sein können, so macht ihre tatsächliche Vereinigung in einer einzelnen Vorstellung auch die Verbindung jener Begriffszeichen zu einem Satz oder Urteil nötig. Hieraus sieht man, wie innig die Bildung der logischen Formen an die Entwicklung der Sprache gebunden ist. Erst die allgemeine Bedeutung, welche den Begriffszeichen der Sprache beigelegt wurde, macht es erforderlich, für den Ausdruck einer konkreten Vorstellung mehrere Begriffszeichen zu verbinden, um nun was die Vorstellung in einem Akte umfaßt in mehrere im Denken verbundene Begriffe, das heißt in Urteile, aus einander zu legen. Die psychologische Grundlage des Schlusses endlich ist die Vereinigung mehrerer Vorstellungen, von denen jede einzelne erst auf dem angezeigten Wege in ein Urteil aufgelöst werden muß, um die Form des Schlusses zu erhalten. Dazu kommt, daß im gewöhnlichen Denken die Vorstellung, die bei der logischen Formulierung den Untersatz des Syllogismus bildet, durchweg übersprungen wird, so daß das Denken in der Regel nur in Obersätzen und Schlußsätzen oder vielmehr in den ihnen korrespondierenden Vorstellungen sich bewegt. Hierbei gehen wir bald von der Vorstellung des Obersatzes zu der des Schlußsatzes, bald aber auch umgekehrt von dieser zu jener über, was als die psychologische Wurzel der Unterschiede des deduktiven und induktiven Verfahrens betrachtet werden kann. Es ist nun aber nicht zu übersehen, daß in dem entwickelten Bewußtsein die Gewöhnung, mittelst der Begriffszeichen der Sprache zu denken, eine größere Ähnlichkeit der psychologischen Vorgänge mit den logischen Normen hervorgebracht hat. Sobald wir sprechend denken, bedienen wir uns ganz und gar der Urteils- und Schlußformen; nur die letzteren pflegen wir gemäß dem natürlichen Verlauf unserer Vorstellungen abzukürzen, indem wir die Untersätze hinweglassen. Ursprünglich bestehen die bewußten psychologischen Vorgänge einzig und allein aus den Vorstellungen und ihren durch äußere und innere Ursachen bewirkten Verbindungen. Auch noch im entwickelten Bewußtsein kann das Denken, sobald ihm der sprachliche Ausdruck verloren geht, diesen Verlauf nehmen. Indem dann aber Begriffe als Postulate des Denkens sich bilden, die durch eine einzelne Vorstellung nicht realisiert werden können, und indem die Ausdrücke der Sprache wesentlich in Zeichen für diese Begriffe sich umwandeln, werden für den Ausdruck konkreter Erfahrungen Verbindungen der Begriffe und ihrer Zeichen erforderlich, welche Verbindungen auf ihre abstrakte Form zurückgeführt die logischen Normen des Urteils und des Schlusses abgeben. So sehen wir denn die letzteren erst aus den besonderen Gestaltungen des entwickelten, mit sprachlichem Ausdruck und abstrakten Begriffen begabten Bewußtseins hervorgehen. Es kann daher nimmermehr daran gedacht werden, bei der ursprünglichen Tätigkeit der Bildung und der Reproduktion der Vorstellungen von einem Urteilen und Schließen im eigentlichen Sinne zu reden, und ebenso wenig kann man das Wesen des Bewußtseins selbst auf die logischen Gesetze zurückführen 6).

5) Kap. XVI.
6) Aus der Gebundenheit des sprechenden Denkens an die Formen der Logik erklärt sich insbesondere auch die oben berührte Tatsache, daß die Verdeutlichung irgend welcher psychologischer Vorgänge fast unwillkürlich eine logische Einkleidung annimmt, wie unsere eigenen Erörterungen im vorigen Abschnitt, namentlich in Kap. XIV, vielfach zeigen. Vergl. z. B. die Besprechung der Perspektive u. s. w. Man darf dabei niemals vergessen, daß diese Einkleidungsweise, eben weil sie zunächst nur durch die sprachliche Form der Erklärung herbeigeführt wird, über die Form der Prozesse selber nicht entscheidet.

    Es gibt vor allem zwei psychologische Vorgänge, welche wir, so weit unsere innere Erfahrung reicht, an das Bewußtsein gebunden sehen und daher ohne Zweifel als charakteristische Merkmale desselben betrachten dürfen: der eine ist die Bildung von Vorstellungen aus Sinneseindrucken, der andere das Gehen und Kommen der reproduzierten Vorstellungen. Jede Vorstellung bietet sich uns als die Verbindung einer Mehrheit von Empfindungen dar. Jeden Klang stellen wir uns vor als dauernd in der Zeit, wir verbinden also die momentane Empfindung mit den ihr vorausgegangenen; jeder Farbe geben wir einen Ort im Raume, wir ordnen sie in eine Anzahl koexistierender Lichtempfindungen. Die reine Empfindung ist eine Abstraktion, welche in unserm Bewußtsein nie vorkommt. Dieses besitzt nur Vorstellungen: die Empfindungen sind in ihm stets nach den allgemeinen Formen der Anschauung, der Zeit und des Raumes geordnet. Nichts desto weniger werden wir durch eine überwältigende Zahl psychologischer Tatsachen, die im vorigen Abschnitt erörtert worden sind, genötigt, die Existenz der reinen Empfindung vorauszusetzen, und anzunehmen, daß sich überall die Vorstellungen durch eine psychologische Synthese aus den Empfindungen bilden. Anderseits würde es aber durch nichts gerechtfertigt sein, nicht nur den Prozeß jener Synthese, sondern auch ihr Produkt, die Ordnung in der Zeit- und Raumform, bereits in eine unbewußte Existenz der Seele zu verlegen. Somit kommen wir zu dem Resultat, daß das Bewußtsein der Vorstellungen gerade in jenem Akt der Synthese besteht, welcher die Empfindungen in die zeitliche und räumliche Form bringt. Da nun aber sehr verschiedene Stufen einer solchen Ordnung existieren können, so werden wir damit auch von vornherein auf die Möglichkeit verschiedener Stufen oder Grade des Bewußtseins hingewiesen. Das Kommen und Gehen der reproduzierten Vorstellungen gibt sich uns unmittelbar als eine Verbindung zu erkennen, die auf innern oder äußern Beziehungen der Vorstellungen beruht. Wir nennen diese Verbindung die Assoziation der Vorstellungen. So lange eine früher gehabte Vorstellung nicht reproduziert wird, also unbewußt bleibt, ist sie als eine Disposition zum Vorstellen vorhanden, welche auf einer physiologischen Disposition in den Zentralteilen beruht, früher stattgehabte Erregungsvorgänge bei gegebenen Anlässen zu erneuern7). Den zur Reproduktion bereit liegenden unbewußten Vorstellungen ein wirkliches inneres Dasein, abgesehen von jener physiologischen Disposition, zuzuschreiben, ist durch nichts gefordert und hat bei der enormen Zahl von Vorstellungen, die man in einer Seele und in einem Zentralorgan neben einander annehmen müßte, nicht die geringste Wahrscheinlichkeit. Wir werden also voraussetzen, daß die reproduzierten Vorstellungen durch gewisse innere Reize ebenso wie die neu erweckten Vorstellungen durch die äußeren Sinnesreize, erst sich bilden8). Daraus folgt aber, daß die Verbindung der Vorstellungen, welche sich in den Assoziationsgesetzen zu erkennen gibt, im Bewußtsein geschehen muß. Hiermit stimmt denn auch die Tatsache überein, daß wir die Assoziationsgesetze deshalb aus der innern Erfahrung abstrahieren können, weil die Wirkung, welche eine früher gehabte Vorstellung wieder erneuert, jedesmal von einer schon im Bewußtsein vorhandenen ausgeht. Nun muß man die Reproduktion der Vorstellungen und ihre Assoziation als eine ebenso unerläßliche Bedingung für das Bewußtsein ansehen, wie die Bildung der einzelnen Vorstellungen durch die Synthese der Empfindungen. Denn erst durch jene Vorgänge kann sich das Bewußtsein als ein bei allem Wechsel der Vorstellungen gleich bleibendes erfassen, indem ihm eben dieser Wechsel als eine verbindende Tätigkeit inne wird, die es zwischen gegenwärtigen und früheren Vorstellungen ausübt. So ergibt sich auch von dieser Seite als Bedingung des Bewußtseins ein nach Gesetzen geordneter Zusammenhang der Vorstellungen.

7) Vergl. Kap. XIX.
8) Vergl. Kap. XV.

    Die Synthese der Empfindungen sehen wir überall an bestimmte Verhältnisse der physischen Organisation gebunden. Wo durch diese die Möglichkeit einer Verbindung von Sinneseindrücken gegeben ist, da werden wir auch die Möglichkeit eines gewissen Grades von Bewußtsein nicht bestreiten können. In der Tat zeigt die Beobachtung der niederen Tierwelt, daß verhältnismäßig sehr einfache Verbindungen nervöser Elementarteile offenbar hinreichen, um Äußerungen eines Bewußtseins möglich zu machen, das freilich zuweilen kaum weiter als bis zur Bildung einer kleinen Anzahl sehr einfacher Vorstellungen gehen dürfte, die mit den physischen Lebensbedürfnissen zusammenhängen. Wer also erst in die Entwicklung eines Ich das Kriterium des Bewußtseins verlegt, der wird ein solches hier allerdings nicht statuieren können; ihm wird überhaupt kaum etwas anderes übrig bleiben, als dasselbe für eine spezifisch menschliche Fähigkeit zu erklären. Sieht man aber ein Merkmal des Bewußtseins darin, daß ein Wesen auf Eindrücke anscheinend in ähnlicher Weise reagiert wie der Mensch, falls in diesem solche Eindrücke zu bewußten Vorstellungen werden, dann wird man auch das Gebiet des Bewußtseins so weit ausdehnen müssen, als ein Nervensystem als Mittelpunkt von Sinnes- und Bewegungsapparaten zu finden ist9). Einen Irrtum, der sich an diese Betrachtungsweise leicht anknüpft, müssen wir jedoch zurückweisen. Da bei Wirbellosen einige Ganglienknoten als Zentralorgane des ganzen Nervensystems zureichen, um die erforderlichen Zusammenhänge verschiedener Empfindungen herzustellen, so scheint es eine nahe liegende Folgerung, auch in einem höheren Wirbeltier oder im Menschen könnten möglicher Weise neben dem Zentralbewußtsein noch mehrere Bewußtseinsstufen niedereren Grades in subordinierten Organen, wie in den Hirnhügeln, dem Rückenmark, den Ganglien des Sympathicus, existieren. Hier ist aber zu erwägen, daß alle Teile des Nervensystems in einem durchgehenden Zusammenhange stehen. Das individuelle Bewußtsein ist nun von diesem ganzen Zusammenhang abhängig; der Zustand desselben wird von den Eindrücken auf die verschiedensten Sinnesnerven, von motorischen Innervationen und sogar von Einwirkungen innerhalb des sympathischen Systems gleichzeitig bestimmt. Es ist aber immer das nämliche Bewußtsein, welchen Gebieten auch die Vorstellungen angehören mögen, die in einem gegebenen Moment in ihm vorhanden sind. Die physiologische Grundlage dieser Einheit des Bewußtseins ist der Zusammenhang des ganzen Nervensystems, daher auch verschiedene einander ko- oder subordinierte Arten von Bewußtsein innerhalb desselben unmöglich angenommen werden können. Anderseits wird es ebenso unzulässig sein, ein bestimmtes Organ des Bewußtseins vorauszusetzen, wenigstens nicht in dem gewöhnlich angenommenen Sinne. Denn unsere Vorstellungen und Gefühle können von den verschiedensten Punkten aus beeinflußt werden. Allerdings zeigt die Untersuchung des Nervensystems der höheren Tiere, daß es hier ein Gebiet gibt, welches sehr wahrscheinlich in näherer Beziehung zum Bewußtsein steht als die übrigen Teile, nämlich die Großhirnrinde, da in ihr, wie es scheint, nicht nur die verschiedenen sensorischen und motorischen Provinzen der Körperperipherie, sondern auch jene Verbindungen niedrigerer Ordnung, welche in den Hirnganglien, dem Kleinhirn u. s. w. stattfinden, durch besondere Fasern vertreten sind10). Die Großhirnrinde eignet sich also ganz besonders dazu, alle Vorgänge im Körper, durch welche bewußte Vorstellungen erregt werden können, teils unmittelbar teils mittelbar in Zusammenhang zu bringen. Nur in diesem Sinne ist beim Menschen, und wahrscheinlich bei allen Wirbeltieren, die Großhirnrinde Organ des Bewußtseins, wobei man aber niemals vergessen darf, daß die Funktion dieses Organs diejenige gewisser ihm untergeordneter Zentralteile, wie z. B. der Vier- und Sehhügel, die bei der Synthese der Empfindungen eine ganz unerläßliche Aufgabe erfüllen, voraussetzt.

9) Vergl. Kap. I. Über das Verhältnis der bewußten zu den mechanisch bedingten tierischen Bewegungen, die beide unrechtmäßiger Weise einander gegenübergestellt werden, obgleich sie nicht entfernt einen Gegensatz bilden, vergl. Kap. XXI.
l0) Vergl. Kap. IV.

    Anders steht es mit der Frage, ob nicht niedrigere Zentralteile, wenn die höheren von ihnen getrennt werden, nun für sich einen gewissen Grad von Bewußtsein entwickeln können. Diese Frage ist mit der vorhin erörterten keineswegs einerlei. Das Rückenmark z. B. könnte, so lange es in Verbindung mit dem Gehirn steht, sehr wohl als ein bloß untergeordnetes Hilfsorgan des Bewußtseins funktionieren, da der ganze Zusammenhang der Empfindungen, der das Bewußtsein ausmacht, erst im Gehirn sein organisches Substrat findet; und doch könnte, wenn das Gehirn getrennt ist, in dem Rückenmark ein niederes Bewußtsein sich ausbilden, welches jenem beschränkteren Zusammenhang von Vorgängen entspräche, der durch dieses Zentralorgan vermittelt wird. In der Tat muß nun nicht bloß die Möglichkeil eines solchen Verhaltens zugegeben werden, sondern verschiedene Erscheinungen, die wir teils schon kennen gelernt haben, teils später schildern werden11), sprechen auch für sein wirkliches Vorkommen. Es ist aber dabei zweierlei zu beachten. Erstens ist ein solches Bewußtsein eines niedrigeren, von seinen höheren Verbindungen getrennten Zentralteils nicht ein zurückbleibendes sondern ein sich ausbildendes, welches demnach eine allmälige Vervollkommnung erfahren wird, wie dies auch die Beobachtung der enthaupteten Frösche, der Vögel und Kaninchen mit über den Hirnganglien abgetragenen Hirnlappen bestätigt. Zweitens wird ein Zentralorgan, welches vermöge der ganzen Organisation eines Wesens von Anfang an auf selbständigere Funktion gestellt ist, natürlich in ganz anderer Weise Träger eines Bewußtseins werden können, als ein in vielfacher Beziehung und Abhängigkeit stehendes, wenn auch sonst morphologisch verwandtes. Man wird also z. B. das Rückenmark des Amphioxus (Kap. III) mit dem des Frosches oder dieses mit dem des Menschen nicht ohne weiteres in Parallele bringen dürfen; und noch verkehrter wäre es, wenn man nach der Komplikation des Baues die Fähigkeit eines Organs, in sich ein Bewußtsein zu entwickeln, beurteilen wollte. Die Komplikation des Baues ist ja gerade bei den niedrigeren Zentralgebilden zum großen Teil durch ihre vielfachen Verbindungen mit höheren Nervenzentren veranlaßt. So wird es begreiflich, daß mit Vervollkommnung der Organisation die Fähigkeit dieser Zentralteile, ein selbständiges Bewußtsein in sich auszubilden, offenbar immer mehr abnimmt, und daß ein solches Bewußtsein, welches durch die Zerstückelung des Nervensystems gewissermaßen erst entstanden ist, wenigstens bei Wirbeltieren nicht einmal entfernt die Stufe des niedersten Bewußtseins erreicht, das bei unversehrter Organisation überhaupt vorkommt. Anders ist dies bei vielen Wirbellosen, bei denen die künstliche Teilung zuweilen einer natürlichen Fortpflanzung durch Teilung äquivalent wird.

11) Kap. V und XXI.

    Indem das Bewußtsein eines lebenden Wesens, so lange die Verbindung seiner Organe erhalten bleibt, nur ein einziges ist, äußert es sich psychologisch in einem einheitlichen Zusammenhang der in dem Individuum wirksamen psychischen Elemente. Mehrere Vorstellungen, welche gleichzeitig stattfinden, vereinigen sich daher zu einem Vorstellen, und das gegenwärtige Vorstellen bleibt mit dem in der Zeit vorangegangenen und nachfolgenden in stetiger Verbindung. Aber zugleich trennt sich in dem Wechsel des Vorstellens die eine Vorstellung von der andern. So entspringt jene unterscheidende Tätigkeit des Bewußtseins, welche allerdings eine wesentliche Äußerung desselben, nicht aber, wie man gemeint hat, sein Wesen selbst ist. Unter den einzelnen Vorstellungen treten diejenigen, die durch den Zwang der äußern Eindrücke sich aufdrängen, ohne dabei in ihrem Wechsel den Gesetzen der Assoziation unterworfen zu sein, dem innerlichen Verlauf der Erinnerungsbilder gegenüber, welche überdies durch die geringere Stärke der Empfindung sich unterscheiden. Jene äußeren Eindrücke trennen sich wieder in solche, die, von der Wechselwirkung mit äußern Objekten herrührend, in veränderlicher Weise kommen und gehen, und in andere, die, an die Zustände des eigenen Leibes gebunden, zu den konstanteren subjektiven Empfindungen Anlaß geben. Unter den letzteren spielen die Bewegungsempfindungen eine große Rolle. Abhängend von der willkürlichen motorischen Innervation werden sie vorzugsweise als ein bei dem sonstigen Wandel der Eindrücke Bleibendes erfaßt, das dem Bewußtsein als solchem eigen ist, nicht erst durch eine fremde Gewalt ihm geboten wird. So treten die Bewegungsempfindungen, denen andere konstante Gemeingefühle sich zugesellen; in Verbindung mit den Vorgängen der Assoziation und Reproduktion, welche als ein dem Bewußtsein selbst zugehöriges, von dem Wechsel der äußern Reize unabhängiges Geschehen wahrgenommen werden. Es entwickelt sich das Selbstbewußtsein. Die Hauptgrundlage desselben bilden ursprünglich wohl die Bewegungsempfindungen und das Gemeingefühl; bei den Tieren dürfte es sich schwerlich je über diese Stufe erheben. Daran knüpft sich dann, zuerst wahrscheinlich nur in sehr undeutlicher Weise, jene Vorstellung des innern Geschehens, welche in der höheren menschlichen Entwicklung den Mittelpunkt des ganzen Bewußtseins bildet, uns veranlaßt eine Seele als Wesen, dem dieses innere Geschehen eigen ist, anzunehmen, und unser Ich der äußeren Welt gegenüberzustellen. Die Vorstellung von unserm eigenen Vorstellen, in welcher das menschliche Selbstbewußtsein wurzelt, ist aber in Wahrheit nicht eigentlich eine Vorstellung sondern ein Begriff. Der Totaleindruck des innern Geschehens kann nie in eine Vorstellung gebracht werden, die ihm wirklich entspräche. Indem wir das Bewußtsein als Zusammenhang aller Vorstellungen erfassen, bildet sich das Postulat, es solle nun diese verbindende Tätigkeit selbst vorgestellt werden. Dem kann aber im wirklichen Vorstellen nicht entsprochen werden, sondern wir vermögen höchstens ein Begriffszeichen zu setzen, wie z. B. das Wort "Vorstellen", an das nun der ganz abstrakte Gedanke jener zusammenfassenden Tätigkeit gebunden wird. Sobald wir diesen Begriff in die Vorstellung übersetzen, also ein wirkliches Vorstellen des Vorstellens annehmen, so fingieren wir eigentlich außerhalb unseres wirklichen Bewußtseins noch einmal ein zweites Bewußtsein, welches jenes erste zum Gegenstand seiner Vorstellung nimmt. Dann hindert natürlich nichts, weiterhin noch ein drittes Bewußtsein zu setzen, welches dieses zweite zu seinem Objekt hat, u. s. f. So kam man in der Tat dazu, von einem Vorstellen der Vorstellung des Vorstellens zu reden, in der Meinung mit solchen Künsten hinter die metaphysische Natur des Bewußtseins und des Ich zu dringen12).

12) HERBART, Psychologie als Wissenschaft. Werke Bd. 5. S. 267 f.

    In jener ganzen Tätigkeit des Bewußtseins, durch welche die einzelnen Objekte desselben von einander geschieden werden, liegt ein analysierendes Verfahren. Aber neben demselben her geht nicht nur der Prozeß der Synthese der Empfindungen zu Vorstellungen, sondern auch die letzteren werden wieder in zusammengehörige Gruppen geordnet, und schließlich wird sogar die Gesamtheit der Vorstellungen als zu einem Vorstellen gehörig zusammengefaßt. Die Wahrheit ist also, daß im Bewußtsein Synthese und Analyse neben einander wirksam sind, daher es auch durch keine dieser Verfahrungsweisen vollständig definiert werden kann. Aber das ursprünglichere in ihm ist die Synthese, die zusammenfassende Ordnung der Empfindungen und Vorstellungen in den Formen der Zeit und des Raumes. Daran erst kann die Trennung der einzelnen in Zeit und Raum zusammengehörigen Objekte sich anschließen, weil eine solche Trennung die vorangegangene Verbindung voraussetzt. In der erfahrungsmäßigen Entwicklung des Bewußtseins gibt sich dies überall kund. Der kindlichen Vorstellung fließen stets zahlreiche Einzelheiten in ein ungeschiedenes Ganze zusammen, das Haus mit der Strasse, das Zimmer mit seinem Mobiliar u. s. w., wie deutlich die Verwirrung der Vorstellungen zeigt, die eintritt, sobald die gewohnte Ordnung gestört wird.
    Indem das Bewußtsein in der Synthese der Empfindungen und in der Assoziation der Vorstellungen sich selbst als ein tätiges erfaßt, entsteht jene Äußerung desselben, welche wir Aufmerksamkeit nennen. In der unmittelbaren Selbstauffassung gibt sie sich dadurch zu erkennen, daß das Bewußtsein den Zusammenhang der Vorstellungen, auf den es sich bezieht, keineswegs zu jeder Zeit in gleicher Weise gegenwärtig hat, sondern daß es bestimmten Vorstellungen in höherem Grade zugewandt ist als anderen. Diese Eigenschaft läßt sich durch die Vergleichung mit dem Blickfeld des Auges einigermaßen verdeutlichen, indem man dabei von jener bildlichen Ausdrucksweise Gebrauch macht, welche das Bewußtsein ein inneres Sehen nennt. Sagen wir von den in einem gegebenen Moment gegenwärtigen Vorstellungen, sie befänden sich im Blickfeld des Bewußtseins, so kann man denjenigen Teil des letzteren, welchem die Aufmerksamkeit zugekehrt ist, als den inneren Blickpunkt bezeichnen. Den Eintritt einer Vorstellung in das innere Blickfeld wollen wir die Perzeption, ihren Eintritt in den Blickpunkt die Apperzeption nennen 13).

13) Leibniz, der den Begriff der Apperzeption in die Philosophie einführte, versteht darunter den Eintritt der Perzeption in das Selbstbewußtsein. (Opera philosophica ed. ERDMANN p. 715.) Menti tribuitur apperceptio, wie Wolff es ausdrückt, quatenus perceptionis suae sibi conscia est (Psychologia empir. § 25). Da sich aber entschieden das Bedürfnis geltend macht, neben dem einfachen Bewußtwerden der Vorstellung, der Perzeption, die Erfassung derselben durch die Aufmerksamkeit mit einem besonderen Namen zu belegen, so sei es mir gestattet, den Ausdruck "Apperzeption" in diesem erweiterten Sinne zu gebrauchen. Die Selbstauffassung ist nämlich immer auch Erfassung durch die Aufmerksamkeit, die letztere ist aber nicht notwendig auch Selbstauffassung. Schon Herbart hat die Nötigung empfunden, den Begriff der Apperzeption zu verändern, aber in einer Weise, der wir uns hier nicht anschließen können. Vergl. darüber den Schluß von Kap. XIX.

    Der innere Blickpunkt kann sich nun sukzessiv den verschiedenen Teilen des inneren Blickfeldes zuwenden. Zugleich kann er sich jedoch, sehr verschieden von dem Blickpunkt des äußeren Auges, abwechselnd verengern und erweitern, wobei immer seine Helligkeit abwechselnd zu- und abnimmt. Streng genommen ist er also kein Punkt, sondern ein Feld von etwas veränderlicher Ausdehnung. Soll die möglichst deutliche Auffassung stattfinden, so muß er sich auf eine einzige Vorstellung beschränken. Je enger und heller aber der Blickpunkt ist, in um so größerem Dunkel befindet sich das übrige Blickfeld. Am unmittelbarsten lassen sich diese Eigenschaften nachweisen, wenn man das äußere Sehfeld des Auges zum Gegenstand der Beobachtung nimmt, wo durch das Hilfsmittel der instantanen elektrischen Erleuchtung die Beobachtung auf Vorstellungen eingeschränkt werden kann, die während einer sehr kurzen Zeit nur dem Bewußtsein gegeben sind. Dabei wird der Blickpunkt des Sehfeldes vermöge seiner schärferen Empfindung auch vorzugsweise zum Blickpunkt des Bewußtseins gewählt. Doch läßt sich leicht die abwechselnde Verengerung und Erweiterung des letzteren bemerken. Von einer Druckschrift z. B. kann man, wenn es sich nur darum handelt dieselbe zu lesen, mehrere Wörter auf einmal erkennen. Will man dagegen die genaue Form eines einzelnen Buchstabens erfassen, so treten schon die übrigen Buchstaben desselben Wortes in ein Halbdunkel. Durch willkürliche Lenkung der Aufmerksamkeit gelingt es übrigens, wie helmholtz 14) bemerkt hat, auch auf indirekt gesehene Teile des Objektes den Blickpunkt der Aufmerksamkeit zu verlegen; in diesem Fall wird das direkt Gesehene verdunkelt. Kompliziertere Formen erfassen wir immer erst nach mehreren momentanen Erleuchtungen, bei deren jeder sich in der Regel der äußere und der innere Blickpunkt einem andern Teile des Sehfeldes zuwenden. Man kann aber auch willkürlich den äußeren Blickpunkt festhalten und bloß den inneren über das Objekt wandern lassen. Bei diesem Versuch stellt sich dann die weitere Eigenschaft desselben heraus, daß mit zunehmender Dauer oder öfterer Wiederholung der Eindrücke seine Ausdehnung wächst, ohne daß, wie bei der wechselnden Auflassung momentaner Reize, seine Helligkeit in entsprechendem Maße vermindert wird. An Gehöreindrücken lassen sich im allgemeinen die nämlichen Verhältnisse darlegen. Es eignen sich dazu vorzugsweise harmonische Zusammenklänge. Auch hier kann der Blickpunkt des Bewußtseins von einem Klang zum andern übergehen, sich erweitern und verengern, und mit wachsender Dauer des Eindrucks wächst die Zahl der Töne, die gleichzeitig deutlich wahrgenommen werden können.

14) Physiologische Optik S. 741.

    Die Auffassung disparater Eindrücke wird von den gleichen Gesetzen der Aufmerksamkeit beherrscht. Hierbei gilt aber außerdem die Regel, daß die gleichzeitig in den Blickpunkt des Bewußtseins tretenden Einzelvorstellungen immer Bestandteile einer komplexen Vorstellung bilden. Wenn man z. B. den Gang eines vor einer Skala geräuschlos schwingenden Pendels verfolgt und gleichzeitig in regelmäßigen Intervallen durch eine ganz andere Vorrichtung einen Schall entstehen läßt, so gelingt es unter Umständen mit der Vorstellung eines bestimmten Pendelstandes die des gleichzeitig gehörten Schalls zu verbinden. Man bringt dann den letzteren in unmittelbare Verbindung mit dem Gesichtsbilde, ist aber nicht im Stande gleichzeitig mit dem Pendel etwa das Bild des auf eine Glocke herabfallenden Hammers, der den Schall hervorbringt, in den Blickpunkt des Bewußtseins zu verlegen. Wir vereinigen also auch dann gleichzeitig erfaßte disparate Einzelvorstellungen zu einer Komplexion, wenn dieselben in Wirklichkeit von verschiedenen äußeren Objekten herrühren. Dieser Verschiedenheit werden wir uns erst bewußt, indem wir den inneren Blickpunkt vom einen zum andern Objekte wandern lassen15).

15) Siehe Kap. XIX.

    Während nach den obigen Erfahrungen bei einem momentanen Eindruck das Produkt e.h der Ausdehnung e und der Helligkeit h des inneren Blickpunktes, einen unveränderten Zustand des Bewußtseins vorausgesetzt, einer konstanten Größe gleich zu kommen scheint, nimmt bei wiederholter momentaner Auffassung des nämlichen Objektes der Wert jenes Produktes anfangs wahrscheinlich rascher, und dann immer langsamer zu, wobei er einer gewissen Grenze sich nähert. Es ist also zu vermuten, daß durch eine ähnliche Kurve, wie sie das Anwachsen der Empfindung bei wachsendem Reize versinnlicht (Fig. 69 ), auch die Zunahme des Produktes e.h mit der Zeitdauer der Vorstellung dargestellt werden könne. Die Strecke x a würde dabei jener kleinsten Zeitdauer entsprechen, welche die Vorstellung überhaupt bedarf, um auf das Bewußtsein zu wirken. Dieser Grenzwert x a, den wir die Zeitschwelle der Vorstellung nennen können, nimmt zu bei der Verminderung und ab bei der Steigerung des Eindrucks. Im ersteren Fall erhebt sich ohne Zweifel zugleich der über der Abszissenlinie gelegene Teil der Kurve langsamer, weil die Aufmerksamkeit immer längere Zeit braucht, um das Maximum des Wertes von e.h zu erreichen. Wenn die einfache Beziehung der Extension e und der Helligkeit h des inneren Blickpunktes durch die Gleichung e.h = k festgehalten werden kann, wo k für eine bestimmte Stärke des Reizes und für eine gegebene Dauer seiner Einwirkung konstant ist, so läßt sich die Abhängigkeit des Wertes k von der Zeitdauer t des Eindrucks durch eine weitere Gleichung ausdrücken. Nehmen wir an, diese Abhängigkeit werde durch die Kurve in Fig. 69 wirklich dargestellt, so würde dem nach dem die Gleichung entsprechen

k = K (log. nat. t - log. nat. T ),
worin T die Zeitschwelle der Vorstellung und K eine neue Konstante bedeutet.

    Die Einflüsse, welche die Apperzeption lenken, sind teils äußere teils innere. Stärke der Eindrücke, Fixation der Gesichtsobjekte, Bewegung der Augen längs der begrenzenden Konturen stehen hier in erster Linie. Aus einer Summe gleichzeitiger Eindrücke treten vorzugsweise solche in den Blickpunkt des Bewußtseins, die kurz. zuvor gesondert zur Vorstellung gelangt waren. So hören wir aus einem Zusammenklang einen vorher für sich angegebenen Ton besonders deutlich. Auf dieselbe Weise überzeugen wir uns von der Existenz der Obertöne und Kombinationstöne. Wegen der Schwäche dieser Teiltöne vermögen wir in der Regel nicht mehr als einen einzigen auf einmal deutlich zu hören, gemäß dem Gesetze, daß der Blickpunkt des Bewußtseins um so enger ist, zu je größerer Intensität die Aufmerksamkeit gesteigert wird. Man sieht hierbei zugleich, daß der Grad der Apperzeption nicht nach der Stärke des äußeren Eindrucks, sondern nur nach der subjektiven Tätigkeit zu bemessen ist, durch welche sich das Bewußtsein einem bestimmten Sinnesreiz zuwendet.
    Dies führt uns unmittelbar auf die inneren Bedingungen der Aufmerksamkeit. Gehen wir von der zuletzt besprochenen Beobachtung aus, so kann das geübte Ohr einen schwachen Teilton eines Klanges bekanntlich auch dann wahrnehmen, wenn derselbe ihm nicht zuvor als gesonderter Eindruck gegeben wurde. Bei näherer Beobachtung findet man aber stets, daß man sich in diesem Fall zunächst das Erinnerungsbild des zu hörenden Tones zurückruft und ihn dann erst aus dem ganzen Klang heraushört. Ähnliches bemerken wir bei schwachen oder schnell vorübergehenden Gesichtseindrücken. Beleuchtet man eine Zeichnung mit schwachen elektrischen Funken, die in längeren Zeiträumen auf einander folgen, so erkennt man nach dem ersten und manchmal auch nach dem zweiten und dritten Funken fast gar nichts. Aber das undeutliche Bild hält man im Gedächtnisse fest; jede folgende Erleuchtung vervollständigt dasselbe, und so gelingt allmälig eine klare Auffassung. Das nächste Motiv zu dieser innern Tätigkeit geht meistens von dem äußern Eindruck selbst aus. Wir hören einen Klang, in welchem wir vermöge gewisser Assoziationen einen bestimmten Oberton vermuten; nun erst vergegenwärtigen wir uns denselben im Erinnerungsbilde und merken ihn dann auch alsbald aus dem gehörten Klang heraus. Oder wir sehen irgend eine aus früherer Erfahrung bekannte Mineralsubstanz; der Eindruck weckt das Erinnerungsbild, welches wieder mehr oder weniger vollständig mit dem unmittelbaren Eindruck verschmilzt. Die innere Beobachtung scheint es zweifellos zu machen, daß überall wo überhaupt die Aufmerksamkeit sich zeigt eine solche subjektive Tätigkeit im Spiele ist. Jede Vorstellung bedarf einer gewissen Zeit, um zum Blickpunkt des Bewußtseins hindurchzudringen. Während dessen finden wir stets in uns das eigentümliche Gefühl des Aufmerkens. Dasselbe ist um so lebhafter, je mehr der Blickpunkt des Bewußtseins sich konzentriert, und es pflegt in diesem Falle noch fortzudauern, auch nachdem die Vorstellung vollkommen klar vor dem Bewußtsein steht. In seinem vorbereitenden Stadium wird es am deutlichsten im Zustande des Besinnens oder der Spannung auf einen erwarteten Eindruck erfaßt. Näher schildern läßt es sich kaum; doch kann man zweierlei an demselben bemerken. Erstens sind wir uns im Zustand aufmerksamer Spannung, sobald wir über denselben reflektieren, sehr bestimmt unserer eigenen inneren Tätigkeit bewußt. Wir empfinden das Aufmerken als etwas das von uns selbst ausgeht, wenn wir auch deutlich den Eindruck, der unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkt, als einen äußeren vorstellen. Hierdurch tritt dieser Zustand in die nächste Verbindung mit jenem, welcher der willkürlichen Bewegung vorausgeht. Im allgemeinen erscheint uns daher auch die Aufmerksamkeit als eine unter der Herrschaft des Willens stehende Tätigkeit. Wenn man trotzdem noch einmal die willkürliche der unwillkürlichen Aufmerksamkeit gegenüber zu stellen pflegt, so hat solche Unterscheidung ganz äußerliche Gründe. Wenn wir vermöge bestimmter Assoziationen der Vorstellungen den Blick nach einer gewissen Richtung wenden, um ein dort erwartetes Objekt zu erkennen, oder auch, wenn wir uns ein rein innerliches Bild nach bekannten Motiven der Assoziation vergegenwärtigen, so nennen wir dies willkürliche Aufmerksamkeit. Wenn dagegen ein unerwarteter Lichteindruck unsern Blick fesselt, oder eine unerwartete Vorstellung sich reproduziert, so reden wir von unwillkürlicher Aufmerksamkeit. Aber die Aufmerksamkeit selber ist dabei immer eine und dieselbe, und jene Unterscheidung entspringt eigentlich erst in der Reflexion über ihre Motive.
    Eine zweite Erscheinung, die wir namentlich bei intensivem Aufmerken deutlich beobachten, ist die Verbindung dieses Zustandes mit sinnlichen Gefühlen. fechner, der hierauf schon hinwies, hebt hervor, daß wir beim Aufmerken auf äußere Sinneseindrücke in den betreffenden Sinnesorganen, also in den Ohren beim Hören, in den Augen beim Sehen, ein Spannungsgefühl wahrnehmen; der Ausdruck gespannte Aufmerksamkeit ist wohl selbst diesem Gefühl entnommen. Bei dem Besinnen auf Erinnerungsbilder zieht sich dasselbe auf die das Gehirn umschließenden Teile des Kopfes zurück16). Ohne Zweifel ist dieses Spannungsgefühl in beiden Fällen ein Innervationsgefühl willkürlicher Muskeln, welches von einer wirklichen Spannung der Muskeln und in Folge dessen nebenbei von Tastempfindungen begleitet wird. Wenn äußere Eindrücke von bekannter Beschaffenheit erwartet werden, so ist außerdem das sinnliche Gefühl des Aufmerkens deutlich von der Stärke derselben abhängig.

16) FECHNER, Elemente der Psychophysik. II. S. 475.

    Diese Erscheinungen zeigen, daß eine Anpassung der Aufmerksamkeit an den Eindruck stattfindet. Die Überraschung, welche uns unerwartete Reize bereiten, entspringt wesentlich daraus, daß bei ihnen die Aufmerksamkeit im Moment, wo der Eindruck stattfindet, demselben noch nicht akkommodirt ist. Die Anpassung selbst ist aber eine doppelte: sie bezieht sich sowohl auf die Qualität wie auf die Intensität der Reize. Verschiedenartige Sinneseindrücke bedürfen abweichender Anpassungen. Ebenso bemerken wir, wie der Grad des Spannungsgefühls gleichen Schritt hält mit der Stärke der Eindrücke, deren Apperzeption wir vollziehen. Von der Genauigkeit dieser Anpassung hängt die Schärfe der Apperzeption ab, die von der Stärke der Empfindungen und Vorstellungen ganz und gar unabhängig ist, abgesehen davon, daß es eine untere und eine obere Grenze gibt, über welche die Anpassung nicht hinausgehen kann. Die Apperzeption ist scharf, wenn die Spannung der Aufmerksamkeit der Stärke des Eindrucks genau entspricht; sie ist stumpf im entgegengesetzten Falle. Die Klarheit einer Vorstellung wird nun gleichzeitig durch ihre Stärke und durch die Schärfe ihrer Apperzeption bedingt. Eine klare Vorstellung muß nämlich stark genug sein, um eine deutliche Auffassung zuzulassen, und gleichzeitig muß eine möglichst vollständige Anpassung der Aufmerksamkeit stattfinden. Die Begriffe der Schärfe und Klarheit sind also, wie sie ursprünglich der äußeren Sinnesempfindung entnommen sind, so auch in der nämlichen Bedeutung anzuwenden wie dort. Wir sehen aber scharf, wenn unser Auge für den Lichteindruck gut adaptiert ist; wir sehen klar, wenn zu der richtigen Einstellung auch noch die zureichende Stärke des Lichtes kommt. Die Anpassung der Aufmerksamkeit muß übrigens ebenso die Apperzeption der in uns erzeugten Erinnerungsbilder vermitteln, wie dies auch die Spannungsgefühle verraten, welche das Besinnen auf solche begleiten. Bei der Auffassung äußerer Reize werden mit dem Zentralorgan gleichzeitig Auge und Ohr adaptiert, und wahrscheinlich vollzieht sich die Innervation, welche beide Anpassungen bewirkt, als ein vollkommen ungeteilter Vorgang. Als den Herd dieser Innervation werden wir aber jene Rindengebiete des Vorderhirns ansehen dürfen, von denen die Impulse des Willens bei den Bewegungen ausgehen 17).

17) Die Annahme einer Adaptation der Aufmerksamkeit mußte hier hauptsächlich auf die Spannungsgefühle gestützt werden. Die experimentellen Belege für diesen Vorgang, welche sich dem Verlauf der Vorstellungen entnehmen lassen, werden wir im nächsten Kapitel kennen lernen.

    Die bei der Erweckung der Aufmerksamkeit stattfindenden Vorgänge sind demnach im allgemeinen folgendermaßen zu denken. Der erste Anstoß erfolgt immer entweder durch eine äußere physiologische oder durch eine innere psychische Reizung. Eine solche Reizung hat zunächst eine Vorstellung zur Folge, ein Anschauungs- oder ein Phantasiebild, welches aber vorläufig noch außerhalb des inneren Blickpunktes liegt. Jede sensorische Reizung wird nun stets zugleich auf die Zentralgebiete der willkürlichen Innervation übertragen, von denen aus sie, wie wir annehmen müssen, auf doppeltem Wege weiter geleitet werden kann: erstens nach den sensorischen Gebieten zurück, indem sich dadurch die Vorstellung verstärkt; und zweitens auf das Gebiet der willkürlichen Muskulatur, wodurch jene Muskelspannungen auftreten, die das Gefühl der Aufmerksamkeit bilden helfen und ihrerseits auf die letztere verstärkend zurückwirken, gemäß dem Gesetze, daß assoziierte Gefühle sich unterstützen. In der vorwiegenden Rückwirkung auf die empfindenden Teile, von denen ursprünglich der Prozeß ausging, besteht wesentlich der Unterschied der Aufmerksamkeit von der willkürlichen Bewegung, bei der die zentrale Reizung ihre Hauptrichtung nach den Muskeln nimmt, die bei der Aufmerksamkeit nur in untergeordneter Mitbewegung begriffen sind. Vielfach sind aber natürlich beide Prozesse mit einander verbunden, indem die willkürlichen Bewegungen durchweg nach den im Blickpunkt des Bewußtseins stehenden Vorstellungen sich richten.
    Für diese Rückwirkung der Zentralherde motorischer Innervation auf die sensorischen Gebiete läßt nun noch eine Reihe von Erfahrungstatsachen sich anführen. Zunächst gehört dahin die Beobachtung, daß es gelingt durch willkürliche Anstrengung Erinnerungs- und Phantasiebilder zu erwecken und durch festgehaltene Aufmerksamkeit zu verstärken. Die Fähigkeit hierzu scheint individuell sehr verschieden18). Bei manchen Personen ist sie so bedeutend, daß das Phantasiebild schließlich die Lebendigkeit eines Phantasma erreicht19). Es bedarf aber stets einer ziemlich bedeutenden Zeit, um die Innervation so weit anwachsen zu lassen, und man bemerkt dabei deutlich ein zunehmendes Spannungsgefühl. Mißt man ferner die Zeit, welche von der Einwirkung eines Sinnesreizes bis zu seiner Wahrnehmung verfließt, so ergibt sich als konstantes Resultat, daß diese Zeit erheblich kürzer ist, wenn der Eindruck mit gespannter Aufmerksamkeit erwartet wurde, als wenn er unerwartet eintritt, ja unter gewissen Bedingungen kann dieselbe ganz verschwinden oder sogar negativ werden, so daß der Eindruck apperzipiert wird, ehe er wirklich stattfindet. Diese Beobachtungen, auf welche wir im nächsten Kapitel ausführlicher zurückkommen, machen es zweifellos, daß die willkürliche Spannung der Aufmerksamkeit unmittelbar auf die sinnliche Wahrnehmung einwirkt.

18) Fechner, Elemente der Psychophysik II. S. 471.
19) H. MEYER, Untersuchungen über die Physiologie der Nervenfaser S. 237 f. Vergl. a. G. E. Müller, zur Theorie der sinnlichen Aufmerksamkeit. Inaug.-Diss. Leipzig 1873.

    Die Innervations- oder Spannungsgefühle, in denen sich die Aufmerksamkeit äußert, und die durch ihre Intensität die Höhe und das Anwachsen derselben messen, geben nun zugleich Rechenschaft über die nahe Beziehung, in welche die Gefühle überhaupt zum Bewußtsein treten. In den Gefühlen äußert sich bekanntlich die Wirkung der Empfindungen und Vorstellungen auf das Bewußtsein. Indem nun die Aufmerksamkeit als eine innere Spannung erfaßt wird, die sich in größerer oder geringerer Stärke den Eindrücken zuwendet, werden alle Empfindungen und Vorstellungen zugleich nach dem Verhältnis bestimmt, in welchem sie zu jener inneren Spannung stehen. Mit Unlust fühlen wir Eindrücke, denen die Spannkraft des Bewußtseins nicht gewachsen ist: daher die Scheu vor zu starken Empfindungen, vor unvereinbaren Vorstellungen, und umgekehrt die Freude an solchen Sinnesreizen, denen die Aufmerksamkeit in gleicher Höhe entgegenkommt, oder an Vorstellungen, welche, wie die Symmetrie der Formen, die Harmonie und Rhythmik der Töne, die Erwartung abwechselnd spannen und befriedigen. Es ist daher vollkommen richtig, wenn man bemerkt hat, daß das Bewußtsein auf Gefühlen beruhe20), insofern eben die Aufmerksamkeit, welche allein die Vorstellungen unserer unmittelbaren inneren Beobachtung zugänglich macht, eine mit sinnlichem Gefühl verbundene Innervation ist. Daß alle Gefühle erst aus der Wirkung der Empfindungen und Vorstellungen auf das Bewußtsein entspringen, steht hiermit nicht in Widerspruch. Denn die Wirkung auf das Bewußtsein besteht zugleich darin, daß alle psychischen Elemente an jener inneren Spannung gemessen werden, die bei der Auffassung und der Reproduktion der Eindrücke wirksam ist 21).

20) A. Horwicz , psychologische Analysen auf physiologischer Grundlage. S. 232.

21) Durch die obigen Betrachtungen werden die in Kap. X und XVII geführten Untersuchungen über die psychologische Natur der Gefühle ergänzt, die dort nur zu einem vorläufigen Abschlusse gebracht werden konnten.

    Schließlich bleibt noch die Frage übrig, wie das ganze Blickfeld des Bewußtseins zum Blickpunkt der Aufmerksamkeit sich verhalte. Man könnte zweifeln, ob die dort weilenden Vorstellungen überhaupt bewußt seien. Denn indem sie unserer Aufmerksamkeit entgehen, werden sie eben nicht von uns bemerkt, ähnlich wie dies beim äußeren Sehen häufig den indirekt gesehenen Objekten widerfährt. Dennoch ist die Annahme, daß Bewußtsein und Aufmerksamkeit eins sind, nicht haltbar. Die Existenz der gleichsam in den peripherischen Regionen des inneren Blickfeldes gelegenen Vorstellungen verrät sich nämlich dadurch, daß sie eine viel unmittelbarere Wirkung auf den inneren Blickpunkt selbst ausüben als jene Dispositionen des Vorstellens, welche bloß im allgemeinen zur Reproduktion bereit liegen. Dies ist besonders deutlich, wenn wir mehrere unter einander zusammenhängende Vorstellungen sukzessiv mit der Aufmerksamkeit erfassen. Bei der rhythmischen Bewegung einer Melodie steht in jedem gegebenen Moment nur ein einzelner Klang oder Zusammenklang im innern Blickpunkt. Aber die nächst vorhergehenden Klänge desselben Taktes können nicht ganz aus dem Bewußtsein verschwunden sein; sonst könnten uns die Elemente des Taktes nicht in so viel näherer Verbindung stehen, als die wirklich auf bloße Reproduktion abzielenden melodischen Wiederholungen. Man darf daher wahrscheinlich den doppelten Umfang des längsten Taktmaßes als diejenige Zahl sukzessiver Klangvorstellungen betrachten, welche dem ganzen Umfange des inneren Blickfeldes nahe kommt. Mindestens den doppelten Umfang des Taktes müssen wir aber als unmittelbar im Bewußtsein gegenwärtig voraussetzen, weil jeder folgende Takt als die Wiederholung des vorangegangenen muß erkannt werden können. Das Ähnliche begegnet uns bei der logischen Verbindung der Vorstellungen. Im Urteil und Schluß erfaßt die Aufmerksamkeit jeweils nur einen einzigen Begriff. Nichts desto weniger muß am Ende des Schlusses der ganze Umfang desselben im innern Blickfelde liegen. Die Beschränkung des letzteren wird daher auch bei längeren Schlußketten deutlich fühlbar, weil man hier nicht mehr das Ganze auf einmal zu übersehen vermag. Übrigens macht sich auch in diesem Fall die früher besprochene Erweiterung des Blickpunktes geltend, die bei wiederholtem Durchdenken der nämlichen Reihe ohne entsprechende Verminderung seiner Helligkeit eintritt. Perzipiert werden also in jedem Augenblick teils alle unmittelbaren Sinnesreize, teils ihre nächsten als abgeschwächte Erregungen fortbestehenden Nachwirkungen, teils endlich die Erinnerungsbilder, die nach den Gesetzen der Assoziation geweckt werden. Unter allen so vorhandenen Vorstellungen richtet sich dann die Apperzeption auf diejenigen, für welche sie am vollständigsten adaptiert ist.