Ästhetische Gefühle.
Die Gefühle, die an unsere Vorstellungen gebunden
sind, bewegen sich zwischen den Gegensätzen des Gefallens und
Mißfallens. Sie gehen, gleich den sinnlichen Gefühlen,
aus der Eigenschaft des Bewußtseins hervor, durch seinen Inhalt in
der Form kontrastierender Zustände bestimmt zu werden. Wie nun die
Vorstellung selbst auf einer Mehrheit von Empfindungen beruht, die nach
psychologischen Gesetzen zusammenhängen, so ist auch das ästhetische
Gefühl nicht etwa eine Summe sinnlicher Einzelgefühle, sondern
es entspringt aus der Verbindungsweise der Empfindungen, und der Gefühlston
der letzteren bildet nur den sinnlichen Hintergrund, auf welchem das ästhetische
Gefühl sich erhebt. Dieses befindet sich in vielen Fällen dem
Indifferenzpunkt zwischen seinen Gegensätzen so nahe, daß wir
uns desselben nicht deutlich bewußt werden. Aus diesem Grunde pflegt
man das ästhetische Gefühl auf das Gebiet der im engeren Sinne
so genannten ästhetischen Wirkungen einzuschränken. Doch sind
bei den letzteren jene Gefühle, welche an und für sich alle Vorstellungen
begleiten, nur zu größerer Stärke entwickelt. Die psychologische
Untersuchung muß den Begriff in seinem weiteren Sinne nehmen. Trotzdem
wird es angemessen sein, auch hier von der ästhetischen Wirkung in
ihrer gewöhnlichen Bedeutung auszugehen, weil bei ihr die Bedingungen
der an die Vorstellung gebundenen Gefühle der Beobachtung deutlicher
vorliegen. Bei allen Vorstellungen vollzieht sich die Verbindung der Empfindungen
in dem allgemeinen Rahmen der beiden Anschauungsformen, der Zeit und des
Raumes. Auf den Zeit- und Raumverhältnissen der Vorstellungen müssen
daher die elementaren Bedingungen der ästhetischen Gefühle beruhen.
Das Gehör, als zeiterweckender Sinn, gibt durch die zeitliche Verbindung
seiner Vorstellungen, das Gesicht, als wichtigstes Organ der Raumanschauung,
durch die räumliche Beziehung derselben zu Gefühlen Anlaß,
und beide Quellen vereinigen sich in der Bewegung.
Indem der Gehörssinn teils die gleichzeitigen
teils die auf einander folgenden Eindrücke ordnet, ergeben sich für
ihn zwei Grundformen ästhetischer Gefühle: Harmonie und Disharmonie,
Rhythmus und Arrhythmie. Die Grundlage der Harmonie ist, wie ausführlich
gezeigt wurde, die Koinzidenz bestimmter Teiltöne verschiedener Klänge1).
Die Harmonie ist am vollkommensten bei jenen Intervallen, bei welchen die
Übereinstimmung der Teiltöne hinreicht, um die Verwandtschaft
deutlich empfinden zu lassen, und doch durch differente Klangbestandteile
das Zusammenfließen zum Einklang verhindert ist. Gefallen entsteht
also, wenn bei gleichzeitigen Klängen Übereinstimmung und Verschiedenheit
neben einander bestehen. Vermöge der ersteren fassen wir den Zusammenklang
als eine Einheit, vermöge der letzteren doch nebenbei als eine Mannigfaltigkeit
auf. Seine bestimmtere Färbung gewinnt aber das Harmoniegefühl
erst durch die besondere Art der Klangverbindung. Der Dur-Akkord, zusammengehalten
durch den als Kombinationston wahrgenommenen Grundklang, erscheint unmittelbar
als eine Klangeinheit. Der Moll-Akkord entbehrt dieser Verbindung. An die
Stelle des Zusammenhalts durch den Grundklang tritt durch den koinzidierenden
Oberton ein Abschluß auf der entgegengesetzten Seite der Tonreihe.
Dazu kommt als sinnlicher Hintergrund der Akkordwirkung der kraftvolle
Charakter der tiefen Töne, der durch den Grundklang sich dem Durdreiklang
mitteilt, und der im Moll durch den entgegengesetzten Charakter des übereinstimmenden
Obertons ersetzt wird. So kommt es, daß wir nur beim Durakkord in
dem positiven Gefühl der Harmonie befriedigt ruhen, während der
Mollakkord vielmehr ein Streben nach der Harmonie als diese selbst ausdrückt.
Er erhält dadurch jenen sehnenden Charakter, der die Molltonarten
zur Schilderung gewisser Gemütslagen so außerordentlich geschickt
macht. Zwischen die volle Harmonie, welche die Abrundung in einem zusammenfassenden
Grundklang verlangt, und die Disharmonie, welche jeder Vereinigung widerstrebt,
tritt als vermittelndes Glied der Mollakkord. In ihm wird das Harmoniegefühl
in einer unerwarteten Weise erreicht, durch Zustreben nach einem gemeinsamen
hohen Ton statt durch Aufbau von einem Grundton aus. Die Disharmonie selbst
ertragen wir nur als Übergangsstimmung: sie muß sich in Harmonie
auflösen, damit die befriedigende Wirkung der letzteren um so reiner
hervortrete. Verstärkt wird diese Wirkung durch die Dissonanz, die
der störenden Wirkung, welche die Unvereinbarkeit der Einzelvorstellungen
auf unser Bewußtsein ausübt, die unmittelbare Störung der
Klangempfindungen hinzufügt2).
1) Kap. XIII.
2) Vergl. Kap. IX und XII.
Der Rhythmus erregt Gefallen durch intensiv oder qualitativ verwandte Eindrücke, die in dem Wechsel verschiedener Gehörsvorstellungen meist nach regelmäßigen Zeiträumen sich wiederholen. Gleiche Eindrücke in gleichen Pausen stattfindend wirken ermüdend, aber niemals rhythmisch. Damit ein ästhetisches Gefallen entstehe, müssen mindestens zwei verschiedene Eindrücke, Hebung und Senkung des Klangs, wie im 2/8 Takt, in regelmäßigem Wechsel einander folgen. Ebenso hört das rhythmische Gefühl auf, wenn die Reihe verschiedenartiger Eindrücke so groß wird, daß die Wiederholung des Ähnlichen nicht mehr empfunden werden kann wie im 9/4 Takt oder in andern die Grenze der Übersichtlichkeit überschreitenden Formen3). Durch die Zusammenfügung der Takte zu rhythmischen Reihen, der Reihen zu Perioden, endlich der musikalischen Perioden zu den Abteilungen der Melodie kann das rhythmische Gefühl auch noch über größere Aufeinanderfolgen ausgedehnt werden. Wie die Harmonie, so beruht also auch der Rhythmus auf der leicht überschaubaren Verbindung der Vorstellungen. Innerhalb der allgemeinen Regelmäßigkeit der Sukzession werden dann durch die verschiedene Taktgliederung, die schnellere oder langsamere Folge der Eindrücke mannigfaltige Formen des Gefallens möglich, die sich noch unendlich erweitern, indem sie sich in der Melodie mit den Gesetzen der harmonischen Klangverbindung vereinigen. In dem Ganzen der musikalischen Wirkung ist es die Harmonie, welche der Gemütsstimmung ihre Richtung gibt, der Rhythmus, welcher das Wechseln und Wogen der Gefühle schildert. Beide Formen des Ausdrucks werden aber zusammengehalten durch das Prinzip der das Mannigfaltige beherrschenden Einheit.
3) Vergl. Kap. XIII.
Bei den Gesichtsvorstellungen hat man der Kombination verschiedener neben einander stattfindender Farbenempfindungen eine besondere, den Klangverbindungen analoge Wirkung zugeschrieben. Eine unbefangene Beobachtung muß jedoch in dieser Beziehung bei der Bemerkung stehen bleiben4), daß Kontrastfarben gegenseitig in ihrer sinnlichen Wirkung sich heben, eine Regel, welche übrigens weit entfernt ist, gleich dem Harmoniegesetz der Töne, für die Farbenverbindung bestimmend zu werden, da die letztere vor allem nach den in der Natur gegebenen Verhältnissen und nach der sinnlichen Wirkung der einzelnen Farben sich richten muß. Aber selbst jene Hebung der Kontrastfarben beruht ganz und gar auf ursprünglichen Eigenschaften der Empfindung. Das ästhetische Gefühl im psychologischen Sinne ist daher von Farbe und Beleuchtung unabhängig, womit keineswegs gesagt sein soll, daß diese für die komplizierte ästhetische Wirkung gleichgültig seien. Vielmehr bildet hier die Farbe in ähnlicher Weise einen bedeutungsvollen sinnlichen Hintergrund wie der einzelne Ton im Gefüge der Harmonie und Melodie. Und in dieser Beziehung ist denn auch die Verbindung der Farben nicht ohne Einfluß. Die hebende oder störende Wirkung der einzelnen Farben auf einander ist der sinnlichen Wirkung der Konsonanz und Dissonanz zu vergleichen, wobei freilich nicht übersehen werden darf, daß die Störung, die sich im Zusammenklang mit großer Gewalt geltend macht, durch das extensive Nebeneinander der Eindrücke ermäßigt wird, und daß überdies die Anschauung der Natur und die durch sie entstandene Gewöhnung an mannigfache, nicht ganz befriedigende Farbenverbindungen unsere Empfindung mehr abgestumpft hat als bei der in freierer Selbstschöpfung sich bewegenden Klangwelt. So bleibt denn beim Gesichtssinn das ästhetische Gefühl selbst lediglich an die räumliche Form der Vorstellung gebunden. Jeder Gegenstand wirkt auf uns ästhetisch durch seine Gestalt. Die Farbe kann, wo sie hinzutritt, solche Wirkung verstärken, indem sie entsprechende sinnliche Gefühle wachruft. Aber die ästhetische Wirkung kann auch unabhängig von dieser Zugabe der reinen Empfindung entstehen, wie die bloß gestaltenden Künste, Plastik, Architektur und zeichnende Kunst, beweisen.
4) Vergl. Kap. X.
Um die objektiven Bedingungen festzustellen, an welchen
die ästhetische Wirkung der Gestalten haftet, bieten sich zwei Wege
dar. Man kann zunächst einfache in freier Konstruktion erzeugte Formen
in Bezug auf das Gefallen oder Mißfallen prüfen, das sie hervorbringen,
ein Weg, der ganz und gar dem bei der Untersuchung der Klangverbindungen
eingeschlagenen entspricht. Oder man kann hineingreifen in die lebendige
Wirklichkeit der Natur und der sie nachahmenden Kunst, um an ihren Werken
das Gefallende und Mißfallende aufzufinden. Hier sehen wir uns dann
auf einem neuen Wege, den man bei den Gesichtsvorstellungen vielfach sogar
für den einzigen hielt, während es Niemandem einfallen würde,
dem Gesang der Vögel oder dem Rollen des Donners zu lauschen, um die
Bedingungen der musikalischen Schönheit aufzufinden. Hierin zeigt
sich eben die ungeheuere Macht, welche bei der Gestaltenwirkung die unmittelbare
Wahrnehmung äußert, wogegen das Gehör vollkommen frei nach
den subjektiven Gesetzen der Empfindung und Vorstellung waltet. Da nun
das ästhetische Gefühl in der Wirkung der Vorstellungen auf unser
Bewußtsein besteht, so werden wir sicherlich an jenen Kunstgebilden,
welche, unbeengt durch äußeren Zwang, lediglich unter Führung
des Gefühls selber entstanden sind, leichter die allgemeinen Bedingungen
des Ästhetischen auffinden können. Hierin liegt der große
Vorzug der Musik für Psychologie und Ästhetik, da sich in ihr
die elementaren Bedingungen des Wohlgefallens ohne weiteres auf mathematische
Verhältnisse zurückführen lassen. Aber auch bei der psychologischen
Analyse der Gestaltenwirkung wird man darum gut tun, von jenen einfachen
Fällen geometrischer Schönheit auszugehen, welche ebenfalls
den Vorteil bieten, daß sie vollkommen frei erzeugt werden und eine
Zurückführung auf mathematische Verhältnisse in Aussicht
stellen. Es soll nicht bestritten werden, daß die ästhetische
Wirkung solcher Formen eine sehr geringe ist. Sie ganz zu leugnen würde
aber gegen alle Kunsterfahrung verstoßen, da doch die Ornamentik
überall von derselben Gebrauch macht.
Als nächstes Resultat ergibt nun die Beobachtung
einfacher Gestalten zweifellos, daß wir das Regelmäßige
dem Unregelmäßigen vorziehen. Der einfachste Fall der Regelmäßigkeit,
die Symmetrie, begegnet uns daher an allen Formen, bei denen eine
gewisse ästhetische Wirkung beabsichtigt ist, und bei denen nicht
die Nachbildung asymmetrischer Naturformen eine Abweichung vorgeschrieben
hat. Die Symmetrie ist aber vorzugsweise eine horizontale: so namentlich
bei den frei erzeugten Gebilden der Architektur und Ornamentik. In vertikaler
Richtung treten viel häufiger andere Größenverhältnisse
an deren Stelle. Jene Bevorzugung beruht wohl auf der Gewöhnung an
die Naturformen, wo namentlich bei den organischen, den Pflanzen und Tieren,
vor allem beim Menschen selbst, ebenfalls eine horizontale oder, wie man
sich ausdrückt, bilaterale Symmetrie besteht. Es sind nun aber keineswegs
etwa alle einfach symmetrischen Figuren einander ästhetisch gleichwertig.
Wir ziehen z. B. entschieden einem Kreis oder Quadrat ein symmetrisches
Kreuz oder sogar einem Quadrat mit horizontaler Grundlinie ein solches
vor, dessen Ecken durch die Horizontale und Vertikale halbiert werden.
Der einfache Kreis gewinnt an ästhetischer Wirkung, wenn er mittelst
einer Anzahl von Durchmessern in gleiche Sektoren geteilt ist, und diese
Wirkung erhöht sich noch, wenn außerdem in jedem Sektor die
Sehne gezogen wird. Geometrischer Formen dieser Art bedient sich daher
nicht selten schon die Ornamentik, die von den einfachen Figuren kaum jemals
Gebrauch macht. Wir können diese Erfahrungen dahin zusammenfassen,
daß symmetrische Formen wohlgefälliger werden, wenn in ihnen
eine größere Zahl einzelner Teile verbunden ist. Die nackte
Symmetrie ohne weitere Gliederung der Form ist zu arm, um unser Gefühl
merklich anzuregen. Dies weist uns bereits darauf hin, daß nicht
sowohl die Symmetrie an sich es ist, die gefallt, als die durch sie hergestellte
ordnende Verbindung einer Mannigfaltigkeit einzelner Teile der Vorstellung.
Die Symmetrie ist die einfachste Weise, in der solche
Zusammenfassung geschehen kann, aber nicht die einzige. Noch andere Gliederungen
der Form erscheinen uns, namentlich wenn sie innerhalb der Höhendimension
liegen oder sich auf das Verhältnis der Breite zur Höhe beziehen,
wohlgefällig. Alle Proportionen der Formen bewegen sich zwischen zwei
Extremen, zwischen der vollständigen Symmetrie 1:1 und dem
Verhältnis 1:,
wo x eine so große Zahl bedeutet, daß
sehr klein im Verhältnis zu 1 wird. Eine Proportion, welche die Symmetrie
in eben merklicher Weise überschreitet, ist weniger wohlgefällig
als eine solche, die von dem Verhältnis 1:1 etwas weiter abliegt,
denn sie erscheint eben nur als eine ungenaue Symmetrie und fordert als
solche zu ihrer Verbesserung auf. Anderseits wird die Proportion 1:,
bei welcher die kleinere Dimension an der größeren nicht mehr
anschaulich gemessen werden kann, entschieden ungefällig. Zwischen
beiden Grenzen müssen also die gefallenden Verhältnisse liegen.
Eines derselben ist die Teilung nach dem goldenen Schnitt, bei welcher
das Ganze zum größeren Teil sich verhält wie dieser zum
kleineren (x + 1 : x = x : 1). Diese
Proportion, die nach ZEISING5)
das ganze Gebiet der Kunstformen beherrschen und sogar der Symmetrie überlegen
sein soll, wird in der Tat, wie fechner's experimentelle
Ermittelungen zeigen, bei der Untersuchung des Verhältnisses der verschiedenen
Dimensionen einer Form, also z. B. der Höhe und Breite eines Quadrates,
bestätigt gefunden6). Zweifelhafter
ist es, ob dasselbe auch für die Gliederung einer einzigen Dimension,
für welche die Symmetrie vorzugsweise bestimmend ist, eine dieser
nahestehende Bedeutung habe. Jedenfalls kann es hier nur als eine mittlere
Norm betrachtet werden, von der aus nach beiden Seiten in gewissem Umfang
Abweichungen möglich sind. Dies liegt offenbar daran, daß das
Verhältnis 1 : 1 überhaupt das einzige ist, welches wir
im Augenmaß sicher und scharf aufzufassen vermögen, während
wir alle andern Proportionen nur höchst ungenau abschätzen. Hier
ist dann allerdings der goldene Schnitt eine der Proportionen, die noch
eine verhältnismäßig einfache Anschauung zulassen, aber
dieselbe ist vor einigen andern wie 1 : 2 oder l : 3, an
sich vielleicht nicht einmal bevorzugt. In der Tat scheint es, daß
die letzteren Verhältnisse oder ihnen angenäherte ebenfalls bei
der Gliederung der Form einen wohlgefälligen Eindruck hervorbringen
können. Hiernach dürfte sich für alle neben der Symmetrie
möglichen Proportionen überhaupt die Regel aufstellen lassen,
daß sie ästhetisch um so wirksamer sind, je mehr sie eine messende
Zusammenfassung begünstigen. Es läßt sich nun nicht verkennen,
daß in dieser Beziehung der goldene Schnitt die Eigentümlichkeit
besitzt, das Ganze zugleich als Proportionalglied zu enthalten,
wodurch allerdings die Zusammenfassung der Teile in ein Ganzes erleichtert
sein könnte. Im Vergleich mit der Auffassung der musikalischen Verhältnisse
ist der Gesichtssinn durch die viel unvollkommnere Messung der räumlichen
Größen im Nachteil, und außerdem durch die Gewöhnung
an Naturformen, die an ästhetische Normen nicht gebunden sind, von
subjektiven Regeln freier. Dagegen entspringen hieraus gewisse Bedingungen
der Übereinstimmung des ästhetisch Eindrucksvollen mit den Naturformell,
welche uns zu einer zweiten wichtigen Quelle der ästhetischen Gefühle
überführen.
Daß die Schönheit einer menschlichen
Gestalt nicht bloß aus der Regelmäßigkeit ihrer Form hervorgeht,
wird Niemand bestreiten. Ein regelmäßiges Kreuz oder Sechseck
wäre ihr sonst an ästhetischem Wert weit überlegen. Doch
ebenso wenig wird man behaupten können, daß die Regelmäßigkeit
hier vollkommen gleichgültig sei. Die menschliche Gestalt ist bilateral
symmetrisch; sie ist in ihrer Höhe nach Verhältnissen gegliedert,
die der allgemeinen Regel folgen, daß sie sich innerhalb der Grenzen
leicht überschaubarer Maße bewegen, und die zwar innerhalb einer
gewissen Breite schwanken, von deren Durchschnittswerten aber doch nicht
allzu weit abgegangen werden darf. Mehr jedoch als diese abstrakten Proportionen
dürfte zu der ästhetischen Auffassung der Menschengestalt und
der Pflanzen- und Tierformen die Wiederholung homologer Teile beitragen,
welche innerhalb der vertikalen Gliederung eine Symmetrie zusammengesetzterer
Art hervorbringt. Ober- und Vorderarm, Ober- und Unterschenkel, Arme und
Beine, Hände und Füße, Hals und Taille, Brust und Bauch
treten uns sogleich als formverwandte Teile entgegen. In den Armen und
Händen wiederholen sich in feinerer und vollkommenerer Form die Beine
und Füße. Die Brust wiederholt in gleicher Art die Form des
Bauches. Indem sich dieser nach unten zur Hüfte, jene nach oben zum
Schultergürtel erweitert, den beiden Stützapparaten der Extremitätenpaare,
vollendet sich die Symmetrie der homologen Gebilde. Während aber alle
andern Teile nur zweimal in der vertikalen Gliederung der Gestalt wiederholt
sind, in einer unteren massiveren und in einer oberen leichteren Form,
ist auf jene beiden Glieder des Rumpfes als ein dritter homologer Teil
noch das Haupt gefügt, welcher damit unmittelbar als der entwickeltste
des ganzen Leibes erscheint, der die übrigen symmetrischen Teile erst
in eine Einheit abschließt. Ähnliche Betrachtungen würden
an jede Tier- und Pflanzenform sich anknüpfen lassen. Sie würden
ergeben, daß die ästhetische Wirkung aller organischen Gestalten
nicht sowohl von einem abstrakten Formgesetz abhängt als von jener
Symmetrie in der Wiederholung homologer Teile und von der Vervollkommnung,
die sich hierbei gleichzeitig in dem Aufbau der Formen zu erkennen gibt.
Von hier gehe man nun zur Anschauung landschaftlicher Schönheiten
oder der Werke der bildenden Kunst über. Auch da gilt im allgemeinen
die Regel, daß sich die Verhältnisse der Dimensionen und ihrer
Teile von der Eintönigkeit der vollständigen Symmetrie und der
Grenze inkommensurabler Proportionen gleich weit entfernen. Es ist daher
begreiflich, daß man, weil zudem in der Wahl der Einteilungspunkte
einige Freiheit besteht, eine Regel leicht bestätigt finden kann,
die, wie der goldene Schnitt, diese Mitte einhält. Doch der formale
Grund des Gefallens liegt offenbar wieder viel weniger in solchen abstrakten
Maßgesetzen als in jener Symmetrie, welche die freie Wiederholung
analoger Formen mit sich führt. Die Meisterwerke der bildenden Kunst
zeigen darin eine Analogie mit der Schönheit organischer Naturformen,
namentlich der menschlichen Gestalt, daß sie von unten nach oben
vervollkommnend sich aufbauen und einem das Ganze beherrschenden Teil zustreben.
In der Tat ist nun diese Art der Schönheit der organischen Natur und
des Kunstwerkes, die in der Wiederholung und Veredlung ähnlicher Formen
besteht, der Schönheit des geometrisch Regelmäßigen unendlich
überlegen. Über den Grund dieses Unterschieds geben uns aber
schon die Erfahrungen an dem geometrisch Regelmäßigen einigermaßen
Rechenschaft. Dem einfachen ziehen wir den in Sektoren gegliederten Kreis,
und so überhaupt dem einfach Symmetrischen das Mannigfaltige vor,
das durch Symmetrie zu einer geordneten Einheit sich abschließt.
Auch die Musik bietet nahe liegende Vergleichungspunkte. Den Takt wird
Niemand als Element der musikalischen Schönheit leugnen. Seine Wirkung
wächst aber, wenn er einen mannigfaltigeren Wechsel der Klangeindrücke
beherrscht, und ihm weit überlegen, wenn auch ihn voraussetzend, ist
das rhythmische Gefüge der Melodie, das in der größeren
Freiheit, mit der es sich bewegt, an die freiere Symmetrie der höheren
Naturformen und der Werke der bildenden Kunst erinnert. Dies also ist überall
die Bedingung wirkungsvollerer Schönheit, daß das Ganze, das
zu einer Einheit zusammengefügt ist, zugleich in seiner Mannigfaltigkeit
fühlbar werde. Je bunter diese ist, um so befriedigender wird die
Verbindung, die erst eine Auffassung und Ordnung des Einzelnen möglich
macht.
5) Neue Lehre von den Proportionen des menschlichen Körpers. Leipzig 1854. Das Normalverhältnis der chemischen und morphologischen Proportionen. Ebend. 1856.
6) Fechner, zur experimentalen Ästhetik. Abhandl. der sächs. Ges. d. Wiss. XIV. S. 555 f. Bei dem Verhältnis verschiedener Dimensionen findet FECHNER, daß die Proportion 1:1 entschieden zu den ungefälligen gehört. Dies dürfte mit den früher besprochenen Ungleichheiten vertikaler und horizontaler Entfernungen im Augenmaß zusammenhängen, vermöge deren uns in diesem Fall die wirkliche Symmetrie wie eine ungenaue Symmetrie erscheint.
Aber freilich ist mit diesem Resultat, auf welches
die Zergliederung der allgemeinen äußeren Bedingungen des Gefallens
hinführt, noch keineswegs die Tiefe des ästhetischen Gefühls
ausgemessen. Wäre dasselbe nur durch die Zeit- und Raumverhältnisse
der Vorstellungen bestimmt, so ließe sich wohl begreifen, wie ein
Gefallen verschiedenen Grades entstehen kann, aber die unendliche qualitative
Mannigfaltigkeit der Gefühle bliebe unerklärt. Die Verhältnisse
der Vorstellungen begründen nur die allgemeinen Formen des Gefallens
und Mißfallens. Vorstellungen, die sich durch symmetrische und proportionale
Gliederung in eine leicht überschaubare Einheit zusammenfügen,
befriedigen uns, andere, die einer solchen Ordnung widerstreben, mißfallen
uns. Seine spezifischen Färbungen empfängt aber das ästhetische
Gefühl jedesmal durch den besonderen Inhalt der Vorstellungen.
So ist es zweifellos, daß bei der Schönheit der menschlichen
Gestalt nicht bloß die Symmetrie der Formen, sondern vor allem die
besondere Bedeutung, die wir denselben in Gedanken beilegen, von Wirkung
ist. Bei der Stellung der Glieder denken wir an die Funktion, die denselben
als stützenden Trägern des Leibes zukommt. Eine mechanisch unmögliche
Stellung mißfällt uns daher selbst bei der sorgfältigsten
Einhaltung normaler Proportionen. Mißverhältnisse der Dimensionen
sind uns nicht zum kleinsten Teile deshalb anstößig, weil sie
der Bestimmung der Organe zu widerstreben scheinen. Vollends das Haupt
muß Gedanken zum Ausdruck bringen, und ein Reflex dieses Ausdrucks
muß auf die Haltung aller übrigen Teile zurückstrahlen.
So ist in der bloßen Gliederung der Gestalt die Schönheit nur
in rohen Umrissen angelegt, und erst die Belebung der Formen durch den
Inhalt unserer Vorstellungen vollendet die ästhetische Wirkung. Dies
legt nun den Gedanken nahe, daß auch jene ganz abstrakten Verhältnisse,
wie sie uns in den geometrisch regelmäßigen Figuren oder in
dem Taktmaß der Melodie als Normen des Gefallens begegnen, ihre ästhetische
Wirkung einem Gedankeninhalt verdanken, der zwar nicht in ihnen selbst
eigentlich liegt, den aber wir in sie hineinlegen. Das Rhythmische und
das Symmetrische gefällt uns, weil die Gesetze der Verbindung des
Mannigfaltigen, die sie enthalten, den Gedanken an zahllose Vorstellungen
ästhetischer Gegenstände in uns anklingen lassen. Jene abstrakten
Formverhältnisse sind daher ästhetische Objekte von unbestimmtem
Inhalt, aber sie sind nicht inhaltsleer. Darum eben sind sie geeignet Träger
der zusammengesetzteren ästhetischen Wirkungen zu werden, wobei nur,
wenn unser Gefühl befriedigt werden soll, die Form dem Inhalt entsprechen
muß. In einer solchen Gesamtwirkung sind daher jene abstrakten Verhältnisse
der Harmonie, des Rhythmus und der Symmetrie zugleich die äußeren
Formbedingungen, welche die Zusammenfassung des ästhetischen Inhalts
ermöglichen.
Erst die Erfüllung dieser Formen mit einem
Inhalte macht es aber möglich, daß Gefallen und Mißfallen
in eine große Zahl einzelner Bestimmungen aus einander treten, die
in den Benennungen Schön, Erhaben, Häßlich, Niedrig, Komisch
u. a. nur nach ihren wichtigsten Gattungen unterschieden sind. Beim Schönen
sind wir uns der Verbindung zusammenstimmender Vorstellungen klar bewußt:
Beim Erhabenen erreicht oder überschreitet der vorgestellte Gegenstand
durch seine Größe die Grenze, wo er leicht in eine Vorstellung
zusammengefaßt werden kann, während doch seine Beschaffenheit
solches verlangt. Beim Komischen und Lächerlichen stehen die einzelnen
Vorstellungen, welche ein Ganzes der Anschauung oder des Gedankens bilden,
unter einander oder mit der Art ihrer Zusammenfassung teils im Widerspruch,
teils stimmen sie zusammen. So entsteht ein Wechsel der Gefühle, bei
welchem jedoch die positive Seite, das Gefallen, nicht nur vorherrscht,
sondern auch in besonders kräftiger Weise zur Geltung kommt, weil
es, wie alle Gefühle, durch den unmittelbaren Kontrast gehoben wird7).
Die nähere Begriffsbestimmung dieser Formen des Gefallens der Ästhetik
überlassend, haben wir hier nur noch auf die psychologisch bedeutsamen
Beziehungen derselben zu den sinnlichen Gefühlen und Affekten hinzuweisen.
Daß ein Hintergrund sinnlicher Gefühle jede ästhetische
Wirkung in größerer oder geringerer Stärke begleitet, wurde
schon mehrfach hervorgehoben. Nicht minder kommt der Affekt zu Hilfe, um
die Teilnahme des ganzen Gemüts vollständig zu machen. Der schöne
Gegenstand befriedigt in dem Einklang seiner Formen unsere Erwartung; das
Mißfallen an dem Häßlichen verbindet sich mit dem Affekt
des Abscheus. Das Erhabene hat als sinnlichen Hintergrund starke Innervationsgefühle,
indem wir die Spannung unserer Muskeln nach der Kraft des Eindrucks zu
steigern suchen. Wo das Erhabene zum Ungeheuren anwächst, da verengern
sich reflektorisch die Hautgefäße und bewirken so die sinnliche
Empfindung des Schauderns, mit der sich zugleich leise der Affekt der Furcht
kombiniert. Darin ist die Hinneigung des Erhabenen zu Unlustgefühlen
angedeutet, die es auch als ästhetisches Gefühl schon enthält,
insofern in ihm eben die Grenze der Verbindung des Mannigfaltigen erreicht
oder sogar überschritten wird. Das Häßliche erregt gleichzeitig
Schaudern und Abscheu. Beim Komischen aber wechseln beide in rascher Folge
mit den Gefühlen sinnlicher Lust und befriedigter Erwartung. Auf sinnlichem
Gebiet entspricht diesem Wechsel das eigentümliche Gefühl des
Kitzels, dessen Empfindung uns Lachen verursacht, eine stoßweise
Respirationsbewegung, die bekanntlich auch durch den physischen Reiz des
Kitzelns verursacht wird. Wie ewald HECKER wahrscheinlich
macht, zieht hierbei die intermittierende Wirkung des Reizes eine intermittierende
Erregung der Gefäßnerven nach sich, welche auf das Zentralorgan
der Atembewegungen zurückwirkt8).
Das Komische erregt nun, wie alle stärkeren ästhetischen Gefühle,
ebenfalls die Gefäßnerven, wobei aber vermöge der rasch
wechselnden Natur des Gefühls, wie beim physischen Kitzel, eine intermittierende
Reizung entsteht. So bestätigt es sich überall, daß die
sinnlichen Gefühle, welche den ästhetischen Wirkungen zum Hintergrund
dienen, in ihrer Natur den einzelnen ästhetischen Gefühlen verwandt
sind; und das nämliche gilt von den Affekten, die sich hinzugesellen.
7) Vergl. Kap. X.
8) E. Hecker, die Physiologie und Psychologie des Lachens
und des Komischen. Berlin 1873.
Alle Vorstellungen, die den Inhalt ästhetischer
Wirkungen ausmachen, sind zunächst immer Einzelvorstellungen. Aber
unser Gefallen oder Mißfallen erregen dieselben erst, indem sie sich
gewissen Allgemeinvorstellungen, die unserm Bewußtsein disponibel
sind, unterordnen. Wo der Gegenstand zusammengesetzter ist, da gibt derselbe
zu einer Reihe mit einander verbundener Allgemeinvorstellungen Anlaß,
die sich in der Form eines zusammenhängenden Gedankens aussprechen
lassen. Dies ist es, was man in der geläufigen Regel auszudrücken
pflegt, daß der ästhetische Gegenstand Träger einer Idee
sein müsse. Ganz ohne Idee ist selbst die einfache Schönheit
des Taktes oder des geometrisch Regelmäßigen nicht. Denn es
verbindet sich damit der Gedanke eines harmonischen Gleichmaßes,
der in den höheren Gestaltungen der Schönheit nur in entwickelteren
Formen wiederkehrt. Da nun aber die Gedanken, welche der einzelne ästhetische
Gegenstand in uns wachruft, nicht nur von ihm sondern auch von der augenblicklichen
wie von der dauernden Disposition unseres Bewußtseins abhängen,
so begreift sich einerseits die Unbestimmtheit der ästhetischen Ideen,
anderseits ihre Abhängigkeit von dem anschauenden Subjekt. Derselbe
Gegenstand kann in verschiedenen Menschen mannigfach wechselnde Gedanken
wachrufen, und der ästhetisch gebildete Geist sogar kann bald diese
bald jene Idee mit einem gegebenen Objekte verbinden, da die Anschauung
unsern Gedanken nur ihre allgemeine Richtung anweist, die besondere Gestaltung
derselben aber vollkommen frei läßt. So sehen wir die ästhetischen
Gefühle überall aus der unmittelbaren Wirkung der Einzelvorstellungen
auf das Bewußtsein hervorgehen. Diese Wirkung äußert sich
aber in der Einordnung des Einzelnen in den vorhandenen Vorrat allgemeiner
Vorstellungen. Das nächste Motiv des Gefallens liegt immer in der
Leichtigkeit, mit welcher der Gegenstand unserer Wahrnehmung den bereit
liegenden Formen der Zeit- und Raumanschauung sich einfügt; daher
das gleichförmige Zeitmaß des Rhythmus, die leicht überschaubaren
Verhältnisse der symmetrischen und proportionalen Gliederung des Räumlichen
die einfachsten Bedingungen des Gefallens enthalten. Nicht minder wird
man in der Befriedigung, welche wir bei der Lösung einer Aufgabe oder
bei dem einfachen Verstehen eines gehörten Satzes empfinden, ein ästhetisches
Gefühl anerkennen müssen; ja die elementarste Form desselben
begegnet uns ohne Zweifel schon bei dem Wiedererkennen eines einmal wahrgenommenen
Gegenstandes, bei der einfachen Erinnerung an ein gehörtes Wort u.
dergl. In allen diesen Fällen liegt aber die Ursache des Gefühls
in der Einordnung der Vorstellungen in den Vorrat der unserm Bewußtsein
verfügbaren Formen. Beim Ästhetischen im engeren Sinne begegnen
uns die nämlichen Vorgänge; nur der Wert der durch den Eindruck
wachgerufenen Gedanken ist ein anderer. Denn die Wirksamkeit der höheren
ästhetischen Vorstellungen beruht überall auf der Erweckung sittlicher
und religiöser Begriffe. Indem wir uns dieser als unseres besten Besitztums
bewußt sind, legen wir dem angeschauten Gegenstand in dem Maße
höheren Wert bei, als das Gefühl, das er erweckt, jene höchsten
Begriffe aus dem Dunkel der Seele emporzieht, und als er dadurch auf uns
selbst veredelnd zurückwirkt. Die äußeren Maßverhältnisse,
in denen sich der im höheren Sinne ästhetische Gegenstand darbietet,
sind nur das äußere Gewand, das, wo es seines bedeutsamen Inhalts
beraubt wird, wenig mehr als jene gemeinere psychologische Form des ästhetischen
Gefühls zurückläßt, die an jede Aufnahme der Vorstellungen
gebunden ist, höchstens insofern der letzteren überlegen, als
schon das Gleichmaß der Teile einer Vorstellung in uns Gedanken anklingen
läßt, denen ein ethischer Wert zukommen kann. Teils durch diese
Gedanken teils durch die erleichterte Zusammenfassung wird das Regelmäßige,
das symmetrisch Gegliederte zu einem so wirkungsvollen Gewande für
die höheren Formen des Ästhetischen.
Seiner psychologischen Natur nach läßt
sich hiernach das ästhetische Gefühl allgemein als die unserm
Bewußtsein eigentümliche Reaktion auf die in dasselbe eintretenden
Vorstellungen bestimmen. Die besondere Färbung des Gefallens und Mißfallens
ist aber ganz und gar von dem Inhalt der durch die Vorstellung erweckten
Gedanken abhängig, und nach dem Wert der letzteren ermessen wir auch
die des Gefühls. So tritt uns im Gebiet der ästhetischen Gefühle
zum ersten Mal die Tatsache einer Wertschätzung entgegen, die
bei den sinnlichen Gefühlen noch ganz und gar fehlte. Trotzdem stimmen
beide Formen ihrer allgemeinen Natur nach überein. Wie das sinnliche
Gefühl die Reaktion des Bewußtseins auf die Empfindung, so ist
das ästhetische Gefühl seine Rückwirkung auf die Vorstellung.
Da nun in die Vorstellung Empfindungen als ihre Bestandteile eingehen,
so ist die überall nachweisbare Verbindung ästhetischer mit sinnlichen
Gefühlen begreiflich. Anderseits bleibt aber auch die Vorstellung
nicht ruhend im Bewußtsein, sondern sie wird aufgenommen in den Verlauf
innerer Vorgänge, auf welchen das Gefühl unmittelbar einwirkt
und so, wie wir bald sehen werden, den Affekt hervorbringt. Wie
daher das ästhetische von sinnlichen Gefühlen getragen wird,
so leitet es selbst unvermerkt in den Affekt über.
Die psychologische Untersuchung der ästhetischen Gefühle hat bis jetzt noch immer unter dem Umstande zu leiden gehabt, daß die Anregung zu derselben ganz und gar von jenem Ästhetischen im engeren Sinne ausging, mit welchem sich die Theorie der schönen Künste und die aus ihr unter dem Namen der Ästhetik hervorgegangene Wissenschaft beschäftigt. So ist es gekommen, daß man jene einfachsten Fälle des Gefallens und Mißfallens ganz aus dem Auge verlor, welche doch für die psychologische Theorie die Grundlage sind, von der aus auch die komplizierteren ästhetischen Wirkungen erklärt werden müssen. Eine weitere erschwerende Bedingung lag darin, daß die erste Begründung der Ästhetik von dem logischen Formalismus der WOLFF'schen Schule beherrscht war. Statt direkt nach den Motiven des ästhetischen Gefühls zu suchen, behandelte man ohne weiteres die ästhetische Auffassung als eine Form des Erkennens und suchte nun nach dem Begriff, aus dessen Verwirklichung das ästhetische Gefühl hervorgehen sollte. kant, der diese Auffassung beseitigte, ist doch selbst noch von ihr beeinflußt, indem er das Ästhetische der Urteilskraft zuweist, die in der logischen Stufenfolge der Seelenvermögen zwischen Verstand und Vernunft das Mittelglied bildet, und indem er dem Begriff der Wahrheit, in dessen dunkle Erkenntnis die älteren Ästhetiker das ästhetische Gefühl versetzen, den der Zweckmäßigkeit substituierte. Erst dadurch lenkt kant auf einen völlig neuen Weg ein, daß er beim ästhetischen Geschmacksurteil die Zweckmäßigkeit als eine ganz und gar subjektive hinstellt, die niemals auf einen objektiven Zweck sich beziehen könne9), und daß er dem Zweck eine eigentümliche Mittelstellung zwischen den Naturbegriffen und dem Freiheitsbegriff anweist, die der Mittelstellung der Urteilskraft zwischen Verstand und Vernunft entspricht. Hierin liegt nun nach KANT'scher Auffassung hauptsächlich der Wert des Ästhetischen, daß es für uns zwischen den Gebieten der Natur und der Sittlichkeit die natürliche Brücke bildet10). Die idealistische Ästhetik, die auf kant gefolgt ist, knüpft an diesen Gedanken an, indem sie denselben zu größerer Reinheit und Allgemeinheit entwickelt. Sie setzt das Ästhetische überall in die Verwirklichung der Idee, also eines geistigen Inhalts. Da nun aber diese Anschauung das Reale überhaupt als eine lebendige Entwicklung des Geistigen oder, wie sie sich ausdrückt, der absoluten Idee ansieht, so muß sie das engere Gebiet des Ästhetischen in jene künstlerische Tätigkeit verlegen, welche die Idee ohne die Trübungen und Schranken zu realisieren sucht, die sie in der Natur erfährt. So kommt es, daß hier einerseits die ganze Naturbetrachtung wesentlich zu einer ästhetischen wird, wie das Beispiel schelling's zeigt, und daß sich anderseits die Betrachtung des Ästhetischen im engeren Sinne ganz und gar auf das Gebiet der Kunst zurückzieht, wie an hegel zu sehen ist. So vieles auch die Ästhetik dieser Richtung verdankt, die Psychologie geht dabei im Ganzen leer aus. Es ist nicht zu leugnen, daß die letztere aus dem im schroffen Gegensatz zu den idealistischen Systemen entstandenen Bestreben HERBART's, die objektiven Bedingungen des ästhetischen Urteils aufzufinden, mehr Anregung geschöpft hat. Aber auch diesem Philosophen ist es nicht gelungen eine haltbare Theorie des ästhetischen Gefühls zu finden. Er bleibt bei der Bemerkung stehen, daß das ästhetische Gefühl auf Verhältnissen der Vorstellungen beruhe. Der Unterschied vom sinnlich Angenehmen und Unangenehmen bestehe nur darin, daß uns beim ästhetischen Gegenstand jene Verhältnisse selbst in der Vorstellung gegeben sind, daher sie zugleich in der Form eines Urteils dargestellt werden können11). Näher durchgeführt hat HERBART diese Theorie nur bei den musikalischen Intervallen, wo seine Betrachtungen in starken Widerspruch mit den physikalischen und physiologischen Tatsachen geraten. Er mißt die Harmonie der Zusammenklänge nach dem Verhältnis, in welchem sie einerseits zum vollen Gegensatz, anderseits zur vollen Übereinstimmung stehen. Die Oktave soll als voller Gegensatz zweier Töne die vollkommenste Konsonanz gewähren, nächst ihr die Quinte, weil sie zwischen Gegensatz und Übereinstimmung genau die Mitte halte u. s. w. 12). Man hat solche Betrachtungen auch auf andere Verhältnisse, wie die Farbenintervalle, auszudehnen gesucht. Aber der Ausgangspunkt dieser Spekulationen ist ganz willkürlich. Die Oktave, weit entfernt der reine Gegensatz zum Grundton zu sein, ist vielmehr dem vollständigen Einklang am meisten verwandt. Warum die Oktave als reine Hemmung und die Quinte als Mittleres zwischen Hemmung und Verschmelzung einander am nächsten stellen sollen, wird nirgends nachgewiesen. Es könnte nun allerdings trotz dieser mißlungenen Versuche die Theorie im allgemeinen richtig sein. Aber wir müssen auch dies bestreiten. Wenn herbart überall den ästhetischen Eindruck auf einem Zusammenwirken einfacher Formverhältnisse beruhend glaubt, so liegt darin das Verdienst einer Hinweisung auf gewisse, bis dahin zwar nicht übersehene, doch von den philosophischen Theorien vernachlässigte objektive Bestimmungsgründe des Ästhetischen, aber es enthält diese Behauptung eine doppelte Übertreibung. Die eine entspringt daraus, daß HERBART bei der Bildung seiner ästhetischen Begriffe offenbar von der Musik ausging, die, vollkommen frei in der Behandlung ihres Materials, in der Tat auf den einfachen Verhältnissen der harmonischen Intervalle und des Rhythmus ihr ganzes Gebäude errichtet. Aber schon sie bietet in dem melodischen Gefüge des Kunstwerks ein Ganzes dar, das sich in jene einfachsten Bestandteile nicht ohne Rest auflösen läßt, und bei den Werken der bildenden Kunst treten die einfachen Formverhältnisse der Teile gegen die Bedeutung des Ganzen noch mehr in den Hintergrund. Die erste Einseitigkeit herbart's besteht also darin, daß er ein rein äußerliches Verhältnis zum Bestimmungsgrund des ästhetischen Gefühls macht, indem er die unerwiesene Behauptung aufstellt, daß das Ganze vollständig in einfache Formverhältnisse aufgelöst werden könne. Damit hängt der zweite Fehler nahe zusammen. Jene Formverhältnisse sollen durch die Verhältnisse der Verschmelzung und Hemmung der Einzelvorstellungen, die sie hervorbringen, unmittelbar das ästhetische Gefühl erzeugen. Davon, daß Gefallen und Mißfallen wesentlich von dem Gedankeninhalt abhängen, den wir in die Formen hineinlegen, oder den sie in uns anregen, wird ganz abgesehen. Überdies ist hErbart auch hier den Beweis schuldig geblieben, daß Verhältnisse der Vorstellungen ein Gefühl erzeugen können. An und für sich sind solche Verhältnisse ganz gleichgültig. Gefallen und Mißfallen deuten aber, wie jedes Gefühl, auf eine Reaktion des Bewußtseins gegen den Eindruck. Diese Reaktion ist nun bei allen Formen der ästhetischen Wirkung von dem Inhalt an Vorstellungen abhängig, welcher dem Bewußtsein verfügbar ist. Nicht sowohl das Verhältnis der gegebenen Vorstellungen selbst, als vielmehr ihr Verhältnis zu dem Vorstellungsinhalt unseres Bewußtseins bestimmt also das ästhetische Gefühl. In einer Beziehung findet sich übrigens bei HERBART eine richtige Einsicht, in der Rückbeziehung sittlicher auf ästhetische Wertbestimmungen. Hinsichtlich der psychologischen Entstehung der Gefühle wenigstens hat es damit in der Tat seine Richtigkeit. Die sittliche Regung, die religiöse Erhebung des Gemüts und endlich die intellektuelle Befriedigung beruhen alle auf Gefühlen gleicher Art. Im Gebiet der eigentlichen Ästhetik darf man wohl eine Ausgleichung der oben berührten Gegensätze hoffen, seitdem neuere Verfechter der realistischen Richtung, wie namentlich LOTZE13), die Grundgedanken der idealistischen Ästhetik anerkannt haben, während von der andern Seite die Hauptvertreter der letztern, wie F. th. VISCHER14), der Aufsuchung der objektiven ästhetischen Formverhältnisse ihre relative Berechtigung zugestehen. Den so sich nähernden Standpunkten dürfte die hier entwickelte psychologische Theorie nicht ferne stehen, abgesellen davon, daß sie dem ästhetischen Gefühle notwendig eine Erweiterung geben muß, die über das Ästhetische im engeren Sinne hinausgeht.
9) Kritik der Urteilskraft, S. 16, 29.
10) a. a. O., S. 39, 229.
11) Psychologie als Wissenschaft II. Werke Bd. 6, S.
93. Vergl. a. Bd. S, S. 394.
12) Psychologische Bemerkungen zur Tonlehre. Werke Bd.
7, S. 7 f.
13) Geschichte der Ästhetik in Deutschland. München
1868. S. 232, 323 u. a.
14) Kritische Gänge. 5. Heft. S. 140.