Fünfzehntes Kapitel.

Einbildungsvorstellungen.

Alle Einbildungsvorstellungen sind aus Bestandteilen zusammengesetzt, die zuvor in der Anschauung gegeben waren. Diese Abhängigkeit verrät sich hauptsächlich in ihrem Zusammenhang mit vorausgegangenen Eindrücken; aber auch die Erfahrung, daß bei angeborenem Mangel eines Sinnes die Empfindungen desselben vollständig hinwegfallen, läßt sich als eine Folge der nämlichen Tatsache betrachten1). Die Existenz der Einbildungsvorstellungen beruht somit auf der Fähigkeit der Reproduktion. Da nun von dieser fortwährend auch die sinnliche Wahrnehmung beeinflußt wird, so läßt sich zwischen Anschauungs- und Einbildungsvorstellungen nicht immer eine scharfe Grenze ziehen. Es bleibt nur übrig, den letzteren Ausdruck überhaupt auf alle Fälle anzuwenden, in denen das reproduktive Element vorherrscht. In diesem Sinne rechnen wir hierher die Erinnerungs- und Phantasiebilder, die Halluzinationen und die Illusionen. Die beiden letzteren, welche man im gesunden Zustande hauptsächlich während des Schlafes beobachtet, werden zusammen auch als Phantasmen oder als Sinnesdelirien bezeichnet. Die Traumvorstellungen sind teils Halluzinationen teils Illusionen und unterscheiden sich, wie alle Phantasmen, von den gewöhnlichen Erinnerungs- und Phantasiebildern des wachen Lebens durch die Lebhaftigkeit der Empfindung, worin sie den Anschauungsbildern nahezu oder vollständig gleichen2). Erinnerungsbilder nennen wir endlich speziell diejenigen reproduzierten Vorstellungen, in denen sich frühere Wahrnehmungen, abgesehen von der viel geringeren Intensität ihrer Empfindungsbestandteile, in annähernd unveränderter Form dem Bewußtsein erneuern. Dagegen sollen jene Vorstellungen des wachen und gesunden Zustandes, in welchen sich Reproduktionselemente verbinden, die verschiedenen Anschauungen entnommen sind, im engern Sinne Phantasiebilder genannt werden. Das Erinnerungsbild wiederholt also einfach eine frühere Vorstellung, das Phantasiebild aber bildet aus Bestandteilen früherer Vorstellungen eine neue. Übrigens liegt es in der Natur der Sache, daß sich diese Unterscheidung im einzelnen Fall nicht strenge durchführen läßt. Namentlich ist jedes Erinnerungsbild zugleich Phantasiebild, da in demselben nicht nur Bestandteile der ursprünglichen Anschauung weggelassen, sondern auch meistens solche aus mehreren Wahrnehmungen des nämlichen Gegenstandes vereinigt sind.

1) Vergl. Kap. IX.

2) Das Phantasma darf demnach nicht verwechselt werden mit dem Phantasiebild, unter welchem letzteren wir immer eine Einbildungsvorstellung verstehen, welche durch die Schwäche ihrer Empfindungsbestandteile von den Traumvorstellungen und von den pathologischen Halluzinationen und Illusionen wesentlich verschieden ist. Diesen Unterschied durch Wörter auszudrücken, die eigentlich dasselbe bedeuten, ist zwar etymologisch gewiß nicht gerechtfertigt; da aber nun einmal die Dinge eine verschiedene Bezeichnung fordern, so möge es gestattet sein jene Ausdrücke zu wählen, welche auch bisher der Sprachgebrauch ungefähr im selben Sinne unterschieden hat. Die Erinnerungs- und Phantasiebilder als rein psychische Erscheinungen zu betrachten ohne jede physiologische Gründlage, wie es z. B. noch von J. Bergmann geschieht (Grundlinien einer Theorie des Bewußtseins. Berlin 1870. S. 103), widerspricht durchaus den weiter unten zu erörternden Erfahrungen, nach denen das Phantasiebild vollkommen stetig in das Phantasma übergehen kann. Namentlich stehen diejenigen Erinnerungsbilder, welche sehr kurze Zeit nach dem äußeren Eindruck reproduziert werden, die von Fechner so genannten Erinnerungsnachbilder, oft den Anschauungsvorstellungen an Lebendigkeit wenig nach. (Fechner, Psychophysik II, S. 491 f.)

    Die Erinnerungs- und Phantasiebilder entstehen unter dem Einfluß unmittelbarer Wahrnehmungen oder anderer Einbildungsvorstellungen, mit denen sie irgendwie nach den Gesetzen der Assoziation verbunden sind. Zuweilen zwar scheint es uns, als wenn ein bestimmtes Bild ohne alle Veranlassung in unserm Bewußtsein auftauche. Aber der aufmerksame Beobachter wird selbst in solchen Fällen selten das Band vermissen, welches die Vorstellung an vorangegangene Zustände knüpft. Wir übersehen derartige Verbindungen so leicht, weil sich an jeden Bestandteil einer Empfindung und Vorstellung die Reproduktion anheften kann. So werden insbesondere das sinnliche, das ästhetische Gefühl und der Affekt wegen ihrer energischen Wirkung auf unser Bewußtsein leicht zu Vehikeln der Reproduktion, wobei durch die Unbestimmtheit der Gefühle die Assoziation undeutlich ist. In Anbetracht der außerordentlichen Mannigfaltigkeit der Verbindungen, die auf solche Weise möglich sind, und der großen Schwierigkeiten, welche gerade der rein innerliche Verlauf unserer Vorstellungen der Selbstbeobachtung darbietet, werden wir daher voraussetzen dürfen, daß auch auf diesem Gebiete eine durchgängige Kausalität herrscht, daß kein Erinnerungsbild über die Schwelle des Bewußtseins emportaucht, welches nicht nach den für viele Fälle bestimmt nachweisbaren Regeln der Assoziation in dasselbe gehoben wird. Die Assoziation ist aber zunächst ein psychologischer Vorgang. Den wesentlichen Unterschied der Wahrnehmung und des Phantasiebildes können wir daher vorläufig so bezeichnen, daß jene stets aus physiologischen Reizen, dieses aber aus einer psychischen Reizung seinen Ursprung nimmt. Diejenige Vorstellung, sei sie Anschauung oder selbst reproduziert, die durch Assoziation ein Bild in das Bewußtsein hebt, betrachten wir als den psychischen Reiz für die Entstehung desselben. Da nun aber das Phantasiebild denselben Empfindungsinhalt besitzt wie die ursprüngliche Wahrnehmung, wenngleich derselbe abgeblaßt und unter Umständen durch andere Reproduktionen modifiziert ist, so müssen wir doch auch hier eine physiologische Reizung der zentralen Sinnesflächen annehmen, welche sich im Gefolge des psychischen Reizes entwickelt. Wegen der geringen Stärke dieser physiologischen Reizung existieren übrigens intensive Empfindungen nur in sehr abgeschwächter Form im Erinnerungsbilde. Den Schmerz z. B., wie er in Folge von heftiger Reizung oder von Durchschneidung sensibler Nerven entsteht, können wir niemals reproduzieren, sondern wir können uns höchstens an das Mißbehagen erinnern, das wir in solchen Fällen empfanden. Die Reproduktion geht also hier einzig und allein im Gebiet des Gefühls vor sich, und die mit dem letzteren verbundene Empfindung hat nicht mehr Stärke als erforderlich ist, um uns etwa den Körperteil anzudeuten, welcher der Sitz der erinnerten Schmerzempfindung war. Viel weniger werden jene mäßigen Empfindungen abgeschwächt, welche Bestandteile der ganz und gar objektiven Wahrnehmungen bilden. Hierin liegt ein physiologischer Grund für die bekannte Erfahrung, daß die Erinnerung meist nur die erfreulichen Seiten unseres vergangenen Lebens in lebendiger Frische zurückruft. Vermöge dieser geringen Intensität der physiologischen Reizung breitet sich die letztere bei den Erinnerungsbildern wohl niemals von den zentralen auf die peripherischen Sinnesflächen aus, ein Fall, der, wie wir sehen werden, bei der Halluzination wahrscheinlich meistens eintritt. Hieraus entspringen denn auch die einzigen einigermaßen sichern physiologischen Unterscheidungsmerkmale des Phantasiebildes. Erstens hinterläßt dasselbe an den peripherischen Sinneswerkzeugen keine Nachwirkungen der Reizung, also z. B. Erscheinungen der Ermüdung, wie sie sich beim Auge an den Nachbildern zu erkennen geben. Zweitens sind die Phantasiebilder des Gesichtssinnes im allgemeinen unabhängig von der Bewegung der Augen. Wenn wir die letzteren hin- und herwenden, so kann das Bild unverändert an seinem Ort bleiben3). Übrigens unterscheiden sich in dem letzteren Punkt die Halluzinationen, wie es scheint, durchaus nicht immer von den Phantasiebildern, wie denn überhaupt beide unmerklich in einander übergehen können. Je größere Stärke der Empfindungsinhalt einer reproduzierten Vorstellung besitzt, um so mehr gewinnt sie die Lebendigkeit unmittelbarer Anschauung. goethe, dessen Phantasiebilder eine ungewöhnlich große sinnliche Lebendigkeit besaßen, berichtet von sich selbst einige Erfahrungen, die dem Gebiet der Halluzination angehören oder dicht an dasselbe heranstreifen4). In Phantasiebildern können sich Vorstellungsgruppen und Erlebnisse an einander reihen, die, obgleich sie vollständig aus Bestandteilen früherer Anschauungen bestehen, doch in dieser Verbindung niemals wirklich gewesen sind. Aus solchen willkürlichen Bildungen der Phantasie schöpft die künstlerische Gestaltungskraft. Ganz besonders aber schafft sich unser Bewußtsein Phantasiebilder der eigenen Zukunft, in denen erwartete oder gehoffte Ereignisse vor die innere Wahrnehmung treten. In diesen antizipierten Anschauungen wurzeln unsere Pläne für die Zukunft. Doch ergibt sich auch, namentlich im Jugendalter, die Phantasie einem ziellosen Schwelgen in wachen Träumen, welches die Beachtung des Erziehers verdient. Das natürliche Hilfsmittel, das die kindliche Phantasie auf die wirkliche Welt hinüberlenkt und sie so zu fruchtbarer Tätigkeit vorbereitet, ist das Spiel, ein Hilfsmittel, das um so vollständiger seinen Zweck erfüllt, je mehr es das eigene Handeln des Kindes herausfordert.

3) Dies schließt natürlich nicht aus, daß gelegentlich auch das Bild mit dem Auge wandert, wenn nämlich die Vorstellung demselben einen andern Platz anweist. Vergl. solche Beobachtungen bei Fechner, Psychophysik II, S. 472, 481.

4) Vergl. die Schilderung phantastischer Bilder im dunkeln Gesichtsfeld, Goethe’s nachgelassene Werke, Bd. 10, S. 38. (Besprechung von PURKINJE'S Schrift über das Sehen in subjektiver Hinsicht.) Bekannt ist ferner die Vision aus Dichtung und Wahrheit, in der Goethe auf der Rückreise von Sesenheim sich selbst im hechtgrauen Rock begegnet. BRIERRE des Boismont (des hallucinations, 3te édit., p. 26) erzählt die Geschichte eines Malers, der sich der Bilder einmal gesehener Personen so deutlich erinnerte, daß er nach dem Erinnerungsbild Porträts zu malen vermochte. Bald vermochte er das Phantasiebild von der Wirklichkeit nicht mehr zu unterscheiden, und er verfiel in Wahnsinn. Ähnliche Berichte finden sich noch mehrere in der Literatur. Vergl. Fechner, a. a. O., S. 483.

    Nicht immer, bleibt die physiologische Reizung bei den Erinnerungs- und Phantasiebildern auf die zentralen Sinnesflächen beschränkt, sondern sie kann unter Umständen auch auf motorische Zentralgebiete übertragen werden. So entstehen unwillkürliche Handlungen, teils Sprachäußerungen, teils Körperbewegungen. Doch pflegen die Erinnerungsbilder nur bei ungewöhnlicher Stärke solche motorische Rückwirkungen zu äußern. Zudem gibt es hier offenbar eine individuelle Disposition; namentlich reflektieren sich bei dem Naturmenschen, der in der willkürlichen Beherrschung seiner selbst minder geübt ist, die Phantasievorstellungen ungleich lebhafter in äußeren Handlungen5).

5) Näheres über die Entstehung und den Verlauf der Erinnerungsbilder vgl. in Kap. XIX.

    Die Halluzinationen unterscheiden sich von den Erinnerungsbildern durch die Intensität der physiologischen Reizung. Daß auch hier der Vorgang von Teilen der Hirnrinde, also mutmaßlich von zentralen Sinnesflächen ausgeht, ist mindestens in hohem Grade wahrscheinlich. Die gewöhnlichsten äußeren Ursachen der Halluzination sind Hyperämie und Entzündung der Hirnhäute und der Hirnrinde, die Einwirkung toxischer Substanzen, wie Opium, Haschisch, Alkohol, die gleichfalls Gehirnhyperämie im Gefolge haben, endlich die bei tiefen Ernährungsstörungen oder bei gänzlichem Nahrungsmangel eintretende Anämie des Gehirns. Die gleichartige Wirkung scheinbar so verschiedener physiologischer Zustände beruht, wie man nach der Analogie mit andern Fällen automatischer Reizung annehmen darf, darauf, daß sich Zersetzungsprodukte der Gewebe in der blutreichen Hirnrinde anhäufen, welche zunächst die Reizbarkeit derselben erhöhen, dann aber auch selbst eine Reizung hervorbringen können6). Unter normalen Verhältnissen führt der Zustand des Schlafes Bedingungen mit sich, welche Halluzinationen begünstigen7). Diese stellen sich zuweilen schon einige Zeit vor dem Einschlafen ein, oder sie dauern noch kurze Zeit an, nachdem man aus tiefem Schlafe erwacht ist. Die meisten Halluzinationen Gesunder gehören diesem Zwischenzustande an8). Die Halluzinationen können in den verschiedenen Sinnesgebieten vorkommen. Am häufigsten sind solche des Gesichtssinnes, sogenannte Visionen9); ihnen zunächst beobachtet man Phantasmen des Gehörs, viel seltener des Tastsinns, des Geruchs und Geschmacks. Auch finden sich diese letzteren in der Regel nur in Begleitung von Phantasmen der höheren Sinne bei ausgebreiteteren Erkrankungen der Hirnrinde. Dagegen sind Halluzinationen des Gesichts und Gehörs nicht selten isoliert zu beobachten. Äußere Ursachen, aus denen vorzugsweise ein bestimmtes Sinnesgebiet heimgesucht wird, lassen sich meistens nicht nachweisen. Doch ist bemerkenswert, daß lange dauernde Einzelhaft zu Gehörshalluzinationen, Aufenthalt im Finstern zu Visionen disponiert, offenbar weil der Mangel der betreffenden Sinnesreize die Reizbarkeit der zentralen Sinnesflächen steigert, gerade so wie dies beim Auge in Bezug auf das peripherische Sinnesorgan nachzuweisen ist10). Anderseits scheint aber auch die überhäufte Reizung der Sinne denselben Erfolg zu haben, da z. B. bei Malern vorzugsweise Phantasmen des Gesichts, bei Musikern solche des Gehörs beobachtet sind. Fortgesetzte Beschäftigung mit einem und demselben Gegenstand kann sogar ein spezielles Erinnerungsbild zur Lebhaftigkeit des Phantasma steigern11). Aus diesem Umstande dürfte sich auch die Tatsache erklären, daß durchschnittlich die Gesichtsphantasmen am häufigsten vorkommen, indem das Gesicht jener Reizbarkeitssteigerung durch Überreizung am meisten ausgesetzt ist. Schwächere Visionen werden, gleich den Erinnerungsbildern, bei geschlossenem Auge deutlicher; sie können bei geöffnetem Auge und im Tageslicht ganz verschwinden. Hierher gehören namentlich die Erscheinungen, welche Gesunde vor dem Einschlafen oder überhaupt im dunklen Gesichtsfelde wahrnehmen. Es sind dies bald Erinnerungsbilder von ungewöhnlicher Stärke bald Figuren ohne bestimmte Bedeutung, welche fortwährend in Form und Farbe wechseln, wobei aber dieses phantastische Spiel von dem Einfluß des Willens ganz unabhängig ist12). Zuweilen gesellen sich, wie ich finde, hierzu schwache Gehörsreize, oder diese treten auch ganz allein auf: einzelne Töne oder Worte, meist zusammenhanglos, klingen dem Einschlafenden ins Ohr; manchmal folgen diese Laute einander immer schneller, oder sie werden undeutlicher, als kämen sie aus zunehmend größerer Ferne, was dann gewöhnlich den Übergang in den wirklichen Schlaf andeutet. Ich vermute, daß bei diesen noch normalen Phantasmen der schwache Reizungszustand, in welchem sich fortwährend unsere Sinnesorgane, namentlich das Auge, befinden, wesentlich beteiligt ist13). Nicht selten scheint es, als wenn jener Lichtstaub des dunkeln Gesichtsfeldes, den wir bei geschlossenem Auge wahrnehmen, sich unmittelbar zu den phantastischen Bildern entwickle. In diesem Fall würde die Erscheinung schon einigermaßen dem Gebiete der Illusion zufallen.

6) Vergl. Kap. V. Es läßt sich nicht leugnen, daß die Zurückführung aller phantastischen Sinneserscheinungen auf eine gesteigerte Reizbarkeit jener zentralen Sinnesflächen, welche in der Hirnrinde anzunehmen sind, bis jetzt von pathologisch-anatomischer Seite nicht zureichend zu beweisen ist, wie denn auch an eine Lokalisierung der verschiedenen Sinnesphantasmen in verschiedenen Provinzen der Hirnrinde vorerst noch nicht gedacht werden kann. Es liegt hier nur einerseits die Tatsache vor, daß bei allen Formen der geistigen Störung diffuse Veränderungen der Hirnrinde angetroffen werden, während die Gebilde des Mittelhirns nur selten gleichzeitig ergriffen sind, und anderseits die physiologische Beobachtung, daß jene toxischen Stoffe, welche Sinnesdelirien nach sich ziehen, zugleich Zirkulationsstörungen in der Hirnrinde verursachen. Da aber, namentlich im letzteren Fall, die Möglichkeit immerhin bleibt, daß zugleich in den tiefer liegenden Hirnteilen Veränderungen der Blutbewegung bestehen, so läßt sich hieraus die Annahme, daß entweder immer oder wenigstens in gewissen Fällen ein Reizungszustand in den mittleren Gebieten des zentralen Verlaufs der Sinnesnerven der Halluzination zu Grunde liege, nicht ohne weiteres zurückweisen. In der Tat hat durch SCHROEDER VAN der Kolk diese Annahme bei den Irrenärzten Verbreitung gewonnen, namentlich ist dieselbe von KAHLBAUM (Allg. Zeitschrift f. Psychiatrie, Bd. 23, S. 1 f.) und HAGEN (ebend. Bd. 25, S. 51) adoptiert worden. Schroeder (Pathologie und Therapie der Geisteskrankheiten. Braunschweig 1863. S. 7 f.) unterscheidet die Perzeption als unmittelbare Wahrnehmung der Sinneseindrücke, von der Apperzeption als der Erhebung derselben ins Bewußtsein, und er sucht beide Vorgänge auf verschiedene Zentralgebilde zurückzuführen. Die Perzeption findet nach ihm in besonderen Zellenanhäufungen in der Nähe der Nervenwurzeln, "Perzeptionszellen", statt, so z. B. für die Gehöreindrücke nahe den Acusticuswurzeln am Boden der Rautengrube, für die Lichtreize in den Vierhügeln u. s. w.; die Zellen der Hirnrinde, die "Vorstellungszellen", sollen die Apperzeption vermitteln. Demgemäß führt denn schroeder auf die Reizung der letzteren die gewöhnlichen Phantasiebilder, auf die Reizung der Perzeptionszellen dagegen die Halluzinationen zurück; Kahlbaum nimmt für gewisse Halluzinationen eine primäre, für andere eine zentripetale, von den Vorstellungszellen ausgehende Reizung der s. g. Perzeptionszellen an. Mit diesen Hypothesen scheinen mir jedoch die in Kap. IV und V entwickelten Vorstellungen über die funktionelle Bedeutung der einzelnen Zentralteile nicht mehr vereinbar zu sein. In den Vierhügeln z. B. haben wir Apparate erkannt, in welchen sich die Netzhautreizungen mit Bewegungen kombinieren; nebenbei findet sich aber eine direkte Opticusleitung zur Großhirnrinde, und außerdem ist in der letzteren das Reflexzentrum der Vierhügel vertreten. Diese Verhältnisse legen offenbar die Annahme nahe, daß eine geordnete Gesichtswahrnehmung überhaupt erst in der Großhirnrinde stattfindet, und der Einfluß der Augenbewegungen auf die Wahrnehmung wird ohne Zweifel eben durch die Verbindung des Vierhügelzentrums mit der zentralen Sinnesfläche vermittelt sein. Auch die Beobachtungen, daß bei Kranken mit langjähriger Atrophie der Sehnerven noch Gesichtshalluzinationen bestehen können, daß ferner nach langjähriger Erblindung im Traume noch lebhafte Gesichtsphantasmen vorkommen scheinen mir auf die Großhirnrinde als den Sitz der Phantasmen hinzuweisen. Denn bei so lange bestandener totaler Erblindung findet man stets mit den Sehnerven auch die Vierhügel atrophisch.

7) Vergl. Kap. V.

8) Mir selbst, obgleich zu Halluzinationen sonst nicht disponiert, ist es doch zuweilen gelungen, solche hervorzurufen, wenn ich, nach längerem nächtlichen Arbeiten eingeschlafen, aus einem lebhaften Traume erwachte, mich plötzlich aufrichtete und die Augen öffnete. Ich sah dann das Gesichtsfeld entweder nur unbestimmt erhellt oder von bestimmten Bildern erfüllt. Einigemal glaubte ich, der Tag sei angebrochen; erst das rasche Verschwinden des Phänomens, das in der Regel nur einige Sekunden bestehen bleibt, überzeugte mich von der Existenz einer Halluzination.

9) LAZARUS (Zeitschr. f. Völkerpsychologie V S. 128) schlägt vor, den Ausdruck Vision für jene Phantasmen vorzubehalten, die nicht in physiologischer Reizung, sondern in dem psychischen Mechanismus, also, wie wir es oben ausdrückten, in psychischer Reizung, ihren Ausgangspunkt haben. Wir werden aber bald sehen, daß diese beiden Formen der Halluzination in Ihrem Wesen eigentlich nicht verschieden sind, wie sie denn auch tatsächlich fortwährend in einander übergehen. Ich behalte daher den Ausdruck Vision hier in der ursprünglichen Wortbedeutung bei.

10) Vergl. Kap. VIII.

11) So beobachteten Henle und H. MEYER, daß ihnen mikroskopische Objekte, die sie während des Tages untersucht hatten, mit voller Lebendigkeit im dunkeln Gesichtsfelde auftauchten. H. MEYER, Untersuchungen über die Physiologie der Nervenfaser. Tübingen 1843. S. 56 f. Ähnliche Beobachtungen bei FECHNER, Psychophysik II, S. 499 f.

12) J. Müller, über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz 1826. S. 83.
13) Vergl. Kap. VIII.

    Erreicht die zentrale Reizung höhere Grade, so entstehen die Halluzinationen nicht bloß im Dunkeln oder bei geschlossenem Auge und in der Stille der Nacht, sondern im Licht und Geräusch des Tages. Nun vermischen sich dem Halluzinierenden die phantastischen Vorstellungen mit den wirklichen Sinneseindrücken, von denen er sie bald nicht mehr zu unterscheiden vermag. Wird der Reizungszustand der Hirnrinde rasch ermäßigt, so blassen allmälig die Phantasmen ab, bevor sie ganz verschwinden, wie dies nicolai an sich beobachtete14). Derselbe Mann litt bei einer andern Gelegenheit an schwächeren Visionen, die aber nur bei geschlossenem Auge zu sehen waren und verschwanden, sobald er die Augen öffnete15). Schon die vor dem Einschlafen eintretenden Gesichtsphantasmen sind zuweilen so lebhaft, daß denselben, wie J. MÜLLER; H. Meyer u. A. bemerkt haben, Nachbilder folgen können16). In solchen Fällen muß sich also die Reizung von der zentralen Sinnesfläche auf die Netzhaut selbst ausgebreitet haben. So wird denn das nämliche ohne Zweifel von solchen Gesichtsphantasmen anzunehmen sein, die sich bei hellem Tage mit den Anschauungsvorstellungen vermischen. Auch verändern stärkere Visionen häufig bei den Bewegungen des Auges ihren Ort im Raume, wie man dies deutlich aus den Äußerungen der Halluzinierenden entnehmen kann. Diese sehen da und dort, wohin sie blicken, Feuer oder Menschen, Tiere, die sie verfolgen u. s. w. In andern Fällen werden zwar die Phantasmen auf einen festen Ort bezogen; es ist aber wohl möglich, daß dann immer phantastische Umgestaltungen äußerer Sinneseindrücke, also eigentlich Illusionen, im Spiele sind17). Nur die schwächsten Phantasmen des dunkeln Gesichtsfeldes, welche, den gewöhnlichen Einbildungsvorstellungen an Stärke wenig überlegen, wahrscheinlich ohne Miterregung der peripherischen Nerven bestehen, können, gleich den Erinnerungsbildern, bei der Bewegung des Auges unverändert bleiben18).

14) J. Müller, a. a. O. S. 77.
15) Ebend. S. 80.
16) H. Meyer, Untersuchungen über die Physiologie der Nervenfaser. S. 241.

17) Allerdings werden auch Fälle anscheinend reiner Halluzinationen berichtet. So z. B. der folgende: "Ein Herr H. sitzt lesend in seinem Zimmer; aufblickend gewahrt er einen Schädel, der auf einem Stuhl am Fenster liegt. Als er mit der Hand darnach greift, ist er verschwunden. Vierzehn Tage darauf sieht er in einem Hörsaal der Universität Edinburg wieder den Schädel auf dem Katheder liegen." (BRIERRE des Boismont, des hallucinations. 3me édit. p. 573.) Erwägt man aber, wie leicht der Halluzinierende seine Phantasmen an die geringfügigsten Eindrücke heftet, an einen Schatten, einen Lichtschein u. dergl., so wird es erlaubt sein, auch hier einen Fall von Illusion zu vermuten.

18) Daß sich sogar lebhafte Traumbilder, wenn sie nach dem Erwachen auf kurze Zeit festgehalten werden können, mit dem Auge bewegen, hat schon Gruithuisen bemerkt; derselbe hat überdies auch von solchen Traumempfindungen negative Nachbilder beobachtet (J. Müller, phantastische Gesichtserscheinungen, S. 36). J. Müller widerspricht zwar der Bewegung, die Beobachtungen , auf die er sich bezieht, können aber wohl nur den schwächeren, von den Erinnerungsbildern wenig verschiedenen Halluzinationen angehören, bei denen eine zentrifugale Miterregung der peripherischen Sinnesflächen nicht besteht.

    Die allgemeine Form der Halluzination, ob sie z. B. als Gesichts- oder Gehörseinbildung erscheint, ist ohne Zweifel von dem Ort der zentralen Reizung abhängig. Außerdem ist die Stärke dieser Reizung jedenfalls auch noch auf die besondere Beschaffenheit der Phantasmen von Einfluß. Bei den intensivsten Reizungszuständen treten lebhaft glänzende Gesichtsbilder, betäubende Schallerregungen auf. Hierher gehören namentlich die häufigen Fälle, in denen halluzinierende Kranke überall Feuer- und Lichtmassen sehen19). Im übrigen aber wird die Beschaffenheit der Phantasmen ganz ebenso wie der Erinnerungsbilder durch die Assoziationen des individuellen Bewußtseins bestimmt. So bestehen die Halluzinationen Geisteskranker stets aus solchen Vorstellungen, die mit dem Erinnerungsinhalt des bisherigen Lebens und mit der Gemütsrichtung des Kranken deutlich zusammenhängen. Der religiöse Visionär verkehrt mit Christus, mit Engeln und Heiligen, der vom Verfolgungswahn geplagte Melancholiker hört Stimmen, die ihn verleumden oder ihm Beleidigungen zurufen, u. dgl. Dies weist uns auf die nahe Beziehung der Halluzinationen zu den Phantasiebildern hin. In vielen Fällen ist offenbar auch bei der Halluzination als nächste Ursache eine psychische Reizung anzunehmen, die aus dem Vorrat der dem Bewußtsein disponibeln Vorstellungen irgend eine nach den Gesetzen der Assoziation wachruft oder auch aus verschiedenen Bestandteilen eine neue Vorstellung kombiniert, in analoger Weise wie dies bei den Phantasiebildern des normalen Bewußtseins geschieht. Aber beim Halluzinierenden trifft nun diese psychische Reizung eine gesteigerte Reizbarkeit der zentralen Sinnesflächen an. Hierdurch wächst die hinzutretende physiologische Reizung zu einer abnormen Höhe, so daß das Phantasma die sinnliche Stärke eines Anschauungsbildes erreicht oder ihm nahe kommt. Am deutlichsten ist dieser Ursprung bei jenen Phantasmen, die wirklich nichts anders als ungewöhnlich lebhafte Erinnerungsbilder sind, und die manchmal im Beginn von Geisteskrankheiten vorzukommen scheinen. Aber auch in solchen Fällen, wo bestimmte Wahnideen sich ausgebildet haben, die nun den Zusammenhang der Phantasmen beherrschen, dürften diese fast überall, wo nicht äußere Sinneseindrücke die Erreger bilden, was dann dem Gebiet der Illusion zufällt, aus der psychischen Reizung der Reproduktion entspringen. Meistens ist also, dies scheint mir aus der Schilderung der Halluzinationen geistig Gesunder und Kranker hervorzugehen, nicht eine wirkliche Reizung, sondern nur eine gesteigerte Reizbarkeit der zentralen Sinnesflächen der Ausgangspunkt der Halluzination. Dabei prädisponiert allerdings die Ausbreitung der Veränderung zu Phantasmen bestimmter Art; in ihrer besonderen Erscheinungsform werden aber die letzteren immer erst hervorgerufen durch den Hinzutritt einer bestimmten psychischen Reizung oder äußerer Sinneseindrücke, welche in Folge der zentralen Veränderung in ungewöhnlicher Weise umgestaltet werden, oder wohl noch öfter durch das Zusammentreffen dieser beiden Momente. Irgend eine Assoziation liegt vermöge der individuellen Ideenrichtung bereit, und der leiseste vom äußern Sinnesorgan ausgehende Anstoß genügt, um dieselbe zur psychischen Reizung werden zu lassen, welche dann, vermöge der gesteigerten Reizbarkeit der Sinneszentren, der Vorstellung die sinnliche Stärke des Anschauungsbildes verleiht. Eben wegen dieses Zusammenwirkens der verschiedenen Momente steht die Halluzination einerseits mit dem Phantasiebild und anderseits mit der Illusion in so naher Beziehung. Namentlich aber von der letzteren ist eine Unterscheidung schwer möglich, da in jener gesteigerten Reizbarkeit der Zentralteile, welche die Halluzination begründet, auch die Disposition zur Entstehung der Illusion liegt. Wo dieselbe einmal vorhanden ist, da müssen sich aus äußeren Sinneseindrücken ebensowohl wie aus der psychischen Reizung der Reproduktion Phantasmen gestalten. Beide aber vermischen sich innig, weil auch bei der Illusion alles was zum äußern Sinneseindruck hinzugedichtet wird, aus der Reproduktion stammt. Sie lassen sich deshalb höchstens daran unterscheiden, daß stärkere Halluzinationen mit der Bewegung ihren Platz wechseln und nicht an bestimmten äußeren Sinneseindrucken festhaften. Die Visionen erscheinen neben den unverändert wahrgenommenen äußeren Objekten, oder die letzteren werden manchmal durch die Phantasmen hindurchgesehen20). Dadurch kommt es, daß die reinen Visionen meist viel schattenhafter und vergänglicher geschildert werden als die Illusionen, denen der äußere Sinneseindruck einen festeren Bestand gibt21). Wie nun aber schon beim peripherischen Nerven die Steigerung der Reizbarkeit, sobald sie eine gewisse Grenze erreicht, unmittelbar zur Reizung wird, so läßt sich ohne Zweifel auch bei den zentralen Sinnesflachen das ähnliche voraussetzen. In der Tat kann man wohl bei jenen intensivsten Phantasmen, bei denen sich der Kranke von Flammen oder von lebhaft bewegten Gestalten ohne feste Assoziationsbeziehungen umgeben sieht, oder wo er fortwährend wirre Geräusche um sich hört, an eine solche primäre physiologische Reizung denken. Diese Form der Halluzination ist insofern ein Seitenstück zur Illusion, als beide mit der physiologischen, nicht mit der psychischen Reizung beginnen, die Illusion mit der peripherischen, das primäre Reizphantasma mit der zentralen Sinnesreizung. Aber auch hier tritt dann die psychische Reizung ergänzend hinzu. Denn selbst in den heftigsten und wildesten Reizphantasmen sind immer noch Spuren einer Assoziation mit Vorstellungen des vergangenen Lebens zu erkennen. Mit Rücksicht auf die Verhältnisse ihres Ursprungs können wir daher unterscheiden 1) Halluzinationen, bei denen die psychische der physiologischen Reizung vorangeht: sie entwickeln sich unmittelbar aus den gewöhnlichen Erinnerungs- und Phantasiebildern, von denen sie sich wesentlich nur durch die Stärke der nachfolgenden physiologischen Reizung unterscheiden; 2) Halluzinationen, bei denen die physiologische der psychischen Reizung vorangeht. Sie zerfallen wieder in Halluzinationen aus zentraler und in solche aus peripherischer physiologischer Reizung. Mit den letzteren betreten wir das Gebiet der Illusion.

19) GRIESINGER, Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten. 2. Aufl. S. 99.

20) In einem mir bekannt gewordenen Fall sah z. B. ein von Gehirnkrankheit heimgesuchter Waldaufseher aller Orten Holzstöße liegen; aber trotzdem, sagte er, sehe er die andern Gegenstände, Möbel, Tapete des Zimmers u. s. w., vollkommen deutlich. Dies ist zugleich ein schönes Beispiel für den Einfluß der psychischen Reizung, die sich an der Hervorrufung von Vorstellungen zu erkennen gibt, welche der gewohnten Beschäftigung des Mannes angehören.

21) Nicht zu verwechseln mit der eigentlichen Halluzination sind die bei Geisteskranken, wie es scheint nicht seltenen Fälle, in denen Phantasiebilder oder Träume in der Erinnerung für wirkliche Erlebnisse gehalten werden. Es kann hier natürlich leicht die Vermutung entstehen, die Erzählungen des Kranken beruhten auf Halluzinationen, die er gehabt. In Wahrheit handelt es sich aber nur um falsche Auslegungen von Erinnerungsbildern, veranlaßt durch bestimmte Wahnideen. Es scheint mir daher nicht ganz gerechtfertigt, wenn KAHLBAUM für diesen Fall annimmt, die Erinnerungsbilder würden selbst zu Halluzinationen (Zeitschr. f. Psychiatrie, Bd. 23, S. 41). Das Erinnerungsbild wird als solches erkannt, aber es wird auf vergangene Ereignisse statt auf Phantasiebilder bezogen.

    Illusionen nennt man solche Einbildungsvorstellungen, die von einem äußeren Sinneseindruck ausgehen. In diesem beschränkteren Sinne genommen umfaßt die Illusion nur einen Teil der Sinnestäuschungen. Es werden nämlich von ihr alle diejenigen Unrichtigkeiten der Auffassung ausgeschlossen, welche in der normalen Struktur und Funktion der Sinnesorgane ihren Grund haben, wohin z. B. die in Kap. XIV erörterten normalen Täuschungen des Augenmaßes, die Farbenveränderungen durch Kontrast u. s. w. gehören. Unter der eigentlichen Illusion begreifen wir demnach nur solche Veränderungen der Wahrnehmung, welche teils in der psychischen Beizung der Reproduktion, teils in der physiologischen Reizbarkeit der zentralen Sinnesflächen ihren Grund haben22). Die Illusion ist nicht mehr reine Einbildungsvorstellung; in den Sinneseindrücken, aus welchen sie entspringt, liegt immer zugleich eine unmittelbare Anschauung. In der Tat können nun diese beiden Bestandteile in sehr verschiedenem Verhältnisse gemischt sein. Unsere normalen Wahrnehmungen sind sämtlich zugleich mit Einbildungen versetzt. Denn von dem was wir wahrzunehmen glauben, stammt immer ein Teil aus der Reproduktion früherer Vorstellungen. Diese Vermengung der Erinnerungsbilder mit den gewöhnlichen Wahrnehmungen wollen wir die physiologische Illusion nennen. Sie begleitet unaufhörlich die Funktion unserer Sinnesorgane und ist bei der Raschheit, mit welcher sich die Bilder derselben zu geläufigen Vorstellungen gestalten, wesentlich beteiligt. Viel größere Umwandlungen erfährt aber der Sinneseindruck, wenn die Reizbarkeit der zentralen Sinnesflächen in ungewöhnlichem Maße gesteigert ist. Bei dieser phantastischen Illusion tritt der Wahrnehmungsanteil der Sinnesvorstellung gegen den eingebildeten völlig zurück. Die äußere Reizung bietet hier nur eine besonders günstige Gelegenheitsursache für die Bildung von Phantasmen, die dann nebenbei häufig auch durch direkte psychische oder durch zentrale physiologische Reizung erweckt werden können. Übrigens ist es selbstverständlich, daß beide Formen der Illusion nicht scharf gegen einander begrenzt sind, da sich die gesteigerte Reizbarkeit der zentralen Sinnesflächen stetig aus der normalen entwickelt.

22) Die Unterscheidung der Illusion und Halluzination rührt her von Esquirol (des maladies mentales. Paris 1838. I p. 159, 202). Man hat zwar mehrfach diese Einteilung angefochten (vergl. LEUBUSCHER, über die Entstehung der Sinnestäuschung. Berlin 1852. S. 46). Aber wenn auch beide Formen der Phantasmen im einzelnen Fall oft schwer von einander zu trennen sind, und sicherlich oft neben einander vorkommen, so läßt sich doch das eine nicht bestreiten, daß es Fälle gibt, in denen die phantastische Vorstellung nicht von äußern Sinneseindrucken ausgeht, und andere, in denen dies stattfindet. Übrigens hat Esquirol selbst die Illusion noch nicht genügend unterschieden einerseits von denjenigen Sinnestäuschungen, die nicht zentralen Ursprungs sind und anderseits von den Wahnideen, bei denen bloß das an sich richtig Wahrgenommene falsch beurteilt wird.

    Die physiologische Illusion ist besonders in solchen Fällen deutlich nachweisbar, in denen die wahrgenommenen Objekte in der Wirklichkeit nur sehr unvollständig den Bildern entsprechen, die wir uns von ihnen machen. Die rohen Pinselstriche einer Theaterdekoration, die in den oberflächlichsten Umrissen das Bild einer Landschaft andeuten, erscheinen uns aus der Ferne und bei Lampenlicht gesehen in der vollen Naturtreue der wirklichen Landschaft. Wir übersehen beim Lesen die meisten Druckfehler eines Buches, und manche entgehen sogar dem aufmerksamen Korrektor. So ergänzen wir überall die unvollständige Anschauung durch den aus früheren Vorstellungen geläufigen Erinnerungsinhalt. Die Wahrnehmung selbst liefert in der Regel nur ein annäherndes Schema der Gegenstände, das wir unmittelbar mit unsern Phantasiebildern ausfüllen. Auf diese Weise sind alle Anschauungsvorstellungen innig verwebt mit Einbildungen. Der Vorgang aber, wie die Wahrnehmung die Reproduktionen wachruft, durch welche sie sich ergänzt, ist offenbar der nämliche, der überall Erinnerungsbilder entstehen läßt. Der Sinneseindruck wirkt als psychischer Reiz auf geläufige Vorstellungen, mit denen er durch Assoziation verbunden ist. Der Unterschied von derjenigen Form der Reproduktion, bei der das Erinnerungsbild in zeitlicher Trennung von dem angeschauten Gegenstande, der es erweckt, gegeben wird, besteht nur darin, daß jetzt das Anschauungs- und das Phantasiebild zu einem untrennbaren Ganzen verschmelzen. Dies begreift sich aber daraus, daß nach den allgemeinen Regeln der Assoziation jeder Sinneseindruck die ihm nächstverwandten Vorstellungen am meisten in Bezug auf ihre Reproduktion begünstigt. Das Gesicht eines Bekannten z. B. reproduziert uns zunächst und momentan das Erinnerungsbild desselben Gesichtes, das sich nun unmittelbar mit der Anschauung selber verbindet23).

23) Auch bei Geisteskranken kommen offenbar Fälle vor, die mehr dem Gebiet der physiologischen als der phantastischen Illusion angehören. So z. B. wenn alle Gegenstände und Personen richtig erkannt werden und nur ein bestimmtes Individuum wegen einer physiognomischen Ähnlichkeit mit einem andern verwechselt wird (KAHLBAUM a. a. O. S. 60). Diese Illusion könnte für einen Augenblick auch dem geistig Gesunden begegnen; aber er würde sehr bald seinen Irrtum erkennen. Der Kranke erkennt ihn nicht, weil er von irgend einer Wahnidee beherrscht wird, die sein Urteil fälscht, weil er z. B. in der betreffenden Person einen Verfolger zu sehen glaubt. Hier ist also nicht die Illusion selbst sondern die Wahnidee, welche die Beseitigung derselben verhindert, das Pathologische.

    Die phantastische Illusion entwickelt sich aus der physiologischen, sobald in Folge gesteigerter Reizbarkeit der zentralen Sinnesflächen die Disposition zu Phantasmen gegeben ist. Dabei erscheint teils die Intensität der Sinnesreize verstärkt, teils werden die Wahrnehmungen in ihrer Qualität und Form auf das mannigfaltigste phantastisch verändert. Der Halluzinierende hält ein leises Pochen an der Türe für Grollen des Donners, das Sausen des Windes für himmlische Musik. Wolken, Felsen und Bäume nehmen die Formen phantastischer Geschöpfe an. In seinem eigenen Schatten sieht er Gespenster oder verfolgende Tiere. Vorübergehende Menschen betrachten ihn, wie er glaubt, mit feindlichen Blicken oder schneiden ihm Fratzen; ihre Gespräche hält er für Schimpfreden, die sich auf ihn beziehen, u. dergl. Am freiesten kann natürlich die Einbildung mit den Sinneseindrücken schalten, wenn diese sehr unbestimmt sind, daher auch die Phantasie des Gesunden sich mit Leichtigkeit in die verschwimmenden Umrisse der Wolken, in die regellosen Anhäufungen ferner Gebirge und Felsmassen die verschiedensten Gestalten hineindenkt24). Aus demselben Grunde ist hauptsächlich die Nacht die Zeit der phantastischen Vorstellungen. In der Nacht wird dem Gespenstergläubigen ein Stein oder Baumstumpf zur Spukgestalt, und im Rauschen der Blätter hört er unheimliche Stimmen. Dabei ist, wie schon bei der Halluzination, die begünstigende Wirkung des Affektes nicht zu verkennen. Alle diese Phantasmen der Nacht existieren nur für den Furchtsamen; dem Auge und Ohr des Besonnenen halten sie nicht Stand. Ebenso ist der Einfluß geläufiger Assoziationen oft deutlich zu bemerken. So wird aller Orten von dem Gespenstergläubigen mit Vorliebe ein kürzlich Verstorbener in den Schattenbildern der Nacht gesehen25).

24) Die Phantasiebilder aus Wolken schildert Shakespeare in der Szene zwischen Polonius und Hamlet, 3ter Akt, Schluß der 2ten Szene, die phantastischen Naturgestalten goethe in dem bekannten Wechselgesang der Blocksbergsszene: "Seh die Bäume hinter Bäumen, wie sie schnell vorüberrücken, und die Klippen, die sich bücken, und die langen Felsennasen, wie sie schnarchen, wie sie blasen!" J. Müller erzählt, wie er sich in seiner Kindheit Stunden lang damit beschäftigt, in der teilweise geschwärzten und gesprungenen Kalkbekleidung eines dem Fenster seiner Wohnung gegenüberliegenden Hauses die Umrisse der verschiedensten Gesichter zu sehen, die dann freilich andere nicht erkennen wollten. (Phantastische Gesichtserscheinungen S. 45.)

25) Ein charakteristisches Beispiel, welches gleichzeitig den Einfluß des Affektes und der Reproduktion nachweist, ist das folgende, das LAZARUS (a. a. O. S. 126) nach Dr. Moore mitteilt. Die Bemannung eines Schiffs wurde erschreckt durch das Gespenst des Kochs, welcher einige Tage zuvor gestorben war. Er wurde von Allen deutlich gesehen, wie er auf dem Wasser mit dem eigentümlichen Hinken ging, durch welches er gekennzeichnet war, da eins seiner Beine kürzer gewesen als das andere. Schließlich ergab sich aber der Spuk als ein Stück von einem alten Wrack.

    Die Illusion ist ebenfalls im Gebiete des Gesichts und Gehörs am häufigsten. Doch kommen auch Illusionen des Tastsinns und der Gemeingefühle vor; die letzteren spielen bei den Wahnvorstellungen Geisteskranker manchmal eine wesentliche Rolle, namentlich wo hypochondrische Beschwerden den Ausgangspunkt bilden. Den fixen Ideen, daß sich im Magen, in den Eingeweiden ein Tier befinde, daß der Körper des Kranken aus Glas bestehe u. dergl. liegen ohne Zweifel teils pathologische Gemeingefühle, teils Hyperästhesie oder Anästhesie der Haut zu Grunde. Oft kombinieren sich dann solche Illusionen mit Phantasmen der übrigen Sinne. Der Kranke, der zugleich an Halluzinationen des Gehörs und des Gesichts leidet, glaubt, Vögel zwitscherten oder Frösche quakten in seinem Leibe, an seiner Haut kröchen Schlangen empor, u. s. w. Die Phantasmen des Tast- und Gemeingefühls gehören wohl zum größten Teil in das Gebiet der Illusion, indem sie in Veränderungen der Empfindung ihren ursprünglichen Grund haben; doch werden allerdings gerade bei ihnen leicht die phantastischen Bestandteile so überwiegend, daß sie nicht von der Halluzination zu trennen sind. Außerdem spielt bei diesen und andern phantastischen Illusionen Geisteskranker die verkehrte Gedankenrichtung meist eine wichtige Rolle. Diese verleiht erst den Illusionen ihre bestimmte Form und wird dann selbst hinwiederum durch die Phantasmen verstärkt. Oft kann es unter solchen Umständen schwer werden zu entscheiden, wie viel von den falschen Vorstellungen des Irren auf Rechnung der Illusion oder irriger Urteile kommt, die an richtige Wahrnehmungen sich anknüpfen26).

26) Nicht jedes falsche Urteil über Sinneseindrücke darf demnach als Illusion bezeichnet werden. Wenn z. B. ein Irrer bunte Steinchen als Gold und Silber, elende Scherben als kostbare Antiquitäten sammelt, so sind dies nur Verkehrungen des Urteils in Folge bestimmter Wahnideen. (KAHLBAUM Ztschr. f. Psychiatrie Bd. 23 S. 57.) Der Fehler liegt hier, wie man sagen könnte, nicht in der unmittelbaren Vorstellung sondern im Begriff, der sich durch verkehrte Gedankenverbindungen aus der Vorstellung entwickelt.

    Als Erscheinungen des normalen Lebens bieten die Phantasmen des Traumes eine besonders günstige Gelegenheit, die Entstehungsgeschichte der phantastischen Vorstellungen zu untersuchen27). Wahrscheinlich gehen die Traumvorstellungen viel häufiger, als man gewöhnlich glaubt, von Sinneseindrücken aus, die während des Schlafes stattfinden, sind also eigentliche Illusionen, die aber im höchsten Grad den Charakter der phantastischen Illusion besitzen, indem die gebildete Vorstellung zu dem Sinneseindruck, der sie veranlaßt, außer allem Verhältnisse steht. Eine unbequeme Lage des Schlafenden verkettet sich mit der Vorstellung einer mühseligen Arbeit, eines Ringkampfes, einer gefährlichen Bergbesteigung u. dgl. Ein leichter Intercostalschmerz wird als Dolchstich eines bedrängenden Feindes oder als Biß eines wütenden Hundes vorgestellt. Eine steigende Atemnot wird zur furchtbaren Angst des Alpdrückens, wobei der Alp bald als eine Last, die sich auf die Brust wälzt, bald als gewaltiges Ungeheuer erscheint, das den Schläfer zu erdrücken droht. Unbedeutende Bewegungen des Körpers werden durch die phantastische Vorstellung ins Ungemessene vergrößert. So wird ein unwillkürliches Ausstrecken des Fußes zum Fall von der schwindelnden Höhe eines Turmes. Den Rhythmus der eigenen Atembewegungen empfindet der Träumer als Flugbewegung28). Eine wesentliche Rolle spielen, wie ich glaube, bei den Traumillusionen jene subjektiven Gesichts- und Gehörsempfindungen, die uns aus dem wachen Zustande als Lichtchaos des dunkeln Gesichtsfeldes, als Ohrenklingen, Ohrensausen u. s. w. bekannt sind, unter ihnen namentlich die subjektiven Netzhauterregungen. So erklärt sich die merkwürdige Neigung des Traumes ähnliche oder ganz übereinstimmende Objekte in der Mehrzahl dem Auge vorzuzaubern. Zahllose Vögel, Schmetterlinge, Fische, bunte Perlen, Blumen u. dergl. sehen wir vor uns ausgebreitet. Hier hat der Lichtstaub des dunkeln Gesichtsfeldes phantastische Gestalt angenommen, und die zahlreichen Lichtpunkte, aus denen derselbe besteht, werden von dem Traum zu ebenso vielen Einzelbildern verkörpert, die wegen der Beweglichkeit des Lichtchaos als bewegte Gegenstände angeschaut werden. Hierin wurzelt wohl auch die große Neigung des Traumes zu den mannigfachsten Tiergestalten, deren Formenreichtum sich der besonderen Form der subjektiven Lichtbilder leicht anschmiegt. Dabei ist dann außerdem der sonstige Zustand des Träumenden, namentlich Hautempfindungen und Gemeingefühl, von nachweisbarem Einflusse. Derselbe subjektive Lichtreiz, der sich bei gehobenem Gemeingefühl zu den Bildern flatternder Vögel und bunter Blumen gestaltet, pflegt sich, sobald eine unangenehme Hautempfindung hinzutritt, in häßliche Raupen oder Käfer zu verwandeln, die an der Haut des Schlafenden emporkriechen wollen. Oder dieser wird, wie ich einmal beobachtete, von Krebsen geängstigt, die ihm mit ihren Scheren alle Fingergelenke umfassen; erwachend findet er die Finger in krampfhafter Beugestellung: hier hat also offenbar die Druckempfindung in den Gelenken die Gesichtsvorstellung nach sich geformt.

27) Die Beobachtung der Traumvorstellungen macht sich keineswegs von selber, wie man vielleicht denken möchte. Zu einer brauchbaren Beobachtung ist erforderlich: 1) unmittelbares Festhalten der Traumvorstellun-gen nach dem Aufwachen, 2) Aufmerksamkeit auf den physiologischen Zustand, in welchem man sich im Moment des Erwachens befindet, sowie der etwa stattfindenden äußeren Sinneseindrücke, 3) genaue Prüfung der Eindrücke und Erlebnisse der letzten Tage. Bekanntlich vergessen sich Träume sehr leicht. Sogar wenn man sich unmittelbar nach dem Erwachen vollkommen deutlich eines Traumes erinnert, entschwindet derselbe in der Regel unrettbar dem Gedächtnisse, sobald man darüber wieder einschläft. Man darf daher die Mühe nicht scheuen, sich mitten in der Nacht zur Aufzeichnung eines Traums zu erheben. Auch hier macht aber Übung geschickter. In der Zeit, in welcher ich mich einigermaßen systematisch mit solchen Beobachtungen beschäftigte, ist es mir oft begegnet, daß mir im Traume beifiel, ich müsse nun diesen notieren, worüber ich dann regelmäßig erwachte.

28) Scherner, das Leben des Traumes. Berlin 1861. S 165. Dieses Werk enthält, neben vielen sehr zweifelhaften Deutungen, manche treffende Beobachtung. Verfehlt ist leider das Bestreben des Verfassers überall dem Traum eine symbolisierende Eigenschaft beizulegen. So leitet er z. B. das Fliegen im Traum nicht einfach aus der Empfindung der Atembewegungen ab, sondern er meint: weil die Lunge selbst zwei Flügel habe, so müsse sie in zwei Flugorganen sich darstellen ; sie müsse die Flugbewegung wählen, weil sie sich selbst in der Luft bewege, u. dergl.

    Diesen Fällen, in denen teils objektive teils subjektive Sinneserregungen unmittelbar zu phantastischen Vorstellungen verarbeitet werden, schließen sich solche an, in denen der Sinneseindruck zunächst eine dunkle Vorstellung des damit zusammenhängenden Körperzustandes wachruft; worauf dann Phantasmen entstehen, die sich entweder direkt auf diesen Körperzustand beziehen oder durch einfache Assoziationen mit demselben verbunden sind. So hat scherner bemerkt, daß die Hauptursache jener vielen Träume, in denen das Wasser eine Rolle spielt, der Urindrang des Schlafenden ist. Bald sieht dieser einen Brunnen vor sich, bald sieht er von einer Brücke in den Fluß hinab, auf dem vielleicht gar, vermöge einer weiteren nahe liegenden Assoziation, zahllose Schweinsblasen hin- und hertreiben29). Hier hat dann wahrscheinlich der subjektive Lichtstaub des Auges diese spezielle Form der Vorstellung angenommen; anderemale wandelt sich derselbe, direkt durch das Bild des Flusses angeregt, in zahllose glänzende Fische um. So kommt es, daß die Fische, und zwar fast immer in der Mehrzahl, ein sehr gewöhnlicher Bestandteil der Träume sind. Nicht minder häufig knüpfen die Traumvorstellungen an wirkliche Hunger- und Durstempfindungen an, oder sie sind durch die Beschwerden einer allzu reichlichen Abendmahlzeit verursacht. Der durstige Träumer sieht sich in eine Trinkgesellschaft versetzt, der hungrige ißt selbst oder sieht Andere essen, ebenso der Übersättigte; oder er sieht Eßwaren in großer Menge vor sich ausgestellt. Wenn Schwindel und Übelkeit sich hinzugesellen, so glaubt er sich wohl plötzlich auf einen hohen Turm versetzt, von dem er sich in schwindelnde Tiefe hinab erleichtert. Endlich gehören hierher auch jene häufigen Verlegenheitsträume, bei denen der Träumer in höchst mangelhafter Toilette auf der Straße oder in einer Gesellschaft erscheint, Träume, als deren unschuldige Ursache sich insgemein eine herabgefallene Bettdecke herausstellt. In sehr mißliche Situationen sieht sich der Träumer versetzt, wenn ihn etwa eine schiefe Lage des Bettes mit der Gefahr herauszufallen bedroht. Er klettert dann an einer hohen Mauer herab oder sieht sich über einem tiefen Abgrund u. s. w. Die zahllosen Träume, in denen man etwas sucht und nicht findet oder bei der Abreise etwas vergessen hat, kommen von unbestimmteren Störungen des Gemeingefühls her. Unbequeme Lage, geringe Atembeklemmungen, Herzklopfen können solche Vorstellungen wachrufen. Die Beziehung derselben zu dem sinnlichen Eindruck wird hier nur durch das sinnliche Gefühl vermittelt, das vermöge seiner Vieldeutigkeit sehr verschiedenartige Assoziationen zuläßt, bei denen nur immer der Gefühlston derselbe bleibt. Darum wird dann auch in diesem Fall nur die allgemeine Richtung der Vorstellungen durch die Empfindung bestimmt, während ihr besonderer Inhalt aus andern Quellen, teils aus der Reproduktion teils aus anderweitigen Sinneseindrücken, herstammt. Bei allen von Tast- und Gemeingefühlen ausgehenden Traumvorstellungen erweist sich endlich noch ein Vorgang wirksam, der dem Traume vorzugsweise eigen ist und in ähnlicher Weise nur noch in Fällen hochgradiger geistiger Zerrüttung vorzukommen scheint: er besteht darin, daß die Tast- und Gemeingefühle objektiviert werden, indem der Träumer sein eigenes Befinden in eine phantastische Form umgesetzt auf andere Personen oder überhaupt auf äußere Gegenstände überträgt. Dabei können dann diese äußeren Vorstellungen entweder durch freie Reproduktion der Eindrücke des wachen Lebens oder selbst aus unmittelbaren Sinneseindrücken entstanden sein. Fälle solcher Objektivierung haben wir kennen gelernt in den Wasserträumen, den Trink- und Eßträumen, welche letzteren oft ganz auf eine fremde Gesellschaft bezogen werden. Auch bei der Deutung der Atmungen als Flugbewegungen versetzt der Träumer die Vorstellung oft aus sich heraus: er sieht einen Engel niederschweben, oder er deutet das Lichtchaos auf fliegende Vögel. Eine leise Übelkeit wird zur Vorstellung eines Ungeheuers oder eines häßlichen Tieres objektiviert, das seinen Rachen gegen den Schläfer aufsperrt. Knirscht der letztere mit den Zähnen, so sieht er ein Gesicht vor sich, welchem furchtbar lange Zähne aus den Kiefern wachsen u. dergl.

29) SCHERNER a. a. O. S. 187.

    Mit denjenigen Traumvorstellungen, welche sich auf Sinnesreize zurückfuhren lassen, vermengen sich in der Regel andere, die sichtlich in der Reproduktion ihre Quelle finden. Die Erlebnisse der verflossenen Tage, namentlich solche, die einen tieferen Eindruck auf uns hervorgebracht haben oder mit einem Affekte verbunden gewesen sind, bilden die gewöhnlichsten Bestandteile unserer Träume. Jüngst verstorbene Angehörige oder Freunde erscheinen vermöge des tiefen Eindrucks, welchen Tod und Leichenbegängnis auf uns hervorbringen, ganz gewöhnlich im Traume; daher der weitverbreitete Glaube, daß die Gestorbenen in der Nacht ihren Verkehr mit den Lebenden fortsetzen. Oft genug wiederholen sich uns aber auch andere Begegnisse des täglichen Lebens mit mehr oder minder bedeutender Verschiebung der Umstände, oder wir antizipieren Ereignisse, denen wir mit Spannung entgegensehen. Die außerordentliche Freiheit, mit der dabei der Traum überall von der Wirklichkeit abweicht, erklärt sich teils aus den Assoziationen, die sich an jede einzelne Vorstellung knüpfen können, und die, während sie im wachen Leben wirkungslos verklingen, im Traume unmittelbar Gestalt gewinnen, teils aus den Sinneserregungen, die fortwährend in der vorhin geschilderten Weise zu phantastischen Vorstellungen verarbeitet werden, und die, ebenso wie sie selbst der Reproduktion ihre Richtung geben, doch auch wieder fortwährend die Vorstellungen durchkreuzen und neue Reproduktionen veranlassen. Außerdem können aber neuere Eindrücke, die sich uns im Traume wiederholen, durch Assoziation frühere Erlebnisse zurückrufen. Wer z. B. in den letzten Tagen einer Schulprüfung angewohnt hat, sieht sich selbst auf die Schulbank zurückversetzt, um nun alle Pein eines unvorbereiteten Examens zu bestehen, wo sich dann als nähere Ursache für diese besondere Richtung des Affektes gewöhnlich die unbequeme Lage des Träumers, Atembeklemmung u. dergl. herausstellen wird. Wahrscheinlich in allen Fällen, wo uns längst vergangene Ereignisse, Szenen der Kindheit u. s. w. im Traume vorkommen, ist solches durch derartige Assoziationen verursacht, deren Fäden einer aufmerksamen Beobachtung selten entgehen werden 30).

30) Es sei mir gestattet, diese Verwebung der verschiedenen Ursachen, welche auf solche Weise zusammenwirken können, an einem einzigen Beispiel zu veranschaulichen. Vor dem Hause stellt sich, so träumte mir, ein Leichenzug auf, an welchem ich Teil nehmen soll: es ist das Begräbnis eines vor längerer Zeit verstorbenen Freundes. Die Frau des Verstorbenen fordert mich und einen andern Bekannten auf, uns auf dem jenseitigen Teil der Straße aufzustellen, um an dem Zug Teil zu nehmen. Als sie fortgegangen, bemerkt der Bekannte: "das sagt sie nur, weil dort drüben die Cholera herrscht; deshalb möchte sie diese Seite der Straße für sich behalten!" Nun versetzt mich der Traum plötzlich ins Freie. Ich finde mich auf langen, seltsamen Umwegen, um den gefährlichen Ort, wo die Cholera herrschen soll, zu vermeiden. Als ich endlich nach angestrengtem Laufen am Haus ankomme, ist der Leichenzug schon weggegangen. Noch liegen aber zahlreiche Rosenbouquets auf der Straße, und eine Menge von Nachzüglern, die mir im Traume als Leichenmänner erscheinen, sind alle gleich mir im eiligen Lauf begriffen, den Zug einzuholen. Diese Leichenmänner sind sonderbarer Weise alle sehr bunt, namentlich rot gekleidet. Während ich eile, fällt mir außerdem noch ein, daß ich einen Kranz vergessen habe, den ich auf den Sarg legen wollte. Darüber erwache ich denn mit Herzklopfen. — Der ursächliche Zusammenhang dieses Traumes ist folgender. Tags zuvor war mir der Leichenzug eines bekannten Mannes begegnet. Ferner hatte ich in der Zeitung gelesen, daß in einer Stadt, in der sich ein Verwandter aufhielt, die Cholera ausgebrochen sei; und endlich hatte ich über die im Traume erscheinende Dame mit dem betreffenden Bekannten geredet, wobei mir dieser einige Tatsachen erzählte, aus denen der eigennützige Sinn derselben hervorging. Dies sind die Elemente der Reproduktion. Der gesehene Leichenzug erweckte offenbar die Erinnerung an das Begräbnis des vor einiger Zeit verstorbenen Freundes, daran schließt sich die Frau desselben; die Erzählung des Bekannten über sie verwebt sich mit der Nachricht über die Cholera. Die weiteren Bestandteile des Traumes gehen dann vom Gemeingefühl und von Sinneserregungen aus. Herzklopfen und Angstgefühl lassen mich zuerst den gefährlichen Ort umlaufen, dann dem abgegangenen Leichenzug nacheilen, und als dieser beinahe eingeholt ist, erfindet die Phantasie den vergessenen Kranz, dessen Vorstellung durch die auf der Straße liegenden Rosensträuße nahe gelegt ist, um das Motiv für das vorhandene Angstgefühl nicht ausgehen zu lassen. Die zahlreichen Rosensträuße und der Schwarm der bunt gekleideten Leichenmänner endlich werden wohl in dem Lichtchaos des dunklen Gesichtsfeldes ihre Ursache haben.

    Die Traumvorstellungen können, gleich den Phantasmen des wachen Zustandes, eine Miterregung der motorischen Zentralteile hervorbringen. Am häufigsten kombinieren sich mit denselben Sprachbewegungen, oft auch pantomimische Bewegungen der Arme und Hände. Selten nur führt der Traum zusammengesetzte Handlungen mit sich. Diese verraten dann in der Regel die illusorische Natur der Traumvorstellungen. Der Nachtwandler steigt zum Fenster hinaus, weil er es für die Türe hält; er wirft den Ofen um, in welchem er einen kämpfenden Gegner fühlt, u. dergl. Möglicher Weise mag es dann auch wohl vorkommen, daß die gewohnte Beschäftigung des Tages wie in den Vorstellungen, so auch in den Handlungen in ziemlich normaler Weise sich fortsetzt, daß also z. B. der nachtwandelnde Hausknecht ruhig seine Stiefeln putzt oder gar der nachtwandelnde Schüler den angefangenen Aufsatz zu Ende schreibt. Natürlich sind aber die Berichte über derartige Begebenheiten, die um des mystischen Zaubers willen, der in den Augen Vieler den Traum umgibt, so gern übertrieben werden, mit großer Vorsicht aufzunehmen. Jedenfalls liegt es vielmehr in der Natur des Traumes, daß er zu verkehrten Handlungen führt. Dies ist nicht nur in der Beschaffenheit der einzelnen Phantasmen, sondern auch in dem ganzen Zusammenhang derselben begründet, welcher sich von dem regelmäßigen Verlauf der Vorstellungen im wachen Zustande weit entfernt. Den Grund dieses Unterschieds haben wir schon oben berührt. Er liegt in der Eigenschaft des Traumes, aus zwischentretenden Eindrücken und Assoziationen alsbald fertige Vorstellungen zu gestalten. Hierdurch entsteht jene Zusammenhanglosigkeit der Traumbilder, welche wahrscheinlich die meisten Träume für immer unseren Gedächtnis entzieht. Sie ruft aber auch in den zusammenhängenderen Träumen, an die wir uns erinnern können, einen fortwährenden phantastischen Wechsel der Szenen und Bilder hervor. Genau hiermit hängt das geringe Maß von Besinnung und Urteil zusammen, das uns in den Träumen eigen ist. Wir reden vollkommen fertig alle möglichen Sprachen, von denen wir in Wirklichkeit eine ausnehmend geringe Kenntnis besitzen. Klingt uns dann beim Erwachen etwa noch die letzte Phrase im Ohr, so entdecken wir mit Erstaunen, daß sie vollkommen sinnlos ist, und daß die meisten Wörter gar nichts bedeuten. Oder wir halten eine Rede über eine wissenschaftliche Entdeckung, deren Tragweite wir nicht genug zu rühmen wissen; und beim Erwachen stellt sich die Sache als der vollendetste Unsinn heraus. Ein anderes Mal erwachen wir lachend über einen vermeintlich köstlichen Witz, oder wir glauben eine wichtige philosophische Idee ausgesprochen zu haben. Dieser Mangel an Urteil reicht manchmal noch einigermaßen in den wachen Zustand hinüber, und erst bei hellem Tageslicht erweist sich die anscheinend geistreiche Bemerkung als ein höchst trivialer Gedanke. Mit dieser Besinnungslosigkeit steht denn auch offenbar die Erscheinung in Verbindung, daß wir unsere eigenen Gefühle und Tastempfindungen objektivieren, daß wir Persönlichkeiten, zwischen denen sich irgend welche Assoziation für unsere Vorstellung findet, mit einander vertauschen, oder daß uns unsere eigene Persönlichkeit als ein Anderer erscheint, der uns gegenüber steht. Sobald wir uns dann etwa im Traume auf eine solche Verwechslung besinnen, so tritt regelmäßig auch das Erwachen ein.

    Durch die Incohärenz der Ideen, die Urteilstäuschungen und Verwechselungen, welche dieselbe mit sich führt, wird die Verwandtschaft des Traumes mit der geistigen Störung, die in den phantastischen Vorstellungen ihren nächsten Vergleichungspunkt hat vollendet. In der Tat können wir im Traume fast alle Erscheinungen, die uns in den Irrenhäusern begegnen, selber durchleben. Nur liefert der Traum, der von den Reproduktionen der jüngsten Vergangenheit lebt, seiner Natur nach wechselndere Bilder, während der Irre meistens in festere Vorstellungskreise gebannt bleibt. Diese Analogie zwischen Traum und Wahnsinn beruht ohne Zweifel auf übereinstimmenden Ursachen. Die gesteigerte Reizbarkeit der zentralen Sinnesflächen, welche die Entstehung phantastischer Vorstellungen begünstigt, macht zugleich jeden Eindruck und jede Reproduktion zu einem wirksamen Anknüpfungspunkt neuer Ideenverbindungen. Darum treten fast unvermeidlich zur Halluzination und phantastischen Illusion Störungen im Verlauf der Vorstellungen hinzu, und bei der geistigen Störung können, wie es scheint, die letzteren sogar zuweilen als die einzigen Zeichen der veränderten zentralen Reizbarkeit auftreten. In der Regel vermag hier der Wille längere Zeit noch abnorme Handlungen, zu denen die Vorstellungen hindrängen, zu unterdrücken, bis bestimmte Ideen, die, durch irgend einen Zufall entstanden, sich immer wieder reproduzieren, schließlich eine solche Macht gewinnen, daß der Drang zu der verkehrten Handlung unwiderstehlich wird. Hierher gehören die Fälle, wo plötzlich ein Individuum von dem Trieb ergriffen wird, in einer öffentlichen Versammlung oder in der Kirche unpassende Reden auszustoßen, einen Andern oder sich selbst zu ermorden, sich von der Höhe eines Turms herabzustürzen, Brand zu legen u. s. w. Vorstellungen dieser Art können auch dem völlig Gesunden auftauchen, aber er unterdrückt sie rasch, ohne ihnen weitere Folge zu geben. Pathologisch wird der Zustand, wenn die einmal auf diese Weise gebildete Vorstellung sich immer und immer wieder reproduziert und endlich den Verlauf aller andern Gedanken in unerträglicher Weise durchkreuzt. Oft bilden auch hier wahrscheinlich Störungen des Gemeingefühls die ursprüngliche Ursache der gesteigerten zentralen Reizbarkeit31). Diese von eigentlichen Phantasmen befreiten Fälle kommen, wie man sieht, mit den heftigeren Formen geistiger Störung doch immer noch darin überein, daß sie zur Bildung fixer Ideen tendieren, welche eine immer zwingendere Macht über alle andern Vorstellungen und über das Handeln gewinnen. Dieser allen psychischen Krankheiten gemeinsame Charakterzug findet darin seine Erklärung, daß, wie schon angedeutet, jede psychische Störung mit einem Reizungszustand oder mit gesteigerter Reizbarkeit der zentralen Sinnesflächen beginnt, welche auf die motorischen Zentralgebiete mehr oder weniger intensiv übergreifen kann. Eine solche Zunahme der Reizbarkeit trägt nun allerdings die Disposition in sich, alle möglichen Vorstellungen in verstärktem Grade nachklingen zu lassen und zu öfterer Reproduktion zu bringen. Aber sie führt, da das Bewußtsein immer nur eine begrenzte Zahl von Vorstellungen fortwährend disponibel zu halten vermag, notwendig dazu, daß die leicht verfügbaren Vorstellungen sich auf einen immer enger werdenden Kreis zusammenziehen. In jedem Bewußtsein sind gewisse Vorstellungen herrschender als andere. In dem Bewußtsein des Geisteskranken lassen solche herrschende Vorstellungen, indem die Tendenz zu ihrer Reproduktion immer mehr anwächst, schließlich keine andern mehr neben sich aufkommen. Ihre nähere Beschaffenheit kann teils durch phantastisch umgestaltete Sinneseindrücke teils durch Gemeingefühle teils aber auch, wie ohne Zweifel in vielen Fällen rein formaler Störungen des Vorstellungsverlaufes, durch zufällige Erlebnisse bestimmt werden, die eine Vorstellung, wenn nur eine mehrmalige Reproduktion derselben zu Stande gekommen ist, immer mehr fixieren. Hört dann nach längerer Zeit der zentrale Reizungszustand auf, so ist durch die zurückbleibende Verödung der zentralen Sinnesflächen das Bewußtsein überhaupt ein engeres geworden. In ihm haben daher nun nur noch jene festen Vorstellungen Platz, welche durch fortwährende Reproduktion hinreichend fixiert sind. So kommt es, daß, je mehr der Reizungszustand der Paralyse weicht, die fixe Idee immer festere Wurzel faßt und endlich vor dem gänzlichen Erlöschen der geistigen Funktionen das einzige Licht bleibt, das die geistige Nacht des Blödsinnigen erhellt.

31) Beobachtungen solcher Fälle vergl. bei MARC, Geisteskrankheiten, übers. von Ideler, I, S. 171, II, S. 342 f., ferner KNOP, die Paradoxie des Willens. Leipzig 1863. Die Frage der Zurechnung erörtert von KRAFFT-EBING, Vierteljahrsschr. f. gerichtliche Medizin, XII, S. 127 f. MARC und KNOP halten diese Erscheinungen für primitive Erkrankungen des Willens, eine Auffassung, die mir psychologisch nicht haltbar zu sein scheint, da alle Willensäußerungen von Vorstellungen ausgehen (vergl. Kap. XXI).

    Als Grundbedingung aller phantastischen Vorstellungen haben wir die erhöhte Reizbarkeil der zentralen Sinnesflächen bezeichnet. Nach der Gelegenheitsursache, durch welche auf der so gegebenen Grundlage die einzelne Vorstellung entsteht, können wir aber allgemein zwei Arten der Phantasmen unterscheiden: solche aus physiologischer (peripherischer oder zentraler) und solche aus psychischer Reizung. Die gewöhnlichen Erinnerungs- und Phantasiebilder würden, da sie auf Reproduktion und Assoziation beruhen, nur unter die letzte Klasse fallen. Nun ist aber jedes Phantasiebild, wie es auch entstanden sein mag, von einer schwachen zentralen Sinnesreizung begleitet; und wenn Phantasiebilder mit einander wechseln, so hat also die eine physiologische Reizung die andere abgelöst. Anderseits sind nicht nur bei den Einbildungs- sondern auch bei den Anschauungsvorstellungen Reproduktion und Assoziation wirksam. Hierin zeigt sich schon, daß jene Unterscheidung einer physiologischen und psychischen Reizung eine bloß äußerliche ist, welche, obzwar für die Gruppierung der Tatsachen zweckmäßig, doch nicht das Wesen der Sache trifft. Wenn die unmittelbare Reproduktion einer früheren Vorstellung zum Phantasma wird, wenn sich uns z. B. im Traume wirkliche Erlebnisse reproduzieren und sich dann daran durch Assoziation weitere Vorstellungen anschließen, so ist dies einer der reinsten Fälle psychischer Reizung, die sich hier in doppelter Form betätigt, einmal nämlich als anscheinend freies Aufsteigen einer zuvor im Bewußtsein gewesenen Vorstellung, und sodann durch die Wirkung, welche die eine Vorstellung von einer andern empfängt. Nun ist eine frei aufsteigende Vorstellung immer eine solche, für die durch oft wiederholte oder intensive Eindrücke eine physiologische Disposition besteht, und wir werden sehen, daß ihre Erweckung in das Bewußtsein wahrscheinlich gleichfalls durch Assoziationen geschieht, welche uns nur entgehen, weil ein außerordentlich geringer Anstoß schon genügt, um eine so leicht bewegliche Vorstellung wachzurufen32). Hierdurch wird dieser erste Fall auf den zweiten zurückgeführt, wo eine Vorstellung eine andere erweckt, mit der sie durch Assoziation verbunden ist. Dabei ist nun das reproduzierende Bild ebenso wie das reproduzierte mit einer physiologischen Reizung verbunden. Um zu erklären, wie mit der Häufigkeit einer Assoziation zugleich die Geläufigkeit derselben zunimmt, müssen wir aber notwendig annehmen, daß die erste Reizung die zweite, sofern nicht Widerstände dem entgegen wirken, unmittelbar nach den Gesetzen der Ausbreitung der physiologischen Reizung wachruft. Der physiologische Vorgang, der bei der Assoziation anzunehmen ist, unterscheidet sich also von dem Prozeß, welcher der Illusion und zum Teil sogar jeder normalen Wahrnehmung zu Grunde liegt, lediglich dadurch, daß dort die verursachende physiologische Reizung von der verursachten der Zeit nach deutlich getrennt ist, während hier der eine Vorgang den andern sofort und als einen gleichzeitigen Bestandteil der Anschauung herbeiführt. Diese Erzeugung der einen Reizung durch eine andere, mit der sie oft verbunden gewesen ist, steht aber mit den allgemeinen Eigenschaften der Zentralteile in engem Zusammenhang33).

32) Vergl. Kap. XIX.
33) Vergl. Kap. V und VI, sowie unten Kap XIX.