Zehntes Kapitel.

Sinnliche Gefühle.

Wenn die Empfindung an und für sich, losgelöst von ihrer Beziehung zu dem Bewußtsein, in welchem sie vorkommt, betrachtet wird, so sind Qualität und Intensität die einzigen Bestandteile, in welche sie zerlegt werden kann. Die wirklichen Empfindungen existieren aber in dieser Abstraktion ebenso wenig, als Qualität und Intensität getrennt vorkommen, sondern sie sind uns nur als Zustände unseres Bewußtseins bekannt. Wir können den Ausdruck unbewußte Empfindungen unter Umstanden anwenden, um damit die Nachwirkung einer bewußten Empfindung oder einen ihr vorausgehenden Zustand zu bezeichnen, auf dessen Existenz aus irgendwelchen Momenten, die in's Bewußtsein fallen, geschlossen werden muß. Aber als ein nach Qualität und Intensität bestimmter Zustand ist die Empfindung nur im Bewußtsein gegeben; in Wirklichkeit existiert sie daher auch immer nur in ihrer Beziehung zu demselben. Diese Beziehung nennen wir das sinnliche Gefühl oder wohl auch den Gefühlston der Empfindung. Letzteres ist, analog der Klangfarbe oder dem Farbenton, ein übertragener Ausdruck.
    Wir bezeichnen das sinnliche Gefühl als angenehm oder unangenehm, als ein Lust- oder Unlustgefühl. Lust und Unlust sind aber gegensätzliche Zustände, welche durch einen Indifferenzpunkt in einander übergehen. Darin liegt ausgesprochen, daß es Empfindungen geben muß, welche unbetont, nicht von sinnlichen Gefühlen begleitet sind. Aber da die Beziehung der Empfindungen zum Bewußtsein fortwährenden Schwankungen unterworfen ist, so entspricht jener Indifferenzpunkt im Allgemeinen immer nur einer vorübergehenden Gemütslage, von welcher aus leicht ein Übergang zu Lust- oder Unlustgefühlen stattfindet. Ebendeshalb muß jede Empfindung als verbunden mit einem gewissen Grad von Gefühl betrachtet werden. Doch gibt es zahlreiche Empfindungen, deren Gefühlston sehr schwach ist, so daß sie fortwährend um jenen Punkt der Indifferenz sich bewegen. Andere sind fast immer von starken Gefühlen begleitet, so daß bei ihnen der Gefühlston mehr als die sonstige Beschaffenheit der Empfindung sich der Beobachtung aufdrängt. Die ersteren pflegt man im engeren Sinne Empfindungen, die letzteren, indem man den Teil für das Ganze setzt, sinnliche Gefühle zu nennen.
    Da das Gefühl aus der Beziehung zum Bewußtsein entspringt, das letztere aber wechselnde und schwer zu zergliedernde Bedingungen für die Gefühlsbetonung der Empfindungen mit sich führt, so entzieht sich das Gefühl weit mehr als die ursprünglichen Bestandteile der Empfindung einer eingehenden Analyse. Die Empfindung kann ungeändert bleiben, während doch das begleitende Gefühl wechselt. Die Bedingungen dieses Wechsels würden nur dann zu durchschauen sein, wenn wir für den veränderlichen Zustand des Bewußtseins ein Maß besäßen. Anderseits ist das Gefühl durch die Intensität und Qualität der Empfindung bestimmt, und es kann daher nicht als ein ähnlich unabhängiger Bestandteil derselben wie die letzteren gedacht werden. Hierdurch kommt schon in die Beschreibung der Gefühle eine kaum zu überwindende Unklarheit. Spezifische Bezeichnungen von ähnlicher Unzweideutigkeit, wie sie die Sprache für die Sinnesqualitäten geschaffen hat, fehlen gerade für die sinnlichen Gefühle gänzlich, da dieselben für das sprachbildende Bewußtsein offenbar völlig mit den zu Grunde liegenden Empfindungen verschmolzen sind. Man hilft sich daher mit Ausdrücken, die entweder dem Gebiet der von zusammengesetzteren Vorstellungen und ihrem Verlauf abhängigen Gemütsbewegungen entnommen sind, oder man benutzt sogar Analogien mit rein intellektuellen Vorgängen. So gehören im Grunde schon die allgemeinen Bezeichnungen Lust und Unlust, noch mehr aber Freude und Leid, Ernst und Heiterkeit u. s. w. einer höheren Gefühlssphäre an, und eine Vermengung mit intellektuellen Vorgängen ist es, wenn die Lust ein Bejahen, die Unlust eine Verneinung genannt wird1), oder wenn man die Lustgefühle auf eine Förderung und Übereinstimmung, die Unlustgefühle auf eine Störung des Befindens, auf einen Widerstreit des Reizes mit den Bedingungen der Erregbarkeit zurückführt2). Denn auch im letzteren Falle ist es zweifelsohne erst die nachträgliche Reflexion, welche uns sagt, daß die sinnlichen Lustgefühle im allgemeinen mit solchen Empfindungsreizen verbunden seien, die unser physisches Sein heben, die Unlustgefühle mit solchen, die dasselbe irgendwie hemmen oder bedrohen.

1) Aristoteles, de anima III, 7.
2) Lotze, medizinische Psychologie, S. 263.

    Indem wir das sinnliche Gefühl als eine dritte Bestimmung der Empfindung betrachten, welche zu Qualität und Intensität erst hinzutritt, insofern die Empfindung Bestandteil eines Bewußtseins ist, weisen wir damit zwei andere Auffassungen zurück, von denen die eine der hier entwickelten äußerlich nahe verwandt scheint, da sie das Gefühl als eine unmittelbare Affektion der Seele durch die Empfindung ansieht, während die zweite sich ihr entgegensetzt, da sie das Gefühl, statt auf die Beziehung der Empfindungen zum Bewußtsein, vielmehr auf das wechselseitige Verhältnis der Empfindungen oder Vorstellungen zu einander zurückführt. Die erste dieser Auffassungen, die von Aristoteles bis auf Kant und die Neueren die meisten psychologischen Beobachter zu ihren Vertretern zählt, setzt an die Stelle des empirischen Begriffs des Bewußtseins den metaphysischen der Seele. Über Lust und Schmerz der Seele sagt uns aber unsere Erfahrung gar nichts. In dieser kennen wir nur Zustände unseres Bewußtseins, und so nehmen wir auch das sinnliche Gefühl als eine unmittelbare Affektion des Bewußtseins durch die Empfindung wahr. Inwiefern diese etwa auf eine Reaktion des substantiellen Hintergrundes hinweist, welchen wir zu den Tatsachen des Bewußtseins voraussetzen, dies kann erst Gegenstand einer metaphysischen Untersuchung sein, deren Resultat in der rein erfahrungsmäßigen Bestimmung des Gefühls nicht antizipiert werden darf. Die zweite Auffassung ist ursprünglich aus verwickelteren Gefühlsformen, teils aus denen des ästhetischen Eindrucks, wo zunächst die Beobachtungen über die Harmonie und Disharmonie zusammenwirkender Töne auf sie geführt haben, teils aus den an die Bewegung der Vorstellungen gebundenen Gemütsbewegungen abstrahiert worden. Nach dieser Ansicht, welche hauptsächlich in herbart und seiner Schule vertreten ist, resultieren die Gefühle überall aus einer Wechselwirkung der Vorstellungen. Die gegenseitige Hemmung der Vorstellungen begründet das Gefühl der Unlust, ihre gegenseitige Verbindung und Förderung das Gefühl der Lust. Eine solche Theorie begegnet aber der großen Schwierigkeit, daß sie gerade die einfachste Form des Gefühls, das sinnliche Gefühl, unerklärt läßt. Wenn wir zugeben, daß eine für sich bestehende Empfindung schon von Gefühl begleitet sein kann, so läßt sich ein solches Gefühl nicht aus einer Wechselwirkung von Vorstellungen ableiten. Unmöglich können aber die sinnlichen Gefühle als Zustände betrachtet werden, die von den zusammengesetzteren Gemütsbewegungen völlig verschieden wären3), da sie häufig die elementaren Faktoren derselben abgeben. Wie ihnen, so wohnt allen Gefühlen die Eigenschaft bei, daß sie nicht bloß durch die Form, in der das innere Geschehen abläuft, sondern zunächst und hauptsächlich durch den besonderen Inhalt der einzelnen Empfindungen und Vorstellungen bestimmt werden.

3) Nahlowsky, das Gefühlsleben, Leipzig 1862. S. 13 f.

    Die Eigenschaft des Bewußtseins, sich bei allem Wechsel seiner Zustände als das nämliche zu erkennen, hängt mit zwei Fundamentalgesetzen der innern Erfahrung zusammen, von denen wir das eine, das Gesetz der Beziehungen, bereits kennen lernten, das andere, das Gesetzder Assoziation, später besprechen werden. Beide setzen das Gesetz der Reproduktion voraus, das im Grunde nur ein anderer Ausdruck für jene Eigenschaft des Bewußtseins ist. Sobald man sich aber nach den speziellen Regeln umsieht, nach welchen die Reproduktion geschieht, so wird man auf das Gesetz der Beziehung und auf das Gesetz der Assoziation geführt, welches letztere, wie wir später sehen werden, wieder in einige Untergesetze getrennt werden kann4). Nach dem Gesetz der Beziehung wird nun jede Empfindung nach Intensität und Qualität im Verhältnis zu andern, gleichartigen Empfindungen aufgefaßt. Da solche im allgemeinen dem Bewußtsein nicht gleichzeitig gegenwärtig sind, so beruht dasselbe auf der Möglichkeit der Reproduktion. Nach dem Gesetz der Assoziation verbinden sich Vorstellungen nach gewissen Regeln, welche durch die Untergesetze der Assoziation näher angegeben werden, dergestalt, daß die eine Vorstellung, wenn sie dem Bewußtsein gegeben wird, auch die andere in dasselbe zu ziehen strebt. Dies setzt abermals Reproduktion voraus. Das wechselnde Spiel des innern Geschehens wird aber erst dadurch möglich, daß fortwährend noch eine weitere Tatsache sich wirksam erweist, die gleich der Reproduktion mit der eigensten Natur des Bewußtseins zusammenhängt, nämlich die Enge des Bewußtseins, vermöge deren der jeweils gegenwärtige Inhalt des letzteren immer nur ein eng begrenzter ist. Nach dem Gesetz der Beziehung weisen wir jeder einzelnen Empfindung ihre Stelle in dem System gleichartiger Empfindungen an, also der Farbe ihre Stelle im Kontinuum der Lichtempfindungen, dem Klang seine Stelle in der Tonreihe und unter den Klangqualitäten, u. s. w. Das Gesetz der Assoziation bezieht sich ursprünglich nicht auf reine Empfindungen, sondern auf Vorstellungen, aber insofern diese aus Empfindungen zusammengesetzt sind, können die an gewisse Vorstellungen geknüpften Assoziationen sich auch auf die reinen Empfindungen übertragen, welche in die Vorstellungen eingehen. Die reine Empfindung Grün kann also z. B. durch Assoziation dieselben Vorstellungen wie eine grüne Wiese oder Waldfläche erwecken. Das Verhältnis einer einzelnen Empfindung zum Bewusstsein ist nun ganz und gar durch das Gesetz der Beziehung und durch das Gesetz der Assoziation bestimmt. Vermöge des ersten faßt ein jedes Bewußtsein die Empfindung in ihrer Relation zu den andern ihm disponibeln Empfindungen auf, und vermöge des zweiten setzt ein jedes Bewußtsein die gegenwärtige Empfindung in Verbindung mit andern, mit denen sie durch Assoziationen zusammenhängt. Jene Relationen, in welche die unmittelbaren Empfindungen treten, sind aber natürlich viel gleichförmiger als die Verbindungen durch Assoziation, bei denen die besonderen Erlebnisse des individuellen Bewußtseins eine wesentliche Rolle spielen.

4) Vergl. Kap. XIX.

    Mit dem Gesetz der Beziehung steht der Einfluß der zeitlichen Dauer der Empfindungen auf den Gefühlston derselben in nahem Zusammenhang. Jede Empfindung, welche durch starke Reize verursacht ist, verliert bei länger dauernder Einwirkung der letzteren an Intensität und qualitativer Bestimmtheit. Anderseits können massige Reize, wenn sie einige Zeit andauern, eine Summation ihrer Wirkungen hervorbringen. Hierin liegt es begründet, daß sich das Gefühl niemals eine längere Zeit hindurch auf konstanter Höhe erhält, sondern bei gleich erhaltenen Reizen zwischen seinen beiden Gegensätzen hin- und herbewegt. Lange dauernder Schmerz nähert sich, indem die Reizempfänglichkeit allmälig abgestumpft wird, dem Indifferenzpunkt, und eine mit Lustgefühl verbundene Empfindung kann, indem bei wiederholter Reizung die Empfindlichkeit wächst, schließlich in ein Unlustgefühl umschlagen. Zu diesen in der allgemeinen Abhängigkeit der Empfindung vom Reiz begründeten Ursachen tritt noch eine weitere hinzu, die in dem Wesen des Gefühls selber liegt. Letzteres beruht durchaus auf dem Wechsel von Gegensätzen. Es gibt kein Gefühl, dem nicht ein kontrastierendes Gefühl gegenüberstände. Jedes Gefühl wird daher durch sein Gegengefühl in seiner eigenen Stärke gehoben und sinkt gegen den Indifferenzpunkt herab, wenn das Bewußtsein des kontrastierenden Zustandes undeutlicher wird. Daher das so viel frischere Lustgefühl, das der Rekonvaleszent durch seine normalen Gemeinempfindungen erhält, im Vergleich mit dem dauernd Gesunden, welchem erst allerlei kleine Schmerzen die Lust des Daseins ins Gedächtnis rufen müssen. Daher das eminente Lustgefühl, das an die verschiedensten Formen des Spiels, vom einfachsten Hazardspiel der Würfel bis hinauf zur dramatischen Kunstform gebunden ist5). Denn in dem Spiel wechseln am schnellsten Hoffnung und Freude, Schmerz und Befriedigung.

5) Vgl. Kant's Anthropologie. Werke Bd. 7, 2. S. 146.

    Als eine gemischte Erscheinung, welche großenteils in dem Gesetz der Beziehung ihre Wurzel hat, bei der aber doch auch den Assoziationen eine gewisse Rolle zufällt, erheischt endlich die Tatsache, daß wir bestimmten Empfindungen einen analogen Gefühlston beilegen, eine gesonderte Untersuchung. Intensives Licht und laute Klänge, dunkle Beleuchtung und tiefe Töne sind Beispiele solcher Analogien, die sich über das ganze Gebiet unserer Empfindungen erstrecken, und die dem Gefühlston einer jeden Empfindung durch die unwillkürliche Verknüpfung derselben mit andern vom gleichen Gefühlston eine größere Stärke verleihen. Diese Verbindung nach dem übereinstimmenden Gefühl wirkt vielfach auf die Bezeichnung der Empfindung selber zurück, wie die Ausdrücke Klangfarbe, Farbenton, Farbensättigung u. a. bezeugen. Werden auch die letzteren häufig für die reinen Empfindungen, ohne Rücksicht auf die sie begleitenden Gefühle, gebraucht, so läßt sich doch nicht verkennen, daß der Geist der Sprache in ihnen weit unmittelbarer eine Beziehung auf das Gefühl anklingen läßt, als dies bei den einfachen Empfindungsbegriffen Farbe, Ton, Klang u. s. w. der Fall ist. Dies rührt eben daher, daß alle diese Analogien der Empfindung in der Übereinstimmung der begleitenden sinnlichen Gefühle ihren Grund haben. Zwischen einem Klang und einer Farbe besteht, wenn beide ohne jede Rücksicht auf den ihnen zukommenden Gefühlston betrachtet werden, nicht die geringste Analogie: beide sind dann disparate, nicht mit einander vergleichbare Qualitäten. Die Analogie stellt erst im Gefühle sich her, das heißt in der Beziehung der disparaten Empfindungen auf ein Bewußtsein, das auf verschiedenartige Eindrücke übereinstimmend reagiert. Sonach wollen wir zunächst den Zusammenhang der Gefühle mit dem allgemeinen Gesetz der Beziehung, dann ihre Abhängigkeit vom Gesetz der Assoziation betrachten, um hierauf erst die Analogien der Empfindung nach Ursprung und Bedeutung näher zu untersuchen.
    Das Gesetz der Beziehung erstreckt sich über die beiden Bestandteile der Empfindung, die Intensität und Qualität, und demgemäß wird auch das sinnliche Gefühl nach diesen zwei Seiten hin von jenem Gesetze bestimmt. Die allgemeine Abhängigkeit des Gefühlstones von der Intensität ist am unzweideutigsten bei sehr starken Empfindungen, welche von entschiedenem Schmerzgefühl begleitet sind. Der Schmerz ist ein Unlustgefühl, welches mit der Intensität der Empfindung bis zu einer Maximalgrenze zunimmt. In jedem Sinnesgebiete tritt in einer gewissen Entfernung von dieser Grenze, die der Empfindungshöhe entspricht, Schmerz auf, und indem die Stärke des letzteren bis zur Empfindungshöhe wächst, verschwindet zugleich, wie schon früher bemerkt wurde, mehr und mehr die qualitative Bestimmtheit der Empfindung. Die Empfindung wird also in einer gewissen Entfernung von der Empfindungshöhe zu Unlustgefühl, worauf letzteres zunimmt, bis die Höhe erreicht ist. Jener Punkt nun, wo das Unlustgefühl anfängt, wird offenbar dem Indifferenzpunkt der Gleichgültigkeit entsprechen; unter diesem Punkte aber sind Lustempfindungen zu erwarten. In der Tat bestätigt dies die Erfahrung, welche bezeugt, daß in allen Sinnesgebieten vorzugsweise Empfindungen von mäßiger Stärke von Lustgefühlen begleitet sind. So gehören die Kitzelempfindungen, welche auf rasch wechselnden Hautreizen von geringer Stärke beruhen, die Empfindungen mäßiger Muskelanstrengung und Muskelermündungzu den entschiedensten Lustgefühlen, die wir kennen. Bei den höheren Sinnen tritt aus Gründen, die wir unten näher entwickeln werden, die Gefühlsbetonung der reinen Empfindungen im allgemeinen mehr zurück. Sie ist am ehesten noch dann nachzuweisen, wenn man möglichst die Beziehung auf zusammengesetzte Vorstellungen beseitigt, also einen einfachen Klang oder eine Farbe für sich einwirken läßt, wo dann unzweifelhaft die zunächst wohltuende Empfindung bei wachsender Intensität allmälig in ein Unlust- und Schmerzgefühl übergeht. Nimmt die Empfindung mehr und mehr ab, so vermindert sich gleichfalls das Lustgefühl, bis es nahe der Reizschwelle verschwindend klein geworden ist. Hiernach läßt die allgemeine Abhängigkeit des Gefühlstones von der Empfindungs- und Reizintensität etwa folgendermaßen sich darstellen. Denken wir uns den Gang der Empfindungsstärken in der Weise wie in Fig. 69 dargestellt, indem wir die Reizgrößen als Abszissen benutzen, so können wir die Abhängigkeit des Gefühlstones von der Reizstärke durch eine zweite, davon verschiedene Kurve versinnlichen. Dieselbe ist in Fig. 97 punktiert gezeichnet; die ausgezogene Linie wiederholt, um das gleichzeitige Wachsen der Empfindungsstärke zu veranschaulichen, einfach die Fig.69. Lassen wir bei der punktierten Kurve die oberhalb der Abszissenlinie errichteten Ordinaten positive Werte der Lust, die nach abwärts gerichteten aber negative Werte der Lust oder solche der Unlust bedeuten, so beginnt die Kurve bei der Reizschwelle a mit unendlich kleinen Lustgrößen und steigt dann zu einem Maximum an, welches bei einer gewissen endlichen Empfindungsstärke c erreicht ist. Von da sinkt sie wieder, kommt bei e auf die Abszissenlinie als den Indifferenzpunkt, worauf mit weiterer Zunahme der Reize der Übergang auf die negative Seite allmälig wachsende Unlustgrößen andeutet, bis schließlich bei einem Reize m, welcher der Empfindungshöhe entspricht, ein unendlich großer Unlustwert erreicht wird, d. h. ein solcher, der Vergleiche mit endlichen Unlustwerten nicht mehr zuläßt. Hierin findet die Erfahrung ihren Ausdruck, daß das Maximum der Schmerzempfindung für alle Sinne das gleiche sei. Die Kurve, welche die Abhängigkeit des sinnlichen Gefühls von der Reizstärke darstellt, unterscheidet sich demnach von derjenigen, welche den Gang der Empfindungsstärken ausdrückt, wesentlich dadurch, daß die erstere einen Wendepunkt besitzt, womit eben die Bewegung zwischen den entgegengesetzten Zuständen der Lust und Unlust ausgesprochen ist. Ferner hat die Kurve der Empfindungsstärken an ihrem Anfang negativ unendliche Werte, da dem Nullwert des Reizes die unendlich unbewußte Empfindung entspricht, die Kurve der Gefühlsstärken hört dagegen mit negativ unendlichen Werten auf, indem hier dem endlichen Maximalwert der Empfindung eine unendlich große negative Lustempfindung zugehört. Wie viel Gefühlston einer reinen Empfindung beigemengt sei, wird sich aus dem jeweiligen Verhältnis der Ordinatenwerte beider Kurven ermessen lassen. Die negativen oder unbewußten Empfindungen haben sämtlich den Gefühlswert null: diese unter der Schwelle gelegenen Empfindungen können demnach nur als reine Empfindungen in Betracht kommen, was mit dem Satze, daß das Gefühl erst aus der Beziehung der Empfindung zum Bewußtsein entspringt, vollkommen übereinstimmt. Bei den schwächsten positiven Empfindungen ist der Gefühlswert noch gering, dann aber werden sehr bald Reizstärken erreicht, bei denen der reine Anteil der Empfindung und ihr Gefühlswert gleicher Weise stark sind. Doch der letztere nimmt wieder ab, worauf in der Gegend des Indifferenzpunktes abermals Empfindungsstärken mit sehr kleinem Gefühlstone kommen müssen; diese Grenze ist übrigens wahrscheinlich eine labile und darum in der Beobachtung schwer festzustellen. Sobald die negativen Gefühlswerte beginnen, wachsen diese rasch und nähern sich dann unendlichen Werten. Dies bedeutet aber nichts anderes, als daß bei den stärksten Empfindungen der reine Anteil der letzteren gegen den Gefühlston verschwindet. Solche Empfindungen gehen vollständig auf in dem Unlustgefühl. Zugleich liegt darin angedeutet, daß das höchste Unlustgefühl keine qualitativen Differenzen mehr zeigen kann.
    Während Anfang und Ende der Gefühlskurve unzweideutig durch die Werte der Empfindungsschwelle und der Empfindungshöhe gegeben sind, ist dies nicht so der Fall mit jenen beiden ausgezeichneten Punkten, welche dem Maximum der positiven Lust und dem Indifferenzpunkt entsprechen. Doch läßt einiges über die wahrscheinliche Lage derselben sich aussagen. Was nämlich zunächst den Maximalpunkt betrifft, so scheint die Annahme gerechtfertigt, daß derselbe um den Kardinalwert der Empfindung gelegen sei, wo die Empfindung einfach proportional der Reizstärke wächst6). Bei schwächeren Reizen wird die absolute Größe der Empfindung zu klein, als daß ein Lustgefühl von hinreichender Stärke sich damit verbinden könnte, bei intensiveren Reizen fehlt es an der genügenden Abstufung in der Intensität der Empfindungen. Daß aber die letztere beim Gefühl eine wesentliche Holle spielt, geht aus der Unmöglichkeit hervor, bei beharrender Empfindungsgröße auch dieselben Lustwerte festzuhalten. Da nun der Gefühlston der Empfindung stets bei einer gewissen Dauer derselben abnimmt, so ist es von vornherein wahrscheinlich, daß diejenigen Reizstärken, welche für den Wechsel der Empfindungen die günstigste Bedingung darbieten, mit den größten Lustwerten verbunden seien. Auch die Analogien aus dem Gebiet der zusammengesetzteren Gemütsbewegungen, bei denen eine ähnliche Beziehung zwischen den Ursachen der Stimmung und dieser selber wie zwischen Reiz und Gefühl besteht, scheinen dies zu bestätigen. Das Wachstum des Glücks in seinem Verhältnis zur Zunahme der Glücksgüter folgt im allgemeinen dem psychophysischen Gesetze, insofern für den Besitzer von 100 Talern ein Zuschuß von einem ebenso viel bedeutet wie für den Besitzer von 1000 ein Zuschuß von 10 Talern7). Aber für die Schätzung kleiner Schwankungen des Glücks ist Derjenige am günstigsten gestellt, bei welchem die Beglückung der Zunahme der äußeren Glücksgüter einfach proportional ist. Unter dieser Grenze ist der absolute Wert der vorhandenen Glücksgüter zu klein, über derselben sind die unter gewöhnlichen Verhältnissen vorkommenden Schwankungen ihrer Werte in ihrer relativen Größe zu unbedeutend, um eine zureichende Befriedigung möglich zu machen. Dies bestätigt denn auch die Erfahrung aller Zeiten, nach welcher eine mäßige Segnung mit Glücksgütern für das Gefühl der Beglückung die günstigsten Bedingungen bietet. Ähnlich verhält es sich nun auf dem viel elementareren Gebiet des sinnlichen Gefühls, für welches immerhin schon die Regel gilt, daß die Größe desselben zugleich von dem zeitlichen Wechsel der begründenden Empfindung bestimmt wird8). Das Lustgefühl erreicht also wahrscheinlich seinen Höhepunkt nahe bei derselben Größe der Empfindung, welche auch für die genaue Unterscheidung der objektiven Reize die günstigste ist. Da aber die gewöhnlich ganz zur objektiven Auffassung der Eindrücke verwandte mittlere Empfindungsstärke jedenfalls nicht weit über dem Kardinalwerte liegt, so ist anzunehmen, daß die Gefühlskurve verhältnismäßig rasch von ihrem positiven Maximum auf den Indifferenzpunkt herabsinkt. Doch kommt hier überall auch in Betracht, daß die Gefühlsstärke mit der zeitlichen Dauer der Empfindungen wandelbar ist, wodurch die Gestalt der Gefühlskurve, namentlich in Bezug auf die Lage ihres Maximums und ihres Indifferenzpunktes, fortwährenden Änderungen unterworfen sein muß, selbst wenn die Reizbarkeit und Reizempfänglichkeit konstant bleiben, also die Empfindungskurve sich nicht ändert.

6) Vergl. Kap.IX.
7) Vergl. Fechner, Elemente der Psychophysik I, S. 236.
8) Siehe oben.

Die Abhängigkeit des Gefühls von der Qualität der Empfindung tritt naturgemäß da am deutlichsten hervor, wo der Gefühlston die übrigen Bestandteile der Empfindung fast ganz absorbiert, bei den Organempfindungen, den Tast-, Geruchs- und Geschmacksempfindungen. Hier allein tritt ein, daß wir geneigt sind, ein bestimmtes Quale der Empfindung an und für sich und ohne Rücksicht auf die Empfindungsstärke zu den Lust oder Unlustgefühlen zu rechnen. So scheidet man die Geschmacks- und Geruchsempfindungen ohne weiteres in angenehme und unangenehme, indem man z. B. das Süße zu den angenehmen, das Bittere zu den unangenehmen Geschmäcken rechnet. Aber schon beim Sauren wird man sehr zweifelhaft sein, welche Stellung ihm anzuweisen sei, und wohl eher zu dem Resultate kommen, daß es bei mäßiger Starke den angenehmen, bei größerer den unangenehmen Gefühlen zugezählt werden müsse. In der Tat ist es nun auch mit den übrigen Empfindungen nicht anders. Die Empfindung Süß bleibt nur so lange angenehm, als sie eine gewisse Intensität und Dauer nicht überschreitet, und die Empfindung Bitter verliert ihren widrigen Charakter, wenn sich ihre Stärke ermäßigt. Mit den Gerüchen verhält es sich ebenso, denn es ist eine bekannte Tatsache, daß Geruchsstoffe, die in konzentrierter Form zu den unangenehmsten gehören, bei geeigneter Verdünnung als Wohlgerüche Verwendung finden. Wir können es demnach wohl als ein allgemeines Resultat aussprechen, daß es keine Empfindungsqualität gibt, die absolut angenehm oder unangenehm wäre, sondern daß bei jeder das Gefühl in der vorhin bestimmten Weise Funktion der Intensität ist, so daß bei einer gewissen mäßigen Empfindungsstärke der Gefühlston das Maximum seines positiven Wertes erreicht und dann durch einen Indifferenzpunkt zu immer mehr wachsenden negativen Werten übergeht. Wohl aber können, wie die Erfahrung gerade bei den mit sehr hervortretendem Gefühlston versehenen Empfindungen lehrt, jene ausgezeichneten Werte sehr verschiedenen Empfindungsstärken entsprechen, so daß eine gewisse Empfindungsqualität, z. B. das Bittere, schon bedeutende Unlustwerte erreicht hat, wo eine andere, z. B. das Süße, noch dem Maximum der Lustwerte nahe steht. Bei manchen Organempfindungen scheint der Indifferenzpunkt sogar dicht bei der Empfindungsschwelle zu liegen, wodurch jener ganze Abschnitt der Gefühlskurve, welcher den Lustwerten der Empfindung entspricht, außerordentlich nahe zusammengedrängt wird. Aber dies steht durchaus im Einklange mit der Erfahrung, wonach alle jene Organempfindungen, welche das Gefühl der Gesundheit vermitteln, so schwach sind, daß wir uns in den meisten Fällen nicht einmal mit angestrengter Aufmerksamkeit über die dem Gefühl zu Grunde liegenden Empfindungen Rechenschaft geben können, während doch an der Existenz des Gefühls selbst kein Zweifel sein kann. Es ist wahrscheinlich, daß diese wechselnde Lage des Maximums und des Indifferenzpunktes der Gefühle teilweise schon in der ursprünglichen Beschaffenheit der Empfindung ihren Grund hat. Bei solchen Empfindungen, die sich mit wachsendem Reize sehr schnell ihrer Höhe nähern, wird nämlich von selbst der positive Teil der Gefühlskurve nahe an die Reizschwelle gedrängt. Dies scheint nun bei den meisten Organempfindungen in der Tat der Fall zu sein, was wohl damit zusammenhängt, daß an den sensibeln Nerven der innern Organe Einrichtungen zur Auffassung genau abgestufter Eindrücke, wie sie in allen Sinneswerkzeugen, selbst am größten Teil der äußern Haut durch die Tastkörper und Endkolben, getroffen sind, nicht vorkommen. Außerdem ist aber auch die Bedeutung von Einfluß, welche die Empfindungen im entwickelten Bewußtsein erlangen. Solche Empfindungen nämlich, die, wie die Organempfindungen, nicht auf äußere Einwirkungen sondern auf eigene Zustände des empfindenden Subjektes bezogen werden, scheinen, namentlich bei längerer Dauer, leichter den Indifferenzpunkt zu überschreiten. Dies ist durch die innigere Beziehung jener Empfindungen zum Bewußtsein, auf die wir unten kommen werden, bedingt. Da aber diese Beziehung keine ursprüngliche ist, sondern für das ausgebildete Selbstbewußtsein erst existiert, so kann immerhin auch die hiervon abhängige Tendenz der Organempfindungen zu Unlustgefühlen erst als eine sekundäre angesehen werden.
    Unter den Schallempfindungen bieten vorzugsweise die Tonhöhen und Klangfarben Anlaß zu mannigfachen Gefühlen. Aber wir finden uns hier ganz besonders in der Lage, daß wir für das sinnliche Gefühl selbst keinen Ausdruck besitzen, sondern höchstens zusammengesetzte Gemütsbewegungen anzugeben wissen, in welche es zuweilen als elementarer Faktor eingeht. Dabei bleibt überdies die Bezeichnung eine ziemlich vage, da ein und dasselbe elementare Gefühl an sehr mannigfachen Stimmungen beteiligt sein kann.
    Das mit der Tonhöhe verbundene Gefühl läßt nach den Gemütslagen, denen es entspricht, nur eine sehr allgemeine Bestimmung zu. Tiefe Töne scheinen uns dem Ernst und der Würde, hohe Töne der Heiterkeit und dem Scherz einen Ausdruck zu geben, während die mittleren Höhen der Tonskala mehr einer gleichförmig angenehmen Stimmung entsprechen9). Unendlich mannigfaltiger sind schon die Gefühle, die sich an die Klangfarbe anschließen. Aber wie die letztere auf eine Mehrheit von Tönen zurückgeführt werden kann, so scheint es möglich, auch das begleitende Gefühl aus jenen Grundcharakteren der Stimmung abzuleiten, welche der wechselnden Tonhöhe innewohnen. Diejenigen Klangfarben nämlich, bei denen der Grundton rein oder nur mit den nächsthöheren Obertönen verbunden ist, wie z. B. die von den Flötenpfeifen der Orgel hervorgebrachten Klänge, sind dem Ausdruck ernsterer Stimmungen angepaßt, wogegen solche Klangfarben, welche auf dem starken Mitklingen hoher Obertöne beruhen, wie die Klänge der meisten Streich- und Blaseinstrumente, mehr den heiter oder leidenschaftlich angeregten Gemütslagen entsprechen. Wo der durch die Klangfarbe hervorgerufene Gefühlston mit demjenigen in Widerspruch steht, welcher der Tonhöhe der Klänge verbunden ist, da können sich Gefühle von eigentümlicher Färbung bilden, deren Wesen eben auf dem Kontraste ihrer Empfindungsgrundlagen beruht. Sie liegen jenen zwiespältigen Stimmungen zu Grunde, welche die Sprache in ihrem Extrem metaphorisch als Zerrissenheit des Gemüts bezeichnet, während ihre mäßigeren Grade die verschiedensten Färbungen melancholischer Stimmung darstellen. Diese Gefühle finden daher zuweilen in den Klangfarben der Streichinstrumente von geringer Tonhöhe ihren adäquaten Ausdruck. Ganz anders gestaltet sich unter denselben Bedingungen der Gefühlscharakter des Klangs, wenn dieser, wie bei den Blechinstrumenten, gleichzeitig eine bedeutende Stärke besitzt. Hier gewinnt der Klang den Charakter energischer Kraft. Wo der Grundton überwiegt, wie beim Horn, da erscheint dann diese Kraft durch Ernst gedämpft, und kann, bei sinkender Klangstärke, selbst bis zur Schwermut herabgedrückt werden. Zu seinem lautesten Ausdruck kommt jenes Kraftgefühl bei dem von hell schmetternden Obertönen begleiteten Schall der Trompete. Ernst mit gewaltiger Kraft gepaart klingt endlich in den Tonmassen der Posaune und des Fagotts an. Natürlich kann übrigens ein und derselbe Klang durch wechselnde Stärke mehr dem einen oder dem andern Gefühlston angepaßt werden. Dabei kommt in Betracht, daß sich mit der Stärke immer auch etwas die Klangfarbe verändert, da bei wachsender Klangstärke die höheren Obertöne stärker mitklingen. Gehoben wird endlich die Wirkung durch die Verhältnisse der zeitlichen Dauer der Klänge. Der langsame Wechsel der letzteren gibt den ernsten und schwermütigen, der schnelle den freudigen und gehobenen Stimmungen Ausdruck, daher die langsame Klangbewegung die Wirkung der tiefen, die rasche diejenige der hohen Tonlagen verstärkt. Diese Verbindung wird überdies durch die physiologischen Bedingungen der Tonauffassung begünstigt, indem langsame Tonschwingungen im Ohr nicht so rasch gedämpft werden als schnelle und deshalb eine längere Nachdauer der Erregung zurücklassen, welche den schnellen Wechsel der Empfindungen erschwert10).

9) Deutlicher als unser tief und hoch enthalten die griechisch-lateinischen Benennungen ?ap? grave und ò??, acutum die Hinweisung auf diese Bedeutung der Töne.
10) Helmholtz, Lehre von den Tonempfindungen, 3te Aufl. S 223.

    Der Charakter solcher Klänge, die von hohen Obertönen begleitet sind, gewinnt nicht selten dadurch eine eigentümliche Beschaffenheit, daß einzelne dieser höheren Partialtöne mit einander Schwebungen bilden und so Dissonanz erzeugen. Wo auf diese Weise die Dissonanz nur einen Klang begleitet, dessen überwiegende Bestandteile konsonant sind, da fügt sie der sonstigen Wirkung die Eigenschaft einer gewissen Unruhe hinzu, welche in dem raschen Wechsel der dissonierenden Klangbestandteile ihren unmittelbaren sinnlichen Grund hat. Diese Unruhe kann aber natürlich verschiedene Färbungen annehmen, die sich nach der sonstigen Natur des Klanges richten. Hat dieser einen sanfteren Charakter, so liegt in der Dissonanz der höheren Partialtöne das sinnliche Element einer melancholisch-zerrissenen Gemütsstimmung; starken Klängen teilt sich dagegen die Stimmung ungeduldiger Energie mit. Derselbe Charakter der Unruhe gelangt zur vorherrschenden Wirkung bei dissonanten Zusammenklängen, bei welchen jene wechselseitige Störung, die im vorigen Fall nur einzelne Partialklänge betroffen hat, über eine ganze Klangmasse sich ausdehnt. Wenn solche unruhige Stimmungen möglichst stark ausgedrückt werden sollen, so bedient sich daher die harmonische Musik dissonanter Zusammenklänge. Dabei verlangt die melancholische Stimmung, wie überhaupt eine getragenere Tonbewegung, so auch langsamere Schwebungen, während den energischeren Gemütsbewegungen, die durch rasch bewegliche Klangmassen musikalisch geschildert werden, die scharfe, geräuschähnliche Dissonanz mehr entspricht. Aber da alle ästhetische Wirkung der Befriedigung zustrebt, so verlangt die Dissonanz in allen Fällen eine Auflösung in konsonante Zusammenklänge, welche in harmonischen Verhältnissen stehen. Doch ist die Harmonie, wie schon früher11) angedeutet wurde, mehr als eine bloß aufgehobene Dissonanz, indem sie als positives Erfordernis das Zusammentönen verwandter Klänge voraussetzt. Die Harmonie gehört daher dem eigentlichen Gebiet der ästhetischen Gefühle an, während die Dissonanz ein rein sinnliches Gefühl ist, das aber, wie alle sinnlichen Gefühle der höheren Sinne, zum Element ästhetischer Wirkung werden kann12).

11) Kap.IX.
12) Über die Ursachen des Harmoniegefühls vergl. Kap XIII und XVII

    Gewisse musikalische Instrumente erlangen durch bestimmte Obertöne hauptsächlich ihre charakteristische Klangfarbe. So scheint der eigentümlich näselnde Ton der Viola und Klarinette davon herzurühren, daß wegen der Dimensionen der Resonanzräume oder Ansatzröhren, in welchen die Luft schwingt, die ungeradzahligen Obertöne vorzugsweise stark sind. Bei den Saiteninstrumenten steht es zum Teil in der Willkür des Spielenden, welche Obertöne er stärker will anklingen lassen, da dies von der Stelle abhängt, an welcher die Saite angeschlagen oder gestrichen wird13). Werden durch die Art des Anschlags nur die geradzahligen Obertöne hervorgehoben, so entsteht eine eigentümlich leere und klimpernde Klangfarbe. Beiden Arten von Klängen, denen mit ungeradzahligen wie denen mit geradzahligen Obertönen, scheint etwas zu fehlen, wenn man sie mit dem vollen, abgerundeten Klang solcher Instrumente vergleicht, die, wie z. B. die Zungenpfeifen der Orgel, alle Obertöne in mit ihrer Höhe abnehmender Stärke hervorbringen, daher auch solche in ihrer Klangfarbe einseitige Instrumente hauptsächlich in der Orchestermusik zur Anwendung kommen, wo sie in begleitenden Klängen anderer Färbung ihre Ergänzung finden. Nicht minder ungenügend erscheint uns die Wirkung jener musikalischen Klänge, denen alle Obertöne fehlen, die also dem reinen Ton sich annähern, wie dies z. B. bei den Klängen der Labialpfeifen der Orgel und der Flöte der Fall ist14). Solche Klänge eignen sich zwar durch ihre gleichmäßige Ruhe mehr als alle andern zur sinnlichen Grundlage einfacher Schönheit, aber es fehlt ihnen durchaus die Mannigfaltigkeit des Ausdrucks, die eine wesentliche Bedingung ästhetischer Wirkung ist. Die ruhige Befriedigung des einfach Schönen kommt da erst zur vollen Geltung, wo sich solche aus dem Widerstreit mannigfacher Gemütsbewegungen entwickelt. Hierin liegt wohl das Geheimnis der Tatsache, daß bei allen Instrumenten mit scharf ausgesprochener Klangfarbe das Solospiel seinen größten Erfolg dann erringt, wenn es ihm gelingt, die Klangfarbe fast ganz zu überwinden, indem es dem widerstrebenden Werkzeug die Reinheit des einfachen Tons entlockt. Aber der Zauber des Spiels verschwindet sogleich, wenn, wie bei der Flöte, das Instrument von selbst und in unveränderlicher Weise die einfachen Töne hervorbringt. Die Alten scheinen in dieser Beziehung anders gefühlt zu haben als die Neueren: ihnen, denen die Flöte das preiswürdigste Instrument schien, war auch hier das einfach Schöne für sich genug; wir verlangen, daß es sich erst aus dem Konflikt widerstrebender Gefühle herausarbeitet; den Neueren gilt daher die Violine als die Königin der Instrumente. Bei ihr treffen alle Bedingungen zusammen, um sie zum Ausdrucksmittel der mannigfachsten Stimmungen zu befähigen: ein bedeutender Umfang der Tonhöhen, die größte Abstufung der Klangstärke, verbunden mit der Möglichkeit den Ton langsam oder rasch sich erheben und senken zu lassen, endlich die verschiedensten Schattierungen der Klangfärbung je nach Ort und Art des Anstriches. Kein Instrument folgt so unmittelbar wie sie der Gemütsbewegung des vollendeten Spielers. Nicht den kleinsten Teil an der Schätzung dieses Instrumentes hat aber die Schwierigkeit, ihren Saiten in vollkommener Reinheit den einfachen Ton zu entlocken, bei welchem unser Gefühl befriedigt zu ruhen strebt.

13) Wird z. B. eine Saite an der Stelle angeschlagen, wo ihr erstes Drittel in das zweite übergeht, so kann sich an dieser kein Schwingungsknoten bilden, es fällt daher der 2te Oberton, der je 3 Schwingungen auf eine des Grundtons hat, hinweg, und ebenso werden die höheren ungeradzahligen Obertöne schwächer. Wird die Saite dagegen in ihrer Mitte angeschlagen, so fällt der 1ste Oberton, die Oktave des Grundtons, hinweg, und die geradzahligen Obertöne werden geschwächt. Wird die Saite nahe der Mitte angeschlagen, so klingen vorzugsweise die tiefsten Partialtöne mit; wird die Anschlagsstelle möglichst an das Ende verlegt, so werden dadurch die hohen verstärkt. Bei den Streichinstrumenten sind darum die tiefen Partialtöne stärker, wenn man nahe dem Griffbrett, die hohen, wenn man nahe dem Stege streicht. Da im letzteren Fall zugleich die Klangstärke größer ist, so wird im allgemeinen für das Piano die erste, für das Forte die zweite Art des Bogensatzes gewählt. Deshalb sind beim Forte der Violine die hohen Obertöne verhältnismäßig viel stärker, das Piano nähert sich mehr dem einfachen Ton ohne Klangfarbe. Am Klavier ist die Anschlagsstelle des Hammers so gewählt, daß der 7te Partialton (oder 6te Oberton) hinwegfällt; außerdem sind bei diesem Instrument die tiefen Noten von stärkeren Obertönen begleitet als die hohen, weil bei den letzteren die Anschlagsstelle des Hammers im Verhältnis zur ganzen Saitenlänge nicht so nahe an das Ende fällt. Bei den Streichinstrumenten ist die Stärke der Partialtöne endlich noch wesentlich von der Resonanz des Kastens abhängig, dessen Eigenton einem der tieferen Töne des Instruments entspricht. (Vergl. ZAMINER, die Musik und die musikalischen Instrumente. Gießen 1855. S. 12, 36.) Bei den hohen Noten wird daher in diesem Fall hauptsächlich der Grundton durch die Resonanz verstärkt, bei den tiefsten Tönen werden mehr die Obertöne gehoben.

14) HELMHOLTZ, Tonempfindungen, 3te Aufl. S. 321.

    Der Gefühlston der Lichtempfindungen ist teils vom Farbenton teils von der Lichtstärke und Sättigung abhängig. Hiernach bilden die Qualitäten des Gefühls eine Mannigfaltigkeit, welche sich in einer durchaus dem System der Lichtempfindungen entsprechenden Weise nach drei Dimensionen erstreckt. Zunächst entsprechen daher den Polen des Weiß und Schwarz auf der Farbenkugel (Fig. 91) entgegengesetzte sinnliche Gefühle, dem Schwarz der Ernst und die Würde, dem Weiß die heiteren, lebensfreudigen Stimmungen. Zwischen beiden schwebt das Grau als Ausdruck einer zweifelhaften Gemütslage. Das sinnliche Gefühl, das an die reinen Farben sich knüpft, verschaffen wir uns am ehesten in vollkommen einfarbiger Beleuchtung, also z. B. beim Sehen durch farbige Gläser, wo, wie GOETHE treffend sagt, man gleichsam mit der Farbe identisch wird, indem sich Auge und Geist unisono stimmen15). Die Tatsache, daß die Farben eine in sich zurücklaufende Reihe bilden, spricht auch in dem Gefühlston derselben sich aus, indem die größten Gegensätze des Gefühls auf den gegenüberliegenden Hälften des Farbenkreises sich finden, das Purpur aber und das ihm komplementäre Grün unter den reinen Farben die Übergänge zwischen beiden Gefühlsseiten vermitteln. Die Farbentöne von Rot bis Grün hat Goethe als die Plus-Seite, diejenigen von Grün bis Violett als die Minus-Seite des Farbenrings bezeichnet, um damit anzudeuten, daß jenen ein erregender, diesen ein herabstimmender Gefühlston innewohne16). Da die Unterschiede des Gefühls allgemein mit den Unterschieden der Empfindungen zunehmen, so ist anzunehmen, daß sich auch hier diejenigen Farben am meisten unterscheiden werden, zwischen denen innerhalb des Farbenkreises die größte Zahl von Abstufungen gelegen ist. Es ist nicht gerade erforderlich, daß dies komplementäre Farben seien, da die Eigenschaft zusammen Weiß zu erzeugen sich nur auf das Verhalten bei der Mischung, nicht aber auf die Abstufung der reinen Empfindung bezieht. Würden wir dagegen, wie in Fig. 88 angedeutet, die Farben nach ihrer Abstufung in eben merklichen Unterschieden auf den Farbenkreis auftragen, so würden dann allerdings den an den gegenüberliegenden Enden eines Durchmessers gelegenen Farbentönen auch Maximalwerte der Gefühlsdifferenz entsprechen müssen. Unter den Hauptfarben bieten offenbar, wie auch goethe erkannt hat, Gelb und Blau den größten Unterschied des Gefühls. Das zu Gelb komplementäre Violett hat schon etwas von der aufregenden Stimmung des Rot an sich, dem es ja auch als Empfindung so verwandt ist, daß man zweifelhaft sein kann, ob es für eine Hauptfarbe gelten könne. Gelb wird daher von den Malern vorzugsweise als die warme, Blau als die kalte Farbe bezeichnet17). Jenes regt an, dieses stimmt herab, ohne die Nebenfärbungen der Stimmung, wie sie den gegen Anfang und Ende des Spektrums gelegenen Farben zukommen. Das Grün hält auch nach seinem Gefühlston die Mitte zwischen Gelb und Blau: es ist die Farbe der ruhig heitern Stimmung, die wir deshalb am ehesten als dauernde Umgebung ertragen. Während so den drei mittleren Hauptfarben des Spektrums Gefühle entsprechen, welche die sinnlichen Grundlagen einfacher Gemütsstimmungen, der einfachen Anregung und Beruhigung sowie des Gleichgewichts zwischen beiden, bilden, gehören die Endfarben den unruhigen, aufgeregteren Stimmungen an, wobei aber der allgemeine Charakter der Plus- und Minusseite erhalten bleibt. So ist das Rot die Farbe energischer Kraft. Bei großer Lichtstärke wohnt ihm mehr als irgend einer andern ein aufregendes Gefühl inne, wie denn bekanntlich Tiere und Wilde durch eine blutrote Farbe gereizt werden. Bei geringerer Lichtstärke dämpft sich sein Gefühlston zu Ernst und Würde herab, ein Charakter, den es noch vollständiger im Purpur annimmt, wo ihm etwas von den Farben der ruhigeren Stimmung; Violett oder Blau, beigemengt ist. Im Violett selbst ist aber gleichfalls nicht mehr die einfache Ruhe des Blau, sondern, wie es in der Empfindung dem Rot verwandt ist, so hat es einen Zug düsteren Ernstes und einer unruhig sehnenden Stimmung, der auch dem Indigblau schon teilweise zukommt. Die Wirkung der reinen Farben kann nun in entgegengesetzter Weise modifiziert werden, je nachdem entweder durch die Beimengung von Weiß ihre Sättigung abnimmt, oder aber in Folge der verminderten Lichtstärke sie sich dem Schwarz nähern. Beiden Veränderungen entsprechen Modifikationen des Gefühls, die sich im allgemeinen als eine Kombination der Wirkung des reinen Weiß und Schwarz mit derjenigen der betreffendem Farbe betrachten lassen. So wird die aufregende Wirkung des Rot durch verminderte Sättigung im Rosa zu einem Gefühl gemildert, das an den Affekt aufgeregter Freude erinnert. In dem weißlichen Violett oder Lila hat sich der melancholische Ernst des dunkeln Violett zu einer sanften Schwermut ermäßigt, und im Himmelblau hat die kalte Ruhe des gesättigten Dunkelblau einer ruhigen Heiterkeit Platz gemacht. Nicht minder wird die erregende Stimmung des Gelb durch den Zusatz von Weiß zu dem ruhigeren Lustgefühl ermäßigt, welches der Empfindung des Sonnenlichtes entspricht, und das Grün verliert durch verminderte Sättigung von seinem ausgleichenden Charakter, indem sich etwas von der erregenden Wirkung des Hellen ihm beimengt. Dagegen nehmen alle Farben, die an und für sich einen ernsten Charakter tragen, wie Rot, Violett, Blau, und auch das Grün, insofern es durch seine Zwischenstellung zum Ausdruck einfachen Ernstes befähigt wird, mit verminderter Lichtintensität an Ernst des Ausdrucks immer mehr zu. Nur beim Gelb wirkt die Lichtabnahme vielmehr als ein Gegensatz zu der an und für sich dem weißen Lichte verwandten Stimmung der Farbe. So erhält denn das dunkle Gelb und das ihm gleichende spektrale Orange einen Ton gedämpfter Erregung, der, wenn die Lichtabnahme noch weiter geht, im Braun schließlich einer völlig neutralen Stimmung weicht. Dies ist offenbar der Grund, weshalb wir neben dem gesättigten Grün, der einzigen eigentlichen Farbe, der eine ähnlich neutrale Bedeutung zukommt, und dem Grau, das zwischen den entgegengesetzten Stimmungen von Weiß und Schwarz in der Mitte liegt, noch das Braun als Farbe derjenigen Gegenstände wählen, die uns fortwährend umgeben. Aber unter diesen dreien nimmt die Indifferenz der Stimmung zu mit dem Verlust des entschiedenen Farbencharakters. Das Grün, obgleich in der Mitte stehend zwischen dem erregenden Gelb und dem beruhigenden Blau, entbehrt darum doch nicht des Ausdrucks, sondern in ihm wird eben jenes Gleichgewicht des Gefühls zwischen Erregung und Ruhe selber zur Stimmung. Viel gleichgültiger ist schon das Braun, und völlig verloren gegangen ist endlich der Gefühlscharakter der Farbenwelt in dem Grau. Braun und Grau wählen wir daher als Farben unserer Kleidung, unserer Tapeten und Möbel, so recht eigentlich in der Absicht, nichts damit auszudrücken.

15) Goethe's Farbenlehre 763. Werke letzter Hand Bd. 52, S. 311.
16) Farbenlehre 6te Abth. (Sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe.) Werke letzter Hand Bd. 52, S. 309 f.

17) Um sich von der gegensatzlichen Wirkung beider Farben zu überzeugen, hat schon Goethe die Betrachtung einer Winterlandschaft abwechselnd durch ein gelbes und durch ein blaues Glas empfohlen. Daß übrigens hierbei neben der unmittelbaren Wirkung der Farben zweifelsohne auch Assoziationen wirksam sind, werden wir unten erörtern.

    Wenn mehrere Farben neben einander auf das Auge einwirken, so bestimmt der wechselseitige Einfluß, den sie auf einander ausüben, mit der Empfindung auch das sinnliche Gefühl18). Wird durch den Kontrast eine Farbe gehoben, so muß damit der ihr beiwohnende Gefühlston ebenfalls verstärkt werden, und das entgegengesetzte tritt dann ein, wenn die Lichteindrücke durch Induktion sich schwächen. Die beiden gegen einander um 180° gedrehten Farbenkreise in Fig. 93 veranschaulichen daher auch diese Seite der Farbenwirkung, indem die gegenseitige Hebung der Farben für die zusammentreffenden Komplementärfarbenpaare am größten ist und mit dem Lageunterschied der einander induzierenden Farben mehr und mehr sich vermindert. Mit Rücksicht auf diese Bedeutung für den Gefühlston hat man die kontrastierenden Farben zuweilen auch als konsonante oder harmonische Farbenintervalle bezeichnet, indem man jene Hebung durch den Kontrast in Analogie brachte mit der Konsonanz und Harmonie der Klänge. Alle Versuche, die Verhältnisse der musikalischen Konsonanz und Dissonanz auf die Farbenwelt zu übertragen, führten nämlich, obgleich dabei an die Kontrastwirkungen nicht gedacht wurde, doch dahin, die Komplementärfarben oder ihnen naheliegende Farbenpaare als konsonante Farbenintervalle aufzustellen19). Aber wie die Vergleichung der Farbenreihe mit der Tonreihe, auf welche sich diese Analogie zurückbezieht, eine künstliche, dem Wesen der Farben und Tone durchaus widersprechende ist20), so kann auch von Konsonanz und Dissonanz oder von Harmonie und Disharmonie im eigentlichen Sinne des Wortes bei den Lichtempfindungen nicht die Rede sein. Es gibt zwar Farben, bei deren gleichzeitiger Wirkung jede einzelne möglichst vollkommen zur Geltung kommt, die Kontrastfarben, und wieder andere, die sich gegenseitig schwächen: solche, die sich im Spektrum sehr nahe stehen, wie Rot und Gelb, Grün und Blau. Aber in allen diesen Fällen wird nur die Wirkung der einzelnen Farbe vermehrt oder vermindert, es kommt kein neues Moment hinzu, wie die teilweise Interferenz der Töne bei der Dissonanz, die unmittelbare Übereinstimmung einzelner Klangbestandteile bei der Harmonie. Der einzige Vergleichungspunkt besteht daher darin, daß Zusammenstellungen, bei denen die einzelnen Farben in ihrer Wirkung sich heben, einen ähnlich wohlgefälligen Eindruck hervorbringen können wie konsonante oder harmonische Klangverbindungen. Dagegen sind die sinnlichen Motive der ästhetischen Wirkung in beiden Fällen durchaus verschieden. Nur das Ohr verbindet die Eindrücke in eine Gesamtempfindung, deren Bestandteile es unmittelbar in ihrer wechselseitigen Beziehung auffaßt. Das Auge, als der räumlich ordnende Sinn, läßt die gleichzeitig gegebenen Eindrücke neben einander bestehen. Dabei kann zwar jeder Eindruck durch wechselseitigen Einfluß gehoben oder geschwächt werden. Aber nie wird den einzelnen Eindrücken durch ihr Nebeneinanderbestehen eine neue sinnliche Eigenschaft zugefügt, wie eine solche in der Dissonanz der Klänge unbestreitbar gegeben ist.

18) Vergl die Kontrasterscheinungen, Kap. IX.

19) So bezeichnet Runge (der Farbenkreis S 19 f.) Blau und Orange, Gelb und Violett, Rot und Grün als harmonische Farben. Nach UNGER (POGGENDORFF'S Annalen Bd 87, S. 121) bilden Rot, Grün und Violett einen dem Durakkord gleichenden consonanten Dreiklang. Die von Drobisch (Abhandl der sächs. Gesellsch. der Wiss. IV. S. 107) ausgeführte Berechnung stimmt allerdings damit nicht überein, da in derselben ungefähr die Quarte, welche eine entschieden weniger vollkommene Konsonanz als die Quinte ist, dem Verhältnis der Kontrastfarben entspricht (ebend S. 119). Aber DROBISCH hat auf den ästhetischen Eindruck, auf den die Spekulationen von RUNGE und UNGER gegründet sind, gar keine Rücksicht genommen, und seine mathematischen Betrachtungen werden schon dadurch in das Gebiet willkürlicher Fiktionen verwiesen, daß er sich, um die Analogie zwischen Ton- und Farbenreihe überhaupt herstellen zu können, genötigt sieht, die Verhältniszahlen der Lichtschwingungen auf eine gebrochene Potenz zu erheben.

20) Vergl Kap IX.

    Die Gefühle, welche sich an die Schall- und Lichtempfindungen knüpfen, bewegen sich zwischen Gegensätzen, wie alle Gefühle. Aber die einander entgegengesetzten Zustände können hier nicht mehr, wie bei den niedrigeren Sinnesempfindungen, einfach als Lust und Unlust bezeichnet werden. Wenn durch tiefe Töne Ernst und Würde, durch hohe Frohsinn und heiteres Spiel ausgedrückt werden, wenn dem Rot und Gelb ein aufregender, dem Blau ein beruhigender Gefühlston innewohnt, so sind dies Gegensätze, die sich den Begriffen Lust und Unlust nicht unterordnen. Allerdings fehlt der Schall- und Lichtempfindung auch dieser Gegensatz nicht, aber er wird einzig und allein durch die Intensität der Empfindung bestimmt. Jeder Ton und jede Farbe, welche Qualität auch mit ihnen verbunden sei, erregen, sobald sie eine gewisse Stärke erreichen, ein Unlustgefühl, und haben bei einer mäßigen Intensität und innerhalb bestimmter Grenzen der Dauer des Eindrucks eine einfache Lustempfindung zur Folge. Die letztere ist aber allerdings gerade bei diesen höheren Sinnen meistens sehr undeutlich, weil sie von den andern an die Qualität geknüpften Gefühlen zurückgedrängt wird. Nun haben wir oben gesehen, daß auch bei den übrigen Sinnesempfindungen das Lust- und Unlustgefühl durchaus an die Stärke der Empfindung gebunden ist. Die Tast- und Gemeinempfindungen sind überhaupt von qualitativ einförmiger Beschaffenheit; es ist daher begreiflich, daß bei ihnen auch die nähere qualitative Bestimmtheit der Gefühle gegen die von der Intensität abhängige Lust- oder Unluststimmung zurücktritt. Dazu kommt, daß diese Richtung der Gemeingefühle durch den Einfluß des Selbstbewußtseins auf dieselben begünstigt wird, wie wir unten noch sehen werden. Das nämliche gilt im wesentlichen vom Geruchs- und Geschmackssinn, welche zwar, entsprechend der größeren Mannigfaltigkeit ihrer Qualitäten, verschiedenartige Gefühlsfärbungen zulassen, wobei aber diese wegen der subjektiven Beziehung der Empfindungen durchweg den Kategorien der Lust und Unlust sich unterordnen. Bei den Tönen und Farben erst wird der an die Qualität geknüpfte Gefühlston fast vollkommen selbständig. Nur eine schwache Beziehung bleibt noch darin erhalten, daß der ernste Charakter, wie er den tiefen Klängen und dem Schwarz innewohnt, mehr an ein Unlustgefühl, der erregende, der den hohen Klängen und dem Weiß zukommt, an ein Lustgefühl anklingt. Es scheint, daß eine solche Beziehung für eine ursprünglichere Stufe der Sinnlichkeit noch lebendiger ist als für unser entwickeltes Bewußtsein, da bei Kindern und Wilden das Gefühl für Hell und Dunkel, für hohe und tiefe Töne weit mehr in den unmittelbaren Formen der Lust und Unlust sich äußert. Der Umstand aber, daß die Gefühlsqualitäten dieser höheren Sinne sich fast vollständig von den Gegensätzen der sinnlichen Lust und Unlust befreien, macht sie gerade geeignet zu Elementen der ästhetischen Wirkung zu werden. Denn die letztere kann mit einem entschiedenen Gefühl sinnlicher Unlust sich schlechterdings nicht vertragen, sondern verlangt als elementare Faktoren Gefühle, welche sich in den mannigfachsten Abstufungen zwischen Gegensätzen bewegen, die in dem allgemeinen Rahmen einfacher sinnlicher Lust noch eingeschlossen sind oder doch nur ausnahmsweise, um durch gewisse Kontraste die Wirkung zu verstärken, aus demselben heraustreten. Es ist nun aber höchst bemerkenswert, daß auch solche an gewisse Sinnesqualitäten gebundene Gefühlsformen, die den Begriffen der Lust und Unlust nicht einfach unterzuordnen sind, sich immerhin zwischen Gegensätzen bewegen. Dies beweist, daß der Gegensatz mit seiner Vermittlung durch eine Indifferenzlage gleichgültiger Stimmung ein dem Gefühl wesentlich zukommendes Attribut ist. Lust und Unlust sind, wie es scheint, nur die von der Intensität der Empfindung herrührenden Bestimmungen, während an die Qualitäten Gegensätze anderer Art geknüpft sind, welche zwar zuweilen in eine gewisse Analogie mit Lust und Unlust sich bringen lassen, an sich aber doch von diesen letzteren nicht berührt werden.
 
Genauere Rechenschaft geben kann man natürlich über die Natur dieser Gegensätze nur, wo die Einordnung der Sinnesqualitäten in ein Kontinuum gelingt, also bei den Schall- und Lichtempfindungen. Bei beiden verhalten sich die Gefühlsgegensätze wesentlich verschieden. In der Tonreihe, die nur eine Dimension besitzt, ist auch nur ein Gegensatz mit einer Vermittlung möglich: der Gegensatz der tiefen und hohen Töne mit ihrem Gefühlskontrast des Ernstes und der Heiterkeit, zwischen ihnen die mittleren Tonhöhen als Vertreter der einfach gleichmütigen Stimmung. Wesentlich erweitert wird aber der Gefühlsumfang der Schallempfindungen durch den Klang, in welchem sich eine abgestufte Mannigfaltigkeit einfacher Töne zu einem einzigen Eindruck verbindet. Da der Klang aus Tönen besteht, so muß auch die Gefühlsfärbung, die ihm beiwohnt, in die einfachen Gefühlsforrnen der Töne aufzulösen sein. Aber das Neue der Klangwirkung liegt darin, daß in ihm nicht bloß die Stimmung, die mit dem Tone verbunden ist, dadurch gehoben werden kann, daß nur die tieferen Obertöne sich zum Grundton hinzugesellen, sondern daß außerdem neue Gefühle entstehen, indem namentlich bei der Verbindung hoher Obertöne mit tiefen Grundtönen kontrastierende Elementargefühle sich zu eigentümlichen Stimmungen vereinigen können. So entsteht eine Reihe sich durchkreuzender Gegensätze, welche das in Fig. 98 dargestellte Schema anzudeuten sucht. Jedem dieser Ton- und Klanggegensätze entsprechen Kontraste des Gefühls, die allmälig durch vermittelnde Zwischenstufen einem Indifferenzpunkt sich nähern, durch welchen sie in einander übergehen. Den tiefen Tönen und Klangfarben zur linken Seite entsprechen die ernsten, den hohen zur rechten die heiteren Stimmungen, bei größerer Klangstärke sind alle Stimmungen mit einem gehobenen, energischen, bei geringerer Klangstärke mit einem gedämpften, sanften Gefühlston verbunden. Da zwischen den hier herausgegriffenen Strahlen alle möglichen Übergänge sich denken lassen, so kann man sich vorstellen, alle durch die Klangfarbe bestimmten Gefühlstöne seien in einer Ebene angeordnet, deren eine Dimension, dem Kontinuum der einfachen Töne entsprechend, die Kontraste von Ernst und Heiterkeit mit ihren Übergangsstufen enthalte, während die zweite, welche die Stärke der Teiltöne abmißt, die Gegensätze des Energischen und Sanften vermittelt. Mit diesen vier Ausdrücken möchten in der Tat die vier Elementargegensätze musikalischer Wirkung, so weit sie in Worten sich angeben lassen, bezeichnet sein.
    Die Reihe der einfachen Farben unterscheidet sieh von der Tonreihe wesentlich dadurch, daß sie, wie die Farbenempfindungen eine in sich zurückkehrende Linie bilden, so auch zwei Übergänge des Gefühlstones enthält, obzwar bei den Farben selbst, wie bei den Tönen, nur ein einziger Gegensatz der Stimmung existiert, der einerseits im Gelb, anderseits im Blau am stärksten ausgeprägt zu sein scheint. Dieser Gegensatz ist der der Lebhaftigkeit und der Ruhe. Es ist eigentümlich, daß wir uns gerade bei den Farben, bei denen doch die Bewegung oder zeitliche Dauer nicht in der Weise wie bei den Tönen für das Gefühl mitbestimmend wird, zu diesen von der Bewegung entliehenen Bezeichnungen gedrängt sehen. Zwischen dem Gelb und dem Blau gibt es aber zwei Übergänge: der eine durch das Grün, der andere durch die rötlichen Farbentöne, das eigentliche Rot, Purpur und Violett. Beide Übergänge haben nun eine sehr verschiedene Bedeutung für das Gefühl. In dem Rot und den ihm verwandten Farben ist die Bewegung des Gelb und die Ruhe des Blau zu einem zwischen Bewegung und Ruhe hin- und herwogenden Zustand der Unruhe geworden. Diese Vermittlung durch den Zwiespalt ist am deutlichsten in den blauroten Farbentönen, wie im Violett, repräsentiert. Das Grün dagegen drückt ein wirkliches Gleichgewicht aus. Im Vergleich mit dem erstarrenden Blau und dem erregenden Gelb verbreitet es ein befriedigendes Ruhegefühl. Für den Gefühlston hat also der doppelte Übergang der Farbenreihe seine Bedeutung darin, daß der eine, der durch die Mischfarbe des Purpur, die Gegensätze zu einem dissonierenden Gefühle mischt, der andere, der durch das einfache Grün, sie in ein harmonisches Gleichgewicht setzt. So hat auch diese doppelte Ausgleichung in einer allgemeinen Eigentümlichkeit des Gefühls ihren Grund, die schon bei der Klangwirkung, wenngleich hier in anderer Weise, zur Geltung kommt: nämlich in der Existenz zwiespältiger oder dissonierender Gefühle. Zwischen je zwei Gegensätzen des Gefühls gibt es einen Indifferenzpunkt der Gleichgültigkeit; gewissen Gemütszuständen ist es aber eigen, daß in ihnen das Gefühl fortwährend zwischen jenen beiden Gegensätzen hin- und herschwankt. Das ruhige Beharren auf dem Indifferenzpunkt ist ein stabiles, das unruhige Oszillieren zwischen beiden Lagen ein labiles Gleichgewicht des Gemüts. Es gibt vielleicht keine zwei Gefühlsgegensätze, zwischen denen nicht solche Zustände des labilen Gleichgewichts vorkommen. Aber hauptsächlich sind die Zustände dieser Art an solche Empfindungen gebunden, welche die Bedingungen zu einem Kontrast des Gefühls unmittelbar in sich tragen. So geben unter den Klängen vorzugsweise jene einer zwiespältigen Stimmung Ausdruck, deren eigentümliche Klangfarbe auf dem Nebeneinander tiefer Grundtöne und hoher Obertöne beruht. Ähnlich verhält es sich mit den Farbeneindrücken. Während das reine Grün die Farben, zwischen denen es den Übergang bildet, in sich nicht mehr neben einander enthält, ist das Violett und der angrenzende Teil des Purpur deutlich aus Blau und Rot, also aus Farben von kontrastierendem Gefühlston, gemischt. Bringen wir hiernach die einfachen Farben mit den einfachen Tönen in Parallele, so begegnet uns in Bezug auf den ihnen beiwohnenden Gefühlston der nämliche Unterschied, der sich in der reinen Qualität der Empfindungen darstellte. Zwar existiert bei den Farben, wie bei den Tönen, nur ein einziges Gegensatzpaar, aber da zwischen den Gliedern dieses Gegensatzes zwei Übergänge möglich sind, einer, der den Gegensatz in einem einfachen Zwischengefühl aufhebt, und ein zweiter, der denselben durch ein kontrastierendes Gefühl vermittelt, so kann die Reihe der einfachen Gefühle nicht mehr durch eine gerade Linie sondern nur durch eine geschlossene Kurve dargestellt werden. Mit Rücksicht auf ihre Bedeutung als Übergangsstimmungen wird aber hierbei dem Grün angemessener das Violett als das Purpur gegenüberzustellen sein, und es werden dem entsprechend Rot und Indigblau, Gelb und Blau einander gegenüber zu liegen kommen; das Purpur hat dann in dieser Stimmungskurve der Farbentöne nur die Bedeutung eines Rot, das wenig durch Violett modifiziert ist. Um die verschiedene Weise des Übergangs von der Plus- zur Minus-Seite anzudeuten, wählen wir wieder die Darstellung in einer dem Dreieck sich nähernden Figur: die gerade Grundlinie entspricht dem kontrastierenden Übergang durch Violett, der an Stelle der Spitze gelegene Bogen dem ruhigen Übergang durch Grün (Fig. 99). Denken wir uns die den verminderten Sättigungsgraden der Farben bis zum Weiß entsprechenden Gefühle ähnlich angeordnet, so bilden sie alle zusammen die von der Farbenkurve umschlossene Ebene, in welcher der Punkt des Weiß die indifferente Stimmung bezeichnet, wie sie die einfache, weder durch besondere Stärke oder Schwäche des Lichts noch durch einen Farbenton modifizierte Lichtempfindung hervorbringt. Rings herum liegen die matteren und darum durch kürzere Übergänge vermittelten Gefühlstöne der weißlichen Farben. Aber zu den Stimmungen, welche die Farben und ihre Sättigungsgrade hervorbringen, kommen dann noch die an die Intensitätsgrade des Lichts sich knüpfenden Gefühle. Zwischen den Gegensätzen des Hellen und Dunkeln, zwischen denen sie sich bewegen, gibt es nur den einen Übergang durch eine mittlere Helligkeit, welcher der indifferenten Stimmung entspricht. Hier also liegen die gegensätzlichen Gefühle an den Enden einer Geraden. So bietet sich auch für die Gefühlstöne der Farben die Konstruktion in einem körperlichen Gebilde, an dem Hell und Dunkel die beiden Endpole bilden. Ein einfacher Übergang des Gefühls durch einen einzigen Indifferenzpunkt findet nur für die nicht von Farbentönen begleitete Lichtempfindung statt, welche durch die Achse jenes körperlichen Gebildes dargestellt wird (vergl. Fig. 91). Für jede Farbe gibt es also drei Übergänge der Stimmung zu einer Farbe von entgegengesetztem Gefühlston: der harmonische durch das ruhige Grün, der kontrastierende durch das zwiespältige Violett und der indifferente durch das gleichgültige Weiß. Zwischen den Gegensätzen der Helligkeit, dem ernsten Dunkel und dem heiteren Lichte, existiert dagegen nur der eine Übergang durch das indifferente Weiß von mittlerer Helligkeit. Indem die Lichtstärke der Farben zu- oder abnehmen kann, können sie auch an diesen Gefühlstönen der Helligkeit Teil nehmen. Aber dabei vermindert sich in dem Maße, als die Lichtstärke steigt oder sinkt, der Umfang des innerhalb der Farbenreihe möglichen Stimmungswechsels, der harmonische und der kontrastierende Übergang rücken immer näher zusammen, bis mit der Erreichung des dunkeln oder hellen Pols der Empfindung das Farbengefühl völlig erlischt. Während demnach in der Ton- und Klangwelt alle Gefühle sich zwischen geradlinig gegenüberliegenden Gegensätzen bewegen, so daß selbst kontrastierende Gefühle nicht als Vermittelungen sondern immer nur am einen Ende eines Gegensatzes zu finden sind21), bilden bei den Lichtempfindungen nur das Helle und Dunkle ähnlich gegenüberstehende Pole, welche dem Gegensatz der hohen und tiefen Töne auch insofern analog sind, als sie ungefähr ähnliche Stimmungen, das Ernste und Heitere, ausdrücken, für das Gefühl entsprechen also die Gegensätze der Intensität des gemischten Lichtes dem Gegensätze der Tonhöhen; dagegen werden Stimmungen, die den Klangfarben einigermaßen analog sind, vielmehr durch die einfachen Farben ausgedrückt, wie dies die Namen Klangfarbe und Farbenton im Grunde schon andeuten. Auch darin besteht eine gewisse Analogie, daß man sich die Gefühlstöne der Klangfarben wie die der Farben und ihrer Sättigungsgrade in einer Ebene dargestellt denken kann, in deren Mitte irgendwo ein Indifferenzpunkt gleichgültiger oder neutraler Stimmung liegt, während sich nach der Peripherie hin die größten Gegensätze des Gefühls befinden. Aber die einfachen Töne bilden hier nicht, wie das Hell und Dunkel, eine neue Dimension, die erst zur Klangfläche hinzutritt, sondern die Hauptachse der letzteren. Denn der einfache Ton ist jener Klang, der durch die größte Tiefe begleitender Obertöne sich auszeichnet, ein Grenzfall, der erreicht ist, wenn die Obertöne überhaupt verschwinden. Ferner kommt die Intensität des Klangs für die Gefühlsbedeutung desselben unmittelbar in Betracht. Sie bestimmt die eine Richtung des Gefühls ebenso wie die Beschaffenheit der Teiltöne die andere. Stärke und Schwache des Klangs, Tiefe und Höhe des Tons bedingen zunächst zwei Hauptpaare des Gegensatzes, die sich zu vier erweitern, wenn man die Hauptunterschiede der Klangfärbung, die Verbindung mit tiefen oder mit hohen Obertönen, in doppelter Lage hinzunimmt (Fig. 98). Denkt man sich die äußersten Punkte dieser Gegensätze durch eine geschlossene Kurve vereinigt, so ist von jedem Punkt derselben, ähnlich wie von jedem Punkt der Farbenkurve, ein dreifaches Fortschreiten möglich, vor- und rückwärts in der Peripherie der Klangkurve und gegen die gleichgültige Mitte hin. Die Stelle der kontrastierenden Gefühle liegt aber bei denjenigen Klängen, die hohe und mäßig hohe Obertöne mit geringer Klangstärke verbinden. Dies hat darin seinen Grund, daß sich bei geringer Klangstärke die den entgegengesetzten Enden der Tonreihe zugehörigen Teiltöne des Klangs deutlicher von einander sondern, und daß außerdem bei starken Klängen gleichsam die Unschlüssigkeit des Kontrastes durch die Kraft des Gefühlstones überwunden wird. Übrigens hat diese Darstellung der Klanggefühle, wie nicht übersehen werden darf, in höherem Grade eine bloß symbolische Bedeutung als die Darstellung der Farbengefühle, weil sich die letztere unmittelbarer an das System der Empfindungen anschließt. Auch lassen solche Analogien des Gefühls natürlich nicht die geringsten Schlüsse über die physiologische oder gar die physikalische Natur der Farben und Klänge zu. Doch lag der Aristotelischen, von goethe wieder erneuerten Farbenlehre, wonach die Farben aus der Vermischung von Hell und Dunkel in verschiedenen Verhältnissen entstehen sollen, wohl neben anderem auch eine derartige Verwechselung zu Grunde. Für unser Gefühl ist in der Tat Hell und Dunkel das Einfachere, die Farbe das Zusammengesetztere, denn die Gefühle, welche die letztere wachruft, zeigen mannigfachere Übergänge zu Gefühlen von entgegengesetzter Beschaffenheit. Aber dies rührt eben von der eigentümlichen Form des Farbenkontinuums her, aus welcher jener dreifache Übergang der Farbenstimmung unmittelbar sich ergibt. (Vgl. Kap. IX.)

21) Rechts unten in Fig. 98 , bei den Klängen mit hohen Obertönen und von geringer Klangstärke.

Der Gefühlston, welcher der einfachen Empfindung vermöge ihrer intensiven und qualitativen Beschaffenheit innewohnt, wird durch das Gesetz der Assoziation beeinflußt. Wahrscheinlich wird der Gefühlston einer Empfindung niemals ausschließlich durch Assoziation bestimmt. Um so häufiger wirkt dieselbe auf die in der reinen Empfindung gelegene Stimmung verstärkend und unter Umständen wohl auch modifizierend ein. Es kann daher außerordentlich schwer werden zu entscheiden, inwieweit ein Gefühl ursprünglich oder erst abgeleitet, nämlich durch Assoziation hervorgerufen sei. Denn als abgeleitete Stimmungen sind die aus der Assoziation hervorgehenden immer anzusehen. Die Assoziation beruht nämlich auf der Verknüpfung der gegebenen Empfindungen mit ähnlichen, die als Bestandteile gewisser Vorstellungen geläufig sind. Durch Assoziation z. B. erinnert die grüne Farbe an Waldes- und Wiesengrün oder mahnt Glockengeläute und Orgelton an Kirchgang und Gottesdienst. Durch die Assoziation heftet sich dann aber der reinen Empfindung etwas von dem Gefühlston an, welcher jene zusammengesetzten Vorstellungen begleitet. Wegen dieser Gebundenheit an die Vorstellung sind es auch vorzugsweise die höheren, zu einem reichen Vorstellungsleben entwickelten Sinne, bei denen die Assoziationen für den Gefühlston bestimmend werden. Es ist nun keinem Zweifel unterworfen, daß in dieser Weise die meisten unserer sinnlichen Gefühle, namentlich diejenigen, welche Elemente ästhetischer Wirkung bilden, außerordentlich durch Assoziationen verstärkt werden. Wie Orgel- und Glockenklang an religiöse Feier, so mahnt uns die schmetternde Trompete an Kriegs- und Waffenlärm, der Schall des Hifthorns an Jagdgetümmel und Waldesfrische, die tiefen, langsamen Klänge eines Trauermarsches wecken die Vorstellung eines Leichenzuges. Schwarz ist fast bei allen Völkern die Farbe, in die sich der Leidtragende hüllt, in Purpur kleidet sich die königliche Pracht. Diese Assoziationen müssen daher an und für sich schon die Stimmungen ernster Trauer, imponierender Würde erwecken, ebenso wie die hochrote Beleuchtung an Flammenschein, das Gelb an strahlenden Sonnenglanz, das satte Grün an die befriedigte Ruhe der grünen Natur erinnert. Trotzdem ist Assoziation wahrscheinlich nirgends das eigentlich begründende Element des Gefühls, sondern sie kann das letztere nur in der ihm durch die ursprüngliche Natur der Empfindung einmal angewiesenen Richtung verstärken, unter Umständen ihm wohl auch eine speziellere Form und Richtung anweisen. Am deutlichsten erhellt dies in jenen Fällen, wo die Assoziation selbst auf eine ursprüngliche Gefühlsbetonung der Empfindung zurückweist. Schwarz ist eben die Farbe der Trauer, die Orgel dient zum Ausdruck ernster Feier, weil den Empfindungen der entsprechende Charakter innewohnt. Die Sitte, an welche sich unsere Assoziation knüpft, ist hier selbst nur durch das Gefühl gelenkt worden. Für unsere an Ursprünglichkeit des Gefühls etwas verarmte Entwicklungsstufe liegt vielleicht eine wichtige Auffrischung in solchen Assoziationen, die den Empfindungen nachträglich eine Stärke der Gefühlsbetonung verleihen, welche der Naturmensch in der eigenen Beschaffenheit der Empfindung schon gefunden hatte. In andern Fällen liegt eine innere Beziehung der Assoziation zur ursprünglichen Bedeutung des Gefühls nicht so offen zu Tage, so z. B. wenn die Vorstellung der in ihrem satten Grün ruhenden Natur die ruhige Stimmung des Grün, die Erinnerung an den belebenden Sonnenschein den erregenden Gefühlston des Gelb verstärkt. Will man hier trotzdem, wie es, abgesehen von der unmittelbaren Farbenwirkung, schon die Analogie mit den übrigen Empfindungen fordert, eine ursprüngliche Gefühlsbetonung der Empfindung annehmen, so könnte man in dieser Verstärkung durch Assoziation ein Beispiel merkwürdiger Harmonie zwischen unsern Empfindungen und der äußern Natur erkennen. In der Tat läßt sich gegen diese Auffassung im Grunde nichts einwenden. Nur wäre es ungerechtfertigt, eine solche Harmonie auf eine prästabilierte Ordnung ohne nähere Ursache zurückzuführen. Daß unser Sehorgan den äußern Lichteindrücken angepaßt ist, und daß daher solche Farben, die auf die Dauer unser Auge ermüden, wie das Rot und Violett, nicht allverbreitet in der Natur vorkommen, hat zweifelsohne seine wohlbegründeten Ursachen. Wenn wir das menschliche Sehorgan als Produkt einer Entwicklung ansehen, bei der das Prinzip der Anpassung der Organismen an ihre Naturumgebung wirksam gewesen ist, so begreift es sich wohl einigermaßen, daß seine Reizempfänglichkeit teils für solche Wellenlängen, die aus allen möglichen andern gemischt sind, also weißes Licht, teils für solche, die ungefähr in der Mitte der sichtbaren Farben liegen, also namentlich Grün, am größten geworden ist. Ihre Stellung in der Reihe der Farben haben diese ja eben durch die Reizbarkeit des Auges für die verschiedenen Wellenlängen erhalten. Hiernach ist es überhaupt wahrscheinlich, daß der Gefühlston zu der physiologischen Reizbarkeit der Sinnesorgane in einer gewissen Beziehung steht. Grün und Weiß oder Grau bilden beide, wie wir gesehen haben, Übergänge. Unter ihnen entspricht das Grün einem Gefühl des harmonischen Gleichgewichts zwischen entgegengesetzten Stimmungen, das Weiß oder Grau dem Indifferenzpunkt des Gefühls. Ähnlich sind die mittleren Tonhöhen, für welche die Reizbarkeit des Ohrs die günstigste ist, am weitesten von den Gegensätzen der Stimmung entfernt. Aber wenn auch dieser Beziehung zur Reizbarkeit hiernach nicht alle Bedeutung abgesprochen werden kann, so liegt in ihr doch nicht der geringste Anhaltspunkt für die besondere Qualität der Gefühle. Ebendeshalb kann nicht daran gedacht werden, das Gefühl einfach aus den Bedingungen der Reizbarkeit abzuleiten. Zwischen Reizung und Gefühl besteht vielmehr kein anderer Zusammenhang als zwischen Reizung und Empfindung, denn das Gefühl ist unmittelbar mit der Empfindung gegeben.
    Neben den Assoziationen sind als eine weitere, in vieler Beziehung äußerst bedeutsame Verstärkung der Gefühle die Analogien der Empfindung wirksam. Wir bringen erfahrungsgemäß die Empfindungen disparater Sinne in eine gewisse Analogie. Dieser liegt zwar immer eine Analogie in den Verhältnissen der objektiven Sinnesreize zu Grunde. Aber bei der ursprünglichen Feststellung jener Analogien der Empfindung ist eine Kenntnis der objektive Reize nicht im geringsten wirksam, sondern wir vollführen dieselbe unmittelbar und ausschließlich an der Hand der Empfindungen selber. So scheinen uns tiefe Töne den dunkeln Farben und dem Schwarz, hohe Töne den hellen Farben und dem Weiß angemessen. Der scharfe Klang, z. B. der Trompete, und die Farben der erregenden Reihe, Gelb oder Hellrot, entsprechen sich, ebenso anderseits die dumpfe Klangfarbe dem beruhigenden Blau. In der Unterscheidung kalter und warmer Farben, in den Ausdrücken "scharfer Klang", "gesättigte Farbe" u. a. führen wir unwillkürlich ähnliche Vergleichungen zwischen den höheren und den niederen Sinnen aus. Alle diese Analogien der Empfindung beruhen wahrscheinlich nur auf der Verwandtschaft der zu Grunde liegenden Gefühle. Der tiefe Ton als reine Empfindung betrachtet bietet mit der dunkeln Farbe keinerlei Beziehung dar; aber da beiden der gleiche ernste Gefühlston anhaftet, so übertragen wir dies auf die Empfindungen, die uns nun selber verwandt zu sein scheinen. Verstärkt werden diese durch das Gefühl vermittelten Beziehungen auch hier durch Assoziationen. Mit dem tiefen Orgelklang, der an sich einer feierlichen Stimmung entspricht, verbindet sich die Vorstellung des dunkeln Feiertagsgewandes, u. s. f. Überall wo man eine speziellere Verwandtschaft der Stimmung, als sie oben nach ihren allgemeinsten Richtungen angedeutet ist, zwischen Klängen und Farbentönen zu finden meint, dürfte sie wohl auf solchen Assoziationen beruhen, deren Richtung dann natürlich auch nach den Verhältnissen der individuellen psychischen Ausbildung einigermaßen wechselt22).

22) Hierher gehören z. B. folgende Analogien. Der helle Klang der Schalmeie soll an das frische, heitere Gelb einer mit Dotterblumen übersäeten Wiese, der Flötenton an das sanfte Himmelblau lauer Sommernächte erinnern, u. s. w. Vergl. NAHLOWSKY, das Gefühlsleben S. 147.

    Für die sinnliche Grundlage der ästhetischen Wirkung sind die Analogien der Empfindung von der höchsten Bedeutung. Auf ihnen beruht die Möglichkeit mit Tönen zu malen und in Farben zu sprechen. Vor allem aber bieten sie durch die Vereinigung mehrerer Empfindungen von entsprechendem Gefühlston das wirksamste Mittel zur Verstärkung der Stimmung.
    Das sinnliche Gefühl ist ein weit mehr veränderlicher Bestandteil der Empfindung als Intensität und Qualität. Dies folgt notwendig aus den Verhältnissen seines Ursprungs, aus der Beziehung der Empfindung zum Bewußtsein, welche in jedem Gefühl sich ausprägt. Hierdurch ist es von dem mannigfachen Wechsel der Zustände des Bewußtseins, sowie von der Entwicklungsstufe des letzteren unmittelbar beeinflußt. Eine Folge dieser Abhängigkeit haben wir schon in den Assoziationen kennen gelernt, deren Wirksamkeit unmittelbar durch die Erinnerungen des individuellen Bewußtseins bedingt ist. Eine weitere Folge äußert sich in der Rückwirkung, welche die Ausbildung des Selbstbewußtseins auf das Gefühl hat. Wir haben keinen Grund, anzunehmen, daß für den ursprünglichen Zustand des Bewußtseins zwischen den Empfindungen der verschiedenen Sinne irgend ein Unterschied existiere, wodurch an und für sich bestimmten Empfindungen ein lebhafterer Gefühlston innewohnte als andern. Nachdem sich aber das Ich nebst dem ihm zugehörigen Körper von der Außenwelt unterschieden hat, wird notwendig den Empfindungen der verschiedenen Sinnesgebiete ein sehr verschiedener Wert beigelegt, je nachdem sie auf von außen einwirkende Reize oder aber auf solche Erregungen bezogen werden, die innerhalb des eigenen Körpers entstehen. Bei den ersteren, den Gesichts- und Gehörsempfindungen, nimmt, so lange sie von mäßiger Stärke sind, auch der Gefühlston einen objektiveren Charakter an: die Stimmungen des eigenen Selbst werden in die äußeren Vorstellungen, deren Bestandteile die Empfindungen bilden, hinüberversetzt, und auf diese Weise werden die Empfindungen zu Elementen der ästhetischen Wirkung. Unter beiden Sinnen ist aber das Gesicht wieder in eminenterem Grade objektiv als das Gehör, bei dem das Bewußtsein ebensowohl die Gefühlstöne auf äußere Vorstellungen beziehen als zum Ausdruck seiner eigenen inneren Zustände oder auch der Rückwirkung des Innern auf äußere Vorstellungen benutzen kann.
    Diesen Empfindungen der objektiven Sinne stehen jene gegenüber, die, weil sie von inneren, in den Organen des Körpers durch physiologische oder pathologische Prozesse entstehenden Reizen herrühren, stets auf einen subjektiven Zustand hindeuten. Sie sind es, die das sogenannte Gemeingefühl zusammensetzen. Ihrer Qualität nach sind sie weit einförmiger als die Empfindungen der objektiven Sinne, so daß ihr Gefühlston sich nur zwischen den von der Stärke der Empfindungen abhängigen Gegensätzen der Lust und Unlust bewegt. Durch die unmittelbare Beziehung auf das eigene Selbst gewinnen aber diese Gefühle eine besondere Lebendigkeit. So hängt denn unser Wohl- oder Übelbefinden, die Frische oder Schwerfälligkeit unserer Stimmung wesentlich von solchen subjektiven Empfindungen ab, an denen der Gefühlston von so überwiegender Bedeutung wird, daß wir was an ihnen reine Empfindung ist vollkommen zu übersehen pflegen. Ebendeshalb hat man häufig eine spezifische Verschiedenheit zwischen ihnen und den höheren Sinnesempfindungen angenommen, indem man hinwiederum an den letzteren den Gefühlston übersah und auf solche Weise die Gemeinempfindungen als sinnliche Gefühle den reinen Empfindungen gegenüberstellte. Aber jedem Gemeingefühl liegt eine Empfindung zu Grunde, an der, wenn man von der Beziehung auf das Bewußtsein abstrahiert, ebenfalls lediglich Qualität und Intensität zu unterscheiden bleiben. Außerdem gibt es Empfindungen, welche eine mittlere Stellung einnehmen, die Tast-, die Geruchs- und Geschmacksempfindungen. Bei ihnen ist der Reiz ein äußerer, und sie werden deshalb im allgemeinen auf äußere Vorstellungen bezogen. Aber gleichzeitig bedingt der Reiz eine so unmittelbare Affektion des eigenen Körpers, daß der Gefühlston subjektiv bleibt, daher denn Tast-, Geruchs- und Geschmacksempfindungen zur Färbung unseres Gemeingefühls wesentlich beitragen. Von inneren Organen sind es besonders die Muskeln, deren Empfindungen bei der Kontraktion sowie bei der Ermüdung das Gemeingefühl mitbestimmen. Ihnen gesellen sich sehr schwache und darum meist unserer Aufmerksamkeit entgehende Empfindungen anderer innerer Organe bei. Sie drängen sich erst dann dem Bewußtsein auf, wenn sie zum Schmerze sich steigern oder demselben nahe kommen. Hier geben sich dann in den verschiedenen Färbungen des Schmerzes, dem brennenden der Schleimhäute, dem stechenden der serösen Membranen, dem bohrenden der Knochen u. s. w., Verschiedenheiten in der Empfindungsqualität der Organe zu erkennen, die aber alle vor dem hohen Unlustwert des in seinen höchsten Graden immer mehr der Gleichheit sich nähernden Schmerzes zurücktreten. Sobald diese Steigerung der Empfindung zum Schmerze eintritt, erlischt dann auch bei den höheren Sinnen die Beziehung auf einen äußeren Gegenstand, indem sich die subjektive Störung in den Vordergrund drängt. Der Schmerz aller Organe ist daher ein Bestandteil des Gemeingefühls.
    Alle jene Gefühle, welche zum Gemeingefühl vereinigt auf unsern eigenen Zustand bezogen werden, bilden in dem Selbstbewußtsein einen mehr oder minder deutlichen Hintergrund der Stimmung. Von ihnen hängt es hauptsächlich ab, ob Spannkraft, ruhige Sicherheit, oder ob Schlaffheit, unruhige Beweglichkeit in unserm geistigen Sein vorherrschen, und die durchschnittliche Bestimmtheit jener Gefühle bildet einen Hauptfaktor für die Disposition der Temperamente. Man hat wegen dieser innigen Beziehung der Gemeingefühle zu unserm subjektiven Sein und Befinden die sinnlichen Gefühle überhaupt als die subjektive Seite der Empfindungen aufgefaßt und sie so der Intensität und Qualität als den objektiven Bestimmungen derselben gegenübergestellt23). Dieser Gegensatz kann aber unmöglich ein ursprünglicher sein, da das Selbstbewußtsein, welches erst jene Unterscheidung vollzieht, aller psychologischen Beobachtung zufolge ein Gewordenes ist. Man müßte also annehmen, das Gefühl sei ebenfalls nichts ursprüngliches sondern mit dem Selbstbewußtsein entstanden. Aber dem widerstreitet einerseits die Tatsache, daß Mensch und Tier in noch unentwickelten Zuständen unverkennbare Gefühlsäußerungen wahrnehmen lassen, und daß mit steigendem Selbstbewußtsein die Lebhaftigkeit solcher Äußerungen nicht zu- sondern eher abnimmt; anderseits die Beobachtung, daß die Entwicklung des Selbstbewußtseins sogar wesentlich durch sinnliche Gefühle bestimmt und gefördert wird24). Wenn aber diese bei der Bildung des ersteren schon eine Rolle spielen, so können sie nicht erst durch dasselbe entstanden sein. Jene Bezeichnung der Gefühle als subjektiver Zustände trifft daher, wenn sie auch für manche Gefühle richtig ist, falls wir das entwickelte Selbstbewußtsein zum Maßstabe nehmen, doch nicht den entscheidenden Punkt in Bezug auf das Gefühl überhaupt, wogegen die Auffassung des letzteren als Beziehung der Empfindung zum Bewußtsein auch unmittelbar die Subjektivität vieler Gefühle in sich schließt. Denn sobald einmal die Unterscheidung des eigenen Selbst von der Außenwelt sich vollzogen hat, so muß nun auch bei allen Empfindungen, die in inneren Reizen ihren Grund haben, oder bei denen, wie bei den Tast-, Geruchs- und Geschmacksempfindungen, die Zustandsänderung der Sinnesorgane in den Vordergrund tritt, dem Gefühlston eine subjektive Beziehung beigelegt werden. Endlich erklärt unsere Auffassung diese subjektiven und jene objektiveren Gefühle, welche zu Elementen der ästhetischen Wirkung werden, von einem und demselben Prinzip aus. Die Unterschiede beider ergeben sich mit Notwendigkeit teils aus den eigentümlichen Verschiedenheiten der Empfindungen teils aus der Entwicklung des Bewußtseins.

23) GEORGE, Lehrbuch der Psychologie. Berlin 1884. S. 70.
24) Siehe Kap. XVIII.

    Für die richtige Auffassung des Gefühls ist es offenbar bedeutungsvoll, daß sich dasselbe stets zwischen Gegensätzen bewegt. Für eine große Zahl von Gefühlen, nämlich für alle diejenigen, denen später eine vorzugsweise subjektive Bedeutung beigelegt wird, sind dies die Kontraste der Lust und der Unlust. Bei jenen mehr objektiven Gefühlen aber, welche die einfachsten Bestandteile ästhetischer Wirkung bilden, sind es andere Gegensätze, die wir im allgemeinen nur durch die komplizierteren Stimmungen, denen sie zu Grunde liegen, bezeichnen können, und die nur in eine entfernte Analogie mit den Lust- und Unlustgefühlen zu bringen sind. Die Lust existiert überhaupt nur im Kontraste zur Unlust, die Unlust nur im Kontraste zur Lust. Eben hiermit hängt die Abhängigkeit der sinnlichen Gefühle von der Zeitdauer der Empfindungen zusammen. Je rascher die Gefühle wechseln, um so mehr müssen sie durch ihren Kontrast sich heben. Ein einziges nie veränderliches Gefühl würde aufhören Gefühl zu sein. Demnach ist es eine ursprüngliche Eigentümlichkeit des Bewußtseins, durch seine Empfindungen und überhaupt durch seine inneren Zustände in einer Weisebestimmt zu werden, die sich zwischen Gegensätzen bewegt. So sehen wir denn mit aller weitern Nachfrage nach dem Ursprung der Gefühle auf diese ursprüngliche Eigenschaft des Bewußtseins uns hingewiesen.
    In unserm Bewußtsein ist ein fortwährender Wechsel. Die Vorstellungen, die seinen Inhalt ausmachen, kommen und gehen. Diese Bewegung beruht auf Ursachen, bei denen die in jedem Augenblick durch äußere Reize oder auch durch Reproduktion erweckten Empfindungen und Vorstellungen mitwirken. Durch diese werden, wie wir uns ausdrücken, entweder gegenwärtige Empfindungen und Vorstellungen aus dem Bewußtsein verdrängt oder frühere in das Bewußtsein gehoben. Die Beziehung einer Empfindung zum Bewußtsein kann nun allein in der Wirkung bestehen, welche dieselbe auf jene Grundphänomene des Bewußtseins, die Verdrängung und die Hebung der demselben verfügbaren Empfindungen und Vorstellungen, ausübt. Verdrängung und Hebung sind aber entgegengesetzte Zustände. Besteht der Gefühlston einer Empfindung in der verdrängenden oder hebenden Wirkung, welche sie auf das Bewußtsein äußert, so muß sich derselbe notwendig zwischen Gegensätzen bewegen. Die Verdrängung wird dem Gefühl der Unlust oder den ihm analogen objektiven Gefühlen, wie der Stimmung des Ernstes, der Würde u. s. w. zu Grunde liegen, die Hebung dem Gefühl der Lust oder den analogen objektiven Gefühlen der Heiterkeit, des Scherzes u. dgl. Dem Gleichgewicht zwischen Verdrängung und Hebung aber wird der Indifferenzpunkt der Gleichgültigkeit entsprechen. In der Tat zeigt die Beobachtung, daß der Schmerz und jedes Unlustgefühl seine nächste Beziehung zum Bewußtsein darin äußert, daß sich die zu Grunde liegende Empfindung möglichst allein zum Bewußtsein drängt, d. h. andere Empfindungen und Vorstellungen aus demselben verdrängt. Umgekehrt ist ein Lustgefühl durchweg mit mäßigen Empfindungen verbunden, welche andern Empfindungen, die sich dem Bewußtsein darbieten, nicht störend im Wege stehen, daher auch leicht solche nach den Gesetzen der Reproduktion in das Bewußtsein heben. Doch ist das Motiv zum Unlustgefühl offenbar ein unmittelbareres, daher schon kant sehr richtig bemerkt, daß jedem Vergnügen der Schmerz vorangehen müsse25).

25) KANT'S Anthropologie. Werke Bd. 7, 2. S. 145.

    Auf eine ähnliche Begründung führen die objektiven Gefühle zurück. Das Schwarz als der Mangel des Lichts hemmt alle Lichtempfindungen. Die Stimmung, der es entspricht, ist daher dem Unlustgefühle verwandt. In der Empfindung an und für sich liegt für solche Verwandtschaft gar kein Grund; erst die Beziehung zum Bewußtsein als dem Herd des Vorstellungswechsels stellt die Analogie her. Bei den Klängen liegt hinwiederum die der ernsteren Stimmung zugewandte Wirkung der tiefen Töne wahrscheinlich teils in ihrer für die Auffassung unseres Ohres notwendigen langsameren Bewegung, teils in der bedeutenden Stärke, zu welcher bei ihnen die Erregung gesteigert werden kann. Es ist begreiflich, daß bei den Gehörsempfindungen, welche in so wichtiger Beziehung zur Zeitauffassung stehen, gerade auch die zeitliche Dauer wesentlich bestimmend für die Gefühlsbetonung wird. Der langsame oder rasche Wechsel der Empfindungen ist aber hier weniger selbst Verdrängung oder Hebung der Vorstellungen als eine Nachbildung dieser Innern Bewegung. So kommt es, daß die Tonwelt das hauptsächlichste Mittel wird, nicht sowohl unsere inneren Gefühle durch äußere Anregungen zu erwecken, wie es die Welt der Farben in den bildenden Künsten tut, als vielmehr jene Gefühle in ihrem eigenen inneren Sein zu schildern. Daneben kommt wohl auch der insgemein bedeutenden Stärke der tiefen Klänge eine Bedeutung zu, da wir den tiefen Tönen ihren Charakter des Ernstes und der Würde nur bei hinreichend imponierender Klangstärke beilegen; im entgegengesetzten Fall wird der Klang dumpf und erregt eine mehr zwiespaltige Stimmung. Die Stärke des Klangs wirkt aber direkt verdrängend und begründet so wieder eine unmittelbare Verwandtschaft mit der Unlustempfindung. Bei dissonierenden Zusammenklängen wird endlich die Auffassung der Klänge unmittelbar dadurch gestört, daß in Folge der Schwebungen die Töne sich wechselseitig fortwährend verdrängen. Alle diese Beziehungen der Empfindungen je nach ihrer Intensität und Qualität zur Verdrängung oder Hebung anderer Empfindungen und Vorstellungen sind unmittelbar im Bewußtsein enthalten und machen daher keinerlei Annahme von Zwischenprozessen erforderlich, welche die Entstehung des Gefühls erst erklären sollen. Alles was man sonst in das Gefühl als ursprünglich gelegt hat, wie das Bewußtsein von der Hemmung oder Förderung unseres Befindens, das Maß für die Nützlichkeit oder die Gefahr der äußeren Reize, ist sekundärer Art und beruht auf nachträglicher Reflexion. Es soll damit nicht geleugnet werden, daß die letztere, indem sie naturgemäß in dem entwickelten Bewußtsein sich vollzieht, namentlich den subjektiven Gefühlen vielleicht einen Teil ihrer Lebhaftigkeit verleiht, insbesondere aber deren Rückwirkung auf die ganze psychische Stimmung bedingt.

Die Lehre vom Gefühl hat stets eines der dunkelsten Kapitel der Psychologie gebildet. Obgleich wir uns hier zunächst nur mit dem sinnlichen Gefühl beschäftigen, so hängen doch die Ansichten über das letztere so innig mit dem allgemeinen Begriff des Gefühls zusammen, daß es gerechtfertigt sein wird, an dieser Stelle die wichtigsten Theorien über die Natur der Gefühle kurz zu besprechen. Wir können im allgemeinen drei Theorien unterscheiden, zwischen denen aber natürlich mannigfache Vermittelungen und Übergänge vorkommen.
    Nach der ersten Hauptansicht ist das Gefühl eine besondere Betätigung der Erkenntniskraft. Diese Ansicht ist vielleicht die ursprünglichste. Der Aristotelische Vergleich der Lust und des Schmerzes mit Bejahung und Verneinung, die Versuche der Stoiker, den Affekt auf den Glauben an ein zukünftiges oder gegenwärtiges Glück oder Übel zurückzuführen, weisen auf sie hin. In der neueren Zeit hat dieselbe einerseits in dem Empirismus LOCKE'S und seiner Nachfolger, anderseits in der LEIBNIZ'schen Philosophie ihre hauptsächlichste Vertretung gefunden. Nach Locke26) sind Lust und Schmerz einfache Vorstellungen, welche sich auf die verschiedenen Zustände der Seele beziehen: die letztere ist z. B. freudig gestimmt, wenn sie weiß, daß der Besitz eines Gutes erreicht oder dessen baldige Erreichung gesichert ist, traurig, wenn sie an den Verlust eines Gutes denkt, u. s. w. Die englischen Psychologen, wie james Mill27), Herbert Spencer28), Alexander BAIN29), unter denen namentlich der letztere eine von feiner Beobachtungsgabe zeugende Naturgeschichte der Gefühle geliefert hat, vertreten im allgemeinen noch gegenwärtig den lockeschen Standpunkt. leibniz brachte das Gefühl mit seinen Versuchen den Begriff des unendlich Kleinen in die Philosophie einzuführen in Beziehung. Durch unendlich kleine Schmerzempfindungen, sagt er, genießen wir den Vorteil des Übels ohne seine Beschwerden: der fortwährende Sieg über dieselben verschafft uns endlich eine volle Lustempfindung; dieser Ursprung aus unendlich kleinen Vorstellungen erklärt es zugleich, daß Lust und Unlust zu den dunkeln Vorstellungen gehören30). An diese Gedanken hat offenbar auch hegel angeknüpft, indem er das Gefühl eine dunkle Erkenntnis nannte31). In Wolff's scholastischem Lehrgebäude ging der originelle Ausdruck, welchen leibniz der erkenntnis-theoretischen Auffassung des Gefühls gegeben hatte, wieder verloren. Die Lust wurde von wolff einfach als die intuitive Erkenntnis irgend einer wahren oder eingebildeten Vollkommenheit, die Unlust als das Gegenteil davon definiert32), und hierauf war denn auch seine Begriffsbestimmung der Affekte gegründet33). Diese Vorstellungen blieben in der WOLFF'schen Schule maßgebend, bis kant dem Gefühlsvermögen eine selbständige Stellung anwies, wodurch in den auf ihn gefolgten psychologischen Darstellungen diejenige Auffassung die herrschende wurde, die wir unten als die dritte werden kennen lernen. Nichts desto weniger beeinflußt die erkenntnistheoretische Ansicht zum Teil auch noch die späteren Darstellungen. So liegt schon, wenn kant selbst das Vergnügen ein Gefühl der Beförderung, den Schmerz das eines Hindernisses des Lebens nennt34), der Gedanke an eine dunkle Erkenntnis nahe, da wir eben von der Tatsache, ob das Leben gefördert oder gehemmt werde, nur durch Erkenntnis etwas wissen können, und deutlicher noch ist diese Wendung vollzogen, wenn z. B. LOTZE die KANT'sche Definition so modifiziert, daß er das Gefühl auf eine unbewußte Beurteilung der geförderten oder gestörten Harmonie der Lebensfunktionen bezieht35). Hiermit verwandt ist die namentlich bei physiologischen Schriftstellern verbreitete Ansicht, nach welcher das Gefühl eine Art des Empfindens oder Vorstellens sein soll, die teils von der Beschaffenheit der Reize teils von der Verbreitungsform der Nerven herrühre, und die sich daher nur gewissen Empfindungen und Vorstellungen anhefte, während andere frei davon bleiben36). Diese Ansicht hat sich augenscheinlich unter dem Einfluß der in der Physiologie herrschenden Lehre vom Gemeingefühl ausgebildet. Das letztere, also das an die Organempfindungen sich knüpfende sinnliche Gefühl, betrachtete man meistens mit E. H. WEBER als die allgemeinste Form des Empfindens, die durch alle mit Empfindungsnerven versehenen Teile vermittelt werde, während nur gewisse Nerven nebenbei zur Erzeugung spezifischer Sinnesempfindungen geschickt seien37). Auch die meisten neueren Physiologen haben sich dieser Auffassung des Gemeingefühls angeschlossen, meistens mit mehr oder weniger deutlichen Anklängen an LEIBNIZens dunkle Perzeptionen, indem das Gemeingefühl bald als ein unmittelbares Bewußtsein unseres eigenen Bewegens und Befindens38), bald als die Summe einer Anzahl kleiner Empfindungen39), bald endlich als ein Kampf unzähliger sich zum Bewußtsein drängender Empfindungen40) geschildert wird. Als eine zum Teil der erkenntnistheoretischen Ansicht zufallende Auffassung muß ich endlich diejenige bezeichnen, die ich selbst früher vertreten habe, nach der das Gefühl überall auf einem unbewußten Schlußverfahren beruhen soll, durch welches die durch Empfindungen oder Vorstellungen hervorgerufene Veränderung unseres inneren Zustandes als eine subjektive bestimmt werde41). Speziell die sinnlichen Gefühle sind hiernach die subjektiven Komplemente der einfachen Empfindungen: was wir an diesen auf äußere Reize beziehen, wird zur objektiven Empfindung, was wir auf eine Veränderung unseres eigenen Zustandes zurückführen, wird zum Gefühl; die ganze Unterscheidung gehört daher erst dem entwickelten Selbstbewußtsein an, für das ursprüngliche Bewußtsein sollen Empfindung und Gefühl untrennbar zusammenfallen. Die Gründe, aus denen mir diese Bindung des Gefühls an das Selbstbewußtsein nicht haltbar scheint, sind oben entwickelt worden; den Ausdruck "unbewußtes Schlußverfahren" kann ich hier, wie bei der Vorstellungsbildung, nur noch als einen Ausdruck der Tatsache gelten lassen, daß das Gefühl in psychologischen Motiven seinen Ursprung hat, eine Tatsache, welche durch die Möglichkeit die Vorgänge in eine logische Form aufzulösen am unmittelbarsten erhellt, wobei jedoch niemals diese logische Form als wirklich identisch mit dem psychologischen Vorgang gesetzt werden darf42). Gegen die erkenntnistheoretische Ansicht überhaupt ist der entscheidende Einwand der, daß sie zuerst die objektive Ursache der Gefühle aufsucht, um dieselbe dann in das ursprüngliche Wesen des Gefühls hineinzulegen. Wenn WOLFF z. B. die Lust eine intuitive Erkenntnis der Vollkommenheit nennt, so hat er zuerst das objektiv Angenehme als das Vollkommene bestimmt, was nebenbei bemerkt die weitere Verwechslung eines sinnlichen und ethischen Begriffs in sich schließt, worauf dann das Gefühl in irgend einer, wenn auch dunkeln, Erkenntnis dieses Begriffs bestehen soll. Dabei ist aber offenbar der wirkliche Vorgang umgekehrt: das Gefühl ist sicherlich etwas viel ursprünglicheres als der Begriff des Angenehmen oder Unangenehmen; es ist wahrscheinlich, daß das Gefühl der erste Wegweiser zur Erfassung dieses Begriffes ist, aber nimmermehr, daß das Gefühl aus dem Begriff hervorgeht. In jenen Modifikationen der erkenntnistheoretischen Ansicht, welche von einer Förderung und Hemmung der Lebensfunktionen u. dgl. reden43), ist diese Umkehr mehr verdeckt, aber sie ist trotzdem vorhanden. Die äußern Reize, aus denen die sinnlichen Gefühle hervorgehen, mögen im einen Fall fördernd, im andern hemmend in die Funktionen eingreifen; aber das Gefühl selbst besteht nicht in dieser Förderung oder Hemmung. Auch diese Definition hat daher nur einen Sinn, wenn man in das Gefühl selbst eine intuitive Erkenntnis der Förderung oder Hemmung verlegt, und das ist wieder dieselbe Verwechslung, als wenn man das Gefühl mit dem Begriff des objektiv Angenehmen oder Unangenehmen, Vollkommenen oder Unvollkommenen identisch setzt.

26) Locke, Untersuchungen über den menschlichen Verstand. Buch II, Kap. 20.
27) Analysis of the phenomena of the human mind. 1829.
28) Principles of the psychology. 2. edit. London 1870.
29) The emotions and the will. 2. edit. London 1865.
30) Leibniz, nouveaux essais. II, 20 § 6. Opera phil. ed. ERDMANN, p. 248.
31) Hegel, Enzyklopädie, III, Werke Bd. VII, 2. S. 165.
32) WOLFF, psychologia empirica §. 511, 518.
33) Ebend. §. 603 sq.
34) KANT, Anthropologie S. 144.

35) Lotze, allgemeine Pathologie S. 187 und Art. "Seele" in WAGNER'S Handwörterb. III, 1 S. 191. Später hat LOTZE diese Rückbeziehung auf einen Actus unbewußter Intelligenz zurückgedrängt und nun einfach das Gefühl selbst als eine Förderung oder Störung durch den Reiz bestimmt, dabei aber ausdrücklich hervorgehoben, daß die Tatsache der Störung oder Förderung nicht im mindesten die Existenz der Gefühle erkläre, sondern daß diese nur auf dem eigensten Wesen der Seele beruhen können. (Med. Psychologie S. 234.) Hiermit ist Lotze vollständig zu der dritten Ansicht übergegangen. Übrigens macht dieser Psycholog rücksichtlich der sinnlichen Gefühle noch die weitere Annahme, daß sie auf einem besonderen gefühlerzeugenden Nervenprozeß beruhen (ebend. S. 247). Die hierfür beigebrachten Erfahrungsgründe (S. 250 f.) erklären sich aber jetzt großenteils aus den im vorigen Abschnitt (S. 118) besprochenen Erscheinungen der Analgesie.

36) Domrich, die psychischen Zustände. Jena 1849. S. 163. Hagen, psychologische Untersuchungen. Braunschweig 1847 S. 59. Auch die Ansichten von A. Bain über die Gefühle sind diesen am nächsten verwandt.

37) E. H. Weber, Tastsinn und Gemeingefühl, Handwörterb. d. Physiol. III, 2. S. 562. J. Müller, der alle Gemeingefühle mit dem Gefühlssinn der Haut vereinigte, vertritt somit im wesentlichen dieselbe Anschauung. (Handbuch der Physiologie II. Koblenz 1840. S. 275.)

38) GEORGE, die fünf Sinne. Berlin 1846, S. 44 f. und Lehrbuch der Psychologie. Berlin 1854, S. 231. Verwandt ist TRENDELENBURG'S Lehre vom unmittelbaren Bewußtsein der Muskelbewegungen (Logische Untersuchungen 2te Aufl. I, S. 235 f.).

39) Lotze, medizinische Psychologie S. 281.
40) Waitz, Grundlegung der Psychologie. Hamburg und Gotha 1846. S. 64, und Lehrbuch der Psychologie. Braunschweig 1849. §. 9 und 10.
41) Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele. Bd. 2.
42) Vergl. Kap. XVIII und oben Kap. IX.
43) Hagen, WAGNER'S Handwörterbuch der Physiologie II, S. 746. ULRICI, Leib und Seele. Leipzig 1866. S. 448.

    Nach der zweiten Hauptansicht ist das Gefühl weder Empfindung noch Vorstellung noch eine aus Empfindungen und Vorstellungen geschöpfte Erkenntnis, sondern es beruht stets auf einer Wechselwirkung der Vorstellungen. Bezeichnet man mit HERBART die Empfindungen als elementare Vorstellungen, so entspringen demnach die Gefühle nicht aus den Vorstellungen selbst sondern aus dem Verhältnis der Vorstellungen zu einander. Auch die Keime zu dieser Ansicht sind wohl uralt, indem gewisse ästhetische Gefühle, wie z. B. diejenigen, welche an die Tonintervalle geknüpft sind, längst auf ein Verhältnis der Einzelvorstellungen zu einander zurückgeführt wurden44). Auf alle Formen des Gefühls hat aber erst HERBART45) diese Theorie ausgedehnt. Er unterscheidet Gefühle, die an die Beschaffenheit des Gefühlten geknüpft sind, von solchen, die von der Gemütslage abhängen. Zu den ersteren rechnet er die ästhetischen und die sinnlichen Gefühle, welche beide darauf beruhen sollen, daß sie sich aus Partialvorstellungen zusammensetzen, die aber nur bei den ästhetischen Gefühlen sich deutlich im Bewußtsein von einander sondern lassen, während sie bei den sinnlichen Gefühlen ungesondert verbleiben. Aus der Gemütslage dagegen entspringen die Affekte46). Indem HERBART einerseits den Einfluß, welchen die Bewegung der Vorstellungen im Bewußtsein auf die Gemütsstimmung ausübt, und anderseits die Bedeutung, die bei der ästhetischen Wirkung gewissen Verhältnissen der Vorstellungen zueinander zukommt, hervorhob, hat er auf eine Seite der Gefühlsbedingungen hingewiesen, welche in den bisherigen Theorien nicht gehörig beachtet war. Aber seine eigene Theorie mußte nicht minder einseitig werden, da er dieses Moment zum einzigen Angelpunkt der Gefühle machte. Dies gab sich auf doppelte Weise zu erkennen: erstens in der ungenügenden Erklärung zahlreicher Gefühlszustände. Von den Affekten behauptet Herbart, sie seien bloß von der gegenseitigen Förderung oder Hemmung der Vorstellungen abhängig, nicht vom Inhalt des Vorgestellten. Eine unbefangene Beobachtung wird aber niemals zugeben, daß Freude und Trauer, Hoffnung und Furcht bloß formale Gefühle seien, bei denen der qualitative Inhalt unserer Vorstellungen nicht in Betracht komme. Bei den sinnlichen Gefühlen vollends hat herbart die Entstehung aus einem Verhältnis von Partialvorstellungen willkürlich angenommen und sich mit der Behauptung, dieses Verhältnis entziehe sich dem Bewußtsein, auf bequeme Art der näheren Nachweisung entzogen. In letzterer Beziehung sind daher auch nicht alle Jünger herbart's dem Meister treu geblieben, sondern einige Psychologen seiner Schule haben das sinnliche Gefühl als "Ton der Empfindung" völlig mit der Empfindung verschmolzen und von den eigentlichen Gefühlen getrennt47). Verwandt mit der Ansicht herbart's ist die Beneke's, nach welcher das Gefühl in dem unmittelbaren Sich-gegen-einander-messen der Seelentätigkeiten bestehen soll. Auch hier wird das Gefühl von dem Inhalte der Empfindungen und Vorstellungen unterschieden und auf das Verhältnis derselben zu einander bezogen48). Beiden Theorien liegt die richtige Einsicht zu Grunde, daß die einzelne Empfindung und Vorstellung, insofern sie durch ihren Inhalt eine bestimmte Erkenntnis vermittelt, kein Motiv für ein Gefühl mit sich bringt, sie suchen daher dieses auf das äußere Verhältnis der Vorstellungen zu einander zurückzuführen. Aber warum dieses Verhältnis als Lust und Unlust oder in den verschiedenen Gegensätzen der ästhetischen Gefühle von uns aufgefaßt werden müsse, dies wird nicht im geringsten klar. In der eigentümlichen Form dieser Gegensätze liegt vielmehr die bestimmte Hindeutung, daß zu dem objektiven Faktor der Vorstellungen und ihrer Wechselwirkung ein zweiter, subjektiver Faktor hinzutreten müsse, mit andern Worten, daß nicht das Verhältnis der Vorstellungen unter sich, sondern ihre Beziehung zu dem gemeinsamen Schauplatz aller Empfindungen und Vorstellungen, zum Bewußtsein, erst das Gefühl begründet. Hier hängt die Schwäche der HERBART'schen Theorie unmittelbar mit seiner mangelhaften Auffassung des Bewußtseins zusammen, auf die wir später (in Kap. XVIII) zurückkommen werden.

44) Aristoteles de anima III, 2,
45) Lehrbuch zur Psychologie und Psychologie als Wissenschaft. HERBART'S Werke, Bd. 5 und 6.
46) A. a. O. VI S. 110. Vgl. außerdem V S. 369, 378, 394, 438.
47) W. F. Volkmann, Grundriß der Psychologie. Halle 1856. S. 55. NAHLOWSKY, das Gefühlsleben S. 27
48) Beneke, psychologische Skizzen I. Göttingen 1825. S. 31. Lehrbuch der Psychologie. 3te Aufl. Berlin 1861. S. 170.

    Von der Einsicht in die Wichtigkeit jenes subjektiven Faktors für das Gefühl wird nun die dritte Hauptansicht wesentlich getragen. Sie drückt dies so aus, daß sie das Gefühl als den Zustand bezeichnet, in welchen die Seele durch ihre Empfindungen und Vorstellungen versetzt werde. Das Gefühl ist ihr daher die subjektive Ergänzung der objektiven Empfindungen und Vorstellungen. Sobald in dem Gefühl nicht bloß ein Zustand der Seele sondern zugleich die Auffassung dieses Zustandes als eines subjektiven gesehen wird, so liegt darin außerdem eine Verbindung mit der ersten Hauptansicht, da eine solche Auffassung immer eine, wenn auch dunkle, Erkenntnis voraussetzt; das Gefühl ist dann nur im entwickelten Selbstbewußtsein möglich. Auch die Grundlagen zu dieser Theorie finden sich schon bei plato und aristoteles; aber in der älteren Psychologie vermengt sie sich fortwährend mit der erkenntnistheoretischen Ansicht. kant, der in seiner Kritik die objektiven und subjektiven Elemente des Erkennens schärfer als früher zu sondern versuchte, hat denn auch die rein subjektive Bedeutung des Gefühls entschiedener betont, und seine Auffassung ist bei den nicht zur HERBART'schen Schule gehörigen Psychologen, darunter auch bei einzelnen, die ihr sonst nahe stehen, zur herrschenden geworden. Aber diese Theorie greift auf die metaphysische Substanz der Seele bei einem Punkt der Untersuchung zurück, wo hierzu weder der Anlaß geboten noch auch wegen der sonstigen Vorbedingungen für die Bestimmung jenes Begriffs schon Raum ist. Will man sich nun auf das beschränken was erfahrungsmäßig dem subjektiven Bestimmtsein durch die objektiven Empfindungen und Vorstellungen zu Grunde liegt, so bleibt wieder nur das Selbstbewußtsein. Darnach würde das Gefühl als diejenige Seite der Vorstellung zu definieren sein, welche das Selbstbewußtsein auf den eigenen Zustand des vorstellenden Subjekts bezieht. Da in solcher Beziehung ein Erkenntnisakt liegt, so wird nach dieser Anschauung das Gefühl zugleich Produkt einer dunkeln oder unbewußten Erkenntnis49). Aber dem widerstreitet, wie schon oben bemerkt, daß das Gefühl zu den ursprünglichsten innern Erfahrungen gehört, während das Selbstbewußtsein verhältnismäßig spät sich entwickelt, und wohl mit Recht hat neuerdings A. HORWICZ hervorgehoben, daß im Gegenteil das Gefühl auf die Ausbildung des Bewußtseins höchst wahrscheinlich von bestimmendem Einflusse ist50). Doch die Tatsache bleibt bestehen, daß, nachdem sich das Selbstbewußtsein entwickelt hat, den Gefühlen jene subjektive Beziehung innewohnt. So sehen wir uns denn auf die Grundlage des Selbstbewußtseins, das heißt auf das ursprüngliche Allgemeinbewußtsein hingewiesen, aus welchem, indem die Empfindungen und Vorstellungen zu ihm in Beziehung treten, das Gefühl entspringt. Dies führt unmittelbar zu derjenigen Auffassung über die Natur der Gefühle, welche in der obigen Darstellung entwickelt worden ist.

49) Die hier angedeutete Modifikation der dritten Hauptansicht ist es, die ich in meinen "Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele" der Erörterung der Gefühle zu Grunde gelegt habe.
50) A. Horwicz, psychologische Analysen auf physiologischer Grundlage, Halle 1872. S. 231 f.