Achtes Kapitel.

Intensität der Empfindung.

Daß die Intensität der Empfindung mit der Stärke der Reizbewegung zu- und abnimmt, ist in allen Sinnesgebieten ein aus der alltäglichen Erfahrung geläufiger Satz. Wenn die schall- oder lichterzeugende Bewegung oder die Masse, die auf unsere Haut drückt, vermehrt wird, sehen wir regelmäßig auch unsere Empfindung wachsen. Diese selbst ist daher das natürliche Maß für die Intensität der äußern bewegenden Kräfte, welches ursprünglich von dem Vorgang, den es messen soll, gar nicht unterschieden wird. So hat sich denn auch lange Zeit die Annahme als eine selbstverständliche erhalten, daß die Stärke der Empfindung genau der Stärke des Reizes entspreche, oder daß mit andern Worten zwischen beiden das einfachste Gesetz wechselseitiger Beziehung, das der Proportionalität, bestehe1). Dennoch macht eine nahe liegende Erwägung alsbald begreiflich, daß diese einfachste Beziehung zwischen Empfindung und Reiz, wenn sie überhaupt existieren sollte, nur zwischen gewissen Grenzen möglich wäre. Die unmittelbare Erfahrung lehrt nämlich, daß es einerseits eine untere Grenze gibt, diesseits welcher die Reizbewegung zu schwach ist, um eine merkliche Empfindung zu verursachen, und daß anderseits eine obere Grenze existiert, über die hinaus eine Steigerung der Reizstärke die Intensität der Empfindung nicht mehr weiter zunehmen läßt. Man bezeichnet jene erste Grenze als die Reizschwelle, die zweite wollen wir die Reizhöhe nennen2). Die Tatsachen der Reizschwelle und der Reizhöhe bedeuten somit, daß die Empfindung nicht bei einem unendlich kleinen, sondern erst bei einem endlichen Wert der Reizstarke, dem Schwellenwert des Reizes, beginnt, und daß sie nicht bis zu einem unendlich großen Wert gesteigert werden kann, sondern bereits bei einer gewissen endlichen Maximalstärke, dem Höhenwert des Reizes, zu wachsen aufhört. Sollte sich demnach die Empfindung proportional dem Reize verändern, so wäre solches jedenfalls nur zwischen diesen beiden Grenzwerten möglich.

1) Es ist bezeichnend, daß noch derjenige Philosoph, der den Gedanken der psychischen Messung zuerst zur Ausführung zu bringen suchte, herbart, jene Annahme als eine selbstverständliche ansieht, indem er die Behauptung von fries, für die intensiven Größen des geistigen Lebens könne keine Einheit gegeben werden, mit den Worten zurückweist: "In der Region, wo die Fundamente der Psychologie liegen .... wird man ganz einfach sagen, daß zwei Lichter doppelt so stark leuchten als eins, daß drei Saiten auf einer Taste dreimal so stark tönen als eine" u, s. w. Werke Bd. 7. S. 358.

2) Der metaphorische Ausdruck Schwelle rührt von Herbart her. Er nannte diejenige Grenze, welche die Vorstellungen bei ihrem Bewußtwerden zu überschreiten scheinen, die Schwelle des Bewußtseins. (Psychologie als Wissenschaft, Werke Bd. 5, S. 541.) Von FECHNER wurde dieser Ausdruck auf das Empfindungsmaß übertragen. (Elemente der Psychophysik I, S. 238.) Es scheint mir angemessen für den der Schwelle gegenüberstehenden maximalen Grenzwert ebenfalls eine kurze Bezeichnung einzuführen, wofür ich den Ausdruck Reizhöhe vorschlage.

Die Reizschwelle und Reizhöhe können von den physischen Organisationsverhältnissen abhängen, oder auf einem Grundgesetz der Empfindung beruhen, also psychologischen Ursprungs sein, oder sie können endlich in beiden Bedingungen ihren Grund haben. In der Tat gilt für das Verhältnis der Vorgänge in den Nervenelementen zu den sie verursachenden Reizen ebenfalls das Gesetz, daß eine Veränderung jener Vorgänge oder, wie wir dieselben allgemein bezeichnen wollen, des Nervenprozesses mit der Veränderung der äußeren Reizbewegung nur zwischen gewissen endlichen Grenzwerten stattfindet, die wir den physischenSchwellenwert und den physischen Höhenwert des Reizes nennen können3). Die Bewegungsvorgänge in den Nerven besitzen nämlich eine gewisse Trägheit, vermöge deren sie erst in Gang kommen, wenn der verursachende Reiz eine gewisse Stärke erreicht hat. Anderseits aber ist der Kraftvorrat der Nervenelemente ein begrenzter; bei einer gewissen Stärke wird also der Reiz alle überhaupt disponibeln Kräfte auslösen, so daß darüber hinaus der Nervenprozeß nicht mehr gesteigert werden kann. Es fragt sich daher, ob der psychische Schwellen- und Höhenwert des Reizes mit dem physischen zusammenfällt, oder ob er davon verschieden ist. Diese Erwägung führt unmittelbar auf eine wichtige Vorfrage. Es ist nämlich klar, daß es fruchtlos sein würde nach der gesetzlichen Beziehung zwischen Empfindung und Reiz zu suchen, ohne gleichzeitig der Beziehung zwischen dem Reiz und dem Nervenprozess einigermaßen gewiß zu sein. Denn was die Empfindung in uns erregt, ist schlechterdings nur der Nervenprozeß. Wollen wir die Beziehung zwischen der Stärke der Empfindung und der sie verursachenden Bewegung feststellen, so müssen wir für letztere den Nervenprozeß setzen, dem der Reizvorgang erst substituiert werden kann, sobald die Abhängigkeit zwischen beiden bekannt ist. Im entgegengesetzten Fall würde die Bedeutung des aufgefundenen Gesetzes zweifelhaft, bleiben, da man dahingestellt lassen müßte, ob dasselbe zwischen Reiz und Nervenprozeß oder zwischen diesem und der Empfindung gültig, oder aber ob es eine komplexe Funktion sei, welche erst in ihre einfacheren Bestandteile aufzulösen wäre. Das letztere ist natürlich der im allgemeinen wirklich stattfindende Fall. Doch wird von demselben dann abstrahiert werden können, wenn das eine jener Teilgesetze die einfache Proportionalität bedeuten sollte, weil unter dieser Voraussetzung die Form der Funktion dieselbe bleibt, und nur die speziellen Konstanten sich ändern.

3) FECHNER hat den physiologischen Vorgang in den Nerven- und Sinneselementen, der zwischen dem äußeren Reiz und der Empfindung in der Mitte liegt, die psycho-physische Bewegung genannt. (Elemente der Psychophysik l, S. 10.) Da aber diese Bezeichnung Mißdeutungen zuläßt, so ziehen wir den Ausdruck Nervenprozeß vor, bei dem man sich übrigens gegenwärtig halten muß, daß die betreffenden Vorgänge nicht allein in den eigentlichen Nerven, sondern auch in den mit denselben zusammenhängenden peripherischen und zentralen Endgebilden ihren Sitz haben.

Wir besitzen keine Untersuchung, welche die Frage nach der Beziehung zwischen Reizstärke und Nervenprozeß direkt an den Sinnesnerven zu beantworten sucht; doch gibt es einige auf die motorischen Nerven bezügliche Tatsachen, welche hierher gehören. Reizt man nämlich einen mit seinem Muskel in Verbindung stehenden Bewegungsnerven mit elektrischen Stromstößen von unveränderlicher Dauer, aber wechselnder Intensität, so bemerkt man, daß die Zuckung bei einer gewissen minimalen Stromintensität beginnt und bei einer gewissen maximalen Stromintensität ihre größte Höhe erreicht: zwischen diesen beiden Grenzen wachsen aber, falls man die Stromstöße hinreichend kurz nimmt, um gewisse komplizierte Wirkungen des Stromes auszuschließen, die Zuckungshöhen mindestens in sehr weitem Umfang den Stromstärken proportional4). Eine gewisse Bestätigung gewinnt dieses Resultat durch Versuche über die Ermüdung der motorischen Nerven. Reizt man einen belasteten und unterstützten Muskel in konstanten Zeitintervallen mit maximalen Stromstößen, d. h. mit solchen, die im Anfang Maximalzuckung bewirken, so bilden die in Folge der Ermüdung abnehmenden Zuckungshöhen eine arithmetische Reihe, deren konstante Differenz einzig und allein abhängt von der Größe der Intervalle5). Wie also bei gleich bleibender Leistungsfähigkeit und variabler Reizstärke die Beziehung zwischen dieser und der Leistung durch eine gerade Linie dargestellt werden kann, so läßt sich auch bei gleich bleibender maximaler Reizstärke und variabler Leistungsfähigkeit die Veränderung der letzteren in der Zeit durch eine gerade Linie ausdrücken. Das zweite dieser Gesetze wird zu einem Corollarsatz des ersten, wenn man die durch die Einfachheit der Beziehung zwischen Ermüdung und Reizintervall nahe gelegte Annahme macht, der Wiederersatz der bei der Leistung verloren gegangenen Kräfte erfolge der verflossenen Zeit proportional. Auf den geschwächten Nerven wirkt nämlich der Maximalreiz offenbar ebenso wie auf den leistungsfähigen ein schwächerer Reiz ein. Sobald also bei gleichbleibender Leistungsfähigkeit die Zuckung mit der Reizstärke geradlinig wächst, so muß auch umgekehrt bei gleichbleibender Reizstärke und sinkender Leistungsfähigkeit die Zuckung mit der Zeit geradlinig abnehmen, falls nur wegen Gleichheit der Reizintervalle die Ermüdung eine gleichförmig fortschreitende ist.

4) Fick, Untersuchungen über elektrische Nervenreizung. Braunschweig 1869.

5) Kronecker, Monatsber. der Berliner Akademie. 1870. S. 631. Sitzungsber. der sächs. Gesellsch. 1871 S. 718.

Man kann nun allerdings einwenden, diese Beobachtungen bezögen sich zunächst nur auf den Effekt am Muskel, der Nervenprozeß selbst werde dadurch noch nicht gemessen. In der Tat würde es durchaus untunlich sein, die Muskelleistung den im Nerven durch den Reiz frei werdenden Kräften gleich zu setzen. Vielmehr beweist die allgemeine Mechanik der Reizvorgänge, daß immer nur ein Teil der im motorischen Nerven geleisteten Reizarbeit in Muskelarbeit übergeht6). Insbesondere kommt dies auch beim Schwellen- und Höhenwert des Reizes in Rücksicht. Die Muskelleistung beginnt, wie die Untersuchung der Reizbarkeitsveränderungen des Nerven durch schwache Reize unmittelbar beweist, erst wenn die Stärke des Nervenprozesses einen gewissen endlichen Wert erreicht hat. Ebenso machen es die besonderen Widerstände, welche sich im Muskel seiner mechanischen Energie entgegensetzen, im höchsten Grade wahrscheinlich, daß die Zuckung bereits bei ihrem Maximum anlangt, wo der Nervenprozeß das seinige noch nicht erreicht hat. Aber diese Verhältnisse bedingen auch hier wieder nur, daß die Konstanten der Gleichung, die für die Beziehung zwischen Reiz und Nervenprozeß gültig ist, nicht zu bestimmen sind. Dagegen macht es die große Einfachheit des Gesetzes selbst außerordentlich wahrscheinlich, daß die allgemeine Form desselben die nämliche bleibt, ob wir das Mittelglied des Nervenprozesses einschalten oder nicht. Ist nämlich die Muskelleistung der Reizstärke einfach proportional, so kann nicht bezweifelt werden, daß sich dieses Gesetz aus einer einfachen Proportionalität zwischen Reizstärke und Nervenprozeß und einer eben solchen zwischen Nervenprozeß und Muskelleistung zusammensetzt7).

6) Vgl. Kap. VI.

7) Das Gesetz der Proportionalität wird nämlich ausgedrückt durch eine lineare Gleichung von der Form

1) y = ax + c.
Lassen wir in dieser Gleichung y die Reizstärke und x die Stärke des Nervenprozesses bedeuten, so bezeichnet die Konstante c die Reizstärke füs x = 0, also den Schwellenwert des Reizes, und von a ist die Geschwindigkeit abhangig, mit der y bei wachsendem x zunehmen muß. Die Beziehung zwischen der Stärke des Nervenprozesses und der Muskelzuckung z läßt sich durch eine Gleichung von derselben Form ausdrücken, wobei aber für a und c andere Konstanten zu setzen sind, als
2) x = a' z + c'.
Beide Gleichungen kombiniert ergeben für die Beziehung zwischen Reizstärke und Muskelzuckung die Gleichung
y = a a' z + (a c' + a c),
welcher wieder die einfache Form
3) y = A z + C
gegeben werden kann. Wollten wir hieraus die ursprünglichen Gleichungen 1 und 2 wiederherstellen, so müßte wenigstens eine derselben ebenfalls gegeben sein, damit aus A = a a' und C = a c' + a c die Konstanten a, a' und c, c' gefunden werden könnten. Indem wir der Beziehung zwischen Reiz und Nervenprozeß diejenige von Reiz und Muskelleistung substituieren, erhalten wir somit zwar wegen der Einfachheit der beiden Gesetze dieselbe Form der Gleichung, aber die betreffenden Konstanten bleiben ihrem absoluten Werte nach unbekannt.

Die Übertragung der an den motorischen Nerven gefundenen Verhältnisse auf die Sinnesnerven scheint nun bei der vollständigen Übereinstimmung der Reizungsvorgänge in beiden hinreichend gerechtfertigt. Übrigens ist es wahrscheinlich, daß das Gesetz der Proportionalität zwischen Reiz und Nervenprozeß immerhin nur eine erste Annäherung ist, die namentlich gegen die Reizhöhe hin merklich ungenau wird, indem hier der Reizungsvorgang, unmittelbar ehe er seinen Grenzwert erreicht, allmälig langsamer zunimmt8).

8) Diese aus nachher zu erwähnenden Beobachtungen über das Verhältnis zwischen Reiz und Empfindung wahrscheinlich werdende Abweichung findet auch darin gewissermaßen einen Ausdruck, daß das Gesetz der linearen Funktion y = a x + c zwar die Tatsache der physischen Reizschwelle, nicht aber die der Reizhöhe in sich schließt, vielmehr müßte mit wachsendem Reize y fortan auch der Nervenprozeß x proportional zunehmen. Es ist nun offenbar von vornherein wahrscheinlich, daß x diesem Grenzwert nicht plötzlich, sondern allmälig nahe kommt, so daß die gerade Linie eigentlich nur einen Teil der ganzen Kurve bildet, wobei jedoch im allgemeinen innerhalb der Grenzen der gewöhnlich untersuchten Reizstärken die Funktion mit hinreichender Genauigkeit als eine lineare betrachtet werden kann.

Das Vorausgegangene berechtigt uns, dem Verhältnis zwischen Nervenprozeß und Empfindung, welchem allein ein unmittelbares psychologisches Interesse zukommt, dasjenige zwischen Reiz und Empfindung, welches der Untersuchung viel leichter zugänglich ist, zu substituieren. Denn das Gesetz der Beziehung, auf dessen Auffindung es wesentlich ankommt, muß in beiden Fällen das nämliche sein; die Kenntnis der speziellen Konstanten aber, die allerdings abweichen werden, besitzt überhaupt nur ein praktisches Interesse, und im letzteren muß man sogar den Werten, die sich auf die Beziehung von Reiz und Empfindung beziehen, die größere Bedeutung zuerkennen, da im praktischen Leben nur das Verhalten unserer Empfindungen zu den sie verursachenden Reizen, kaum jemals aber der Nervenprozeß in Rücksicht kommen kann. Die Frage nach der Beziehung zwischen Reiz und Empfindung läßt sich nun korrekter auch so ausdrücken: in welchem Verhältnis ändert sich die Empfindung bei einer gegebenen Veränderung des Reizes zwischen jenen Grenzwerten desselben, innerhalb deren sie sich überhaupt ändert, nämlich zwischen dem Schwellen- und Höhenwert?
    Daß die Empfindung ihrer Intensität nach meßbar, die so gestellte Frage also berechtigt sei, geht schon aus der Existenz des Schwellen- und Höhenwertes hervor. Denn beide bedeuten intensive Grenzwerte der Empfindung, zwischen denen eine stufenweise Zunahme derselben stattfindet, und in beiden Grenzfällen kann eine Maßvergleichung zeitlich oder räumlich getrennter Empfindungen stattfinden. Der Reizschwelle entspricht die eben merkliche Empfindung oder, wie wir sie kürzer nennen wollen, die Empfindungsschwelle, der Reizhöhe die Maximalempfindung oder Empfindungshöhe. Nun können wir von zwei qualitativ übereinstimmenden Empfindungen zweifellos sagen, daß ihre Intensität gleich sei, wenn sie entweder der Empfindungsschwelle oder der Empfindungshöhe entsprechen9). In der Tat findet eine solche Maßvergleichung immer statt, wenn wir die Reizschwelle oder die Reizhöhe feststellen. Dort suchen wir jenen Grenzwert des Reizes auf, dessen kleinste Verminderung die Empfindung zum Verschwinden bringt, d. h. kleiner als eben merklich, und dessen kleinste Vergrößerung sie mehr als merklich macht, hier bestimmen wir jenen Grenzwert des Reizes, wo eine weitere Zunahme des letzteren die Größe der Empfindung nicht mehr verändert. Im ersten Fall besteht also das Maßverfahren in einem Abwägen der eben merklichen gegen die unmerkliche und gegen die übermerkliche Empfindung, im zweiten Fall besteht es noch einfacher in der unmittelbaren Vergleichung von Maximalempfindungen.

9) Bei qualitativ verschiedenen Empfindungen ist eine solche Maßvergleichung nicht ohne weiteres statthaft, da die Werte der Empfindungsschwelle und der Empfindungshöhe für verschiedene Sinnesqualitäten möglicher Weise abweichende sein können.

Die so ausgeführte Ermittelung der Grenzwerte von Reiz und Empfindung läßt nun sogleich einige allgemeine Feststellungen zu, welche von der besonderen Form des für die Beziehung zwischen Empfindung und Reiz gültigen Gesetzes noch ganz und gar unabhängig sind, indem sie lediglich aus der Existenz jener Grenzwerte sich ergeben. Zunächst ist nämlich von der Lage der Reizschwelle die Reizempfindlichkeit abhängig. Je kleiner die Reizschwelle oder diejenige Reizgröße ist, welche der Empfindungsschwelle entspricht, um so größer nennen wir die Empfindlichkeit. Liegt z. B. im einen Fall die Empfindungsschwelle beim Reize 1, im anderen beim Reize 2, so verhält sich die Empfindlichkeit wie l : 1/2, oder allgemein: die Reizempfindlichkeit ist proportional dem reziproken Wert der Reizschwelle. Von der Reizhöhe dagegen wird eine andere Eigenschaft bestimmt, welche wir die Reizempfänglichkeit nennen wollen, indem wir darunter die Fähigkeit verstehen, wachsenden Werten des Reizes mit der Empfindung zu folgen. Je größer also die Reizhöhe, um so größer nennen wir die Reizempfänglichkeit. Entspricht z. B. im einen Fall die Empfindungshöhe einem Reize 1, im andern einem Reize 2, so verhält sich die Empfänglichkeit wie 1 : 2, oder allgemein: die Reizempfänglichkeit ist proportional dem direkten Wert der Reizhöhe. Durch das Verhältnis der Reizempfindlichkeit zur Reizempfänglichkeit ist endlich der relative Reizumfang bedingt. Dieser wächst natürlich, je mehr die Reizschwelle sinkt und die Reizhöhe steigt. Liegt z. B. im einen Fall die Reizschwelle bei 1, die Reizhöhe bei 4, in einem andern die erste bei 2, die zweite bei 8, so ist beide mal der relative Reizumfang = 4. Liegt aber in einem dritten Fall die Reizschwelle bei 1/2, die Reizhöhe bei 4, so ist nun der Reizumfang = 8. Oder allgemein: der relative Reizumfang ist proportional dem Produkte der Reizempfänglichkeit in die Reizempfindlichkeit oder dem Quotienten der Reizschwelle in die Reizhöhe. Bezeichnen wir, um diese Beziehungen festzuhalten, die Reizschwelle mit s, die Reizhöhe mit h, so ist das Maß der Reizempfindlichkeit = , das Maß der Reizempfänglichkeil = h, das Maß des Reizumfangs = .
    Der hauptsächlichste Gebrauch, der von diesen Maßen gemacht werden kann, bezieht sich auf das Verhältnis der verschiedenen Sinne sowie verschiedener Teile eines und desselben Sinnesorgans zu einander. Doch hat bis jetzt nur die Reizempfindlichkeit oder die ihr reziproke Reizschwelle eine etwas eingehende Untersuchung erfahren, und schon hier stößt man auf Schwierigkeiten, die schwerlich ganz zu überwinden sind. Diese Schwierigkeiten sind hauptsächlich von dreierlei Art. Erstens ist es fast unmöglich, alle Reize von unsern Sinnesorganen auszuschließen, also bei der Ermittelung der Reizschwelle von einem Reize null zu beginnen. Manche Sinnesorgane, namentlich das Auge und Ohr, scheinen sich sogar vermöge der nicht zu entfernenden natürlichen Reize an und für sich schon fortwährend über der Schwelle zu befinden. Solche Reize können teils in den Strukturbedingungen der Organe ihren Ursprung haben, so beim Auge, auf dessen Netzhaut der intraoculäre Druck wahrscheinlich als Reiz wirkt, teils in äußern Verhältnissen, so beim Ohr und der Haut, wo die nicht zu beseitigenden Geräusche des eigenen Körpers, die Wärmeausstrahlung u. s. w. als natürliche Reize wirken. Zweitens ist die Reizempfindlichkeit der Sinnesorgane eine veränderliche. So nimmt z. B. die Lichtempfindlichkeit unseres Auges beim Aufenthalt im Finstern fortwährend zu. Sind nun gleich diese Veränderungen an und für sich von Interesse, so erschweren sie doch die Gewinnung bestimmter Resultate. Drittens endlich sind einige Sinnesorgane so außerordentlich empfindlich, daß im Vergleich damit die Fehler der objektiven Messungshilfsmittel für die Reizvorgänge bereits merklich in Betracht kommen; solches gilt z. B. in Bezug auf die Empfindlichkeit des Auges gegen Licht und einzelner Teile der Haut gegen Temperatureinwirkungen. Unter diesen Umständen kann es bei der Bestimmung der Reizschwelle überhaupt nur um die Gewinnung approximativer Mittelwerte sich handeln. So schätzt AUBERT die Reizempfindlichkeit des Auges ungefähr der Lichtintensität gleich, die in 5,5 Meter Entfernung ein weißer Papierstreif besitzen würde, der von einer 300 mal schwächeren Lichtquelle als der Vollmond beleuchtet würde10). In Bezug auf die Schallstärke gibt SCHAFHÄUTL an, daß ein gesundes Ohr den Schall von einem 1 Mgr. schweren Korkkügelchen, das 1 mm. hoch herabfällt, noch in 91 mm. Entfernung zu hören vermag11). Der Druck von Gewichten kann nach Versuchen von aubert und KAMMLER an den empfindlichsten Hautstellen (z. B. an Stirn, Schläfe, Vorderarm) eben noch verspürt werden, wenn er 2 Milligr. erreicht12). Für die Temperaturempfindungen kann natürlich eine Reizschwelle nur dann gesucht werden, wenn man als solche die kleinste Änderung der Eigenwärme der Haut durch Zufuhr oder Entziehung von Wärme betrachtet. Für diese scheint aber die Haut so empfindlich zu sein, daß sie merklich eben so genau wie ein gutes Quecksilberthermometer auf Temperaturänderungen reagiert13), wonach mindestens 1/10° C. von ihrer eigenen Temperatur an gerechnet als Reizschwelle gelten dürfte.

10) AUBERT, Physiologie der Netzhaut. Breslau 1865. S. 46. Die Reizschwelle wurde in AUBERT'S Versuchen direkt mittelst eines Platinadrahtes bestimmt, welcher im absolut finstern Raume durch eine DANIELL'sche Kette von genau angegebenen Dimensionen zum Leuchten gebracht, und welchem dann genau diejenige Länge gegeben wurde, bei der das Leuchten eben merklich war (a. a. O., S. 43). Die so bestimmte Lichtintensität wurde dann photometrisch mit Tageslicht bei bedecktem Himmel verglichen; der oben angegebenen Schätzung ist überdies die Annahme zu Grunde gelegt, die Helligkeit des Mondes und diejenige einer weißen Wolke seien etwa gleich, was natürlich auch nur sehr ungenau zutreffen wird. Endlich gilt jene Schätzung nur für das unmittelbar in den verdunkelten Raum gebrachte Auge. Bei längerem Aufenthalt im Finstern nimmt die Empfindlichkeit anfangs sehr schnell und dann immer langsamer zu (AUBERT ebend. S. 39), nähert sich also, wie es scheint, einem konstant bleibenden Werte, welcher letztere hiernach vielleicht mit größerem Rechte als die Reizschwelle des Sehorgans betrachtet werden könnte, wenn nicht alle diese Bestimmungen durch das Eigenlicht der Retina unsicher würden, durch welches sich das Auge an und für sich schon über der Schwelle befindet, so daß die Bestimmung der letzteren, wie FECHNER bemerkt hat, eigentlich unausführbar ist (Elemente der Psychophysik I, S. 240). Mit Rücksicht hierauf könnte man daran denken, wenigstens eine obere Grenze für die Reizschwelle der Netzhaut zu finden, indem man für das Eigenlicht derselben ein objektives Maß aufsuchte. Da nämlich das Eigenlicht empfunden wird, so wäre anzunehmen, daß die Reizschwelle jedenfalls noch unter der Intensität desselben gelegen sei. In der Tat hat nun volkmann die für die Bestimmung der Unterschiedsschwelle angewandten Schattenversuche, die wir unten besprechen werden, auch für die Ermittelung des Eigenlichtes zu benutzen gesucht, und hiernach schätzte er dasselbe der Lichtintensität einer schwarzen Samtfläche gleich, die aus ungefähr 9 Fuß Entfernung von einer gewöhnlichen Stearinkerze beleuchtet wird (FECHNER a. a. O., I, S. 167). AUBERT nach einer ähnlichen Methode schätzte es gleich der Erleuchtung eines weißen Papiers durch eine Stearinkerze in 400 Fuß Entfernung (AUBERT a. a. O., S. 65, vgl. hierzu Fechner, Sitzungsber. der sächs. Ges. d.W. 1864, S. 18). Aber die Voraussetzungen, welche beiden Berechnungen zu Grunde liegen , sind zu unsicher, als daß aus den so gewonnenen Werten mehr als das allgemeine Resultat einer jedenfalls sehr geringen Intensität des Eigenlichtes der Netzhaut entnommen werden kann, woraus auf der andern Seite auf eine sehr große Lichtempfindlichkeit derselben zu schließen ist.

11) Abhandl. der Münchener Akad. VII, S. 501. FECHNER, Psychophysik I, S. 257. Übrigens ist unter allen Sinnen wahrscheinlich das Gehör derjenige, der sogar bei normaler Beschaffenheit des Organs die größten individuellen Unterschiede der Empfindlichkeit darbietet.

12) Aubert und Kammler, MOLESCHOTT'S Untersuchungenzur Naturlehre V, S. 145.

13) FECHNER, Elemente der Psychophysik I, S. 202.

Um die so für die verschiedenen Sinne gewonnenen Werte mit einander zu vergleichen, müßten die verschiedenen Reizvorgänge auf ein übereinstimmendes Kraftmaß zurückgeführt sein. Auch ohne daß dies der Fall ist, wird man übrigens das Auge als das empfindlichste Sinnesorgan bezeichnen dürfen, woran zunächst die Temperaturempfindungen der Haut, dann erst die Schall- und zuletzt die Druckempfindung sich anschließen. Es ist nicht zu bezweifeln, daß die ausnehmend großen Unterschiede in der Reizempfindlichkeit dieser Sinne vorzugsweise in den Einrichtungen der Sinnesorgane, beziehungsweise in der verschiedenen Zugänglichkeit der einzelnen sensibeln Nerven für die verschiedenen Reizungsvorgänge begründet sind.
    Bei jedem einzelnen Sinnesorgan ist die Empfindlichkeit nicht für alle Reize die nämliche, sondern abhängig von der Form des Reizes oder der ihr korrespondierenden Qualität der Empfindung. Tiefe Töne werden erst bei einer bedeutenderen Amplitude der Schallschwingungen hörbar als hohe; wenn man sich aber der oberen Grenze der noch wahrnehmbaren Töne nähert, so nimmt ebenfalls die Empfindlichkeit wieder ab14). Beim Auge scheint die Reizschwelle für die brechbarsten Farben, also Violett, Blau, tiefer zu liegen als für die minder brechbaren, Rot, Gelb. Denn in der Dunkelheit werden blaue Farbentöne noch wahrgenommen, wo rote bereits vollkommen schwarz erscheinen15). Doch kommt man auch hier bei den übervioletten Strahlen jedenfalls zu einem Wendepunkt, von dem an die Empfindlichkeit wieder sehr rasch abnimmt, weil man sich der Grenze der Farbenwahrnehmbarkeit nähert. Hiernach scheint es, daß für Ohr und Auge das Maximum der Empfindlichkeit oder die kleinste Reizschwelle der oberen Grenze der qualitativen Reizskala näher als der untern gelegen ist.

14) Einzelne unter den hohen Tönen sind noch durch die akustischen Verhältnisse der schallleitenden Apparate des Ohrs besonders bevorzugt, jene nämlich, auf welche der Gehörgang Resonanz gibt. Doch steht dies in keiner Beziehung zu der hier behandelten Frage, bei der es bloß um die Empfindlichkeit der schallperzipierenden Teile sich handelt.

15) Helmholtz, physiologische Optik S. 317. Um die Reizschwelle für verschiedene Farben zu vergleichen, müßten eigentlich dieselben stets bei gleicher lebendiger Kraft der Ätherschwingungen untersucht werden. Aber da die minder brechbaren Farben an und für sich eine größere lebendige Kraft zu besitzen pflegen, so würde eine solche Korrektion die Unterschiede der Reizschwelle nur noch bedeutender machen. Übrigens kommt AUBERT nach Versuchen an farbigen Quadraten auf schwarzem und weißem Grunde, zu denen im Finstern so viel Licht zugelassen wurde, daß ihre Farbe eben erkannt werden konnte, zum entgegengesetzten Resultate, wonach das Auge für die minder brechbaren Strahlen empfindlicher sein soll (Physiologie der Netzhaut S. 127). Es ist aber möglich, daß in diesen Versuchen der Kontrast mit dem Grunde von Einfluß gewesen ist.

Bei denjenigen Sinneswerkzeugen, deren Empfindungen räumlich lokalisiert werden, ist die Empfindlichkeit außerdem teils nach dem Ort teils nach der Ausdehnung des Reizes eine veränderliche. In ersterer Beziehung bietet die bedeutendsten Unterschiede jedenfalls die äußere Haut in Bezug auf ihre Druckempfindlichkeit dar. Während, wie oben bemerkt, an den empfindlichsten Stellen noch 0,002 Grm. eben verspürt werden, kann dieser Minimalwert an andern bis auf 0,05 Grm. und darüber steigen16). Es ist nicht zu bezweifeln, daß diese Differenzen lediglich von der Dicke der Epidermisschichten herrühren, daher auch bei verschiedenen Individuen die Lage der empfindlichsten und der unempfindlichsten Stellen sehr bedeutend wechselt. Ebenso hängt es damit offenbar zusammen, daß die Empfindlichkeit der Haut für Temperaturen fast gar keine solchen Unterschiede darbietet17). Denn Wärme und Kälte können selbst durch die dicksten Epidermisschichten einwirken; hier finden sich daher nur Unterschiede in Bezug auf die Schnelligkeit, mit der wir die Zufuhr oder die Entziehung der Wärme wahrnehmen. Bei der Netzhaut des Auges kann die Empfindlichkeit der verschiedenen Punkte in doppelter Hinsicht untersucht werden, einmal in Bezug auf Lichtempfindlichkeit überhaupt, also die Empfindlichkeit für gewöhnliches weißes Licht, und sodann in Bezug auf die verschiedenen Farbeneindrücke. In ersterer Beziehung ist nun bis jetzt keinerlei Verschiedenheit nachweisbar; sollte eine solche existieren, so wird sie jedenfalls durch andere Einflüsse verdeckt18). Die Farbenempfindlichkeit nimmt dagegen auf den Seitenteilen der Netzhaut sehr bedeutend ab. Dies äußert sieh darin, daß die verschiedenen Farben im indirekten Sehen nicht mehr deutlich unterschieden werden können und daher alle, je nach der Lichtstärke des Grundes, auf dem man sie betrachtet, entweder weiß (auf dunklem Grunde) oder schwarz (auf hellem Grunde) erscheinen19). Darnach handelt es sich aber hier offenbar nicht um eine intensive Reizschwelle für die Farbenempfindung, sondern um qualitative Verschiedenheiten der letzteren, die vom Ort des Eindrucks abhängig sind.

16) AUBERT und kammler a. a. O.

17) E. H. WEBER, wagner's Handwörterb. der Physiol. III, 2. S. 552. Annotationes anatom. Prol. XV, XVI.

18) AUBERT, Physiologie der Netzhaut S. 95. Die Einflüsse, welche bei der Beurteilung der Empfindlichkeit verschiedener Netzhautpunkte hauptsächlich in Betracht zu ziehen wären, sind 1) die objektiv geringere Lichtstärke der auf den Seitenteilen der Netzhaut entworfenen Bilder, welche dadurch entsteht, daß, je schräger ein Lichtbüschel einfällt, um so mehr Randstrahlen durch die als Blendung wirkende Iris abgehalten werden, und 2) der verschiedene Ermüdungszustand der einzelnen Netzhautpunkte. Da wir uns vorzugsweise der Netzhautmitte zum Sehen bedienen, so sind in der Regel die Seitenteile unermüdeter. Hierauf und nicht auf verschiedener Empfindlichkeit beruht es wahrscheinlich, daß bei astronomischen Beobachtungen zuweilen das indirekte Sehen benutzt wird, um Sterne von sehr geringer Lichtstärke aufzufinden. Von Einfluß kann hierbei außerdem der Umstand sein, daß die Bilder auf den Seitenteilen verwaschen erscheinen, wodurch punktförmige Objekte zwar lichtschwächer aber größer gesehen werden.

19) PURKINJE , Beiträge zur Kenntnis des Sehens in subjektiver Hinsicht I, S. 76, II, S. 14. AUBERT a. a. 0. S. 118.

Gegenüber diesen bei den verschiedenen Sinnesorganen und Sinneseindrücken ziemlich wechselnden Einflüssen des gereizten Ortes sind mit Bezug auf die Ausbreitung der Reize alle räumlich auffassenden Sinne gleichmäßig von dem Gesetze beherrscht, daß ihre Reizempfindlichkeit bis zu einem gewissen Grade mit der Ausdehnung des Eindrucks zunimmt. Ein örtlich begrenzter Reiz, welcher zu schwach ist, um Empfindung zu erregen, kann also zur Reizschwelle werden, wenn eine größere empfindende Fläche von demselben getroffen wird, oder, wie wir das nämliche Gesetz auch formulieren können: die intensive kann bis zu einem gewissen Grade durch eine extensive Reizsteigerung ersetzt werden. So empfinden wir, ob eine Flüssigkeit wärmer oder kälter als unsere Haut ist, viel leichter, wenn wir die ganze Hand, als wenn wir etwa bloß einen Finger in dieselbe eintauchen20). Ebenso wird die Empfindlichkeit der Netzhaut für Lichtintensitäten größer, wenn die beleuchtete Netzhautstelle zunimmt21). Übrigens gibt es in jedem dieser Sinnesgebiete eine obere Grenze, von welcher aus bei weiterer Ausdehnung des Reizes die Reizschwelle nicht mehr sinkt, und schon bei der Annäherung an diese Grenze wird sie langsamer abnehmen. Im allgemeinen wird also die Reizschwelle eine solche Funktion der Ausdehnung des Reizes sein, daß jene mit steigenden Werten der letzteren sich immer weniger verändert und zuletzt einen konstanten Grenzwert erreicht. Blicken wir zurück auf die verschiedenen Einflüsse, die wir nun als bestimmend für die Reizempfindlichkeit der verschiedenen Sinne kennen gelernt haben, so sind die meisten derselben zweifellos direkt von den physiologischen Verhältnissen der Sinnesorgane, und zwar teils von den Verhältnissen der Zuleitung, teils von der spezifischen Reizbarkeit der einzelnen Endapparate abhängig. Auf die ersteren ist z. B. die verschiedene Druckempfindlichkeit der einzelnen Hautstellen, auf letztere höchst wahrscheinlich die verschiedene Empfindlichkeit des Ohrs und des Auges für verschiedene Töne und Farben zurückzuführen. Nur ein Einfluß bleibt übrig, der unmöglich aus solchen wechselnden Bedingungen der Struktur abgeleitet werden kann: dies ist die zuletzt besprochene Beziehung zwischen Ausdehnung des Reizes und Reizempfindlichkeit. Wenn eine Stelle a einer empfindenden Fläche von einem Reize a getroffen wird, so ist der ausgelöste Nervenprozeß nicht kleiner und größer, ob gleichzeitig eine zweite Stelle b getroffen wurde oder nicht22). Es muß sich also hier um ein allgemein gültiges Gesetz des Empfindens handeln, wonach einer Intensitätszunahme der Empfindung ein extensives Wachstum des Empfindens innerhalb gewisser Grenzen äquivalent ist. In der Tat werden wir sehen, daß sich dieses Gesetz auch weiterhin bei der Vergleichung verschiedener Empfindungsintensitäten bewährt.

20) E. H. Weber, Handwörterb. d. Phys. III, 2. S. 553. Weber spricht zwar an dieser Stelle nur davon , daß uns warmes Wasser wärmer erscheint, wenn wir die ganze Hand, als wenn wir bloß einen Finger in dasselbe eintauchen. Aber man kann sich leicht überzeugen, daß entsprechende Unterschiede der Reizschwelle existieren.

21) AUBERT, Physiol. der Netzhaut S. 108. volkmann, physiol. Untersuchungen im Gebiete der Optik I, S. 51. Für die Farbenauffassung gilt das nämliche Gesetz (AUBERT a. a. O. v. Wittich, med. Zentralbl. 1863, S. 417), doch handelt es sich hier, wie bei der Farbenempfindung im indirekten Sehen, nicht sowohl um die Reizschwelle der Empfindung als um die Fähigkeit der qualitativen Unterscheidung. Auch bei den oben zitierten Versuchen von volkmann ist eigentlich nur der Einfluß der Extension des Reizes auf die Empfindung von Intensitätsunterschieden bestimmt worden, es ist aber nicht zu bezweifeln, daß die Reizschwelle im selben Sinne verändert wird.

22) Sind die Reize in einer verschiedenen Form neben einander angeordnet, betrachtet man z. B. mit dem Auge leuchtende Objekte von verschiedener Gestalt, so kann allerdings noch ein physiologisches Moment ins Spiel kommen. So läßt sich z. B. denken, daß der Eindruck einer hellen Linie auch intensiv relativ stärker ist als der eines Punktes von gleicher Helligkeit, weil die Linie jedes der musivisch angeordneten Empfindungselemente der Retina in seinem ganzen Durchmesser schneidet, während das Bild des Punktes ein solches nur an einer einzigen Stelle trifft (vgl. VOLKMANN, physiol. Untersuchungen im Gebiete der Optik I, S. 52). Nimmt man aber jedesmal Flächen von gleicher Form, die nur in ihrer Größe verschieden sind, so bleiben solche Einflüsse außer Betracht.

Weit unvollkommener noch als unsere Kenntnis der Reizschwelle für die verschiedenen Empfindungsgebiete ist diejenige der Reizhöhe oder jener Reizstärke, welche das Maximum der Empfindung bewirkt. Hier läßt sich bei dem Mangel aller eingehenden Untersuchungen nur die Vermutung als eine sehr wahrscheinliche aussprechen, daß ähnliche Unterschiede existieren. So wird beim Auge die Empfindungshöhe zweifellos bei einer geringeren Reizstärke erreicht als beim Ohr, und dieses wird wieder an Reizempfänglichkeit durch die äußere Haut übertroffen. Auch bezüglich der Qualitäten der Empfindung finden sich Unterschiede. So erregen tiefe Töne erst bei einer bedeutenderen Stärke der Schwingungen unser Ohr als hohe; bei der Steigerung der Farbenreize erreichen die gelben Strahlen am frühesten die Maximalgrenze des Eindrucks, später die roten und noch später die brechbarsten Farben des Spektrums23). Hiernach scheint es, daß, während das Maximum der Reizempfindlichkeit nahe bei der obern Grenze der Töne und Farben gelegen ist, umgekehrt die Reizempfänglichkeit bei der unteren Grenze derselben am größten ist. Der Reizumfang, welcher von dem gegenseitigen Abstand der Schwelle und Höhe des Reizes abhängt, variiert daher bei den verschiedenen Qualitäten weniger, als nach der Lage der Reizschwelle oder der Reizhöhe allein erwartet werden könnte. In der Tat gilt diese Regel auch bei der Vergleichung der verschiedenen Sinne, insofern diejenigen Sinnesorgane, deren Reizschwelle tief liegt, auch eine niedrige Reizhöhe besitzen24).

23) Vergl. Kap. IX.

24) Übrigens ist hieraus keineswegs etwa zu schließen, daß der Reizumfang konstant sei. So müssen beim Gehör die tiefsten Töne, um nur die Reizschwelle zu erreichen, bereits eine enorme Schwingungamplitude besitzen. Hier liegen daher ohne Zweifel Reizschwelle und Reizhöhe einander sehr nahe.

Diese Betrachtungen lehren, daß in den verschiedenen Sinnesgebieten und selbst noch bei den verschiedenen Qualitäten eines und desselben Sinnes diejenigen Grenzwerte des Reizes, welche den Grenzwerten der Empfindung entsprechen, außerordentlich von einander abweichen. Aber dabei bleiben die Grenzwerte der Empfindung selbst, nämlich die eben merkliche Empfindung und die Maximalempfindung, überall Größen von gleichem Werte. Von der Empfindungsschwelle ist dies an und für sich klar: eine eben merkliche Empfindung hat immer dieselbe Größe, ob es nun um Farben oder Töne oder irgend andere Empfindungen sich handeln mag. Wollte man behaupten, die eine eben merkliche Empfindung sei größer oder kleiner als eine andere, so würde man damit sagen, sie sei größer oder kleiner als eben merklich. Aber eine nähere Überlegung zeigt, daß auch die Maximalempfindung eine konstante psychische Größe sein muß. In jedem Sinnesgebiet ist diejenige Empfindung die möglichst große, welche das Bewußtsein mehr als jede andere in Anspruch nimmt. Da nun das Bewußtsein für alle Sinne das nämliche ist, so muß auch die Empfindungshöhe überall gleich groß sein25). Nur wenn das Bewußtsein selbst alteriert wird, so daß es den Sinnesempfindungen nicht mehr in derselben Weise zugänglich ist, ändern sich auch jene Grenzwerte der Empfindung. Einen gleichen Zustand des Bewußtseins vorausgesetzt, hat aber der Empfindungsumfang eine konstante Größe. Die Empfindung bewegt sich also stets zwischen den gleichen Grenzen, während der Reiz bei den verschiedenen Sinnen sehr verschiedene Intensitätsgrade durchlaufen muß.

25) Gegen diese Deduction könnte bezüglich der Empfindungshöhe dann Einsprache erhoben werden, wenn auch die Empfindungen, welche durch die möglichst starke Reizung zweier Sinne, also durch solche Reize, welche die Sinnesnerven alsbald zerstören, herbeigeführt würden, an Intensität verschieden wären. Dies könnte aber nur dann stattfinden, wenn die Reizhöhe, d. h. der Reiz, welcher der Empfindungshöhe entspricht, für irgend ein Sinnesorgan noch unter jener möglichen Maximalgrenze des Reizes gelegen wäre. In diesem Fall würde eben die Reizhöhe für das betreffende Sinnesorgan eine virtuelle sein: sie würde vermöge der besonderen Strukturverhältnisse des Organs gar nicht erreicht werden können. Alle physiologischen Erfahrungen sprechen aber dafür, daß die Reizhöhe überall einen Wert hat, der noch erheblich unter jenem Grenzwert des Reizes liegt, bei welchem der Sinnesnerv zerstört wird.

Um das Gesetz zu ermitteln, welches zwischen Schwelle und Höbe die Abhängigkeit der Empfindung vom Reiz beherrscht, ist es erforderlich für die Veränderung der Empfindung einen Größenwert zu finden, der sich in ähnlicher Weise unzweideutig feststellen läßt wie jene zur Bestimmung der Reizempfindlichkeit und -empfänglichkeit verwendeten Grenzwerte der möglichst kleinen und der möglichst großen Empfindung. Es gibt aber nur eine einzige Größe, welche für die Veränderung der Empfindung als eine konstante und darum unter allen Umständen vergleichbare Größe betrachtet werden kann: dies ist die Minimalveränderung der Empfindung oder der eben merkliche Empfindungsunterschied. Lassen wir in verschiedenen Fällen den Reiz zu- oder abnehmen, so bemerken wir deutlich die Grenze, wo eben ein Intensitätsunterschied der Empfindung, eine Zu- oder Abnahme derselben spürbar wird. Ein solcher eben merklicher Intensitätsunterschied ist wieder aus demselben Grunde, wie die eben merkliche Empfindungsintensität, ein psychischer Wert von konstanter Größe. Denn wäre ein eben merklicher Unterschied größer oder kleiner als ein anderer, so wäre er größer oder kleiner als eben merklich, was ein Widerspruch ist. Wir können also mit absoluter Sicherheit sagen, daß, wenn sich in verschiedenen Fällen Empfindungen, wie dieselben auch qualitativ von einander abweichen mögen, um ein eben merkliches verändert haben, sie sich in allen diesen Fällen um gleiche Grade ihrer Stärke verändert haben.
    Auch hier handelt es sich demnach darum einen Grenzwert zu finden, und zwar, ähnlich wie bei der Bestimmung der Empfindungsschwelle, mit welcher dieses Verfahren am nächsten verwandt ist, einen unteren Grenzwert. In der Tat kann man die Größen, die hier in Betracht kommen, wieder als Schwellenwerte bezeichnen. Unsere Aufgabe ist es, zum Schwellenwert des Empfindungszuwachses den Schwellenwert des Reizzuwachses zu finden: als solcher ist diejenige Zunahme des Reizes zu betrachten, welche einer eben merklichen Empfindungszunahme entspricht. Man kann diesen Wert die Unterschiedsschwelle des Reizes, die dazu gehörige eben merkliche Empfindungsänderung aber die Unterschiedsschwelle der Empfindung nennen26). Wie die Empfindungsschwelle, so ist auch die Unterschiedsschwelle der Empfindung eine konstante Größe. Ihr werden aber voraussichtlich unter verschiedenen Umständen sehr verschiedene Werte der Unterschiedsschwelle des Reizes entsprechen, da sich ja der Reiz bei konstantem Empfindungsumfang je nach dem Sinnesgebiete zwischen sehr wechselnden Grenzwerten ändert.

26) Der Ausdruck Unterschiedsschwelle ist ebenfalls von Fechner in die Psychologie eingefürht; gleichbedeutend braucht er die Bezeichnung Verhä1tnisschwelle. (Elemente der Psychophysik I, S. 242, 244.)

Die einfachste und naheliegendste Methode, um nun mittelst des gewonnenen Maßprinzips die Beziehung zwischen Empfindungs- und Reizänderungen zu finden, besteht darin, daß man direkt, von einer Reizstarke zur andern übergehend, die einem eben merklichen Unterschied der Empfindung entsprechenden Werte der Unterschiedsschwelle des Reizes ermittelt. Aber dieses direkte Verfahren, das man als die Methode der eben merklichen Unterschiede bezeichnet, bietet, namentlich in gewissen Sinnesgebieten, einige Unsicherheit in seiner Handhabung. Darüber ob eine Empfindung eben merklich von einer andern verschieden sei, können wir leicht zweifelhaft bleiben, und wir werden daher leicht den Reiz, welcher der Unterschiedsschwelle entsprechen soll, entweder zu schwach wählen, wo die Empfindung untermerklich wird, oder zu stark, wo sie übermerklich wird. Auf diese Weise können wir nur durch allmäliges Probieren das eben merkliche als den ungefähren Grenzpunkt zwischen dem unter- und übermerklichen finden. Das so von selbst sich ergebende Schwanken bei der Feststellung des Reiz- und Empfindungsunterschieds führt nun zu einigen weiteren indirekten Methoden, die bei geeigneter Anwendung der direkten Aufsuchung der Unterschiedsschwelle in gewisser Beziehung überlegen sind27).

27) FECHNER, Elemente der Psychophysik I, S. 71, 94, 120.

Zunächst ist nämlich klar, daß, je kleiner der Unterschied des Reizes ist, der in der Empfindung merklich wird, um so kleiner auch derjenige Reizunterschied sein wird, welcher in der Empfindung nicht mehr merklich ist. Man kann darum auch die Präzision festzustellen suchen, mit welcher, wenn ein erster Reiz gegeben ist, ein zweiter nach der Empfindung abgestuft wird, um demselben gleich zu werden. Handelt es sich z. B. um die Unterschiedsempfindlichkeit für den Druck von Gewichten, so wird diese nach der Methode der eben merklichen Unterschiede direkt bestimmt, indem man diejenige Gewichtszulage ermittelt, welche zu einem gegebenen Gewichte hinzugefügt einen Unterschied der Druckempfindung hervorbringt. Statt dessen kann man aber auch ein zweites Gewicht so abzustufen suchen, daß es eine von dem ersten nicht zu unterscheidende Druckempfindung erzeugt. Die Präzision, mit der dies geschieht, ist umgekehrt proportional dem durchschnittlich begangenen Fehler; zu dem letzteren muß also auch die Unterschiedsempfindlichkeit in reziprokem Verhältnisse stehen. Maßgebende Werte für den Betrag dieses Fehlers erhält man aber hier der Natur der Sache nach erst aus zahlreichen Einzelbeobachtungen, da der im einzelnen Fall begangene Fehler von dem einem fortwahrenden Wechsel unterworfenen Stand des Bewußtseins und andern zufälligen Nebenumständen mitbestimmt ist, welche erst in einer größern Zahl von Versuchen sich ausgleichen. Man nennt daher dieses Verfahren die Methode der mittleren Fehler. Die Anwendung desselben zeigt, daß jene Bedingungen, die neben der Unterschiedsempfindlichkeit den einzelnen Fehler bestimmen, bei noch so zahlreichen Beobachtungen sich nicht vollständig ausgleichen, sondern daß regelmäßig eine konstante Abweichung nach einer Richtung übrig bleibt. So werden z. B. die bei der Schätzung zweier in der Empfindung gleich erscheinender Druckgrößen begangenen Fehler, so weit sie bloß von der Unterschiedsempfindlichkeit herrühren, ebenso leicht positiv als negativ sein, d. h. es wird das Gewicht, welches dem andern gleich gemacht werden soll, durchschnittlich ebenso leicht größer als kleiner sein. Dies ist nun aber nicht der Fall, sondern man findet stets, daß in einer noch so großen Zahl von Beobachtungen durchschnittlich eine größere Neigung besteht, entweder das zweite Gewicht größer oder es kleiner zu machen als das erste; beides wechselt unter verschiedenen Umständen, z. B. zu verschiedenen Zeiten oder je nach der Stelle der Haut, auf welche der Druck einwirkt. Den aus den Beobachtungen unmittelbar abgeleiteten mittleren Fehler kann man daher gewissermaßen in zwei Komponenten zerlegen, deren eine immer eine Abweichung in einer bestimmten Richtung bewirkt, die bei konstant erhaltenen Zeit- und Raumbedingungen konstant bleibt, und deren andere von der durch die vorige konstante Abweichung bedingten Mittellage an gleich stark nach der einen und der andern Seite gerichtet ist. Man zerlegt also den rohen mittleren Fehler in einen konstanten Mittelfehler, der teils von dem Stand des Bewußtseins, teils von noch unerklärten physiologischen Bedingungen abhängt, und in einen variabeln Mittelfehler, der allein zum Maß der Unterschiedsempfindlichkeit benutzt werden darf, und der aus dem rohen mittleren Fehler durch Elimination des konstanten Fehlers gefunden werden muß28).

28) Nach den allgemeinen Prinzipien der Fehleltheorie läßt sich in einem solchen Fall der rohe Fehler in seine beiden Partialfehler in derselben Weise wie eine resultierende Kraft in ihre beiden rechtwinkligen Komponenten zerlegen. Ist also f der rohe, c der konstante und j der reine variable Fehler bei einer einzelnen Beobachtung, so hat man

.
Hier läßt sich c eliminieren, wenn man mehrere Versuchsreihen ausführt, in denen entweder die mittleren Werte von j wechseln und die von c konstant bleiben, oder in denen c wechselt und j konstant bleibt. Hat man so für jeden einzelnen Versuch aus dem rohen Fehler f die variabeln j , j', j" . . . berechnet, so ergibt sich der mittlere variable Fehler F, auf dessen Bestimmung es ankommt, nach dem nämlichen Prinzip aus der Gleichung
,
wenn n die Zahl der Beobachtungen ist, oder
,
wofür jedoch, wenn es sich nicht um die äußerste Genauigkeit handelt, auch das gewöhnliche arithmetische Mittel
gesetzt werden kann. Vgl. FECHNER, Elemente der Psychophysik I, S. 120 f.

Läßt man ferner zwei Reize auf ein Sinnesorgan einwirken, die so wenig von einander verschieden sind, daß ihnen Empfindungen von nicht mehr deutlich merkbarem Unterschiede entsprechen, so werden solche Reize nicht immer als gleich sondern häufig auch als verschieden beurteilt werden, indem bald der erste Reiz intensiver als der zweite, bald der zweite intensiver als der erste erscheint. In einer größeren Reihe von Beobachtungen wird also auf eine gewisse Zahl richtiger eine gewisse Zahl falscher Urteile kommen. Das Verhältnis der richtigen Fälle r zur Gesamtzahl n, der Quotient , wird offenbar um so mehr der Einheit  sich nähern, je näher man erstens den Reizunterschied dem eben merklichen bringt, und je größer zweitens die Unterschiedsempfindlichkeit ist. Läßt man daher in verschiedenen Beobachtungsreihen den Reizunterschied konstant, so wird der Quotient  ein Maß der Unterschiedsempfindlichkeit. Dieses dritte Verfahren, welches man als die Methode der richtigen und falschen Fälle bezeichnet, geht aus der ersten, der direkten Bestimmung der eben merklichen Unterschiede, unmittelbar hervor, wenn man die Reizunterschiede so klein nimmt, daß sie nicht völlig die Unterschiedsschwelle erreichen. Läßt man z. B. sukzessiv zwei Gewichte auf eine Hautstelle drücken, deren Unterschiede kleiner sind als eben merklich, so können die beiden Gewichte entweder als gleich oder als ungleich beurteilt werden, und im letzteren Fall kann das größere oder das kleinere größer erscheinen. Man hat also richtige, falsche und zweideutige Fälle, zu welchen letzteren auch diejenigen gehören, in denen das Urteil zweifelhaft bleibt. Der Quotient  wird nun gebildet, indem man die zweideutigen Fälle zur Hälfte den richtigen, zur Hälfte den falschen zurechnet. Es ist im allgemeinen klar, daß der Quotient  größer werden muß, wenn die Unterschiedsempfindlichkeit zunimmt. Dennoch kann derselbe nicht, wie der reziproke Wert des eben merklichen Unterschieds oder des mittleren variabeln Fehlers, unmittelbar als Maß derselben dienen. Denn ein doppelt so großer Wert von  entspricht keineswegs etwa einer doppelt so großen Unterschiedsempfindlichkeit, sondern diese ist dann doppelt so groß, wenn der Zuwachs des Reizes, welcher denselben Wert von  herbeiführt, im einen Fall halb so groß ist als in einem andern. Wenn z.B. in einer ersten Reihe ein Druck P + 0,4 P, in einer zweiten P + 0, 2 P (wo P den ursprünglichen Druck bezeichnet) den gleichen Wert für  herbeiführten, so würde die Unterschiedsempfindlichkeit hier doppelt so groß sein als dort. Man muß also, um mittelst dieser Methode die Unterschiedsempfindlichkeit in verschiedenen Fällen zu bestimmen, entweder den Reizzuwachs S so variieren, daß  immer gleich bleibt, oder man muß aus den verschiedenen Werten die man bei konstant erhaltenem Reizzuwachs erhalten hat, berechnen, welcher Wert S nötig gewesen wäre, um immer dasselbe  zu erhalten. Da das erste dieser Verfahren zu umständlich sein würde, so ist nur das zweite anwendbar29). Die Unterschiedsempfindlichkeit aber ist dem Werte  proportional. Auch bei der Methode der richtigen und falschen Fälle kommt das Gesetz der großen Zahlen zur Anwendung d. h. das Prinzip, daß veränderliche Bedingungen, welche die Resultate mit beeinflussen, in einer großen Zahl von Beobachtungen sich ausgleichen. Aber auch hier gilt solche Ausgleichung nur insofern, als jene Nebenumstände nicht in einem konstanten Sinne wirksam sind. Dieselben Verhältnisse, ein gewisser gleich bleibender Stand des Bewußtseins und in gleicher Richtung wirkende physiologische Bedingungen, die bei der vorigen Methode einen konstanten mittleren Fehler herbeiführen, bedingen bei der gegenwärtigen konstante Abweichungen, welche eliminiert werden müssen. Dies geschieht, indem man verschiedene Beobachtungsreihen ausführt, in denen entweder S konstant bleibt, während die Miteinflüsse wechseln, oder umgekehrt30).
29) Übrigens berechnet man bei demselben nicht direkt den Reizzuwachs S, bei welchem  konstant bleibt, sondern einen Wert hD, worin h eine in der Theorie der kleinsten Quadrate als Präzisionsmaß bezeichnete Größe und D den in der betreffenden Versuchsreihe benutzten Reizzuwachs bedeutet. Der Wert h, welcher durch Division der für hD gewonnenen Zahl mit D erhalten wird, ist dann jenem oben erwähnten Reizzuwachs S reciprok, also der Unterschiedsempfindlichkeit direkt proportional. Über die Ableitung von h aus  vgl. fechner's Elemente I, S. 104, und ebend. S. 108 f. Tabellen über die zu wachsenden Werten von  gehörigen Werte hD.

30) Dabei können durch veränderte Versuchsbedingungen außerdem die verschiedenen Miteinflüsse von einander geschieden werden. Vgl. Fechner a. a. O. S. 113 f.

Demnach läßt sich als Maß der Unterschiedsempfindlichkeit benutzen: 1) der reziproke Wert der Unterschiedsschwelle des Reizes: , 2) der reziproke Wert des mittleren variabeln Fehlers: , und 3) der reziproke Wert desjenigen Reizzuwachses, welcher in verschiedenen Fällen das gleiche Verhältnis  (richtiger und falscher Fälle) herbeiführt: . Diese drei Maße sind aber nach ihrer absoluten Größe nicht unmittelbar mit einander vergleichbar. Betrachtet man das gegenseitige Verhältnis der drei Methoden genauer, so ist nicht zu verkennen, daß sie alle von der ersten, der Methode der eben merklichen Unterschiede, ihren Ausgang nehmen. Denn auf den Begriff der Unterschiedsschwelle des Reizes, welchen diese direkt zu bestimmen sucht, führen auch die beiden andern hinaus, und sie müssen das, weil die Unterschiedsschwelle das einzige ist was zwischen den Grenzen der Minimal- und Maximalempfindung der psychischen Maßbestimmung zugänglich bleibt. Aber die Unterschiedsschwelle der Empfindung hat nicht jene absolute Konstanz, welche die erste Methode streng genommen voraussetzt, sondern sie ist je nach dem Stand des Bewußtseins und äußeren physiologischen Bedingungen fortwährenden Schwankungen unterworfen. Die zweite und dritte Methode gehen nun von dem Prinzip aus, daß solche Schwankungen in einer größeren Zahl von Beobachtungen sich ausgleichen oder gewisse mittlere Abweichungen bedingen, welche wieder durch Zusammenfassung vieler Beobachtungsreihen eliminiert werden können. Diese beiden Methoden sind daher der direkten Bestimmung der Unterschiedsschwelle in doppelter Beziehung überlegen: erstens, indem sie die Unsicherheit beseitigen, welche der einmaligen Feststellung eines eben merklichen Unterschiedes als eines Grenzfalles zwischen dem unter- und übermerklichen immer anhaftet, und zweitens, indem sie den wechselnden Einfluß des Bewußtseinszustandes und physiologischer Verhältnisse teils unmittelbar, durch Kompensation nach dem Gesetz der großen Zahlen, teils mittelbar, durch Bestimmung der davon herrührenden konstanten Fehler und konstanten Miteinflüsse, zu eliminieren gestatten. Während wir bei der ersten Methode den Grenzwert bestimmen, wo der Unterschied der Empfindung eben merklich zu werden beginnt, legt die zweite denjenigen Grenzwert zu Grunde, wo jener Unterschied aufhört merklich zu sein. Bei der dritten aber wird ein zwischen diesen beiden Grenzfällen gelegener Wert angenommen, den man willkürlich dem einen oder andern näher bringen kann, indem man S größer oder kleiner nimmt, beziehungsweise den Bruch  der Einheit mehr oder weniger sich nähern läßt. In dem Moment, wo eben  der Einheit gleich wird, geht die dritte in die erste Methode, und sobald es seinen Minimalwert erreicht, geht sie in die zweite Methode über. Die Tatsache, daß es für die Bestimmung jener einzigen Veränderlichen der Empfindung, der Unterschiedsschwelle, nicht bloß eine sondern drei Methoden gibt, beruht also darauf, daß die Unterschiedsschwelle der Empfindung einen gewissen Umfang hat, der durch Zustände des Bewußtseins und äußere Momente in seiner Größe bestimmt wird. Die Methode der eben merklichen Unterschiede ermittelt den oberen, die Methode der mittleren Fehler den unteren Grenzwert, die Methode der richtigen und falschen Fälle nimmt einen zwischen beiden gelegenen Punkt an, der durch willkürliche Variation der Versuchsbedingungen bald näher der unteren, bald näher der oberen Grenze gewählt werden kann31).

31) Hiernach kann ich FECHNER'S Ansicht über das Verhältnis der drei Methoden nicht vollständig teilen, wenn er (Psychophysik I, S. 73) dasselbe so bestimmt, daß bei der Methode der eben merklichen Unterschiede die Grenze zwischen übermerklichen und untermerklichen Unterschieden beobachtet, bei der Methode der mittleren Fehler untermerkliche Unterschiede gemessen und bei der Methode der richtigen und falschen Fälle übermerkliche Unterschiede gezählt werden, die nach Zufälligkeiten bald in richtigem bald in falschem Sinne ausfallen. Vielmehr haben es, wie ich glaube, alle drei Methoden mit der Grenze des eben Merklichen zu tun , die aber keine scharfe Linie ist, sondern eine gewisse Ausdehnung besitzt, daher bei ihr ein oberer und ein unterer Grenzwert sowie irgend ein zwischen diesen eingeschlossener Mittelwert gemessen werden kann.

Der nächste Ausdruck für das Gesetz, nach welchem sich zwischen den Grenzen der Schwelle und Höhe mit dem Reize die Empfindung verändert, wird je nach der Methode, von der man ausgeht, ein verschiedener. Bei der Methode der eben merklichen Unterschiede findet man, daß der Zuwachs des Reizes, welcher eine eben merkliche Änderung der Empfindung hervorbringt, zu der Reizgröße, zu welcher er hinzukommt, immer im selben Verhältnisse steht. Muß man also zu einem Gewichte 1 ein Gewicht 1/3 zulegen, damit der Druckunterschied eben merklich werde, so muß ein Gewicht 2 um 2/3, ein Gewicht 3 um 1 wachsen, wenn ein merklicher Unterschied der Empfindung entstehen soll. Bei der Methode der mittleren Fehler ergibt sich, daß der mittlere variable Fehler, welcher beider Vergleichung eines Reizes mit einem andern, von dem er nicht merklich verschieden ist, begangen wird, stets einen konstanten Bruchteil des Reizes ausmacht. Es werde z. B., wenn einem Gewicht von der Größe 1 ein anderes gleich gemacht werden soll, ein durchschnittlicher variabler Fehler von 1/10 begangen, so beträgt dieser Fehler 2/10, wenn das Gewicht = 2 ist, 3/10, wenn es = 3 ist, u. s. f. Bei der Methode der richtigen und falschen Fälle endlich findet sich, daß, wenn nach Elimination der Miteinflüsse bei der Vergleichung zweier unmerklich verschiedener Reize das Verhältnis  der richtigen Entscheidungen zur Gesamtzahl der Fälle konstant bleiben soll, die beiden verglichenen Reize stets dasselbe Verhältnis zu einander behalten müssen. Angenommen, ein Druck 1 verglichen mit einem Druck 1 + 1/5 gebe ein bestimmtes Verhältnis , so muß der Druck 2 mit einem andern 2 + 2/5, 3 mit 3 + 3/5 verglichen werden, damit wieder dasselbe Verhältnis  erhalten bleibe.

Man sieht leicht ein, daß es sich in diesen drei Fällen nur um verschiedene empirische Ausdrücke für ein und dasselbe Gesetz handelt, welches wir, da bei der ersten Methode direkt, bei den zwei andern aber indirekt die dem gleichen Empfindungszuwachs entsprechende Reizänderung bestimmt wird, allgemein so ausdrücken können: Wenn die Intensität der Empfindung um gleiche absolute Größen zunehmen soll, so muß der relative Reizzuwachs konstant bleiben. Oder: Ein Unterschied je zweier Reize wird als gleich groß empfunden, wenn das Verhältnis derselben unverändert bleibt. In der durch die Methode der eben merklichen Unterschiede gegebenen Form ist dieses Gesetz zuerst von E. H. weber festgestellt, auf dem Wege der zwei andern Methoden ist es von fechner geprüft und als das WEBER'sche oder psychophysische Grundgesetz bezeichnet worden32).

32) E. H. Weber, Annotationes anatomicae (Programmata collecta). Prol. XII (1831). Art. Tastsinn und Gemeingefühl im Handwörterb. der Physiologie III, 2, S. 481. FECHNER, Abhandlungen der kgl. sächs. Gesellschaft zu Leipzig. VI. (Math.-phys. Cl. IV) S. 455. Elemente der Psychophysik. Leipzig 1860.

Bei jeder der drei angegebenen Methoden bedient man sich zur Feststellung des Grundgesetzes sehr kleiner Empfindungsänderungen, die sich im allgemeinen zwischen zwei sehr nahe bei einander gelegenen Grenzwerten bewegen, einem, wo die Änderung merklich zu werden anfängt, und einem andern, wo sie aufhört dies zu sein. Die Empfindungsänderungen, deren man sich bedient, sind also verschwindende oder eben erscheinende Größen. Solche Größen, die gegen endliche Werte eben verschwinden, pflegt man aber als Differentialgrößenerster Ordnung zu bezeichnen. Wertänderungen derselben, die für sie selbst in Betracht kommen, bringen in ihrem Verhältnis gegen endliche Größen noch keine irgend spürbare Abweichung hervor. Diejenigen Größen, deren Werte und merkliche Wertveränderungen wieder gegen die Differentiale erster Ordnung verschwinden, werden dann als Differentiale zweiter, dritter u. s. w. Ordnung betrachtet. Es ist nun eine charakteristische Eigentümlichkeit der psychischen Messung, daß die intensiven psychischen Größen schlechterdings nur an ihren Differentialen erster Ordnung gemessen werden können. Denn für das Verhältnis endlicher Empfindungen zu einander haben wir keinen Maßstab, und solche Empfindungsgrößen, die gegen verschwindende Empfindungen wieder verschwinden, können auch nicht weiter in Betracht kommen. Dagegen ist die Differentialempfindung erster Ordnung das natürliche Maß der Empfindungsänderung, weil sie im Vergleich mit jeder endlichen Empfindung immer denselbenWert behält, nämlich verschwindend klein ist, und weil daher auch Änderungen dieser Differentialgröße, die für sie selbst in Betracht kommen, gegenüber der Intensität endlicher Empfindungen verschwinden. In der Tat machen wir von der letzteren Eigenschaft bei den drei Methoden der psychophysischen Messung Gebrauch, indem wir bei jeder eigentlich eine andere sehr kleine Größe benutzen, bei der ersten die eben erscheinende, bei der zweiten die eben verschwindende Änderung, bei der dritten einen zwischen beiden Grenzen gelegenen Wert, und jeden dieser Werte doch mit vollem Recht als das erste Differential der Empfindung betrachten dürfen. Obgleich wir nun dergestalt jeweils nur die Änderungen des Reizes bestimmen können, welche verschwindenden Änderungen der Empfindung entsprechen, so können wir doch aus den so gewonnenen Resultaten auch schließen, in welchem Verhältnis Zuwüchse der Empfindung von endlicher Größe zu den entsprechenden Zuwüchsen des Reizes stehen. Denn wenn wir bei einer Kurve ermitteln, wie sich für verschiedene Abszissenwerte k, 2k u. s. w. (s. unten Fig.68) zu einer verschwindend kleinen Zunahme dE der Abszisse die entsprechende Zunahme dR der Ordinate verhält, so läßt sich aus dem für die verschiedensten Werte von E bestimmten Verhältnis  die ganze Gestalt der Kurve, d. h. die Beziehung, welche zwischen endlichen Werten von E und R stattfindet, erschließen. In der Tat haben wir in der allgemeinen Formulierung des psychophysischen Gesetzes diese Beziehung zwischen endlichen Reiz - und Empfindungsänderungen bereits vorausgreifend festgestellt. Da nämlich, welchen Wert wir dem Reiz auch geben mochten, für je eine unendlich kleine Empfindungszunahme immer dasselbe Verhältnis zwischen Reizzuwachs und ursprünglichem Reize gefunden wurde, so konnten wir allgemein schließen, daß überhaupt gleiche absolute Veränderungen der Empfindungen, auch solche von endlicher Größe, entstehen, wenn der Reiz um gleiche relative Größen sich ändert. Die mathematische Form der so für die Beziehung zwischen Empfindung und Reiz festgestellten Funktion ist die nämliche, wie sie zwischen den Logarithmen und den ihnen zugehörigen Grundzahlen stattfindet. Die Logarithmen ändern sich um gleiche absolute Größen, wenn die Grundzahlen um gleiche relative Größen zunehmen. Es läßt sich daher dem psychophysischen Grundgesetz der mathematische Ausdruck geben: die Empfindung ist proportional dem Logarithmus des Reizes. Bezeichnet man die Reizstärke mit R, die zugehörige Stärke der Empfindung mit E, den Schwellenwert des Reizes, also denjenigen, für welchen E = 0 ist, mit a, endlich mit C eine aus den Versuchen zu bestimmende Konstante, so wird dieses Gesetz ausgedrückt durch die Gleichung:

,

welche, wenn man den Schwellenwert des Reizes = 1 setzt, die einfache Form annimmt:

E = C. log. R.

Geometrisch läßt sich das psychophysische Grundgesetz auf doppelte Weise versinnlichen. Trägt man nämlich auf die Empfindungsstärken als Abszissen die zugehörigen Reizstärken als Ordinaten auf, so erhält man die in Fig. 68 gezeichnete Kurve, welche eine gewöhnliche Logistik oder logarithmische Linie ist. Nimmt man dagegen die Reizstärken zu Abszissen, die zugehörigen Empfindungsstärken zu Ordinaten an, so erhält man die unten in Fig. 69 dargestellte Linie.

Um die oben gegebene mathematische Form für das psychophysische Grundgesetz abzuleiten, kann man entweder sogleich seinen allgemeinsten Ausdruck zu Grunde legen, in der es sich auch auf endliche Werte der Empfindung bezieht, oder von der Betrachtung des Differentials der Empfindung nach der vorhin festgestellten Bedeutung dieses Begriffs ausgehen. Beginnen wir mit dem letzteren, welches eigentlich allein direkt durch Beobachtung zu bestimmen ist, und bezeichnen wir dasselbe durch dE, den Reiz durch R und den dem Differential dE entsprechenden Zuwachs des Reizes durch dR, so läßt sich das psychophysische Grundgesetz durch die folgende Fundamentalformel darstellen,

welche ausdrückt, daß jeder unendlich kleinen Veränderung der Empfindung ein konstantes Verhältnis von Reizzuwachs und Reiz entspricht.

Um für das Gesetz in seiner Beziehung auf endliche Empfindungsgrößen einen Ausdruck zu gewinnen, wollen wir zunächst die geometrische Versinnlichung zu Hilfe nehmen. Wir denken uns demgemäß die Empfindungszuwüchse als Teile von gleicher Größe auf eine Abszissenlinie aufgetragen, die korrespondierenden Reizzuwüchse sollen dann als Zunahmen der Ordinaten erscheinen (Fig.68). Es sei jeder Abszissenteil = , womit angedeutet werde, daß wir uns die endliche Empfindungsstärke E in n Abszissenteile geteilt denken. Die Größe  wollen wir mit k, ferner die Ordinate am Nullpunkte mit a, die darauf folgenden sukzessiv den Abszissenwerten k, 2k, 3k. . . entsprechenden mit b, c, d . . . bezeichnen. Nun soll nach dem psychophysischen Grundgesetz gleichen Zuwüchsen k immer dasselbe Verhältnis der Ordinaten, zwischen denen jeder Teil k eingeschlossen ist, entsprechen. Es ist demnach  ein konstantes Verhältnis, und die auf einander folgenden Ordinaten bilden folgende Reihe:

,
worin a die Ordinate für den Abszissenwert 0 und  dieselbe für den Abszissenwert nk = E ist. Bezeichnen wir die entsprechende Reizordinate mit R, so ergibt sich, wenn man in den der Abszisse E zugehörigen Wert  der Ordinate für n den Wert  einführt, als allgemeine Beziehung zwischen den Abszissen und Ordinaten der Kurve die Gleichung
oder, wenn man die willkürlich zu bestimmende Anfangsordinate a = 1 setzt,
                                                                                     Rk = bE,
woraus die Grundgleichung für die Beziehung zwischen Empfindung und Reiz entsteht:  E log nat. b = k log. nat.R,

.

Diese Gleichung ist von FECHNER als die psychophysische Maßformel bezeichnet worden, weil sie unmittelbar zur Messung von Empfindungsgrößen benützt werden kann, während die Fundamentalformel nur das allgemeine Gesetz des Wachstums der Empfindung ausspricht. Vor der wirklichen Anwendung der Maßformel muß aber die Bedeutung der in ihr vorkommenden Konstanten b und k, sowie die Einheit des Reizes, welche man annimmt, festgestellt sein. Letzteres ist bereits stillschweigend geschehen, indem wir die dem Abszissenwerte 0 entsprechende Anfangsordinate a = 1 setzten. Der Abszissenwert 0 ist nämlich offenbar der Grenzpunkt, wo die Empfindung überhaupt beginnt, die Empfindungsschwelle, a = 1 bedeutet also, daß als Einheit des Reizes der Schwellenwert desselben genommen wurde. In der Tatsache, daß bei jedem logarithmischen System der Logarithmus der 1 = 0 ist, liegt die Notwendigkeit diese Einheit zu wählen eingeschlossen. Ferner ist b diejenige Ordinate, welche dem Abszissenwerte k entspricht. Nun können wir für die Empfindung, ebenso wie für den Reiz jede beliebige Einheil wählen. Nehmen wir also k zur Einheit, was in der Annahme, das nk = E sein soll, eigentlich schon inbegriffen ist, so wird b diejenige Reizgröße, welche der Einheit der Empfindung entspricht. Die Wahl der Einheit k ist vollkommen willkürlich. Die Empfindung selbst gibt gar kein Prinzip an die Hand, wodurch diese oder jene Empfindungsgröße als die zweckmäßigere Einheit erschiene. Wohl aber können wir der Beziehung zum Reiz ein solches Prinzip entnehmen. Offenbar werden wir nämlich die Einheit der Empfindung am zweckmäßigsten derart bestimmen, daß ihr Verhältnis zur Einheit des Reizes ein möglichst einfaches wird. Dies ist aber nach dem zwischen Empfindung und Reiz festgestellten Gesetz dann der Fall, wenn wir die Einheit der Empfindung so wählen, daß die ihr entsprechende Reizgröße gleich ist der Basis des natürlichen Logarithmensystems, also = 2,7183 .... Bei jedem Logarithmensystem ist nämlich der Logarithmus der Basis = 1, setzen wir daher ein solches Verhältnis der Empfindungseinheiten zu den Reizeinheiten fest, daß für k = 1 b = e (Basis der natürlichen Logarithmen), also log. nat. b = 1 wird, so erhält die Maßformel ihre einfachste Form:
E = log. nat. R.

Die Empfindung ist gleich dem natürlichen Logarithmus des Reizes, wenn man als Einheit des Reizes die Reizschwelle und als Einheit der Empfindung diejenige Intensität der Empfindung wählt, welche dem 2,7183fachen Wert der Reizschwelle entspricht.

Die Umformungen, welche man mit dieser Gleichung vornehmen muß, wenn die Einheiten von Reiz und Empfindung anders bestimmt werden, liegen auf der Hand. Nehmen wir zunächst als Einheit der Empfindung nicht die dem 2,7183fachen Wert der Reizschwelle entsprechende Größe sondern irgend eine andere, so wird die Maßformel durch folgende Gleichung ausgedrückt werden können:

E = K log. nat. R, wo K eine von der gewählten Einheit abhängige Konstante bedeutet. Wird außerdem auch die Reizeinheit so bestimmt, daß sie nicht dem Schwellenwert des Reizes entspricht, so haben wir, wenn a den Schwellenwert bedeutet, offenbar in der obigen Formel nur  statt R zu setzen, um die vorigen Reizeinheiten in die neuen überzuführen. Will man sich endlich statt der natürlichen der gewöhnlichen Logarithmen bedienen, so hat man lediglich die Konstante K durch den Modul M des Logarithmensystems zu dividieren, d. h. statt K eine neue Konstante  einzusetzen33). In ihrer allgemeinsten Form lautet daher die Maßformel

33) Es ist nämlich log. nat. =  Bei den gewöhnlichen Briggischen Logarithmen mit der Grundzahl 10 ist M = 0,434294481.

Wir haben hier die Gleichung, welche das Wachstum der Empfindung mit dem Reiz für unendlich kleine Werte der ersteren darstellt, und diejenige, welche das Verhältnis beider Größen zu einander unter Voraussetzung endlicher Werte ausdrückt, unabhängig von einander entwickelt. Man kann aber die letztere, die Maßformel, auch unmittelbar aus der ersteren, der Fundamentalformel, ableiten. Die Gleichung

gibt nämlich, wenn sie integriert wird;
                                                                                        E = K log. nat. B + A,

worin die Integrationskonstante A sich dadurch bestimmt, daß für den Schwellenwert a des Reizes E = 0 wird, woraus folgt

                                                                                         0 = K log. nat. a + A,

                                                A = - K log. nat. a, also, wenn man diesen Wert in die erste Gleichung einsetzt,                                     E = K (log. nat. R — log. nat. a). oder, wenn man gewöhnliche Logarithmen nimmt,
                                                                                       E = C. (log. R — log. a).

Die logarithmische Linie (Fig. 68) stellt die Beziehung zwischen Empfindung und Reiz so dar, daß durch die Kurve das Wachstum des Reizes versinnlicht wird, welches gleichen Zuwüchsen der Empfindung entspricht. Wählt man den umgekehrten Weg, indem man das gleichen Zuwüchsen des Reizes entsprechende Wachstum der Empfindung durch eine Kurve versinnlicht, so erhält man die in Fig. 69 dargestellte Linie, die bei einem Punkte a, welcher der Reizschwelle entspricht, sich über die Abszissenlinie erhebt und etwa bei einem Punkte m, welcher der Reizhöhe entspricht, ihr Maximum erreicht. Links von a senkt sich die Kurve unter die Abszissenlinie, um sich der Ordinatenachse y y' asymptotisch zu nähern. Da beim Punkte a, wo die Ordinaten positive Werte annehmen, die Empfindung eben bewußt wird, so haben offenbar die links von a gelegenen negativen Werte die Bedeutung unbewußter Empfindungen. Dem Nullpunkt der Abszissen würde aber eine unendlich große negative Ordinate entsprechen. Das ganze Wachstum der Empfindung mit dem Reize stellt daher nach dieser Kurve so sich dar, daß beim Reizwerte null die Empfindung unendlich tief unter der Schwelle des Bewußtseins liegt, worauf mit wachsender Größe des Reizes die Empfindungen allmälig endliche, aber immer noch negative, d. h. unbewußte Werte annehmen, um erst bei der Reizschwelle a null zu werden: sie treten jetzt über die Schwelle, gehen mit weiter wachsendem Reize in positive, d. h. bewußte Größen über, bis endlich ein Grenzwert m des Reizes erreicht wird, wo weitere endliche Zunahmen desselben keine merkliche Steigerung der Empfindung mehr bewirken. So führt diese graphische Versinnlichung von selbst darauf, daß die unter der Empfindungsschwelle gelegenen Empfindungen als negative Größen dargestellt werden müssen, die um so mehr wachsen, je weiter sie sich von der Schwelle entfernen, bis dem Reize null eine unendlich große negative Empfindung entspricht, d. h. eine solche, die unbewußter ist als jede andere. Daß auf der andern Seite nicht auch die Empfindung unendlich große positive Werte erreicht, liegt nicht in dem Gesetz ihres Wachstums sondern nur in den physiologischen Bedingungen der Reizempfänglichkeit begründet. Die Empfindung wächst nämlich zwar immer langsamer, aber wäre man im Stande den Reiz, beziehungsweise den Nervenprozeß, der ja allein direkt auf die Empfindung wirkt, in's unbegrenzte zu steigern, so würde auch die Empfindung in's unendliche wachsen. Immerhin liegt die Tatsache der Empfindungshöhe insofern schon in dem allgemeinen Gesetz angedeutet, als von einer gewissen Grenze m an einer endlichen Steigerung des Reizes nur noch eine unendlich kleine Zunahme der Empfindung korrespondiert. Die drei Fundamentalwerte des Reizes, welche so mit drei bestimmten Grenzwerten der Empfindung verbunden sind, nämlich der Reiz null, bei welchem dieselbe negativ unendlich ist, der Reiz a, bei welchem sie null ist oder aus negativen in positive Werte übergeht, und der Reiz m, bei welchem sie ihre Höhe erreicht, lassen auch in der Fig. 68 sich nachweisen. Hier müssen dann, da die Abszissen Empfindungen bedeuten, die links von der Ordinate a gelegenen Abszissen den negativen, unbewußten Empfindungen entsprechen. Von da an nähert sich die Kurve der Reizgrößen asymptotisch der Abszissenlinie und erreicht dieselbe auf ihrer linken, negativen Seite erst in unendlicher Ferne. Rechts steigen die Ordinaten immer rascher an, bis bei einer Reizstärke m das Wachstum so groß geworden ist, daß erst nach einer unendlichen Änderung des Reizes ein endlicher, d. h. merklicher Wert der Empfindungsänderung eintritt. In dem logarithmischen System finden diese Beziehungen darin ihren Ausdruck, daß der Logarithmus von 0 negativ unendlich, und der Logarithmus der Einheit, als welche wir in Fig. 68 die Reizschwelle a angenommen haben, = 0 ist. Der obere Grenzwert m aber findet sich, da Zahlen in's unbegrenzte wachsen können, nur in der immer kleiner werdenden Differenz der den gleichen Zahlunterschieden entsprechenden Logarithmen angedeutet.
    Außer den drei genannten Fundamentalwerten des Reizes, von denen die zwei ersten in der allgemeinen Funktionsbeziehung unmittelbar schon ausgedrückt sind, der dritte aber durch die physiologischen Verhältnisse mitbedingt ist, läßt sich noch ein vierter aufstellen, welcher ebenfalls in der Form des psychophysischen Gesetzes seinen Grund hat und, wenn er auch nicht von so augenfälliger Bedeutung ist wie die drei ersten, doch wahrscheinlich für gewisse Eigentümlichkeiten der Empfindung von Wichtigkeit wird. Betrachten wir nämlich die in der Fundamentalformel gegebene allgemeinste Form unseres Gesetzes

,
so drückt dieselbe augenscheinlich nicht bloß aus, daß für den ganzen Empfindungsumfang jede unendlich kleine Änderung der Empfindung proportional ist dem Verhältnisse , sondern auch daß, so lange sich die Reizgröße R nicht merklich ändert, die unendlich kleine Empfindungsänderung dE der unendlich kleinen Reizänderung dR proportional bleibt. Mit andern Worten: so lange der Reiz merklich konstant ist, kann die Funktionsbeziehung zwischen Empfindungs- und Reizänderung als eine lineare betrachtet werden, was in der graphischen Versinnlichung sich darin zu erkennen gibt, daß jedes kleinste Stück der Kurven Fig. 68 oder Fig. 69 als Teil einer geraden Linie angesehen werden kann.Nun erkennt man aber sogleich bei Betrachtung dieser Kurven, daß die Richtungsänderung im Verhältnis zur Steilheit des Ansteigens an, verschiedenen Punkten eine sehr verschiedene relative Geschwindigkeit hat. In Fig. 68 ist links von a zwar die Richtungsänderung klein, aber auch die Steilheit des Ansteigens unendlich gering, die Kurve verläuft fast parallel der Abszissenlinie; dagegen ist in der Nähe von m die Steilheit des Ansteigens bedeutend, gleichzeitig aber auch die Richtungsänderung groß. In Fig.69 kehren diese Verhältnisse sich um: hier ist links von a größte Steilheit mit schnellster Richtungsänderung und bei m langsamstes Ansteigen mit kleinster Richtungsänderung. Diejenige Stelle, welche die geringste relative Geschwindigkeit der Richtungsänderung zeigt, liegt offenbar in beiden Kurven etwas nach rechts von a: hier kann das verhältnismäßig größte Stück der Kurve als eine gerade Linie betrachtet werden, welche, wenn man sie verlängert denkt, in nicht zu weiter Entfernung die Abszissenachse schneidet. In diesem Teil der Kurve kann also dR verhältnismäßig die größten Werte erreichen. ohne daß dE aufhört proportional zu wachsen. Die diesem ausgezeichneten Punkt entsprechende Reizgröße wollen wir den Kardinalwert des Reizes, die ihm entsprechende Empfindung den Kardinalwert der Empfindung nennen. Da bei a augenscheinlich die Empfindung rascher, bei m aber langsamer wächst als der Reiz, so muß der den Kardinalwerten entsprechende Punkt der Kurve an der Grenze zwischen diesen beiden Verlaufsstücken liegen: denn die Grenze zwischen dem langsameren und dem schnelleren ist eben das proportionale Wachstum. Man kann daher den Kardinalwert des Reizes auffinden, indem man entweder mittelst der Formel E = log. nat. R die Werte aufsucht, welche dem E von der Schwelle 1 an bei wachsenden Werten von R zukommen, und so die Grenze zwischen dem langsameren und dem rascheren Wachstum von R empirisch ermittelt, oder indem man durch Rechnung denjenigen Punkt der logarithmischen Kurve bestimmt, für welchen das Verhältnis ein Maximum ist34). Auf beiden Wegen findet man, daß der Kardinalwert des Reizes = e, gleich der Grundzahl der natürlichen Logarithmen ist, wenn manden Schwellenwert des Reizes = 1 setzt. Wenn also der Reiz das 2,7183.. -fache seines Schwellenwert es beträgt, so wächst die Empfindung der Reizstärke proportional. Schon hier können wir aus diesem Resultate die Folgerung ziehen, daß, wo es sich um die Verwertung der Empfindungen für die Erkenntnis objektiver Eindrücke handelt, die günstigste Reizstärke diejenige sein wird, bei welcher der Reiz seinen Kardinalwert erreicht. Denn die objektiven Eindrücke werden dann am genauesten aufgefaßt, wenn die Empfindung den Veränderungen ihrer Stärke genau proportional folgt35).
34) Nach bekannten Regeln der Differentialrechnung ist diese Bedingung dann erfüllt, wenn das entsprechende Differentialverhältnis  oder  = 0 ist.

35) Eine weitere Folgerung, welche aber von geringerer praktischer Wichtigkeit ist, läßt sich aus der Existenz des Kardinalwertes in Bezug auf das Verhältnis der Intensität der Empfindung zur extensiven Einwirkung des Reizes ziehen. Angenommen, es sei ein Reiz von der Intensität J gegeben, und es sei anheimgestellt, denselben beliebig auf eine kleinere oder größere empfindende Fläche zu verteilen. Es wird dann, wenn sich der Reiz über die n-fache Oberfläche ausdehnt, die Intensität an jedem Punkte nur  von derjenigen sein, welche der auf die Oberfläche 1 wirkende Reiz hat. Man kann nun fragen, wie groß bei gegebener Intensität J die Oberfläche, über die sich der Reiz ausdehnt, sein muß, wenn die Summe des Empfindens ein Maximum sein soll, und es ist klar, daß dieser Fall dann eintritt, wenn die Reizintensität an jedem Punkte das 2,718 . . . fache der Reizschwelle wird.

Die Sinnesreize, die bis jetzt hauptsachlich in Bezug auf ihr Intensitätsverhältnis zur Empfindung geprüft wurden, sind: Licht, Druck von Gewichten, Hebung von Gewichten, Temperatureinwirkungen, nur beiläufig Schall. In allen diesen Fällen hat man das psychophysische Grundgesetz bewährt gefunden, allerdings aber mit gewissen Einschränkungen, die im Gebiet des Lichtsinnes am meisten sich bemerklich machen.
    Daß unsere Lichtempfindung nicht einfach proportional der objektiven Lichtstärke sondern langsamer zunimmt, ist aus zahlreichen Erfahrungen ersichtlich. Der Schatten, welchen ein dunkler Gegenstand im Mondlichte entwirft, verschwindet, wenn man eine hellleuchtende Lampe in die Nähe bringt; ein Schatten im Lampenlicht verschwindet hinwiederum, wann die Sonne zu leuchten beginnt. Ähnlich verschwindet das Licht der Sterne im Tageslicht. In allen diesen Fällen sind nun die objektiven Helligkeitsunterschiede gleich groß: das Sonnenlicht fügt zu dem Lampenschatten und seiner helleren Umgebung, zu dem Sternenlicht und dem dunkeln Himmelsgrund gleiche absolute Helligkeitsmengen hinzu. Helligkeitsdifferenzen von konstant bleibender Größe werden also nicht mehr empfunden, wenn die Lichtintensität zunimmt. Läßt man dagegen, statt bei gleich bleibender Helligkeitsdifferenz die absolute Lichtintensität zu steigern, zwei in Vergleich gezogene Helligkeiten immer im gleichen Verhältnis zu- oder abnehmen, so bemerkt man, daß die Unterschiede der Lichtempfindung entweder sich gleich bleiben, oder doch jedenfalls nicht im selben Verhältnis wie die objektiven Lichtintensitäten sich ändern. Betrachtet man z. B. Wolken von verschiedener Helligkeit zuerst mit freiem Auge und dann durch verdunkelnde graue Gläser, so sind in beiden Fällen feine Abstufungen der Helligkeit ungefähr mit gleicher Deutlichkeit sichtbar36). Aus dieser Beobachtung ergibt sich schon, daß das psychophysische Grundgesetz wenigstens als eine annähernde Regel für die Auffassung von Lichtintensitäten gelten müsse, da dieselbe lehrt, daß die Empfindungsdifferenz dieselbe bleibt, wenn die verglichenen Helligkeiten im gleichen Verhältnis zu- oder abnehmen. Das nämliche lehrt die Vergleichung der photometrisch ausgeführten Helligkeitsmessungen der Sterne mit dem subjektiven Lichteindruck, den die Sterne hervorbringen. Nach dem letzteren hat man dieselben, noch ehe man ihre objektiven Helligkeiten kannte, in Größenklassen, eingeteilt, da ein leuchtender Punkt um so größer erscheint, je heller er gesehen wird. Dabei hat sich denn ergeben, daß die scheinbaren Sterngrößen in arithmetischem Verhältnisse zunehmen, wenn ihre objektiven Helligkeiten in geometrischem wachsen, eine Beziehung, welche ebenfalls durch das psychophysische Gesetz ausgedrückt wird37). Direkter haben BOUGUER und fechner die Empfindlichkeit für Helligkeitsdifferenzen zu bestimmen gesucht, indem sie eine weiße Tafel mit zwei Kerzenflammen von genau gleicher Lichtintensität erleuchteten und einen Stab davor aufstellten, der nun zwei Schatten auf die Tafel warf. Das eine Licht L' wurde dann bei wechselnder Distanz des anderen L so weit entfernt, bis der entsprechende Schatten nicht mehr sichtbar war. Ist s die Entfernung des näheren Lichtes L, s' diejenige des entfernteren L', so verhalten sich die Intensitäten J und J' umgekehrt wie die Quadrate der Entfernungen, also wie s' 2 : s2. Ist z. B. L' 10 mal so weit von der Tafel entfernt wie L, so ist J' = 1/100 J. Nun ist aber J genau der Lichtstärke in dem vom entfernteren Licht L' herrührenden Schatten gleich. Im Moment wo dieser Schatten verschwindet ist also der von L' herrührende Beleuchtungszuwachs J' unmerklich geworden. BOUGUER fand auf diese Weise, daß bei verschiedenen Lichtintensitäten der Schatten verschwand, wenn sein Helligkeitsunterschied 1/64 war. VOLKMANN fand als Mittelwert 1/10038). Masson erkannte nach einer andern Methode, bei welcher er eine rasch rotierende weiße Scheibe mit einem kleinen schwarzen Sektor anwandte, noch 1/120 39). HELMHOLTZ konnte mittelst der MASSON'schen Methode noch deutlich einen Unterschied Von 1/133, etwas verwaschen 1/150 und auf Augenblicke sogar 1/167 erkennen. Zugleich aber fand er, daß dieses Verhältnis nicht ganz konstant war sondern sowohl für starke wie für schwache Lichtintensitäten sich änderte, indem gegen beide Grenzen hin die Unterschiedsempfindlichkeit ab-, also der Helligkeitsunterschied, der eben noch erkannt werden konnte, zunahm40). Was nun die Abänderung gegen die obere Grenze betrifft, so erklärt sich dieselbe leicht aus dem früher hervorgehobenen. Umstande, daß der Nervenprozeß, der ja die nächste Unterlage der Empfindung ist, eine bestimmte Maximalgrenze erreicht und wahrscheinlich schon bei der Annäherung an dieselbe langsamer zunimmt. Die Abweichung gegen die untere Grenze kann möglicher Weise zum Teil dadurch bedingt sein, daß die Netzhaut sich immer über der Reizschwelle befindet. Sobald nämlich die zu unterscheidenden objektiven Helligkeiten so schwach werden, daß das Eigenlicht, der Netzhaut nicht mehr dagegen verschwindet, so muß die Reizschwelle notwendig größer erscheinen, als sie ohne diesen Umstand gefunden würde 41). Aber einerseits ist das Eigenlicht der Netzhaut zu unbedeutend, anderseits sind die Abweichungen bei schwachen Helligkeiten viel zu groß, als daß sie hieraus allein abgeleitet werden könnten; auch greifen sie zum Teil noch auf größere Beleuchtungsintensitäten über. Dies haben besonders die von aubert teils mittelst der bouguer-fechner teils mittelst der MASSON'schen Methode ausgeführten Versuche gezeigt. Dieselben beweisen, daß die Unterschiedsempfindlichkeit von einer gewissen mittleren Lichtstärke an, welche derjenigen des diffusen Tageslichts ungefähr gleichkommt, sowohl bei der Abnahme wie bei der Zunahme der absoluten Helligkeit sinkt. Während bei gewöhnlicher Tagesbeleuchtung noch Unterschiede von 1/186 erkannt wurden, stiegen dieselben von da an bei abnehmender Helligkeit ganz allmälig bis auf 1/3, und ähnlich nahmen sie mit wachsender Helligkeit zu42). Es scheint uns aber nicht gerechtfertigt, hieraus mit aubert zu schließen, daß das psychophysische Grundgesetz im Gebiet der Lichtempfindungen überhaupt ungültig sei43). Denn nicht nur wäre eine solche Ausnahme, nachdem dasselbe Gesetz für die verschiedensten andern Sinnesempfindungen erwiesen worden ist, höchst auffallend, sondern es bleibt auch unbestreitbar, daß innerhalb einer gewissen mittleren Helligkeit die relative Unterschiedsempfindlichkeit annähernd konstant ist. Man wird also zuerst nachzuforschen haben, ob jene Abweichungen bei schwacher Lichtstärke nicht aus andern Momenten erklärt werden können, die das psychophysische Gesetz nicht zu seinem reinen Ausdrucke kommen lassen, ähnlich wie ja auch die Abweichung bei stärkeren Helligkeiten hinreichend aus den oben angeführten Umständen sich erklärt. In der Tat scheint nun ein derartiger Einfluß der von aubert selbst näher erforschten Adaptation des Auges zuzukommen. Die Adaptation für Lichtstärken besteht darin, daß das Auge für jede Helligkeit erst bei längerer Einwirkung derselben seine größte Empfindlichkeit erreicht. Wird das Auge plötzlich aus einem dunklen in einen heller erleuchteten Raum gebracht, so tritt derselbe Effekt ein, der normaler Weise erst den stärksten Lichtintensitäten, welche die Netzhaut ertragen kann, zukommt, die Netzhaut wird geblendet, und es werden verhältnismäßig große Helligkeitsdifferenzen nicht mehr unterschieden. Geht umgekehrt das Auge aus der Tageshelle in einen sehr schwach beleuchteten Baum über, so erscheint derselbe anfänglich gleichmäßig dunkel, und erst allmälig werden die Gegenstände erkannt. Beide Anpassungen, die an stärkere und die an schwächere Helligkeiten, beruhen wahrscheinlich auf sehr verschiedenen Ursachen, die wir hier unerörtert lassen können. Beide müssen aber notwendig bewirken, daß die Unterschiedsempfindlichkeit beim Wechsel der Beleuchtung herabgedrückt wird. So fand denn auch AUBERT, daß bei einer sehr geringen Beleuchtung, bei welcher im Anfang die Unterschiedsempfindlichkeit = 1/4 war, sie nach längerer Zeit auf 1/25 sich erhob44). Ob noch andere Umstände bei den genannten Abweichungen mitwirken, müssen wir dahingestellt lassen. Sicher ist, daß alle angeführten Momente, das Eigenlicht der Netzhaut sowie die Adaptation des Auges, die Unterschiedsempfindlichkeit bei sehr geringen Lichtstärken herabsetzen müssen. Jene Momente bestehen aber in Veränderungen der rein physiologischen Bedingungen der Reizbarkeit, können also in das psychophysische Grundgesetz, sobald man unter demselben die rein psychologische Abhängigkeit von der Reizstärke versteht, keine Aufnahme finden, wenn sie auch unter Umständen jenes Gesetz verdecken mögen 45).

36) Fechner, Abhandl. der kgl. sächs. Ges. VI, S. 488.

37) FECHNER ebend. S. 492 und Elemente der Psychophysik I, S. 158.

38) Fechner. Psychophysik I, S. 148.

39) MASSON, ann. de chim. et de phys. 3. sér. XIV, p. 129.

40) Helmholtz, physiologische Optik, S. 315.
41) Man hat nämlich dann offenbar in der Gleichung  zu R noch das Eigenlicht der Netzhaut R0 hinzuzufügen, also zu setzen, woraus folgt .

42) AUBERT, Physiologie der Netzhaut. Breslau 1865. S. 58 f,

43) Ebend. S. 63.

44) Ebend. S. 67.

45) Dies gilt daher auch von der empirischen Formel, welche helmholtz (physiol. Optik S. 316) dem psychophysischen Gesetz zu substituieren versucht hat, und welcher höchstens ein praktischer Wert zukommen könnte. Wegen der Veränderlichkeit der physiologischen Bedingungen der Erregbarkeit ist es übrigens fraglich, ob eine allgemein gültige empirische Formel sich überhaupt aufstellen läßt.

Die Unterschiedsempfindlichkeit für den Druck und beim Heben von Gewichten hat schon E. H. Weber gemessen, und seine hierher gehörigen Versuche haben die erste Unterlage des psychophysischen Gesetzes gebildet. Er fand, daß die Unterscheidung nach der bloßen Druckempfindung erheblich unvollkommener ist, als wenn gleichzeitig, wie es beim Heben geschieht, das Muskelgefühl hinzugezogen wird. Doch weichen die einzelnen von weber gefundenen Werte sehr bedeutend von einander ab, zum Teil, wie es scheint, deshalb, weil in seinen Versuchen bald erst ein deutlich merkbarer Unterschied, bald schon ein solcher, bei dem noch einzelne Irrtümer vorkamen, als Maß der Unterschiedsempfindlichkeit benutzt wurde46). Durch fechner wurde dann mittelst zahlreicher Versuche über das Heben von Gewichten, die nach der Methode der richtigen und falschen Fälle angestellt sind, die Gültigkeit des WEBER'schen Gesetzes bestätigt47). In weber's und fechner's Hebungsversuchen sind übrigens die Bewegungsempfindungen nicht vollkommen isoliert sondern vermischt mit gleichzeitigen Druckempfindungen zur Beobachtung gekommen; unabhängig von diesen lassen sie sich nur in gewissen pathologischen Fällen untersuchen, in denen die Hautsensibilität aufgehoben ist, während die Muskelgefühle erhalten blieben: hier pflegt dann die Unterschiedsempfindlichkeit für das Heben von Gewichten nicht verändert zu sein48).

46) Nach einer in den Programm, coll. mitgeteilten Tabelle (Prol. XII, p. 6, auch abgedruckt bei Fechner, Psychophysik I, S. 139), welcher Versuche nach der Methode der eben merklichen Unterschiede zu Grunde liegen, wurde nämlich beim Druck von Gewichten im Mittel eine Differenz von 10,88, beim Heben eine solche von 2,93 bemerkt, wenn jedesmal von einem Gewicht von 32 Unzen oder Drachmen ausgegangen wurde, wobei jedoch die einzelnen Zahlen von diesen Mittelwerten sehr bedeutend abweichen. In der Abhandlung über Tastsinn und Gemeingefühl ist dagegen angegeben , daß wir mittelst des Drucks noch eine Differenz von 1/30, durch Heben eine solche von 1/40 wahrnehmen können (S. 559). Aber diesen Angaben liegen offenbar Versuche zu Grunde, bei denen noch öfter ein Irrtum der Beurteilung vorkommt, bei denen also das Verfahren der Methode der richtigen und falschen Fälle sich nähert (vgl. ebend. S. 547).

47) Elemente der Psychophysik I, S. 183 f.

48) LEYDEN, Virchow's Archiv Bd. 47, S. 325. Bernhardt, Archiv f. Psychiatrie III, S. 632.

Auch über die Temperaturempfindungen der Haut liegen Versuche von Weber und von FECHNER nach der Methode der eben merklichen Unterschiede vor. Dieselben lehren, daß die eben merklichen Unterschiede der Wärmeempfindung den Temperaturüberschüssen über eine gewisse, ungefähr der Eigenwärme der Haut entsprechende Mitteltemperatur innerhalb ziemlich weiter Grenzen proportional sind49). Dagegen zeigt die Unterschiedsempfindlichkeit für Kälte so bedeutende Abweichungen von dem WEBER’schen Gesetze, daß dasselbe hier nicht einmal als eine erste Annäherung betrachtet werden kann. Diese Abweichungen haben aber ohne Zweifel in der bedeutenden Abstumpfung der Reizbarkeit durch die Einwirkung der Kälte ihren physiologischen Grund, wodurch die eben merklichen Temperaturdifferenzen viel rascher als proportional ihrer Entfernung von der Mitteltemperatur zunehmen. Es handelt sich demnach hier um dieselbe physiologische Abweichung von dem Gesetze, wie sie überhaupt nahe dem Höhenwert der Empfindung stattfindet, nur daß dieselbe diesmal bei minder starken Reizen schon eintritt.

49) Als solche Mitteltemperatur nahm FECHNER das Mittel zwischen Frostkälte und Blutwärme = 14,77º R. an (a. a. O. S. 203).

Über die Unterschiedsempfindlichkeit für Schallstärken liegen bis jetzt nur wenige approximative Versuche vor, welche aber zeigen, daß das Gehör verhältnismäßig nicht sehr scharf ist in der Unterscheidung von Intensitäten des Reizes. Nach Versuchen von RENZ und wolf, mit denen Beobachtungen volkmann's gut übereinstimmen, ist nämlich das Verhältnis der absoluten Schallstärken, welche noch unterschieden werden können, nahezu = 3 : 4 50). Die Konstanz dieses Verhältnisses zeigt, daß auch hier das psychophysische Grundgesetz maßgebend ist. So ist denn das letztere für eine hinreichende Zahl von Empfindungen erwiesen, um es als ein allgemeines Gesetz, welches das Verhältnis der Sinnesempfindung zur Intensität des Reizes beherrscht, betrachten zu können. Die allerdings bemerkenswerten Ausnahmen von demselben lassen sich teils mit Sicherheit teils mit großer Wahrscheinlichkeit auf physiologische Verhältnisse zurückführen, die seine strenge Gültigkeit beeinträchtigen. Indem so das Gesetz selber sich wesentlich nur auf die Beziehung zwischen dem Nervenprozeß und der Empfindung erstreckt, wird zugleich die psychologische Bedeutung desselben wahrscheinlich gemacht. Auf diese wird jedoch erst am Ende des nächsten Kapitels einzugehen sein, nachdem wir zuvor die gesetzmäßigen Beziehungen, die zwischen der Reizform und der Qualität der Sinnesempfindungen bestehen, kennen gelernt haben.

50) Fechner, Psychophysik I, S. 176. Benz und Wolf, in VIERORDT'S Archiv f. physiol. Heilkunde. 1856. S. 188.