Zweiter Abschnitt.
Von den Empfindungen.

Siebentes Kapitel.
Allgemeine Eigenschaften der Empfindung.

Indem wir die Betrachtung des inneren Geschehens mit den einfachsten Erscheinungen desselben zu beginnen suchen, sehen wir uns sogleich zu dem Geständnisse genötigt, daß sich das Einfache selbst niemals unserer Beobachtung darbietet, sondern immer erst aus den verhältnismäßig verwickelten Verbindungen, die es eingeht, gesondert werden muß. Diejenigen psychologischen Elemente, welche den Charakter einfachster Erscheinungen zweifellos an sich tragen, sind aber die reinen Empfindungen. Wir verstehen unter ihnen die ursprünglichsten Zustände, welche der Mensch in sich findet, losgetrennt von allen Beziehungen und Verbindungen, die das entwickelte Bewußtsein immer ausführt. In dieser Abstraktion gedacht, besitzt die Empfindung einzig und allein Intensität und Qualität als nähere Bestimmungen. Dagegen bleibt vorerst außer Betracht ihre zeitliche Dauer, weil die Zeitanschauung erst beim Wechsel der Empfindungen und Vorstellungen sich ausbildet. Ebenso sehen wir noch ganz und gar ab von den räumlichen Beziehungen, in denen gewisse Empfindungen stets unserer Selbstbeobachtung gegeben sind, weil solche, wie sich später zeigen wird, immer aus der Wechselwirkung einer Mehrheit von Empfindungen hervorgehen. Die so definierte reine Empfindung ist also nichts weiter als ein nach Stärke und Qualität veränderliches inneres Sein, das wir uns etwa mittelst der Fiktion einer so eben in Wirksamkeit tretenden CONDILLAC'schen Statue verdeutlichen können 1).

1) Unter seiner Statue dachte sich condillac bekanntlich einen mit der Fähigkeit der Empfindungen begabten aber durch eine Marmorhülle gegen alle Sinnesreize geschützten Menschen, dessen verschiedene Sinnesorgane dann sukzessiv äußeren Einwirkungen geöffnet wurden. condillac, traité des sensations, préface.

Von einer Zurückführung auf gesonderte Ursprungsquellen, wie die spätere, zum Teil erst die wissenschaftliche Reflexion sie ausführt, liegt nichts in der ursprünglichen Empfindung. Ob diese von äußeren oder von inneren, in den Organen selbst erzeugten Reizen herstammt, darüber entscheidet erst das entwickelte Selbstbewußtsein. Die Frage vollends, ob sie in einer peripherischen oder in einer zentralen Erregung ihre Ursache habe, ist immer nur auf Grund physiologischer Nachforschungen zu entscheiden, da das natürliche Bewußtsein auch die aus zentraler Erregung entspringenden Empfindungen2) peripherisch lokalisiert. Von den eigentlichen Empfindungen hat man zuweilen diejenigen ausgeschieden, welche auf einen Zustand des empfindenden Subjekts bezogen werden, und dieselben als sinnliche Gefühle bezeichnet. Aber da diese Beziehung kein ursprünglicher Akt ist, so kann auch der auf sie gegründeten Unterscheidung nur eine sekundäre Bedeutung beigelegt werden. Jedes Gefühl hat eine Empfindung als Grundlage, und es beruht wesentlich nur auf der Beziehung, in die unser entwickeltes Bewußtsein die Empfindung bringt, wenn wir sie im einen Fall ein Gefühl in einem anderen eine Empfindung nennen. Auch die eigentlichen Empfindungen, wie die des Gesichts, des Gehörs, sind häufig von deutlichen Gefühlen begleitet. Zum mindesten liegt in vielen der zusammengesetzten Vorstellungen der genannten Sinne die bestimmte Hindeutung auf sinnliche Gefühle, welche die elementaren Faktoren ästhetischer Wirkungen bilden. Bei anderen Sinnen, wie dem Getast, dem Geruch und Geschmack, ist die gleichzeitige Beziehung eines und desselben Vorgangs auf einen äußern Reiz und auf einen subjektiven Zustand so augenfällig, daß schon der gewöhnliche Sprachgebrauch hier die Bezeichnungen Empfindung und Gefühl untermischt anwendet. Demnach ist es offenbar das naturgemäße, die Empfindung als den ursprünglichen Begriff hinzustellen und jeder Empfindung gleichzeitig einen bestimmten Gefühlston beizulegen, wobei jedoch der letztere mehr zurück-, oder mehr in den Vordergrund treten kann. Hierauf beruht dann die gewöhnliche Unterscheidung der Empfindungen im engeren Sinne und der sinnlichen Gefühle. Als ursprünglichen Inhalt des Bewußtseins betrachten wir also stets die reine Empfindung. Sie ist das Element, aus welchem alle anderen Produkte des Bewußtseins hervorgehen. An jeder Empfindung können wir aber Intensität, Qualität und Gefühlston oder sinnliches Gefühl unterscheiden. Unter ihnen bilden die beiden ersten wieder die ursprünglicheren Bestandteile. Denn von ihnen können wir nicht abstrahieren, wogegen der Gefühlston hinwegfällt, sobald man die Empfindung an und für sich betrachtet, ohne Rücksicht auf das Bewußtsein, in welches sie eingeht.

2) Vgl, Kap. V.

Die allgemeinen Ursachen der Empfindung sind die Empfindungsreize. Sie sind entweder äußere Vorgänge, welche auf die der Außenwelt zugekehrten Organe einwirken, oder Zustandsänderungen, welche im Organismus selbst entstehen. Man unterscheidet daher äußere und innere Empfindungsreize. Diejenigen Organe, welche äußeren Reizen unmittelbar zugänglich sind, pflegt man im engeren Sinne die Sinnesorgane zu nennen und deren fünf zu unterscheiden, den gewöhnlich angenommenen fünf Sinnen, Getast, Gesicht, Gehör, Geruch und Geschmack, entsprechend. Auch in diesen Sinnesorganen können sich innere Reize entwickeln, welche in den Strukturbedingungen oder in Zustandsänderungen der Organe ihre Ursache haben. Aber solche innere Reize, wie sie z. B. in Auge und Ohr durch den Druck, welchem die empfindenden Flächen ausgesetzt sind, in der Haut durch die wechselnde Erfüllung mit Blut und die damit verbundene Temperaturänderung entstehen, sind hier von untergeordneter Bedeutung. Andere Organe dagegen sind ausschließlich inneren Reizen zugänglich. Hierher gehören im allgemeinen alle diejenigen Teile des Körpers, welche durch ihre Lage direkten äußeren Einwirkungen entzogen sind. Die Fähigkeit derselben, Empfindungen zu vermitteln, richtet sich nach der Menge ihrer sensibeln Nerven. Durchweg ist die Reizbarkeit dieser innern Organe eine stumpfere, es entstehen in ihnen entweder überhaupt nur unter abnormen Verhältnissen, nämlich in Folge pathologischer Reize, deutliche Empfindungen, oder die im normalen Zustand der Organe vorhandenen sind so schwach, daß sie der Beobachtung um so leichter entgehen, als sie sich in ihrer Qualität und Intensität höchst gleichförmig verhalten.
    Man faßt zuweilen alle diese Empfindungen innerer Teile unter dem Namen der Gemeingefühle zusammen, weil sie es hauptsächlich sind, von denen das sinnlich bestimmte subjektive Befinden oder das Gemeingefühl des Körpers abhängt. Eine besondere Stellung unter ihnen nehmen diejenigen ein, welche in den nervösen Zentralorganen entstehen. Sie haben das eine gemeinsam, daß sie nicht, wie die übrigen Empfindungen, wenn auch in noch so unbestimmter Weise, an den Orten ihrer Entstehung lokalisiert werden, sondern daß das natürliche Bewußtsein sie stets in diejenigen peripherischen Organe verlegt, welche mit den betreffenden Zentralteilen in leitender Verbindung stehen. In diese Klasse gehören sehr verschiedenartige Empfindungen, die wir im allgemeinen in drei Gruppen sondern können. Eine erste umfaßt Empfindungen, die als Regulatoren gewisser vegetativer Verrichtungen dienen, wie das Gefühl des Atembedürfnisses in seinen verschiedenen Graden, das Hunger- und Durstgefühl. Sie bilden einen wesentlichen Bestandteil des Gemeingefühls. Mit diesen peripherisch lokalisierten Empfindungen aus zentraler Reizung pflegen solche, die aus der Erregung der peripherischen Organe selbst entspringen, in untrennbarer Weise sich zu verbinden. Eine zweite Gruppe bilden jene Empfindungen, welche an die Bewegungen der willkürlichen Muskeln geknüpft sind, die Bewegungsempfindungen oder Innervationsgefühle der Muskeln. Die wichtige Rolle, welche dieselben bei der Bildung der durch die äußeren Sinne vermittelten Vorstellungen spielen, bringt sie zu den eigentlichen Sinnesempfindungen in nahe Beziehung; außerdem tragen sie aber auch zu der Färbung des Gemeingefühls wesentlich bei, indem sie sich mit anderen Empfindungen verbinden, die von dem physiologischen Zustande der Muskeln, namentlich von dem Grad ihrer Ermüdung bedingt sind. Als eine dritte Gruppe zentraler Empfindungen sind endlich diejenigen zu unterscheiden, welche in der Reizung solcher zentraler Sinnesflächen ihre Ursache haben, die den peripherischen Gebieten der äußeren Sinnesorgane zugeordnet sind. Dieselben können auf doppelte Weise entstehen: entweder durch die allgemeinen Gesetze der Wechselwirkung der Vorstellungen, als Bestandteile reproduzierter Vorstellungen, oder in Folge unmittelbarer physiologischer Erregung der Zentralteile durch die in Kap. V erörterten automatischen Reize, als Bestandteile der Halluzinationen und Traumvorstellungen. Diese beiden Formen der Empfindung, die mit einander verwandt sind und zuweilen in einander übergehen, wollen wir, da sie den eigentlichen Sinnesempfindungen am nächsten stehen und oft nicht von denselben unterschieden werden können, als zentrale Sinnesempfindungen bezeichnen. Sie beruhen auf der unmittelbaren Reizung jener zentralen Sinnesflächen, in welchen die Fasern der Sinnesnerven schließlich ausstrahlen3).

3) Nach ihrem Ursprung können demnach alle Empfindungen folgendermaßen klassifiziert werden:

    Empfindungen aus peripherischer Reizung.                                             Empfindungen aus zentraler Reizung.                                 |-----------------------------------------------------|                                                 |-------------------------------------------|
                Peripherische Sinnes-                                   Organgefühle.                     Innervationsempfin-                      Zentrale Sinnes-
                empfindungen.                                                                                             dungen u. zentrale                         empfindungen
                                                                                                                                        Gemeingefühle.
                                                                                                               |--------------------------|
                                                                                                                    Gemeingefühle.

Die äußeren Vorgänge, welche als Reize auf unsere Sinnesorgane einwirkend die Sinnesempfindung hervorrufen, sind Bewegungen. Doch besitzen nur bestimmte Bewegungsvorgänge die Eigenschaft der Sinnesreize, und unter diesen gibt es einzelne, die bloß auf bestimmte Sinnesorgane erregend wirken können. Man unterscheidet daher allgemeine und besondere Sinnesreize. So viel wir wissen, bringen vier Arten von Bewegung unter geeigneten Umständen von jedem der fünf Sinnesorgane aus Empfindung hervor: l) mechanischer Druck oder Stoß, 2) Elektrizitätsbewegungen, 3) Wärmeschwankungen und 4) chemische Einwirkungen. Jeder dieser Vorgänge muß eine gewisse Intensität und Geschwindigkeit besitzen, wenn er zum Reize werden soll. Ihre reizende Eigenschaft verdanken aber die genannten Bewegungen höchst wahrscheinlich dem Umstande, daß sie direkt in der Nervenfaser selbst den Reizungsvorgang auslösen; denn dieselben wirken nicht bloß auf die Sinnesorgane, sondern auch auf die Sinnesnerven sowie überhaupt auf alle, daher auch auf motorische, sekretorische, Nerven als Reize. Hiervon unterscheiden sich die besonderen oder spezifischen Sinnesreize dadurch, daß jeder derselben ein besonderes Sinnesorgan mit eigentümlich ausgestatteten Endorganen zum Angriffspunkte hat. Aber nur für vier unter den fünf Sinnesorganen gibt es solche spezifische Sinnesreize: für das Gehörorgan ist dies der Schall, für das Auge das Licht, für Geschmacks- und Geruchsorgan chemische Einwirkungen, welche bei dem einen von Flüssigkeiten, bei dem andern von gasförmigen Stoffen ausgehen müssen. Zwar gehört die chemische Einwirkung auch zu den allgemeinen Nervenreizen, aber um in so geringer Intensität zu wirken, wie auf die Geschmacks- und Geruchsschleimhaut, bedarf sie besonderer Endorgane. Unter diesen speziellen Bedingungen wird sie daher zum spezifischen Sinnesreiz. Auch die allgemeinen Nervenreize erzeugen übrigens Empfindungen, welche den durch die spezifischen Sinnesreize ausgelösten gleichen. So beobachtet man namentlich bei mechanischer oder elektrischer Reizung des Seh- und Hörnerven Licht- und Schallempfindung. In Bezug auf die chemische und thermische Reizung ist dies allerdings wegen der schwierigen Anwendungsweise der Reize nicht dargetan; ebenso fehlt in Bezug auf die Geruchs- und Geschmacksnerven die entsprechende Nachweisung. Indem man aber auch hier die Reaktion auf jeden Reiz in der dem Nerven eigentümlichen Sinnesqualität immerhin für höchst wahrscheinlich halten kann, spricht man jedem dieser Sinnesnerven und Sinnesorgane eine spezifische Sinnesenergie zu, worunter man die Tatsache versteht, daß die Erregung eines der vier genannten Organe oder der mit denselben zusammenhängenden Nervenfasern mit irgend einem Reize eine besondere, nur dem betreffenden Organe eigentümliche und mit keiner Empfindung eines andern Organs vergleichbare Beschaffenheit der Empfindung erzeugt. In diesem Sinne aufgefaßt drückt der Satz von der spezifischen Energie eine nicht bestreitbare Tatsache der Erfahrung aus. Solches ist nicht mehr der Fall, wenn man damit die Annahme verbindet, die Verschiedenheit der Empfindung sei durch spezifisch verschiedene physiologische Eigenschaften der Sinnesnerven verursacht, eine Annahme, welche der vorzugsweise durch J. müller ausgebildeten Lehre von den spezifischen Energien zu Grunde liegt 4). Eine unter den fünf Sinnesflächen des Körpers, und zwar die ausgebreitetste, die äußere Haut oder das Tastorgan, nimmt insofern eine abgesonderte Stellung ein, als es für dieselbe spezifische Sinnesreize nicht gibt. Damit steht wohl die anatomische Tatsache im Zusammenhang, daß besondere Endapparate, die den in andern Sinnesorganen aufgefundenen entsprächen, hier nicht nachweisbar zu sein scheinen5). Zwar ist das Tastorgan für zwei der allgemeinen Nervenreize, für Druck und Wärmeschwankungen, vorzugsweise empfindlich; aber dies kann sehr leicht durch eine freiere, an vielen Stellen mittelst besonderer Vorrichtungen den Druckreizen zugänglichere Lage der Endverzweigungen bedingt sein. Hiernach scheint es, daß die Tastempfindungen auf der unmittelbaren Reizung von Nervenfasern beruhen. Dadurch sind dieselben nahe verwandt mit den Organgefühlen, die ebenfalls im allgemeinen aus der direkten Reizung der in den Organen sich ausbreitenden sensibeln Nerven entspringen. In der Tat zeigen die Druck- und Wärmeempfindungen unverkennbar eine Ähnlichkeit mit vielen Gemeingefühlen, so daß sie mit diesen nicht ohne Berechtigung von manchen Physiologen unter der gemeinsamen Bezeichnung des Gefühlssinnes zusammengefaßt worden sind6). Darnach würde also dem Tastsinn eine spezifische Sinnesenergie wenigstens in der Bedeutung, wie sie für die vier anderen Sinne anzunehmen ist, nicht zukommen.

4) Vgl. Kap. V und unten Kap. IX.

5) Vgl. Kap. IX.

6) J, MÜLLER, Handbuch der Physiologie. Bd. 11. Koblenz 1840. S. 275. Übrigens werden von MÜLLER auch die Bewegungsempfindungen zum Gefühlssinn gerechnet, die, so weit sie sich auf das unmittelbare Bewußtsein der Bewegungsenergie beziehen, jedenfalls anderen Ursprungs sind.

Schall und Licht, die beiden Sinnesreize, welche die mannigfaltigsten Empfindungen anregen können, sind schwingende Bewegungen. Bei jeder solchen Bewegung können wir die Weite und die Form der Schwingungen unterscheiden. Unter der Schwingungsweite (Amplitude) versteht man die Raumentfernung, um welche sich das Bewegliche bei jeder Schwingung aus seiner Gleichgewichtslage entfernt, unter der Schwingungsform die Kurve, welche es während einer gegebenen Zeit im Raume beschreibt. Die Schwingungsform kann entweder eine periodische oder eine aperiodische sein. Periodisch ist eine Bewegung, die sich nach gleichen Zeitabschnitten immer genau in derselben Weise wiederholt; ist dies nicht der Fall, so nennt man die Bewegung aperiodisch, So ist z. B. Fig. 67 A eine aperiodische, B bis D sind periodische Schwingungen. Zwei periodische Schwingungsformen können entweder nur dadurch von einander abweichen, daß bei sonst übereinstimmender Gestalt der Schwingungskurve nur die Geschwindigkeit der Schwingungen eine verschiedene ist, oder es kann die Geschwindigkeit übereinstimmen und die Gestalt der Kurve abweichen, oder endlich es kann beides, Geschwindigkeit der Periode und Gestalt der Kurve, verschieden sein. In B – D sind diese verschiedenen Fälle dargestellt. Die beiden Kurven in B stimmen in ihrer Form überein, aber bei der punktierten Kurve wiederholen sich die Perioden doppelt so schnell als bei der ausgezogenen. Mit der letzteren stimmt die Kurve C hinsichtlich der Geschwindigkeit der Perioden überein, aber die sonstige Form weicht ab, von der punktierten Linie B unterscheidet sich C in beiden Beziehungen. Die Fig. 67 D veranschaulicht endlich auch noch das Verhältnis von Schwingungsweite und Schwingungsform. Die beiden Kurven stimmen nämlich sowohl in der Geschwindigkeit der Perioden wie in der Form überein, aber die punktierte Kurve hat eine geringere Schwingungsweite.
    Die Schwingungsweite hängt von der Größe der Kraft ab, durch welche die Bewegung hervorgebracht ist. Denken wir uns etwa als Beispiel die Schwingungen einer Saite, so ist die Schwingungsperiode von der Länge der Saite, die Schwingungsform von der sonstigen Beschaffenheit derselben sowie von der Art, wie sie in Bewegung gesetzt (ob sie z. B. gezupft, geschlagen oder gestrichen) wird, die Schwingungsweite aber ist von der Kraft des Anstoßes abhängig. Als gleichbedeutend mit Amplitude pflegt man daher auch den Ausdruck Stärke der Schwingungen zu gebrauchen. Die Amplitude oder Stärke der Schwingungen wird sonach durch die Intensität der bewegenden Kraft, die Schwingungsform aber durch das Gesetz ihrer Wirkung bestimmt.
    Von der Schwingungsstärke hängt nun die Intensität; von der Schwingungsform die Qualität der Schall- und Lichtempfindung ab. Intensität und Qualität unterscheiden wir aber nur, weil beide unabhängig veränderliche Teilbestandteile einer jeden Empfindung sind, und dies sind sie deshalb, weil wir den reizenden Schwingungsvorgang bald nur in Bezug auf die Amplitude bald nur in Bezug auf die Form der Bewegung verändern können. Ton und Farbe sind uns stets gleichzeitig als Intensität und Qualität gegeben, aber wir können dem nämlichen Ton, der nämlichen Farbe eine verschiedene Intensität geben, oder wir können auch verschiedene Klänge und Farben in gleicher Intensität hervorbringen. Doch im letzteren Fall sind wir unserer Sache weniger gewiß. Während wir unmittelbar aus der Empfindung zu entscheiden vermögen, ob ein bestimmter Klang oder eine bestimmte Lichtempfindung an Stärke zu- oder abnimmt, ist unsere Intensitätsvergleichung verschiedener Klänge oder Farben, sofern es sich nicht um bedeutende Unterschiede handelt, eine sehr unsichere, und zu genauen Resultaten gelangen wir im allgemeinen nur, wenn wir objektive Hilfsmittel hinzunehmen, wenn wir uns z. B in so große Entfernung von der Klang- oder Lichtquelle begeben, daß die Empfindung unmerklich wird. Aber auch da, wo in Folge bedeutender Intensitätsunterschiede solche Hilfsmittel nicht nötig werden, scheint es nicht sowohl die unmittelbare Empfindung zu sein, die uns über jene Rechenschaft gibt, als die verschiedene Gewalt, mit der sich die Eindrücke unserer Aufmerksamkeit einprägen und andere Vorstellungen aus derselben verdrängen. Wahrscheinlich hat daher jene psychologische Trennung der immer gleichzeitig als Intensität und Qualität gegebenen Empfindungen in ihre Bestandteile so sich gebildet, daß durch den Intensitätswechsel qualitativ konstant bleibender Empfindungen die Intensität als unabhängig veränderliche Eigenschaft der Empfindung sich einprägte7). Deshalb steht auch wohl von jenen beiden Teilbestandteilen der Empfindung die Intensität in direkterer Beziehung zur Beschaffenheit des Reizes. Daß einer stärkeren Reizbewegung eine stärkere Empfindung entspricht, erscheint gewissermaßen selbstverständlich; nicht so das Verhältnis der Qualität zur Schwingungsform. So wird denn auch die Empfindungsstärke seit undenklicher Zeit auf die Stärke des Eindrucks zurückbezogen, während die Ableitung der Qualität aus der Schwingungsform durchaus der neueren Wissenschaft angehört, da die ältere die Empfindungsqualitäten im allgemeinen aus ihnen gleichenden Qualitäten des Reizes erklärte8). Die Intensität blieb nun als objektiver Begriff bestehen, weil die Stärke der Empfindung fortan das natürliche Maß für die Intensität der bewegenden Kräfte blieb; die Qualität verschwand aus dem objektiven Geschehen, weil der Begriff der Bewegungsform, in den sie sich auflöste, unmittelbar keine allgemeingültige Beziehung zur Empfindung mehr erkennen ließ. Nichts desto weniger würde man sich täuschen, wenn man deshalb die Intensität als einen Begriff ansehen wollte, dem an und für sich schon eine objektive Bedeutung zukäme. Intensität und Qualität entstammen beide bloß der Empfindung. Ihr einziger Unterschied besteht darin, daß die Beziehung der Intensität zur Stärke der Reizbewegung für den ganzen Umfang unserer Empfindungen eine gleichförmige Gültigkeit bewahrt, offenbar weil der Umfang der Bewegung eine Seite des Bewegungsbegriffes ist, die überall gleichförmig wiederkehrt, während die vielgestaltige Bewegungsform eine ähnliche gleichförmige Beziehung nicht zuläßt. Undenkbar wäre auch für die Qualitäten ein derartiges Verhältnis nicht. Angenommen z. B., alle Sinnesreize bestanden in Schwingungen eines und desselben Mediums, welche keine weiteren Unterschiede der Form als solche in der Geschwindigkeit der Perioden darböten, und angenommen unsere Sinnesorgane wären so beschaffen, daß die Reizungsvorgänge in ihnen stetig dem äußeren Vorgänge folgten , so müßte die Qualität der Empfindung durchaus dieselbe gleichförmige Beziehung zur Reizform wie die Empfindungsintensität zur Reizstärke besitzen. Die zutreffende Probe auf diese Voraussetzung ist in der Tat vorhanden: es gibt eine Reihe von Reizen, die bloß nach der Geschwindigkeit der Schwingungsperiode sich unterscheiden, und denen Empfindungen von ähnlich abgestufter Beschaffenheit entsprechen, die einfachen Töne.

7) Wir sehen uns schon hier einer psychologischen Analyse gegenübergestellt, welche die ursprünglichsten Facta der inneren Erfahrung, die Empfindungen, in bloße Gedankenprodukte auflöst, insofern die genannten Teilbestandteile der Empfindung in dieser ihrer Trennung gar nicht Gegenstand der Empfindung sind, daher fordert diese Analyse selbst zur Untersuchung ihrer psychologischen Gründe heraus. Hierauf kann aber erst an einem andern Ort näher eingegangen werden. Vergl. Kap. XVI.

8) Am frühesten vollzog sich die Unterscheidung der Empfindungsqualität vom äußern Reize zweifellos im Gebiet der Schallempfindungen. Vgl. PLATO, Timäos 28—30.