III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde.

§ 15. Bewußtsein und Aufmerksamkeit.

    l. Da sich jedes psychische Gebilde aus einer Vielheit elementarer Vorgänge zusammensetzt, die weder sämtlich genau im selben Moment zu beginnen noch aufzuhören pflegen, so reicht der Zusammenhang, der die Elemente zu einem Ganzen verbindet, im allgemeinen stets über dieses hinaus, so daß verschiedene gleichzeitige wie sukzessive Gebilde selbst wieder, wenn auch loser, untereinander verbunden werden. Diesen weiteren Zusammenhang der psychischen Vorgänge nennen wir das Bewußtsein.

    Der Begriff des Bewußtseins bezeichnet demnach nichts, was neben den psychischen Vorgängen vorhanden wäre. Aber er bezieht sich auch keineswegs bloß auf die Summe derselben ohne jede Rücksicht darauf, wie sie sich zueinander verhalten; sondern seine Bedeutung ist die, daß er jene allgemeine Verbindung der seelischen Erlebnisse ausdrückt, aus der sich die einzelnen Gebilde als engere Verbindungen herausheben. Einen Zustand, in welchem dieser Zusammenhang unterbrochen ist, wie den des tiefen Schlafes, der Ohnmacht, nennen wir daher bewußtlos; und wir reden von "Störungen des Bewußtseins", sobald abnorme Veränderungen in der Verbindung der psychischen Gebilde auftreten, ohne daß diese selbst dabei irgendwelche Veränderungen darzubieten brauchen.

    2. Das Bewußtsein steht nun unter den gleichen äußeren Bedingungen wie der Tatbestand des psychischen Geschehens überhaupt, für den es nur ein anderer, speziell die wechselseitigen Beziehungen der Bestandteile desselben hervorhebender Ausdruck ist. Als Träger der Symptome eines individuellen Bewußtseins ist uns überall ein individueller tierischer Organismus gegeben, und in diesem erscheint wieder bei dem Menschen und den ihm ähnlichen höheren Tieren die Rinde des Großhirns, in deren Zellen- und Fasernetzen die sämtlichen zu den psychischen Vorgängen in Beziehung stehenden Organe vertreten sind, als das nächste Organ des Bewußtseins. Diesen Zusammenhang der Rindenelemente des Gehirns können wir als den physiologischen Ausdruck des im Bewußtsein gegebenen Zusammenhangs der psychischen Vorgänge, die Funktionsteilung der verschiedenen Rindengebiete als das physiologische Korrelat der mannigfachen Verschiedenheiten der einzelnen Bewußtseinsvorgänge betrachten. Dabei ist freilich bei diesem zentralsten Organ des Körpers die Funktionseinteilung immer nur eine relative: schon jedes einzelne psychische Gebilde setzt das Zusammenwirken zahlreicher Elemente und vieler Zentralgebiete voraus. Wenn die Wegnahme gewisser Teile der Hirnrinde bestimmte Störungen der willkürlichen Bewegung und der Empfindung hervorbringt oder auch die Bildung gewisser Klassen von Vorstellungen aufhebt, so darf man also daraus schließen, daß jene Gebiete Mittelglieder enthalten, die in der Kette der den betreffenden psychischen Vorgängen parallel gehenden physischen Prozesse unentbehrlich sind. Aber die häufig auf diese Erscheinungen gestützte Annahme, es gebe im Gehirn ein abgegrenztes Organ des Sprachvermögens, des Schreibvermögens, oder die Gesichts-, die Klang-, die Wortvorstellungen usw. seien in besonderen Zellen der Hirnrinde abgelagert, diese und ähnliche Annahmen setzen nicht nur überaus rohe physiologische Vorstellungen voraus, sondern sie sind auch mit der psychologischen Analyse der Funktionen unverträglich. Psychologisch betrachtet sind sie lediglich moderne Erneuerungen der unglücklichsten Form der Vermögens-theorie, der Phrenologie.

    2a. Die Nachweise über die Lokalisation bestimmter psychophysischer Funktionen in der Hirnrinde, die wir teils der pathologisch-anatomischen Beobachtung am Menschen, teils dem Tierversuch verdanken, bestehen: l) in der Zuordnung bestimmter Rindengebiete zu bestimmten peripheren Sinnes- und Muskelgebieten: so ist ein Teil der Rinde des Okzipitalhirns der Retina, ein Teil des Scheitelhirns der Tastfläche, des Schläfehirns dem Gehörssinn zugeordnet, die Zentralherde der einzelnen Muskelgebiete liegen im allgemeinen unmittelbar neben oder zwischen den mit ihnen in funktioneller Beziehung stehenden Sinneszentren; 2) in der Nachweisung verwickelterer Störungen bei der Funktionsaufhebung gewisser anderer Rindengebiete, die nicht direkt mit peripheren Körpergebieten in Verbindung zu stehen, sondern zwischen andere Zentralgebiete eingeschaltet zu sein scheinen. Mit Sicherheit ist in letzterer Beziehung die Zuordnung bestimmter Teile des Schläfehirns zu den Funktionen der Sprache nachgewiesen, und zwar der weiter nach vorn gelegenen zur artikulierten Wortbildung (ihrer Zerstörung folgt Aufhebung der motorischen Koordination, sogenannte "ataktische Aphasie"), der weiter nach hinten gelegenen zur Bildung der Wortstellungen (ihre Zerstörung hindert die sensorische Koordination und erzeugt so die "amnestische Aphasie"). Dabei ist noch die eigentümliche Tatsache beobachtet, daß diese Punktionen in der Regel ausschließlich im linken, nicht im rechten Schläfelappen lokalisiert sind, so daß meist nur dort, nicht hier apoplektische Zerstörungen die Aufhebung der Sprachfunktionen bewirken. Übrigens pflegt in allen diesen Fällen, sowohl bei den einfacheren wie bei den zusammengesetzteren Störungen, im Laufe der Zeit eine allmähliche Wiederherstellung der Funktionen stattzufinden, wahrscheinlich dadurch, daß für die zerstörten Rindengebiete andere, in der Regel in der Nachbarschaft gelegene (bei den Sprachstörungen vielleicht auch solche der entgegengesetzten, vorher nicht eingeübten Körperseite) vikariierend eintreten. Lokalisationen anderer zusammengesetzter psychischer Funktionen, wie der Erinnerungs- und Assoziationsvorgänge, sind bis jetzt nicht mit Sicherheit nachgewiesen, und wenn von manchen Anatomen gewisse Rindengebiete als "psychische Zentren" bezeichnet werden, so stützt sich dieser Name vorläufig nur teils auf die zweifelhafte Deutung von Versuchen an Tieren, teils auf die bloße anatomische Tatsache, daß direkt zu ihnen verlaufende motorische oder sensorische Fasern nicht aufzufinden sind, sowie daß sich überhaupt ihre Faserverbindungen relativ spät entwickeln. Zu dieser Art von Zentren gehört namentlich auch die Rinde des Stirnhirns, die sich am menschlichen Gehirn durch eine besonders starke Entwicklung auszeichnet. Auf die mehrfach gemachte Beobachtung, daß die Zerstörung dieses Hirnteils bald auffallende Unfähigkeit zu anhaltender Aufmerksamkeit oder auch sonstige, möglicherweise hierauf zurückzuführende intellektuelle Defekte zur Folge hat, stützt sich die Hypothese, es sei dies Gebiet als Zentrum für die unten zu erörternden Funktionen der Apperzeption (4) sowie für alle diejenigen Bestandteile der psychischen Vorgänge anzusehen, in denen, wie in den Gefühlen, der einheitliche Zusammenhang des Seelenlebens seinen Ausdruck findet. (Vgl. § 7, 10a.) Diese Hypothese bedarf aber noch einer zuverlässigeren Stütze durch die Erfahrung, als sie bis jetzt besitzt. Freilich kann auch in Beobachtungen, bei denen, im Widerspruch mit den obenerwähnten, partielle Verletzungen des Stirnhirns ohne merkliche Störungen der Intelligenz ertragen wurden, ein Gegenbeweis gegen jene hypothetische Funktion keineswegs gesehen werden. Denn viele Erfahrungen lehren, daß gerade in den höheren Zentralteilen, wahrscheinlich wegen der Vielseitigkeit der Faserverbindungen und der mannigfaltigen Formen, in denen daher verschiedene Elemente vikariierend füreinander eintreten, lokal beschränkte Eingriffe völlig symptomlos verlaufen können. Natürlich ist übrigens in allen diesen Fällen der Ausdruck "Zentrum" überall so zu verstehen, wie es durch das allgemeine Verhältnis der psychischen zu den physischen Funktionen geboten ist, d. h. in dem Sinn eines den prinzipiell abweichenden Gesichtspunkten der naturwissenschaftlichen und der psychologischen Betrachtung entsprechenden Parallelismus psychischer und physischer Elementar Vorgänge. (Vgl. § 1 und § 22, 9.)

    Literatur. Hitzig, Untersuchungen über das Gehirn, 1874. Alte und neue Untersuchungen über das Gehirn, 1903. H. Munk, Über die Funktionen der Großhirnrinde, 1891. Luciani und Seppilli, Die Funktions-Lokalisation auf der Großhirnrinde, 1886. Flechsig, Gehirn und Seele, 2. Aufl., 1896. Wundt, Phil. Stud., Bd. 6. Phys. Psych.6,I, Kap. 5. M. u. T. 30. Vorl. Über das Sprachzentrum: Völkerpsychologie, I, l, Kap. 5. Charlton Bastian, Über Aphasie und andere Sprachstörungen, 1902.

    3. Jener Zusammenhang der psychischen Vorgänge, in dem für uns der Begriff des Bewußtseins besteht, ist nun teils ein simultaner, teils ein sukzessiver. Simultan ist in jedem Moment die Summe der augenblicklichen Vorgänge als ein Ganzes angegeben, dessen Teile fester oder loser miteinander verbunden sind. Sukzessiv aber geht entweder der in einem nächsten Moment gegebene Zustand aus dem in dem unmittelbar vorausgehenden Moment vorhandenen kontinuierlich hervor, indem gewisse Vorgänge verschwinden, andere in ihrem Verlauf andauern, und noch andere beginnen; oder es treten, wenn Zustände der Bewußtlosigkeit dazwischenliegen, die neu entstehenden Vorgänge zu solchen in Beziehung, die früher vorhanden gewesen waren. In allen diesen Fällen ist zugleich der Umfang der einzelnen Verbindungen, die zwischen vorangegangenen und nachfolgenden Prozessen bestehen, bestimmend für den Zustand des Bewußtseins. Wie das Bewußtsein in Bewußtlosigkeit übergeht, wenn dieser Zusammenhang ganz unterbrochen wird, so ist es ein unvollkommeneres, wenn nur schwache Verbindungen zwischen einem gegebenen Moment und den ihm vorausgehenden existieren. So beginnt namentlich nach Zuständen der Bewußtlosigkeit das Bewußtsein in der Regel nur langsam seine normale Höhe zu erreichen, indem allmählich wieder Anknüpfungen an frühere Erlebnisse eintreten.

    Hieraus ergibt sich die Unterscheidung von Graden des Bewußtseins. Die untere Grenze, der Nullpunkt dieser Grade ist die Bewußtlosigkeit. Von ihr, die als ein absoluter Mangel psychischer Zusammenhänge dem Bewußtsein gegenübersteht, ist wesentlich zu unterscheiden das Unbewußtwerden einzelner psychischer Inhalte. Dieses findet bei dem stetigen Fluß des psychischen Geschehens fortwährend statt, indem nicht nur komplexe Vorstellungen und Gefühle, sondern auch einzelne Elemente dieser Gebilde verschwinden können, während neue an ihre Stelle treten. Irgendein aus dem Bewußtsein verschwundenes psychisches Element wird aber insofern von uns als ein unbewußt gewordenes bezeichnet, als wir dabei die Möglichkeit seiner Erneuerung, d. h. seines Wiedereintritts in den aktuellen Zusammenhang der psychischen Vorgänge, voraussetzen. Auf mehr als auf diese Möglichkeit der Erneuerung bezieht sich unsere Kenntnis der unbewußt gewordenen Elemente nicht. Sie bilden daher im psychologischen Sinne lediglich Anlagen oder Dispositionen zur Entstehung künftiger Bestandteile des psychischen Geschehens, die an früher vorhanden gewesene anknüpfen. Annahmen über den Zustand des "Unbewußten" oder über irgendwelche "unbewußte Vorgänge", die man neben den uns in der Erfahrung gegebenen Bewußtseinsvorgängen voraussetzt, sind deshalb für die Psychologie durchaus unfruchtbar; wohl aber gibt es physische Begleiterscheinungen jener psychischen Dispositionen, die sich teils direkt nachweisen, teils aus manchen Erfahrungen erschließen lassen. Diese physischen Begleiterscheinungen bestehen in den Wirkungen, welche die Übung in allen Organen und namentlich in den nervösen Organen hervorbringt. Als Wirkung der Übung beobachten wir nämlich im allgemeinen eine Erleichterung der Funktion, welche die Wiedererneuerung derselben begünstigt. Dabei wissen wir freilich auch hier noch nichts Näheres über die Veränderungen, die in der vorhandenen Struktur der Nervenelemente durch die Übung bewirkt werden; doch lassen sich immerhin diese Veränderungen durch naheliegende mechanische Analogien, wie z. B. durch die Verminderung der Reibungswiderstände infolge der Schleifung zweier Flächen aneinander, verdeutlichen.

    4. Schon bei der Bildung der zeitlichen Vorstellungen (§ 11, 10) wurde erwähnt, daß aus einer Reihe aufeinander folgender Vorstellungen in jedem Augenblick die unmittelbar gegenwärtige in unserer Auffassung bevorzugt ist. Ähnlich sind nun auch in dem simultanen Zusammenhang des Bewußtseins, z. B. in einem Zusammenklang von Tönen, in einem Nebeneinander räumlicher Objekte, einzelne Inhalte bevorzugt. In beiden Fällen bezeichnen wir diese Unterschiede der Auffassung als solche der Klarheit und Deutlichkeit, wobei wir unter der ersten die relativ günstigere Auffassung des Inhalts selbst, unter der zweiten die in der Regel damit verbundene bestimmtere Abgrenzung gegenüber andern psychischen Inhalten verstehen. Den durch eigentümliche Gefühle charakterisierten Zustand, der die klarere Auffassung eines psychischen Inhalts begleitet, nennen wir die Aufmerksamkeit; den einzelnen Vorgang, durch den irgendein psychischer Inhalt zu klarer Auffassung gebracht wird, die Apperzeption. Dieser stellen wir die sonstige, ohne den begleitenden Zustand der Aufmerksamkeit vorhandene Auffassung von Inhalten als die Perzeption gegenüber. Die Inhalte, denen die Aufmerksamkeit zugewandt ist, bezeichnen wir, nach Analogie des äußeren optischen Blickpunktes, als den Blickpunkt des Bewußtseins oder den inneren Blickpunkt, die Gesamtheit der in einem gegebenen Moment vorhandenen Inhalte dagegen als das Blickfeld des Bewußtseins oder das innere Blickfeld. Der Übergang irgendeines psychischen Vorgangs in den unbewußten Zustand endlich wird das Sinken unter die Schwelle des Bewußtseins, das Entstehen eines Vorgangs die Erhebung über die Schwelle des Bewußtseins genannt. Natürlich sind alles dies bildliche Ausdrücke, die nicht wörtlich genommen werden dürfen. Ihre Anwendung empfiehlt sich aber wegen der anschaulichen Kürze, die sie bei der Schilderung der Bewußtseinsvorgänge gestatten.

    6. Sucht man sich nun unter Zuhilfenahme dieser Bezeichnungen den Wechsel der psychischen Gebilde in ihrem Zusammenhang zu vergegenwärtigen, so stellt sich dieser als ein fortwährendes Gehen und Kommen dar, bei dem irgendwelche Gebilde zunächst in das innere Blickfeld, dann aus diesem in den inneren Blickpunkt eintreten, um hierauf wieder, bevor sie ganz verschwinden, in jenes zurückzukehren. Neben diesem Wechsel der zur Apperzeption gelangenden Gebilde besteht aber außerdem ein Kommen und Gehen solcher, die bloß perzipiert werden, also in das Blickfeld ein- und aus ihm wieder austreten, ohne in den Blickpunkt zu gelangen. Hierbei können sowohl den apperzipierten wie den perzipierten Gebilden noch verschiedene Grade der Klarheit zukommen. Bei den ersteren macht sich dies darin geltend, daß die Klarheit und Deutlichkeit der Apperzeption überhaupt je nach dem Zustand des Bewußtseins eine wechselnde ist. Dies läßt sich z. B. leicht bestätigen, wenn man einen und denselben Eindruck mehrmals nacheinander apperzipiert: es pflegen dann, falls nur die sonstigen Bedingungen unverändert bleiben, die folgenden Apperzeptionen klarer und deutlicher zu werden. Die verschiedenen Klarheitsgrade der bloß perzipierten Gebilde beobachtet man am leichtesten bei der Einwirkung zusammengesetzter Eindrücke. Man findet dann, namentlich wenn die Eindrücke bloß momentan eingewirkt haben, daß auch unter den an und für sich dunkler gebliebenen Bestandteilen noch verschiedene Abstufungen stattfinden, indem einzelne mehr, andere weniger über die Schwelle des Bewußtseins gehoben zu sein scheinen.

    6. Alle diese Verhältnisse lassen sich nicht durch zufällige innere Wahrnehmungen, sondern nur durch planmäßig geleitete experimentelle Beobachtungen mit Sicherheit feststellen. Man benutzt dabei zweckmäßig als zu beobachtende Bewußtseinsinhalte Vorstellungsgebilde, weil sich diese leicht jederzeit durch äußere Reize und zugleich bei nur momentaner Dauer der Reizeinwirkung in solcher Weise hervorbringen lassen, daß sich der im Augenblick des Reizes vorhandene Bewußtseinsinhalt deutlich von den vorangegangenen und nachfolgenden abhebt, wodurch dessen Analyse in der Selbstbeobachtung möglich wird. Denn bei einer zeitlichen Vorstellung steht regelmäßig der dem gegenwärtigen Moment angehörende Bestandteil im Blickpunkt des Bewußtseins (§11,11). Von den vorausgegangenen Bestandteilen gehören die vor kürzerer Zeit dagewesenen Eindrücke noch dem Blickfelde an, während die vor längerer Zeit vorübergegangenen aus dem Bewußtsein entschwunden sind. Eine räumliche Vorstellung dagegen kann bloß dann in ihrem vollen Umfang in einem einzigen Moment apperzipiert werden, wenn sie nur ein beschränktes extensives Ganzes bildet. Ist sie zusammengesetzter, so müssen auch ihre Teile sukzessiv den inneren Blickpunkt durchwandern, um vollständig zu einer klaren Auffassung zu gelangen. Hieraus ergibt sich, daß zusammengesetzte räumliche Vorstellungen (namentlich momentane Gesichtseindrücke) vorzugsweise geeignet sind, um ein Maß für die Menge der in einem einzigen Akt apperzipierten Inhalte oder für den Umfang der Aufmerksamkeit zu gewinnen, während zusammengesetzte zeitliche Vorstellungen (z. B. regelmäßige Folgen von Gehörseindrücken, Taktschlägen) leichter benutzt werden können, um die Menge der in einem gegebenen Moment im Bewußtsein überhaupt vereinigten zusammengehörigen Inhalte oder den Umfang des Bewußtseins für eine komplexe Gesamtvorstellung zu messen. Da nun aber außerdem eine kleinere Anzahl zeitlich aufeinander folgender Eindrücke unmittelbar, gleich einem simultan gegebenen Ganzen, von der Auf-merksamkeit erfaßt werden kann, so lassen sich Bestimmungen des Aufmerksamkeitsumfangs leicht auch bei zeitlichen Vorstellungen, speziell Gehörsvorstellungen, unter geeigneten Bedingungen, namentlich bei geeigneter Schnelligkeit der Zeitfolge, ausführen. Die auf solche Weise angeführten Versuche ergeben für den Umfang der Aufmerksamkeit einen unter diesen wechselnden Bedingungen sehr konstanten Maximalwert von sechs einfachen Eindrücken, für den des Bewußtseins in dem oben angedeuteten Sinne eines komplexen Vorstellungsumfangs dagegen einen sehr wechselnden, der zwischen 6 und 40 einfachen Eindrücken, je nach der Zusammensetzung und Gliederung der zum Maße dienenden Gesamtvorstellung, variiert.

    6a. Die Bestimmung des Umfangs der Aufmerksamkeit läßt sich bei Gesichtseindrücken entweder mittels momentaner Erleuchtung durch den elektrischen Funken oder besser durch das Herabfallen eines mit einer Öffnung versehenen Schirmes vor den Gesichtsobjekten (mittels des "Tachistoskops") ausführen. Dem Auge muß zu diesem Zweck vor der momentanen Erleuchtung ein Fixationspunkt in der Mitte der die Eindrücke enthaltenden Fläche gegeben werden. Man kann dann unmittelbar nach der Ausführung des Versuchs konstatieren, daß, wenn die Einrichtungen in der geeigneten Weise getroffen sind, der Umfang der im physiologischen Sinne deutlich gesehenen Objekte größer gewesen ist als der Umfang der Aufmerksamkeit. Man kann nämlich, wenn z. B. der momentane Eindruck aus Buchstaben bestand, einzelne der im Moment der Erleuchtung nur undeutlich aufgefaßten Buchstaben nachträglich im Erinnerungsbild lesen, wenn man den Eindruck möglichst rasch reproduziert. Da dieses Erinnerungsbild zeitlich scharf getrennt ist von dem Eindruck selbst, so wird dadurch die Bestimmung des Umfangs der Aufmerksamkeit nicht gestört; vielmehr ist es bei sorgfältiger subjektiver Beobachtung leicht möglich, den Zustand des Bewußtseins im Moment des Eindrucks zu fixieren und von solchen nachfolgenden Erinnerungsakten zu unterscheiden, die stets durch merkliche Zwischenzeiten getrennt sind. Diese Versuche sowie die analogen mit aufeinander folgenden Gehörseindrücken lehren, daß jener Umfang nur dann bei gleichbleibender maximaler Spannung der Aufmerksamkeit eine konstante Größe ist, wenn die Eindrücke nicht zu zusammengesetzteren verbunden sind, wenn sie also z. B. aus isolierten Linien, Ziffern, Buchstaben oder rhythmisch nicht gegliederten Taktschlägen bestehen. Auch für den Tastsinn scheint derselbe Maximalumfang 6 zu gelten, mit dem Unterschied, daß bei ihm nur die einfachsten dieser Eindrücke, die Punkte, günstigstenfalls in der Sechszahl zusammengefaßt werden können, eine Eigenschaft, von der offenbar die Punktschrift der Blinden praktischen Gebrauch macht (§ 10, 6). Bei geläufigen Eindrücken von verwickelterer Beschaffenheit sinkt auch beim Gesichtssinn die Anzahl der Vorstellungen, während dagegen die der einzelnen Elemente zunimmt. So können bei sinnlosen Silbenverbindungen noch 6–10 Buchstaben auf einmal apperzipiert werden. Bei geläufigen Satzbildungen, Sprichwörtern u. dgl. kann sich der Umfang scheinbar auf 4–5 kurze Wörter mit zusammen 20–30 Buchstaben erweitern. Doch machen sich dabei zugleich die unten (§16) zu erwähnenden Assimilationsvorgänge sehr stark geltend, so daß solche Versuche für die Umfangsbestimmung nicht verwertbar sind. Werden diese reproduktiven Assimilationen durch große Spannung der Aufmerksamkeit auf den Eindruck hintangehalten, so sinkt aber auch in diesen Fällen der Umfang bis zu der bei isolierten Eindrücken beobachteten Grenze. Noch mehr kann eine scheinbare Erweiterung des Umfangs eintreten, wenn die Eindrücke etwas längere Zeit einwirken, wo nun leicht während dieser Zeit die Aufmerksamkeit über die Objekte hinwandert, und sich also die Bedingungen dem gewöhnlichen sukzessiven Lesen mehr oder weniger annähern. Unter allen Umständen ist jedoch die früher zuweilen ausgesprochene Behauptung unrichtig, daß sich unsere Aufmerksamkeit in einem gegebenen Moment nur auf einen Eindruck oder eine einzige Vorstellung richten könne.

    Nicht minder widerlegen die obigen Beobachtungen die Annahme, daß die Aufmerksamkeit stetig und mit sehr großer Geschwindigkeit eine Menge einzelner Vorstellungen durchlaufen könne. Versucht man nämlich bei diesen Experimenten das momentan nach geschehenem Eindruck deutlich wahrgenommene Bild mittels der Erinnerung zu ergänzen, so zeigt es sich, daß man einer merklichen Zeit bedarf, um sich einen im ersten Augenblick nicht apperzipierten Eindruck klar zu vergegenwärtigen. Dabei scheint diese sukzessive Bewegung der Aufmerksamkeit über eine Vielheit psychischer Inhalte ein periodischer Vorgang zu sein, der aus einer Mehrzahl aufeinander folgender Apperzeptionsakte besteht. Solche periodische Schwankungen der Aufmerksamkeit, die gewöhnlich wohl in unregelmäßigen Perioden verlaufen, bei besonderer Anregung zu rhythmischen Gliederungen aber auch regelmäßig werden können, lassen sich in der Tat unter günstigen Bedingungen auch direkt nachweisen. Läßt man nämlich, während alle sonstigen Sinnesreize möglichst ferngehalten werden, einen schwachen, kontinuierlich andauernden Eindruck, auf den zugleich die Aufmerksamkeit gerichtet wird, auf ein Sinnesorgan einwirken, so beobachtet man, daß der Eindruck in gewissen, meist unregelmäßigen Intervallen, die bei sehr schwachen Reizen meist 3–6", bei stärkeren bis zu 18–24" betragen können, für eine kurze Zeit undeutlicher wird oder ganz zu verschwinden scheint, um dann wieder hervorzutreten. Diese Schwankungen sind von Intensitätsschwankungen der Reize selbst ohne weiteres zu unterscheiden, wovon man sich leicht überzeugt, wenn man in einer Versuchsreihe absichtlich den Eindruck objektiv abschwächt oder unterbricht. Denn durch zwei Merkmale unterscheiden sich nun jene subjektiven Veränderungen von den objektiv verursachten: erstens hat man bei den ersteren immer die Vorstellung einer Fortdauer des Eindrucks, ähnlich wie man ja auch bei dem Versuch mit momentanen Eindrücken von den nicht apperzipierten eine unbestimmte und dunkle Vorstellung hat; und zweitens sind jene Schwankungen der Aufmerksamkeit außer von der Zu- und Abnahme der Klarheit der Eindrücke stets von charakteristischen Gefühlen und Empfindungen begleitet, die bei den objektiven Veränderungen völlig fehlen. Die Gefühle bestehen in den nachher zu schildernden der Erwartung und der Tätigkeit, die regelmäßig mit der Spannung der Aufmerksamkeit zu- und mit ihrer Entspannung wieder abnehmen; die Empfindungen gehören dem Sinnesorgan des Eindrucks an oder strahlen wenigstens von demselben aus, bestehen also in Spannungsempfindungen des Trommelfells, der Akkommodation und Konvergenz usw. Diese doppelte Reihe von Merkmalen scheidet überhaupt die Begriffe der Klarheit und Deutlichkeit der psychischen Inhalte von der Empfindungsintensität derselben. Ein starker Eindruck kann dunkel, und ein schwacher kann klar bewußt sein. Nur insofern existiert eine Beziehung zwischen diesen an und für sich verschiedenen Begriffen, als sich von Eindrücken verschiedener Intensität im allgemeinen der stärkere mehr zur Apperzeption drängt. Ob er wirklich deutlicher apperzipiert wird, dies hängt aber außerdem immer noch von den sonst stattfindenden Bedingungen ab. Ähnlich verhält es sich mit der Bevorzugung, die bei der Einwirkung von Gesichtseindrücken den auf die Stelle des deutlichsten Sehens fallenden zuteil wird. In der Regel sind die fixierten Gegenstände zugleich die apperzipierten. Aber bei den oben beschriebenen Versuchen mit momentanen Eindrücken läßt sich nachweisen, daß auch dieser Zusammenhang gelöst werden kann. Dies geschieht, sobald man willkürlich auf einen in den Seitenteilen des Sehfeldes gelegenen Punkt die Aufmerksamkeit richtet: dann wird das undeutlich gesehene Objekt zu einem deutlich vorgestellten.

    6b. Der nächste Weg, um den Umfang des Bewußtseins für eine regelmäßig gegliederte, komplexe Gesamtvorstellung zu messen, besteht in der Anwendung in gleichen Zeitabständen einander folgender Taktschläge, von denen man einzelne verstärkt, um regelmäßige Taktgliederungen hervorzubringen. Hierbei geht man von der Voraussetzung aus, daß eine Sukzession von Eindrücken nur dann zu einem Vorstellungsganzen vereinigt werden kann, wenn jene wenigstens während eines Moments sämtlich gleichzeitig im Bewußtsein sind. So befinden sich bei der Einwirkung einer Reihe von Taktschlägen offenbar, während der gegenwärtige Schall apperzipiert wird, die unmittelbar vorangegangenen teils noch im Blickpunkt der Aufmerksamkeit, teils wenigstens im Blickfeld des Bewußtseins; ihre Klarheit nimmt aber in diesem um so mehr ab, je weiter sie zeitlich von dem momentan apperzipierten Eindruck entfernt sind, und von einer gewissen Grenze an werden die weiter zurückliegenden Eindrücke ganz aus dem Bewußtsein verschwunden sein. Gelingt es nun, diese Grenze zu bestimmen, so ist damit auch ein Maß für den relativen Umfang des Bewußtseins unter den obwaltenden Bedingungen gefunden. Als Hilfsmittel für die Ermittelung jener Grenze dient hierbei die Fähigkeit der Vergleichung unmittelbar aufeinander folgender Vorstellungen. Solange nämlich eine mehr oder weniger zusammengesetzte Vorstellung noch als ein einheitliches Ganzes in unserem Bewußtsein vorhanden ist, können wir auch eine auf sie folgende mit ihr vergleichen und entscheiden, ob sie ihr gleich ist oder nicht, während eine derartige Vergleichung nicht mehr möglich wird, wenn die vorausgegangene zeitliche Reihe keinen zusammenhängenden Bewußtseinsinhalt bildet, weil ein Teil ihrer Glieder schon in den unbewußten Zustand übergegangen war, ehe ihr Endglied erreicht wurde. Demnach hat man nur nötig, zwei aufeinander folgende Taktreihen dadurch zu begrenzen, daß man den Anfang einer jeden durch ein Signal, z. B. durch einen Klingelschlag, kennzeichnet. Dabei kann zur Erzeugung der Taktschläge ein einfaches Metronom dienen. Solange nun jede Reihe ein im Bewußtsein zusammenzufassendes Ganzes bildet, läßt sich auf Grund des unmittelbaren Eindrucks und natürlich bei strenger Vermeidung des Zählens der Takte entscheiden, ob die zweite der ersten Reihe gleich ist oder nicht. Hierbei bemerkt man, daß der Eindruck der Gleichheit mittels der früher (§ 11, 12) erwähnten Gefühlselemente der Zeitvorstellungen zustande kommt, indem jedem Taktschlag der zweiten Reihe ein dem analogen der ersten entsprechendes Erwartungsgefühl vorausgeht, so daß eine Reihe mit einem über- oder unterzähligen Glied eine Störung dieser Erwartung mit begleitendem Gefühl der Enttäuschung hervorruft. Hieraus geht hervor, daß nicht etwa beide einander folgende Reihen im Bewußtsem anwesend sein müssen, damit sie verglichen werden können, sondern daß hierzu nur die Zusammenfassung der Eindrücke je einer Reihe in ein Vorstellungsganzes erforderlich ist. Die relativ feste Begrenzung, die in dieser Beziehung der Umfang des Bewußtseins besitzt, verrät sich aber darin, daß die Gleichheit zweier zeitlicher Vorstellungen, solange diese die Grenze nicht erreichen, sicher erkannt wird, wogegen mit dem Überschreiten derselben das Urteil unsicher wird. Dabei zeigt sich zugleich dieser Umfang bei konstant bleibendem Zustand der Aufmerksamkeit teils von der Geschwindigkeit der einander folgenden zeitlichen Eindrücke, teils von der mehr oder minder vollkommenen rhythmischen Gliederung abhängig. Bei einer unteren Grenze der Geschwindigkeit, die etwa bei 4" erreicht wird, ist es überhaupt nicht mehr möglich, einander folgende Eindrücke zu einer zeitlichen Vorstellung zu verbinden: wenn der neue Eindruck kommt, ist der vorangegangene schon aus dem Bewußtsein verschwunden. Bei einer oberen Grenze, von etwa 0,12" an, wird die Bildung deutlich abgegrenzter zeitlicher Vorstellungen unmöglich, weil die Aufmerksamkeit nicht mehr den Eindrücken folgen kann. Die günstigste Geschwindigkeit liegt bei einer mittleren Taktfolge von 0,2–0,3". Bei der gleichen Geschwindigkeit ist die Zahl der arrhythmischen Eindrücke, die unmittelbar noch als Einheit aufgefaßt werden kann, 6, der für den Umfang der Aufmerksamkeit bei Gesichtseindrücken gewonnenen Zahl entsprechend. Das folgende Schema veranschaulicht diese Verhältnisse für die zwei einfachsten Fälle, den 2/8- und 2/4- Takt:

    Der größte nach hinlänglicher Übung erreichbare Umfang entspricht fünf 4/4-Takten (5 · 8 = 40). Demnach ist der Umfang des Bewußtseins für unzusammenhängende einfache Eindrücke mit dem der Aufmerksamkeit identisch; dies ist aber nicht dadurch bedingt, daß sich hier das Bewußtsein überhaupt auf den Umfang der Aufmerksamkeit zurückzieht, sondern lediglich dadurch, daß die von der Aufmerksamkeit erfaßte arrhythmische Reihe der Verbindungen entbehrt, die bei der rhythmischen auf die in die dunkleren Regionen des Bewußtseins eingetretenen Taktelemente hinüberreichen. Eine sonstige Abhängigkeitsbeziehung zwischen Umfang der Aufmerksamkeit und des Bewußtseins existiert dagegen nur insofern, als sich der erstere bei verminderter Spannung etwas weiter ausdehnen kann, wobei aber zugleich die Klarheit und Deutlichkeit der Auffassung abnimmt. Dieser Umfang des Bewußtseins für eine zusammengesetzte Gesamtvorstellung ist übrigens nicht mit dem absoluten Gesamtumfang desselben zu verwechseln. In diesem befinden sich zunächst immer auch Gefühle, und es können außerdem andere isolierte Vorstellungsinhalte vorhanden sein. Hieraus erklärt es sich zugleich, daß für eine unzusammenhängende Reihe von Eindrücken Umfang des Bewußtseins und Umfang der Aufmerksamkeit zusammenfallen. Sobald nämlich in diesem Fall ein Eindruck aus dem Fokus der Aufmerksamkeit herausfällt, so geht er in der Masse der vielen andern unverbundenen Inhalte unter, die im weiteren Blickfelde des Bewußtseins liegen, und für die selbstverständlich, eben weil sie unter sich und mit dem apperzipierten Inhalt nicht zusammenhängen, eine Umfangsbestimmung unmöglich ist. Sind dagegen die aus dem Blickpunkt getretenen mit den apperzipierten Elementen irgendwie verbunden, so bleiben sie dies, solange sie, wenn auch verdunkelt, überhaupt im Bewußtsein sind.

    Infolge der oben erörterten Beziehungen zwischen Spannung der Aufmerksamkeit und Klarheit der Auffassung ist nun sowohl das Optimum für den Umfang der Aufmerksamkeit von annähernd 6 einfachen Eindrücken wie das für den Umfang des Bewußtseins von 40 Eindrücken an einen mittleren, nicht zu hohen und nicht zu niedrigen Grad der Aufmerksamkeitsspannung gebunden. Bei stärkster Spannung tritt stets zugleich eine Konzentration auf einen einzelnen, beschränkteren Inhalt, z. B. bei Leseversuchen mit momentaner Einwirkung der Buchstaben die Konzentration auf einen einzelnen Buchstaben ein, neben dem höchstens noch 2–3 andere benachbarte erkannt werden. Ebenso vermindert sich aber bei der Dissipation der Aufmerksamkeit über einen größeren Teil des Sehfeldes die Anzahl der deutlich aufgefaßten Buchstaben, während sie außerdem sämtlich dunkler apperzipiert werden. Ähnliche Wirkungen der Dissipation werden beobachtet, je nachdem man auf mehrere Eigenschaften der dargebotenen Objekte, z. B. auf ihre Größe, Lage, Helligkeit, oder bloß auf eine einzelne die Aufmerksamkeit richtet. Indirekt üben nun aber die entgegengesetzten Zustände der Konzentration und der Dissipation der Aufmerksamkeit einen entsprechenden Einfluß auf den Umfang des Bewußtseins für eine Reihe in diesem zusammenzufassender Eindrücke aus, so daß auch hier ein mittlerer Spannungsgrad der Aufmerksamkeit für die Gewinnung des Optimums am günstigsten ist. Indem nämlich in diesem Fall die Zusammenfassung zu einem möglichst weit über den Fokus der Aufmerksamkeit hinausreichenden Ganzen an die Bedingung geknüpft ist, daß sich zwischen dem engeren Aufmerksamkeits- und dem weiteren Bewußtseinsfeld möglichst leicht eine Verbindung herstellt, stört einerseits die allzu starke Konzentration auf den einzelnen Eindruck, z. B. bei den obigen Taktierversuchen auf den einzelnen Taktschlag, anderseits aber auch jede Zerstreuung der Aufmerksamkeit die Zusammenfassung und schränkt sie auf einen engeren Umfang ein. Wahrscheinlich hängt hiermit zugleich die Erweiterung des Umfangs der Auffassung bei wiederholter Einwirkung der nämlichen Eindrücke zusammen. Auch dabei handelt es sich nämlich offenbar hauptsächlich um die Entstehung von Verbindungen zwischen dem engeren Aufmerksamkeitsfeld und dem weiteren Umfang des Bewußtseins. Dies erhellt namentlich daraus, daß solche Erweiterungen dann am umfangreichsten werden, wenn die einwirkenden komplexen Eindrücke von bekannter Beschaffenheit sind, also z. B. bei der Einwirkung geläufiger Worte oder Sätze, wo nun freilich die Vorgänge der später zu erörternden reproduktiven Assimilation als wesentliche Faktoren hinzukommen (§ 16 B.).

    Literatur. Wirth. Die experimentelle Analyse der Bewußtseinsphänomene, 1908. Umfang der Aufmerksamkeit: Cattell, Phil.Stud., Bd. 3. Zeitler, ebenda, Bd. 16. Wirth, Psycholog. Stud., Bd. 2 u. 3. Mittenzwey, ebenda, Bd. 4. Kraskowski, ebenda, Bd. 8. Schwankungen der Aufmerksamkeit: N.Lange, Phil.Stud., Bd. 4. Eckener, Pace, ebenda, Bd. 8. O. Klemm, Psychol. Stud., Bd. 4. Bewußtseinsumfang: Dietze, ebenda, Bd. 2. Phys. Psych.6, III, Kap. 18. M. u. T.5 16. u. 17. Vorl.

    7. Mit jenen Eigenschaften der Bewußtseinsinhalte, die wir als die Grade ihrer Klarheit und Deutlichkeit bezeichnen, sind regelmäßig noch andere verbunden, die von uns unmittelbar als begleitende Vorgänge aufgefaßt werden. Sie bestehen teils in Gefühlen, die für bestimmte Verlaufsformen der Perzeption und Apperzeption kennzeichnend sind, teils in etwas variableren Empfindungen. Insbesondere ist es der Eintritt psychischer Inhalte in das Blickfeld und in den Blickpunkt des Bewußtseins, der je nach den verschiedenen Bedingungen, die dabei stattfinden, ein verschiedenes Verhalten darbietet. Erhebt sich irgendein psychischer Vorgang über die Schwelle des Bewußtseins, so pflegen die Gefühlselemente desselben, sobald sie die hinreichende Stärke besitzen, zuerst merkbar zu werden, so daß sie sich bereits in den Blickpunkt des Bewußtseins drängen, ehe noch von den Vorstellungselementen etwas wahrgenommen wird. Dies kann sowohl bei der Einwirkung neuer Eindrücke wie bei dem Wiederauftauchen früherer Vorgänge stattfinden. Es entstehen so jene eigentümlichen Stimmungen, von deren Ursachen wir uns meist keine Rechenschaft geben können, und die bald den Charakter der Lust oder Unlust, bald vorzugsweise den der Spannung an sich tragen. Im letzteren Fall wird dann der plötzliche Eintritt der zum Gefühl gehörigen Vorstellungselemente in den Umfang der Aufmerksamkeit von Gefühlen der Lösung oder Erfüllung begleitet. Auch bei dem Besinnen auf eine entschwundene Sache kann sich die nämliche Gemütslage einstellen: häufig ist dabei neben dem regelmäßig vorhandenen Spannungsgefühl der spezielle Gefühlston der vergessenen Vorstellung schon lebhaft gegenwärtig, während sie selbst noch im dunkeln Hintergrund des Bewußtseins weilt. Ähnlich gehen, wie wir unten (in § 16) sehen werden, bei dem Erkennungs- und dem Wiedererkennungsakt der deutlichen Auffassung der Vorstellungen stets eigentümliche Gefühle voraus. Experimentell läßt sich eine ähnliche Gemütslage bei momentaner Erleuchtung des Sehfeldes herstellen, wenn man Eindrücke mit möglichst starker Gefühlsbetonung im indirekten Sehen einwirken läßt. Alle diese Erfahrungen scheinen darauf hinzuweisen, daß jeder Inhalt des Bewußtseins eine Wirkung auf die Aufmerksamkeit ausübt, infolge deren er sich teils durch seine eigene Gefühlsfärbung, teils durch die an die Funktion der Aufmerksamkeit gebundenen Gefühle verrät. Die gesamte Rückwirkung dieser dunkel bewußten Inhalte auf die Aufmerksamkeit verschmilzt dann aber, gemäß den allgemeinen Gesetzen der Verbindung der Gefühlskomponenten (§ 12), mit den an die klar bewußten Inhalte gebundenen Gefühlen zu einem einzigen Totalgefühl.

    8. Tritt irgendein psychischer Inhalt in den Blickpunkt des Bewußtseins, so treten nun zu den bisher geschilderten neue eigentümliche Gefühlsprozesse, die sich nach den Bedingungen des Eintritts wieder verschieden gestalten. Diese Bedingungen können nämlich nach zwei Verlaufstypen auseinandergehen, die zum großen Teil mit den obenerwähnten vorbereitenden Gefühlswirkungen der noch nicht apperzipierten Inhalte zusammenhängen.

    Erstens: Der neue Inhalt drängt sich plötzlich und ohne vorbereitende Gefühlswirkung der Aufmerksamkeit auf; wir bezeichnen diesen Verlaufstypus als den der unvorbereiteten oder der passiven Apperzeption. Während sich der Inhalt nach seinen Vorstellungs- wie Gefühlselementen zu größerer Klarheit erhebt, verbindet sich hier zunächst mit ihm ein Gefühl des Erleidens, das, der Richtung der deprimierenden Gefühle angehörend, im allgemeinen um so stärker ist, je intensiver der psychische Vorgang, und je größer die Geschwindigkeit seines Eintritts; dieses Gefühl sinkt dann aber rasch wieder, um in das entgegengesetzte, exzitierende Gefühl der Tätigkeit überzugehen. Mit beiden Gefühlen sind zugleich charakteristische Empfindungen in den Muskelapparaten des Sinnesgebiets verbunden, dem die Vorstellungsbestandteile des Vorgangs angehören: das Gefühl des Erleidens ist von einer meist rasch vorübergehenden Erschlaffungs-, das der Tätigkeit von einer darauf folgenden Spannungsempfindung begleitet.

    Zweitens: Der neue Inhalt wird durch die oben (7) erwähnten Gefühlswirkungen vorbereitet, und es ist infolgedessen schon vor seinem Eintritt die Aufmerksamkeit auf ihn gespannt; wir bezeichnen diesen Verlaufstypus als den der vorbereiteten oder der aktiven Apperzeption. Hier geht der Auffassung des Inhalts bald nur während sehr kurzer, bald aber auch während längerer Zeit ein Gefühl der Erwartung voran, das im allgemeinen der Richtung der spannenden und zumeist zugleich derjenigen der erregenden Gefühle angehört, während außerdem von den Vorstellungselementen her Lust- oder Unlustgefühle hinzutreten können. Dieses Gefühl der Erwartung pflegt mit ziemlich intensiven Spannungsempfindungen in den zugehörigen Muskelgebieten verbunden zu sein. Im Moment des Eintritts wird dasselbe abgelöst durch das meist nur sehr kurz dauernde Gefühl der Erfüllung, das den Charakter eines lösenden Gefühls besitzt, sonst aber je nach Umständen beruhigender oder erregender Art und mit Lust- oder Unlustgefühlen verbunden sein kann. An dieses Gefühl der Erfüllung schließt sich dann sofort das nämliche Gefühl der Tätigkeit an, das den Abschluß der passiven Apperzeption begleitet, und das wiederum mit einem Anwachsen der Spannungsempfindungen verbunden ist.

    8a. Die experimentelle Beobachtung dieser verschiedenen Verlaufsformen geschieht am zweckmäßigsten mit Hilfe der in §14, Pkt. 11 ff. geschilderten Reaktionsversuche, wo man mittels der Benutzung unerwarteter Eindrücke den Typus der passiven, bei der Reaktion auf erwartete Eindrücke den der aktiven Apperzeption herzustellen vermag. Dabei läßt sich dann aber zugleich beobachten, daß zwischen diesen typischen Unterschieden Übergänge stehen, indem entweder die passive der aktiven Form durch schwache Ausbildung des ersten Stadiums, oder die aktive der passiven dadurch sich nähern kann, daß bei einer plötzlichen Entspannung der Erwartung der darauf folgende Gegensatz des Erfüllungsgefühls, die Lösung und Depression, ausgeprägter als gewöhnlich wird. Die Ausdrücke "passiv" und "aktiv" bezeichnen demnach nicht sowohl gegensätzliche Vorgänge als vielmehr Grenzfälle, zwischen denen sich alle möglichen Übergänge vorfinden, die wir dann, je nachdem sie sich der einen oder andern Grenze nähern, dieser oder jener Form zuzählen können. Auch beziehen sich jene Ausdrücke, wie aus der obigen Schilderung hervorgeht, nicht unmittelbar auf den Vorgang der Apperzeption selbst, der im wesentlichen überall der nämliche ist, sondern auf den gesamten Bewußtseinszustand. In diesem Sinn ist also "passive Apperzeption" ein abkürzender Ausdruck für "Apperzeption bei zuvor passiver Bewußtseinslage ".

    9. Betrachtet man nun die Gefühlsseite der Aufmerksamkeitsvorgänge genauer, so zeigt sich, daß dieselbe vollständig mit dem allgemeinen Gefühlsinhalt der Willensvorgänge übereinstimmt. Zugleich ist einleuchtend, daß die passive Apperzeption ihrem wesentlichen Charakter nach einer Triebhandlung, die aktive einer Willkürhandlung entspricht. Denn bei der ersteren ist der unvorbereitet sich aufdrängende psychische Inhalt offenbar das allein vorhandene Motiv, das darum ohne Kampf mit andern Motiven die Handlung der Apperzeption anregt, die auch hier mit dem für alle Willenshandlungen charakteristischen Gefühl der Tätigkeit verbunden ist. Bei der aktiven Apperzeption dagegen drängen sich während des vorbereitenden Gefühlsstadiums stets noch andere psychische Inhalte mit ihren Gefühlselementen der Aufmerksamkeit auf, so daß die endlich eintretende Apperzeption als eine Willkürhandlung und in vielen Fällen, wenn nämlich der Kampf verschiedener sich aufdrängender Inhalte selber ein klar bewußter wird, sogar als eine Wahlhandlung erscheint. In diesen letzteren Fällen ist das Vorhandensein einer solchen auch schon von der älteren Psychologie anerkannt worden, indem man bei ihnen von "willkürlicher Aufmerksamkeit" redete. Aber erstens ließ man hier den Willen genau so unvermittelt auftreten, wie bei den äußeren Willenshandlungen, da man den springenden Punkt dieser Entwicklung, die Tatsache, daß die sogenannte "unwillkürliche Aufmerksamkeit" nur eine einfachere Form innerer Willenshandlungen sei, verkannte; und zweitens wurden dabei in der Weise der alten Vermögenstheorie "Aufmerksamkeit" und "Wille" als verschiedenartige, gelegentlich sich verbindende, gelegentlich aber auch sich ausschließende psychische Kräfte einander gegenübergestellt, während doch beide offenbar Begriffsbildungen sind, die sich auf die nämliche Klasse psychischer Prozesse beziehen.

    10. An diese inneren Willensprozesse, die wir Aufmerksamkeitsvorgänge nennen, schließt sich nun noch eine für die gesamte psychische Entwicklung äußerst wichtige Begriffsbildung an, die zwar in logischer Form erst unter der Mithilfe der wissenschaftlichen Reflexion zustande kommt, aber doch in jenen Vorgängen selbst ihr reales Substrat hat. Es ist die Bildung des Begriffs des Subjekts und die ihr parallel gehende Voraussetzung von Objekten, die dem Subjekt als eine von ihm unabhängige Wirklichkeit gegenüberstehen.

    Von denjenigen Bestandteilen der unmittelbaren Erfahrung, die von dem früher (§ 10, 24) erwähnten Orientierungspunkt aus räumlich geordnet werden, und die wir entweder als Gegenstände, d.h. als ein dem Wahrnehmenden Gegenüberstehendes, oder, wenn wir auf ihre psychologische Entstehungsweise Rücksicht nehmen, als Vorstellungen, d.h. als ein von dem Wahrnehmenden vor sich Hingestelltes, bezeichnen, scheiden sich alle die Erfahrungsinhalte, die an dieser räumlichen Ordnung nicht teilnehmen, wenn sie auch fortwährend zu derselben in Beziehung treten. Diese Inhalte stehen aber, wie wir in § 12–14 gesehen haben, unter sich in einem engen Zusammenhang, indem die Gefühle stets als die momentanen Teilinhalte von Affekten, die Affekte als Bestandteile von Willensvorgängen angesehen werden können. Dabei kann nun der Prozeß immer auch auf einer der früheren Stufen, verbleiben, indem sehr häufig ein Gefühl zu keiner merklichen Affekterregung führt, oder der Affekt abklingt, ohne daß der in ihm vorbereitete Willensakt wirklich entsteht. Darum lassen sich nun alle diese Gemütsvorgänge wiederum dem Willensvorgang unterordnen. Denn er ist der vollständige Verlauf, zu dem jene beiden andern nur Teilinhalte von einfacherer oder zusammengesetzterer Beschaffenheit bilden. Unter diesem Gesichtspunkte wird es begreiflich, daß schon das einfache Gefühl in den Gegensätzen, zwischen denen es sich bewegt, teils eine Willensrichtung enthält, teils die Größe der in einem gegebenen Moment vorhandenen Willensenergie zum Ausdruck bringt, teils endlich einer bestimmten Phase des Willensvorgangs selbst entspricht. Die Willensrichtung ist nämlich offenbar angedeutet in den Hauptrichtungen der Lust und Unlust, die unmittelbar einem irgendwie qualitativ differenzierten Streben oder Widerstreben entsprechen. Die Willensenergie findet ihren Ausdruck in den Hauptrichtungen der Erregung und Beruhigung. Entgegengesetzte Phasen eines Willensvorgangs werden endlich durch die Gefühlsgegensätze der Spannung und Lösung bezeichnet.

    11. Erweist sich auf diese Weise das Wollen als die Grundtatsache, in der alle Vorgänge wurzeln, deren psychische Elemente die Gefühle sind, so tritt auf der andern Seite diese Grundtatsache in dem Vorgang der Apperzeption, an dem die psychologische Analyse alle Merkmale eines Willensaktes nachweist, in direkte Beziehung zu den Vorstellungsinhalten des Bewußtseins. Indem nämlich die Willensprozesse als in sich zusammenhängende und bei aller Verschiedenheit ihrer Inhalte gleichartige Vorgänge aufgefaßt werden, entsteht ein unmittelbares Gefühl dieses Zusammenhangs, das zunächst an das alles Wollen begleitende Gefühl der Tätigkeit geknüpft ist, dann aber infolge der obenerwähnten Beziehungen des Wollens über die Gesamtheit der Bewußtseinsinhalte sich ausdehnt. Dieses Gefühl des Zusammenhangs aller individuellen psychischen Erlebnisse bezeichnen wir als das "Ich". Es ist ein Gefühl, nicht eine Vorstellung, wie es häufig genannt wird. Es ist jedoch, wie alle Gefühle, an gewisse Empfindungen und Vorstellungen gebunden: diese in nächste Beziehung zu ihm tretenden Vorstellungsbestandteile sind die Gemeinempfindungen und die Vorstellung des eigenen Körpers.

    Den so entstehenden, aus dem gesamten Bewußtseinsinhalt sich aussondernden, mit dem Ichgefühl verschmelzenden Gefühls- und Vorstellungsinhalt nennen wir nun das Selbstbewußtsein. Es ist ebensowenig wie das Bewußtsein überhaupt eine von den Vorgängen, aus denen es besteht, verschiedene Realität, sondern es ist nur der Zusammenhang dieser Vorgänge selbst, der überdies namentlich in seinen Vorstellungselementen von dem übrigen Bewußtsein niemals scharf gesondert werden kann. Dies zeigt sich vor allem darin, daß die Vorstellungen des eigenen Körpers in wechselnder Weise bald mit dem Ichgefühl fest verschmolzen, bald als Objektvorstellungen von ihm gesondert werden, und daß im allgemeinen die Entwicklung des Selbstbewußtseins einer Zurückziehung desselben auf seine Gefühlsgrundlage immer mehr zustrebt.

    12. In dieser Sonderung des Selbstbewußtseins von dem übrigen Bewußtseinsinhalte wurzelt dann auch die Gegenüberstellung des Subjekts und der Objekte. Der Begriff des Subjekts hat gemäß dieser psychologischen Entwicklung drei verschiedene und wechselnd füreinander eintretende Bedeutungen von verschiedenem Umfang. Im engsten Sinn ist das Subjekt der in dem Ichgefühl zum Ausdruck kommende Zusammenhang der Willensvorgänge. In der nächst weiteren Bedeutung umschließt es den realen Inhalt der Willensvorgänge samt den vorbereitenden Gefühlen und Affekten. In der weitesten Bedeutung endlich erstreckt es sich außerdem noch auf die konstante Vorstellungsgrundlage, die jene subjektiven Prozesse in dem den Träger der Gemeinempfindungen bildenden Körper des Individuums besitzen. Dabei ist aber diese weiteste Bedeutung in der wirklichen Entwicklung die ursprünglichste; und die engste fällt, weil sie eigentlich nur in der begrifflichen Abstraktion vollständig erreichbar ist, in dem wirklichen Fluß des psychischen Geschehens immer wieder in eine der weiteren Bedeutungen zurück. Sie bildet auf diese Weise eigentlich nur eine Grenze, der sich die reale Selbstauffas-sung des Subjekts in wechselndem Grade nähern kann.

    12a. Mit der Unterscheidung des Subjekts und der Objekte oder, wie man diese Begriffe durch Reduktion des ersten auf seine ursprüngliche Gefühlsgrundlage und durch Zusammenfassung des zweiten in einen generellen Begriff auch auszudrücken pflegt, des Ich und der Außenwelt ist erst die Grundlage zu allen jenen Überlegungen gegeben, denen der zunächst in der populären Weltanschauung vorbereitete und dann aus ihr in die philosophischen Systeme übergegangene Dualismus seinen Ursprung verdankt. In diesem Sinne pflegt dann auch die Psychologie selbst als die Wissenschaft von dem Subjekt den andern Wissenschaften und speziell den Naturwissenschaften gegenübergestellt zu werden. Diese Auffassung könnte aber nur dann richtig sein, wenn die Unterscheidung des Ich von der Außenwelt eine aller Erfahrung vorausgehende Urtatsache wäre, und wenn die Begriffe des Subjekts und der Objekte einander ein für allemal eindeutig gegenübergestellt werden könnten. Weder das erste noch das zweite trifft zu. Das Selbstbewußtsein ruht vielmehr auf einer Reihe psychischer Vorgänge; es ist ein Erzeugnis, nicht die Grundlage dieser Vorgänge; und demzufolge bilden auch Subjekt und Objekte weder ursprünglich noch überhaupt jemals absolut verschiedene Erfahrungsinhalte, sondern sie sind Reflexionsbegriffe, die infolge der Wechselbeziehungen der einzelnen Bestandteile des an sich vollkommen einheitlichen Inhalts unserer unmittelbaren Erfahrung entstehen.

    Literatur. Zur Geschichte und Theorie des Bewußtseins. Phys. Psych.6, III, Kap. 18. Siebeck, Geschichte der Psychologie, Bd. I, 1884. Neuere Theorien: Bergmann, Grundlinien einer Theorie des Bewußtseins. Herbart, Werke, Bd. 5. Th. Lipps, Grundtatsachen des Seelenlebens, Leitfaden der Psychologie3. A. Oesterreich, Die Phänomenologie des Ich, 1910. Staude, Der Begriff der Apperzeption in der neueren Psychologie, Philos. Stud., Bd. l. Kraskowski, Psych. Stud., Bd. 8. M. u. T.5 Vorl. 17. Kl. Schriften Bd. 2.

    13. Der Zusammenhang der psychischen Vorgänge, der das Wesen des Bewußtseins ausmacht, hat seine letzte Quelle in Verbindungsprozessen, die fortwährend zwischen den Elementen der einzelnen Bewußtseinsinhalte stattfinden. Wie solche Prozesse schon bei der Entstehung der einzelnen psychischen Gebilde wirksam sind, so geht auch aus ihnen sowohl die simultane Einheit des in einem gegebenen Moment vorhandenen Bewußtseinszustandes, wie die Kontinuität der sukzessiven Bewußtseinszustände hervor. Diese Verbindungsprozesse selbst sind von überaus mannigfaltiger Beschaffenheit: jeder einzelne hat seine individuelle, in keinem zweiten Fall sich ganz unverändert wiederholende Färbung. Ihre allgemeinen Unterschiede lassen sich aber jenen Eigentümlichkeiten unterordnen, welche die Aufmerksamkeit einerseits bei der passiven Aufnahme von Eindrücken, anderseits bei der aktiven Apperzeption derselben darbietet. Um kurze Ausdrücke für diese Unterschiede zur Verfügung zu haben, bezeichnen wir die Verbindungen, die sich bei passivem Zustand des Bewußtseins bilden, als Assoziationen, diejenigen, die einen aktiven Zustand voraussetzen, als Apperzeptionsverbindungen.