§ 11. Die zeitlichen Vorstellungen.

    l. Alle unsere Vorstellungen sind räumlich und zeitlich zugleich. Aber wie die Bedingungen zur räumlichen Ordnung der Eindrücke ursprünglich nur bestimmten Sinnesgebieten, dem Tast- und dem Gesichtssinn, eigentümlich sind, von denen aus dann erst die Beziehung zum Raum auf alle andern Sinnesempfindungen übertragen wird, so sind es auch bloß zwei Empfindungsgebiete, nämlich die bei den Tastbewegungen entstehenden inneren Tastempfindungen und die Gehörsempfindungen, die vorzugsweise die Bildung zeitlicher Vorstellungen vermitteln. Immerhin tritt schon hier ein charakteristischer Unterschied zwischen den räumlichen und den zeitlichen Vorstellungen darin hervor, daß dort überhaupt bloß die genannten Sinne eine selbständige räumliche Ordnung erzeugen können, während hier in den zwei bevorzugten Sinnesgebieten nur die Bedingungen zur Entstehung zeitlicher Ordnungen günstigere sind, ohne daß jedoch solche bei irgendwelchen andern Empfindungen fehlen. Dies weist darauf hin, daß die psychologischen Grundlagen der Zeitvorstellungen allgemeinerer Art sind, und daß sie nicht erst durch die besonderen Organisationsbedingungen einzelner Sinnesapparate bestimmt werden. Dem entspricht es, daß wir auch den subjektiven Vorgängen, den Gefühlen, Affekten usw. die nämlichen zeitlichen Eigenschaften zuschreiben wie den Vorstellungen. Doch darf man aus dieser größeren Allgemeinheit der Bedingungen nicht etwa auf ein allgemeineres Vorkommen der Zeitanschauungen selbst schließen. Wie wir räumliche Eigenschaften von unsern direkt die Raumanschauung erzeugenden Sinnen auf die Empfindungen anderer Sinnesgebiete übertragen, so übertragen wir sie auch mittels der Empfindungen und Vorstellungen auf die Gefühle und Gemütsbewegungen, mit denen jene unlösbar verbunden sind. Nicht minder läßt sich aber bezweifeln, ob den Gemütsbewegungen an und für sich, ohne die mit ihnen verbundenen Vorstellungen, jemals eine zeitliche Ordnung zukommen könnte; denn zu den Bedingungen dieser Ordnung gehören auch hier gewisse Eigenschaften des Empfindungssubstrats der Vorstellungen. Der wahre Sachverhalt ist also der, daß alle psychischen Inhalte räumlich und zeitlich zugleich sind, daß aber die räumliche Ordnung von bestimmten Empfindungssubstraten, beim Sehenden vorzugsweise vom Gesichts-, beim Blinden vom Tastsinn, ausgeht, während sich die Zeitvorstellungen auf alle möglichen Empfindungssubstrate beziehen können.

    2. Gleich den räumlichen sind die zeitlichen Gebilde den intensiven Vorstellungen gegenüber dadurch gekennzeichnet, daß die Elemente, in die sie sich zerlegen lassen, eine bestimmte unverrückbare Ordnung aufweisen, so daß, wenn sich diese Ordnung verändert, auch das gegebene Gebilde trotz gleichbleibender Qualität seiner Komponenten ein anderes wird. Während sich aber bei den räumlichen Vorstellungen diese unverrückbare Ordnung nur auf das Verhältnis der Raumelemente zueinander, nicht auf ihr Verhältnis zum vorstellenden Subjekt bezieht, ändert bei den zeitlichen jedes Element mit dem Verhältnis zu den andern Elementen des nämlichen Gebildes immer auch sein Verhältnis zu dem vorstellenden Subjekt. Eine den Lageänderungen der Raumgebilde analoge Veränderung gibt es daher bei der Zeit nicht.

    2a. Diese Eigenschaft des absoluten, schlechthin nicht zu verändernden Verhältnisses jedes zeitlichen Gebildes und jedes noch so kleinen isoliert denkbaren Zeitelements zum vorstellenden Subjekt ist es, die wir als das Fließen der Zeit bezeichnen. Denn vermöge dieses Fließens hat eben jeder durch irgendeinen Empfindungsinhalt bestimmte Zeitmoment ein durch keinen andern ersetzbares Verhältnis zum Vorstellenden, während umgekehrt beim Raum die Möglichkeit der Ersetzbarkeit jedes Raumelements in seinem Verhältnis zum Vorstellenden durch jedes beliebige andere die Auffassung der Konstanz oder, wie wir es mittels der Übertragung der Zeit- auf die Raumvorstellung ausdrücken, der absoluten Dauer erweckt. Innerhalb der Zeitanschauung selbst ist die Vorstellung einer absoluten Dauer, d. h. einer Zeit, in welcher sich nichts verändert, schlechterdings unmöglich. Das Verhältnis zum Vorstellenden muß sich immer verändern. Dauernd nennen wir daher nur einen Eindruck, dessen einzelne Zeitteile einander ihrem Empfindungs- und Gefühlsinhalt nach vollständig gleichen, so daß sie sich bloß durch ihr Verhältnis zum Vorstellenden unterscheiden. Deshalb ist die Dauer, auf die Zeit selbst angewandt, ein bloß relativer Begriff; eine Zeitvorstellung kann dauernder sein als eine andere; eine absolute Dauer aber kann keine Zeitvorstellung haben. Schon eine ungewöhnlich lange gleichförmig andauernde Empfindung läßt sich nicht festhalten; wir unterbrechen sie fortwährend durch andere Empfindungs- und Gefühlsinhalte.

    Gleichwohl lassen sich auch bei der Zeit die beiden in der Wirklichkeit immer verbundenen Bedingungen, das Verhältnis der Elemente zueinander und dasjenige zum vorstellenden Subjekt, voneinander sondern, insofern jede von ihnen mit bestimmten Eigenschaften der Zeitvorstellungen zusammenhängt. In der Tat hat jene Unterscheidung der Bedingungen schon vor einer genaueren psychologischen Analyse der Zeitvorstellungen in bestimmten Bezeichnungen der Sprache für gewisse Formen des Zeitverlaufs ihren Ausdruck gefunden. Achtet man nämlich bloß auf das Verhältnis der Zeitelemente zueinander ohne Rücksicht auf ihr Verhältnis zum Subjekt, so kommt man zur Unterscheidung von Arten des Zeitverlaufs, wie z. B. kurz dauernd, lang dauernd, sich regelmäßig wiederholend, unregelmäßig wechselnd usw. Achtet man dagegen bloß auf das Verhältnis zum Subjekt unter Abstraktion von den objektiven Verlaufsformen, so ergeben sich als die Hauptformen dieses Verhältnisses die Zeitstufen des Vergangenen, Gegenwärtigen und Zukünftigen.

A. Die zeitlichen Tastvorstellungen.

    3. Die ursprüngliche Entwicklung der zeitlichen Vorstellungen gehört dem Tastsinn an, dessen Empfindungen demnach das allgemeine Substrat für die Entstehung sowohl der räumlichen wie der zeitlichen Ordnungen der Vorstellungselemente abgeben (§ 10, 3). Während aber die raumbildenden Funktionen des Tastsinns von den äußeren Tastempfindungen ausgehen, sind die inneren Tastempfindungen, welche die Tastbewegungen begleiten, die primären Inhalte der ursprünglichsten zeitlichen Vorstellungen.

    Eine wichtige physiologische Grundlage für die Entstehung dieser Vorstellungen bilden die mechanischen Eigenschaften der tastenden Bewegungsorgane. Indem diese, die Arme und Beine, durch Muskelwirkungen in den Gelenken der Schulter und der Hüfte gedreht werden können und dabei zugleich der nach abwärts ziehenden Wirkung der Schwere unterworfen sind, werden im allgemeinen zweierlei Bewegungen der tastenden Glieder möglich: erstens solche, die fortwährend durch die vom Willen geleiteten Muskelwirkungen reguliert werden, und die daher einen beliebig wechselnden, in jedem Augenblick den vorhandenen Bedürfnissen sich anpassenden Verlauf haben können, – wir wollen sie die arrhythmischen Tastbewegungen nennen; und zweitens solche, bei denen die willkürlichen Muskelkräfte nur so weit in Wirksamkeit treten, als erforderlich ist, um die in den Gelenken beweglichen Glieder in pendelnde Schwingungen zu versetzen und in ihnen zu erhalten, – die rhythmischen Tastbewegungen. Die arrhythmischen Bewegungen, wie sie bei beliebig wechselndem Gebrauch der tastenden Glieder eintreten, können hier außer Betracht bleiben, da sie stets gemischt mit rhythmischen Bewegungen vorkommen, und daher in ihren zeitlichen Eigenschaften wahrscheinlich von Anfang an unter dem beherrschenden Einfluß der letzteren stehen.

    4. Die Bedeutung rhythmischer Tastbewegungen für die psychologische Entwicklung der Zeitvorstellungen beruht nun in erster Linie auf demselben Gesetz, dem sie auch zum Teil ihre funktionelle Bedeutung in physiologischer Beziehung verdanken: auf dem Gesetz der rhythmischen Übereinstimmung einer Reihe von Pendelschwingungen bei gleichbleibender Amplitude. Indem unsere Beine bei den Gehbewegungen annähernd regelmäßige Schwingungen um ihre Drehungsachsen in den Hüftgelenken ausführen, wird dadurch einerseits die Muskelarbeit erleichtert, anderseits die fortwährende willkürliche Lenkung der Bewegungen auf ein Minimum eingeschränkt. Fördernd greift dazu beim natürlichen Gehen noch das Pendeln der Arme ein, das nicht, wie das der Beine, bei jedem Schritt durch das Aufsetzen des Fußes unterbrochen wird, und das daher infolge seines kontinuierlichen Verlaufs ein Hilfsmittel für die gleichförmige Regulierung der Gehbewegungen abgibt.

    Jede einzelne Schwingungsperiode einer solchen Bewegung besteht aber ihrem Empfindungsinhalte nach in einer stetigen Folge von Empfindungen, die sich während der folgenden Periode genau in der nämlichen Ordnung wiederholt. Anfang und Ende jeder Periode sind hier durch einen Komplex äußerer Tastempfindungen gekennzeichnet, die im Anfang der Periode die Abwicklung der Sohle vom Boden begleiten, und die am Ende derselben durch die das Aufsetzen der Sohle begleitenden Eindrücke verursacht werden. Dazwischen liegt eine kontinuierliche Folge schwacher innerer Tastempfindungen in Gelenken und Muskeln, deren Anfangs- und Endpunkte, mit jenen äußeren Tastempfindungen zusammenfallend, in intensiveren Empfindungen bestehen, die den eintretenden Bewegungsimpuls sowie die plötzliche Hemmung der Bewegung begleiten und so ebenfalls zur Begrenzung der Perioden beitragen.

    An diese regelmäßige Folge von Empfindungen ist eine ihr parallel gehende regelmäßige Folge von Gefühlen geknüpft. Greifen wir aus irgendeinem Verlauf rhythmischer Tastbewegungen eine zwischen zwei Grenzpunkten gelegene Strecke heraus, so liegt am Anfang und am Ende einer solchen ein Gefühl erfüllter Erwartung. Zwischen beiden Grenzen erstreckt sich aber ein vom ersten Punkt an allmählich wachsendes Gefühl gespannter Erwartung, das bei Erreichung des zweiten Punktes plötzlich von seinem Maximum auf Null herabsinkt, um dem sehr rasch steigenden und wieder sinkenden Gefühl der Erfüllung Platz zu machen, worauf dann der nämliche Verlauf von neuem beginnt. Auf diese Weise besteht der ganze Prozeß einer rhythmischen Tastbewegung, von der Gefühlsseite aus betrachtet, in dem regelmäßigen Wechsel zweier qualitativ entgegengesetzter Gefühle, die sich ihrem allgemeinen Charakter nach hauptsächlich in der Richtung der spannenden und lösenden Gefühle (§ 7) bewegen, und von denen zugleich das eine sehr rasch verläuft, während das andere langsam zum Maximum ansteigt, um dann plötzlich zu sinken. Infolgedessen drängen sich die intensivsten Gefühlsvorgänge auf die Grenzpunkte der Perioden zusammen, und sie werden hier außerdem noch durch den Kontrast des Erfüllungsgefühls zu dem vorher vorhandenen Erwartungsgefühl gesteigert. Wie nun dieser kritische Grenzpunkt der Perioden in den obenerwähnten, den Übergang stark markierenden äußeren und inneren Tasteindrücken seine Empfindungsgrundlage hat, so entspricht der dazwischen liegende allmähliche Verlauf des Erwartungsgefühls dem kontinuierlichen Verlauf der schwächeren, die pendelnde Bewegung der Tastglieder begleitenden inneren Tastempfindungen.

    5. Die einfachsten zeitlichen Tastvorstellungen bestehen demnach in rhythmisch geordneten Empfindungen, die in der angegebenen Weise völlig gleichförmig bei der Aufeinanderfolge der Gehbewegungen sich wiederholen. Dennoch stellt sich schon beim gewöhnlichen Gehen ein leiser Antrieb zu einer etwas größeren Komplikation ein, indem von zwei aufeinander folgenden Perioden der Anfang der ersten in der Empfindung sowie in dem begleitenden Gefühl stärker gehoben wird als der Anfang der zweiten. In diesem Fall beginnt dann der Rhythmus der Bewegungen ein taktförmiger zu werden. Eine regelmäßige Aufeinanderfolge nicht gehobener und gehobener Vorstellungen entspricht dem einfachsten Taktmaß, dem aufsteigenden 2/8-Takt. Er stellt sich leicht schon beim gewöhnlichen Gehen infolge der physiologischen Bevorzugung der rechtsseitigen Gehwerkzeuge, vor allem aber sehr regelmäßig beim gemeinsamen Gehen, beim Marsche, ein. Im letzteren Falle können dann sogar mehr als zwei Bewegungsperioden zu einem rhythmischen Ganzen verbunden werden. Ebenso geschieht das bei den verwickelteren rhythmischen Bewegungen des Tanzes. Doch sind auf solche zusammengesetztere Rhythmenbildungen des Tastsinns bereits die zeitlichen Gehörsvorstellungen von Einfluß.

B. Die zeitlichen Gehörsvorstellungen.

    6. Der Gehörssinn ist vor allem deshalb zur genaueren Auffassung der zeitlichen Verhältnisse äußerer Vorgänge geeignet, weil bei ihm die Empfindung nur während einer verschwindend kurzen Zeit den äußeren Eindruck überdauert, so daß irgendeine Folge von Schalleindrücken fast vollkommen treu durch eine entsprechende Folge von Empfindungen wiedergegeben wird. Hiermit hängen zugleich die psychologischen Eigenschaften der zeitlichen Gehörsvorstellungen zusammen. Sie unterscheiden sich von den zeitlichen Tastvorstellungen schon dadurch, daß bei ihnen häufig nur die Begrenzungspunkte der einzelnen ein Vorstellungsganzes zusammensetzenden Zeitstrecken direkt durch Empfindungen markiert sind, so daß in diesem Fall die Verhältnisse solcher Strecken zueinander wesentlich nur nach den zwischen den begrenzenden Eindrücken gelegenen, scheinbar leeren oder von einem abweichenden Inhalt ausgefüllten Strecken geschätzt werden.

    Dies macht sich namentlich bei den rhythmischen Gehörsvorstellungen bemerklich. Sie sind im allgemeinen in zwei Formen möglich: als kontinuierliche oder nur wenig durch Pausen unterbrochene Aufeinanderfolgen relativ dauernder Empfindungen, und als diskontinuierliche Taktfolgen, bei denen nur die Einteilungspunkte der rhythmischen Perioden durch äußere Gehörseindrücke markiert sind. Bei derartigen Taktfolgen aus vollkommen gleichartigen Schalleindrücken treten die zeitlichen Eigenschaften der Vorstellungen im allgemeinen deutlicher hervor als bei kontinuierlichen Eindrücken, weil bei den ersteren die Einflüsse der Tonqualität vollkommen hinwegfallen. Wir können uns daher um so mehr auf ihre Betrachtung beschränken, da die hier gewonnenen Gesichtspunkte durchaus auch für die kontinuierlichen Tonfolgen der Melodie gelten, bei denen man in Wirklichkeit die rhythmische Gliederung ebenfalls mittels gewisser, entweder durch den äußeren Eindruck gegebener Taktpunkte, oder mittels willkürlich auf ihn angewandter Betonungen vornimmt.

    7. Eine auf diese Weise als einfachste Form zeitlicher Gehörsvorstellungen hergestellte Reihe regelmäßiger Taktschläge, wie sie z. B. die Schläge einer Pendeluhr oder des in der Musik benutzten Metronoms darbieten, unterscheidet sich von der oben erörterten einfachsten Form zeitlicher Tastvorstellungen wesentlich darin, daß den Zeitstrecken selbst jeder objektive Empfindungsinhalt fehlt, da die Gehörseindrücke selbst nur die Begrenzung der Zeitstrecken gegeneinander vermitteln. Nichtsdestoweniger sind die Zeitstrecken einer solchen Taktfolge nicht überhaupt leer, sondern sie sind von einem subjektiven Gefühls- und Empfindungsinhalt erfüllt, der dem bei den Tastvorstellungen beobachteten durchaus entspricht. Hierbei tritt der Gefühlsinhalt der Strecken in seinen aufeinander folgenden Perioden der allmählich steigenden und der plötzlich erfüllten Erwartung besonders deutlich hervor. Aber auch die Empfindungsgrundlage fehlt nicht; nur ist sie wechselnder: bald besteht sie bloß in einer Spannungsempfindung des Trommelfells, bald zugleich in begleitenden Empfindungen anderer Körperteile, oder in sonstigen inneren Tastempfindungen, letzteres, wenn sich mit dem gehörten Takt ein unwillkürliches Taktieren verbindet. Den allgemeinen Verlauf dieser Empfindungen und Gefühle bei einer Reihe regelmäßig aufeinander folgender Taktschläge kann man sich daher etwa durch die Kurven in Fig. 20 veranschaulichen, wo die unterbrochene Linie dem Verlauf der Empfindungen mit ihren den Taktschlägen l, 2, 3 ... entsprechenden Höhepunkten, die ausgezogene dem Verlauf der Gefühle, in den aufwärts gerichteten Teilen den Spannungsgefühlen der Erwartung, in den abwärts gerichteten den Lösungsgefühlen beim Eintritt jedes neuen Taktschlags, entspricht.

Fig. 20. Verlauf der Empfindungen und Gefühle bei einer regelmäßigen Taktreihe.


    Der Einfluß der subjektiven Elemente auf die Beschaffenheit der Zeitvorstellungen verrät sich nun bei den rhythmischen Gehörseindrücken vor allem in der Wirkung, welche die Geschwindigkeit der gehörten Taktfolgen ausübt. Eine mittlere Geschwindigkeit von 0,2 bis 0,5 Sek. erweist sich nämlich für die Verbindung einer Mehrheit einander folgender Schalleindrücke als die günstigste; und es ist leicht zu bemerken, daß dies zugleich diejenige ist, bei der die obenerwähnten subjektiven Empfindungen und Gefühle am deutlichsten in ihrem Wechsel hervortreten. Verlangsamt man die Geschwindigkeit erheblich unter jenen Wert, so wird die Spannung der Erwartung zu groß, und sie geht dadurch in ein immer peinlicher werdendes Unlustgefühl über; beschleunigt man umgekehrt die Geschwindigkeit, so wird das Anwachsen der Erwartungsgefühle so schnell unterbrochen, daß diese fast unmerklich werden. So nähert man sich auf beiden Seiten einer Grenze, wo das Zusammenfassen der Eindrücke zu einer rhythmischen Zeitvorstellung überhaupt nicht mehr möglich ist: diese Grenze wird nach oben bei einer Taktfolge von etwa l Sek., nach unten bei einer solchen von 0,1 Sek. erreicht.

    8. Wie diese Zeitwerte auf den Einfluß hinweisen, den der Verlauf der Empfindungen und Gefühle ausübt, so gibt sich nun der nämliche Einfluß in den Veränderungen zu erkennen, die unsere Vorstellung einer Zeitstrecke erfährt, wenn bei unverändert bleibender objektiver Größe die Bedingungen ihrer Auffassung variiert werden. So beobachtet man, daß im allgemeinen eine eingeteilte Zeit größer geschätzt wird als eine nicht eingeteilte, analog der bei der Einteilung von Raumstrecken beobachteten Täuschung (§ 10, 20). Der Unterschied kann aber bei der Zeit viel größer sein, was offenbar davon herrührt, daß hier der öfter wiederholte Empfindungs- und Gefühlswechsel innerhalb einer Zeitperiode eine eingreifendere Wirkung ausübt, als bei der ähnlichen Raumtäuschung die Unterbrechung der Bewegung durch Teilungspunkte. Dagegen erreicht man bei der Teilung der Zeit, wenn die Zeitstrecken größer genommen werden, eine Grenze, wo die Täuschung zuerst verschwindet und dann in ihr Gegenteil übergeht, so daß nun die eingeteilte Strecke kleiner erscheint als die nicht eingeteilte. Offenbar ist dies auf das in diesem Fall stark anwachsende Spannungsgefühl zurückzuführen, das bei der leeren Strecke dem das Ende derselben bezeichnenden Eindruck vorangeht. Zeichnet man ferner in einer regelmäßigen Taktfolge einzelne Reize durch größere Intensität oder durch irgendeinen qualitativen Unterschied aus, so hat das stets die Wirkung, daß die dem ausgezeichneten Reiz vorausgehende und meist auch die ihm nachfolgende Zeitstrecke überschätzt werden im Vergleich mit den andern Zeitstrecken der nämlichen Taktfolge. Erzeugt man endlich eine bestimmte Taktfolge abwechselnd mit schwachen und starken Taktschlägen, so scheint bei den ersteren die Aufeinanderfolge langsamer zu sein als bei den letzteren. Auch diese Erscheinungen erklären sich aus dem Einfluß des Empfindungs- und Gefühlswechsels. Ein vor den übrigen ausgezeichneter Eindruck fordert eine Veränderung in dem seiner Auffassung vorausgehenden Empfindungs- und Gefühlsverlauf, indem eine intensivere Erwartungsspannung und ihr entsprechend auch ein stärkeres Gefühl der Lösung dieser Spannung oder der Erfüllung eintreten muß. Jenes verlängert aber die dem Eindruck vorausgehende, dieses die ihm nachfolgende Zeitstrecke. Anders verhält es sich, wenn eine ganze Taktfolge ein erstes Mal aus lauter schwachen und ein zweites Mal aus lauter starken Eindrücken besteht. Um einen schwachen Eindruck wahrzunehmen, müssen wir unsere Aufmerksamkeit energischer auf ihn richten: demnach sind bei der schwachen Taktfolge die Spannungsempfindungen und –gefühle, wie man leicht beobachten kann, intensiver als bei der starken. Auch hier reflektiert sich also in der Verschiedenheit der zeitlichen Vorstellungen unmittelbar die verschiedene Intensität der subjektiven Elemente, die ihre Grundlage bilden. Darum hört aber auch diese Wirkung auf und springt sogar in ihr Gegenteil um, wenn es sich nicht um die Vergleichung schwacher und starker, sondern starker und stärkster Taktschläge handelt.

    9. Wie wir schon bei den rhythmischen Tasteindrücken geneigt sind, mindestens zwei einander gleiche Perioden zu einer regelmäßigen Taktfolge zu verbinden, so geschieht dies wiederum, nur in viel ausgeprägterer Weise, bei den Gehörsvorstellungen. Aber während bei den Tastbewegungen, bei denen die die einzelnen Perioden begrenzenden Empfindungen unter dem Einfluß des Willens stehen, diese Neigung zu rhythmischer Taktbildung in dem wirklichen Wechsel schwächerer und stärkerer Eindrücke sich ausspricht, kann sie beim Gehörssinn, sobald die Eindrücke ausschließlich durch äußere Schallreize erzeugt werden, zu einer eigentümlichen Täuschung führen. Diese besteht darin, daß man von einer Reihe durch gleiche Zeitstrecken getrennter, vollkommen gleich starker Taktschläge einzelne, die sich in regelmäßigen Abständen voneinander befinden, stärker hört als die andern. Der auf diese Weise bei ungezwungenem Hören am häufigsten sich einstellende Takt ist der 2/8-Takt. Höchstens durch besondere Willensanstrengung kann man diese Neigung zum Taktieren unterdrücken; und auch dann gelingt dies meist nur bei langsamen oder umgekehrt bei sehr schnellen Taktschlägen, die an und für sich den Grenzen der rhythmischen Wahrnehmung nahe kommen. Bemüht man sich jedoch, möglichst viele Eindrücke in eine einheitliche Zeitvorstellung zusammenzufassen, so verwickelt sich die Erscheinung. Es treten Hebungen verschiedenen Grades auf, die in regelmäßiger Folge mit den unbetonten Taktgliedern wechseln und durch die Gliederung des Ganzen, die sie hervorbringen, den Umfang der in eine einzige Vorstellung zusammenzufassenden Eindrücke beträchtlich erweitern. So entstehen durch Unterscheidung von zwei Graden der 3/4 - und der 5/8-Takt, endlich als Takte mit drei Graden der Hebung der 4/4- und 6/4- sowie, als dreigliedrige Formen, der 9/8- und 12/8-Takt. Mehr als drei Grade der Hebung, oder, bei Einrechnung der unbetonten Glieder, mehr als vier Intensitätsstufen kommen weder in den musikalischen und poetischen Rhythmen vor, noch können wir solche bei der Gliederung rhythmischer Vorstellungen willkürlich hervorbringen. Augenscheinlich bezeichnet so diese Dreiheit der Hebungsstufen einen analogen Grenzwert der Zusammensetzung zeitlicher Vorstellungen, wie uns ein solcher für die Größe derselben in dem maximalen Umfang des Taktes (§ 15, 6) gegeben ist.

    Diese Erscheinungen der subjektiven Betonung mit ihrem Einfluß auf die Empfindung der Taktschläge zeigen klar, daß eine zeitliche Vorstellung ebensowenig wie eine räumliche bloß aus den objektiven Eindrücken besteht, sondern daß sich mit diesen stets subjektive Elemente verbinden, deren Beschaffenheit zugleich die Auffassung der objektiven Reize wesentlich mitbestimmt. Die Ursache der Hebung eines Taktschlags liegt zunächst stets in der Steigerung der ihm vorausgehenden und ihn begleitenden inneren Tastempfindungen und Gefühle; die Steigerung dieser subjektiven Elemente wird dann aber auf den objektiven Eindruck übertragen, der nun selbst in seiner Intensität verstärkt erscheint. Hierbei kann jene Steigerung entweder willkürlich eintreten, indem die die inneren Tastempfindungen erzeugenden Muskelspannungen willkürlich verstärkt werden, welcher Vorgang eine entsprechende Zunahme der Erwartungsgefühle auslöst. Oder sie kann unwillkürlich erfolgen, indem der Trieb nach zusammenfassender Wahrnehmung die unmittelbare Gliederung der Zeitstrecken mittels der entsprechenden subjektiven Empfindungs- und Gefühlsschwankungen herbeiführt.

C. Die allgemeinen Bedingungen der zeitlichen Vorstellungen.

    10. Will man sich auf Grund aller dieser Erscheinungen von der Entstehung zeitlicher Vorstellungen Rechenschaft geben, so ist zunächst davon auszugehen, daß eine einzelne isoliert gedachte Empfindung ebensowenig zeitliche wie räumliche Eigenschaften haben kann. Auch die Einordnung in eine Zeitreihe kann immer erst dadurch entstehen, daß das einzelne psychische Element zu andern psychischen Elementen in irgendwelche bestimmt charakterisierte Beziehungen tritt. Gilt diese Bedingung für die zeitlichen genau so wie für die räumlichen Vorstellungen, so ist nun aber die Art dieser Beziehung dort eine eigentümliche, von der beim Raum obwaltenden wesentlich verschiedene.

    Die Glieder abcdef einer Zeitreihe können uns, wenn die Reihe bei f angelangt ist, alle unmittelbar als ein einziges Gebilde gegeben sein, gerade so gut wie eine Reihe räumlicher Punkte. Aber während die letzteren vermöge der ursprünglichen Reflexbewegungen des Auges stets in ihrem Verhältnis zu dem Zentralpunkt des Sehens geordnet werden, der abwechselnd mit jedem beliebigen der äußeren Eindrücke a bis f zusammentreffen kann, ist bei der Zeitvorstellung der momentan gegenwärtige Eindruck derjenige, nach dem alle andern orientiert sind. Ein neuer in ähnlicher Weise gegenwärtiger Eindruck wird daher, auch wenn er nach seinem objektiven Empfindungsinhalt einem vorangegangenen vollständig gleicht, doch als ein subjektiv von ihm verschiedener aufgefaßt, indem der die Empfindung begleitende Gefühlszustand zwar dem Gefühlsinhalt irgendeines andern Moments verwandt sein kann, niemals aber mit ihm identisch ist. Gesetzt z. B., auf die Reihe der Eindrücke a b c d e f folge eine andere a' b' c' d' e' f', bei der dem Empfindungsinhalte nach a' = a, b' = b, c' = c usw. ist, so werden, wenn wir die begleitenden Gefühle mit ab g d e z und a' b' g ' d ' e' z' bezeichnen, zwar a' und a , b' und b, g ' und g usw. wegen des übereinstimmenden Empfindungsinhaltes einander ähnliche Gefühle, aber sie werden nicht identisch sein, weil jedes Gefühlselement außer von der Empfindung, mit der es unmittelbar verbunden ist, immer auch von dem durch die Gesamtheit der Erlebnisse bestimmten Zustand des Subjekts abhängt. Dieser Zustand ist nun bei jedem Glied der Reihe a' b' c' d'... schon deshalb ein anderer als bei dem zugehörigen Glied der Reihe a b c d..., weil bei dem Eindruck a' der andere a schon gegeben war, a' also mit a assoziiert werden kann, während für a diese Bedingung nicht besteht. Analoge Unterschiede des Gefühlszustandes ergeben sich für zusammengesetzte Wiederholungsreihen. Mögen bei ihnen auch die subjektiven Bedingungen der Momentangefühle noch so sehr übereinstimmen, zusammenfallen können sie niemals, da jeder augenblickliche Zustand immer seine eigentümliche Orientierung zur Gesamtheit der psychischen Vorgänge besitzt. Nehmen wir z. B. an, es folgen sich eine Anzahl von Taktschlägen, wie in Fig. 20, wo die Empfindungen l, 2, 3 ... alle einander gleich sind, so unterscheidet sich 3 in seinen Gefühlsbedingungen dadurch von 2, daß 2 nur mit l, 3 aber sowohl mit 2 wie mit l assoziiert werden kann. Ebenso wird aber jeder zwischen zwei Taktschlägen liegende Punkt der Gefühls- und Empfindungskurve, z. B. a", zunächst auf den entsprechenden der vorangehenden, dann aber auch weiter in abnehmender Stärke auf weiter vorangehende, wie a' und a, bezogen, und er erhält so seine spezifische Einordnung in den Verlauf der Gefühle.

    11. Indem nun, wie oben bemerkt, jedes Element einer zeitlichen Vorstellung nach dem unmittelbar gegenwärtigen Eindruck geordnet wird, ist zugleich dieser vor allen andern Bestandteilen der nämlichen Vorstellung durch eine ähnliche Eigenschaft bevorzugt, wie sie bei unseren räumlichen Vorstellungen dem Blickpunkt des Sehfeldes oder den analogen Zentralpunkten der Tastflächen zukommt: dadurch nämlich, daß er am klarsten und schärfsten wahrgenommen wird. Aber es besteht hier der große Unterschied, daß diese schärfste Wahrnehmung bei den Zeitvorstellungen nicht mit der physiologischen Organisation der Sinnesapparate, sondern ausschließlich mit den allgemeinen Eigenschaften des Vorstellenden, wie sie in den Gefühlsvorgängen zum Ausdruck kommen, zusammenhängt. Das den unmittelbar gegenwärtigen Eindruck begleitende Momentangefühl ist hierbei dasjenige, das jenem gegenwärtigen Eindruck zur klarsten Auffassung verhilft. Wir können demnach den dem unmittelbaren Eindruck entsprechenden Teil einer zeitlichen Vorstellung den Blickpunkt dieser Vorstellung oder auch allgemein, insofern dieser nicht wie der Blickpunkt der räumlichen Vorstellungen von äußeren Organisationsbedingungen abhängt, bildlich den inneren Blickpunkt nennen. Die außerhalb dieses Blickpunktes gelegenen Eindrücke, d. h. die dem unmittelbaren Eindruck vorangegangenen, sind dann die indirekt wahrgenommenen. Sie sind zum Blickpunkt in einer Stufenfolge abnehmender Klarheit geordnet. Eine einheitliche zeitliche Vorstellung ist aber nur so lange möglich, als nicht der Klarheitsgrad einzelner ihrer Elemente Null geworden ist. Sobald dies geschieht, so zerfällt die Vorstellung in ihre Bestandteile.

    12. Von den äußeren Blickpunkten der räumlichen unterscheidet sich hiernach der innere der zeitlichen Wahrnehmungen wesentlich dadurch, daß er in erster Linie nicht durch Empfindungs-, sondern durch Gefühlselemente charakterisiert ist. Indem diese sich unablässig infolge der wechselnden Bedingungen des psychischen Lebens ändern, gewinnt der innere Blickpunkt jene Eigenschaft fortwährender Veränderung, die wir als das stetige Fließen der Zeit bezeichnen. Unter diesem Fließen versteht man eben die Eigenschaft, daß kein Zeitmoment dem andern gleich ist, also auch keiner als der nämliche wiederkehren kann. (Vgl. o. 2 a.) Zugleich hängt damit die eindimensionale Beschaffenheit der Zeit zusammen, welche darin besteht, daß bei den zeitlichen Vorstellungen der innere Blickpunkt in einer fortwährenden Wanderung begriffen ist, bei der niemals ein identischer Punkt wiederkehrt. Indem die Ordnung in dieser einen Dimension immer von jenem veränderlichen Blickpunkt aus geschieht, in welchem sich das Subjekt selbst vorstellt, ist endlich hierin die Eigenschaft der Zeitvorstellungen begründet, daß ihre Elemente neben ihrer wechselseitigen Ordnung stets zugleich ein fest bestimmtes Verhältnis zum vorstellenden Subjekt besitzen (vgl., o. 2).

    13. Suchen wir uns über die Hilfsmittel dieser wechselseitigen Ordnung der unmittelbar aneinander gebundenen Teile einer Vorstellung und ihrer Orientierung zum Vorstellenden Rechenschaft zu geben, so können diese Hilfsmittel, die wir nach der Analogie der Lokalzeichen die Zeitzeichen nennen wollen, auch hier nur in irgendwelchen mit der Vorstellung verbundenen Elementen bestehen, die, isoliert betrachtet, keine zeitlichen Eigenschaften besitzen, durch ihre Verbindung aber solche gewinnen. Hierbei werden wir nun durch die eigentümlichen Bedingungen der Entwicklung der zeitlichen Vorstellungen von vornherein darauf hingewiesen, daß die Zeitzeichen zu einem wesentlichen Teil Gefühlselemente sind. Denn bei dem Ablauf irgendeiner rhythmischen Reihe ist jeder Eindruck unmittelbar durch das ihn begleitende Erwartungsgefühl charakterisiert, während die Empfindung nur insofern von Einfluß ist, als durch sie jenes Gefühl ausgelöst wird, wie man deutlich wahrnimmt, wenn eine plötzliche Unterbrechung einer rhythmischen Reihe eintritt. Unter den Empfindungen sind übrigens allein die inneren Tastempfindungen die nie fehlenden Bestandteile aller Zeitvorstellungen: bei den zeitlichen Tastvorstellungen fließen dieselben unmittelbar mit den auf die Lageänderungen der Körperteile bezogenen Tastempfindungen zusammen, bei den Gehörs- und den sonst noch in die zeitliche Form gebrachten Vorstellungen sondern sie sich als subjektive Begleiterscheinungen von den äußeren Eindrücken (Fig. 20). Demnach können wir die Erwartungsgefühle als die qualitativen, jene Tastempfindungen als die intensiven Zeitzeichen einer zeitlichen Vorstellung betrachten. Diese selbst wird dann als ein Verschmelzungsprodukt beider Zeitzeichen miteinander und mit den in die zeitliche Form geordneten objektiven Empfindungen anzusehen sein. So bilden auch hier die intensiv abgestuften inneren Tastempfindungen ein gleichförmiges Maß für die Einordnung der durch die begleitenden Gefühle qualitativ charakterisierten objektiven Eindrücke.

    13a. Da hiernach den inneren Tastempfindungen in der Ordnung der Zeit- wie der Raumvorstel-lungen analoge Punktionen zukommen, so ist damit zugleich jene Beziehung beider Anschauungsfor-men zueinander, die in der geometrischen Versinnlichung der Zeit durch die Gerade ihren Ausdruck findet, durch diese übereinstimmenden Empfindungssubstrate nahegelegt. Immerhin bleibt zwischen dem komplexen System der Zeitzeichen und den Lokalzeichensystemen der wesentliche Unterschied, daß jenes seine nächste Grundlage nicht in qualitativen Eigenschaften der Empfindung hat, die an bestimmte äußere Sinnesorgane geknüpft sind, sondern in Gefühlen, die in völlig übereinstimmender Weise bei den verschiedensten Empfindungen vorkommen können, da sie an sich nicht von dem objektiven Inhalt der Empfindungen, sondern von ihrer subjektiven Verknüpfung abhängen. Auf der andern Seite erklärt sich aus den weit veränderlicheren Verlaufsbedingungen dieser Gefühle die sehr viel größere Unsicherheit unserer Zeit- gegenüber unseren Raumvorstellungen. Hierbei wird der Einfluß des Verlaufs der Gefühle namentlich daran bemerkbar, daß die Genauigkeit der subjektiven Zeitschätzung in erster Linie von der Dauer der Zeitstrecken abhängt. Unsere Vergleichung von Zeitstrecken, z.B. von aufeinander folgenden Taktintervallen, ist unter sonst gleichen Bedingungen bei denjenigen Zeitgrößen am günstigsten, die auch für die rhythmische Gliederung die vorteilhaftesten sind, also beim Gehörssinn bei den Zeitwerten 0,2"–0,5" liegen (7). Man beobachtet leicht, daß hier die Genauigkeit der Auffassung durch den günstigen Wechsel der Erwartungs- und Erfüllungsgefühle bedingt ist. Bei langsamer Folge der Eindrücke treten die Erwartungsgefühle übermäßig hervor, bei schneller überwiegen umgekehrt die Überraschungsgefühle. Infolge dieser wechselnden Verhältnisse der Erwartungsspannungen können ferner leicht Zeitverschiebungen gleichzeitiger Eindrücke disparater Sinnesgebiete eintreten, indem z. B. bei gleichzeitiger Einwirkung eines Schall- und eines Gesichtsreizes je nach den besonderen Bedingungen der Aufmerksamkeitsspannung entweder jener vor diesem oder dieser vor jenem aufgefaßt wird. Über die Erscheinungen des Zeitgedächtnisses vgl. unten § 16.

    13b. Auch hinsichtlich der psychologischen Entstehung der Zeitvorstellungen sind die ähnlichen Gegensätze nativistischer und genetischer Anschauungen vertreten, die uns bei den räumlichen Vorstellungen (§ 10, 12, § 10, 35) begegnet sind. Doch hat es in diesem Fall der Nativismus zu einer eigentlichen Theorie überhaupt nicht gebracht, sondern er pflegt sich entweder auf die allgemeine Annahme zu beschränken, daß die Zeit eine "angeborene Anschauungsform" sei, oder sie auf "Zeitempfindungen" zurückzuführen, die willkürlich mit den Empfindungen irgendwelcher Organe, z. B. mit Spannungsempfindungen der Muskeln, identifiziert werden, ohne daß irgendwie der Versuch gemacht würde, von dem Einfluß der tatsächlich nachzuweisenden Elemente und Bedingungen der Zeitvorstellungen Rechenschaft zu geben. Die genetischen Theorien der älteren Psychologie endlich, z. B. die Herbart’sche, versuchen die Zeitanschauung ausschließlich aus Vorstellungselementen abzuleiten. Dabei ergeht man sich aber wiederum in spekulativen Konstruktionen, bei denen die empirisch gegebenen Bedingungen überhaupt nicht beachtet werden.

    Literatur. Vierordt, Der Zeitsinn, 1868. Mach, Die Zeitempfindung, Analyse der Empfindungen, 2. Aufl., 1900 (Versuch einer nativistischen Theorie). Meumann, Phil. Stud., Bd. 8, 9. Schumann, Ztschr. f. Psych., Bd. 4, 14, 18. Nichols, Amer. Journ. of Psych., vol. 4. Über Rhythmus: Meumann, Phil. Stud., Bd. 10. Bolton, Amer. Journ., vol. 6. Zeittäuschungen und Zeitverschiebungen: Meumann a. a. O. von Tschirch, Phil. Stud. Bd. 2. Heyde, ebenda Bd. 6. Klemm, Psychol. Stud., Bd. 2. Optischer Rhythmus: Koffka, Zeitschr. f. Psychol., Bd. 52. Benussi, Arch. f. ges. Psych., Bd. 9 u. 13. Bücher, Arbeit und Rhythmus, 4. Aufl., 1908. J. von Kries, Festschr. für Struempell, 1913. Phys. Ps.6, III, Kap. 15. M. u. T.5 Vorl. 17 u. 18.