§ 7. Die einfachen Gefühle.

    1. Einfache Gefühle können in ungleich mannigfaltigerer Weise entstehen als einfache Empfindungen, da auch solche Gefühle, die wir nur in Verbindung mit mehr oder minder zusammengesetzten Vorstellungsprozessen beobachten, subjektiv unzerlegbar sind (§ 5). So ist z. B. das Gefühl der Tonharmonie ebensogut einfach wie das an einen einzelnen Ton gebundene Gefühl. Nur darin besteht ein wesentlicher Unterschied, daß solche Gefühle, die einfachen Empfindungen entsprechen, nach der nämlichen Methode der Abstraktion, deren wir uns zur Feststellung der Empfindungen selbst bedienen (§ 5), aus dem Zusammenhang unserer Erfahrung isoliert werden können. Ein einfaches Gefühl dagegen, das an irgendein zusammengesetztes Vorstellungsgebilde gebunden ist, können wir niemals von den Gefühlen sondern, die als subjektive Komplemente der Empfindungen in jenes Gebilde eingehen. So ist es z. B. unmöglich, das Harmoniegefühl des Akkords c e g von den einfachen Gefühlen der Töne c, e und g loszulösen. Diese mögen hinter jenem zurücktreten, da sie sich mit ihm, wie wir später (§ 12, 3a) sehen werden, stets zu einem einheitlichen Totalgefühl verbinden; aber eliminieren lassen sie sich natürlich niemals.

    2. Das mit einer einfachen Empfindung verbundene Gefühl pflegt man als sinnliches Gefühl oder auch als Gefühlston der Empfindung zu bezeichnen. Beide Ausdrücke sind in entgegengesetztem Sinne der Mißdeutung fähig: der erste, weil man geneigt ist, unter dem "sinnlichen Gefühl" nicht nur einen durch Abstraktion isolierbaren, sondern einen wirklich isoliert vorkommenden Bestandteil unmittelbarer Erfahrung zu verstehen; der zweite, weil der "Gefühlston" als eine der Empfindung in ähnlicher Weise unveränderlich zukommende Gefühlsqualität betrachtet werden könnte, wie etwa der "Farbenton" ein notwendiges Bestimmungsstück einer Farbenempfindung ist. In Wahrheit kann aber das sinnliche Gefühl ebensowenig jemals ohne eine Empfindung vorkommen, wie es ein Gefühl der Tonharmonie ohne Tonempfindungen geben kann. Wenn man zuweilen das Schmerzgefühl oder auch Druck-, Wärme-, Kälte-, Muskelgefühle u. dgl. als selbständig vorkommende sinnliche Gefühle bezeichnet hat, so beruht das auf der namentlich in der Physiologie noch immer verbreiteten Vermengung der Begriffe Empfindung und Gefühl (§ 5), vermöge deren man teils gewisse Empfindungen, wie die des Tastsinns, "Gefühle" nennt, teils aber bei solchen Empfindungen, die, wie die Schmerzempfindungen, von starken Gefühlen begleitet werden, die Unterscheidung beider Elemente vernachlässigt. Nicht minder unzulässig würde es aber sein, einer bestimmten Empfindung ein qualitativ und intensiv fest bestimmtes Gefühl zuzuschreiben. Vielmehr bewährt es sich überall, daß die Empfindung nur einer unter vielen Faktoren ist, die ein in einem gegebenen Augenblick vorhandenes Gefühl bestimmen, indem neben ihr immer zugleich vorangegangene Prozesse und dauernde Anlagen, im ganzen also Bedingungen, die wir im einzelnen Fall nur bruchstückweise zu übersehen vermögen, eine wesentliche Rolle spielen. Der Begriff des "sinnlichen Gefühls" oder des "Gefühlstons" ist daher in doppeltem Sinne Produkt einer Analyse und Abstraktion: erstens müssen wir dabei das einfache Gefühl von der es begleitenden reinen Empfindung unterscheiden; und zweitens müssen wir unter den mannigfach wechselnden Gefühlselementen, die unter verschiedenen Bedingungen mit einer bestimmten Empfindung verbunden sein können, das konstanteste zurückbehalten, bei dem zugleich alle Einflüsse, die eine einfache Empfindungswirkung stören oder komplizieren könnten, möglichst fehlen.

    Unter diesen Bedingungen ist die erste, wenn man die psychologische Bedeutung der Begriffe Empfindung und Gefühl im Auge behält, verhältnismäßig leicht, die zweite sehr schwer zu erfüllen. Besonders bei den zwei ausgebildetsten Empfindungssystemen, den Ton- und Lichtempfindungen, ist es niemals möglich, solche indirekte Einflüsse völlig fernzuhalten. So erweckt z. B. die Empfindung Grün fast unvermeidlich die Vorstellung der grünen Vegetation; und da an diese Vorstellung zusammengesetzte Gefühle geknüpft sind, deren Beschaffenheit möglicherweise ganz unabhängig ist von dem Gefühlston der grünen Farbe, so läßt sich nicht ohne weiteres bestimmen, ob das bei der Einwirkung des Eindrucks beobachtete Gefühl ein reiner Gefühlston oder ein durch begleitende Vorstellungen erwecktes Gefühl oder aber eine Mischung aus beiden sei.

    2a. Diese Schwierigkeit hat manche Psychologen veranlaßt, die Existenz eines reinen Gefühlstons überhaupt zu bestreiten. Sie behaupten, jede Empfindung erwecke irgendwelche begleitende Vorstellungen, durch die immer erst die Gefühlswirkung zustande komme. Aber dieser Ansicht widersprechen schon bei den Lichtempfindungen die Ergebnisse der experimentellen Variation der Bedingungen. Wären begleitende Vorstellungen allein für das Gefühl maßgebend, so müßte dieses jeweils dann am stärksten sein, wenn der Empfindungsinhalt des Eindrucks dem jener Vorstellungen möglichst ähnlich wäre. Dies ist aber durchaus nicht der Fall. Vielmehr ist der Gefühlston einer Farbe dann am größten, wenn ihr Sättigungsgrad ein Maximum erreicht. Den stärksten Gefühlston zeigen daher die reinen, im Dunkelraum beobachteten Spektralfarben; und diese sind zumeist sehr verschieden von den Farben der Naturgegenstände, auf die sich etwa begleitende Vorstellungen beziehen könnten. Ebensowenig läßt sich die ausschließliche Zurückfuhrung der Tongefühle auf solche Vorstellungen aufrechterhalten. Denn so zweifellos schon bei einem einzelnen Tone bekannte musikalische Vorstellungen erweckt werden können, so ist doch umgekehrt die Konstanz, mit der gewisse Tonqualitäten zum Ausdruck bestimmter Gefühle, z. B. tiefe Töne zum Ausdruck des Ernstes und der Trauer, gewählt werden, nur begreiflich, wenn bereits den einfachen Tonempfindungen der entsprechende Gefühlston zukommt. Noch augenscheinlicher wird der Zirkel, in dem man sich bei dieser Ableitung aus assoziierten Vorstellungen bewegt, bei den Empfindungen des Geruchs, des Geschmacks und des allgemeinen Sinnes. Wenn z. B. der angenehme und der unangenehme Gefühlston einer Geschmacksempfindung durch die Erinnerung an den nämlichen, früher schon erlebten Eindruck gesteigert werden soll, so ist dies doch nur dadurch möglich, daß uns dieser Eindruck schon bei jener früheren Einwirkung angenehm oder unangenehm war.

    3. Die Mannigfaltigkeit der einfachen Gefühle ist eine überaus große. Hierbei bilden die Gefühle, die einem bestimmten Empfindungssystem entsprechen, ebenfalls ein System, indem jeder qualitativen oder intensiven Änderung der Empfindung im allgemeinen eine qualitative oder intensive Änderung des Gefühlstons parallel geht. Zugleich verhalten sich aber diese beziehungsweisen Änderungen bei den Gefühlssystemen wesentlich abweichend von den gleichzeitigen Änderungen in den Empfindungssystemen. Variiert man nämlich die Empfindungsintensität, so kann sich damit der Gefühlston nicht bloß intensiv, sondern auch qualitativ ändern; und variiert man die Empfindungsqualität, so kann der Gefühlston nicht bloß qualitativ, sondern auch intensiv wechseln. Steigert man z. B. die Empfindung Süß, so geht der Gefühlston zuletzt aus einem angenehmen in einen unangenehmen über; und läßt man die Empfindung Süß allmählich in Sauer oder Bitter übergehen, so bemerkt man, daß das Saure, und noch mehr das Bittere, bei gleicher Empfindungsintensität eine stärkere Gefühlserregung als das Süße hervorbringt. Jede Empfindungsänderung ist also im allgemeinen von einer zweifachen Gefühlsänderung begleitet. Zugleich ist aber für die Art, wie hierbei Qualitäts- und Intensitätsänderung des Gefühlstons aneinander gebunden sind, das Prinzip maßgebend, daß sich jede in einer Dimension vor sich gehende Gefühlsänderung nicht, wie die entsprechende Empfindungsänderung, zwischen größten Unterschieden, sondern zwischen Gegensätzen bewegt (§ 5).

    4. Infolge dieses Prinzips entsprechen größten qualitativen Unterschieden der Empfindung qualitativ größte Gegensätze, intensiv aber Maximalwerte des Gefühls, die entweder von gleicher Größe sind oder sich, je nach der besonderen Eigentümlichkeit der qualitativen Gegensätze, wenigstens der Gleichheit nähern; und der Mitte zwischen beiden Gegensätzen entspricht, soweit die Dimension, der die Gegensätze angehören, allein in Betracht kommt, der Intensitätswert Null. Dieser Intensitätswert Null kann aber nur dann zur Beobachtung kommen, wenn das entsprechende Empfindungssystem ein absolut eindimensionales ist; in allen andern Fällen pflegt die in bezug auf einen bestimmten Empfindungsunterschied vorhandene neutrale Mitte gleichzeitig noch einer andern Empfindungsdimension oder sogar einer Mehrheit solcher Dimensionen anzugehören, in der ihr ebenfalls bestimmte Gefühlswerte zukommen. So sind z. B. das spektrale Gelb und Blau Gegenfarben, denen auch entgegengesetzte Gefühlstöne entsprechen. Wenn man nun in der Farbenreihe allmählich von Gelb zu Blau übergeht, so würde Grün die neutrale Mitte zwischen beiden sein. Aber das Grün steht selbst wieder in einem Gefühlskontrast zu Rot, und außerdem bildet es, wie jede gesättigte Farbe, den Endpunkt einer Reihe, die die Übergänge des gleichen Farbentons zu Weiß enthält. Das System der einfachen Tonempfindungen bildet zwar ein Kontinuum von bloß einer Dimension; aber gerade hier können wir die zugehörigen Gefühlstöne nicht in ähnlicher Weise wie die reinen Empfindungen durch Abstraktion isolieren, weil uns die Wirklichkeit fortwährend nicht bloß Übergänge zwischen Tönen verschiedener Höhe, sondern auch solche zwischen dem absolut einfachen Ton, und dem aus einer Fülle einfacher Töne zusammengesetzten Geräusch bietet. Diese Bedingungen bringen es mit sich, daß jedem mehrdimensionalen Empfindungssystem ein System sich durchkreuzender Gefühlstöne entspricht, in welchem im allgemeinen jeder Punkt mehreren Gefühlsdimensionen gleichzeitig angehört, so daß der Gefühlston eine Resultante aus den in den verschiedenen Empfindungsrichtungen gelegenen Gefühlselementen ist. Infolgedessen kann aber die neutrale Mitte zwischen entgegengesetzten Gefühlen nur in den besonderen Fällen Inhalt unserer wirklichen Erfahrung sein, wo der zu einer bestimmten Empfindung gehörige Gefühlston den neutralen Mittelpunkten der sämtlichen Gefühlsdimensionen entspricht, denen er gleichzeitig angehört. Diese Grenzbedingung ist augenscheinlich bei den mehrdimensionalen Empfindungssystemen, namentlich denen des Gesichts- und Gehörssinns, gerade in denjenigen Fällen annähernd erfüllt, in denen es für den ruhigen Verlauf der Gefühlsprozesse von besonders praktischer Bedeutung ist. Hier bilden nämlich einerseits die farblosen Lichtempfindungen mittlerer Helligkeit und die ihnen sich anschließenden geringgradigen Sättigungsstufen der Farben, anderseits die zwischen Ton und Geräusch mitteninne stehenden Schalleindrücke der gewöhnlichen Umgebung, wie z. B. der menschlichen Sprechstimme, neutrale Indifferenzzonen, von denen aus sich die intensiveren Gefühlstöne der ausgeprägteren Empfindungsqualitäten erheben.

    5. Weit einfacher gestalten sich die den Intensitätsgraden der Empfindung parallel gehenden intensiven und qualitativen Abstufungen der einfachen Gefühle. Sie sind am deutlichsten bei den verschiedenen Empfindungssystemen des allgemeinen Sinnes zu beobachten. Indem jedes dieser Systeme qualitativ gleichförmig ist, also geometrisch annähernd durch einen einzigen Punkt repräsentiert wird (§ 5), gehen den allein übrigbleibenden intensiven Änderungen der Empfindung auch nur eindimensionale Gefühlsänderungen zwischen zwei Gegensätzen parallel. Die neutrale Indifferenzzone ist darum hier immer leicht zu beobachten: sie entspricht jenen mäßigen Druck-, Wärme- und Kälteempfindungen, die mit der normalen mittleren Stärke der allgemeinen Sinnesreize verbunden sind. Die dies- und jenseits dieser Zone gelegenen einfachen Gefühle zeigen dann einen entschieden gegensätzlichen Charakter, indem die einen meistens den Lust-, die andern den Unlustgefühlen zugezählt werden können (s. unten 7). Von diesen beiden Gegensatzgefühlen lassen sich aber mit Sicherheit nur die Unlustgefühle durch Intensitätszunahme der Empfindung hervorrufen. Für die schwächeren Intensitäten ist bei den Systemen des allgemeinen Sinnes durch die Gewöhnung an mäßige Reize eine so bedeutende Erweiterung der Neutralitätszone eingetreten, daß in der Regel nur noch die Aufeinanderfolge intensiv oder qualitativ stark verschiedener Empfindungen deutliche Gefühle hervorruft. In solchen Fällen entsprechen die Lustgefühle regelmäßig Empfindungen von mäßiger Stärke.

    Vollkommener läßt sich, unabhängig von diesem Einfluß des Kontrastes, die gesetzmäßige Beziehung zwischen Empfindungsstärke und Gefühlston bei gewissen Empfindungen des Geschmacks- und Geruchssinns beobachten. Es wächst hier zunächst bei schwachen Empfindungen mit Verstärkung der Intensität das Lustgefühl bis zu einem Maximum, und sinkt dann bei einer gewissen mittleren Stärke auf Null, um endlich bei weiterer Empfindungszunahme in ein Unlustgefühl überzugehen, welches bis zu dem Empfindungsmaximum zunimmt.

    6. Die qualitative Mannigfaltigkeit der einfachen Gefühle scheint unabsehbar groß zu sein; jedenfalls ist sie größer als die Mannigfaltigkeit der Empfindungen. Dies folgt erstens daraus, daß bei den Gefühlen der mehrdimensionalen Empfindungssysteme jeder Empfindungspunkt gleichzeitig mehreren Gefühlsdimensionen angehört (§ 5), zweitens und hauptsächlich aber daraus, daß den verschiedensten aus mannigfachen Verbindungen von Empfindungen bestehenden Gebilden, wie den intensiven, den räumlichen, den zeitlichen Vorstellungen, endlich bestimmten Stadien im Verlauf der Affekte und Willensvorgänge, ebenfalls Gefühle entsprechen, die an sich unzerlegbar sind, und daher den einfachen Gefühlen zugerechnet werden müssen (§ 5) .

    Um so mehr ist es zu bedauern, daß unsere sprachlichen Bezeichnungen der einfachen Gefühle noch ungleich dürftiger sind als die der Empfindungen. Die eigentliche Terminologie der Gefühle beschränkt sich nämlich ganz auf die Hervorhebung gewisser allgemeiner Gegensätze, wie angenehm und unangenehm, ernst und heiter, aufgeregt und ruhig u. dgl., Bezeichnungen, bei denen man meist die Affekte zu Hilfe nimmt, in die die Gefühle als Elemente eingehen. Überdies sind jene Ausdrücke von so allgemeiner Natur, daß jeder eine größere Anzahl einzelner einfacher Gefühle umfassen kann. In andern Fällen nimmt man bei der Schilderung der an einfachere Eindrücke gebundenen Gefühle komplizierte Vorstellungen zu Hilfe, denen Gefühle von ähnlichem Charakter entsprechen: so z.B. Goethe bei seiner Schilderung der Farbengefühle, und viele musikalische Schriftsteller bei den Klanggefühlen. Diese Armut der Sprache an spezifischen Gefühlsbezeichnungen ist eine psychologische Folge der subjektiven Natur der Gefühle, vermöge deren hier alle jene Motive der praktischen Lebenserfahrung, aus denen die Benennungen der Objekte und ihrer Eigenschaften entstanden sind, hinwegfallen. Hieraus auf eine entsprechende Armut der Gefühlsqualitäten selber zu schließen, ist aber ein psychologisches Mißverständnis, das um so verhängnisvoller wird, da es eine zureichende Untersuchung der zusammengesetzten Gefühlsvorgänge von vornherein unmöglich macht.

    7. Infolge der angedeuteten Schwierigkeiten kann natürlich an eine vollständige Aufzählung aller möglichen einfachen Gefühlsqualitäten noch weniger als an eine solche der Empfindungen gedacht werden. Eine derartige Aufzählung würde übrigens auch deshalb unausführbar sein, weil die Gefühle gemäß den oben erörterten Eigenschaften nicht, wie die Ton-, die Licht-, die Geschmacksempfindungen, disparate Systeme, sondern eine überall zusammenhängende Mannigfaltigkeit bilden (§ 5). Immerhin sind innerhalb dieser Mannigfaltigkeit verschiedene Hauptrichtungen zu unterscheiden, die sich zwischen Gefühlsgegensätzen von dominierendem Charakter erstrecken. Solche Hauptrichtungen können daher durch je zwei Bezeichnungen ausgedrückt werden, die jene Gegensätze andeuten. Dabei ist aber jede Bezeichnung nur als ein Kollektivausdruck anzusehen, der eine Menge individuell variierender Gefühle umfaßt.

    In diesem Sinne lassen sich drei Hauptrichtungen feststellen (Fig. 8): wir wollen sie die Richtungen der Lust und Unlust (ab), der erregenden und beruhigenden (cd) und endlich der spannenden und lösenden Gefühle (ef) nennen. Ein individuelles Gefühl kann entweder alle diese Richtungen oder nur zwei derselben erkennen lassen, oder es kann auch nur einer einzigen unter ihnen angehören. Dieser letzteren Möglichkeit verdanken wir es allein, daß die genannten Richtungen überhaupt unterschieden werden können. Hiernach kann man diese Grundqualitäten der Gefühle in der Form einer dreidimensionalen Mannigfaltigkeit darstellen, deren Hauptrichtungen von einem einzigen Nullpunkte, dem Indifferenzpunkt, ausgehen (n Fig. 8), während jedes einzelne Gefühl entweder bloß einer Dimension (ab, cd, ef), oder zweien derselben, oder allen drei angehören kann.

Fig. 8. Die Gefühle als dreidimensionaleMannigfaltigkeit.

    8. Als Beispiele reiner Lust- und Unlustformen können wohl die an die Empfindungen des allgemeinen Sinnes sowie die an Geruchs und Geschmackseindrücke gebundenen Gefühle angesehen werden. Bei einer Schmerzempfindung z. B. nehmen wir ein Unlustgefühl in der Regel ohne jede Beimischung einer der andern Gefühlsformen wahr. Erregende und niederdrückende Gefühle lassen sich in Verbindung mit reinen Empfindungen besonders bei Farben- und Klangeindrücken beobachten: so wirkt die rote Farbe erregend, die blaue beruhigend. Spannende und lösende Gefühle endlich sind durchweg an die Vorgänge der Aufmerksamkeit gebunden: so ist bei der Erwartung eines Sinneseindrucks ein Gefühl der Spannung, bei dem Eintritt eines erwarteten Ereignisses ein Gefühl der Lösung zu bemerken. Dabei kann allerdings sowohl die Erwartung wie ihre Erfüllung zugleich vom Gefühl der Erregung, oder sie können je nach besonderen Bedingungen von Lust- und Unlustgefühlen begleitet sein; aber diese andern Gefühle können auch ganz fehlen, wo sich dann die Spannungs- und Lösungsgefühle ähnlich wie die vorhin genannten Hauptrichtungen als eigenartige Formen zu erkennen geben, die nicht auf andere zurückzuführen sind. Ebenso ist aber eine solche Zerlegung bei sehr vielen Gefühlen möglich, die mehreren jener Richtungen angehören, aber in ihrer Qualität trotzdem ebensogut wie die bisher erwähnten den Charakter einfacher Gefühle besitzen. So lassen sich die Gefühle des Ernstes und der Heiterkeit, wie sie z. B. an die sinnlichen Eindrücke tiefer und hoher Töne, dunkler und heller Farben geknüpft sind, als eigentümliche Qualitäten auffassen, die sowohl in der Hauptrichtung der Lust und Unlust wie in derjenigen der exzitierenden und beruhigenden Gefühle außerhalb der Indifferenzzone liegen. Nur muß man sich hier wiederum gegenwärtig halten, daß Lust und Unlust, Erregung und Ruhe nicht singuläre Gefühlsqualitäten, sondern Gefühlsrichtungen bezeichnen, innerhalb deren unbestimmt viele einfache Qualitäten vorkommen, so daß z. B. das Unlustgefühl des Ernstes nicht bloß von dem des schmerzerregenden Tastreizes, der Dissonanz usw. verschieden ist, sondern daß der Ernst selbst in verschiedenen Fällen in seiner Qualität wieder variieren kann. Ferner verbinden sich die Richtungen der Lust und Unlust mit denen der Spannung und Lösung bei den rhythmischen Gefühlen, wo die regelmäßige Folge von Spannung und Lösung mit Lust, die Störung dieser Regelmäßigkeit aber mit Unlust, wie bei der Enttäuschung, der Überraschung, verbunden ist, während außerdem noch in beiden Fällen je nach Umständen das Gefühl einen erregenden oder beruhigenden Charakter besitzen kann.

    8a. Unter den genannten drei Hauptrichtungen hat in der Regel nur die der Lust und Unlust Beachtung gefunden, die übrigen rechnete man den Affekten zu. Da aber die Affekte, wie wir in § 13 sehen werden, gesetzmäßige Verbindungen von Gefühlen sind, so ist es klar, daß die Grundformen der Affekte schon in den Gefühlselementen vorgebildet sein müssen. Manche Psychologen haben dann außerdem die Lust und die Unlust nicht als Kollektivbegriffe für eine große Mannigfaltigkeit einzelner Gefühle, sondern als völlig uniforme konkrete Zustände angesehen, so daß z. B. die Unlust des Zahnschmerzes, eines intellektuellen Mißerfolgs, eines tragischen Erlebnisses usw. ihrem Gefühlsin-halt nach identisch sein sollten. Noch andere suchten die Gefühle mit speziellen Empfindungen, namentlich Haut- oder Muskelempfindungen, zu identifizieren. Den Problemen der zusammengesetz-ten Gefühlsvorgänge, also auch der ganzen Ästhetik und Ethik, stehen diese Theorien entweder völlig ratlos gegenüber, oder sie behelfen sich bei ihnen mit intellektualistischen Interpretationen nach dem Vorbild der Vulgärpsychologie. Dabei pflegt man zuerst die ästhetische Wirkung mittels logischer Reflexionen über sie zu beseitigen, um dann nachträglich zu behaupten, daß diese Reflexionen jene Wirkung selbst seien. Eher ließe sich denken, die sechs Gefühlsklassen, die sich aus den oben unterschiedenen drei Hauptrichtungen ergeben (Lust, Unlust, Erregung, Hemmung, Spannung, Lösung), seien an sich schon konkrete einfache Qualitäten, bei denen nur durch verschiedene Stärke und Mischung der Faktoren qualitative Unterschiede entstünden. Für diese Annahme scheinen in der Tat die Aussagen solcher Personen einzutreten, die sich in partieller Hypnose und infolge der mit dieser verbundenen Einengung des Bewußtseins (§ 18, 8) in einem die subjektive Gefühlsanalyse begünstigenden Zustand befinden (O. Vogt). Möglicherweise steht aber hier jene der Unterscheidung der Hauptrichtungen der Gefühle förderliche Einengung des Bewußtseins doch zugleich einer tiefer eindringenden Analyse im Wege. Jedenfalls sprechen gegen eine solche Uniformität der sechs Grundqualitäten schon die Eigenschaften der einfachen Farben- und Tongefühle. Wenn man z. B. das spektrale Blau vom tiefen Himmelblau nach Indigoblau verschiebt, so erhält man beidemal den eigentümlich beruhigenden Eindruck dieser Farbe, aber in einer etwas verschieden abgetönten Weise, die sich schwerlich auf das Hinzutreten einer andern Gefühlsrichtung zurückführen läßt. Noch weniger dürfte man aber mit der Annahme von drei einförmigen Gefühlspaaren bei denjenigen Gefühlen ausreichen, die an zusammengesetzte Eindrücke gebunden sind. So ist das Erklingen der großen Terz, der Quarte und Quinte nicht bloß von intensiv, sondern auch von qualitativ abweichenden Lustgefühlen begleitet. Der Mangel an sprachlichen Bezeichnungen erschwert freilich sehr die sichere Unterscheidung solcher Gefühlsnuancen. Doch dieser Mangel darf um so weniger, je begreiflicher er in diesem Fall aus andern Gründen ist, auf einen Mangel der Gefühle bezogen werden. Einen Beleg hierfür bilden die Empfindungen, bei denen die Anzahl der Namen infolge ihrer fortwährenden objektiven Anwendung allerdings größer ist, ohne daß sie jedoch die Menge der subjektiv unterscheid-baren Empfindungsqualitäten, namentlich bei den Ton-, den Farben- und Lichtempfindungen, auch nur entfernt erreicht.

    Literatur. Goethe, Farbenlehre, 6. Abt. Fechner, Vorschule der Ästhetik, II, 212. Nahlowsky, Das Gefühlsleben, 2. Aufl., 1884. Ziegler, Das Gefühl, 1892. 4. Aufl. 1908. Lehmann, Die Hauptgesetze des menschlichen Gefühlslebens, 1892. Phys. Psych.6, II, Kap. 2. M. u. T.5, 14. Vorl. Zur Theorie der Gefühle, Kl. Schriften Bd. 2. Th. Lipps, Vom Fühlen, Wollen und Denken, 1902. 3; Aufl. 1909.

    9. Die Frage, ob den einfachen Gefühlen bestimmte physiologische Prozesse entsprechen, ist bei ihnen naturgemäß schwieriger zu beantworten als bei den Empfindungen. In Anbetracht der subjektiven Natur der Gefühle wird man aber solche von vornherein nicht, wie bei den Empfindungen, in Veränderungen zu suchen haben, die direkt durch äußere Einwirkungen in dem Organismus hervorgerufen werden, sondern vielmehr in solchen, die als Rückwirkungen der direkt angeregten Prozesse entstehen. Auch weist uns die Beobachtung der aus Gefühlselementen zusammengesetzten Gebilde, der Affekte und Willensvorgänge, als deren physiologische Begleiterscheinungen stets äußere Körperbewegungen oder Veränderungen im Zustand der äußeren Bewegungsorgane auftreten, auf diesen Weg hin.

    Während die Analyse der Empfindungen und der aus ihnen hervorgehenden psychischen Gebilde auf die unmittelbare Anwendung der Reizmethode angewiesen ist, kann sich daher die Untersuchung der Gefühle und der aus ihnen zusammengesetzten Vorgänge nur in mittelbarer Weise dieser Methode bedienen. Dagegen eignet sich hierzu die Ausdrucksmethode, wenn wir mit diesem Namen die Erforschung der physiologischen Rückwirkungen psychischer Vorgänge belegen. Als Hilfsmittel derselben können alle die Erscheinungen verwendet werden, in denen sich die inneren Zustände des Organismus äußerlich zu erkennen geben: so neben den Bewegungen der äußeren Skelettmuskeln die Atmungs- und Herzbewegungen, die Kontraktionen und Erweiterungen der Blutgefäße einzelner Körperteile, die Erweiterung und Verengerung der Pupille u. ä. Das empfindlichste dieser Symptome sind die Atembewegungen, neben ihnen die Herzbewegungen, von denen der an einer peripheren Arterie untersuchte Puls ein getreues Bild gibt. Außerdem sind noch die Kontraktionszustände der kleineren Arterien (die sogenannten vasomotorischen Innervationen) mehr oder minder charakteristische Symptome. Dagegen pflegen die mimischen Ausdrucksbewegungen erst bei dem Übergang der Gefühle in Affekte deutlich hervorzutreten (§ 13, 4).

    10. Unter den obenerwähnten Hauptrichtungen der Gefühle sind es besonders die der Lust und Unlust, für die eine regelmäßige Beziehung zu den Atmungs- und Pulsbewegungen nachgewiesen ist. Sie sind aus dem folgenden Schema zu ersehen:

    Diese Atmungs- und Pulsänderungen werden von ähnlich charakteristischen Änderungen in der Innervation der Blutgefäße, namentlich der kleineren Arterien begleitet, wo sie sich z. B. an der Wangenhaut in dem Erblassen und Erröten kundgeben, von denen das erstere auf der erregenden Innervation der Ringmuskeln der Gefäße, das letztere auf der Hemmung dieser Innervation beruht.

    10a. Die physiologischen Bedingungen der Herz-, Gefäß- und Atmungssymptome der Gefühle sind zumeist noch dunkel. Am besten erforscht sind hier die Verhältnisse der Herzinnervation. Die Physiologie weist nach, daß das Herz mit den Zentralorganen durch ein doppeltes System in Verbindung steht: durch Erregungsnerven, die im sympathischen Nerven verlaufen und indirekt aus dem verlängerten Mark stammen, und durch Hemmungsnerven, die im 10. Hirnnerven (Vagus) verlaufen und ebenfalls im verlängerten Mark ihren Ursprung nehmen. Die normale Regelmäßigkeit des Pulsschlags beruht auf einem gewissen Gleichgewicht zwischen erregenden und hemmenden Nerveneinflüssen, für die außer im Gehirn auch im Herzen selbst Zentren vorhanden sind. Jede Zunahme und jede Abnahme der Herzenergie läßt daher im allgemeinen eine doppelte Deutung zu: jene kann von Zunahme der Erregungs- oder Abnahme der Hemmungsinnervation, diese von Abnahme der Erregungs- oder Zunahme der Hemmungsinnervation herrühren, und in beiden Fällen können sich überdies beide Einflüsse verbinden. Ein überall anwendbares Hilfsmittel zur Unterscheidung dieser Möglichkeiten besitzen wir nicht; doch ergibt sich aus dem Umstand, daß die Reizung der Hemmungsnerven einen rascheren Erfolg hat als die der Erregungsnerven, in vielen Fällen eine größere Wahrscheinlichkeit für die eine oder die andere Vermutung. Nun folgen die Gefühlssymptome des Pulses durchweg sehr schnell den verursachenden Empfindungen. Daraus kann man schließen, daß es vorzugsweise die Veränderungen der vom Gehirn ausgehenden, im Vagus geleiteten Hemmungsinnervation sind, die wir bei den Gefühlen und Affekten beobachten. Hiernach ist wohl anzunehmen, daß der Gefühlsbetonung einer Empfindung physiologisch eine Ausbreitung der Reizungsvorgänge von dem Sinneszentrum auf andere Zentralgebiete entspricht, die mit den Ursprüngen der Hemmungsnerven des Herzens in Verbindung stehen. Welche Zentralgebiete dies sind, wissen wir nicht. Aber der Umstand, daß für alle Elemente unserer psychologischen Erfahrung die physiologischen Substrate höchstwahrscheinlich der Großhirnrinde angehören, legt diese Annahme auch für das Zentralgebiet jener Hemmungsinnervation nahe, während überdies die wesentlichen Unterschiede der Eigenschaften der Gefühle von denen der Empfindungen es nicht wahrscheinlich machen, daß dasselbe mit den Sinneszentren selbst identisch sei. Nimmt man nun ein besonderes Rindengebiet als Mittelglied solcher Wirkungen an, so liegt kein Grund vor, zu jedem Sinneszentrum ein besonderes Übertragungszentrum vorauszusetzen, sondern die völlige Gleichförmigkeit der physiologischen Symptome spricht eher dafür, daß es nur ein einziges solches Gebiet gebe, welches dann zugleich eine Art von zentralem Verbindungsorgan zwischen den verschiedenen Sinneszentren sein wird. (Über die sonstige Bedeutung eines solchen Zentralgebiets und seine wahrscheinliche anatomische Lage vgl. später § 15, 2 a.)

    Literatur. Mosso, Über den Kreislauf des Blutes im menschlichen Gehirn, 1881. Féré, Sensation et mouvement, 1887. Lehmann, Hauptgesetze des menschl. Gefühlslebens, 1892. Die körperlichen Äußerungen psychischer Zustände, I u. II, 1889–91 (mit Atlas). M. Brahn, Die Lehre vom Gefühl, Zeitschr. f. Hypnotismus, Bd. 4. Meumann u. Zoneff, Brahn, Gent, Philos. Stud., Bd. 18. Alechsieff, Psych. Stud., Bd. 3. Salow, ebenda, Bd. 4. Drozyñski, Stephanescu-Goanga, ebenda, Bd. 7. Sartorius, ebenda, Bd. 8. Isenberg und Vogt, Zeitschr. f. Hypnotismus, Bd. 10. Vertreter älterer Gefühlstheorien (Lust-Unlusttheorie): Stumpf, Zeitschr. f. Psychologie, Bd. 75. A. Lehmann, Die Hauptgesetze des menschlichen Gefühlslebens, 1892, u. a. Phys. Psych.6, II, Kap. 11. M. u. T.5 Vorl. 14.