4. Unvollkommene psychologische Experimente.

    Die Forderung einer "vollkommenen Exaktheit" trifft für keine Wissenschaft bekanntlich in allen ihren Teilen zu, außer für die Mathematik, und vielleicht nicht einmal ganz für diese, – man denke nur an die Näherungsmethoden oder an die heuristischen Begründungen der Infinitesimalmethode. So kennt denn auch die Physik, die exakteste unter den empirischen Wissenschaften, Probleme, die sich bis jetzt wenigstens einer völlig exakten experimentellen wie mathematischen Behandlung entziehen, wenn man unter Exaktheit nicht bloß technische Sorgfalt und tunlichste Annäherung an ein exaktes Verfahren verstehen will. Die Exaktheit im Sinne einer vollständigen Befolgung der aufgestellten vier Regeln ist eben überall da ausgeschlossen, wo eine Wiederholung des Experimentes unter genau gleichen Bedingungen aus äußeren Gründen unmöglich ist, oder wo unbekannte Bedingungen die Regelmäßigkeit der Erscheinungen stören. So sind z. B. der Rückstand in der Leydener Flasche und die elastische Nachwirkung solche einer exakten Anwendung der Experimentalmethode schwer zugängliche und darum von den Physikern mit Vorliebe vermiedene Phänomene. Doch der Psychologe, in dessen Untersuchungsgebiet derartige Erscheinungen zum Teil die wichtigsten Probleme in sich schließen, kann sich eine solche Enthaltsamkeit nicht aneignen, sondern er muß sich, wo es nicht anders möglich ist, mit dem Erreichbaren begnügen. In derartigen Fällen hat er aber natürlich dem Grundsatze zu folgen: wo nicht alle Regeln der experimentellen Beobachtung eingehalten werden können, da muß man wenigstens die übrig bleibenden um so sorgfältiger beachten und sich womöglich nach sonstigen Erscheinungen umsehen, die das Vermutete bestätigen oder widerlegen. Wo es z. B. nicht möglich ist, daß man bei Wiederholung der Versuche die Bedingungen konstant erhält, da muß man durch häufigere Wiederholung diesen Nachteil zu kompensieren und die unregelmäßigen Abweichungen zu eliminieren suchen. Der Bedingungen, die hier der Gewinnung exakter Resultate eine unüberschreitbare Schranke ziehen, gibt es nun vornehmlich zwei, die, weil sie in der Natur der psychischen Vorgänge selbst begründet sind, wohl niemals ganz beseitigt werden können. Die eine dieser Bedingungen besteht in der Unsicherheit des Gedächtnisses, die andere in der Schwierigkeit der Beobachtung der subjektiven Bestandteile des Seelenlebens, der Gefühle, Stimmungen, Affekte. Diese Bedingungen treffen vornehmlich zwei Gebiete der Psychologie: das eine bilden die "Gedächtnisversuche" sowie alle Versuche, bei denen die Reproduktion eines zu beobachtenden psychischen Vorgangs eine gewisse engere Zeitgrenze überschreitet; das andere besteht in der Psychologie der rein subjektiven Vorgänge, d. h. derjenigen, die nicht unmittelbar auf Objekte, sondern auf den Zustand des Bewußtseins selbst bezogen werden.

    Die Erinnerungsfunktionen beginnen von dem Augenblick an die exakte Beobachtung zu beeinträchtigen, wo die Zeit, die zwischen einem Eindruck und seiner Reproduktion liegt, die Grenze einer unmittelbaren, durch keine Zwischenvorgänge oder größere leere Intervalle getrennten Vergleichung überschreitet. Bei Einhaltung jener Grenze ist der Erinnerungsvorgang an den meisten Vergleichungen und Messungen nicht bloß psychologischer, sondern auch physikalischer Art beteiligt. Denn da wir unsere Aufmerksamkeit nicht gleichzeitig auf zwei Objekte konzentrieren können, so schließt die Vergleichung, wo es sich nicht um zusammengehörige Teile eines und desselben Objektes handelt, stets eine Sukzession zweier Aufmerksamkeitsakte ein. So lassen wir z. B. bei den psychischen Maßmethoden die beiden Reize, welche die zu vergleichenden Empfindungen auslösen, in einem kurzen Intervall einander folgen. Bedingung einer exakten Vergleichung ist aber hierbei stets, daß dieses Intervall weder zu klein noch zu groß sei: nicht zu klein, weil sonst ein Spannungswechsel der Aufmerksamkeit nicht mehr möglich ist, und nicht zu groß, weil sich sonst das Erinnerungsbild des vorangegangenen Eindrucks verdunkelt hat. Auf diese Weise ist es eine enge, zudem von der Natur der Reize und der Beschaffenheit der Sinnesorgane abhängige Zeitgrenze, innerhalb deren exakte Vergleichungen überhaupt zulässig sind. Bei den Gedächtnisversuchen ist es nun aber gerade die durch das weitere und weitere Überschreiten dieser Grenze zunehmende Veränderung der Reproduktion, die untersucht werden soll. Sie führen also absichtlich Bedingungen ein, die die exakte Vergleichung aufheben, und bei denen eben diese Abweichung hauptsächlich Aufgabe der Untersuchung ist. Infolgedessen kann es nach der Natur dieser Probleme weder dem Beobachter selbst immer überlassen werden, den Eintritt des Erinnerungsaktes zu bestimmen, noch ist es namentlich diesem möglich, den Zustand einer gleichmäßig gespannten Aufmerksamkeit während der Dauer des Versuchs einzuhalten. Man sucht darum diese Nachteile möglichst durch die Befolgung der beiden letzten Regeln, die Wiederholung der Beobachtungen und die Variation der Bedingungen, zu kompensieren. Mit ähnlichen Unvollkommenheiten sind natürlich die Assoziationsversuche behaftet, wie sie z. B. Scripture und Cordes 1) ausgeführt haben. Dabei muß, um das Auftreten eines assoziativen Erinnerungsbildes unter möglichst natürlichen Bedingungen zu beobachten, jede absichtliche Richtung der Aufmerksamkeit auf das erwartete Erinnerungsbild unterlassen werden, damit man sich dann erst nachträglich über dessen Beschaffenheit Rechenschaft gebe. So liegt hier eigentlich eine Erinnerungsleistung doppelter Art vor: zuerst der zu untersuchende Erinnerungsvorgang selbst, und dann noch einmal die Erinnerung an das bei ihm Erlebte. Dadurch nähern sich diese Versuche den gewöhnlichen ohne experimentelle Einwirkung gemachten Selbstbeobachtungen. Aber durch die willkürliche Häufung von Beobachtungen übereinstimmender Art sind sie immerhin den vereinzelten, zufällig gemachten Selbstbeobachtungen überlegen. Als die einzige unter den experimentellen Regeln ist jedoch eigentlich nur die der Häufung der Beobachtungen und in gewissem Maße die der Variation der Bedingungen durch einen planmäßigen Wechsel der Assoziationsobjekte übrig geblieben. Um trotzdem zu brauchbaren Resultaten zu gelangen, ist darum schon hier die große Einfachheit des Problems ein wesentliches Erfordernis. Ist die Assoziation eines Erinnerungsbildes aus Anlaß eines äußeren Eindrucks ein sehr einfacher Vorgang, der eine einigermaßen sichere nachträgliche Fixierung seines Inhalts möglich macht, so würde das jedenfalls nicht mehr gelten, wenn an den Beobachter die Forderung einer komplizierten intellektuellen Verarbeitung des Eindrucks, etwa einer Interpretation seiner Bedeutung gestellt worden wäre.

            1) Scripture, Philos. Stud. VII, S. 50 ff. Cordes, XVII, S. 30 ff.

    Mehr noch als die Assoziations- und Reproduktionsversuche, bei denen die Beziehung auf Objekte der äußeren Wahrnehmung eine gewisse, wenn auch unsichere Fixierung des im Bewußtsein Erlebten möglich macht, ist das zweite Gebiet der Psychologie, das der subjektiven Erlebnisse, der Gefühle, Gemütsbewegungen und des inneren Verlaufs der Willensvorgänge, von Schwierigkeiten umgeben. Auch diese Vorgänge sind freilich stets an irgendwelche objektive Bewußtseinsinhalte, an Empfindungen und Vorstellungen, gebunden. Aber sie sind keineswegs etwa in dem Sinne von diesen abhängig, daß wir sicher sein könnten, mit der Wiederholung eines bestimmten objektiven Eindrucks auch den entsprechenden subjektiven Vorgang wieder erneuern zu können. Diese Unmöglichkeit einer willkürlichen Wiedererzeugung, sowie die damit eng zusammenhängende Schwierigkeit, die Vorgänge in der Selbstbeobachtung sicher aufzufassen oder gar das Selbsterlebte wiederum anderen mitzuteilen, hindert natürlich in hohem Maße eine exakte experimentelle Beeinflussung. Vermag diese auch – was allerdings einen großen Vorteil gegenüber der gewöhnlichen Selbstbeobachtung bietet – die objektiven Bedingungen herzustellen, unter denen bestimmte subjektive Erlebnisse in der Regel eintreten, so vermag sie doch diese selbst in keiner Weise festzuhalten oder gegen Verwechselungen zu sichern. Vermöge dieser unbestimmten und veränderlichen Beziehung der subjektiven Erlebnisse zu bestimmten objektiven Inhalten gelten darum hier zwar alle einzelnen Regeln der experimentellen Forschung: aber für die zu untersuchenden Erscheinungen selbst gelten sie immer nur indirekt und auf Grund einer oft versagenden Relation zu den direkt zu beeinflussenden Inhalten des Bewußtseins. Wir können beliebig durch angemessene Reize eine Empfindung hervorrufen, an die ein bestimmtes Gefühl gebunden zu sein pflegt; aber wir können weder erwarten, daß der Grad und die besondere qualitative Färbung des Gefühls die gleichen bleiben, noch können wir im Hinblick auf das häufige Vorkommen gleichzeitig stattfindender hemmender Einflüsse auch nur seines Eintritts gewiß sein. Kann doch schon der Umstand, daß wir auf den objektiven Eindruck unsere Aufmerksamkeit richten, das Auftreten des an diesen Eindruck gebundenen Gefühls beeinträchtigen. Umgekehrt gibt es Gefühle, die wohl an irgendeine im Bewußtsein auftauchende Vorstellung gebunden sind, wo jedoch diese selbst so verdunkelt ist, daß sie sich nur durch jene zuweilen äußerst lebhaften, aber scheinbar eines jeden objektiven Trägers entbehrenden Gefühle ankündigt 2). Das sind Momente, die die Untersuchung aller dieser der subjektiven Seite des Seelenlebens angehörenden Erscheinungen in hohem Maße erschweren, um so mehr, da uns schon die Sprache bei ihrer vorwaltenden Richtung auf das praktische Bedürfnis der Unterscheidung von Objekten hier im Stiche läßt. Charakteristisch ist in dieser Beziehung die heute noch jedem Psychologen zur aufmerksamsten Lektüre zu empfehlende Schilderung, die Goethe in seiner Farbenlehre von den einzelnen Farbengefühlen gibt. Es ist bewundernswert, wie hier der sprachgewaltige und zugleich mit dem feinsten Gefühl für die subjektiven Wirkungen der Farben ausgerüstete Dichter sich abmüht, diesen rein subjektiven Farbenwert in Worten wiederzugeben, die bald den Objekten, bald den Empfindungen anderer Sinne von verwandtem Gefühlston, bald endlich zusammengesetzten Affekten entnommen werden 3). Liest man diese Schilderung, so weiß man nicht, soll man sich mehr darüber wundern, daß heute noch manche Psychologen die Gefühlsqualitäten der Farben überhaupt leugnen, oder soll man bei der Schwierigkeit, diese feinen Schattierungen zu fixieren und in Worten wiederzugeben, eine solche subjektive Farbenblindheit bei vollkommenster objektiver "Farbentüchtigkeit" wohl begreiflich finden.

            2) Vgl. hierher gehörige Beobachtungen in meiner Physiol. Psychol. 5 II, S. 110 ff.
            3) Goethes Werke, Didaktischer Teil der Farbenlehre, § 758 ff., Weimarer Ausgabe, Abt. II. Bd. I, S. 307 ff.

    Jene Unsicherheit der Beziehung zwischen dem durch einen bestimmten Reiz indirekt herbeizuführenden Gefühl und dem wirklichen Eintritt des letztern legt nun aber auch unmittelbar einen Gedanken nahe, der zur sogenannten "Ausdrucksmethode" und durch ihre Verbindung mit der Einwirkung des gefühlserregenden Reizes zur "Reaktionsmethode" führt. Dabei verstehen wir hier die letztere zunächst in der allgemeinen Bedeutung, in der sich das Wort sinngemäß auf jede Methode anwenden läßt, bei der die Einwirkung eines Sinnesreizes mit irgendeiner Reaktion auf denselben kombiniert wird. Denn diese Reaktion kann ja an sich ebensogut eine unwillkürliche wie eine willkürliche sein. Das erstere ist der Fall bei den gewöhnlich vorzugsweise sogenannten "Ausdrucksmethoden", bei denen in der Regel die Reaktionen von Puls, Gefäßinnervation und Atmung auf irgendeinen einfachen oder zusammengesetzten Reiz untersucht werden, während der Beobachter gleichzeitig die den Vorstellungseffekt des Reizes begleitenden subjektiven Gefühle und Stimmungen festzuhalten sucht. Das zweite entspricht den gewöhnlich sogenannten "Reaktionsversuchen", wo die Apperzeption eines Reizes durch eine verabredete willkürliche Reaktionsbewegung beantwortet wird. In beiden Fällen dienen die Zeitverhältnisse der den Eindruck begleitenden oder ihm folgenden inneren oder äußeren Reaktionsbewegungen als Kontrollmittel für den Verlauf und die Beschaffenheit der zugleich in der Selbstbeobachtung sich bietenden subjektiven Vorgänge. Bei der ersten Methode sind diese Zeitverhältnisse in den Verlaufsformen der Puls-, Atmungs- und plethysmographischen Kurven, bei der zweiten sind sie in der Zeitdauer gegeben, die zwischen dem Eindruck und der willkürlichen Reaktion verfließt. Die sehr viel spätere Ausbildung der ersten dieser Methoden hat bisher die Verwandtschaft mit der zweiten, der im engeren Sinne sogenannten Reaktionsmethode, noch nicht zu hinreichender Geltung gelangen lassen. Dadurch ist es geschehen, daß man die Bedeutung der unwillkürlichen Ausdrucksmethode wohl allzusehr auf der physiologischen Seite suchte, indem man die unwillkürlichen Innervationswirkungen lediglich als psychologisch bedeutungslose Reflexe auf Sinnesreize betrachtete oder doch eine Korrelation zu den begleitenden Gemütszuständen nur da anerkannte, wo ihnen, wie z. B. beim Schreck und der Furcht oder innerhalb der einfacheren Gefühlsformen bei intensiven Lust- und Unlustreaktionen, ein gar nicht abzuleugnender symptomatischer Wert zukommt. Ebenso hat der Umstand, daß die Reaktionsmethode im engeren Sinne bereits ausgebildet war, ehe noch irgendeine sorgsamere Beachtung der unwillkürlichen Ausdruckssymptome stattgefunden hatte, unverkennbar zu einer Veräußerlichung der Reaktionsversuche beigetragen, die ihrer psychologischen Verwertung schädlich war. Denn alles Streben konzentrierte sich zunächst darauf, die Geschwindigkeit gewisser, bloß nach ihren äußeren Effekten charakterisierter psychischer Akte zu messen. Nun ist es an sich ziemlich gleichgültig, ob ein auf einen äußeren Reiz folgender Willensvorgang etwas kürzer oder etwas länger dauert; und nachdem die erste Neugier, die diese Frage nach der sogenannten "Gedankengeschwindigkeit" erregt hatte, durch die ernüchternde Tatsache befriedigt war, daß diese eigentlich ein ziemlich langsamer Vorgang sei, mußte sich notwendig auch hier die Aufmerksamkeit den begleitenden subjektiven Vorgängen zuwenden. Für den symptomatischen Wert der Ausdruckssymptome überhaupt ist es übrigens bezeichnend, daß auf die hauptsächlichsten, auch in ihren subjektiven Erscheinungen charakteristisch verschiedenen Formen der Willenshandlungen hier erst die auffallenden Unterschiede der Reaktionszeiten aufmerksam machten, die bei solchen Versuchen zur Beobachtung kamen. Dabei bleibt jedoch in diesem Fall die Verfolgung der subjektiven Unterschiede schwierig, weil die Oszillationen der Aufmerksamkeit, sowie die sonstigen unbeabsichtigten Einflüsse mit ihrem Wechsel störender Empfindungen und Gefühle außerordentlich große Schwankungen in den objektiven Zeitwerten wie in den subjektiven Beobachtungen hervorbringen können. In dieser Beziehung bilden nun jene unwillkürlichen Ausdruckssymptome der Herz-, Atembewegungen usw., die in ihrer für unsere Auffassung durchaus simultanen Gebundenheit an die subjektiven Zustände auch solche störende Momente erkennen lassen, weit feinere diagnostische Hilfsmittel. Hier erhebt sich daher von selbst die Forderung nach einer seither noch nicht in Angriff genommenen Kombination beider Methoden, bei der der Verlauf der zwischen Eindruck und willkürlicher Reaktion liegenden subjektiven Vorgänge durch die während dessen registrierten unwillkürlichen Ausdruckssymptome einer objektiven Kontrolle unterzogen wird. Erst dann würde sich der Inhalt eines Reaktionsvorgangs nicht bloß summarisch nach der ganzen abgelaufenen Zeit, sondern von Moment zu Moment in den begleitenden Innervationswirkungen verfolgen lassen.

    Müssen die sämtlichen Reaktionsversuche, die im weiteren wie die im engeren Sinne des Wortes, in Anbetracht der Schwierigkeiten der subjektiven Beobachtung und der Unsicherheit der objektiven Resultate trotz des Aufwandes instrumenteller Hilfsmittel und der Zeit und Mühe, die sie fordern, zu den "unvollkommenen Methoden" gerechnet werden, so hat dies übrigens, wie schon oben angedeutet, nicht darin seinen Grund, daß sich bei ihnen nicht die sämtlichen Regeln der experimentellen Beobachtung befolgen ließen und in den besseren Untersuchungen tatsächlich befolgt wären, sondern vielmehr darin, daß alle diese Regeln hier immer nur einer indirekten Anwendung fähig sind. Wir können niemals den subjektiven Gefühlsvorgang oder Gefühlsverlauf selbst unserem Willen entsprechend zu einer bestimmten Zeit hervorrufen, wiederholen oder variieren, sondern lediglich bestimmte objektive Empfindungen und Vorstellungen, denen wir die Macht zutrauen, etwa gleichzeitig einwirkenden anderen Einflüssen gegenüber die ihnen nach bisherigen Erfahrungen zukommende Tendenz zur Erzeugung gewisser Gefühle und Stimmungen durchzusetzen. Eine solche Erwartung ist in den einfachsten Fällen ihres Erfolges ziemlich gewiß: wir können z. B. darauf vertrauen, daß eine Einwirkung von Chinin auf die Zunge bei normalem Zustand des Geschmacksorgans nicht nur eine bittere Empfindung, sondern auch ein Unlustgefühl hervorbringt, und die Ausdruckssymptome bestätigen die Regelmäßigkeit dieser Korrelation. Aber angesichts der, wie oben bemerkt, ziemlich verbreiteten Farbengefühlsblindheit können wir viel weniger sicher sein, daß z. B. dem Rot bei allen Individuen die gleiche erregende Wirkung zukommt, und dementsprechend sind auch die objektiven Symptome hier unsicherer. Diese Variabilität der Gefühlserregbarkeit wächst dann natürlich noch beträchtlich bei komplexen ästhetischen Eindrücken oder gar bei irgendwelchen intellektuellen Prozessen, wo unter Umständen die Einwirkung selbst Bestandteile enthalten kann, die sich wechselseitig stören oder aufheben. Darum stellen alle diese Versuche, bei denen man irgendwie die Ausdrucksmethode zur Ergänzung und Kontrolle herbeizieht, ungleich größere Anforderungen an den Beobachter als jemals die Eindrucksmethode allein, wo diese überhaupt in exakter Form möglich ist. Die oben beispielsweise erwähnten Erscheinungen bei rhythmischen Zeitvorstellungen oder bei räumlichen Größenvorstellungen nimmt jeder wahr, dem man sie vorführt, und erst die genauere, namentlich quantitative Verfolgung fordert einige Übung. Zu Reaktionsversuchen dagegen ist nicht bloß der Ungeübte unbrauchbar, sondern auch manche sonst in exakten Experimenten erfahrene Beobachter sind wegen ihrer Unfähigkeit zu einer hinreichenden Beherrschung der Aufmerksamkeit oder infolge gewisser subjektiver Eigenschaften, wie z. B. der oben erwähnten Farbengefühlsblindheit oder einer ähnlichen Klanggefühlstaubheit, unbrauchbar. Mit diesen Bedingungen hängt eine zweite Forderung auf das engste zusammen. Versuche nach der Reaktionsmethode müssen notwendig so ausgeführt werden, daß jede äußere Störung, durch Geräusche, welche die Aufmerksamkeit abziehen, durch Manipulationen eines Experimentators u. dergl., völlig vermieden werden. Darum ist bei solchen Versuchen die Arbeit in getrennten Räumen, die den reagierenden Beobachter völlig außer Hör- und Sehweite von dem Experimentator und den zeitmessenden Instrumenten bringt, längst zur anerkannten Regel geworden. Das Bedürfnis eines jeden sorgfältigen Beobachters drängt hier von selbst zu einer solchen Isolierung, bei der störende Einflüsse auf die Selbstbeobachtung möglichst vermieden sind.