Die experimentelle Methode, die ich im folgenden in ihrem Verhältnis zu den allgemeinen Prinzipien der experimentellen Forschung sowie zu den speziellen Eigentümlichkeiten des psychologischen Experimentes zu besprechen gedenke, ist im ganzen neueren Datums. Sie scheint sich aber in jüngster Zeit in manchen psychologischen Kreisen einer steigenden Beliebtheit zu erfreuen; und da sie sich anheischig macht, namentlich auch über jene komplexen psychischen Vorgänge, die bis dahin der direkten experimentellen Untersuchung unzugänglich gewesen sind, wie die höheren intellektuellen Funktionen, die Herrschaft des Experimentes auszudehnen, so ist vielleicht zu erwarten, daß diese Beliebtheit noch weiterhin zunehmen wird. Das um so mehr, als die instrumentellen Hilfsmittel, deren man bei dieser Methode bedarf, im Gegensatz zu dem komplizierten Apparat, dessen wir uns meist schon bei den elementaren Problemen der Psychologie bedienen, außerordentlich einfacher Art sind. Denn die Ausfragemethode hat gar keine Apparate nötig. Sie bedarf nur eines Experimentators und einer Versuchsperson. Wenn daneben gelegentlich noch äußere Hilfsmittel herbeigezogen werden, wie z. B. eine Uhr, um die Zeit eines Versuches zu bestimmen, so spielt dies nur eine unwesentliche Rolle, wie denn auch diese Dinge in manchen Versuchen ganz hinweggeblieben sind. Je größer aber dadurch die Vorzüge der Methode erscheinen mögen, ihre Anwendbarkeit auf die schwierigsten Probleme auf der einen und ihre außerordentliche Einfachheit auf der anderen Seite, um so nötiger scheint es mir, daß man sich einmal über ihr Wesen, über ihr Verhältnis zur experimentellen Methode überhaupt sowie zu den besonderen Bedingungen, die die Psychologie der Anwendung des Experimentes entgegenbringt, Rechenschaft gebe, um danach die Zuverlässigkeit und die etwaige Tragweite dieser neuen Methode ermessen zu können. Vielleicht ist es auch deshalb nützlich, diese Frage in nähere Erwägung zu ziehen, weil die experimentelle psychologische Methodik zwar nach ihrer technischen Seite und mit Rücksicht auf gewisse einzelne Aufgaben, wie die der "psychischen Maßmethoden", der "Methoden der Gedächtnisforschung" u. a., schon vielfach die Psychologen beschäftigte, die ganz allgemeine Frage aber, inwiefern die Übertragung des bis dahin nur in der Naturforschung geübten und demnach für naturwissenschaftliche Zwecke ausgebildeten Experimentes bei dessen Herübernahme in die Psychologie eigentümlichen Bedingungen begegne, wenig Beachtung gefunden hat. Manche Psychologen scheinen es für selbstverständlich zu halten, daß das Experiment im einzelnen zwar stets nach dem Problem sich richten müsse, auf das es angewandt wird, daß jedoch der allgemeine Charakter der experimentellen Methode überall der gleiche sei, so daß sie bei ihrer Übertragung in die Psychologie keine wesentlichen Änderungen erfahre. Bisweilen scheint man auch der Ansicht zu sein, ein Experiment sei überhaupt jede beliebige mehr oder minder künstlich veranstaltete Einwirkung zu nennen, ohne daß dabei die alten Baconischen Regeln der planmäßigen Variation der Bedingungen, der wo möglich gradweisen Abstufung der Einwirkungen, u. a. eine besondere Beachtung verdienten. Namentlich die "hypnotischen Experimente", die ja gleichfalls in das psychologische Gebiet hineinreichen, und die in den meisten Fällen in einem ziemlich planlosen Herumprobieren bestehen, haben wohl das ihrige dazu beigetragen, den Begriff des Experimentes in jenem unbestimmten Sinn zu erweitern, in dem er von dem strengen Begriff der experimentellen Methode, wie ihn besonders die Physik ausgebildet hat, so gut wie nichts mehr enthält.
Um nun die "Ausfrageexperimente" in ihrem Verhältnis zu diesen so verschiedenen Bedeutungen, die der Begriff des Experimentes teils in seinem streng wissenschaftlichen, teils in jenem erweiterten Gebrauch angenommen hat, sowie zu den speziellen Bedingungen, die die Psychologie ihm entgegenbringt, näher zu prüfen, wird es nötig sein, zunächst den hier gebrauchten Ausdruck "Ausfrageexperimente" zu definieren, da das Wort allein natürlich den ganzen Inhalt des Begriffs nicht erschöpfen kann. Eine solche nähere Erklärung ist um so notwendiger, als dieses Wort hier meines Wissens zum erstenmal gebraucht wird. Ich habe es gewählt, weil es mir wünschenswert schien, dieses ganze, nachgerade eine ziemlich große Zahl von Anwendungen umfassende, aber bisher mit keinem besonderen Namen benannte Verfahren durch ein Wort zu bezeichnen, das auf das wesentliche und allen jenen Anwendungen gemeinsame Merkmal hinweist. Ich glaube übrigens am besten zu tun, wenn ich hier, statt sofort eine abstrakte Definition zu versuchen, zunächst zwei Beispiele anführe, die den allgemeinen Charakter der Methode sowie die Richtung der von ihr bevorzugten Probleme erkennen lassen.
Erstes Beispiel. In seinen "Experimentell-psychologischen Untersuchungen über das Urteil" sucht K. Marbe die Begleiterscheinungen des Urteils, d. h. die während der Vorbereitung und Bildung eines solchen gleichzeitig durch das Bewußtsein schwebenden Empfindungen, Gefühle, Vorstellungen usw. auf folgende Weise zu ermitteln. Als Versuchsperson wird ein mit diesen psychologischen Begriffen vertrauter Beobachter gewählt. Ihm werden dann von dem Experimentator verschiedene, im einzelnen ihm vorher unbekannte Aufgaben gestellt, auf die er mit einem kurzen, in einer Gebärde, einem Ja oder Nein u. dergl. zu erledigenden Urteil zu reagieren hat. Es wird ihm z. B. aufgegeben, zwei Gewichte zu vergleichen und anzudeuten, welches er als das schwerere beurteilt, oder er hat auf einen Stimmgabelton aufzumerken und ihn dann in möglichst gleicher Tonhöhe nachzusingen; auch einfache Additionen ihm zugerufener Zahlen läßt man ihn ausführen, oder endlich auf bestimmte Fragen über Gegenstände des täglichen Lebens, über historische Tatsachen u. dergl. durch Gebärden, durch ein Ja oder Nein antworten oder sich die Antworten bloß innerlich denken. Nach jedem Versuch werden dann die in der Selbstbeobachtung wahrgenommenen psychischen Begleiterscheinungen protokolliert 1).
1) K. Marbe, Experimentell-psychologische Untersuchungen über das Urteil. 1901. S. 15 ff.
Zweites Beispiel. In einer Abhandlung über "Gedanken" beschreibt K. Bühler Versuche, die nach folgendem Plan angelegt sind. Der Experimentator liest der Versuchsperson jedesmal einen mehr oder minder schwierigen Satz aus einem möglichst nach dem Geschmack und der Gedankenrichtung dieser Person ausgewählten Schriftsteller vor (z. B. aus Nietzsche, der Ebner-Eschenbach, Rückert). Die Versuchsperson hat dann mit Ja oder Nein zu antworten, wobei dieses Ja oder Nein je nach vorheriger Verabredung entweder bedeutet, daß sie den Gedanken des Satzes verstanden hat oder nicht verstanden hat, oder daß sie ihm zustimmt oder nicht zustimmt. Nach dem Versuch werden jedesmal die Erscheinungen protokolliert, die in der Selbstbeobachtung vorgekommen sind. Auch wird mit der Fünftelsekundenuhr die Zeit annähernd bestimmt, die zwischen Frage und Antwort verflossen ist 2).