IV. Teil. Beeinflussende Momente.

1. Bewegung.

a) Blickend-passive verglichen mit blickend-aktiver Lokalisation.
    Es handelt sich hier um eine Reihe verhältnismäßig kurzer Versuchsgruppen, welche teils zwischen, hauptsächlich jedoch nach den vorigen vorgenommen wurden, um zu ermitteln, inwieweit die Lokalisation auch von andern Momenten außer von der Reizstelle und der Gliedstellung abhängt. Die Ergebnisse können nur dann richtig gewürdigt werden, wenn man im Auge behält, wie eine Serie Lokalisationen für dieselbe Hautstelle und bei denselben Gliedstellungen ohne solche besondere beeinflussende Momente zu verlaufen pflegt: erstens beobachtet man die rein zufälligen Abweichungen jeder neuen Lokalisation von früheren, welche sich im Begriffe des variabeln Fehlers zusammenfassen; zweitens treten gelegentliche unregelmäßige Schwankungen der Gesamttendenz der Lokalisationen auf (»systematisch variabele« Fehler), welche jedoch ziemlich selten (bei einigen Beobachtern nie) im Laufe einer Versuchsstunde entstehen; und drittens geht im Laufe jeder Versuchsstunde eine allmähliche Vergrößerung, niemals eine Verkleinerung des konstanten Fehlers vor sich, welche immer in einer bestimmten, durch das »Unterschätzungsgesetz« vorgeschriebenen Bahn, zuerst rasch, bald aber sehr langsam vorschreitet.

    Vor allem schien nun der vielumstrittene Faktor Bewegung der Untersuchung bedürftig zu sein; schon auf S. 49 hatten wir gesehen, daß Bewegungen zwischen den einzelnen Lokalisationen nichts an der Täuschung zu ändern vermochten. Zunächst kam es also darauf an, den Einfluß der Bewegung während der Lokalisation zu ermitteln.

    In dieser (16.) Versuchsgruppe wurde der Beobachter M. zuerst mittels der gewöhnlichen Blicklokalisation (d. h. »blickend-passiv«1)) geprüft; seine linke Hand lag ruhig vor ihm auf dem Tische und wurde an der Dorsalfläche der ersten Phalanx des Mittelfingers gereizt; er zeigte die vermeintliche Stelle durch das Spiegelbild des Stäbchens (Fig. 10); als Ergebnis war ein konstanter Fehler in der normalen Richtung im Betrage von 94 mm zu konstatieren2). Dann mußte M. sich selbst reizen {»blickend-aktiv«); die Spitze war ungefähr 1 cm über der Hand fixiert, und M. reizte sich durch kleine Bewegungen des ganzen Armes; hierbei sank der konstante Fehler sofort bis zu 41 mm3), also weniger als die Hälfte, herab; dabei blieb die Richtung des Fehlers ungeändert.
 
 

    1) Ich erinnere daran (S. 57), daß eine Lokalisation zwei Hauptfaktoren hat, und daß diese von dreierlei Art sind: ein passiv berührtes Glied, ein aktiv tastendes Glied, oder die Blicklinien. Die gewöhnlichsten Lokalisationen sind die aktiv-passiven; in dieser Arbeit haben wir schon vielfach die blickend-passiven betrachtet; jetzt werden wir auch die blickend-aktiven und aktiv-aktiven heranziehen.

    2) ± 2 mm (v = 12; n = 28).

    3) ± 4 mm (v = 10; n = 8).

    Eine Woche später wurden die Versuche zur Bestätigung wiederholt. Bei passiver Haltung des gereizten Gliedes zeigte M. diesmal einen konstanten Fehler von nur 48 mm4). Bei aktivem Verhalten ging der Fehler sofort bis auf 25 mm5) herunter. Hierauf ließ ich den Arm einige Minuten ruhen, und dann reizte ich ihn bei passiver Haltung wieder, worauf auch der Fehler zu 48 mm6) zurückkehrte. Schließlich hat M. sich selbst nochmals gereizt, aber jetzt mittels Bewegungen der Finger allein und bei ganz ruhig gehaltenem Schultergelenk; diesmal betrug der Fehler 46 mm7) und blieb also ohne merkliche Änderung (im Gegensatz zum Verfahren mit Bewegung des ganzen Armes). Daraus scheint hervorzugehen, daß keineswegs bloße Bewegung an sich, sondern erst Bewegung des die Täuschung erzeugenden Gelenkes imstande ist, diese Täuschung herabzusetzen. In allen Fällen blieb die Richtung des Fehlers dieselbe und normal. Um sicher zu sein, daß es sich hier nicht bloß um eine individuelle Eigentümlichkeit handele, wurden analoge Versuche auch mit H. angestellt; diesmal wurde die rechte Hand statt der linken geprüft. Bei passivem Verhalten des Armes betrug der Fehler 54 mm8), und die Richtung war gleichfalls normal (d. h. sie lag jetzt nach rechts). Bei aktiver Haltung des ganzen Armes sank der Fehler bis auf nur 10 mm9) herab. Bei Bewegung der Finger, aber bei ruhendem Schultergelenk, stieg der Fehler sofort wieder bis zu 57 mm10). Diese Versuche mit H. bestätigten also die Ergebnisse von M. in vollkommenster Weise; beide liefern den auf S. 61 verlangten positiven Nachweis, daß die Täuschung eines aktiven Gelenkes viel kleiner als die eines passiven ist.
 

    4) ± 3 mm (v = 10; n = 10).

    5) ± 3 mm (v = 9; n = 8).

    6) ± 4 mm (v = 7; n = 3).

    7) ± 4 mm (v = 9; n = 4).

    8) ± 3 mm (v = 13; n = 16).

    9) ± 3 mm (v = 15; n = 16).

    10) ± 5 mm (v = 15; n = 8).
 
 

    Betreffs der Lokalisationsfeinheit dagegen konnte die Bewegung gar keine Verbesserung erzielen11); denn in der ganzen Versuchsgruppe zeigt sie einen mittleren variabeln Fehler von 12,4 mm12), während derjenige der Versuche mit ruhendem Gliede 11,7 mm13) ist; dieser kleine Unterschied ist bedeutungslos, da er weniger als der wahrscheinliche zufällige Unterschied beträgt14).
 
 

    11) Es erfordert besondre Maßregeln, um den Vergleich zwischen aktiver und passiver Lokalisation einwandfrei anzustellen. Beim aktiven Verfahren ist der Reiz fortwährend unterbrochen, was wenigstens die subjektive Sicherheit bedeutend steigert; also muß auch beim passiven Verfahren der Reiz unterbrochen werden. Beim aktiven Verfahren hat ferner der Beobachter eine gewisse Auswahl in bezug auf die zu reizende Hautstelle, und wird, wenn er nicht davor gewarnt ist, die scheinbar schärfer lokalisierten Stellen unwillkürlich auswählen.

    12) ± 1,1 mm (v = 12,4; n = 57).

    13) ± 1,3 mm (v = 11,7; n = 44).

    14) ±1,7 mm 
 
 

b) Aktiv-passive Lokalisation verglichen mit aktiv-aktiver.

    In der folgenden (17.) Gruppe ist wieder die Tastlokalisation gebraucht worden. Der Reiz fand an der Dorsalfläche des linken Armes statt und war abwechselnd passiv und aktiv. Die Ergebnisse für die drei Beobachter H., A. und Z. sind in folgender Tabelle zu Mittelwerten zusammengestellt:

Tabelle III (180 Einzelversuche).


Handrücken
Mitte des Oberarms
Wahrsch. Abw.
Pass. Akt. Pass. Akt.
Mittl. konst. Fehler (mm)
98
84
50
53
± 2
Mittl, var. Fehler (mm)
14
13
14
15
± 1,5

    Hiernach scheint es, daß die Größe der Täuschung nicht sehr viel weiter herabgesetzt wird, wenn sich beide beteiligten Körperglieder aktiv verhalten.

    Wiederum bleibt der variable Fehler bei beiden Verfahren annähernd der gleiche. Das »Sicherheitsgefühl« dagegen bot zwei merkwürdige Kontraste dar; bei Reizung der Hand glaubten nämlich alle Beobachter besser mittels Bewegungen beider Arme lokalisieren zu können; bei Reizung des Oberarmes dagegen stimmten alle in der Behauptung überein, daß dann die Bewegung dieses Gliedes nachteilig wäre für die subjektive Sicherheit der Lokalisation. Sie wollten dies dadurch erklären, daß beim Lokalisieren auf der Hand Bewegungen beider Arme gebräuchlich, beim Lokalisieren auf dem Oberarme dagegen ungebräuchlich wären. Diese Erklärung dürfte wohl zutreffen; nur scheint der begünstigende Einfluß der Gebräuchlichkeit viel wirksamer in bezug auf die subjektive als auf die objektive Sicherheit zu sein.

c) Einfluß der Bewegung auf die Lokalisationsfeinheit.

    Daß die Lokalisationsfeinheit nichts durch Bewegung gewinnen sollte, widerspricht sehr der allgemeinen Meinung darüber: auch könnte man vielleicht einwenden, daß die Ruhe nicht vollständig genug gewesen sei, oder wenigstens nicht lange genug gedauert habe, um auf die Lokalisation vergröbernd einzuwirken. Deshalb ist eine neue (18.) Versuchsgruppe speziell zur Nachprüfung angestellt worden.

    Diesmal wurde der Beobachter so sorgfältig mit Kissen und allerlei Stützen umschanzt, daß der linke Arm vollständig bewegungslos, auch dann, wenn der andere Arm in Bewegung war, gehalten werden konnte; um auf etwaige Änderungen durch Übung oder durch Ermüdung durchgängig Rücksicht nehmen zu können, wurde der Beobachter abwechselnd am ruhenden Handrücken und auf der rechten Seite des sich ungezwungen bewegenden Kopfes geprüft; bei dieser Versuchsanordnung sollte sich der Einfluß der Ruhe auf den Arm, wenn nicht absolut, so doch wenigstens im Vergleiche zum bewegten Kopfe schätzen lassen15).

    15) Auch diente diese Abwechslung zwischen Hand und Kopf dazu, jede Lokalisation zu einer neuen, von der vorangegangenen möglichst unabhängigen Lagewahrnehmung zu gestalten.
 
 

    Der erste Beobachter, U., hatte bis dahin nur wenige Versuchsserien durchgemacht und besaß deshalb einen noch beträchtlichen konstanten Fehler, welcher sich erst bis zu einem gleichbleibenden Wert entwickeln mußte, bevor man irgend etwas mit dem variabeln Fehler anfangen konnte; es wurden also die ersten acht Lokalisationen wie vorher als bloße Vorbereitung betrachtet. Dann folgten die gültigen Versuche; von der 1. bis zur 25. Minute betrug der mittlere variable Fehler auf dem Handrücken 15 mm16), auf dem Kopf 13 mm17), von der 25. bis zur 30. Minute erstreckte sich eine Ruhepause; von der 30. bis zur 55. Minute zeigten sich beide Werte als ganz dieselben wie in der ersten Versuchshälfte; es hatte also die stundenlange Bewegungslosigkeit auf die Lokalisationsfeinheit keinen merklichen Einfluß ausgeübt18). Auch scheinen Übung und Ermüdung hier wieder ohne viel Einfluß gewesen zu sein, wenn man nicht annehmen will, daß sie einander genau das Gleichgewicht gehalten haben. Nur auf den konstanten Fehler hat der Zeitverlauf eingewirkt, indem ersterer während der Zwischenpause von 60 mm19) (im ersten Teil) bis zu 94mm20) (im zweiten Teil) stieg. Am Kopfe hatte sich der konstante Fehler bereits frühzeitig vollständig entwickelt21), und deshalb konnte er sich im zweiten Teil nicht noch mehr steigern; er ist, zusammen mit dem des folgenden Beobachters, etwas übertrieben in Fig. 21 dargestellt.

    16) ± 2,6 mm (v = 15; n = 16).

    17) ± 2,3 mm (v = 13; n = 16).

    18) Doch ist bei solchen verhältnismäßig großen wahrscheinlichen Abweichungen die scheinbare Genauigkeit offenbar nur zufällig.

    19) ± 2,6 mm (v = 15; n = 32).

    20) ± 2,6 mm (v = 15; n = 32).

    21) Vermutlich, weil er noch nicht durch vorherige Erfahrung gehemmt war.

    Dieser andere Beobachter, S., bot zum gegenwärtigen Zwecke ganz besondere Vorteile, die sich sonst nicht allzu leicht zusammenfinden dürften; denn mit derselben ausnahmsweisen Freiheit von »systematisch variabeln« Fehlern, welche bei U. und W. so große Dienste geleistet hatte, verband er die Eigenschaft, seinen konstanten Fehlern (am Arm) völlig beseitigt zu haben. Mit ihm also brauchte man keine vorbereitenden Versuche zu machen, sondern konnte sofort beginnen. Die Bedingungen waren genau wie bei U., nur konnte jetzt statt einer Zwei- eine Dreiteilung der Zeit vorgenommen werden. Die Ergebnisse sind in Tabelle IV angegeben.


Tabelle IV (96 Einzelversuche)


Zeitverlauf
1.— 20. Minute 24.—44. Minute  45. – 65. Minute
Var. Fehler
Hand 11 10 11 ± 2 mm
Kopf 10  10  11 v = 10,5mm

 
 
 
 
 

    Also ist hier wiederum, soweit die Daten ausreichen, keine Vergrößerung des variabeln Fehlers nachweisbar. Die Versuchsserien in den letzten drei Gruppen, wenn sie auch einzeln genommen noch einen breiten Spielraum für den Zufall frei lassen, beweisen Jedoch zusammengefaßt (über 500 Einzelversuche) genügend, daß die Bewegung auf die Lokalisationsfeinheit keinen beträchtlichen Einfluß hat.

    Dieses Ergebnis nun könnte nicht nur bei denen Widerspruch erregen, welche aus theoretischen Rücksichten die Lokalisationsfähigkeit ausschließlich auf Bewegung begründen möchten; es scheint auch der allgemeinen Erfahrung entgegen zu sein, daß man für alle feineren räumlichen Orientierungen immer Bewegungen zu Hilfe zieht; die Blinden z. B., die so außerordentlich auf Orientierung durch den Tastsinn angewiesen sind, müssen ihre Finger fortwährend in Bewegung erhalten, so daß sich schließlich die bekannten reflexartigen » Tastzuckungen « einstellen22).

22) Czermak, Sitzungsbericht d. Wiener Alcad., 3, Bd. 17, 1855, S. 578.
 
    Aber diese Verfeinerung der Orientierung darf nicht auf die Bewegung als solche, sondern muß vielmehr auf die damit notwendig gegebene Änderung der artikularen Komponente der Lagenvorstellung bezogen werden; denn die Wahrnehmung der Bewegung eines Gliedes ist ja weiter nichts als eine Art Änderung der artikularen Vorstellungskomponente. Keineswegs aber darf man umgekehrt sagen, daß mit artikularen Bestimmungen notwendig Bewegungen gegeben sind; im Gegenteil, gerade in der Lagewahrnehmung können die artikularen Bestimmungen ohne Änderung — also ohne Bewegung — funktionieren; und dann haben sie auch, wie aus diesen Versuchen hervorgeht, nichts mehr durch Bewegung zu gewinnen. Kurz, alle Wirkungen artikularer Bestimmungen auf Bewegung zurückzuführen, heißt so viel, als einen Prozeß mit einer seiner Formen (wenn auch mit der praktisch wichtigsten) zu vermengen; die Sache liegt genau so, als wenn z. B. Töne als Tonänderungen erklärt werden sollten. Und wenn Bewegung schon mit den artikularen Bestimmungen keineswegs zusammenfällt, so tut sie es natürlich noch viel weniger mit den segmentalen22).

    22) Wie schon gesagt (S. 12), wird hierbei die Frage der ursprünglichen Genese der Raumvorstellung nicht berührt.
 
 

2. Schmerz.

a) Lokalisation eines schmerzhaften Reizes.

    Bis jetzt waren die Schärfe der reizenden Spitze und die Intensität des Druckes von einer solchen Beschaffenheit gewesen, wie sie dem Beobachter am günstigsten erschienen; nun aber wurden auch Versuche mit so scharfer Spitze und so intensivem Drucke ausgeführt, daß die zu lokalisierende Empfindung höchst schmerzhaft war. Den Beobachtern, welche bereitwillig der Wissenschaft diese Opfer gebracht haben, muß ich hier wieder meine bewundernde Dankbarkeit ausdrücken.

    In dieser (19.) Gruppe war es nicht mehr möglich, die zwei zu vergleichenden Methoden hintereinander auf demselben Hautgebiet auszuführen, da nach den Schmerzreihen die Empfindlichkeit des betreffenden Hautgebietes auf längere Zeit sehr herabgesetzt bleibt. Es konnten also nur analoge Teile der beiden Arme miteinander verglichen werden. Der Beobachter wurde zuerst auf dem einen Arme in der Nähe des Ellbogens mit normalen Tastlokalisationen, und dann auf dem andern Arme wieder in der Nähe des Ellbogens mit schmerzhaften Lokalisationen geprüft; hierauf wurden umgekehrt in der Nähe des Handgelenkes des ersten Armes schmerzhafte Lokalisationen, und dann auf demselben Gebiet des zweiten Armes normale Lokalisationen angewandt. In dieser Weise wurde der Einfluß, der etwa in der Reihenfolge oder in einer Differenzierung der Körperhälften liegen könnte, leidlich eliminiert.

    Die Ergebnisse sind in folgender Tabelle gegeben; jedesmal lag der konstante Fehler in der normalen Richtung für den betreffenden Arm.
 
 

Tabelle V (224 Einzelversuche)


Beobachter  Hautstelle Konstanter Fehler (mm) Variabler Fehler (mm)
Normal Schmerzhaft Normal  Schmerzhaft
B.
Ellbogen Handgelenk 
84

79

110

87

25

26

17

21

M.
Ellbogen Handgelenk 
119 

103

120

118

30

19

15

13

Kr.
Ellbogen

Handgelenk 

50

61

52

85

28

26

22

18


 

    Wenn man entsprechende Werte vergleicht, so sieht man, dass der Schmerz jedesmal den konstanten Fehler vergrößert und den variabeln verkleinert23)

    23) Daß die eine Art Lokalisation 6mal hintereinander größer als die andere ausfiele, wäre durch Zufall offenbar nur in einem Falle von 64 (26) zu erwarten.
 
 

    Subjektiv fanden B. und M., daß der schmerzhafte Eindruck zuerst viel schärfer als der normale lokalisiert war, bald aber diffus und viel schwerer lokalisierbar wurde; daher zeigten diese Beobachter beim Schmerz die vermeintliche Stelle mit ungewöhnlicher Promptheit und entsprechendem Sicherheitsgefühl an. Kn. dagegen zwang sich, bei schmerzhaften ebenso bedächtig wie bei normalen Reizen zu lokalisieren; daher kommt es wahrscheinlich, daß er beim Schmerz das überlegene Sicherheitsgefühl eingebüßt hatte, obwohl er die objektive Verkleinerung des variabeln Fehlers beibehielt.

    Eine schon früher bemerkte Illusion wurde beim Schmerz noch frappanter. Sobald der Stift des Beobachters zur scheinbaren Reizstelle gekommen war, so schien hier jeder Druck des Stiftes auf dem Papier den Schmerz des Reizes außerordentlich zu steigern. Dabei war nicht nur eine mechanische Übertragung des Reizes ausgeschlossen, sondern es lag auch diese scheinbar empfindliche Stelle 52—120 mm (s. Tabelle) von der wirklichen entfernt.
 
 

b) Lokalisation bei Schmerz an einer entfernten Körperstelle.

    Es sollte in dieser (20.) Gruppe ermittelt werden, ob die oben festgestellte Verkleinerung des konstanten Fehlers zunächst der speziellen Schmerzhaftigkeit des zu lokalisierenden Reizes, oder schon der allgemeinen durch Schmerz überhaupt erzeugten Affizierung des Bewußtseins zuzuschreiben wäre.

    Das Verfahren war sehr einfach. Der Beobachter M. nahm in jede Hand ein Streichholz, machte die Augen zu, und suchte nun das eine in die vertikale Verlängerung des andern zu bringen. Bei richtiger Durchführung dieses Versuches greifen die Hände übereinander, und die Streichhölzer haben dabei, je nach der Versuchsperson, einen Abstand von 1—7 cm. Man tut gut, sie nicht ohne weiteres zur (scheinbaren) Deckung zu bringen, sondern sie zuerst zu weit zu führen, bis man sicher glaubt, daß sie aneinander vorbeigegangen seien; dann zieht man sie wieder zurück, bis sie einander ebenso deutlich nicht erreichen; und so führt man sie ein halbes Dutzend mal hin und her, bis man sie genau in die mittlere Stelle maximaler scheinbarer Übereinstimmung zu bringen sich getraut. Je mehr die Aufmerksamkeit auf die Tastempfindungen konzentriert wird, desto sicherer gelingt der Versuch. Man muß sorgfaltig vermeiden, daß sich die Hände oder die Streichhölzer berühren; wenn dies doch zufällig geschieht, so muß der Versuch abgebrochen und erst nach mehreren Minuten weitergeführt werden: denn durch solche Berührung wird die Täuschung mit mechanischer Notwendigkeit aufgehoben.

    Zuerst mußte M. acht vorbereitende Versuche in der obigen normalen Weise machen, um dabei einen gewissen Grad von Sicherheit zu erreichen. Dann fingen die acht wirklichen Versuche an; von diesen waren der 2., 4., 6. und 8. wieder normal; aber während des 1., 3., 5. und 7. wurde M. am Halse mit einer Nadel stark genug gereizt, um heftigen Schmerz zu empfinden.

    Die sich daraus ergebenden Beträge des Abstandes waren 19, 7, 11, 7, 19, 10, 15 und 9 mm. Einen so regelmäßigen Zuwachs der Täuschung beim Schmerz kann man unmöglich dem Zufall zuschreiben24). Mithin muß man schließen, daß der Schmerz nicht durch engen Zusammenhang speziell mit dem zu lokalisierenden Reiz, als vielmehr durch seine allgemeine Affizierung des Bewußtseins die Täuschung zu vergrößern vermag. Die Beobachter hatten durchweg keine Ahnung, daß sie bei begleitendem Schmerz an ganz anderer Stelle lokalisierten als ohne diesen.
 
 

    24) Dies ist ein Beispiel der Unzuverlässigkeit einer unmittelbaren Schätzung der Beweiskraft. Denn hier ist die Beweiskraft beim ersten Eindruck gar nicht imponierend; jedenfalls ist sie nicht frappanter als in der letzten Versuchsgruppe, wo die Täuschung beim Schmerz 6 mal hintereinander größer war als die entsprechende Täuschung ohne Schmerz. Aber für letztere Übereinstimmung war die Wahrscheinlichkeit = 1/64; während doch in dieser Gruppe alle vier Täuschungen mit Schmerz größer ausfallen, als die vier ohne Schmerz, wofür die Wahrscheinlichkeit  ist, also schon zehnmal weniger.

3. Spannungsempfindungen.

    Zufälligerweise hatte ich entdeckt, daß bei mir das obenerwähnte Übereinandergreifen sofort verschwand, wenn ich die Streichhölzer durch zwei schwerere Bücher ersetzte. (Mit Ausnahme solcher Versuche an mir selbst ist bei allen Beobachtern die strengste Unwissentlichkeit bis zum Schluß der ganzen Untersuchung erstrebt worden.) Diese Erscheinung nachzuprüfen war die Aufgabe der 21. Versuchsgruppe.

    Der erste Beobachter war M., der, wie oben, zuerst acht einübende und dann acht geltende Versuche mit den Streichhölzern ausführte. Von den letzteren waren der 2., 4., 6. und 8. wieder normal; während der andern wurde auf beide Unterarme je ein Gewicht von 4 kg aufgelegt.

    Wenn wir das Übereinandergreifen durch das Plus- und das Gegenteil durch das Minuszeichen darstellen, so waren die Ergebnisse — 3 + 24, — 3, + 7, — 2, + 12, — 7. Die Bestätigung meiner eigenen Beobachtung läßt nichts zu wünschen übrig.

    Der nächste Beobachter Kr. wurde zuerst fünfmal normalerweise geprüft, und zeigte dabei Übergriffe von 67, 73, 58, 38 und 51 mm. Dann wurde er unter Anwendung der Gewichte geprüft; worauf die Übergriffe bis auf 7, 24, 21 und 18 mm herabsanken25).
 
 

    25) Da alle fünf Versuche mit Gewichten kleiner ausfallen als alle fünf ohne Gewichte, so ist die Gefahr eines Zufalls erster Ordnung (S. 26) nur , ist also noch viel weniger zu fürchten als bei M. Da aber die Versuche bei Kr. nicht abwechselnd stattfanden, so ist die Gefahr eines Zufalls höherer Ordnung (»systematisch variabeln« Fehlers) noch vorhanden, und die wirkliche Beweiskraft ist viel geringer als in den Versuchen mit M.

    Bei U. dagegen und auch bei mir bewirkten diese aufgelegten Gewichte nicht die mindeste Änderung im Grade der Täuschung26). Die Versuche, die U. und ich vornahmen, waren ebenso entscheidend im negativen, wie bei M. und Kr. im positiven Sinne. Also handelt es sich gewiß nicht um Zufälligkeiten, aber immerhin um Ursachen, die nicht ohne weiteres zutage treten.
 
 

    26) Trotzdem, daß die Täuschung bei mir immer noch verschwindet, sobald ich die Streichhölzer durch die Bücher ersetze.
 
 

4. Einfluß der Beobachtungsweise (besonders der Verteilung der Aufmerksamkeit).

    In dieser (22.) Gruppe traf man endlich die Täuschung in ihrem empfindlichsten Punkte. Für mich wenigstens, der ich in den täglichen Erfahrungen der letzten zwölf Monate diese Täuschung die ganze Experimentierstunde hindurch immer so ruhig und standhaft gefunden hatte, war es eine große Überraschung, als sie jetzt plötzlich bei den scheinbar harmlosesten Anlässen die gewaltigsten Sprünge vollzog. Doch auch jetzt sind diese Sprünge niemals aus der im Unterschätzungsgesetz vorgeschriebenen Bahn abgewichen; es haben diese Unterschätzungen vielmehr nur enorm und plötzlich ab- und zugenommen.

    Die Methode war wieder Tastlokalisation; aber jetzt ging der Beobachter mit seinem Stift (wie auf S. 34 beschrieben) mehrmals über die scheinbare Stelle zu weit hinaus und dann zu weit zurück, bis er die mittlere Stelle maximaler Übereinstimmung festgestellt hatte; durch diese Stelle ging er dann noch mehrmals in derselben Weise hin und her, aber in einer zur vorigen senkrechten Richtung; die jetzt festgestellte mittlere Stelle maximaler Übereinstimmung wurde als die endgültige Lokalisation registriert. Durch dieses Verfahren glaubte ich zu erreichen, daß der Einfluss der ursprünglichen Ausgangsrichtung eliminiert würde, und daß es nicht mehr nötig wäre, sukzessiv von allen vier Richtungen auszugehen, wie es von der 2. bis zur 19. Versuchsgruppe geschah27).

    27) Mit dieser Änderung im Verfahren wird natürlich der variable Fehler viel kleiner.

    Die ersten Versuche haben an mir selbst stattgefunden. Als Stift gebrauchte ich eine Füllfeder, wodurch ich allemal die scheinbare Reizstelle mit einem Punkte markieren, und nachher mit der wirklichen Stelle vergleichen konnte. Der konstante Fehler hatte eine Größe von 64 (± 5 mm). Dann wiederholte ich die Versuche mit ganz demselben äußeren Verhalten, aber mit der psychischen Änderung, daß ich jetzt den Tastempfindungen in den Händen möglichst wenig Aufmerksamkeit schenkte, daß ich alle Spannungen möglichst schwinden ließ und mich dem Gefühl des »dolce far niente« hingab. Zu meinem eigenen Erstaunen war der konstante Fehler jetzt bis auf 13 (± 3 mm) zusammengeschrumpft.

    Ich wiederholte das ganze Experiment und machte diesmal die Augen erst dann auf, wenn ich die beiden verschiedenartigen Versuche, mit konzentrierter bzw. erschlaffter Aufmerksamkeit, durchgeführt hatte; die ersten markierte ich mit der Füllfeder, die letzteren mit einem Bleistift. Subjektiv meinte ich jetzt zu einem dem früheren Resultat entgegengesetzten gekommen zu sein und mit dem Bleistift wie mit der Füllfeder dieselbe Stelle markiert zu haben. Aber als ich die Augen öffnete, da lagen wieder alle Tintenpunkte um ein 67 mm von der Reizstelle abliegendes Zentrum herum, während die Bleipunkte eine andere Gruppe ausmachten, deren Zentrum nur 12 mm von der Reizstelle entfernt war (in beiden Fällen war die Richtung des Fehlers normal). In einer neuen Versuchsreihe ließ ich nicht wie oben die Aufmerksamkeit überhaupt schlaff werden, sondern lenkte sie nur von den Tastempfindungen ab, indem ich Kopfrechnungen ausführte; aber dann blieb auch die Verminderung der Täuschung aus; die Messungen ergaben nämlich 62 bzw. 57 (± 3) mm. Hierauf ließ ich die Aufmerksamkeit völlig erschlaffen, und dann sank der Fehler sofort bis auf 25 mm herab. Schließlich wandte ich die Aufmerksamkeit nicht den Tastempfindungen der gereizten und suchenden Hände, sondern den Spannungsempfindungen der Arme zu; der Fehler ging bis auf 52 mm zurück.

    Jetzt war es offenbar Zeit, diese merkwürdigen Ergebnisse durch das unwissentliche Verfahren bei andern Beobachtern, die also unmöglich irgendwie suggestiv beeinflußt sein konnten, nachzuprüfen. Zu diesem Zwecke bot mir zuerst Wi. freundlichst seine Dienste. Mit auf die Hände konzentrierter Aufmerksamkeit war der Fehler 65 4} mm. Dann gab er sich seiner ungezwungenen Phantasie hin; aber der Fehler blieb 68 5) mm. Schließlich bat ich ihn, den Ort des Reizes möglichst sorglos und natürlich anzuzeigen; jetzt schrumpfte der Fehler auf 25 (± 4) mm zusammen.

    Dann konnte in ähnlicher Weise mit U. experimentiert werden, der sich schon mehrmals als besonders frei von systematisch variabeln Fehlem gezeigt hatte (Fig. 8 stellt 72 sukzessive Lokalisationen von ihm dar, wobei die letzten 24 von großen unregelmäßigen Bewegungen des gereizten Armes unterbrochen wurden; ebenso regelmäßig verliefen seine Lokalisationen nachher wieder durch die ganze Stunde der 16. Versuchsgruppe hindurch). Wenn er jetzt die Aufmerksamkeit auf die Tastempfindungen der Hände konzentrierte, betrug die Täuschung 101 (± 3) mm. Dann ließ er die Aufmerksamkeit erschlaffen und versuchte »an nichts zu denken«; der Fehler ging auf 56 (± 3) mm herunter. Dann bat ich ihn, wieder auf den Reiz und den Stift aufmerksam, aber jetzt in »objektiver« Weise, zu achten; er sollte sich nicht um die Tastempfindungen als solche kümmern, sondern sieh möglichst »intensiv« die konkreten Objekte, die reizende Spitze und den suchenden Stift, vorstellen; dabei sank der Fehler noch weiter bis auf 40 (± 4) mm. Um entscheidende Kontrollversuche vorzunehmen, sagte ich ihm, er sollte jetzt (wie zu Anfang) auf die Tastempfindungen der Hände achten; hierauf schien er äußerlich nur die vorhergehenden Versuche unverändert fortzusetzen, aber die innere Wandlung war so wirksam, daß der Fehler von 40 bis zu 115 (± 7) mm zurückschnellte!

    Diese Wandlung zwischen subjektivem und objektivem Verhalten habe ich dann an mir selbst probiert; im ersten Falle war der Fehler 51 (± 3), im zweiten 5 (± 3) mm. Die psychische Änderung dabei war nicht leicht völlig zu analysieren; auffallend genug war der Übergang von der lebhaften, räumlich diffusen taktilen zur verblaßten, räumlich scharf definierten visuellen Vorstellung; damit aber war die Änderung keineswegs erschöpft. Ich versuchte dann — und fand es möglich —, die Spitze und den Stift zwar wieder visuell, aber ohne die subtileren, meinem Begriffe des »objektiven « Verhaltens entsprechenden Merkmale vorzustellen; darauf sprang der Fehler bis auf 40 (± 3) mm zurück.

    Schließlich ist von Kr. eine Serie Lokalisationen ausgeführt worden, wobei er mannigfache Änderungen der Betrachtungsweise durchmachte. Die vorbereitenden Versuche mußten ungewöhnlich ausgedehnt werden; erst dann schien die Tendenz stabil geworden zu sein, als 14 Lokalisationen gemacht worden waren und die Täuschung sich allmählich bis zu der ungewöhnlichen Größe von 153 (± 3) mm entwickelt hatte. Während dieser Versuche hatte Kr. seine Aufmerksamkeit auf die Tastempfindungen konzentriert. Zunächst sollte er »objektiv« lokalisieren; seine dabei entstehende Vorstellung schien, nach seiner Beschreibung, der meinigen sehr ähnlich gewesen zu sein; aber diesmal blieb jede merkliche Wirkung auf die Lokalisationen aus. Dann bat ich ihn, seinen Vorstellungsverlauf ganz natürlich zu gestalten; aber er sagte, daß dies ihm nur unvollständig gelingen wollte; im Ergebnis blieb der Fehler wieder ungeändert. Hierauf wurde er gebeten, jede Art Spannung aus seinem psychischen Zustande zu entfernen und sich möglichst in das Gefühl des »dolce far niente» einzuspinnen; diese Ermahnung, obwohl sie die Spannungsempfindungen und Gefühle nicht vollständig zu bannen vermochte, hatte ihn doch dem natürlichen, ungezwungenen Seelenzustande etwas näher gebracht; aber wiederum ging der konstante Fehler nicht von der früheren Stelle ab. Zum Schluß gab ich ihm die Freiheit, nicht nur seinen Gedankengang, sondern auch sein äußeres Lokalisationsverfahren ganz natürlich und ungezwungen verlaufen zu lassen; dabei bestand der einzige sichtbare Unterschied darin, daß er jetzt mit dem Stifte in Kreisen statt in geraden Linien hin und her suchte; aber er erklärte, daß zugleich mit dieser äußeren Freiheit auch endlich der innere Vorgang recht ungezwungen wurde; diesen beschrieb er jetzt als »gefühlsartig, ohne Analyse»; und jetzt ging der Fehler von 154 mm mit einem Sprung bis auf 69 (± 4} mm herunter. Die ganze allmähliche Entwicklung dieser enormen Täuschung, und ebenso ihr schließlicher Zusammensturz, beschränkte sich durchweg auf eine Hin- und Herbewegung in der durch Fig. 7 und 8 angedeuteten kreisbogenartigen Bahn.

    In dieser ganzen Versuchsgruppe also hat die Täuschung eine außerordentliche Empfindlichkeit, besonders im Kontrast zu ihrem früheren sehr standhaften Verhalten, zutage gelegt. Für jeden Beobachter allein betrachtet, zeigen diese Beeinflussungen den denkbar regelmäßigsten Verlauf. Zwischen verschiedenen Beobachtern findet man zwar hier und da Widersprüche, nicht nur bei solchen vieldeutigen Anweisungen wie »objektiv vorzustellen«, sondern auch bei dem eindeutigen physikalischen Eingriff mit den Gewichten; im ganzen jedoch ist schon beim ersten Blick eine weitgehende allgemeine Analogie der Erscheinungen nicht zu verkennen; der Versuch einer näheren Erklärung kann erst im folgenden V. Teil dieses Aufsatzes vorgenommen werden.

    Einen Nebenpunkt können wir jedoch gleich jetzt erledigen. Wie wir gesehen haben, hat gerade die Konzentrierung der Aufmerksamkeit immer die gröbste Täuschung hervorgebracht; dabei aber hat sie im Gegenteil die subjektive Sicherheit jedesmal erhöht. Hat sich nun die erste schädliche, oder die zweite fördernde Wirkung auf die Lokalisationsfeinheit erstreckt? Die Antwort spricht folgende Tabelle aus:
 


Tabelle VI.


Beobachter
Konstanter Fehler
Variabler Fehler
Konzentration
Erschlaffung
Konzentration
Erschlaffung
S.
68
19
12
10
Wi.
66
25
10
9
Kr.
154
69
8
8
U.
106
64
13
11
Durchschnitt
96
44
11
10

    Also scheint auch die Lokalisationsfeinheit eher einen Nachteil als einen Vorteil von der konzentrierten Aufmerksamkeit zu haben. Doch ist der Unterschied (durchschnittlich 1 mm) nicht nur äußerst gering im Vergleich mit dem der Täuschungen, sondern auch, zunächst wenigstens, überhaupt nur als zufällig zu betrachten, da schon der bloße wahrscheinliche Unterschied 1,4 mm beträgt (n = 106).

5. Die Lokalisation der Blinden.

    Die 23. und letzte Versuchsgruppe bezog sich auf Beobachter, welche von Geburt an total blind gewesen waren28). Das Verfahren war dem mit den Sehenden ganz gleich, nur brauchte man weniger Vorsichtsmaßregeln, um vollständig unwissentlich verfahren zu können. Der Arm des Beobachters wurde auf einen Tisch in der in Fig. 8 gezeigten Stellung gelegt; darüber kam ein Apparat wie in Fig. 17, nur viel größer und mit vier Füßen ausgestattet; dann wurde die Spitze durch einen kleinen Druck auf den Draht in Berührung mit dem Handrücken des Beobachters gebracht. Alle Beobachter machten 16 Einzellokalisationen, von denen aber, wie gewöhnlich, die ersten 8 als vorbereitend betrachtet wurden.

    28) Die Möglichkeit der Ausführung verdankte ich der großen Liebenswürdigkeit des Herrn Dr. Krause, des Direktors der Bienerschen Blindenanstalt zu Leipzig.
 

Die Ergebnisse zeigten ausnahmslos eine Täuschung in genau derselben Richtung wie bei den Sehenden, nur meistens von viel kleinerem Umfang. Auch waren die variabeln Fehler merklich kleiner.

Tabelle VII.


Beobachter Geschlecht Alter Entwicklung d. takt. Sinnes,

nach Urteil d. Direktors

Fehler (in mm)
konstant variabel
M.W. M 14 Sehr feiner Tastsinn. Intelligenz gut. 20 6
I.S. W 29 Feiner Tastsinn. Arbeitet als Bürstenmacherin. 30 10
R.B. W 15 Feiner Tastsinn.Intelligenz normal 33 8
M. K. W 28 Nur mittelmäßig beanlagt, sowohl geistig, wie in bezug auf die Feinheit des Tastsinnes. 59 15
K.W. M 14 Tastsinn viel weniger entwickelt als bei den andern, wahrscheinlich weil sie noch nicht so lange i. d. Anstalt ist. 77 9

    In vorstehender Tabelle sind die Beobachter in der von Herrn Dr. Krause angegebenen Ordnung der Entwicklung des Tastsinnes gereiht. Diese Ordnung entspricht, wie man sieht, genau der des konstanten, und einigermaßen der des variabeln Fehlers; numerisch sind diese Korrelationen durch 1,00 bzw. 0,39 dargestellt; da aber schon die wahrscheinliche Abweichung 0,29 beträgt29), so hat selbst die erstere Korrelation eine nur mäßige Beweiskraft.

    29) Für die Rechnungsmethode der Ordnungskorrelation und der wahrscheinlichen Abweichung, siehe Anhang III, die Bravais-Pearsonsche Formel für die wahrscheinliche Abweichung — die hier hauptsächlich in Betracht kommt — ist auf solche kleine Serien selbst für die rohesten Berechnungen nicht anwendbar.