§. 38.
Von den Gemütszuständen.

433. Der gleichmäßige Verlauf unserer Vorstellungen erfährt unter dem Einflusse ungewöhnlicher äußerer und intellektueller Reize eine Menge teils beständiger Ablenkungen von seiner mittlern Geschwindigkeit, teils gewaltsamer Erschütterungen, welche Form und Richtung seines Verlaufs, so wie den Reichtum des Bewußtseins vorübergebend oder dauernd ändern. Keines von diesen Ereignissen ist unabhängig von der Fähigkeit der Seele, ihre Erregungen nach dem Werte, den sie für das geistige Leben besitzen, in den Gefühlen der Lust und Unlust zu schätzen. Man ist gewöhnt, die Summe dieser Lebensäußerungen, in welche sich die Gefühle als wesentliche Elemente verflechten, als das eigentümliche Gebiet des Gemütes zu bezeichnen, und so wollen auch wir die Erscheinungen, denen wir uns jetzt zuwenden, unter dem Namen der Gemütszustände zusammenfassen. Es bedarf kaum einer Erwähnung, dass eine einsame und isolierte Veränderung der Gefühlswelt nirgends möglich ist, ohne dass beständige Schwankungen in dem Verlaufe der Vorstellungen sowohl, als in dem Wechsel der Begehrungen sie begleiten. Einesteils entstehen jene Gefühle selbst aus dem Inhalte der Gedanken, anderenteils, wo unbewußt bleibende Veränderungen des Körpers ihre Ausgangspunkte waren, wirken sie doch unvermeidlich auf die Richtung des Vorstellungslaufs zurück. Überall sind daher die Gemütszustände sehr zusammengesetzte Ereignisse, und verzweigen sich in alle Äußerungen des geistigen Lebens hinein, obgleich die Fähigkeit des Gefühls der erzeugende Mittelpunkt ist, ohne den sie nie in der Seele Veranlassung zur Entstehung fanden.

434. Das Gebiet dieser Erscheinungen ist so umfänglich, dass es uns nicht befremden kann, zu ihnen manches noch gerechnet zu sehen, was billig auszuschließen wäre, und dass noch öfter die einzelnen Gruppen derselben auf unzulängliche Weise von einander getrennt werden. Ohne im Augenblick schon eine Klassifikation dieser Zustände zu versuchen, wollen wir für die nächsten Zwecke unserer Betrachtung einige ihrer Hauptformen unterscheiden. Wir haben zuerst, der Gewohnheit medizinischer Diagnostik folgend, die chronische Form der Stimmung von der akuten des Affektes zu trennen. Hier, wie in körperlichen Krankheiten, ist häufig die erste die vorangehende Disposition, aus welcher zufällige Reize die zweite entwickeln; ebenso häufig aber bringen überwältigende Reize unmittelbar diese letzte, die eigentliche Erschütterung des Gemüts im Gegensatz zu seinen dauernden, ruhigen Zuständen hervor; hier wie dort ferner bildet der ausbrechende Affekt gleich dem Fieber zuweilen die Krisis, welche die langsame Wirkung der chronischen Form erschöpft und das gesunde Gleichgewicht der Gefühle zurückführt. Neben beiden Zuständen stehen andere, deren nahen Bezug zu dem Leben des Gemütes man nicht verkennen kann, die aber dennoch ihnen koordiniert zu werden nicht verdienen. Man wirft häufig Gesinnungen mit den Stimmungen, Leidenschaften mit den Affekten zusammen; man könnte ebenso gut jede wissenschaftliche Überzeugung den ersten, alle Beständigkeit und Strenge des Charakters den andern zurechnen. Schon die Betrachtung der Gefühle gab uns früher Veranlassung zur Ausscheidung dieser Zustände, die nicht selbst als Affektionen des Gemüts gelten können, sondern nur als beständige Dispositionen, die nach der Lage der Umstände uns alle Grade und alle Schattierungen der Lust und Unlust, der Stimmungen und der Affekte durchlaufen lassen können. Indem wir uns daher auf die Analyse dieser beiden letzten Formen beschränken, werden wir zu zeigen haben, aus welchen körperlichen Eindrücken sie entstehen, und in wie vielgestaltiger Weise sie auf die Funktionen des Leibes zurückwirken.

435. Die Stimmungen nun, zu denen wir uns zuerst wenden, haben wir als dauernde Färbungen des Gemütszustandes von jenen momentanen Gefühlen zu unterscheiden, die eine einzelne sinnliche oder intellektuelle Anregung hervorbringt. Selten vermag ein Sinnesreiz längere Zeit über die Dauer seiner Einwirkung hinaus eine anhaltende Stimmung zu erzeugen; häufiger gelingt es Eindrücken von intellektuellen Wert, die ja durch Anklingen mannigfacher und fortwogender Gedankenkreise ihre Wirksamkeit über den Augenblick der ersten Auffassung verlängern. Am gewöhnlichsten gehen indessen die Stimmungen von einer Summe kleiner, dauernder, wiederholter Reize des Nervensystems, oder von einem Zusammentreffen von Reflexionen aus, welche ein und dasselbe intellektuelle Gefühl aus der Betrachtung der verschiedenartigsten Gegenstände schöpfen. Sehr häufig bleiben sowohl jene physischen als diese psychischen Anlässe dem Bewußtsein entzogen, und wir fühlen uns in der nachwirkenden Gewalt eines körperlichen Leidens oder einer Ideenreihe, ohne von beiden eine deutliche Auffassung zu erringen. Als der einfache Gesamteffekt, der für unser Gemüt aus diesen verborgenen oder bewußten Eindrücken hervorgeht, wurde die Stimmung an sich keine andern qualitativen Unterschiede als die der freudigen und traurigen, der Befriedigung oder Nichtbefriedigung gestalten. Aber unvermeidlich üben doch die Ursachen, von denen sie ausgeht, auch wo sie selbst unbewußt bleiben, ihre Einflüsse auf die Richtung des Gedankenlaufs aus, und indem sie einzelne Vorstellungen in dem Bewußtsein hervorheben, andere niederdrücken, indem ferner die verschiedenen Erinnerungskreise, die sie wecken, begleitet von ihren eigentümlichen Gefühlselementen hervortreten, entstehen hieraus jene feinen Schattierungen der Wehmut, der Trauer, der Heiterkeit, der Fassung, des Grames und der Beseitigung, die man unvollständig begreifen würde, wenn man sie nur als Grade der Lust oder Unlust bezeichnen wollte. Nicht minder trägt zu der verschiedenartigen Ausprägung der Stimmungen die formelle Nachwirkung bei, welche die ursprünglichen Ursachen oder ihre späteren Folgen auf den Lauf der Vorstellungen ausüben. Längst hat man die Affekte in solche der Entleerung und solche der Übererfüllung geschieden; was dort vielleicht weniger anwendbar ist, gilt um so mehr von den Stimmungen, und in dem Gebiete freudiger sowohl als trauriger weichen jene, die zugleich das Bewußtsein bis zum träumenden Aufgehen in wenige Gedanken verengen, wesentlich von den andern ab, die einen lebhaften elastischen Trieb des Fortschritts durch eine reiche Erinnerungswelt enthalten. Von dieser ganzen Mannigfaltigkeit haben wir nur wenige einzelne Glieder in Bezug namentlich auf ihre körperlichen Vermittlungen zu analysieren.

436. Noch abgesehen von dem traurigen oder freudigen Inhalte einzelner Erregungen verursachen die verschiedenen Formen ihrer Aufeinanderfolge für das Bewußtsein eine Reihe bekannter Gemütszustände. Neben der gleichmütigen Stimmung, welche der gewöhnliche Lauf der Eindrücke unterhält, steht die Langeweile von zu kärglicher, die Zerstreuung von zu hastiger Abwechselung der Wahrnehmungen. In beiden wird das Mißverhältnis der ankommenden Erregungen mit dem Tätigkeitsbedürfnis der Seele empfunden und beide führen zu einer falschen Schätzung der Zeit, die wir nur nach der Menge her in ihr ablaufenden Ereignisse beurteilen. Während wir uns langweilen, messen wir die verlaufende Zeit an dem allmählichen Vorübergehn unbedeutender rhythmisch sich wiederholender Ereignisse, die kein Interesse für uns gewähren, sondern die Leere der Zeitstrecke, welche sie begrenzen, deutlich hervortreten lassen. Später dagegen erscheint die leer gebliebene Zeit in unserer Erinnerung klein, da sie nichts einschließt, wodurch die Ereignisse vor und nach ihr auseinander gehalten werden könnten. Eine angenehme Abwechselung, durch die wir uns unterhalten fühlen, läßt uns die Zeit kurz vorkommen; in der Tat aber nur während sie verfließt; blicken wir später auf einen vielbeschäftigten Tag zurück, so scheint er uns länger gewesen zu sein und den vorhergegangenen und folgenden durch eine größere Kluft als gewöhnlich zu trennen. Wer von einer unterhaltenden Reise nach einigen Wochen zurückkehrt, glaubt Monate lang vom Hause entfernt gewesen zu sein, während der Zurückgebliebene, dem die Tage gleichförmig vergingen, ihn empfängt, als sei er kaum gegangen. Aus ähnlichen Gründen mögen Rekonvaleszenten ihre Krankheitszeit bald für kürzer bald für länger halten, als sie war. In höheren Graden bringt sowohl die Monotonie der Eindrücke als ihre maßlose Abwechselung eine beträchtliche Störung des Gedankenlaufs hervor; Verödung und träumerische Verdumpfung im ersten, einen psychischen Schwindel und Fassungslosigkeit im andern Falle. Den letzteren Zustand wird mancher nach einer ersten Eisenbahnreise empfunden haben; die schnelle Versetzung in eine entfernte Gegend, die Erinnerung, eine Menge von Orten durchlaufen zu haben, bringt eine Desorientierung der Vorstellungen hervor, in denen die Menge der gehabten Eindrücke gegen die Kürze der gebrauchten Zeit streitet.

437. Rührten nun in diesen Fällen beide Stimmungen von der unangemessenen Verteilung der äußern Erregungen her, so kommen beide auch aus inneren Gründen, und nicht selten abhängig von körperlichen Leiden vor. Ganz gewöhnlich begleitet katarrhalische, gastrische Zustände, die meisten Folgen der Erkältung, jene apathische Stimmung, in welcher auch die angenehmsten und unterhaltendsten Abwechslungen der Eindrücke doch das Gefühl der Langeweile nicht verbannen. Die Seele ist unfähig, in den zugeführten Wahrnehmungen jenes affektive Element des Gefühls zu empfinden, durch welches unser Gedankengang Wärme und Lebendigkeit empfängt; es fehlen darum auch den erregten Vorstellungen manche Motive, andere reproduzierend anzuklingen und die unmittelbar erweckte Gedankenreihe mit jener reichen Bilderwelt zu umgeben, welche die gesunde und frische Phantasie ihnen als Hintergrund oder begleitende Harmonie mitgibt. So sinkt natürlich auch an dem Wahrgenommenen das Interesse der Seele, und indem sie nicht mehr selbsttätig etwa die Situationen einer vorgetragenen Erzählung weiter verfolgt, fühlt sie die Armut ihrer eigenen Tätigkeit, wie sie vorhin die der Erregungen empfand. Umgekehrt sehen wir bei andern Krankheiten, namentlich in Vorläuferstadien, in denen dem Bewußtsein verborgen bleibende Störungen die Zentralorgane treffen, jene übermäßige Reizbarkeit des Gemüts auftreten, die jede geringfügige Wahrnehmung mit hastigem Interesse betrachtet, eine Menge von Erinnerungen, Erwartungen, Befürchtungen eilfertig an sie knüpft, und veränderlich von leicht erregten Tränen zum Gelächter überspringt, ein Bild inneren Unvermögens zu stetiger Fassung, analog der Zerstreuung, welche der ungemessene Wechsel der äußern Wahrnehmungen auch der gesunden Seele verursachte. Blicken wir auf die Vermutungen zurück, welche wir früher über die Art der beständigen Beteiligung um Zentralorgane an dem Verlaufe der Vorstellungen äußerten, so wird man leicht in einer geringeren Erregbarkeit derselben den Grund zu jener Apathie, in einer gesteigerten Reizbarkeit dagegen den dieser Hyperästhesie des Innern finden.

438. Diesen Gemütslagen, die noch ohne auf irgend einen konkreten freudigen oder traurigen Inhalt bezogen zu sein, nur die Befriedigung oder Unbefriedigung ausdrücken, welche die Seele durch ihre formellen Zustände erfährt, schließt sich noch eine Reihe gehobener Stimmungen an, in denen mehr Kolorit und eigentümliche Wärme, und doch ebenso wenig ein einziges an bestimmte Vorstellungen anknüpfbares Gefühl herrscht. Es sind jene namenlosen Gemütszustände, in denen wir uns durch eine Folge formell bestimmter Eindrücke in eine nachhaltende Bewegung versetzt finden, die dem Tätigkeitsverlangen der Seele in besonders angemessener Weise entspricht. Wir dürfen, um sie zu verdeutlichen, nur auf die Gewalt der Musik, auf die Stimmungen der Sammlung und Andacht hinweisen, welche der Genuß jeder echten Poesie als dauernden Gewinn in uns zurückläßt. Aber sie kommen nicht allein in diesem Bereiche ästhetischer Anregungen vor; auch körperliche Einflüsse haben an ihnen Anteil. Jeder rhythmische Eindruck, der Takt der Musik, der gleichmäßige Schritt des Marsches, die anmutige Bewegung des Tanzes erzeugen uns eine belebte Stimmung, in der wir uns der geordneten Folge unserer Zustände erfreuen, und wir verstärken absichtlich diese Gefühle, indem wir uns die Arbeit durch taktmäßige Einteilung oder durch Begleitung von Melodien erleichtern. Doch auch da, wo der erste Anlaß der Stimmung in Auffassung intellektueller Verhältnisse lag, treten doch diese sinnlichen Gefühle, von ihr selbst hervorgerufen, als eine neue und eigentümliche kolorierende Gewalt zu dem ursprünglichen Gehalte der intellektuellen Erregung hinzu; ihre Hemmung anderseits hindert ebenso deutlich die Ausbildung der geistigen Gemütslage. Wir haben andere Gedanken und Bestrebungen, wenn wir liegen, andere wenn wir stehen; eine erzwungene zusammengedrängte Körperstellung dämpft unseren Mut, bequem und nachlässig gelagert vermögen wir schwerlich andächtig zu sein, und aller Zorn beruhigt sich durch die Ruhe des Körpers; die Hand, welche die Runzeln der Stirn glättet, beschwichtigt auch den Verdruß, der sich durch sie aussprach. Es würde schwer sein, die Grenzen dieses Einflusses zu bestimmen; aber er geht ohne Zweifel sehr weit, und man kann fragen, ob nicht das kältere ästhetische und sittliche Urteil oder die Reflexion, die wir über Gefahr und Glück eines Zustandes uns ausbilden, ihre lebhafte Innigkeit erst durch diese nebenher spielenden sinnlichen Gefühle erhalten, die uns das an sich Wertvolle zugleich in seiner Harmonie mit den innersten Bedingungen unserer eigenen individuellen Existenz zeigen. Der heitere Genuß schöner Verhältnisse ist nicht bloß diese abstrakte Freude, sondern in dem lebhafteren, freieren Atmen, dem beschleunigten Herzschlage und der gediegenen Spannung der Muskeln fühlen wir unser eigenes Selbst davon gehoben und getragen; Reue und Bekümmernis um Vergangenes ist nicht bloß ein sittliches Verdammungsurteil, das innerlich ausgesprochen, von der Seele nur vernommen wird; die Erschlaffung unserer Glieder, die mindere Größe des Atmens, die Beklemmung der Brust, vielleicht im Ärger selbst die krampfhaften Verengerungen der Bronchien und die aufwürgende Bewegung der Speiseröhre, die den Bissen im Munde stocken macht, zeigen, wie auch die leibliche Organisation symbolisch ein Verschmähtes, unter dessen Drucke sie seufzt, auszustoßen versucht. Selbst das Gefühl der Andacht ist nicht eine rein geistige Erhebung, sondern indem unvermerkt mit ihr auch der Gang das gewöhnliche hastige Wesen läßt, die Bewegungen langsamer und gehaltener werden, die Stellung ein eigentümliches Gepräge, nicht der Erschlaffung, sondern sich unterwerfender Kraft annimmt, kehrt von allen diesen körperlichen Tätigkeiten auch ein Gefühl in das Bewußtsein der Seele, ihre intellektuelle Stimmung verstärkend, zurück.

439. Wenden wir uns nun zu der zweiten großen Gruppe von Gemütszuständen, die nicht aus dem Gefühle der formellen Verhältnisse des Vorstellungsverlaufs, sondern aus der Beachtung des Wertes hervorgehen, den konkrete Ereignisse für unsere individuelle Existenz haben, so begegnen wir einer Mannigfaltigkeit von Stimmungen, deren genaue Klassifikation, eine undankbare Aufgabe überhaupt, wir hier nicht versuchen können. (Vgl. Domrich, die psychischen Zustände. Jena 1848. S. 104 ff.) Einige allgemeine Unterschiede, körperlichen Krankheiten sehr analog, lassen sich jedoch für unsere Zwecke nachweisen. In beiden Reihen, der der unlustigen und der der freudigen Stimmungen begegnen wir zuerst einer Form, in welcher die Erinnerung an die einzelne bedingende Ursache noch vorherrscht und den Gedankenlauf zum Teil nach sich bestimmt, zum Teil ihn ungeändert läßt. Diese Zustände, die Freude über einen einzelnen Erfolg, den Ärger über einen Unfall können wir kaum noch zu den beständigen Stimmungen rechnen. Aber gleich lokalen körperlichen Prozessen bedingen beide häufig eine konsensuelle Umstimmung des ganzen Gemütes. So entsteht aus der Freude die allgemeine Ausgelassenheit, die in vielfachen Äußerungen sich Luft macht und die natürliche kindliche Lebhaftigkeit hervortreten läßt, mit welcher körperliche und geistige Anregungen einander gegenseitig erzeugen. Aus der Unlust bildet sich teils nach der Natur der Veranlassungen, teils nach dem Maße unserer Kraft und Erregbarkeit die doppelte Form der ästhenischen Niedergeschlagenheit und der reizbaren Ärgerlichkeit aus. Fassen diese Stimmungen nun die Beeinträchtigung oder Begünstigung, die unserer individuellen Existenz widerfährt, mit der vollen Schärfe der persönlichen Affektion auf, doch schon, ohne der einzelnen veranlassenden Gründe der Gefühle mehr zu gedenken, so klären sie sich anderseits zu Gemütszuständen von mehr ästhetischem und weniger persönlichem Charakter ab, indem die Freude in heitere Fassung, der Gram in ruhige Entsagung, der Verdruß in objektlose Bitterkeit übergeht, und allmählich wandelt sich so die Stimmung zu der bleibenden Grundlage unserer Auffassung der Welt und des Lebens um. Nach anderer Richtung dagegen können sie sich zu den Extremen leidenschaftlicher Bewegtheit steigern, die in der Form der Affekte Gegenstand unserer weiteren Betrachtung sein werden. Die unendlich vielfachen Beziehungen, in denen ein freudiger oder störender Einfluß zu unserem ganzen geistigen Leben stehen kann, führen außerdem eine Mannigfaltigkeit der Schattierungen und der Vermischungen von Gefühlen und den durch sie angeregten Gedankenkreisen mit sich, die nie gestatten wird, die Summe der möglichen Stimmungen vollständig zu verzeichnen. Scham, Reue, Bewunderung, Sorge, Furcht und andere sind deshalb nicht neben den erwähnten Formen als eigene, noch auch als Unterarten derer, die wir erwähnten, zu zählen; sie sind vielmehr aus dem Zusammenfluß verschiedenartiger Bedingungen zu erklären, die jenen Grundformen der Stimmung eigentümliche Färbungen verschaffen.

440. Im Gegensatze zu den Stimmungen als dauernden Gefühlslagen, bezeichnen wir mit dem Namen der Affekte ausschließlich jene Erschütterungen des Gemüts, die bald aus plötzlichen Eindrücken unvorbereitet entstehen, bald aus permanenten Stimmungen sich auf zufällige Anstöße eben so entwickeln, wie chronische Krankheitsanlagen durch intercurrirende Reize in akute fieberhafte Paroxysmen übergehen. Ihr gemeinsamer Charakter ist der der Überraschung und die nächsten Folgen, die sie im Gedankenlauf hervorbringen, fallen diesem gemeinsamen Grundzuge gemäß überall sehr gleichförmig aus. Indem die unerwartete Wahrnehmung eine große Menge verschiedener Erinnerungen, Erwartungen, Befürchtungen zugleich hervorzurufen beginnt, stören sich diese zahlreichen Elemente gegenseitig, und es entsteht auf dem Höhepunkte aller Affekte, welches auch ihre Ursache gewesen sein mag, eine momentane Stockung des Vorstellungslaufs, die nicht selten sich zu völliger Bewußtlosigkeit steigert. Affekte der Entleerung unterscheiden sich daher von solchen der Überfüllung nicht als eigene Gattungen; beide Ausdrücke bezeichnen vielmehr aufeinanderfolgende Stadien, die man bei jeder hinlänglich starken Gemütserschütterung beobachtet. Jeder höchste Affekt der Freude, der Scham, des Schreckens, der Verzweiflung ist stumm; erst später, nachdem der Augenblick der Stockung überwunden ist, nehmen die wiederauftauchenden Vorstellungen den spezifischen Verlauf, der der veranlassenden Ursache angemessen ist. Auch sind jene Entleerung des Bewußtseins und diese Überfüllung nicht entgegengesetzte, sondern dieselben Vorgänge, nur von entgegengesetztem Anschein nach den Wirkungen ihrer graduellen Verschiedenheiten. Denn jene Entleerung ist nicht die einfache Abwesenheit von Vorstellungen, sondern die Gegenwart so vieler, dass keiner genug Aufmerksamkeit zu Teil wird, um sie für das Bewußtsein zu fixieren. Die Überfüllung im Gegenteil ist eine verhältnismäßige Entleerung, durch welche der Inhalt einzelner Vorstellungen zu seiner Wiederausbreitung Platz gewinnt.

441. Von nicht minder großem Interesse sind die Rückwirkungen, welche der Affekt und schon die ihm analoge Stimmung in den körperlichen Tätigkeiten hervorbringt. Verschiedene Meinungen stehen sich über diesen Punkt lange gegenüber; die eine schreibt den einzelnen Gemütszuständen spezifische Nachwirkungen in einzelnen Organen und Organengruppen des Körpers zu, während die andere jede Wahlverwandtschaft dieser Art leugnet. Gewiß ist die erste, ältere Ansicht in vielen Fällen, in welchen sie der Volksglaube bestätigt sieht, ein traditioneller Irrtum; doch verstehe ich den Grund der leidenschaftlichen Polemik nicht, die jetzt so häufig gegen sie geführt wird. Im Allgemeinen steht Nichts der Annahme im Wege, dass Gefühle je nach der eigentümlichen Form der Erschütterung, die sie den Zentralorganen zufügen, ihre Wirksamkeit auch vorzugsweise auf bestimmte lokale Teile derselben konzentrieren. Auf welche andere Weise, als so, sollte wohl die Seele ihre motorischen Impulse an die Nerven bringen, denen sie bestimmt sind? Sie erzeugt die Vorstellung des Muskelgefühls, das die intendierte Bewegung begleiten wird, und diese Erregung der Zentralorgane, weil sie qualitativ von jeder andern sich unterscheidet, findet ihren Weg zu diesem einzelnen Nerven. Wer nicht die abenteuerliche Meinung hegt, die Seele wisse etwas von dem räumlichen Orte der zentralen Enden motorischer Fasern und vermöge außerdem der Innervation bestimmte Bahnen anzuweisen, wird die Möglichkeit zugestehen müssen, dass in ganz gleicher Weise auch die verschiedenen Gemütsstimmungen den Weg zu solchen Organen finden können, in deren Anregung sie sich erschöpfen, verstärken oder umändern sollen. Dass aber auch wirklich dieses Wechselverhältnis von der Natur in vielen Fällen hergestellt ist, davon haben wir zweifellose Beispiele. Ekel bringt Erbrechen hervor, Schrecken und Furcht wohl Diarrhöe, aber keine Vomiturition, die Nachwirkungen wollüstiger Vorstellungen sind andere als die des Ärgers, und auf andere Organe verteilt. Man hat gemeint, nicht der Freude allein gehöre das Lachen, sondern auch der Trauer, dem Ärger, der Verzweiflung, nicht dem Schmerze allein das Weinen, sondern auch der Freude, der Entzückung. Diese Behauptungen sind gewiß völlig falsch; was diesen Irrtum veranlaßt, das ist die Leichtigkeit, mit welcher in einem gebildeten, an allgemeinen Gesichtspunkten, an Erinnerungen, an sittlichen oder unsittlichen Gefühlen reichen Gemüte die einzelnen Zustände in einander übergehen, nach geheimnisvollen Beziehungen oft plötzlich und unerwartet sich in ihr Gegenteil verkehren, oder doch nie rein und ungetrübt, sondern mit zahlreichen Anklängen an entgegengesetzte Stimmungen auftreten. Kaum wird man es für wahrscheinlich halten, dass der unzivilisierte Wilde jemals vor Freude weinte; Lachen allein wird der natürliche Ausdruck seiner Stimmung sein. Wir dagegen, deren Bildungsgang unserer ganzen Auffassung der Welt und des Lebens einen eigentümlich, bald freudig, bald traurig, bald wehmütig angehauchten Hintergrund gibt, wir kommen allerdings leicht zu einer solchen Mischbarkeit und Versatilität der Stimmung, dass eine in die andere hinein scheint und die natürlichen Ausdruckweisen aller sich verschieben. So sind namentlich die Frauen den Freudentränen geneigt, da sie jede Erschütterung überhaupt schon als Störung empfinden; ein bedenkliches Zeichen zunehmender Nervenreizbarkeit ist es dagegen, wenn Männer auch bei freudigen Affekten eine leicht erregbare Rührung zeigen. Man sieht häufig diese Symptome ausbrechenden schweren Krankheiten vorangehen. Doch wenn wir selbst zugeben wollten, dass der Inhalt einer Stimmung in keiner Beziehung zu einem einzelnen Organ stehe, so müssen wir wenigstens dies festhalten, dass die verschiedene qualitative Natur der Erregungen auch verschiedene Rückwirkungen auf das Nervensystem im Allgemeinen äußern werde. Deprimierende Stimmungen mindern nicht allein die Größe körperlicher Funktionen, sondern indem sie Atmung, Zirkulation und Muskelbewegung herabsetzen, ändern sie dadurch mittelbar Verdauung und Ernährung in anderer Weise ab, als freudige excitirende Gemütsbewegungen, die das Spiel der Funktionen vielmehr begünstigen.

442. Wenn wir nun den dauernden Stimmungen einen spezifischen Einfluß auf einzelne Nervengebiete und Organe nicht absprechen möchten, so gilt doch dasselbe nicht unmittelbar von dem Höhenpunkte des Affektes, dessen körperliche Rückwirkungen gleichwohl die heftigsten und ausgebreitetsten sind. So wie auch das Fieber, als allgemeiner Reflex eines lokalen Leidens sich bei den verschiedenartigsten Ursachen zwar nicht gleich, aber doch überall in sehr ähnlicher Weise ausbildet, so auch im Affekt hauptsachlich die Größe der geschehenen Erschütterung von Wichtigkeit, während die spezifische Natur des Anstoßes, von dem sie ausging, erst später Zeit hat sich geltend zu machen. Daher müssen wir zugeben, dass der höchste freudige Affekt und der größte traurige im ersten Augenblick sehr ähnliche körperliche Erscheinungen, die Symptome der Überraschung überhaupt hervorbringen, obwohl wir kaum zugeben möchten, dass die Verschiedenheit beider vollkommen verschwindet, so lange nicht ihre Heftigkeit geradezu den Verlust des Bewußtseins herbeiführt. Die Reihe von Symptomen, auf welche das den Affekt erzeugende Gefühl gar keinen qualitativ bestimmenden Einfluß mehr hat, scheint mir im Gegenteil doch eng begrenzt zu sein und hauptsächlich in den Körperteilen zu suchen, deren Funktion keine sehr differente Mannigfaltigkeit des Ausdrucks gestattet. Zittern und Beben der Glieder sind die einzige Äußerung, durch welche das Muskelsystem des Körpers den höchsten Moment eines Affektes bezeichnen kann. Wenig günstiger verhalten sich die inneren Organe der Respiration und des Kreislaufs, doch steht ihnen wenigstens eine größere Variabilität ihres Rhythmus zu Gebote, um einigermaßen die verschiedene Natur der Gefühle auszudrücken. Ganz anders verhält es sich mit den Gesichtsmuskeln. Sie bilden ein System von so großer Lenksamkeit und Feinheit, dass eine Gemütserschütterung sich in ihnen nicht bloß durch eine typische Veränderung kund gibt; vielmehr wird man in ihnen auch die höchsten Momente eines freudigen Affektes von denen eines schmerzlichen noch unterscheiden können.

443. Im Allgemeinen sind nun die körperlichen Rückwirkungen, welche die Affekte begleiten, verschiedenen Ursprungs. Einige sind Erzeugnisse individueller Angewohnheit oder körperlicher Disposition; so haben nicht nur viele Menschen ihre eigenen seltsamen Gebärden, sondern auch bei Kranken pflegt der vorzugsweis leidende Teil oder die gestörte Funktion die Gewalt der Erschütterung am meisten zu erfahren. Andere Phänomene sind Gewohnheiten der Nachahmung; so weicht die nationalübliche Gebärdensprache der Südländer nicht nur in ihrer Heftigkeit, sondern auch in der Form des physiognomischen Ausdrucks beträchtlich von der der Nordländer ab. Andere Modifikationen führt die Bildung und die absichtliche Unterdrückung der unmittelbaren Nachwirkungen des Affekts herbei; viele Gebärden endlich sind nur verkleinerte Vorandeutungen der Handlungen, zu welchen die Stimmung bei freier Entwicklung und und größerer Steigerung treiben würde. Aber neben allen diesen Erscheinungen kommen unmittelbar von der Natur prädestinierte Ausdrücke der Gemütserschütterungen vor, deren Deutung bisher nicht ausreichend gelungen ist. Zwar in den unwillkürlichen Bewegungen des Affektes läßt sich oft ein sprechendes Bild der formellen Gemütslage sehen, die sie hervorbringt; die ungeregelten, zwecklosen und unzusammenhängenden Bewegungen verraten in allen Gemütserschütterungen die ähnliche Fluktuation der Gefühle und Vorstellungen, und innerhalb dieser allgemeinen Ähnlichkeit wird sich dennoch die Verlegenheit durch die linkischen Mitbewegungen, die der unschlüssige Wille und die schüchterne unentschiedene Innervation erzeugt, von dem Zorn und seinen gewaltsamen, kraftvollen, aber scharfen und eckigen Bewegungen, von der Freude mit ihren nicht minder lebhaften aber abgerundeteren und sanfter ineinander übergehenden, von der Trauer endlich mit ihren schwachen und bei aller Mannigfaltigkeit doch energielosen Gebärden unterscheiden. Aber diese Betrachtungen, deren Fortsetzung über das ganze Gebiet des willkürlich nachahmbaren mimischen Ausdrucks wir uns versagen müssen, sind jedenfalls unanwendbar auf jene Nachwirkungen des Affektes, die nicht in dem Muskelsysteme cerebrospinaler Nerven, sondern in dem Gebiete des Sympathicus auftreten. Die Schamröte, die Tränen, die Blässe der Furcht, das zusammenschnürende Gefühl, das im Ärger und Gram den Hals bedrückt, und so vieles Ähnliche würde nur gezwungen jene symbolische Deutung leiden, die man allerdings auch hier anzuwenden gesucht hat; endlich die Bewegungen selbst sind nicht alle nach jenem Gesichtspunkt erklärbar, und auch wo wir in ihnen ein treffendes Bild der innern Gemütszuzustände sehen, bedürfen sie doch nebenher einer mechanischen Erklärung, die uns lehrt, warum die Erschütterung sich auf einzelne Muskelgruppen mit besonderer Heftigkeit, auf andere viel weniger überträgt.

444. Neuere Bemühungen haben für die Erläuterung dieser Gegenstände einige interessante Grundlagen gegeben. Ich muß zuerst der Ausführung gedenken, welche Harless einem schon in früherer Zeit aufgestellten Satze gegeben hat, nach welchem die Gewalt des Affektes mit abnehmender Stärke die Nerven in der Reihenfolge trifft, in welcher sie den Zentralorganen der Seelentätigkeit näher oder entfernter aus Gehirn und Rückenmark entspringen. "Je intensiver die Erregung, um so ausgedehnter ist die Mitteilung derselben auf die dem ursprünglich erregten Zentralteil zunächst gelegenen Teile. Bei der höchsten Intensität des Affektes wird das motorische Zentralorgan in seiner ganzen Masse mit einem Male ganz gleich gereizt. Alle Muskeln geraten in Tätigkeit, die Antagonisten halten sich momentan vollkommen das Gleichgewicht, und die Erschütterung bewirkt einen Augenblick des Erstarrens, einen momentanen Zustand der Katalepsie." In der Tat ist analog dem plötzlichen Stillstand des Vorstellungsverlaufs bald die unbewegliche Festhaltung der eben eingenommenen Körperstellung, bald die einer neuen, in welche ein plötzliches Zusammenfahren uns versetzt, die gewöhnliche Gebärde des höchsten Affektes und ihr entspricht die Starrheit des Blickes durch die gleichzeitige Anstrengung aller Augenmuskeln, dem Affizierten selbst durch ein deutliches Gefühl der Spannung bemerklich. Geringere Grade des Affektes erregen nicht alle Muskeln in gleichem Grade. "Der oberste Bewegungsnerv ist der Oculomotorius; ihn wird jede Erregung zuerst treffen, in dem Blicke, der Bewegung und Stellung des Augapfels verrät sich am schnellsten jede leise Erschütterung des Gemüts. Ist der Impuls des Zentralorgans größer, so trifft er auf die Wurzeln der motorischen Portion des Trigeminus, und es entstehen in Folge dessen die Bewegungen der Kaumuskeln; dann aber durchwühlt der gesteigerte Affekt die Züge des Gesichts, indem der N. facialis die eigentlichen physiognomischen Muskeln kontrahiert; es runzelt sich die Stirnhaut, die Nasenflügel werden gehoben und um den Mund beginnt das Spiel, dessen wechselnder Ausdruck je nach der Art des Affektes durch die Menge der dort gelagerten Muskeln möglich wird. Endlich verbreitet sich die Erregung auf das Zentrum der Atembewegungen, die Respiration weicht vom normalen Rhythmus ab, und mit ihr zugleich verändert sich durch den Einfluß des Sympathicus, der in beschränkterer Ausdehnung früher vielleicht schon Veränderungen in dem Tonus der Gefäßhaut, Erröten oder Erblassen erzeugt hat, der Rhythmus der Herzbewegung. Endlich, wenn die Macht des Willens noch mehr getrübt wird, dann fallen auch die Nerven des Rückenmarks dem Spiele der unwillkürlichen Bewegung anheim, und der Rest willkürlicher Bewegungen ist in eine Reihe zugleich auftretender Mitbewegungen gehüllt. Arme und Füße geraten in lebhafte Bewegung und das Zerrbild der Leidenschaft, wie des ungebändigten Strebens, gibt sich in den Gestikulationen kund, die dann zugleich wieder jene niedrige Stufe der Bildung und Kultur, oder der Entwicklung verraten, wie sie das Kind oder die Wilden zeigen, von welchen letztern uns Reisende erzählen, dass alle ihre Gefühle, auch diejenigen, welche bei uns sich niemals auf die motorischen Nerven der Extremitäten erstrecken, sich bei ihnen in lebhaften und lächerlichen Gestikulationen derselben Luft machen." (Harless in Wagners HWBch. III, 1. S. 560. ff.)

445. In den verschiedenen Affekten ist inzwischen die Reihenfolge dieser Rückwirkungen nicht dieselbe; auch finden wir, dass nicht alle Muskeln der Glieder ohne Unterschied erregt werden, sondern entweder beständig oder abwechselnd treten gewisse Gruppen von Bewegungen auf In Bezug auf den letzten Umstand hat Harless eine Beobachtung von Engelhardt weiter verfolgt, nach welcher Reizung der obern Partie des Rückenmarks die untern Extremitäten streckt, Reizung der untern dagegen die untern streckt, die obern beugt. Das Rückenmark bestelle aus einzelnen hintereinander gelegenen Zentralpunkten, die unter sich durch Fasern in Rapport stehen, und von welchen die einen Beugung, die andern Streckung vermitteln; am Frosche und Kaninchen wisse man genau, am wievielsten Wirbel Streckung oder Beugung der obern oder untern Extremitäten durch Reizung des unter ihm gelegenen Markes hervorgebracht werde. "Verbreitet sich von oben nach abwärts die Erregung eines Affektes, so ist der erste Grad bezeichne durch Beugung in allen Extremitäten und Beugung des Rumpfes. Der zweite Grad charakterisiert sich dadurch, dass zwischen Beugen und Strecken eine Art Kampf eintritt, und beides, schnell abwechselnd, Zittern erzeugt. Der dritte Grad ruft Strecken der untern Extremitäten, Stampfen, festes Aufsetzen des Fußes gegen den Boden, gleichzeitig Beugen der obern Extremität hervor, die Faust ballt sich, die Arme werden angezogen und der Unterarm gegen den Oberarm bewegt. Im vierten Grade endlich Strecken der obern und untern Extremität, Strecken des Rumpfes bis zum Opisthotonus. Alle Affekte durchlaufen, vom geringeren zum heftigeren Grade fortschreitend, diese verschiedenen Formen der Bewegung an den obern und untern Extremitäten. In der Freude des Kindes zeigen sich die Flexoren immer in größter Tätigkeit; es klatscht in die Hände, drückt den Gegenstand seiner Freude an die Brust, springt in die Höhe, steckt den Kopf zwischen die Schultern; in großer freudiger Überraschung entsteht aus dem Kampfe zwischen Flexoren und Extensoren ein Kampf, der sich in dem Zittern vor Freude kund gibt, bis das Entzücken über eine plötzliche Lebensrettung z. B. oder dergleichen sich im Ringen der Hände, Strecken der Arme, Erheben des Hauptes kund gibt, an den untern Extremitäten aber die Flexoren die Übermacht über die Extensoren gewinnen und ein Zusammensinken in die Knie eintritt; endlich kann die Freude in ihrem höchsten Grad eine solche Erschütterung des ganzen Rückenmarks erzeugen, dass ein Erstarren, Strecken in den obern und untern Extremitäten eintritt. Dieselben Stadien durchläuft das zum Affekt gesteigerte Unlustgefühl. Der Kopf ist in der Traurigkeit gesenkt, die Hand gegen Brust oder Stirn gepreßt, bei dem Stehen versagen die Extensoren den Dienst, von den Flexoren überwunden, oder im Liegen werden im Schmerz die Schenkel gegen den Leib gezogen und der Fuß im Knie gebeugt. Dann steigert sich das Schmerzgefühl wieder bis zum Zittern, wie in der Angst, der Furcht und dem physischen Schmerz. Wenn das Schmerzgefühl sich bis zur beginnenden Verzweiflung erhöht, dann beginnt das Händeringen, das Ausstrecken der Arme, endlich das Aufspringen, Umherrasen, Stampfen der vollen Verzweiflung." (Harless, a. a. O. S. 602 ff.)

446. Hierin beständen die Folgen, die sich aus dem Höhengrade des Affekts und aus der einmal vorhandenen Struktur der Zentralorgane ableiten ließen. Nicht Alles ist dadurch erklärt; namentlich in dem Mienenspiel der Augen und des Mundes, in den Veränderungen des Atmens und der Stimme finden sich jene unzähligen Modifikationen, die den feinsten unsagbaren Verschiedenheiten der Gemütsstimmungen ihren Ausdruck geben. Schwerlich werden sie eine erschöpfende Erklärung überhaupt gestatten, doch lassen sich einige der Hauptpunkte angeben, die ein Versuch dazu würde berücksichtigen müssen. Gelänge es, an dem Ausdrucke eines Affekts sorgfältig Alles abzutrennen, was auf Gewohnheit und Nachahmung beruht oder nur die symbolische Andeutung einer Handlung ist, und dessen ist viel, so würde neben der Größe der Gemütsbewegung auch ihre qualitative Natur von Einfluß sein, und man würde nicht allein deprimierende von excitirenden Stimmungen zu unterscheiden haben, sondern auch solche, welche durch Geschwindigkeit und Veränderlichkeit der Impulse, die sie den Zentralorganen geben, sich auszeichnen, und andere, die weniger Grund zur Abwechslung der Phänomene enthalten. Man würde ferner die unvermeidliche Wirkung der verschiedenen Vorstellungskreise und Strebungen in Rechnung bringen müssen, welche die Gemütszustände hervorrufen; mancher von ihnen wird nicht allein auf die Form der Bewegungen, sondern auf die Wahl des Organes von Einfluß sein, in welchem sich heftigere Nachwirkungen zeigen sollen, und in dem ein neuer Mittelpunkt weiterer spezifischer Verbreitung der Erschütterung entstehen wird. Die Furcht ist ein erwartender, lauschender Affekt; mit dem Beben der Glieder, das sie der Erschütterung der Zentralorgane im Allgemeinen verdanken mag, verknüpft sich daher eine Stellung des Kopfes, eine Spannung der Ohrmuschel, ein Anhalten des Atmens, welche Erscheinungen alle in Strukturverhältnissen der Zentralorgane nicht präformiert sind, wohl aber vermöge solcher noch weiter wirken und Mitbewegungen der mannigfachsten Art hervorrufen können. Den Äußerungen des Zorns liegt überall der stillschweigende Wunsch zu Grunde, eine Verfügung zu haben über ein Objekt, das man von sich zurückstoßen möchte; deshalb fixiert der Blick den Gegenstand scharf und die Mienen es Gesichts sind dieselben, die bei angestrengter Accommodation des Auges für weite Entfernungen eintreten; um diese Entfernung symbolisch zu vergrößern, neigt sich der Kopf gegen den Nacken zurück. Die Liebe fixiert ihr Objekt nicht minder, aber nicht um es zurückzustoßen, sondern um in ihm aufzugehn, sie beugt das Haupt, und läßt die Augen bald in jene parallele Stellung übergehn, die ohne bestimmte Accommodation den träumerisch versunkenen Blick bezeichnet. Eine gewaltsame Exspiration verrät den Zornigen, die Inspiration steigert der Bekümmerte, jener mehr zur Ausstoßung eines Übels, dieser mehr zur ergänzenden Aufnahme heilender Reize disponiert, widerliche Bewegungen der Lippen, denen bei gierigem Schmecken analog, begleiten wollüstige Stimmungen, eine leichte Öffnung des Mundes bezeichnet das Aufgeben des persönlichen Selbstgefühls, und ist der Ausdruck des Wohlwollens, mit welchem griechische Götterstatuen auf den blöden Bewunderer herabsehen, der sie mit einer minder schönen Übertreibung derselben Miene betrachtet. So geht neben der physischen Erschütterungsgröße auch der intellektuelle Wert gemütlicher Zustände in äußerliche Gebärden über; Verhältnisse, deren weitere Durchforschung wir hier aufgeben müssen, doch nicht ohne auf die ausgedehnten Untersuchungen hinzuweisen, die Harless auch über sie von mehr physiologischem Standpunkt aus unternommen hat, die jedoch einer kurzen Wiederholung nicht wohl fähig sind. (A. a. O. S. 663 ff.)

447. Ein großer Teil der Affektäußerungen hängt jedoch nicht unmittelbar von jenem intellektuellen Werte der Gemütszustände ab, sondern ohne Zweifel von einer somatischen Rückwirkung, die sie in den Zentralorganen oder einzelnen Nerven erzeugen, deren Natur und Entstehungsgeschichte uns jedoch sehr dunkel bleibt. Zu ihnen gehören das Gähnen, das Lachen, das Weinen, die Schamröte und Ähnliches. Wir müssen über diese Phänomene mit Domrich behaupten, "dass die Nähe oder Entfernung der einzelnen Nervenfaserursprünge von dem Herde der die Vorstellungen begleitenden organischen Veränderungen nicht der Grund sein kann, warum man in der Trauer weint und in der Freude lacht, denn in beiden Fällen werden ja fast dieselben Nerven, nur in anderer Weise, affiziert. In dieser besondern Art der Erregung, welche die organischen Herde des Vorstellens anders in der Freude, anders in der Trauer erfahren, müssen wir den Grund für diese Eigentümlichkeit der sekundären Veränderung sensibler und motorischer Nerven finden. Die Angabe dessen, worin in beiden Fällen die Verschiedenheit der organischen Veränderung selbst besteht, muß sich freilich auf Vermutungen beschränken. Am nächsten liegt die Vergleichung mit dem durch Hautkitzel bewirkten Gelächter. Bei diesem physisch erregten Lachen sind es schwache, in kurzer Zeit öfters wiederkehrende mechanische Reize, beim psychisch erregten sind es unerwartet eintretende Vorstellungen und Vergleichungen, witzige Anspielungen und dgl. Wie aber das spielende Vergleichen kontrastierender Vorstellungen nun gerade diese Gruppen motorischer Nerven auslöst, ist schließlich ebenso wenig zu begreifen, als warum dies gekitzelte sensible Hautnerven tun. Die Entstehung der Lachkrämpfe hysterischer Frauen nach Erkältung der Füße und Ähnliches weist außerdem auf noch anderweitige Erregungsweisen hin, deren nähere Verhältnisse uns ebenso vollständig unbekannt sind." (Domrich, die psychischen Zustände. S. 243.) Bekannte physiologische Versuche zeigen, dass durch Reize jeder Art und an jeder Stelle des sensiblen Nervengebietes die Atembewegungen hervorgerufen und ihr Rhythmus verändert werden kann. Lachen, Seufzen, Schluchzen, Gähnen müssen wir daher als Reflexbewegungen ansehen, die von genau bestimmten Erregungsweisen der Medulla oblongata ausgehn. Diese Erregungen können bald von körperlichen Reizen hervorgebracht werden, bald vermag eine intellektuelle Stimmung sie in diesem Zentralorgan zu erzeugen. Dass daher die Respirationswerkzeuge eines der beweglichsten Mittel leidenschaftlichen Ausdrucks sind, kann uns nicht befremden; rätselhaft jedoch bleibt es allerdings, welches die Form der Erregung sein mag, in welcher sich die körperlichen und die geistigen Impulse, welche dieselbe Abänderung der Respiration hervorbringen, unter einander gleichen.

448. Das Weinen gehört einer Reihe von Rückwirkungen an, die wir auch sonst auf Gefühle folgen sehen. So wie die Vorstellung eines sauren Geschmacks eine Absonderung der Speicheldrüsen, der Anblick eines ekelhaften Gegenstandes Erbrechen, ein plötzlicher Schrecken beschleunigte wässerige Ausscheidungen der Nieren und des Darmkanals, sexuelle Vorstellungen endlich ähnliche Vorgänge in den Genitalien hervorbringen, so sehen wir unter dem Einflusse physischer Schmerzen sowohl als intellektueller Unlustgefühle die Tränen hervorbrechen. Es scheint, als läge ihnen hauptsächlich eine Erregung der sensiblen Zweige des Trigeminus zu Grunde. Auch äußere Reize der Conjunctiva des Auges, der Schleimhaut der Nase bringen den Tränenfluß leicht hervor und wir finden, dass bei entstehender Rührung durch ermahnende Vorstellungen oder durch sentimentale Erzählungen sich sehr häufig ein die Feierlichkeit des Momentes störendes Wackeln der Nasenspitze und der Lippen bemächtigt; eine kitzelnde Empfindung in der Nasenschleimhaut geht gewöhnlich auch hier dem Tränenerguß voran. Auch der Gedanke an den Biß in eine Zitrone ruft häufig dem Speichelfluß vorangehend eine scharfe reißende Empfindung in der Gegend der Parotis hervor; ebenso leitet Kitzel den Husten und das Niesen ein. Kaum dürften wir daher das Weinen als eine unmittelbare Folge der Gemütsstimmung ansehen und müssen es vielmehr für die sekundäre Wirkung einer Erregung sensibler Nerven halten.

449. unter allen Phänomenen der Gemütsbewegung hat die Schamröte die meisten Erklärungsversuche hervorgerufen; sie sind so verwickelt ausgefallen, dass ihre Erwähnung an diesem Orte unmöglich wird, und ich glaube, dass man hier der Schwierigkeiten mehr gesehen hat, als vorhanden sind. Die mechanische Erklärung dieser eigentümlichen Congestion verlangt keine andere Voraussetzung, als die, dass die Kapillargefäße unter dem Einflusse einer Nervenerregung erweitert werden. Wir kennen diesen Vorgang als eine gewöhnliche Folge der Reizung sensibler Nerven und werden ihn daher überall da erwarten, wo die Nerven eines Hautgebietes leicht den intellektuellen Reizen zugänglich und zugleich die Struktur der Gefäße hinlänglich geeignet ist, den Effekt jener Erweiterung sichtbar zu machen. Beides findet in der Gesichtshaut statt. Nicht nur unterliegen die Fäden des Trigeminus einer Erregung durch Gemütszustände sehr leicht, wovon die eben erwähnte Erscheinung des Weinens ein hinreichendes Beispiel gibt; auch die Lage der Gefäße ist von der Art, dass gerade hier die Erweiterung der Capillaren eine bedeutende Veränderung des Kolorits erzeugen kann. Worin immer die Umstände liegen mögen, die diesen Erfolg begünstigen, wir sehen ihn auch unter andern Bedingungen auftreten, die nichts mit Gemütsbewegungen gemein haben. Der Reiz der Luft, die Erschütterung der Bewegung, das Fieber rötet die Wangen, aber selten und nur bei großer Gewalt der Ursachen andere Teile der Haut; nur Nacken und Hals ist in Personen, bei denen zarte Haut und große Reizbarkeit der Nerven sich verbinden, der Weiterverbreitung dieser Kongestionen leicht ausgesetzt. Es bedarf daher kaum einer Erklärung für die lokale Beschränkung, in welcher die Schamröte auftritt, und die verwickelten hydraulischen Künste, die man aufgeboten hat, um das Nichterröten der Hände und der Füße zu erklären, scheinen mir unnütz in Bewegung gesetzt. Unbekannt dagegen sind wir auch hier mit dem eigentümlichen somatischen Effekt, durch den der Gemütsstimmung diese bestimmte Anregung der sensiblen Nerven gelingt. Denn sie ist nicht Anregung überhaupt; der Schamröte gegenüber steht die Blässe der Furcht, das abwechselnde Kolorit der Verlegenheit und der zweifelnden Erwartung. (Vgl. Domrich, Harless, a. a. O. H a g e n , psychologische Untersuch. 1847.)

450. Wir haben endlich der Rückwirkungen zu gedenken, welche Stimmungen und Affekte auf die vegetativen Verrichtungen äußern. Wie die Höhe der Affekte eine Menge Sekretionen anregt, haben wir erwähnt; dass sie die chemische Beschaffenheit derselben verändern können, lehren die Vergiftungen der Milch durch Zorn und andere heftige Überraschungen; ebenso mögen langdauernde deprimierende Stimmungen, obgleich wohl noch mittelbarer, auf die Mischung der Verdauungssäfte umstimmend wirken. In andern Fällen sehen wir dem Affekte Retentionen der Aussonderungen folgen; Galle wird im Blute zurückgehalten im Ärger, secernirte wieder absorbiert; die gutartige Eiterung von Wunden stockt zuweilen nach heftigen Gemütserschütterungen. Unter allen starken Affekten leidet die Ernährung, und wenn Freude weniger abmagert, der Gram dagegen nach dem Ausdruck des Dichters fett macht, so wissen wir, dass heitere Gemütsbewegungen sich nie so lange auf der Höhe eines anstrengenden Affekts halten, als die traurigen, und dass nur durch eine Störung der assimilativen Funktionen die letztern jene krankhafte Zunahme der Körpermasse bedingen. Die Züge des Gesichts und die Haltung des Körpers ändern sich unter dem doppelten Einfluß, den die Stimmung auf die Ernährung und auf die Kraft und Übung der Muskeln ausübt; vielseitige Beweglichkeit des Geistes und Weckung des Gemüts veredeln die Gesichtszüge, und diese glücklichen Ergebnisse der Bildung pflanzen sich erblich in Familien und Nationen fort. Ob über diese allgemeinen Nachwirkungen hinaus der Einfluß der Stimmungen in Erzeugung größerer Krankheiten noch spezifische Richtungen einschlägt, ist zweifelhaft. So sichtbar die Verwüstungen des Körpers durch Gemütsleiden sind, so ist es doch schwer, bestimmte Krankheitsformen als Folgen bestimmter Affekte nachzuweisen. Die meisten chronischen Körperkrankheiten sehen wir nach langer Dauer in dieselben Auflösungsformen, Schwindsucht, Atrophie, Wassersucht, Marasmus übergehen; ebenso scheint die spezielle Natur der Stimmung im weitern Verlauf ihre Kraft zu verlieren; allgemeine Erregung oder Depression des Nervensystems, Störungen der Ernährung, Herzfehler, Tuberkulose, Desorganisationen des Magens und Darmkanals sind die gewöhnlichen Endformen ihrer längeren Einwirkung. Und auch von ihnen bleibt zweifelhaft, wie weit sie Effekte der Stimmungen sind, und nicht als schon vorher vorhandene Dispositionen durch den Anstoß der Gemütserschütterungen nur weiter entwickelt werden.