§. 37.
Vom Selbstbewußtsein und der Aufmerksamkeit.

417. Eine vollständige Erläuterung unserer Weltauffassung schließt nicht nur die Beziehung unserer Sinneswahrnehmungen auf ein räumliches Außen, sondern auch die Erklärung der Tatsache ein, dass wir mit scharfem Gegensatze diese äußere Welt von unserem eigenen Selbst abtrennen. Zwei Fragen sind es, welche eine Theorie des Selbstbewußtseins zu beantworten hat: zuerst, woher uns der Inhalt kommt, den wir als die Bezeichnung unseres eigenen Ich zu fassen uns gewöhnen, dann aber ferner, was uns bewegt, gerade diesen Inhalt von allem übrigen Denkbaren nicht nur wie ein Objekt von einem andern, sondern auf absolute Weise zu unterscheiden. Die Aufstellung beider Fragen setzt voraus, dass wir zur Kenntnis unsers eignen Ich und zu dem Selbstbewußtsein formell auf keine andere Weise gelangen, als in welcher wir uns auch die Vorstellungen äußerer Gegenstände ausbilden; sie würden beide überflüssig sein, wenn der Gegensatz des eignen Wesens zu der äußern Welt eine ursprüngliche Tatsache des Bewußtseins wäre. Analysieren wir nun den Begriff des Ich, und seine gewöhnliche Definition, die Identität des denkenden Subjektes mit dem gedachten Objekte zu sein, so mögen wir zwar zugeben, dass das, was wir mit diesem Namen des Ich zu bezeichnen meinen, in der Tat das Wesen unserer eigenen Seele ist; hieraus aber folgt nicht, dass das Bild dieses Wesens, das wir im Selbstbewußtsein wirklich gewinnen, dem ähnlich sei, was es darstellen soll. Indem die Seele sich selbst erscheint, kann es ihr begegnen, dass die Vorstellung, welche sie sich von sich selbst entwirft, weit von dem abweicht, was in der Tat ihr wahres Wesen bildet, und eine wissenschaftliche Reflexion, wenn sie vielleicht auch selbst außer Stand ist, dieses Wesen deutlich zu bezeichnen, kann doch leicht fähig sein, die Unangemessenheit des Inhalts nachzuweisen, den wir in dem natürlichen Verlaufe des Selbstbewußtseins als den Charakter unsers eigenen Selbst zu betrachten gewohnt sind. Wollten wir die Vollkommenheit des Selbstbewußtseins danach messen, ob die in ihm enthaltene Vorstellung des Ich dem vorzustellenden Wesen der Seele entspricht, so würden wir offenbar eine große Menge verschiedener Entwicklungsstufen desselben voraussetzen müssen. Nach dem Grade der erlangten Bildung würde die fortschreitende Selbstkenntnis eine unaufhörliche Umgestaltung des Begriffes vom Ich zeigen, bis sie, aus der natürlichen Reflexion in die Wissenschaft übergehend, mit derjenigen Anschauung von ihm schlösse, welche die Psychologie als die letzte der menschlichen Erkenntnis überhaupt erreichbare bezeichnen müßte. Aber von diesem Reichtume und der treffenden Ausführung des Bildes, welches die Seele sich von sich selbst entwirft, ist die Energie und Innigkeit der Zurückbeziehung unabhängig, mit welcher der Inhalt dieses Bildes von allem Andern absolut unterschieden gefühlt wird. Der geringste Wurm, wenn er getreten sich krümmt, unterscheidet im Schmerze sein eigenes Leben von dem Dasein der übrigen Welt in ebenso kraftvoller Weise, als in welcher der gebildete Geist sich als Ich dem äußern Nicht-Ich gegenüberstellt. Dennoch mag die Vorstellung, die der Wurm von sich selbst hat, an Klarheit und Vollkommenheit des Bildes kaum die Gedanken erreichen, die in unserer Seele, der Aufmerksamkeit abgewandt, halb unbewußt vorüberziehen. Und wir Menschen selbst können uns nicht zuschreiben, von unserem Wesen eine natürliche oder auch nur eine im Laufe der Bildung bis zur Vollkommenheit entwickelte Vorstellung zu besitzen; die volle Energie, mit der wir unser eigenes Selbst von der Außenwelt unterscheiden, geht auch in uns Hand in Hand mit einer größeren oder geringeren Unwissenheit über die Natur unseres Wesens. Auf welcher der zahlreich verschiedenen Stufen daher auch immer der Ausbildung seines Inhalts nach ein Selbstbewußtsein stehen mag, so folgt daraus nichts in Bezug auf die Kraft und Intensität, mit der es formal die Coincidenz dieses Inhalts mit der Natur der eignen Seele behauptet.

418. Es liegt nicht in unserer Absicht, einer philosophischen Psychologie vorzugreifen und hier die verschiedenen Entwicklungen zu schildern, welche der Inhalt des Selbstbewußtseins teils im Laufe der alltäglichen Erfahrung des Lebens, teils in der ausdrücklichen Bearbeitung durch wissenschaftliche Reflexion erfahrt. Wir begnügen uns darauf hinzudeuten, welches Übergewicht notwendig in allen unsern Erinnerungen sehr bald das Bild unsers eignen Körpers über alle andern Vorstellungen erhalten muß. Welche Wahrnehmung auch unser Gedächtnis reproduzieren mag, es bringt immer zugleich das Bild des Körpers wieder, und die Bewegungen, durch die er die einzelnen sinnlichen Wahrnehmungen, so wie ihre bestimmte Reihenfolge hervorbrachte; überall erscheint er uns als dasjenige Gebiet, bis zu welchem alle äußern Reize sich erstrecken müssen, um Vorstellungen zu erzeugen, und über welches umgekehrt die Vorstellungen eine unmittelbare bewegende Kraft besitzen, welche sie auf die übrige Welt nur durch seine Vermittlung ausüben. Zugleich sind es die Grenzen des Körpers, innerhalb deren allein der Anstoß der Reize Lust und Schmerz hervorruft, und diese räumliche Oberfläche, welche den Sitz des Interesses von dem Bereiche der Gleichgültigkeit in der übrigen Welt abtrennt, ist am meisten geeignet, der Vorstellung des Leibes ihre beständige Wichtigkeit zu sichern. Doch lehren sehr einfache Erfahrungen schon die Tiere, dass der Körper nicht identisch mit dem Leben sei, sondern seiner beraubt werden könne, noch mehr wird die lebhaftere Reflexion des Menschen durch diese Beobachtungen zu einer Veränderung ihres Selbstbewußtseins genötigt; ohne eine bestimmtere Passung des Verhältnisses wird sie doch die Seele nur als einen Mittelpunkt ausgehender und ankommender Wirkungen betrachten, der nicht zusammenfallend mit dem Körper, doch stets nur durch ihn und sein bewegtes Bild für unsere Erinnerung Anschaulichkeit erhält. Mit einer so unvollkommnen Auffassung begnügt sich ohne Zweifel der größte Teil der Menschen; sie wird nur dadurch einigermaßen bereichert, dass auch die Ereignisse der Innern Erfahrung, die Gefühle, die Leidenschaften, die Bestrebungen an jenen an sich selbst dunklen Mittelpunkt geknüpft werden. Der weitere Fortschritt der Bildung sucht die abstrakten allgemeinen Begriffe, die über die Natur der Dinge überhaupt gewonnen worden sind, zur Aufklärung auch dieses noch unbestimmt gelassenen Verhältnisses zwischen Körper und Seele zu benutzen; die Namen eines Dinges, einer Substanz, eines übersinnlichen, immateriellen Wesens, einer intellektuellen Monade werden allmählich gebraucht, um der Vorstellung der Seele selbst eine schärfere Zeichnung zu geben, während zugleich ihre Wechselwirkung mit dem Körper nach Prinzipien der Kausalität und den Grundsätzen der Metaphysik und der Naturwissenschaft erläutert wird. Aber alle diese Versuche, zu größerer Klarheit zu gelangen, liegen über den Umfang des natürlichen, unbefangenen Gedankenganges hinaus und können nicht Gegenstände unserer jetzigen Betrachtung sein. Sie führen im Gegenteil von dem Ziele unserer Betrachtung ab, denn indem sie jene allgemeinen Vorstellungen vom Wesen der Dinge zur Erklärung heranziehen, sprechen sie nur von dem Wesen der Seele, nämlich von jener geistigen Natur, die allen Individuen gemeinsam ist, nicht aber von der Natur des Ich. durch welche jede Seele sich von allen anderen unterscheidet.

419. Indem nun die Reflexion jenen spezifischen Charakter des individuellen Ich wiederzufinden sucht, durchläuft sie einen zweiten Kreis von Wandlungen, dessen wir ebenfalls hier nur vorübergehend gedenken dürfen. Die körperliche Gestalt, das eigentümliche Gemeingefühl der Größe, Kraft und Elastizität unseres Lebens, die Summe unserer Lebenserinnerungen, die Vorstellung unserer Situation in der Welt und der Gesellschaft, das Alles ist es, worauf unser Nachdenken zunächst fällt, und woraus wir jenes empirische Ich zusammensetzen, das uns in der Tat vollkommen zureichend von jedem Andern unterscheidet. Aber wenn auch zureichend, so doch nicht auf rechtmäßige Weise, wie wir meinen; denn alle diese Züge, die es enthält, sind ja doch nur Äußerlichkeiten, die nicht unser wahres Wesen bilden. Wir wollen nicht das, was wir sind, als Geschöpfe von Ereignissen sein, die auch anders hätten kommen können; in unserm eignen Innern müssen wir daher Züge von ursprünglicher Natur aufsuchen, die uns nicht erst durch das Leben und den Lauf der Umstände angebildet sind, aus denen vielmehr in jeder Lage der Umstände, die möglicherweis hätte eintreten können, doch immer eine im Wesentlichen sich gleiche Individualität entwickelt haben würde. So geht man denn zurück auf die allgemeineren Eigentümlichkeiten der angebornen Talente, Neigungen, Stimmungen, auf Temperament und ursprüngliche Richtung der Phantasie, auf die ganze ästhetische Art unsers Daseins, die im Vergleiche mit den Einzelheiten unserer empirischen Lebensgeschichte allerdings als ein verhältnismäßig Ursprüngliches, der Natur unserer Seele Eigentümlicheres erscheinen kann. Dennoch zeigt uns weitere Überlegung bald, dass ein großer Teil auch dieser Eigenschaften nur auf unbeobachtete Weise sich aus eben jenen verschmähten Einzelheiten unsers Bildungslaufes niedergeschlagen hat, während ein anderer, auf angebornen Spezialitäten unserer Organisation beruhend, uns zu erneutem Widerspruch aufregt. Denn auch angeborne Talente, was sind sie anders, als eine uns von der Natur aufgedrängte Bestimmung unsers Wesens, begünstigend zwar nach einer Seite hin, nach einer andern aber stets auch beschränkend und in jedem Falle doch nur etwas im Ich, was nicht Wir selbst ist. So entspinnt sich jene abenteuerliche Sucht, das Ich als vollkommen bestimmungslos von Natur, als bestimmt nur durch seine eigene freie Tat zu denken; eine Phantasie, deren weitere Verfolgung die physiologische Psychologie von sich ablehnen kann. Denn im natürlichen Laufe des Lebens kommen wir stets auf das ursprüngliche, zuerst verschmähte empirische Ich zurück und betrachten seinen Inhalt als den Ausdruck unserer Individualität, indem wir die Zweifel über das Verhältnis des uns Angebornen zu Uns selbst einzelnen Stunden spekulativer Grübelei überlassen.

420. Das Verlangen, den Anteil zu bestimmen, den an der Gestaltung unsers Selbstbewußtseins körperliche Bedingungen haben, führt uns hier vielmehr zu der andern Frage nach dem Grunde über, der uns den Inhalt des empirischen Ich in jener absoluten Weise von allem andern Denkbaren unterscheiden läßt. Was wir oben anführten, rechtfertigt zwar ein besonderes Gewicht, das auf die Vorstellung unsers Körpers gelegt wird, dennoch erscheint er, so wie die Gesamtheit der Erinnerungen, die sich mit seinem Bilde assoziieren, doch nur als ein beständiges, unvermeidliches Element unsers sinnlichen Lebens, aber deswegen noch nicht inniger mit dem denkenden Subjekte verbunden, als andere Vorstellungen, welche die Erfahrung uns gleichfalls mit großer Beständigkeit zuführt. Würde er auch als primus inter pares vor andern Gegenständen hervorstechen, so läge doch noch immer kein Motiv vor, ihn für mehr, als für ein Objekt unter andern Objekten zu nehmen. Gehen wir umgekehrt von dem Satze aus, Ich sei das Subjekt, das für sich selbst Objekt wird, so fragt sich, welche der vielen Seelen, die diesen Charakter teilen, nun oben unser Ich sei? Natürlich wird man antworten: diejenige, welche eben Subjekt und Objekt unseres Gedankenlaufes ist. Welches aber ist unser Gedankenlauf? Noch ehe wir irgend einen Inhalt für unser Ich anzuerkennen im Stande sind, müssen wir offenbar schon beurteilen können, was unser ist, und nicht umgekehrt kann hierüber durch eine vorgängige Definition des Ich entschieden werden. Denn wie genau und zutreffend wir auch alle die eigentümlichen Züge beschreiben möchten, durch die unsere Seele wirklich sich von allen andern unterscheidet, so würde doch jedes Motiv fehlen, die so gewonnene Vorstellung unsers Ich für etwas anders, als für ein ganz gleichgültiges Gemälde irgend eines Objektes anzusehen, und ein Zustand, der als dieser Seele angehörig nachgewiesen werden könnte, würde darum noch nicht als der unsrige empfunden werden müssen. Auf beiden Wegen kommen wir dahin, als notwendige Bedingung jedes Selbstbewußtseins ein unmittelbares Interesse vorauszusetzen, welches wir an dem Inhalte nehmen, den unser Gedankenlauf uns als unser eigenes Ich bezeichnet; und diese Teilnahme folgt nicht erst als Konsequenz auf die Anerkennung jenes Inhalts, sondern sie begleitet ursprünglich seine Auflassung und macht es allein möglich, das, was wir in ihm denken, nicht nur als ein Objekt von andern, sondern in jener innigen Zurückbeziehung als Bild unserer selbst von allen Objekten absolut zu unterscheiden.

421. Ohne auf mancherlei Zweifel einzugehn, die von philosophischer Seite her über diese Verhältnisse erhoben werden könnten, suchen wir unsere Ansicht für unsern gegenwärtigen physiologischen Standpunkt zu verdeutlichen. Eine rein intelligente Seele, der jede Spur des Gefühles abginge, würde gewiß im Stande sein, ihr eignes Wesen eben so deutlich, als wir das unserige, zu erkennen; auch würde ihr die Wahrnehmung nicht schwer fallen, dass dasjenige, was sie auf diese Weise erkennt, dasselbe Wesen ist, welches eben diese Überlegung über sich selbst ausführt; aber wenn auch hiermit in der Tat eine Selbstspiegelung des Subjektes erreicht wäre, so würde doch keineswegs das erlangt sein, was wir in unserm wirklichen Leben mit dem Namen des Selbstbewußtseins bezeichnen. Denn für jene nur intelligente Seele würde ihr eigenes Wesen in der Tat sich so objektivieren, dass sie von ihrer Identität mit sich selbst eine völlig gleichgültige theoretische Vorstellung entwürfe, nicht anders, als handelte es sich um irgend ein sonderbares Coincidenzverhältnis zwischen zwei fremden Substanzen. Und wie sehr auch hierbei die Kenntnis festgehalten würde, dass diese beiden sich einander auffassenden Wesen identisch seien mit dem Subjekte, für welches dies Verhältnis ein Gegenstand des Bewußtseins ist, so würde doch diese theoretische Kenntnis des ganzen Verhaltens weit von jener Energie und Innigkeit entfernt bleiben, mit welcher wir in unserm wirklichen Selbstbewußtsein das Zusammenfallen unserer Vorstellung mit unserm eignen Wesen empfinden. Eine solche unmittelbare Evidenz der Identität zwischen Denkendem und Gedachtem kann nur durch die Gefühle entstehen, welche die Tatsache des Selbstbewußtseins begleiten. Nicht indem jenes Zusammenfallen gedacht, sondern indem das gedachte zugleich in dem unmittelbaren Werte, den es für uns hat, gefühlt wird, begründet es unser Selbstbewußtsein und unterscheidet dieses von der Vorstellung eines andern Selbstbewußtseins, das wir andern Seelen ebenso wie der unserigen zuerkennen. Dem Inhalte des Ich aber diese Teilnahme zuzuwenden, reichen einfache sinnliche Gefühle ebensowohl aus, als jene feiner gegliederten intellektuellen, durch welche entwickeltere Geister zugleich den Wert und das eigentümliche Verdienst ihrer Persönlichkeit sich zur Anschauung bringen. Deswegen konnten wir behaupten, dass ein getretener Wurm in seinen Schmerzgefühlen sich energisch von der Außenwelt unterscheidet, wie geringfügig auch und armselig seine Vorstellungen über sich selbst wie über diese sein mögen; dagegen würde die reine gefühllose Intelligenz eines Engels zwar vielleicht scharfe Anschauungen des verborgensten Wesens der Seele und der Dinge entwerfen, von dem Werte und der Größe des Unterschieds dagegen zwischen Ich und Nicht-Ich kein Verständnis haben. Das Selbstbewußtsein gilt uns daher nur für eine theoretische Ausdeutung des Selbstgefühls, dessen vorangehende und ursprünglichere Evidenz durch die Ausbildung der Erfahrung nicht in ihrer Intensität gesteigert, sondern nur allmählich an immer deutlichere Beziehungspunkte geknüpft wird, indem wir die unbekannte Seele, die in ihm sich selbst erfaßte, durch immer vollkommenere Begriffe denken lernen.

422. Jene Gefühle nun, durch welche unsere eigenen Zustände sich uns charakterisieren, haben ihre Ursprünge sowohl in dem geistigen Innern der Seele selbst, als in den Mitwirkungen ihrer körperlichen Organe. Indem wir unsere Erinnerungen durchlaufen, ihres intellektuellen Wertes, der Beeinträchtigung oder Begünstigung gedenken, die unserm Wesen durch die Ereignisse des Lebens zu Teil wurde, indem wir ferner Stimmungen und Strebungen reproduzieren, deren Beziehungspunkte lediglich in einer sittlichen Weltordnung liegen, wird unser Gedankenlauf von einem unaufhörlichen Wechsel der Gefühle begleitet, durch welche unsere innere Vorstellungswelt als uns angehörig, und wir als das Lebendige und Strebende in ihr erscheinen. Daneben aber wird unser Selbstbewußtsein auch durch körperliche Gefühle mitbestimmt, und sie sind es, denen wir hier noch einige Worte widmen müssen. Jene Vermutung, nach welcher wir dem Verlaufe der Vorstellungen eine nachklingende Erregung auch der Zentralorgane folgen ließen, haben wir nicht allein aufgestellt, um durch sie die größere Belebung der Erinnerung zu begründen, deren die Seele wenigstens in Bezug auf den Inhalt sinnlicher Wahrnehmungen zu bedürfen schien; auch dazu sollte sie vielmehr führen, dass mit dem Wiederauftauchen jeder Vorstellung eine klarere Erinnerung der körperlichen Gefühlserregung wieder einträte, die im Augenblicke der wirklichen Empfindung mit ihr verbunden war. Die Gesundheit des geistigen Lebens erfordert dies, dass nicht allein Deutlichkeit und Ordnung in der äußerlichen Aufeinanderfolge der Vorstellungen herrsche, sondern dass jeder Inhalt zugleich den Gefühlswert reproduziere, der ihm zukommt. Nicht allein vermöge seiner theoretischen Klarheit und Stärke, oder vermöge der Assoziation die zwischen ihm und andern sich eingestellt haben, wird ein Eindruck auf den Lauf der Erinnerungen seinen Einfluß ausüben; ein großer Teil seiner Fähigkeit hierzu beruht vielmehr in der Größe der Gefühlsaffektion, die er wieder erzeugt. Durch sie regt er bald beträchtlicheres, bald geringeres Streben des Gedankenlaufs an, zu neuen Eindrücken überzugehn, erregt durch sie ferner das Anklingen allgemeinerer Stimmungen, mit denen wieder Gedankenkreise von eigentümlichem Inhalt auftauchen. Und von diesem affektiven Werte der Erinnerungen vermuten wir nun, dass er wesentlich unterstützt wird durch die Lebhaftigkeit, mit welcher der Vorstellungslauf auf die Zentralorgane zurückwirkt, und durch die Reizbarkeit, mit welcher diese die Übereinstimmung oder den Widerstreit der ihnen mitgeteilten Erregungen mit den Bedingungen ihrer Funktion und ihrer momentanen Stimmung vergleichen. Nicht einzelne hervortretende Gefühle von großer Intensität sind es, von denen wir die Begründung und Festhaltung des Selbstbewußtseins erwarten, sondern eben dieser ununterbrochene gleichmäßige Strom der Teilnahme an uns selbst, in welchen uns die stets mit Empfindungen und Vorstellungen sich verknüpfenden leisesten Regungen des Gefühls hineinziehen.

423. Wir haben bei Gelegenheit der Analgie bereits erwähnt, dass krankhafte Zustände vorkommen, welche die Klarheit des Selbstbewußtseins durch Aufheben jener beständigen Gefühle trüben. Wir fügen dem dort Geäußerten die Schilderung hinzu, welche Harless von den Wirkungen der Ätherdämpfe aus eigner Beobachtung gegeben hat, und in welcher dieselbe Ansicht, die wir hier vertreten, auf scharfsinnige Weise den Erscheinungen angepaßt ist. "Das Verhältnis des Bewußtseins zum Selbstbewußtsein trat am klarsten zur Zeit des allmählichen Erwachens hervor, und zwar das eine Mal auf eine höchst beunruhigende Weise. Nachdem die Sinnesnerven aus ihrer Lethargie erwachten, und die Wirkungen der Außenwelt dem Sensorium zuzuleiten begannen, so erkannte ich, da bei mir der Sehnerv zuerst wieder für Lichtreize empfänglich wurde, die Personen, die ich vor dem Eintritte der Narkose um mich gesehen hatte, während ich einen dritten bei ihnen vermißte; ohne eigentlich zu ahnen, dass ich selbst dieser dritte sein müßte, konnte ich bei dem Erwachen aus einer zweiten Narkose meine Persönlichkeit durchaus nicht von der einer andern Person, auf die mein erwachendes Auge fiel, trennen. In jenem Fall war schon ein Kampf, möchte ich sagen, zwischen dem objektiv Wahrgenommenen und der ihrer leiblichen Grenzen sich noch nicht recht bewußten Seele eingeleitet; es war nämlich schon das Gefühl der Unlust an diesem Zustande der Ungewißheit über das eigene Dasein vorhanden und ein Streben, diese Ungewißheit aufzuheben. Das zweite Mal aber, wo ich weder Unlust noch Streben halte, das Selbstbewußtsein zu erringen, sah ich ganz gleichgültig mich selbst in den gesehenen Personen oder ihre Erscheinung in mir aufgehen, ohne natürlich dieses Gefühl zu besitzen, dass ich zu jenen in einem bestimmten Verhältnisse stehe, das ihre Leiblichkeit von der meinen scheidet. Das ist jener Zustand der vollkommnen Apathie oder des Blödsinns, ein Zustand, der kaum in der Tierseele anzunehmen ist, indem diese sich nicht mit der Außenwelt verwechselt. Deutlich erinnere ich mich noch der Überraschung, als ich ein Paar Augenblicke später, wo sich schon Objektives und Subjektives klarer von einander schied, in einen Spiegel sah und in diesem Moment erst völlig zum Bewußtsein kam." (Harless und v. Bibra, die Wirkung des Schwefeläthers 1847. S. 24.) Dass nicht allein die Narkose durch Ätherinhalation diese Trübungen des Selbstgefühls herbeiführt, haben wir früher bereits erwähnt; sie mögen in verschiedenen Graden ziemlich häufige Zufälle in Nervenkrankheiten und Seelenstörungen sein, in denen wir das natürliche Interesse, welches der Gesunde an sich und der Außenwelt nimmt, oft in so befremdlicher Weise vermindert und verschoben finden.

424. Doch nicht nur darin ist das Selbstbewußtsein veränderlich, dass die Intensität wechselt, mit welcher der Gegensatz des eignen Wesens zu der Außenwelt empfunden wird, vielmehr ist auch der Inhalt des Ich einer beständigen Schwankung unterworfen. Auch die konzentrierstete Zurückwendung unserer Gedanken auf uns selbst vermag nicht in einem einzigen Augenblicke die Summe alles dessen aufzufassen, was unser empirisches Ich zusammensetzt; noch viel weniger tritt in dem unabsichtlichen Vorstellungsverlaufe als das gewußte Bild unserer Individualität eine irgend vollständige Sammlung ihrer charakteristischen Eigenschaften auf. So wie wir eine Melodie fassen, als eine Einheit, die doch nur in sukzessiver Folge der Töne wahrgenommen wird, und die nicht an Klarheit gewinnen, sondern vielmehr zu Grunde gehn würde, wenn wir ihre Entwicklungsbestandteile gleichzeitig vorstellten, ebenso erlangen wir in der bewußtesten Reflexion ein Bild unsers Wesens nur indem wir nach und nach die Züge, die ihm wesentlich sind, uns vergegenwärtigen, und mit jenem zusammenfassenden Denken, welches aus dem Wechsel des Wissens in uns ein Wissen des Wechsels begründet, diese einzelnen Elemente zu einem Ganzen verbinden. Sobald wir dagegen uns nicht zum Objekte ausdrücklicher Reflexion machen, ist die Vorstellung unsers Ich, die unsere Gedanken begleitet, stets nur ein sehr unvollständiger partieller Ausdruck unsers Wesens. Erwachen wir vom Schlafe, so treten zunächst nur wenige Erinnerungen an unsere Lebenslage und Persönlichkeit, an die nächsten Obliegenheiten und Erwartungen in unser Bewußtsein; in unseren alltäglichen Geschäften unterscheiden wir selbst mehrere Personen in uns, fühlen uns bald als Bürger, bald als Glieder der Familie, bald als genußfähige, bald als sittlich verpflichtete Individuen, und wir streben selbst nach Momenten der Sammlung, um diese zerstreuten auseinandergehenden Richtungen unsers Daseins zu dem lebendigen Gefühle individueller Einheit zu verschmelzen.

425. Von der Breite und Ausführlichkeit nun, mit welcher in jedem Augenblicke die Vorstellung unsers Ich in unserem Gedankenlaufe vorhanden ist, hängen die unendlich verschiedenen Grade der Vollkommenheit ab, mit denen eine Wahrnehmung in unser Selbstbewußtsein aufgenommen wird. Jeder Nervenreiz, der überhaupt eine Empfindung veranlaßt, tritt dadurch auch in unser Bewußtsein ein, aber die Sprache unterscheidet mit Recht von dieser einfachen Perzeption jene Apperzeption, durch welche wir uns einer Wahrnehmung bewußt werden. Das wilde Delirium eines Fiebers hindert nicht notwendig jenen Einfluß der Erregungen auf die Seele, aus welchem eine momentan bewußte Empfindung entsteht; aber ihr Inhalt geht meistens fruchtlos verloren, da in der hastigen Flucht der Ideen ihm keine bestimmte Vorstellung des eignen Lebens entgegenkommt, mit welcher er sich assoziieren, und in deren wohlbegrenzter Zeichnung er seinen angemessenen Ort unveränderlich einnehmen könnte. Selbstbewußt werden wir uns nur derjenigen Eindrücke, die wir in dem verständlichen Zusammenhang unsers empirischen Ich aufnehmen, und deren Verwandtschaft zu früheren Erlebnissen, deren Wert für die Weiterentwicklung unserer Persönlichkeit wir zugleich fühlen, und für spätere Erinnerung aufbewahren. Aber unsere vorangehenden Betrachtungen zeigen, dass auch diese Aufnahme der Eindrücke in unser Selbstbewußtsein graduellen Unterschieden unterliegt. Denn die Vorstellung des Ich, die ihnen entgegenkommt, ist nicht überall die gleiche; häufig arm und inhaltlos, verknüpft sie den geschehenden Eindruck nur mit wenigen vielleicht unbedeutenden Zügen des eignen Wesens und erkennt ihn nicht in dem intellektuellen Werte an, den er für den Zusammenhang unsers Lebens wirklich hat; die bedeutungsvollsten Wahrnehmungen gehen nach dem momentanen Zustande unserer Stimmung oft fruchtlos für uns verloren, während wir in einem andern Augenblicke ihrer Wichtigkeit plötzlich inne werden. Beschränkte sich diese Veränderlichkeit der Auffassung auf den theoretischen Inhalt der Eindrücke, so würde eine spätere Reproduktion derselben unter günstigeren Umständen die Mängel der ersten Wahrnehmung ausgleichen können; sie wird dagegen verhängnisvoll, indem sie auch auf Entschlüsse und Handlungen sich ausdehnt. Wir haben in der Betrachtung der Bewegungen bereits gelernt, wie sehr Vieles von dem, was wir zu tun glauben, in Wirklichkeit gar nicht unsere Tat, sondern das Produkt organischer Funktionen und ihrer Abhängigkeit von dem mechanischen Verlaufe der Vorstellungen ist. Aber auch wo wir Entschlüsse fassen, gehen sie selten von unserer vollen Persönlichkeit aus, sondern am häufigsten von jenem partiellen Selbstbewußtsein, dessen Unvollständigkeit um so größer ist, je weniger die Vorstellung der Handlung für uns Interesse hat, und je mehr leidenschaftliche Bewegungen des Gemüts oder krankhafte Bestürmungen der Seele durch Leiden des Körpers ihr eine ruhige und geordnete Reproduktion ihrer Erinnerungen verbieten. In den meisten Fällen handeln wir daher als Geschöpfe des Augenblicks und nur wenige haben Sammlung genug, um alle ihre Schritte bestimmt nach jener einen Richtung zu lenken, welche die Gesamtheit aller früheren Bestrebungen und Erfahrungen als ihre notwendige Konsequenz bezeichnet. Extreme dieser natürlichen Unvollkommenheit werden uns die Affekte und die Geschichte der Seelenstörungen darbieten.

426. Auf Klarheit und Intensität des Selbstbewußtseins üben endlich auch die ankommenden äußern Erregungen durch ihre Form und Verbindungsweise wesentliche Einflüsse aus; alle Wahrnehmungen, die durch irgend welche Eigenschaften die Zusammenfassung ihres Mannigfaltigen und seine Einreihung in bestimmte Orte des empirischen Ich erschweren, bringen dem körperlichen Schwindel analog, psychische Fassungslosigkeit hervor. Nicht dazu zwar ist die Seele organisiert, alle ihre inneren Zustände mit derselben Klarheit und Aufmerksamkeit zu wissen; sie gleicht vielmehr der Netzhaut des Auges, um deren einzige scharf empfindliche Stelle eine größere Ausdehnung von symmetrisch abnehmender Reizbarkeit sich erstreckt. Aber so wie hier jeder der seitlichen Punkte trotz seiner Undeutlichkeit doch seine bestimmte Lage gegen das helle Zentrum hat, so sollen auch in dem Vorstellungsverlaufe der Seele die gedämpfteren Erregungen geordnet den klaren Mittelpunkt der Aufmerksamkeit umgeben, und ohne seinen Inhalt zu stören, zu größerer Füllung des Bewußtseins und zu eigentümlichen Stimmungen und Beleuchtungen desselben beitragen.

427. Über die Mechanik dieser Verhältnisse hat die philosophische Psychologie die nötigen Aufklärungen zu versuchen; wir beschränken uns hier in der Analyse der Erscheinungen auf jene Züge, welche die Art der körperlichen Mitwirkung betreffen. Zu dem Selbstbewußtsein zuerst hat die Aufmerksamkeit keine unveränderliche und notwendige Beziehung; der Inhalt dessen, was wir zu fixieren suchen, erfordert bald eine möglichst vollständige Reproduktion der Vorstellung unsers Ich, bald wurde seine Betrachtung nur durch sie gehindert werden. Sittliche Verhältnisse, in Bezug auf welche wir zu einem eigenen Entschlüsse gedrängt werden, können wir kaum je mit Aufmerksamkeit behandeln, ohne unsers ganzen Charakters, unserer Lebensstellung und der umgebenden Verhältnisse uns zu erinnern; einzelne wissenschaftliche Vorstellungen werden klar aufgefaßt nur dann, wenn ihnen die deutliche Anschauung aller der Beziehungspunkte, zwischen denen sie irgend welche Verhältnisse ausdrücken, oder der verwandten Begriffe entgegenkommt, unter denen sie ihre systematische Stelle finden sollen; die Vergleichung zweier sinnlicher Eindrücke dagegen, der Höhe verschiedener Töne etwa, verlangt nichts dergleichen, sondern erfordert vielmehr die größte mögliche Abhaltung alles andern Vorstellungsverlaufs, der die Reinheit der Empfindung trüben könnte. Die willkürliche Aufmerksamkeit besteht daher überall in der Beseitigung jedes fremdartigen Inhalts und in der Reproduktion aller der inneren Zustände, welche die genaue Abschätzung des zu überlegenden Inhalts begünstigen können. So sehen wir denn teils nach der Natur eines Eindrucks, teils nach dem Zustande unserer eigenen Stimmung, dass bald in der Anschauung unser Selbstbewußtsein fast verloren geht, bald lebhafter wird, indem wir nicht allein den Inhalt des Wahrgenommenen, sondern auch seine Beziehung zu unserer Persönlichkeit verfolgen. Wer die Saiten eines Klavieres stimmt, hat bei der angestrengtesten Aufmerksamkeit auf seinen Gegenstand ein Minimum des Selbstbewußtseins; wer versunken in seine Gedanken ein mathematisches Problem verfolgt, besitzt dessen kaum mehr; wer mit Aufmerksamkeit dagegen einen zu wählenden Entschluß überlegt, soll wenigstens zugleich eine bestimmte Erinnerung seiner Persönlichkeit zu dieser Reflexion hinzubringen. Sowohl das selbstbewußtlose Versenken in eine einzige Vorstellung, als die unverbundene Flucht vieler sind Zustände, die mir, wo sie momentan sich einstellen, mit der gesunden Bestimmung des geistigen Lebens vereinbar sind; eine dauernde Zerstreuung sowohl, als eine dauernde Verengung des Gedankenlaufs werden wir dagegen später als Anfangspunkte der Seelenstörungen kennen lernen.

428. Unsere unwillkürliche Aufmerksamkeit erregen die äußern Wahrnehmungen auf verschiedene Weise. Zunächst ist es allerdings die Stärke der Eindrücke, die das Bewußtsein selbst im Schlafe auf sich zu ziehen weiß; doch können wir nur von ungewöhnlich heftigen Einwirkungen bei übrigens gewöhnlicher Verfassung der Seelenzustände diesen Erfolg sicher erwarten. In manchen Zufällen der Ekstase herrscht mit der Analgie für Schmerzgefühle zugleich eine fast völlige Unempfänglichkeil selbst für bedeutende Eindrücke, die nicht in der Richtung eines festgehaltenen Gedankenlaufes liegen. Umgekehrt finden wir häufig, dass Wahrnehmungen, die nach der Größe ihrer sinnlichen Einwirkung unbedeutend sind, gegen den Widerstand stärkerer die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sobald sie mit dem bestehenden Vorstellungskreise in irgend einem Verhältnisse der Ähnlichkeit oder der Assoziation stehen. So wissen wir Personen, die uns bekannt sind, auch wo wir sie nicht erwarteten, aus einem Marktgewühle herauszufinden, indem der leichte Eindruck, den sie unserm flüchtig streifenden Blick machten, durch unsere wachgerufene Erinnerung verstärkt wird. Die Plötzlichkeit des Eintretens begünstigt ebenso die Hervorrufung der Aufmerksamkeit. Sie wird daher am leichtesten durch das Gehör erweckt, dessen Wahrnehmungen nicht wie die des Auges eine ununterbrochene und zusammenhängende Welt bilden, sondern durch Pausen völliger oder doch viel größerer Ruhe unterbrochen werden, als sie je während des Wachens dem Gesichtssinn oder dem Tastsinn zu Teil werden. Von den beiden letztern ist es wieder der zweite, dessen Wahrnehmungen, gewöhnlich mit geringerem Interesse als die des Gesichtssinnes verfolgt, und großenteils gleichförmiger, der Aufmerksamkeit am leichtesten entgehen. Man hat stets das Bewußtsein der Umgebung, die man sieht; aber man gewöhnt sich an die Last und den Druck der Kleider, an die Empfindungen, welche bequeme, länger dauernde Lagen hervorbringen, so sehr, dass sie kaum mehr ein deutliches Element des Bewußtseins bilden. Das Geräusch der klappernden Räder verschwindet auf ähnliche Weise für den Müller, wie für uns der gewöhnliche Reiz der Luft.

429. Außer diesen Bestimmungsgründen der Aufmerksamkeit, die eine Erklärung aus physiologischen Motiven nicht nötig machen, kommen andere vor, die allerdings zu der Annahme körperlicher Mitbedingungen derselben auffordern. Die angestrengte Tätigkeit eines Sinnesorgans pflegt die klare Wahrnehmung eines anderen zu stören; es ist nicht leicht, eine Gradbeobachtung an einem Maßstabe abzulesen und zugleich die Wiederholungen eines Tones zu zählen; der Musikfreund schließt die Augen, um die Eindrücke der Klänge möglichst scharf zu fassen; angestrengtes Lauschen auf ein Geräusch macht uns unempfindlich für manche Tastreize und setzt die Klarheit der übrigen Sinnesempfindungen so wie die Gefühle mancher Schmerzen herab. Diese Beispiele würden die Vermutung begünstigen, dass die Verbindung, in welcher die Seele mit den Sinnesorganen steht, eine physiologisch veränderliche sei, und dass sie bald mit dem einen, bald mit dem andern in innigere Wechselwirkung trete oder sich von ihm isoliere. Welche mechanische Vorstellungen zur Erläuterung solcher Verhältnisse führen könnten, ist leicht zu sehn, doch kaum der Mühe wert, bei unserer Unkenntnis der Nerventätigkeit diese Möglichkeiten weiter zu verfolgen. Dass überhaupt eine Veränderlichkeit in jener Wechselwirkung vorkomme, lehrt die Erscheinung des Schlafes und jeder Bewußtlosigkeit hinlänglich, auch ohne dass wir auf die sonderbareren Beispiele derselben uns zu berufen brauchten, welche die Erzählungen über den Somnambulismus so reichlich enthalten. Dass nun dieselbe Veränderlichkeit partiell auch im wachen Zustande vorkomme, ist eine nicht unglaubliche Konsequenz dieser allgemeineren Tatsache. Wir mögen daher der Annahme nicht widerstreben, welche in den Anstrengungen des Lauschens, des Tastens und des forschenden Blickes die willkürliche Herbeiführung einer Steigerung jenes Wechselverhältnisses zwischen Seele und Sinnen sieht, vielleicht indem die wirksame Masse des Nervenprinzips bald nach dem einen, bald nach dem andern Organe hingelenkt oder auf andere Weise die Reizbarkeit für Eindrücke bald hier, bald dort gesteigert wird.

430. Doch auch innerhalb eines und desselben Sinnesorganes vermag die Aufmerksamkeit einzelne Eindrücke auszuzeichnen, nicht nur, indem sie die physischen Bedingungen günstiger einrichtet, die ihre Aufnahme bedingen, sondern auch indem sie unmittelbar ihren Inhalt und die Größe seiner Einwirkung steigert. Wir sind nicht nur durch Bewegung des Auges, sondern auch bei ruhendem Blicke im Stande, einzelne seitliche Teile des Gesichtsfeldes willkürlich hervorzuheben; wir vermögen in einem Konzerte dem Gange eines einzelnen Instrumentes zu folgen, obgleich das Gehörorgan keine willkürlich benutzbaren Einrichtungen zur Fixierung einer Tonfolge von bestimmtem Timbre besitzt. Selbst aus einer Mischung verschiedener Geschmacksreize sind wir im Stande die einzelnen zusammensetzenden Elemente einigermaßen zu sondern, und ohne Bewegung der Glieder können wir einen Hauteindruck zu deutlicherem Bewußtsein, obgleich nie zu der Klarheit bringen, die er durch Bewegung erhalten kann. Diese Steigerung der Empfindungen durch willkürliche Aufmerksamkeit geht oft so weit, dass wir einen erwarteten Eindruck wirklich schon zu empfinden glauben, noch ehe er eintritt. Nähert man einen Finger langsam einer Wasseroberfläche, so täuscht man sich häufig über den Augenblick, in dem die Benetzung eintritt; der furchtsame Patient glaubt das Messer des Wundarztes schon aus einiger Entfernung zu fühlen; der gründliche Musikkenner hört das Pianissimo eines Tones antizipierend, noch ehe der Bogen die Saite berührt hat. Um so weniger ist es wunderbar, dass bei höheren Graden der Erregbarkeit in den Zentralorganen die erwarteten Vorstellungen als wirkliche subjektive Empfindungen auftreten. Alle diese Erscheinungen erklären sich leicht aus jener Hypothese, die wir früher über die Anregungen entwickelten, welche der Vorstellungsverlauf den nervösen Substraten mitteilt.

431. Noch andere Ereignisse sind indessen sehr häufig, die auf eine unmittelbarere Weise von den Zuständen der Sinnesorgane abhängig zu sein scheinen. Dass die Empfänglichkeit für länger dauernde mäßige Eindrücke sich allmählich erschöpft, könnte zwar der Ermüdung psychischer Reizbarkeit ebenso gut als einer Abstumpfung körperlicher Organe zugeschrieben werden; aber auch ohne willkürliche Aufmerksamkeit sehen wir eigentümliche Schwankungen in der Helligkeit gewisser Sinneseindrücke eintreten. Dem Schläfrigen scheint die Umgebung bald eindunkelnd, bald zu plötzlicher Helligkeit aufflackernd; die Rede der Umstehenden kommt ihm bald wie aus unbestimmter Ferne zu, bald schreckt sie ihn aufdröhnend wie aus unmittelbarer Nähe empor; ein Wechsel der Empfänglichkeit, der auf die oszillierende Kraft hindeutet, mit der die Müdigkeitsgefühle das Bewußtsein bald bedrängen, bald ihm einige Freiheit gestatten. Blicken wir, ruhig liegend, längere Zeit eine gemusterte Tapete an, so ist es bald der Grand, bald die Zeichnung, die uns deutlicher werden und dadurch näher zu rücken scheinen. Da wir hier verschiedene Farben vor uns haben, so ist es wahrscheinlich, dass diese Veränderlichkeit des Eindruckes von dem Wechsel herrührt, in welchem die Empfänglichkeit des Auges für beide Farben und ihre Komplemente von Zeit zu Zeit sich ändert, so dass in einzelnen Augenblicken eine beinahe gleiche Färbung Alles überzieht, dann aber bald Grund bald Zeichnung die günstigsten Bedingungen des Eindrucks finden. Auch Arabesken von vielverschlungenen einfarbigen Umrissen lassen ohne alle Absicht bald dieses, bald jenes zusammengehörige Liniensystem für unseren Blick hervortreten; doch geschieht dies schwer, wo nicht verschiedene Dicken der einzelnen zusammengehörigen Linien die Sonderung der Umrisse erleichtern. Auch dies scheint daher darauf zu beruhen, dass die Reizbarkeit der Netzhaut für ungleich breite Farbenstreifen in verschiedenen Zeitperioden wechselt, und dadurch bald das eine, bald das andere dieser Systeme eindrucksfähiger macht. Doch kann nicht Alles hierauf beruhen; es begegnet uns oft bei träumerischem Hinstarren auf ein Bild, dass ganz plötzlich einzelne seiner Züge mit besonderer Klarheit aufleuchten, ohne dass in ihren optischen Eigenschaften oder in ihrem Sinne ein Motiv für die Steigerung der Aufmerksamkeit zu finden ist. Wie sehr übrigens die einmal erlangte Einsicht in den Zusammenhang von Linien die spätere Wiederauffindung desselben erleichtert, lehrt nicht nur die Beobachtung der arabesken Figuren, sondern auch jenes Spielwerk der Malerei, Gestalten von Menschen durch die Lücken darzustellen, welche die Umrisse anderer Gegenstände, etwa der Bäume einer Landschaft zwischen sich lassen. So oft man auch früher diese Zeichnungen ohne Ahnung ihrer Bedeutung ansah, so ist man doch, nachdem man sie gefunden, nicht mehr im Stande, diese Lücken bloß als Lücken, und die Bäume für die eigentlichen Objekte des Bildes zu betrachten.

432. Von der Aufmerksamkeit, welche wir auf die Wahrnehmung eines Gegenstandes verwenden, würde man geneigt sein auch die Klarheit seiner Erinnerungsvorstellung abhängig zu machen. Doch gilt dies nur mit Einschränkungen. Eindrücke, die wir um ihres plötzlichen Eintrittes und ihres schnellen Vorübergehens willen nicht aufmerksam zu fassen vermögen, haften dennoch häufig mit großer Beständigkeit im Gedächtnis, namentlich indem sie mit bestimmten Phasen des Gemeingefühls sich assoziieren, deren Mithilfe überhaupt so oft und kraftvoll die Reproduktion der Vorstellungen bewirkt. Andere, namentlich einfache sinnliche Empfindungen gewinnen nichts durch die größte Aufmerksamkeit, die wir ihnen zuwenden; die Höhe eines wahrgenommenen Tons, die Eigentümlichkeit eines Geschmacks, eine Farbenschattierung entschwindet unserm Bewußtsein fast in allen Fällen gleich sehr. Haftet dagegen im Gedächtnis die Besonderheit einer menschlichen Stimme fester, so rührt dies von der Mannigfaltigkeit einzelner Elemente der Modulation, kleiner Gewohnheiten des Tonfalls und der Aussprache her, die wir allmählich im Umgange kennen gelernt haben. Dadurch nähert sich dieser Fall jenen andern Wahrnehmungen, deren Festhaltung allerdings die auf sie gerichtete Aufmerksamkeit wesentlich befördert, nämlich jenen Eindrücken, in denen wir durch selbsttätige sukzessive Konstruktion eine Summe von Elementen zu einem bestimmten geordneten Ganzen verknüpfen. Für die einfachen Elemente selbst ist unsere Erinnerungsfähigkeit schwach; für eine Gleichzeitigkeit von Eindrücken, bei denen wir uns passiv verhielten, noch mehr; aber sie ist lebhaft für alle Reihenbildungen, die wir im Momente der ersten Wahrnehmung mit Interesse verfolgten. Eines Gemäldes erinnern wir uns schwer, wenn wir nicht seine einzelnen Züge durch Bewegungen des Blickes nachkonstruierend uns einübten. Reihen von Worten, rhythmische Sukzessionen von Vorstellungen haften dagegen am bereitwilligsten in der Erinnerung, und ebenso lebhaft ist das Andenken an eine Aufeinanderfolge von Muskelbewegungen, durch die wir eine Handlung ausführten. Wir erinnern uns also am sichersten an die Sukzession von Tätigkeiten, die wir ausübten, schwerer an passive Zustände. Auf eine bestimmte Vorstellung zu kommen, ist uns das Durchlaufen der Reihe behilflich, in der sie liegt. Die Undeutlichkeit unserer Vorstellungen hängt dagegen von der Passivität ab, mit der wir den Eindruck einer Wahrnehmung aufnahmen, ohne ihn zu konstruieren. Wir sehen z. B. das volle Bild eines Hauses; aber indem wir uns von ihm abwenden, und es zu reproduzieren suchen, fehlen uns eine Menge von Erinnerungen an die Zahl, die Dimensionen, die Verbindungsweise seiner architektonischen Glieder. Diese fragmentarische Auffassung ist es, die unsere Anschauung trübt; nicht aber ist das vollständige Bild des ganzen Hauses in allen seinen Teilen dunkler und schwächer geworden.