309. Darauf beschränkt, die Hauptpunkte eines Gegenstandes zu erläutern, über den sich zahlreiche Fragen, jede einer weitläufigen Untersuchung bedürftig, zudrängen, müssen wir aus unserer Darstellung alle Rücksicht auf die Organisationsverhältnisse ausschließen, die lediglich bestimmt sind, den regelmäßigen Zugang der optischen Reize zu der empfänglichen Ausbreitung der Netzhaut zu sichern. Der Ausgangspunkt unserer Betrachtung ist das Netzhautbild, d. h. die Tatsache, dass die Lichtstrahlen, die von einem Objekte auf den Hintergrund des Auges fallen, sich dort noch in derselben relativen Lage zu einander befinden, in welcher sie vom Objekte selbst ausgingen, so dass sie im Stande sind, für ein zweites jene Netzhaut beobachtendes Auge die Stelle des Objektes zu vertreten, ausgenommen allein, dass die Lage des ganzen Bildes im Raume der des Objektes entgegengesetzt ist. Die Frage, die uns vorliegt, besteht darin, wie dieses sogenannte Netzhautbild, welches wir durch die unerklärte Sehkraft unsers Auges in einem fremden Auge beobachten können, für dasselbe Auge, in dem es stattfindet, ein Gegenstand der Empfindung werden kann, und durch welche Hilfsmittel die geometrische Regelmäßigkeit in der Lage der Lichtstrahlen und folglich auch in den Erregungen der Nervenpunkte für die Seele ein Motiv werden kann, ihre intensiven Farbenempfindungen in ein räumliches Nebeneinander überhaupt, und spezieller in eine dem Bilde ähnliche oder kongruente Zeichnung auszubreiten. Unsere Voraussetzung endlich bei dieser Untersuchung ist die, dass die Seele nicht von den Erregungen der Netzhaut unmittelbar einen Eindruck erfährt, sondern dass die Reihe aller organischen Bedingungen für die Entstehung einer Sinnesempfindung erst mit der geschehenen Fortleitung der Erregung zum Gehirn geschlossen ist; eine Voraussetzung, die für die gewöhnliche Vorstellungsweise sich in den an und für sich weniger passenden Ausdruck transponieren läßt, dass die Seele an einem bestimmten Punkte des Gehirnes sich befinde, und nur von den Einwirkungen erreicht werde, die sich bis dorthin fortpflanzen.
310. Wirken auf drei verschiedene Punkte der Netzhaut drei verschiedenfarbige Lichtstrahlen ein, so könnte man annehmen, dass die qualitativen Unterschiede dieser Erregungen hinlänglichen Grund für die Seele böten, auch ihre Empfindungen räumlich auseinanderzustellen. Doch lehrt ein Blick auf die gleichzeitige Empfindung mehrerer Töne, dass dieser Grund nicht hinlänglich ist. Um so weniger wird, wenn drei verschiedene Netzhautstellen durch vollkommen gleich gefärbtes Licht bestrahlt werden, für die Seele eine Nötigung vorhanden sein können, die qualitative Empfindung, die daraus hervorgeht, etwa die des Blauen, dreimal statt einmal zu haben, und diese drei verschiedenen Exemplare derselben an verschiedene Raumpunkte zu verlegen. Selbst darin würde schon eine Subreption liegen, wenn man stillschweigend voraussetzte, die entstehende Farbenempfindung sei an sich selbst punktförmig, so dass sie leicht sich überhaupt an eine bestimmte Stelle des Sehfeldes lokalisieren ließe. So wenig ein Ton als Empfindungspunkt erscheint, so wenig, wenn wir nicht eine besondere Einrichtung der Seele hier voraussetzen, kann es an sich die Farbenempfindung. Wie sie überhaupt nichts Extensives ist, so kann sie selbst nicht einmal als räumliche Negation der Ausdehnung, als Punkt wahrgenommen werden, sondern nur als Qualität, die zu räumlicher Ausbreitung weder eine positive noch eine ausdrückliche negative Beziehung hat. Sowohl dies also, dass die gleichen Empfindungen überhaupt auseinandertreten und neben einander existieren, als auch dies, dass sie bestimmte räumliche Lagen gegen einander einnehmen, bedarf besonderer Motive. Sie können nur darin liegen, dass lokale Nebenbestimmungen, die sich an die Affektion jeder Netzhautstelle knüpfen, das Zusammenfallen der Empfindungen in Eins hindern, und dass ferner diese Lokalzeichen ein so gegliedertes System bilden, dass durch sie die Empfindungen in abgestufte Unterschiede und Verwandtschaften geordnet werden, die unabhängig von ihrer Qualität, sich in der räumlichen Anschauung als gleich abgestufte Entfernungsgrößen der Empfindungspunkte von einander und als relative Lagen derselben geltend machen. Wir haben schon früher geäußert, dass wir die Herstellung dieser Lokalzeichen durch ein System von Bewegungen ausgeführt denken.
311. Die Abbildung eines glänzenden Punktes auf einem der seitlichen Teile der Netzhaut pflegt sofort eine Bewegung des Auges hervorzubringen, durch welche seinem Bilde die Stelle des deutlichsten Sehens untergeschoben wird. Von dieser Bewegung lassen sich verschiedene Erklärungen versuchen. Man kann annehmen, dass die Erregung jeder Netzhautstelle durch eine Verflechtung ihrer Nervenfaser mit den motorischen Nerven des Auges die Muskeln desselben sogleich zu Bewegungen von so abgemessener Größe nötige, dass aus ihrer Gesamtwirkung die Einstellung der Augenachse oder vielmehr der Richtung des deutlichsten Sehens nach dem erregenden Objekte entstehe. Man kann zweitens voraussetzen, dass jeder Punkt der Netzhaut zwar diese Bewegungen veranlasse, aber in unbestimmter und geringerer Größe, und indem durch den Anfang der Bewegung das Bild auf einen zwar reizbareren, aber noch nicht auf den reizbarsten Punkt der Netzhaut verrückt werde, erneuere sich die Tendenz zu dieser Bewegung und ende erst, nachdem das Bild diese Stelle der schärfsten Sehkraft erreicht hat. Man würde drittens versuchen können, die mechanische Entstehung dieser Bewegungen aus Reizen der Netzhaut nach Art des Reflexes zu leugnen, und an ihre Stelle eine Erklärung durch Assoziationen zu setzen, die uns etwa gelehrt hätten, dass matte und undeutliche Empfindungen durch jene Drehungen des Augapfels zu scharfen und deutlichen erhoben werden können. Diese letzte Erklärung findet jedoch große Schwierigkeiten an demselben Umstande, den wir für den wichtigsten Vorteil dieses ganzen Verhaltens ansehen. Ist v der Punkt des deutlichsten Sehens, und sind a, b, c andere Orte der Netzhaut, so bedarf ein Bild, das auf a fällt, einer andern Kombination, Richtung und Größe der Augenbewegung, um auf v zu gelangen, als b und c; und allgemein wird für jeden Teil der Retina die Gruppe von Bewegungen, welche er veranlassen muß, um an seiner Stelle den Punkt des deutlichsten Sehens dem Objekte entgegenzuführen, eine ganz spezifische sein, die nie übereinstimmen kann mit der Gruppe, welche irgend ein anderer Punkt zu demselben Zwecke hervorzurufen hat. Liegen v, a, b, c sämtlich in einer geraden Linie oder vielmehr in einem und demselben auf der Netzhaut beschriebenen Kreisbogen, so müssen die Strecken dieses Bogens va, vb, vc verschieden groß sein, und da das Auge sie durchlaufen muß, um bezüglich die Bilder von a, b, c in die Richtung des deutlichsten Sehens zu bringen, so werden hierzu auch verschiedene Größen übrigens analoger Muskelbewegungen nötig sein. Liegen a, b, c in der Peripherie eines und desselben Kreises, dessen Mittelpunkt v ist, so sind zwar va, vb, vc gleich groß, aber sie liegen nach verschiedenen Richtungen in der Netzhaut; um hier die Bilder von a, b, c nach v zu bringen, sind daher Drehungen des Augapfels nach verschiedenen Richtungen nötig, die durch verschiedene Muskeln zum Teil, zum Teil aber wenigstens durch ein verschieden gestaltetes Zusammenwirken derselben Muskeln ausgeführt werden. Bezeichnen wir daher mit s die Summe aller dieser Bewegungen , so ist sie für jeden Punkt der Netzhaut eine unvertauschbare und spezifische Kombination, und eben deshalb glauben wir an ihr das Lokalzeichen zu besitzen, welches die Erregung jedes dieser Punkte von der jedes anderen unterscheidet.
312. Diese Eigentümlichkeit von s für jeden Punkt macht aber die Erklärung seiner Entstehung durch Assoziation sehr schwierig. Denn wenn wir auch in Bezug auf die Empfindung des Punktes a, indem zufällig jene Drehung des Auges aus irgend welcher Ursache sich ereignete, gelernt hätten, dass sie klarer wird, wenn das Auge diese Drehung ausführt, so würden wir doch nun nicht nach Analogie weiter schließen können , dass die Bilder aller andern Netzhautpunkte durch analoge, aber in ihrer Richtung und Größe ganz verschiedene Augendrehungen dasselbe erführen. Wir müßten dies vielmehr für jeden Punkt der Netzhaut einzeln lernen, und würden deshalb voraussetzen müssen, mit der Reizung jedes der unzähligen Netzhautpunkte a, b ... z habe sich zufällig einmal die zu jener Schärfung des Bildes gerade ihm nötige Bewegung av, bv, ... zv assoziiert. Obgleich bei der Beweglichkeit des Auges dies wohl möglich ist, so ist es mir doch sehr wenig wahrscheinlich, dass eine für das Sehen so wesentliche Funktion auf dem langen Wege durch diese Unzahl von Assoziationen sich entwickeln sollte, um so mehr, da sie bereits in früher Kindheit in soweit vorkommt, als man hier erwarten konnte. Es ist allerdings richtig, dass die Augen der Kinder diese gelenkige Beweglichkeit nicht zeigen, mit der der Erwachsene seine Sehachsen nach jedem ihn reizenden Punkte richtet; aber wir müssen bedenken, dass für die Aufmerksamkeit des Kindes die Gegenstände nicht nach ihrem Sinne, sondern nur nach ihrer physischen Reizgröße eine anziehende Kraft besitzen können. Nach dem Lichte nun wenden die Kinder sehr früh die Sehachsen, nach anderen glänzenden Gegenständen nicht weniger, während das, was dieser Helligkeit entbehrt, auch ihre Organe minder anregt. Übrigens bliebe ein Umstand, dessen wir schon früher gedachten, immer ein Hindernis für diese Theorie, welche die Augenbewegung als Produkt meiner Assoziation ansieht, deren erstes Element die Vorstellung eines gewissen Undeutlichkeitsgrades einer Empfindung wäre. Denn die Empfindlichkeit der Retina nimmt um die Stelle des schärfsten Sehens wenn nicht ganz, so doch nahezu gleichförmig nach allen Seiten ab; es gibt daher nicht nur einen, sondern eine große, in einer ringförmigen Zone gelegene Anzahl von Punkten, denen eine gleiche bestimmte Größe der Deutlichkeit oder Undeutlichkeit zukommt; aber jeder von ihnen kann nur durch eine, nicht durch eine andere Gruppe von Bewegungen sein Bild auf v überführen; diese Gruppe aber anzuregen, andere auszuschließen, fehlt es ihm an Mitteln, da er den übrigen Punkten der Zone in allen Stücken gleicht, und also kein unvertauschbares erstes Glied der Assoziation darbietet. Wir sind deshalb vollkommen überzeugt, hier einen physiologischen Mechanismus zu sehen, in welchem nach dem Prinzip der Reflexbewegung die Reizung jeder bestimmten Netzhautstelle auf die verschiedenen Fasern der motorischen Augennerven so übertragen wird, dass für jede eine besondere und unvertauschbare Bewegungsgruppe entsteht. Dagegen wissen wir nicht zu wählen zwischen den beiden ersten Auslegungen dieser Tatsache. Vielleicht ist es etwas zu viel vorausgesetzt, wenn man annimmt, die Erregung in a erwecke sofort die Tendenz nicht nur zur Bewegung in einer bestimmten Richtung überhaupt, sondern sie auch nur in dem bestimmten Masse, dass sie anhalten müßte, sobald das Bild auf v fällt. Es kann uns wahrscheinlicher sein, dass zuerst nur ein Bewegungstrieb in der Richtung av entstehe, seine Dauer und Größe aber davon abhänge, dass in jedem erreichten Zwischenpunkte zwischen a und v gleiche Gründe der Bewegungserzeugung fortdauern, und erst in v der Trieb durch seine Befriedigung erlischt. Die Wahl zwischen beiden Hypothesen hat übrigens keinen Einfluß auf den Gegenstand unserer Betrachtung. Denn auch die zweite vorausgesetzt, würde an die Erregung des Punktes a, nachdem mehrmal dieser Bewegungsprozeß, durch mechanische Notwendigkeit geleitet abgelaufen ist, später sich durch Assoziation unmittelbar auch der Trieb zu der bestimmten hinreichenden Größe der Bewegung knüpfen müssen, so dass in beiden Fällen die Reizung einer bestimmten Netzhautstelle begleitet erscheint von einer ihr allein im Unterschied von allen andern eigentümlichen Bewegungstendenz.
313. Führt nun in dem Falle, dass das Bild in a durch größere physische Helligkeit oder durch seinen Wert für das Bewußtsein die Aufmerksamkeit überwiegend auf sich zieht, dieser Trieb zu einer wirklichen Bewegung des Auges, so können wir weiter voraussetzen, dass auch da, wo ein solches Überwiegen eines einzelnen Eindrucks nicht stattfindet, doch jede Erregung der Netzhaut beständig einen solchen ihrer Lokalität entsprechenden Bewegungstrieb ausübt. Wir können ferner annehmen, dass dieser Trieb zwar zunächst nur darauf gerichtet ist, automatisch jene Drehungen des Auges zu bewirken, dass er aber zugleich doch auch eine Veränderung in dem Zustande der Seele, einen Eindruck überhaupt in ihr vermittelt, und diese Eindrücke sind es nach unserer Meinung, nach deren graduell genau bestimmten und abgestuften Verwandtschaften die Seele die empfundenen Farbenpunkte im Raume so auseinander breitet, dass ihre Entfernungen im Sehfelde und ihre ganze relative Lage den Entfernungen und Lagen der gereizten Nervenpunkte entspricht. Es ist nicht nötig, zu verlangen, dass diese Eindrücke sich auch zu bewußten Vorstellungen gestalten, um von ihnen diese Mitwirkung zur räumlichen Anschauung der empfundenen farbigen Punkte zu erwarten. Obgleich in einzelnen Fällen, wo es sich um weitere Lagenverhältnisse bereits durch das Sehen wahrgenommener Teile handelt, eine bewußte Folgerung aus den Bewegungen der Augen gezogen wird, so müssen wir doch die erste Lokalisation der farbigen Punkte, aus denen das Sehfeld erst konstruiert werden soll, als eine unbewußt sich vollziehende Tätigkeit der Seele ansehen. Für das Auge, das an das Sehen bereits gewöhnt ist, erscheinen die einzelnen Farbenpunkte durchaus wie von selbst an bestimmte Stellen gelagert, und obgleich lebhaftere seitliche Eindrücke, indem sie schon wahrgenommen werden, eine merkliche Aufforderung zur Drehung des Auges erwecken, so ist doch ihre Lokalisation an diese Stelle selbst nicht die Folge eines vorangehenden bewußten Bewegungsgefühles, noch weniger einer wirklichen Bewegung. Aber auch das Auge des operierten Blindgeborenen, worin auch sonst seine Wahrnehmungsfähigkeit sich eigentümlich verhalten mag, sieht sogleich eine Mehrzahl verschiedener Punkte in flächenartiger Ausbreitung und erwirbt diese Fähigkeit nicht so, dass seine Eindrücke zuerst nur in intensivem Zugleichsein vorhanden wären, und auf eine für das Bewußtsein bemerkbare oder gar von ihm geleitete Weise durch die an sie geknüpften Perzeptionen der Bewegungstriebe auseinanderträten. Es sind also nicht die wirklichen Bewegungen, noch bewußte Empfindungen derselben, auf welche wir die Ordnung der Punkte im Sehfelde zurückführen; die beobachtbare Tatsache dieser unwillkürlichen Drehungen der Augenachse sehen wir vielmehr nur als eine Erscheinung an, aus der wir darauf zurückschließen, dass auch die vollkommen unbewußt geschehende erste Lokalisation der Empfindungselemente auf demselben Zusammenhang zwischen sensiblen und motorischen Nerven beruht, und dass Erregungen der letztern an ihren zentralen Endigungen es sind, welche jedem Farbeneindrücke seinen eignen Lokalcharakter geben.
314. Ich kann voraussehen, dass diese Hypothese Vielen zu künstlich erscheinen wird; ohne sie jedoch überhaupt für eine notwendige Wahrheit ausgeben zu wollen, muß ich doch ein Wort zu ihrer Verteidigung hinzufügen. Wäre Alles, was wir hier erwähnt haben, Gegenstand des Bewußtseins, ließe sich deutlicher, als es der Fall ist, der Bewegungsimpuls, welcher den Reiz jeder Netzhautstelle begleitet, wirklich wahrnehmen, und ließe sich zeigen, dass wir mit einer gewissen Reflexion auf ihn und nach Abschätzung seiner Art und Größe die Empfindungselemente an ihre Stellen verlegten, so würde man diesem Vorgänge weder zu große Künstlichkeit, noch unserer Hypothese Fruchtlosigkeit vorwerfen. So aber, wie wir sie mitgeteilt, was leistet sie wesentlich mehr, als wenn wir sagten, dass überhaupt faktisch die Lage einer erregten Netzhautstelle ein Motiv für die Seele sei, den qualitativen Inhalt des durch sie gewonnenen Eindrucks auch an eine bestimmte Stelle des Sehfeldes zu verlegen? Muß dieser Einfluß der Örtlichkeit des Netzhautpunktes durch so verwickelte Zusammenhänge, durch Bewegungstriebe, die sich im Bewußtsein nicht mehr nachweisen lassen, erklärt werden? Und ließe sich nicht einfacher behaupten, dass es nun einmal in der Natur der erregten Stelle liege, ihren Erregungen noch neben dem qualitativen Inhalt einen eigentümlichen Charakter zu geben, der die Seele in ihrer Lokalisation leitete? Hierauf antworten wir nun, dass man gewiß, wenn man eine Erklärung überhaupt aufgeben will, auf diese Behauptung zurückkommen kann; will man jedoch eine versuchen, so ist es äußerst unwahrscheinlich, dass der Grund dieser eigentümlichen Nebenbestimmung, durch welche die Erregungen einzelner Netzhautpunkte sich unterscheiden müssen, in etwas Anderm, als in ihrer Beziehung zu motorischen Apparaten liege. Denn abgesehen von der abnehmenden Deutlichkeit der Bilder nach den Seiten der Netzhaut zu, die selbst keineswegs notwendig auf ursprüngliche Differenzen in der Kraft oder Erregungsweise der Nervenelemente zurückdeutet, und die außerdem, wie wir sahen, zur Erklärung der Lokalisation nicht ausreichen würde, haben wir gar keine Veranlassung, in der chemischen Mischung, der histiologischen Struktur oder der physiologischen Funktion der Netzhautelemente irgendwelche spezifische Abweichungen vorauszusetzen. Ebenso wenig können wir anderen Theorien beistimmen, welche die Anordnung der Farbenpunkte aus der Erinnerung an wirkliche Bewegungen des Auges und mit ihnen assoziierte Vorstellungen von Wachstum und Abnahme in der Deutlichkeit der Bilder herleiten. Man nimmt z. B. an, dass nur ein Punkt des Auges überhaupt empfinde, und dass die übrigen Farbenpunkte sich im Sehfelde um ihn nicht sowohl als Empfindungen, sondern als Erinnerungsbilder solcher Empfindungen gruppieren, die man hatte, als man das Auge um verschiedene Winkelgrößen hier- oder dorthin bewegte, und die man wieder haben kann, wenn man diese Bewegung wiederholt. Wäre es so, so müßte es auch dabei bleiben, und die wiederholte Empfindung eines Punktes a könnte zwar diejenige Umgebung b, c, d reproduzieren, die man früher schon einmal um ihn herum gesehen hat, niemals aber könnte sich hinterher die Fähigkeit ausbilden, wenn man das Auge in unbekannter Gegend öffnet, bei ruhender Achse desselben außer dem einen Zentralpunkte des Sehfeldes auch die seitlichen Punkte zu sehen. Diese Fähigkeit aber besteht, und da sie besteht, so müssen wir es auch als eine primitive Funktion des Auges ansehen, eine Mannigfaltigkeit farbiger Punkte zugleich und in bestimmten unvertauschbaren Lagen zu erblicken. Nun könnte man ferner behaupten, jede Netzhautfaser übte vermöge der Lage ihrer zentralen Endigungstelle im Gehirn einen ihr ganz allein eigentümlichen Einfluß auf die Seele aus, und erzwinge demgemäß auch die bestimmte Lokalisierung ihrer Empfindung. Von dieser Hypothese unterscheidet sich die unsrige nur zu ihrem Vorteil durch größere Spezialisierung. Denn auch wir meinen ja, dass jedes zentrale Ende einer optischen Faser wegen seiner Lage zu den motorischen Nerven dieses Lokalzeichen erwirbt. Außer dieser bestimmten Wendung läßt jene Hypothese nur zwei andere zu; man müßte entweder annehmen, dass jeder einzelne Punkt des Gehirns, an dem sich eine Sehnervenfaser endige, in seiner Struktur, seiner chemischen Mischung und seinem dynamischen Wert von jedem andern ähnlichen Punkte abweiche, eine Voraussetzung von hinreichender Unwahrscheinlichkeit, um uns ihrer Kritik zu überheben. Oder man müßte meinen, dass jedes Zentralende einer optischen Faser wegen einer ganz allein ihm eigentümlichen Form der Wechselwirkung mit seinen Nachbarn jedem seiner Eindrücke ein spezifisches Gepräge mitteile. Von einem solchen Wechseleinflusse in dieser Ausdehnung finden wir jedoch sonst nirgends Spuren, während die Verflechtung der optischen Fasern mit motorischen Nerven eine durch alle Erfahrungen hinlänglich gesicherte Vermutung ist. Ich kann daher den Weg wenigstens noch nicht sehen, der zu einer bessern Ansicht führt. Dass endlich der bloße Eindruck des Verwickelten, den unsere Hypothese macht, kein Gegengrund gegen ihre Gültigkeit ist, sollten namentlich in optischen Dingen Alle bedenken, welche den Annahmen der Vibrationstheorie des Lichtes und den alle Einbildungskraft übersteigenden Konsequenzen derselben huldigen.
315. An diese Frage nun nach der relativen Ordnung der Punkte im Sehfelde schließt sich sogleich die andere nach der Lage des gesamten Sehfeldes selbst. Vergleichen wir die Stellung eines äußern Objekts und die des Bildes, das sich von ihm auf der Netzhaut eines andern Auges entwirft, so finden wir beide einander entgegengesetzt, und eine einfache geometrische Konstruktion überzeugt uns ferner, dass notwendig das Bild des Objekts, indem seine Strahlen durch die enge Öffnung der Pupille gehn, auf dem Hintergrunde der Retina sich in umgekehrter Stellung entwerfen muß. Es entsteht daher die Frage, warum wir dennoch die Objekte nicht umgekehrt, sondern aufrecht wahrnehmen? Soll sie beantwortet werden; so muß zuerst die Tatsache feststehen. Man hat sie zu leugnen versucht durch die Behauptung, dass wir Alles verkehrt sehen, und demzufolge nie an einem Widerspruch zwischen der Stellung einzelner Objekte die Verkehrtheit des Ganzen bemerken. Aber dem ist gar nicht so; es ist nicht schwer, das Auge so an das Ocular eines Fernrohrs zu bringen, dass es nur die Bilder empfängt, die ihm durch dieses zugeführt werden; sind diese verkehrt, so haben wir davon einen ganz vollkommen deutlichen Eindruck, obgleich in diesem Falle alles Gesehene verkehrt steht, und durchaus kein anderer optischer Hintergrund vorhanden ist, mit dessen aufrechter Stellung die verkehrte dieser Bilder kontrastierte. Ihre verkehrte Lage wird daher nur empfunden durch den Widerspruch, der zwischen dieser Affektion des Auges und den Raumvorstellungen obwaltet, die wir durch andere Sinne erhalten. Wir bemerken genau, dass der Kopfpunkt des gesehenen Objektes jetzt dem Orte näher ist, an welchem nach der Aussage unseres unmittelbaren Muskelgefühls unsere Füße liegen, während sein Fußpunkt unserm Kopfe entspricht. Nun wird man freilich gegen diesen Versuch einwenden, dass in ihm das Bild eines Objektes, das während des ganzen übrigen Lebens sich auf der Netzhaut in die Richtung ab zu stellen pflegt, plötzlich und ungewohntermaßen einmal in die Richtung b a gerate. Das Auge könne wohl diesen Gegensatz der gewöhnlichen und der ungewöhnlichen Stellung bemerken; werde jedoch das Bild des Objektes immer in der gleichen Richtung wahrgenommen, so bleibe gänzlich unbemerkt, ob diese der Richtung des Objekts selbst gleich oder entgegengesetzt sei. Auch kenne man in dem angeführten Versuche die Natur der Gegenstände und ihre konstante scheinbare Stellung schon aus früheren Erfahrungen, und könne deshalb jetzt urteilen, dass ihre neue scheinbare Lage der gewohnten entgegengesetzt sei; wären die Objekte unbekannt, so würde uns nichts auf die Vermutung bringen, ihre Bilder ständen verkehrt. Dies letztere nun verstellt sich von selbst, gehört aber nicht hierher; im Übrigen übersehen diese Einwürfe den einen Hauptumstand, dass wir nun doch eben tatsächlich den Unterschied in zwei Stellungen desselben Bildes auch dann wahrnehmen, wenn es das ganze Sehfeld füllt, und kein gesehener Hintergrund mehr da ist, gegen den seine Stellung sich bestimmen ließe. Wenn es auch immer wahr ist, dass wir in unserm Versuche den Kontrast einer ungewöhnlichen mit einer sonst gewöhnlichen Richtung des Bildes bemerken, so fragt sich doch eben, wie dies möglich sei, einen Kontrast zu erkennen, wenn nicht beide kontrastierende Glieder wesentlich verschiedene Eindrücke auf uns machen? Notwendig muß deshalb das Auge anders und immer anders affiziert werden, wenn das Bild aus seiner anfänglichen Lage sich durch Drehung um 180° entfernt, und diese Verschiebung der Affektion muß in unserm Bewußtsein sich auch dann geltend machen, wenn sie allgemein in Bezug auf alle Punkte des Sehfeldes statt hat, und folglich nur noch auf einer Vergleichung mit Raumvorstellungen beruhen kann, die aus andern Sinnen entspringen. Wir nehmen daher als sicher an, dass wir wirklich Alles aufrecht sehen, entgegengesetzt der Stellung des Netzhautbildes.
316. Die Erklärungsversuche nun haben gar wunderliche Wege betreten. Wer die Seele als einen Raum ansieht, in welchen hinein sich die räumlichen Bilder begeben, um da Platz zu nehmen, der hat das einfachste Erklärungsmittel in der Annahme, das Netzhautbild rücke nicht in derselben Lage von der Retina bis zum Gehirn fort, sondern drehe sich im Verlauf des Sehnerven um 180° um seine Achse; so kommt es dann aufrecht vor den erstaunten Augen der Seele an. Geistreicher wäre es jedoch und durch seine Ungewöhnlichkeit noch anziehender, wenn man das Netzhautbild parallel mit sich zum Gehirn fortschreiten ließe, dafür aber der Seele eine verkehrte Stellung im Gehirn gäbe, so dass hierdurch das Bild noch einmal, jetzt aber wieder in seine richtige Lage umgekehrt würde. Doch es reicht hin, an die bodenlose Ungereimtheit erinnert zu haben, die noch immer, ohne die mindeste Vorstellung von dem, was Empfinden oder Wahrnehmen heißt, sich in der Erklärung der psychischen Erscheinungen ergeht. Nicht viel besser ist die Annahme, die Seele nehme nicht den Ort des Reizes auf der Netzhaut, sondern die Richtung des Strahles wahr, der ihn erzeugt; und da die ankommenden Lichtstrahlen sich im Auge kreuzen, so verlege sie auch die empfundenen Punkte in gekreuzter Richtung nach außen, die untern nach oben, die rechten nach links und umgekehrt. Mit Recht ist längst dagegen erwidert worden, dass die Erregung eines Netzhautpunktes stets durch ein Zusammenwirken mehrerer Strahlen von verschiedener Richtung erzeugt wird; und selbst wenn eine mittlere resultierende Richtung die sein sollte, nach der das Empfundene projiziert wird, so bliebe noch immer unklar, an welchem physiologischen Effekte überhaupt nur die Richtung der Strahlen zum Zweck dieser Projektion merkbar werden soll. Sucht man diesen Einwurf durch die andere Annahme zu beseitigen, das Empfundene werde stets in die Senkrechte auf sein Netzhautbild projiziert, wie ja überhaupt Reaktion senkrecht auf der Einwirkung zu stehn pflege, so widerstreitet der erste Teil dieses Satzes den empirischen Tatsachen, der zweite ist nicht exakter gedacht, als wenn man sagte, der Zorn stehe senkrecht auf der Beleidigung, oder der Preis senkrecht auf der Ware.
317. Der gewöhnliche Irrtum dieser und anderer Theorien liegt darin, dass sie ein Oben und Unten, eine aufrechte Stellung des Sehfeldes zu erklären versuchen, ohne vorher den Sinn dessen zu definieren, was erklärt werden soll. Hätte die Seele überhaupt nur Gesichtsempfindungen, so würden alle jene Worte für das Sehfeld als Ganzes völlig ohne Sinn sein; es müßte uns als ein Kreis überhaupt erscheinen, der aber gar keine Lage mehr, weder eine aufrechte, noch eine verkehrte hätte, weil durchaus nichts mehr im Bewußtsein vorhanden wäre, womit er verglichen werden könnte; ganz ähnlich, wie Niemand dem Weltall eine aufrechte, verkehrte oder schräge Stellung zuschreiben wird. Die Möglichkeit, dass eine solche Stellung überhaupt Gegenstand des Bewußtseins wird, beruht ganz allein darauf, dass jeder Punkt des Sehfeldes zugleich seine bestimmte Stelle in dem Raumbilde hat, das wir uns vermittelst anderer Sinne, des Muskel- und Tastgefühles ausbilden. Oben heißt im empfundenen Sehfeld das, was der Stirn, unten, was den Füßen näher erscheint; oben, was durch eine der Stirn, unten, was durch eine den Füßen zustrebende Bewegung eines tastenden Gliedes erreichbar ist. Erst später, nachdem wir die veränderlichen Lagen unsers eignen Körpers beurteilen gelernt haben, können wir dem Oben und Unten eine von unserer momentanen wirklichen Stellung unabhängige Bedeutung geben, indem wir es auf die vorgestellte aufrechte Körperstellung reduzieren. Dies nun, was wir bis hierher erwähnten, ist noch kein Versuch der Erklärung, keine Hypothese; es ist nur die Definition des zu erklärenden Verhältnisses. Wer dies nicht zugibt, der möge selbst bestimmen, was er unter dem Oben und Unten, Rechts und Links zu verstehen im Stande ist, sobald diese Ausdrücke keine Beziehung auf die durch Muskel- und Tastgefühl uns zum Bewußtsein kommende Körperlage mehr einschließen sollen.
318. Jetzt erst, nach dieser Definition, haben wir die Erklärung zu versuchen. Und hier müssen wir als Grund aller Irrtümer das bekannte Vorurteil bezeichnen, als läge in der wirklichen Stellung des Netzhautbildes für sich allein schon ein ein Motiv für die Seele, es in der gleichen Richtung wahrzunehmen. Man bildet sich ein, weil auf der Retina das Bild des Fußpunktes der Objekte der Stirn näher liege, müsse es auch im empfundenen Sehfelde ihr näher, also oben erscheinen; man spricht in diesem Sinne davon, dass das Netzhautbild umgekehrt werden müsse, gleich als wäre seine wirkliche Lage durch ihr bloßes Dasein schon für die Seele nicht nur von Bedeutung überhaupt, sondern als bildete sie sogar eine Art von Hindernis für das Aufrechtsehn, das durch eine besondere Anstrengung der Seele hinweggeräumt werden müsse. Nun wissen wir aber, dass irgend eine Lage affizierter Nervenpunkte, nicht sofern sie besteht, sondern nur sofern sie als solche Lage auf die Seele wirkt, ein Motiv für diese enthält, sie so und nicht anders zu lokalisieren. Dass das Netzhautbild verkehrt steht, ist in diesem Bezug für die Seele eine so gleichgültige Sache, wie die Lage vieler Punkte in einer verschlossenen Schachtel. Denn um überhaupt wahrgenommen werden zu können, muß ja das räumliche Netzhautbild unvermeidlich in eine Summe intensiver Erregungszustände der Seele übergehen, die weder relative Lagenverhältnisse untereinander mehr haben, noch zusammengenommen eine Lage gegen außen. Die Stellung des Netzhautbildes mag daher sein, welche sie will, so folgt aus ihr niemals von selbst die wahrgenommene Stellung des Empfindungsbildes; läge jenes quer, so hätte es deshalb kein Recht, in querer Stellung angeschaut zu werden, steht es verkehrt, so ist keine Nötigung vorhanden, es deshalb verkehrt zu sehen; ja vielmehr, wenn es überhaupt nur so oder so läge, würde für die Seele nicht einmal die Möglichkeit vorhanden sein, ihm überhaupt irgend eine Lage zu geben. Es muß notwendig vermöge seiner Lage wirken, und zwar so wirken, dass jede Erregung eines untern Netzhautpunktes einen Einfluß ausübt, vermöge dessen das durch sie erlangte Bild sich mit einem Raumpunkte assoziiert, der in dem Raume des Tast- und Muskelgefühls oben ist. Und nun muß man endlich festhalten, dass in der Herstellung solcher Beziehungen zwischen Gesichtssinn und Muskelgefühl die Natur, was das Mechanische betrifft, vollkommen freie Hand hatte. Denn jede dieser Beziehungen kann nur durch eine bestimmt geordnete Verflechtung und Wechselwirkung einer sensiblen Netzhautfaser mit motorischen Nervenfäden hervorgebracht werden. Hier war es nun ganz gleich, ob die Natur die untern Punkte der Retina so mit jenen motorischen Elementen verband, dass sie im Raumbilde des Muskelgefühls oben, oder so, dass sie in ihm unten, oder endlich so, dass sie quer oder sonst wie erscheinen mußten. Keine dieser Einrichtungen wäre schwieriger gewesen als die andere, so dass es einer besondern mechanischen Erklärung für die, welche wirklich getroffen ist, gar nicht bedarf.
319. Dagegen ward diese Freiheit der Natur durch die Zwecke sehr beschränkt, die sie durch solche Organisationen zu erreichen suchen mußte. Denn die beabsichtigte Harmonie der Lokalisation durch das Sehen mit der durch Muskel- und Tastsinn verlangte zweierlei. Zuerst muß jeder seitliche Punkt des Sehfeldes eine suchende Bewegung des Auges erwecken, die eben so nach rechts, links, oben, unten gerichtet ist, wie die Bewegung eines nur tastenden Gliedes, das von dem Orte des Auges ausgehend denselben Punkt am Objekte zu erreichen sucht. Zweitens mußte durch diese Drehung des Auges etwas Nützliches erlangt, d. h. das Bild jenes Objektpunktes auf die Stelle des deutlichsten Sehens übergeführt werden. Diese Forderungen sind nur durch zwei Einrichtungen erfüllbar: durch ein verkehrt stehendes Netzhautbild auf dem konkaven Hintergrund des Auges, oder durch ein aufrecht stehendes Bild auf seiner konvexen vorderen Oberfläche. Die erste Einrichtung finden wir in den Augen aller höhern Tiere, in denen die Strahlen, durch die enge Öffnung der Pupille gehend, sich kreuzen und das Bild auf der Konkavität der hohlkugelig ausgebreiteten Retina entwerfen, während sich der Drehpunkt des Auges vor dem Bilde, zwischen ihm und dem Objekte befindet. Ein unterer Netzhautpunkt a, einem obern Punkte am Objekte entsprechend, erzeugt hier eine Drehung, durch welche das vordere Ende der Augenachse nach oben, d. h. der Stirn zu gehoben wird, gleich dem Arme, der denselben Punkt unmittelbar am Objekte zu fassen sucht, und zugleich wird durch diese Bewegung den von dem Objektpunkte a kommenden Strahlen nicht nur leichterer Zugang durch die Pupille, sondern auch eine intensivere Wirkung gesichert, indem sie jetzt auf die reizbarsten Stellen der Retina fallen. Stände dagegen bei gleicher Struktur des Auges das Netzhautbild aufrecht, so würden daraus sinnlose Widersprüche entstehen. Denn dann würde die Augenachse sich senken müssen, um das Bild eines obern Objektpunktes a auf die Stelle des deutlichsten Sehens zu rücken; diese Bewegung aber würde nicht nur den Raumvorstellungen aus dem Muskelgefühl, sondern auch ihrem eignen Zwecke widerstreben, denn eine nach unten gerichtete Pupille kann von einem obern Objektpunkt nicht mehr, sondern nur weniger Licht empfangen. Ein solches Auge würde nur nützen, wenn es feststände, und dafür der ganze Kopf die Bewegungen übernähme, wodurch der Drehungspunkt hinter das Bild fallen würde. Diese Lage hat er nun von selbst, sobald das Bild des Objektes sich auf der vordem konvexen Oberfläche einer Augenkugel gestaltet. Durch eine solche Organisation, vielleicht annähernd in den musivischen Augen der Insekten benutzt, kommt die optische Lokalisation wieder in Übereinstimmung mit der durch Muskel- und Tastsinn. Denn hier würde, um einen höheren Punkt des Bildes in die Richtung des deutlichsten Sehens zu bringen, die Augenachse, wenn sie beweglich ist, sich wieder nach oben, oder überhaupt nach derselben Gegend drehen müssen, in welcher dieser Punkt sowohl am Objekte, als in dem ihm entsprechenden Bilde liegt. Aus dieser Darstellung erhellt also, dass die Lage des Netzhautbildes an sich für die Lage des wahrgenommenen Empfindungsbildes gleichgültig ist; soll aber die letztere mit den Raumvorstellungen aus dem Tastsinn übereinstimmen, so ist bei unserer Augenorganisation ein verkehrtes Bild auf der Netzhaut nicht bloß kein Hindernis, sondern notwendig.
319. Unmittelbar freilich würde durch Alles dies nur erklärt, wie wir die relative Lage der verschiedenen Sehfelder, die uns durch die wirkliche Bewegung des Auges entstehen, im Einklang mit der Lokalisation derselben durch den Tastsinn bestimmen. Aber auch, wenn das ruhende Auge unverändert ein und dasselbe Sehfeld vor sich hat, erscheinen ihm die Punkte des Objekts, die sich auf dem untern Teile der Netzhaut abbilden, oben, die oberen unten; und der operierte Blindgeborne sieht die Gegenstände nicht in anderer Richtung, als der stets Sehende. Wir können daher auch hier nicht sagen, dass zuerst das Sehfeld ohne alle Lage nach außen, dann zweitens die begleitenden Gefühle einer wirklich ausgeführten oder auch nur intendierten Bewegung wahrgenommen würden, und dass nach Vorlage dieser Data die Seele reflektierend oder auch nur sonst ihres unwillkürlichen Tuns sich bewußt, den einzelnen Teilen des Sehfeldes ihre Lage anweise. Jene Assoziation der Netzhautpunkte mit Bewegungstendenzen ist nur für eine unbewußte und unwillkürliche Tätigkeit der Seele ein Prinzip des Verfahrens; sei es nun, dass der Eindruck, den sie auf sie macht, überhaupt nie sich zum bewußten Gefühle steigert, oder dass er anfangs zwar eine Veränderung des Bewußtseins erzeugte, die aber nach so langer Gewohnheit in dem gebildeten und geübten Auge längst aufgehört hat, merklich zu sein. So kommt es, dass auch die Stellung des Empfindungsbildes uns als etwas sich von selbst Verstehendes und einfach Gegebenes, nicht aber als etwas Wiederzuerzeugendes und psychisch erst Festzustellendes erscheint.
320. Die Tatsache, dass wir bei richtiger Einstellung beider Augenachsen die beiden Bilder eines Punktes a, den wir fixieren, als eines wahrnehmen, bildet den letzten zu diesem Kreise gehörigen Gegenstand. Man pflegt sie dadurch zu erklären, dass man in den Netzhäuten beider Augen identische und nichtidentische Stellen unterscheidet. Fallen die beiden Bilder von a auf identische Stellen beider Augen, so gewähren sie eine Empfindung, fallen sie auf nichtidentische, so entsteht Doppeltsehen. Natürlich würde man nun die Identität zweier Stellen eben darauf beziehen müssen, dass sie beiden Augen vollkommen sich deckende und gleiche Bewegungstriebe veranlaßten. Dies würde ganz leicht sein, wenn die Augen, um von einem Objekte eine einfache Empfindung zu haben, ihre Achsen parallel richten müßten. Dann würden sie, indem sie nach rechts, nach oben, unten, links sich drehen, vollkommen gleiche Bewegungsweisen erfahren, sobald man voraussetzt, dass der innere gerade Muskel jedes Auges mit dem äußern geraden des andern ein zusammengehöriges Paar bilde, was nicht unwahrscheinlich sein würde, da beide äußere gerade Muskeln in der Tat nie zusammenwirken. Der Umstand jedoch, dass die Einfachheit der Empfindung nur durch Konvergenz der Augenachsen und durch ihr Zusammentreffen an dem zu fixierenden Objektpunkte möglich ist, macht diese Betrachtung schwieriger. Sie wird sich auch schwerlich ohne sehr umfassende Erweiterung unserer anatomischen Kenntnisse vom Sehorgan für jetzt durchführen lassen. Denn es ist klar, dass die identischen Stellen der Netzhäute nicht in allen Tierklassen gleich angeordnet sein können. Schon bei vielen Säugetieren stehen die Augen so bedeutend seitwärts am Kopfe, dass sie bei allen ihren Bewegungen nur einen viel kleineren Teil des Sehfeldes gemeinschaftlich beherrschen, als bei dem Menschen, noch weniger oder auch gar keine identischen Stellen werden bei Vögeln und Fischen möglich sein, deren jedes Auge sein Sehfeld für sich hat. Bei den zusammengehäuften zahlreichen Augen der Insekten ist es wahrscheinlich, dass das Sehfeld des einen da beginnt, wo das des andern aufhört. Alle zusammengenommen beherrschen indessen doch immer nur einen gewissen Ausschnitt des Raumes. Dächten wir uns ein Tier, mit Augen rings besetzt, deren aneinanderstoßende Sehfelder den ganzen Raum lückenlos und mit überall gleicher Intensität der Sehkraft abspiegelten, so würde es in der Vorstellungswelt dieses Tieres zwar eine relative Lage der Punkte seines hohlkugelförmigen Sehfeldes, aber kein Oben und Unten, kein Rechts und Links mehr geben können. Denn diese Anschauungen hängen davon ab, dass nur durch gewisse Bewegungen des Körpers oder des Auges, nicht aber durch andere, die Empfindung eines Objektpunktes überhaupt vermittelt und zur größten Deutlichkeit gebracht wird. So erscheint die Tatsache, dass nur ein Teil der Netzhaut vollkommen scharfer Bilder fähig ist, und die geordnete Übertragung der Erregung jedes ihrer Punkte auf motorische Nerven als der Mittelpunkt unserer ganzen räumlichen Auffassung der Empfindungen.