VIERTES KAPITEL.
Von den räumlichen Anschauungen.

§. 28.
Vorbemerkungen über den Sinn der Aufgaben.

285. Einzeln und getrennt von einander haben wir bisher die Elemente des geistigen Lebens, Empfindungen, Gefühle, Bewegungen, verfolgt. Doch sie alle erhalten ihren Wert für die Gesamtheit der psychischen Ausbildung erst durch jene Zusammenfassung, in der sie entweder unmittelbar sich selbst zu einer räumlichen Weltauffassung verbinden, oder wenigstens auf einzelne Punkte eines solchen Weltbildes bezogen erscheinen, dessen Herstellung zum größten Teil dem Auge und dem Tastsinn übertragen ist. Der Fragen, die sich über Entstehung und Ausbildung dieser räumlichen Anschauungen zudrängen, sind viele, und wenige leicht zu beantworten; nirgends so sehr wie auf diesem Gebiete haben die verschiedenen Erklärungsversuche so viele unbegründete und unmögliche Voraussetzungen hindurchblicken, so viele Verwechslungen des Gesuchten und Gegebenen sich zu Schulden kommen lassen. Ohne große Hoffnung, diese Lage der Dinge für die Zukunft zu ändern, wollen wir dennoch zunächst über den Sinn der lösbaren Aufgaben jene allgemeinen Bemerkungen voranschicken, welche geeignet sein können, in der Erklärung des Einzelnen das Betreten ungangbarer und zielloser Wege zu verhüten. Und hierzu bestimmt uns zugleich ebenso sehr der Wunsch, deutlich das auseinander zu halten, was wir einerseits als gewisse Maxime der Untersuchung betrachten, und was wir ihm gegenüber nur als wahrscheinliche Hypothese über einen nicht hinlänglich ermittelbaren Tatbestand ansehn zu dürfen glauben. Den Erörterungen des Einzelnen diese letztern Vermutungen überlassend, wollen wir daher zuerst nur dessen gedenken, was uns als die notwendige Grundlage aller hierher gehörigen Untersuchungen gilt. Doch selbst darüber, was hierher gehört, müssen wir ein Wort vorausschicken, indem wir zwei oft vermischte Fragen völlig von einander trennen. Die erste, der wir uns vorläufig allein zuwenden werden, bezieht sich auf die Entstehung der räumlichen Anschauung unsers eignen Körpers und der Außenwelt, sofern beide vereinigt ein geometrisch geordnetes Bild darstellen, zusammengesetzt aus einzelnen unterscheidbaren Punkten, deren relative Lage wahrgenommen und deren Entfernung ihrer Größe nach geschätzt wird. Völlig hiervon zu scheiden ist die andere Frage woher uns die Nötigung kommt, in diesem geometrischen Bilde jene Grenzlinie zu ziehen, welche einen Teil desselben als Außenwelt von uns, dem anschauenden Subjekte trennt. Diese zweite Aufgabe wird nur in unmittelbarem Zusammenhang mit der Lehre von der Entstehung des Selbstbewußtseins lösbar sein; sie hier auszuscheiden, veranlaßt uns der Umstand, dass so häufig die bekannten Fragen nach dem Grunde dieses interpretierenden Hinaussetzens und Objektivierens der Wahrnehmungen sich zwischen die rein topologische Erklärung des geometrischen Wellbildes störend eingedrängt haben.

286. Nur eine ganz kindliche Auffassungsweise früherer Zeiten sprach von Bildern, die sich von den äußern Gegenständen ablösen und durch die Pforten der Sinnesorgane in die Seele einziehen sollten. Wir haben längst gelernt, dass nie der äußere Reiz unmittelbar so, wie er ist, in die Seele übertreten, dass er vielmehr stets sie nur anregen kann, aus ihrer eigenen Natur heraus eine Empfindung zu erzeugen. Gilt dies schon von dem qualitativen Inhalt alles Wahrgenommenen, so gilt es um so deutlicher von seinen räumlichen Verhältnissen. Die Seele ist weder ein widerstandloses, noch ein ausgedehntes Mittel, in welchem die räumlichen Bilder der Objekte Platz nehmen könnten; unsere Vorstellungen des Ausgedehnten sind nicht minder intensiv, als unsere Begriffe des an sich Unräumlichen. Welche Zeichnung und Gestalt, welche Regelmäßigkeit oder Unregelmäßigkeit der Lagen und der Distanzen einer Gesamtheit zugleich vorhandener Reize auch immer liegen mag, nie können alle diese Verhältnisse durch ihre bloße Gegenwart eine ebenso geordnete, ihnen ähnliche Anschauung erzeugen; sie können überhaupt nur wahrgenommen werden, sofern sie auf die Seele wirken, und sie können in ihren räumlichen Beziehungen nur wahrgenommen werden, sofern auch diese im Stande sind, in der Gesamtheit der Erregungen, welche die Seele von jenen Elementen erfährt, sich durch eigene Wirkungen geltend zu machen. Doch diesen äußersten Irrtum, als sei das Dasein der Objekte hinlänglich, um ihre Wahrnehmung zu begründen, oder als würden ihre Bilder von dem ruhenden Spiegel des Bewußtseins nur aufgenommen, können wir für überwunden annehmen; wir finden desto häufiger, dass er sich in einer etwas feineren Form wiederholt. Man deutet darauf hin, dass die Objekte nicht nur in gewissen relativen Lagen im Raume außer uns vorhanden sind, sondern dass sie auch gemäß diesen ihren räumlichen Beziehungen auf unsere Sinnesorgane einwirken. In dem Auge hat die Natur kunstvolle Mühe aufgewandt, um die Lichtstrahlen eines Objektes so regelmäßig die Netzhaut berühren zu lassen, dass einem zweiten Auge die von ihr zurückgeworfenen oder sie durchdringenden Lichtstrahlen ein deutliches Bild des Objektes gewähren. Aber während die räumliche Lage der Punkte des Objektes selbst für unsere Seele eine gleichgültige Tatsache der Außenwelt war, ist das Bild auf der Netzhaut eine in gleiche räumliche Form gebrachte Summe unserer eigenen lebendigen Affektionen. Die Regelmäßigkeit des Gegenstandes selbst war kein Grund, ihn regelmäßig wahrzunehmen, so wenig als sein Dasein für sich schon ein Grund war, ihn überhaupt wahrzunehmen; die Existenz einer lebendigen Affektion des Nerven dagegen ist ein zwingender Grund für die Seele, diese Erregung in Empfindung zu verwandeln, die regelmäßige räumliche Lage der einzelnen affizierten Nervenpunkte scheint daher eine gleiche Notwendigkeit einzuschließen, dass die Seele auch in ihren Empfindungen die entsprechende Form räumlicher Assoziation wiederhole.

287. Dieses Vorurteil nun, dass die Form, in welcher eine Anzahl gleichzeitiger Erregungen im Nervensystem räumlich neben einander verlaufen, unmittelbar den Grund für eine ähnliche räumliche Disposition der Empfindungen enthalte, ist der Irrtum, der in den allermannigfachsten Gestalten wiederkehrend, die Erklärung der sinnlichen Weltauflassung überall verdirbt. Es ist wenig damit gebessert, dass es jetzt nicht mehr objektive Bilder, die sich von den Dingen ablösen, sondern subjektive Erregungsbilder sein sollen, die man mit aller ihrer räumlichen Zeichnung unmittelbar in das Bewußtsein übergehen läßt. Unfehlbar muß auch für sie in ihrer Überleitung zur Seele der Punkt eintreten, wo ihre ganze geometrische Gestalt spurlos zerstört wird, und wo sie in der Seele durch eine Summe intensiver Erregungen ersetzt werden, die gleich einer Vielheit von Tönen, keine Andeutung räumlicher Ausdehnung oder Lage mehr enthält. Sollen wir daher eine Anschauung der wirklichen Lage äußerer Objekte gewinnen, so kann es nicht auf dem Wege der Auffassung, sondern auf dem der Wiedererzeugung der Räumlichkeit sein. Überall wird das Extensive in ein Intensives verwandelt, und aus diesem erst muß die Seele eine neue innerliche Raumwelt rekonstruieren, in welcher die Bilder der äußern Objekte ihre entsprechenden Stellen finden. So wie eine veränderliche Größe abnehmen kann bis zu einem Nullwert und jenseit desselben wieder wachsen, so geht die Regelmäßigkeit der geometrisch geordneten Einwirkungen unfehlbar in einem Punkte vollkommener Unräumlichkeit zu Grunde und wird jenseit desselben wiedererzeugt. Und wie eine veränderliche Größe sich von neuem entfaltet, nicht weil sie ihre früheren wirklichen Werte auf verborgene Weise mit in den Nullwert hereingeschleppt, sondern weil das Gesetz ihres Wechsels sich durch dieses augenblickliche Verschwinden reeller Werte hindurch erhält, so werden auch die geschehenen Eindrücke in der Seele sich wieder zu einer Raumwelt ausbreiten, nicht indem sie eine verborgene Räumlichkeit in das Bewußtsein eingeschwärzt, sondern weil sie vermocht haben, zwischen den intensiven Erregungen der Seele, die sie erzeugten, Relationen zu unterhalten, aus denen in der rekonstruierenden Tätigkeit der Anschauung das Bild der veranlassenden Objekte wiedererstehen muß.

288. Wir würden wahrscheinlich unmittelbar deutlicher sein, wenn wir diese Punkte nicht in ihrer allgemeinen Gestalt, sondern sofort in ihrer Anwendung auf die einzelnen Sinne zu erörtern suchten. Aber der Folge diese größere Aufhellung aufsparend, halten wir es für nötig, sowohl die wahren Grundsätze als die allgemein verbreiteten Vorurteile dieses Gebietes von Überlegungen auf einen gleich allgemeinen formalen Ausdruck zu bringen, der uns später gestatten wird, in allen einzelnen Fällen der Anwendung auf diese Kritik zu verweisen. Fanden wir nun den ersten Fehler einer gewöhnlichen Ansicht in dieser Unklarheit, mit der sie räumliche Dispositionen der Erregungen überhaupt als solche in die Seele übergehen läßt, und ihre unvermeidliche Verwandlung in eine Summe gleichzeitiger intensiver Elemente umgehen möchte, so müssen wir zweitens ihr vorwerfen, dass sie nur verdeckter auch den andern Fehler wiederholt, das Dasein einer Tatsache für den hinlänglichen Grund ihres Wahrgenommenwerdens zu halten. Ein Farbenpunkt a auf der Retina ist eine wirkliche Erregung des Nerven, die auf die Seele einen nötigenden Einfluß zur Erzeugung einer Empfindung a ausübt; ein Farbenpunkt b, der neben ihm liegt, wird nicht minder die Empfindung berzeugen; aber die Tatsache, dass a neben b liegt, vermehrt keineswegs die Summe dessen, was auf die Seele dieses Sehenden einwirkt. So sehr die Nachbarschaft von a und b besteht, so kann sie doch nicht durch ihr bloßes Dasein, sondern dann erst sich eine Beachtung vom Bewußtsein erzwingen, wenn sie selbst außer den beiden Nervenerregungen, die von a und b ausgehen, einen dritten Nervenprozeß erzeugt, an dem sie ihr mechanisches Moment gewinnt, um auf die Seele Einfluß zu üben. In der Tat, man nehme an, dass zuerst nur der Eindruck a bestehe, so wird in ihm natürlich keine Hindeutung auf ein b liegen, das ja nicht da ist; bestände b allein, so würde es ebenso wenig auf a deuten. Bestehen nun a und b zugleich, so wird die Seele auch zugleich die Empfindungen a und b haben; über ihr räumliches Verhältnis dagegen erhält sie entweder gar keine Kunde und nimmt es daher auch nicht wahr; oder es entwickelt sich aus dem gleichzeitigen Vorkommen von a und b nebeneinander mit physischer Notwendigkeit noch ein dritter Nervenprozess c, dem nun erst eine neue Empfindung g, als Maß der Nachbarschaft oder Entfernung jener beiden entspricht. Im Allgemeinen: was für die Seele da sein soll, muß auf sie wirken; so wie nicht das Dasein eines Objekts, sondern nur der Druck oder Stoß, den es ausübt, seine Empfindung motiviert, so motiviert alle räumliche Lagerung und Nachbarschaft erregter Nervenenden nicht im allermindesten eine ähnliche Lagerung und Nachbarschaft der von ihnen erregten Empfindungen. Alle diese räumlichen Verhältnisse zwischen den verschiedenen Erregungen des Körpers sind nur ein Material, das wahrgenommen werden kann, und dann wahrgenommen wird, wenn es einen Eindruck zu machen versteht, das jedoch so lange wie nicht vorhanden ist, als es nur vorhanden ist und jenen Eindruck nicht macht.

289. Für die Beurteilung des anatomischen Baues der Sinnesorgane geht nun hieraus eine allgemeine Maxime hervor. Finden wir irgendwo Veranstaltungen getroffen, um eine Vielheit äußerer Reize in geordneten geometrischen Verhältnissen auf das Nervensystem wirken zu lassen, so sind uns solche Einrichtungen allerdings als Andeutungen wichtig, dass die Natur aus jenen räumlichen Beziehungen etwas für das Bewußtsein zu machen beabsichtigt. An sich jedoch erklären sie nichts, und es ist notwendig, überall in den Sinnesorganen zugleich jene anderen Mittel aufzusuchen, durch welche die Lage der erregten Punkte noch neben ihrer qualitativen Erregung auf die Seele zu wirken vermag. Da nun die spätere Lokalisation eines Empfindungselementes in der räumlichen Anschauung unabhängig ist von seinem qualitativen Inhalt, so dass in verschiedenen Augenblicken sehr verschiedene Empfindungen die gleichen Stellen unsers Raumbildes füllen können, so muß jede Erregung vermöge des Punktes im Nervensystem, an welchem sie stattfindet, eine eigentümliche Färbung erhalten, die wir mit dem Namen ihres Lokalzeichens belegen wollen. Über die nähere Natur dieses Lokalzeichens werden wir uns bald weiter zu äußern haben; wir können es hier nur als einen physischen Nervenprozeß überhaupt bezeichnen, der sich konstant für jede Stelle des Nervensystems mit jenem veränderlichen Nervenprozeß assoziiert, welcher an derselben Stelle dem qualitativen Inhalt der wechselnden Empfindungen zu Grunde liegt. Beide Prozesse stören einander entweder gar nicht, oder in höchst unbeträchtlichem Maße, und während die Seele fortfährt, unter dem Einflusse des letztern ihre gewöhnlichen qualitativen Empfindungen zu bilden, wird jede von ihnen zugleich von einer andern Erregung begleitet, welche abhängig von dem Lokalzeichen ihre spätere Einordnung an eine Stelle des vorgestellten Raumes bedingt.

290. Von dieser Voraussetzung nun läßt sich eine doppelte Anwendung denken. Zuerst erinnern wir daran, dass die Seele in sich selbst nicht den geringsten Grund haben kann, eine Empfindungsqualität, welche ihr von vielen Nerven in demselben Augenblick auf völlig gleiche Weise erregt wird, als eine vielfache Empfindung zu fassen; das viele Gleiche muß vielmehr unaufhaltsam in eine Einheit zusammenrinnen. Es wird dagegen anders sein, wenn jede einzelne dieser Empfindungen von einem ihr allein eigentümlichen Lokalzeichen begleitet ist, das sie an der Stelle ihres Eintritts in den Körper oder auch in die Zentralorgane erhielt. Ohne die Qualität des Empfundenen zu ändern, werden doch diese Nebenbestimmungen sein Zusammenfallen hindern, und die Seele wird genötigt sein, denselben Empfindungsinhalt auseinander treten zu lassen und ihn so oft vorzustellen, als er mit verschiedenen Lokalzeichen verbunden sich dem Bewußtsein zudrängt. Dass hierauf alle Raumanschauung beruhen müsse, ist nun leicht zu sehen; dennoch bildet dieser Umstand nur eine notwendige Bedingung, aber nicht die erzeugende Grundlage dieser Anschauung. So lange wir nämlich die Lokalzeichen nur als verschieden ansehen, wie die Buchstaben a , b , g dies andeuten würden, sie dagegen nicht als Glieder einer geordneten Reihe betrachten, so dass wir sie durch vergleichbare Zahlen bezeichnen könnten: so lange wird zwar ein Auseinandertreten der von ihnen begleiteten Empfindungen statthaben, aber ohne dass daraus irgend eine deutliche Raumanschauung erwüchse; denn man würde durch solche ihrer gegenseitigen Distanz nach unbestimmte Lokalzeichen zwar zur Trennung genötigt, zur Anweisung bestimmter relativer Lagen der empfundenen Elemente dagegen nicht befähigt sein. Wir sehen etwas Ähnliches im Gehörsinn. Wird ein und derselbe Ton von verschieden klingenden Instrumenten angegeben, deren abweichendes Timbre etwa solchen Lokalzeichen vergleichbar wäre, so entsteht zwar ein deutliches Gefühl einer gewissen Breite des Tones neben dem Zuwachs der Stärke, aber die einzelnen Töne treten doch nicht räumlich auseinander. Doch kann diese Erscheinung, die freilich noch andere Bedingungen hat, nicht sowohl als Beispiel sondern nur als Gleichnis gelten. Im eigentlichen Sinne dagegen gilt unsere Bemerkung von den Empfindungen der Temperatur und des Druckes. Dächten wir uns alle Hautnerven funktionell gleich organisiert, so würde derselbe Wärmegrad, der auf viele von ihnen einwirkt, von uns eben so empfunden werden müssen, als wirkte die gesamte Wärme durch eine einzige Faser, denn die vielen vollkommen gleichen Empfindungen, die von den einzelnen Nerven erweckt würden, hätten im Bewußtsein keine denkbare Zwischenwand zwischen sich, welche sie an völliger Verschmelzung hinderte. Denken wir uns dagegen, dass jeder einzelne Nerv seiner Wärmeerregung zugleich ein ihm allein eignes Lokalzeichen mitgibt, verschieden von dem aller andern, so wird allerdings im Bewußtsein die Vorstellung einer öfteren Wiederholung des gleichen Wärmereizes eintreten müssen. Und diese mehrfachen Empfindungen werden nicht nur überhaupt auseinandertreten, sondern die später zu berührende Gewohnheit der Seele, Raumvorstellungen überhaupt zu bilden, wird sie auch räumlich auseinandertreten lassen. Wenn jedoch hieraus die Vorstellung einer ausgedehnten Wärme entsteht, so ist doch nicht minder gewiß, dass diese Vorstellung geometrisch höchst unbestimmt ist; sie hat nicht nur keine bestimmten Raumgrenzen, sondern wir könnten nicht einmal sagen, dass wir uns bewußt wären, sie füllte stetig und ohne Lücken den Raum, in dem sie zu sein scheine. Diese Schwierigkeit, den Empfindungen der Wärme und denen des Druckes trotz ihrer wahrgenommenen Ausdehnung bestimmte räumliche Formen zu geben, hängt davon ab, dass die Hautnerven ihren Erregungen zwar verschiedene Lokalzeichen, aber nicht solche mitteilen, welche selbst Glieder eines sehr fein abgestuften Systems vergleichbarer Elemente wären. Obgleich wir daher die Reize der einzelnen Hautpunkte sehr leicht als örtlich verschiedene überhaupt wahrnehmen, so beruht doch ihre Einordnung an bestimmte Raumpunkte der Körpergestalt gar sehr auf Assoziationen zwischen ihnen und den Gesichtsvorstellungen.

291. Ein solches System der Lokalzeichen nun, aus welchem eine geometrisch klare Raumvorstellung entspringen könnte, ließe sich in doppelter Weise denken. Es könnte zuerst aus Lokalempfindungen gebildet sein, dem analog, was wir bei Gelegenheit des Muskelgefühls erwähnten. Jede Stellung eines Gliedes nicht nur, sondern auch jede Berührung einer einzelnen Stelle könnte sich von der jeder andern Stelle durch die eigentümliche Kombination der leisen Mitempfindungen unterscheiden, welche die Verbreitung der Wirkungen des Reizes über seine eigentliche Angriffsstelle hervorbringt. Viel vollkommner und mathematisch vergleichbaren Größenbestimmungen noch viel zugänglicher würde jedoch ein System von Bewegungen sein, die durch den Eintritt des Reizes entweder hervorgebracht, oder zu denen mindestens eine Tendenz entwickelt würde. Denken wir uns irgend ein sensibles Organ so beweglich, dass durch die Wirksamkeit eines kombinierten Muskelsystems einer seiner empfindlichen Punkte nach jeder Richtung des Raumes gewendet werden kann, und setzen wir ferner voraus, dass die Einwirkung eines Reizes stets diese Bewegungstriebe in irgend einer Weise erwecke, so sehen wir, dass jede Stelle des Organs ihren Erregungen ein vollkommen mathematisch bestimmtes und ebenso ihr ausschließlich eigentümliches Lokalzeichen zuzugeben vermögen würde. Denn jede Stelle könnte eine Bewegungstendenz nicht nur von bestimmter Größe, sondern auch von einer nach den drei Koordinaten des Raumes bestimmten Richtung erwecken, die für keine andere Stelle genau so wiederkehrte, und doch zugleich zu jeder andern solchen Bewegungstendenz in einem genau bestimmten Grade der Ähnlichkeit, Verschiedenheit, der Steigerung oder des Gegensatzes stände. Diese Erwägungen bestimmen uns im Voraus, jene Lokalzeichen der Nervenerregungen im Allgemeinen nicht in passiven Nebenzuständen zu suchen, die jede Stelle des Nervensystems nach ihrer Struktur noch neben den Empfindungsreizen nur erleidet, sondern in den Bewegungen, welche sie vermöge ihres Zusammenhangs mit dem übrigen Nervensystem nach Weise des Reflexes hervorzubringen strebt. Sowohl das Auge als der Tastsinn werden uns Gelegenheit geben, die Wirksamkeit dieser Voraussetzung zur Erklärung der Raumanschauungen zu prüfen.

292. Aber vorher ist noch ein Punkt von allgemeinem Interesse zu erwähnen. Gesetzt nun auch, der Seele werde mit jeder qualitativen Empfindung zugleich jenes Lokalzeichen zugeführt, das nun bestehen möge, worin es wolle: ist es nicht dennoch eine Erschleichung, wenn wir behaupten; dass sie hierdurch allein befähigt und genötigt werde, ihre Empfindungen nicht nur überhaupt auseinanderzuhalten, sondern sie auch räumlich von einander zu scheiden? In der Tat müssen wir diese Frage zum Teil bejahen. Zwar, dass das Bewußtsein jene Empfindungen, welche sich mit verschiedenen Lokalzeichen assoziiert haben, überhaupt auseinanderhalten müsse, dürfen wir als gewiß ansehen; aber allerdings würde ihre Unterscheidung ja noch immer in jener intensiven Weise erfolgen können, in welcher wir die gleichen Töne von verschiedenem Timbre wahrnehmen, sie auseinanderhaltend zwar, aber doch nicht so, dass ihre Unterschiede als räumliche Distanzen erschienen. Es war indessen auch keineswegs unsere Absicht, aus jenen Lokalzeichen die Fähigkeit der Seele, Raum überhaupt anzuschauen, oder ihre Nötigung abzuleiten, das Empfundene in diese Anschauung aufzunehmen. Wir setzen vielmehr voraus, dass es in der Natur der Seele Motive gibt, um deren willen sie einer räumlichen Anschauungsform nicht nur fähig ist, sondern auch zu ihrer Anwendung auf den Inhalt der Empfindungen gedrängt wird; und weder jene Fähigkeit noch diese Nötigung suchten wir aus den vorausgesetzten physiologischen Verhältnissen jener Lokalzeichen zu erklären. Angenommen jedoch, und als eine im Voraus anzuerkennende Tatsache zugestanden, dass die Seele Raumvorstellungen bilden könne und dazu wi1lig sei, so entstand noch immer die andere Frage, nach welchen Prinzipien der Auswahl sie in dieser allgemeinen Raumvorstellung, die sie bildet, der einen Empfindung hier, der andern dort ihre Plätze anweisen, oder wonach sie sich richten wird, um die Empfindungen a und b als Nachbarn, a und c als entfernt von einander anzuschauen. Sind einmal alle geometrischen Verhältnisse, welche zwischen den Teilen der äußern Reize und noch zwischen den ihnen entsprechenden Eindrücken im Nerven bestanden, in dem bloß intensiven Dasein verschwunden, welches den Vorstellungen in der Seele allein zukommt, und sollen sie aus diesem rekonstruiert werden, so müssen an den einzelnen Empfindungen intensive Merkzeichen angebracht sein, welche die Lage ihrer Objekte im Raume vertreten, und aus welchen die Seele die räumliche Ordnung wiederherstellen kann. Hierzu allein sollen jene Lokalzeichen dienen; sie sollen nicht der Seele, die an sich weder Neigung noch Fähigkeit zu räumlicher Anschauung hätte, beide einflössen, sondern sie sollen ihr, die ihrer Natur gemäß zu räumlicher Entfaltung ihres intensiven Inhalts drängt, Mittel sein, diese ihre allgemeine Vorstellungsweise in Übereinstimmung mit der Natur und den gegenseitigen Verhältnissen der Gegenstände anzuwenden.

293. Wir können es ruhig einer philosophischen Psychologie überlassen, ob das, was wir hier als Tatsache nur voraussetzen, einer weitern Ableitung und Erklärung fähig sei. Für alle unsere physiologischen Betrachtungen reicht die Vorstellung hin, dass die Raumanschauung ein der Natur der Seele ursprünglich und a priori angehöriges Besitztum sei, das durch äußere Eindrücke nicht erzeugt, sondern nur zu bestimmten Anwendungen provoziert wird. Wir meinen damit nicht, dass der unendliche nach drei Richtungen ausgedehnte Raum von selbst ein immerwährender Gegenstand unsers Bewußtseins sei, den wir etwa seit unserer Geburt in Gedanken anstierten, begierig, ihn mit Bildern zu füllen. Wir meinen nur, dass die ursprüngliche Natur unsers Geistes uns dazu treibt, unsere Empfindungselemente in räumlichen Lagen zu ordnen, und dass eine spätere Reflexion auf die unendliche Anzahl solcher Anordnungen, die wir unbewußt vorgenommen haben, uns auch die mehr oder minder lebhafte Gesamtanschauung des alle umfassenden unendlichen Raums zum Bewußtsein bringt. Aber wir glauben zugleich, dass ein besonderer Zug in der Natur der Seele nötig ist, um sie zu dieser unvermeidlichen Form ihrer Auffassung zu befähigen und dass eine intelligente, im Übrigen uns ähnliche Seele, welche dieses Zuges entbehrte, durch alle die fein abgemessenen Verhältnisse der Eindrücke, die uns zur Anwendung der Raumformen drängen, nicht zu derselben räumlichen Anschauungsweise vermocht werden, sondern nur eine Vielheit einander intensiv durchklingender Vorstellungen besitzen würde. Wir müssen daher alle Versuche mißbilligen, unsere Raumanschauungen nur aus den beiden Elementen, der vorstellungsfähigen Seele einerseits, und der simultanen oder sukzessiven Ordnung der Reize anderseits zu erklären. Denn es kann kein noch so fein gegliedertes und organisiertes System von Beziehungen zwischen den doch stets intensiven Eindrücken der Reize geben, welches durch sich selbst dazu aufforderte, als System räumlicher Beziehungen angeschaut zu werden, und das nicht ganz ebenso gut fortfahren könnte, als System unräumlicher Verhältnisse der Verwandtschaft und des Gegensatzes gleich den abgestuften Harmonien und Disharmonien der Töne empfunden zu werden, wenn nicht eben in der Seele selbst ein Grund läge, mehr zu tun, und das, was nur Beziehung überhaupt ist, als räumliche Beziehung aufzufassen.

294. Wir haben endlich noch ein Wort über das Verhältnis hinzuzufügen, in welchem die Benutzung der Lokalzeichen zum Bewußtsein steht. Wenn man annehmen wollte, dass mit der Empfindung stets auch diese lokale Charakteristik zur bewußten Wahrnehmung gelange, und dass die Seele darüber reflektierend, jedem Empfindungselemente seine Raumstelle anweise; so würde man einen Fall, der nur in den letzten Anwendungen unserer Raumanschauungen vorkommt, mit dem einfachen Vorgange verwechseln, der aller Möglichkeit solcher Anwendungen zu Grunde liegt. Wenn wir trigonometrisch die Lage entfernter äußerer Punkte bestimmen, bedienen wir uns allerdings der Winkel, welche unsere Sehlinien nach ihnen einschließen, mit vollem Bewußtsein als solcher Lokalzeichen und bestimmen aus ihnen die Lage der Punkte durch absichtliche Rechnung. Wenn wir ferner im gewöhnlichen Leben einen Reiz, der unsere Körperoberfläche trifft, auf einen bestimmten Punkt derselben beziehen, so liegt dieser Beziehung zwar auch noch meistens eine der Erfahrung entlehnte Assoziation zu Grunde, welche mit der Qualität der Empfindung ein anderswoher bekanntes Bild der Hautstelle und ihrer Lage verknüpft. Und dieser Hergang pflegt uns schon nicht mehr deutlich zu sein, obwohl wir bei einigem Nachdenken finden, dass wir in der Tat durch eine solche schnelle und unbewußte Wiederholung einer früheren Erfahrung auf die Lokalität des Reizes schließen. Wenn wir aber endlich im Sehfeld die zugleich wahrgenommenen Farbenpunkte an bestimmte Stellen lokalisieren, so ist uns der Grund davon vollkommen unbewußt, und die Lokalzeichen, die wir auch hier voraussetzen, wirken dem Bewußtsein ebenso beständig entzogen, wie die Reize anderer sensibler Nerven Reflexbewegungen hervorrufen, die nur, indem sie schon geschehen, nicht aber in dem Hergange ihrer Begründung in unser Bewußtsein fallen. Die räumliche Lokalisierung gehört daher hier demjenigen zu, was die Seele unbewußt vermöge der Mechanik ihrer inneren Zustände leistet, und diese Leistung ist einer bewußten Vervollkommnung nur ebenso fähig, wie ja alle Bewegungen uns früher als determinierte Folgen unserer innern Zustände erschienen, nicht erzeugbar, aber wesentlicher Verfeinerung durch die bewußte Lenkung der Seele zugänglich. Versuchen wir nun, nach diesen abstrakten Vorbemerkungen zu prüfen, welche Hilfsmittel für die Anwendung dieser Prinzipien die körperliche Organisation uns zu Gebote stellt.