§. 27.
Von den Systemen der Bewegungen.

278. Nach den bisherigen Betrachtungen über den Mechanismus der Bewegungserzeugung bleibt uns nur wenig über den Gebrauch zu sagen übrig, den die Natur von diesen Mitteln macht, und von der Disposition der Zentralorgane, durch die sie der Seele teils willenlos geschehende Bewegungen zu Diensten stellt; teils willkürlich bestimmbare für sie lenksam werden läßt. An ein Zentralorgan, das den Willen erzeugte, oder auch nur allgemein ihn zur Hervorbringung von Bewegungen befähigte, wird man längst nicht mehr denken wollen; wenn irgend eine psychische Tätigkeit, so verlangt der Wille einen rein geistigen Ursprung, und keine Unterstützung eines körperlichen Organs würde des Wollens unfähige Seelen wollen lehren. Eine Fähigkeit freilich, Bewegungen zu bewirken, müßte allerdings dem Willen, der an sich nur ein innerliches Ereignis in der Seele ist, durch eine organische Einrichtung zugeteilt werden; nur ist es wenig wahrscheinlich, dass eine solche in Gestalt eines einzigen motorischen Zentralorgans getroffen sei. Denn wir haben früher zu zeigen gesucht, dass der Wille selbst ein ziemlich accessorisches Element in der Hervorbringung auch der willkürlichen Bewegungen ist, und dass seine Wirksamkeit sich in der Herstellung einer Vorstellung oder eines Gemütszustandes erschöpft, mit welchem weiter das Entstehen der Bewegung als automatische Folge verbunden ist. Und ferner ist es uns nicht unwahrscheinlich gewesen, dass weder Vorstellung noch Gemütsaffekt unmittelbar als psychische Elemente diese Folge erzeugen, sondern dass sie zunächst auf die sensiblen Zentralorgane rückwärts wirken und in ihnen dieselben Zustände erwecken, die sie erfahren würden, wenn der Inhalt der Vorstellung von Neuem als Sinnesreiz auf uns einwirkte. Haben wir nun darin Recht, und besteht der nächste Ausgangspunkt der Bewegung in einer Veränderung des Nervensubstrats, welche von der Vorstellung eines entweder beabsichtigten oder doch zugelassenen Erfolges derselben Bewegung ausgeht, so würden natürlich auch die motorischen Elemente des Nervensystems nicht sowohl unter sich zu einem einzigen Bewegungszentralorgan, sondern vielmehr auf das Engste mit jenen andern Elementen verbunden zu denken sein, durch welche ihnen eben die Anregungen zur Ausübung ihrer Funktionen zugeführt werden. Man würde deshalb Veranlassung haben, so viele einzelne motorische Zentralstellen zu vermuten, als es überhaupt abgeschlossene in sich zusammenhängende Systeme motorischer Leistungen, oder eben so abgeschlossene Gruppen von Anregungen gibt, welche Bewegungen zu erzeugen vermögen. Und von diesen Organen allen würden rein motorische nur etwa diejenigen sein, welche Bewegungen regulierten, die dem Einflusse der Seele überhaupt entzogen sind; alle jene andern dagegen, zu deren Leistungen psychische Elemente irgend eine Mitbedingung bilden, würden notwendig zugleich sensible Teile enthalten müssen. Wir dürften daher einer gewöhnlichen Meinung nicht beistimmen, welche die Summe der motorischen Nervenelemente hier, die der sensiblen dort in den Zentralorganen lokalisiert; nur gemischte Organe für einzelne Systeme von Leistungen, nicht Organe für die allgemeinen Kategorien: Sensibilität und Mobilität würden uns wahrscheinlich sein. Und auch so wird sich vielleicht ergeben, dass Bewegungen, die man nicht ohne ausgedehnte Zentralorgane für möglich hält, ganz ohne ein solches erklärbar sind, während andere geringer geschätzte einen großen Teil des Gehirns in Anspruch nehmen.

279. Eine der feinsten Leistungen unsers Muskelsystems ist die Erhaltung des Gleichgewichts bei verschiedenen Stellungen unsers Körpers. Manche hierzu mitwirkende Bewegungen bedürfen allerdings gar keiner physiologischen Erklärung. Wenn wir uns auf dem Absatze des Fußes herumdrehen und dabei die Arme sich fast bis zu horizontaler Streckung emporheben, um in größeren Kreisen, als der Körper selbst, zu schwingen, oder wenn im Gehen das zurückstehende Bein an dem vorausgesetzten vorbeischwingt, so dienen beide Schwingungen allerdings zur Verhütung des Falles; aber sie sind hier nicht Produkte einer besondern organischen Einrichtung, sondern einfache Beispiele einer Verteilung der Bewegung, die ganz eben so an jeder Marionette mit beweglichen Gelenken stattfindet. Viel unklarer dagegen sind die Bedingungen, unter denen die Verrückung des Schwerpunktes zum Motiv für so mannigfache lebendige Kontraktionen wird, wie wir sie in diesem Falle auf die verschiedensten Muskeln und zwar in sehr verschiedenen Abstufungen der Stärke verteilt, als kompensierende Bestrebungen auftreten sehen, und gern hat man zur Erklärung dieser merkwürdigen Leistung eine besondere Mitwirkung der Zentralorgane angenommen. Eine Analyse dessen, was hier vorgeht, macht jedoch die Notwendigkeit dieser Annahme zweifelhaft. Vor allem setze ich voraus, dass die Gleichgewichtsbestrebungen nicht angelernte Fähigkeiten sind, auf dem langweiligen Wege der Assoziationen entstanden. Halten wir uns an das einfache Beispiel der horizontalen Ausstreckung des Arms, durch die wir das Gleichgewicht wahren, wenn eine Last am andern Arme den Körper dort niederzieht: sollen wir diese Leistung durch Assoziationen früherer Erfahrungen erklären? Wir würden sagen müssen: zuerst sei der Körper unter einer solchen Last wirklich einmal gefallen, denn nur so kann die erneute Lastempfindung die Furcht vor dem Falle reproduzieren; dann sei bei einer zweiten ähnlichen Einwirkung der Last zufällig der andere Arm in jene horizontale Stellung geraten und der Körper sei hier nicht gefallen, denn nur so kann die wiedererwachende Furcht vor dem Falle zugleich die Vorstellung der Streckung des Arms, als eines Mittels ihm zu entgehen, wieder hervorrufen. Aber alle diese kompensierenden Bewegungen geschehen so instinktmäßig, so gleichförmig bei allen Individuen, sind so früh schon bei jungen Tieren ausgebildet und werden selbst von Kindern, die nie gefallen sind, sogleich ausgeführt, wenn ihr Schwerpunkt seine Stütze verliert, dass wir sie aus allen diesen Gründen als unmittelbar mechanisch bedingte Folgen der physischen Lage des fallenden Körpers betrachten müssen. Unser Zusammenschrecken bei drohender Gefahr des Falles ist nicht die Wahrnehmung der Gefahr selbst, die vielmehr unbeachtet vorübergeht; wir empfinden hier nur die plötzlich schon beginnende Reaktion des Muskelsystems, ähnlich wie wir Krämpfe empfinden, aber nicht die Ursache, die sie erzeugte.

280. Es fragt sich nun, worin die physische Vermittlung besteht, durch welche das Ungleichgewicht des Körpers die kompensierenden Bewegungen erregt. Nun kann natürlich nicht ein drohender, sondern nur ein schon beginnender Fall irgend eine Wirkung haben. Diese kann ferner nicht auf den parallelen und vertikalen Beschleunigungen beruhen, welche die Schwere allen Teilen gleichförmig gibt, sondern nur auf den ungleichartigen Dehnungen und Pressungen, welche unter dem Einfluß der Schwere die einzelnen Teile wegen der Verschiedenheit ihrer gegenseitigen Anlagerung und der abweichenden Natur ihrer festen und verschiebbaren Verbindungen erleiden und auf einander ausüben. Denn da jede kompensierende Bewegung in einer ungleichförmigen Aufregung der Muskeltätigkeit besteht, so kann sie auch nur durch ungleichförmige entgegengesetzte Verschiebungen der Beziehungen zwischen den Teilchen des Körpers provoziert werden. Und selbst von diesen können nur diejenigen in Betracht kommen, die entweder auf die Zentralorgane zu wirken oder unmittelbar durch sich selbst eine Reaktion hervorzurufen vermögen. Weder den Knochen noch den Bändern ist dies zuzutrauen; ebenso wenig wird man von Pressungen der Nervenstämme oder Veränderung der Hautgefühle viel erwarten dürfen, und so bleiben in der Tat nur die durch das beginnende Ungleichgewicht verschobenen Zustände des Muskelsystems selbst als Anfangspunkte der Rückwirkung übrig. Nun wissen wir zwar, dass eine Stellung uns bequemer ist, als die andere; indessen kann doch der Körper in jeder ihm gegebenen Lage, die ihm überhaupt seine Gelenke verstatten, ruhen, und wir finden nicht, dass er gleich einem elastischen Körper, der seine Form wiederzugewinnen strebte, von selbst in eine normale Stellung, als seine einzige Gleichgewichtslage, zurückspränge. Erregt daher ein beginnender Fall kompensierende Bewegungen, so kann dies doch nicht darauf beruhen, dass durch ihn relative Lagenverhältnisse der Teile herbeigeführt würden, die mit den Bedingungen der Ruhe im Muskelsystem überhaupt stritten, und deshalb Bewegungen erzeugten, die mit dem Gleichgewicht des Körpers auch das der Tätigkeiten im Muskelsystem wiederherstellten. Wir müssen vielmehr annehmen, dass nicht die produzierten Lagenverhältnisse selbst, sondern die Bewegungsprozesse, durch die sie herbeigeführt werden, die Ursache der Reaktion sind. In demselben Maße, in welchem ein Muskel über seine eben vorhandene Lange durch äußere Kräfte, nicht aber durch die Tätigkeit seiner Antagonisten ausgedehnt wird, scheint er sofort eine Bestrebung zur Wiederzusammenziehung zu entfalten; und dadurch, dass der beginnende Fall eine Menge von Muskeln passiv ausdehnt, würde er die Kontraktion derselben als helfende Rückwirkung veranlassen. Wenn man einen Finger entweder ausgestreckt oder gebogen erhält, ohne übrigens besondere Kraft auf die Erhaltung dieser Lage zu verwenden, und man schlägt seine Spitze schnell nieder- oder aufwärts, so wird man sie sogleich in ihre frühere Lage zurückgehn sehen, eine Erscheinung, die nur von einem solchen augenblicklich geweckten Kontraktionsbestreben des gedehnten Muskels ausgehn kann und die man auch an andern Teilen, obgleich nicht so auffällig wie hier, beobachtet. Hätten wir hierin Recht und ließe sich ein so einfaches Prinzip der Festhaltung der Lage hinlänglich durch andere Beobachtungen feststellen, so würde man sogleich bemerken, dass die Erhaltung des Gleichgewichts nun kein Zentralorgan mehr erforderte. Denn die Fähigkeit, einer Dehnung durch Kontraktion entgegenzuwirken, ist nichts, was nicht unmittelbar an dem Muskel haften könnte. Doch sind wir deswegen nicht der Ansicht, die Mitwirkung der Zentralorgane ganz auszuschließen, nur halten wir ein eigentümliches Organ für diese Leistung nicht für nötig. Die kompensierenden Bewegungen sind, wie z. B. jene Streckung des Arms, zum Teil so kompliziert, dass sie schwerlich ganz allein die Resultanten jener atomistisch erregten Einzelkontraktionen sein mögen, vielmehr dürften die Zentralorgane der Locomotion, indem sie Eindrücke jener Dehnungen empfangen, durch ihre Funktionen die unmittelbaren Reaktionen der Muskeln unterstützen.

281. Dass dieses zweite außerordentlich wichtige System der Bewegungen, das der Locomotionsbewegungen, von einem eigentümlichen Zentralorgane abhängt, machen bekannte Experimente an Tieren, so wie pathologische Erfahrungen unzweifelhaft, obgleich beide sonst des Zweideutigen viel übrig lassen. Schon Al. v. Humboldt beobachtete die Drehbewegungen, welche bei decapitirten Fröschen entstehen, wenn noch etwas von dem kleinen Gehirn an dem Rumpfe zurückgeblieben war, und schon ihm schien es, als wenn die Richtung der Drehung nach rechts oder links dadurch bestimmt würde, dass die zurückgebliebene Medullarportion an der linken oder rechten Seite größer war; er deutete deshalb das Drehen auf ein gestörtes Gleichgewicht in der Medullarsubstanz des Nervensystems. Spätere Untersuchungen von Magendie, Flourens, Krauss und Hertwig zeigten, dass die Wegnahme beider corpora striata einen unwiderstehlichen Trieb, nach vorwärts zu laufen, Querschnitte durch die Brücke eine Neigung, kopfüber zu fallen, Teilungen des kleinen Gehirns ein unaufhaltsames Rückwärtsgehen, endlich Durchschneidung der Vierhügel einer Seite, des Pedunculus cerebelli ad pontem, oder eines Seitenteils der Brücke eine oft sehr lange ausdauernde Kreisdrehung nach der verletzten Seite hin erzeugt, die durch die Durchschneidung des gleichnamigen Teils auf der andern Seite wieder aufgehoben wird. Diese Versuche, die an sich manchen Zweifel erregen könnten, werden nicht nur durch die bekannte Drehkrankheit der Schafe, sondern auch durch pathologische Beobachtungen an Menschen unterstützt und ich muß hier auf Romberg's Zusammenstellung sehr instruktiver Fälle verweisen, (Lehrbuch der Nervenkrkh. Thl. I.) aus denen sich die Unstatthaftigkeit mancher Versuche ergibt, auch diese Erscheinungen aus psychischen Motiven, Assoziationen und halbwillkürlichen Bewegungen zu erklären. Dagegen sind weder die Versuche noch die Beobachtungen über alle Details so einstimmig, dass eine so spezielle Theorie, wie sie von Magendie hierüber versucht wurde, bereits möglich wäre; und wenn wir sie dennoch anführen, so geschieht es nur, weil sie uns ein Schema wenigstens für eine später mögliche Erklärung zu geben scheint. Nach ihm sind bestimmte Hirnteile die Organe bestimmter Bewegungskräfte, welche polar entgegengesetzt sind und sich gegenseitig im Gleichgewicht halten. Die gestreiften Körper sollen die Bewegung nach hinten, das kleine Gehirn die nach vorn vermitteln; beide Kräfte sollen sich aufheben, so lange beide Organe wirksam sind, dagegen müsse nach Wegnahme des kleinen Gehirns eine rückgängige Bewegung, nach Wegnahme der corpora striata ein Vorwärtseilen entstehen, weil nun nur eine Kraft ohne Gegengewicht wirksam sein würde. Auf gleiche Weise soll die rechte Hemisphäre des kleinen Gehirns die Bewegung nach links, die linke die nach rechts bedingen. Abgesehn davon, dass diese Theorie im Detail den von Magendie selbst und Anderen beobachteten Erscheinungen nicht genau entspricht, sieht Volkmann (Wagners HWBch. I. S. 594) in ihr das Mißliche, dass sie bewegende Kräfte setze, die, insofern sie sich aufheben, müßig sind, und wenn zur Durchführung einer gewissen Bewegung die Aufhebung des Gleichgewichts nötig wird, die Annahme einer neuen Kraft unentbehrlich machen, die dem einen oder dem andern Triebe das Übergewicht gibt. Diese Bemerkung ist allerdings sehr richtig; inzwischen ist es auch schwerlich Magendie's Meinung gewesen, das Gleichgewicht zwischen jenen polaren Trieben als etwas an und für sich Nutzbares anzusehn. Er konnte die Idee nicht hegen, dass durch irgend eine organische Einrichtung die Notwendigkeit wegfallen würde, dass regellos veränderliche Bewegungen auch von ausdrücklich für jeden einzelnen Moment erteilten Impulsen abhingen. Das Wesentliche dieser Annahme besteht vielmehr darin, dass das corpus striatum alle jene Nerven in sich vereinige, aus deren Gesamtwirkung die Kombination und zugleich die sukzessive Abwechslung der Bewegungen hervorgeht, die zum Vorwärtsgehn nötig ist; so dass es eben nur eines einzigen Zuwachses an Erregung für diesen Hirnteil im Ganzen bedürfte, um diese ganze große und verwickelte Gruppe von Muskelfunktionen anzuregen, Und dass dies Prinzip in der Verflechtung der Nerven zu Zentralorganen befolgt sei, können wir wohl schwerlich leugnen, da im andern Falle, wenn überall die Seele die einzelnen zu einer Gesamtwirkung beitragenden Elemente selbst in Tätigkeit versetzen müßte, eine eigentümliche Struktur der Zentralorgane fast unnütz sein würde. Auch dass diese Zusammenfassung der Nerven zum Zwecke der Locomotion in dem kleinen Gehirn und in den Verbindungsteilen zwischen ihm und dem großen hauptsächlich geschehe, werden wir als ziemlich festgestellt ansehn dürfen, obgleich ein Teil der regulierenden Kraft im Rückenmark zu liegen scheint. Enthauptete Vögel und Frösche hat man noch Versuche zur Ortsbewegung machen sehen; Gänse schlagen mit den Flügeln; noch viel bestimmter setzen die enthaupteten Aale ihre windende Körperbewegung fort. Diese Erscheinungen würden etwas Unerklärliches haben, wenn das regulierende Zentralorgan ausschließlich im Gehirn befindlich wäre; sie werden etwas deutlicher durch die Voraussetzung, dass die Nerven der einzelnen Körperabschnitte schon bei ihrem Eintritt in das Rückenmark so zweckmäßig für die Locomotion vereinigt werden, dass ein einziger vom Gehirn, oder nach dessen Entfernung auch von einem nähern Punkte des Rückenmarks aus geschehender Anstoß sie zu gemeinsamer Tätigkeit disponiert. Noch mehr mögen bei den Wirbellosen solche einzelne und zerstreute Zentralorgane der Ortsbewegung vorhanden sein; wenigstens finde ich keinen Grund, das Herumlaufen eines enthaupteten Carabus granulatus, die pfeilschnelle drehende Fortbewegung einer geköpften Spinne und ähnliche Erscheinungen von einem zurückgebliebenen Willenseinfluß abzuleiten. Grade in diesen Tierklassen, die sich durch so viele Instikte auszeichnen, kann der größte Anschein von Zweckmäßigkeit und Willkür kein Beweis gegen eine rein mechanisch bedingte Natur dieser Bewegungen sein.

282. Vorzugsweise durch pathologische Beobachtungen werden wir ferner zu der Ansicht geführt, dass auch die Erregung solcher kombinierter Bewegungen, welche nicht der Locomotion, sondern den übrigen lebendigen Leistungen des Körpers als verwendbare und willkürlicher Kombinationen fähige Elemente dienen, von eigenen Stellen der Zentralorgane ausgeht, in welchen die Nerven in zweckmäßiger Weise verflochten sind, um auf einen einzigen Anstoß eine zusammengehörige Gruppe von Bewegungen entstehn zu lassen. Es ist selten, dass eine selbst lokal beschränkte Störung der Zentralorgane mir einzelne Muskeln lahmt, oder nur in einzelnen Krämpfe hervorruft, meist sehen wir die letztern ganze Gruppen von Muskeln befallen. Es kommt selbst vor, dass Muskeln für den Willen gelähmt werden, aber in zusammengesetzten Bewegungen doch noch mittägig sind, indem ihnen hier der Anstoß mittelbar von einem andern Anfangspunkte der Erregung noch zugeführt werden kann. Romberg's schätzbare Zusammenstellung dieser kombinierten Krämpfe läßt uns deutlich erkennen, wie weit diese Präformation zusammengesetzter Bewegungen durch die Struktur der Zentralorgane sich erstreckt. Zwar können wir nicht für alle die verschiedenen aufeinanderfolgenden Momente eines Veitstanzes ein einziges diese Sukzession bedingendes Zentralorgan annehmen, sondern müssen vielmehr voraussetzen, dass teils die fortschreitende, ihren Ort verändernde Störung teils die Rückwirkung der eben geschehenen Bewegung diese Reihenfolge bedingt. Aber jeder einzelne Augenblick dieses formenreichen Krampfes enthält noch immer eine zusammengesetzte Gruppe von Bewegungen, deren unwillkürliches Eintreten und oft so vielfache Wiederholung auf ihre Entstehung aus der Anregung einer bestimmten Nervenverflechtung schließen läßt. In welcher Weise anatomisch diese Anordnungen getroffen sind, ist nicht überall klar. Häufig sehen wir schon im Verlauf der Nervenstämme die Faserbündel für diese Bewegungsgruppen vereinigt Die Beuger der Hand und Finger werden vom N. medianus und ulnaris, die Strecker vom N. radialis versehen, die Beuger des Vorderarms sind vom N. musculo-cutaneus, die Strecker vom N. radialis mit Nervenzweigen versorgt. Die Strecker des Unterschenkels sind vom N. cruralis, die Beuger vom N. ischiadicus, die Motoren des Fußes und der Zehen nach rückwärts abwärts vom N. libialis, die Motoren in entgegengesetzter Richtung vom N. peronaeus abhängig. (Joh. Müller Physiol. II, S. 81.) Es ist glaublich, dass ähnliche Lagerungsverhältnisse auch im Rückenmark sich erhalten, und es würde nicht eines Aufsteigens aller Nerven bis ins Gehirn, sondern nur weniger von dort bis an diese Sammlungsstellen verlaufender Verbindungsfäden bedürfen, um durch den Einfluß des Willens diese ganzen Muskelgruppen in Bewegung zu setzen. Die häufigen Krampfformen, welche bald die Beuger, bald die Strecker des Körpers, bald die Muskeln der einen, bald der andern Körperhälfte zusammen befallen, deuten auf ähnliche räumliche Vereinigungen noch größerer Nervengruppen hin.

283. Eine Schwierigkeit erwächst nun daraus, dass jeder einzelne Muskel bestimmt ist, nicht in einer einzigen Bewegungsgruppe, sondern oft in vielen verschiedenen mitzuwirken. Sein Nerv müßte daher entweder in einzelne Zweige zerfallen, deren jeder isoliert zu einem dieser relativen Erregungsmittelpunkte, nicht aber zu den andern verliefe oder er müßte an verschiedenen Stellen seiner Länge sukzessiv in mehrere dieser Zentra eintreten und in jedem zur Aufnahme eines Impulses befähigt sein. Man ist der ersten Annahme wenig geneigt, doch erlauben unsere anatomischen Kenntnisse nicht sie entschieden zu verwerfen. Ch. Bell sah bei Hemiplegie die willkürlichen Bewegungen der einen Brusthälfte gelähmt, während sie beim Atmen sich noch mitbewegte. Er durchschnitt bei dem Esel den N. accessorius und fand, dass die Bewegungen des Cucullaris und levator scapulae beim Atmen aufhörten, willkürlich dagegen noch hervorgebracht werden konnten. Doch reichen diese wenigen Beispiele nicht zur positiven Begründung der Annahme hin, dass jeder Muskel durch je einen besondern Nerven mit jedem der Bewegungszentra, von welchem aus er anregbar sein soll, isoliert in Verbindung gesetzt sei. Die zweite Annahme aber führt zu der Frage, auf welche Weise eine Erregung, die dem Nerven in dem Zentrum a mitgeteilt worden ist, davon angehalten werden könne, in dem andern Zentrum b, welches sie dem Verlaufe des Nerven gemäß zu durchschreiten hat, auch seitwärts auf die übrigen dort vereinigten Fasern zu wirken, und die diesem Punkte entsprechende kombinierte Bewegung zu erwecken. Da unsere Vorstellungen über diesen ganzen anatomischen Zusammenhang noch sehr problematisch sind, würde es die Mühe nicht lohnen, diese Frage durch nicht schwer zu habende Hypothesen zu beantworten. Wir wollen daher nur darauf hindeuten, dass Mitbewegungen dieser Art in der Tat sehr häufig vorkommen. Die Seele hat in der Anordnung der Bewegungen nur im Großen die Aufgabe der Synthesis, im Kleinen die der Analysis; die Natur stellt ihr ursprünglich gewisse Nerven nur zusammengenommen anregbar zu Gebot und überläßt ihr die Ausbildung der Fähigkeit, sie einzeln zu erregen. Zwei Muskeln oder Muskelgruppen, die von Natur zu gleichsinniger Bewegung präformiert sind, bringen wir daher sehr schwer, in einzelnen Fällen gar nicht zur Ausführung ungleichsinniger Bewegungen. Niemand kann die Assoziation der beiden obern graden Augenmuskeln trennen, und ein Auge nach oben, das andre nach unten stellen; Niemand umgekehrt kann die beiden äußern graden Augenmuskeln zur Divergenz der Augenachsen assoziieren; die Flexoren oder Extensoren der vier Finger gewöhnen wir nur durch lange Übung, einzeln wirksam zu sein; immer endlich macht es Schwierigkeiten, mit dem Arm und dem Beine gleichzeitig, aber nach entgegengesetzten Richtungen, Drehbewegungen durchzuführen, welche etwa die Oberfläche eines Kegels beschreiben. Die Mittel, durch welche die Macht dieser Mitbewegungen gebrochen wird, können wir nur darin suchen, dass die Seele im Stande ist, willkürlich die Vorstellungen oder die Gefühlszustände zu kombinieren, die der Ruhe des einen Muskels a, und der Bewegung des andern b entsprechen, welche gewöhnlich zugleich tätig sind. Der Bewegungsvorstellung a wird die wirkliche Bewegung des gleichnamigen Muskels folgen, die Vorstellung der Ruhe von b wird dagegen meist verstärkt werden müssen durch die Intention einer entgegengesetzten Bewegung, um die Irradiation der Erregung auch auf diesen Muskel zu verhüten. Die Schwierigkeit, die der Seele hierbei entgegensteht, beruht nun darin, dass eben die Vorstellung oder das Gefühl, welches der isolierten Bewegung eines solchen Muskels entspricht, in unserm Bewußtsein notwendig ein unklares und machtloses Element ist, da diese Bewegung aus organischen Ursachen nur in Verbindung mit denen der assoziierten Muskeln zu erfolgen pflegt; Der angehende Klavierspieler weiß die einzelnen Finger nicht einzeln zu brauchen, weil er sich die Vorstellung des Gefühls nicht deutlich reproduzieren kann, das er haben würde, wenn er die verlangte Bewegung wirklich ausgeführt hätte; in dieser Ratlosigkeit um die Herstellung des psychischen Anfangspunktes der Bewegung begegnet es ihm daher, dass diejenige Erregung, die auf immer vorhandenen organischen Gründen beruht, nämlich die zur gemeinschaftlichen Bewegung der assoziierten Muskeln, unwillkürlich in ihm wirksam wird.

284. Neben diesen Bewegungsarten können wir noch zwei von dem übrigen Muskelsystem fast ganz isolierte Gruppen namhaft machen, für die es ohne Zweifel eigentümliche Zentralorgane in dem Gehirne geben muß. Wir rechnen hierher noch nicht die mimischen Bewegungen, auf welche uns die Betrachtung der Gemütszustände zurückführen wird, wohl aber die der Augen und der Stimmwerkzeuge. Was die ersten betrifft, so wird die Theorie des Sehens uns Gelegenheit geben, ihre Wichtigkeit für diesen Sinn und die Notwendigkeit ausgedehnter Zentralorgane deutlich zu machen, die leicht für sich allein einen großen Teil des Gehirns in Anspruch nehmen dürften. Was die Stimme betrifft, so ist klar, dass jede Kombination der Spannungen und Erschlaffungen in den vielfachen Muskeln, welche zur Bildung des Lautes mithelfen, von einer Erinnerungsvorstellung des Lautes und zugleich von einer reproduzierten Erinnerung jenes Muskelgefühls ausgeht, das bei seiner Aussprache früher entstand. Dass nun für die gleichzeitige Erregung dieser verschiedenen Muskeltätigkeiten ein eignes Zentralorgan vorhanden sei, wird für sich schon wahrscheinlich sein; aber es ist hier nicht, wie bei anderen einfacheren Bewegungen der Locomotion damit abgetan, dass nur überhaupt die Nerven dieser Muskeln zu einer gemeinschaftlichen Aktion zusammengefaßt sind. Ihr Zusammenwirken ist vielmehr für jede Tonhöhe, für jeden Laut und jeden Stärkegrad desselben ein ganz eigentümliches, so dass bei aller Gleichzeitigkeit der Wirkung doch ihre Tätigkeiten in unendlich verschiedenen Modifikationen kombiniert werden können. Dieses Zentralorgan muß daher fähig sein, in seinen verschiedenen einzelnen Elementen in solche verschiedene Zustände versetzt zu werden, wie sie eben nötig sind, um den vorgestellten Laut in seiner ganzen Eigentümlichkeit wiederzugeben. Hier ist nun eine doppelte Hypothese möglich. Man könnte zuerst meinen, dass die Qualität der Lautvorstellung auch dem Zentralorgan im Ganzen einen qualitativ eigentümlichen Impuls mitteile, der um der spezifischen Verhältnisse willen, die zwischen den einzelnen Elementen des Organs obwalten, sich so in einzelne Seitenkräfte zerfälle, dass jedem einzelnen Muskel die nötige Größe der Erregung zugeführt werde. In diesem Falle würde das Zentralorgan der Stimme an sich nur aus motorischen Substraten bestehen, und bedürfte nur irgend eines Zuleitungsweges, der ihm von dem Sitze der Seele, wenn wir diesen als lokal bestimmt ansehen, jenen einzigen Impuls zuführte. Man kann jedoch auch zweitens voraussetzen, dass diese Kombination der mannigfachen Erregungen noch mehr organisch präformiert sei, und dass die Lautvorstellung zunächst rückwärts in gewissen sensiblen Nervenelementen einen akustischen Erregungszustand veranlasse, welche nun nach dem allgemeinen Prinzip der Reflexbewegung auf die motorischen Nerven übertragen werde. Der wunderliche Verlauf der Wurzeln des Hörnerven könnte vielleicht auf eine solche Verflechtung derselben mit den motorischen Nerven der Stimmorgane hindeuten.