§. 25.
Von den Trieben und den willkürlichen Handlungen.

263. Zwischen die Bewegungen, welche mit vollkommener mechanischer Notwendigkeit von physischen Erregungen der Nerven oder von passiven Zuständen der Seele ausgehen, und jene andern, welche von einem ausdrücklichen und bewußten Willen als Taten im eigentlichsten Sinne vollzogen werden, schaltet die gewöhnliche Ansicht das dunkle Mittelglied der Triebe ein. Die Bewegungen, die man aus dieser Quelle ableitet, erscheinen weder gewollt, noch aus der Seele so willenlos entsprungen, wie etwa körperliche Substanzen durch äußere Anreize zu notwendigen Rückwirkungen determiniert werden. Auch sein Ziel erreicht der Trieb nicht von selbst gleich einer physischen Kraft; er bleibt vielmehr ein Streben nach diesem Effekt, und bedarf zur Erreichung desselben noch einer andern vervollständigenden Bedingung, die nun eben sich selbst widersprechend in einer unwillkürlichen Mitwirkung des Willens gesucht wird. Aber eben dieser Begriff des Strebens hat seine einzige klare Anwendung, wo er identisch mit dem bewußten Wollen einer Seele gefaßt wird; die übrige Welt der Ereignisse kennt nur ein Geschehen, das sich frei entwickelt, oder ein solches, das in der Erreichung seines ihm sonst gewöhnlichen Erfolges gehindert wird. Der letztere Fall ist es, wo wir glauben, dass die gehemmte Kraft sich in ein Streben verwandle und gegen das Hindernis einen Druck ausübe, den wir als eine absichtliche Anstrengung zu seiner Hinwegräumung deuten. Aber dieser Druck bezeichnet nur das, was die Kraft unter diesen Umständen leistet, die nur wir eben als Hindernisse aufzufassen belieben, obgleich sie das doch nur wären, wenn die andere Wirkung, welche die Kraft in ihrer Abwesenheit ausübt, von uns nicht bloß erwartet würde, sondern an sich die normale und sein sollende wäre. Nicht der geringste Grund ist daher vorhanden, eine gehemmte Tätigkeit im Allgemeinen mehr als eine sich frei entwickelnde, für ein Streben zu halten, vielmehr sind alle diese Ausdrücke des Strebens und der Triebe nur Übertragungen eines ausschließlich geistigen Vorganges auf allgemeine physische Verhältnisse. Die letzteren können daher auch nie dienen, die Natur des Triebes an sich begreiflicher zu machen, sondern wir müssen beobachten, was in dem geistigen Leben zu der bloßen Tatsache einer geschehenden oder aufgehaltenen Bewegung noch hinzukommt, um sie zu jener psychischen Erscheinung des Triebes umzugestalten.

264. Zuerst ist nun klar, dass irgend eine körperliche oder geistige Bewegung bloß dadurch, dass sie stattfände, zwar ein treibender Grund zu neuen Veränderungen der Seele sein und diese selbst wirklich herbeiführen könnte, dass sie aber deswegen noch nicht das sein würde, was wir mit dem Namen eines Triebes bezeichnen. Dazu gehört vielmehr, dass sie als treibende Ursache wahrgenommen, und noch weiter, dass sie in ihrem Werte und ihrer Dringlichkeit für uns gefühlt werde. Aber auch so würde eine geschehende oder eine gehemmte Bewegung zwar als ein Zustand unsers Wesens wahrgenommen werden, als Trieb jedoch erst dann, wenn zugleich das Bewußtsein eines Zieles vorhanden wäre, dem die geschehende Bewegung zustrebt, und von dem die gehemmte zurückgehalten wird. Drei Momente finden wir also zu unterscheiden, die in ihrer Gesamtheit den Trieb bilden, ohne dass in einem einzigen von ihnen einzeln jenes unbegreifliche Mittelding eines unwillkürlichen Willens läge. Den Anfang des Ganzen bilden stets einzelne körperliche oder geistige Ereignisse, Tätigkeiten z.B. der Nerven, die durch mancherlei Reize aufgeregt worden, oder Vorstellungen, die aus irgend einem Grunde in Bewegung geraten sind. Geschähen alle diese Ereignisse in einer lediglich intelligenten Seele, so würden sie zwar auch in ihr eine Unermeßlichkeit von Folgen hervorbringen, aber sie würden ihr doch stets nur das ganz gleichgültige Schauspiel eines bunten Wechsels von Erscheinungen gewähren, ohne dass die Seele sich selbst durch einen Zug dieses Geschehens gehoben, getrieben oder gehemmt empfände. Aber da alle diese Geschichten sich in einer Seele ereignen, welche die Größe, die Lebendigkeit, die harmonische oder widerstreitende Kombination ihrer Tätigkeiten und Zustände zugleich als Lust und Unlust fühlt, so begleitet jede einigermaßen kraftvolle von diesen Veränderungen ihres Innern auch ein deutliches Gefühl eines eigentümlichen qualitativen Leidens oder Wohlseins. Und hiermit würde der Vorgang enden, wenn umgekehrt die Seele nur fühlte, und keine Vorstellungen besäße, die ihr eine Erfahrung möglich machen. Im Bewusstsein ist das erste Ereignis, von dem der Trieb ausgeht, stets nur ein Gefühl einer eigentümlichen Lage, in welche unser Wesen versetzt ist; in dieser Lage aber würden wir verharren und, wenn sie schmerzhaft ist, zu Grunde gehen müssen, ohne einen Ausweg aus ihr zu finden, wenn nicht Erfahrungen uns gelehrt hätten, welches Heilmittel für sie vorhanden ist, oder in welchen zufriedenstellenden Ausgang sie übergeführt werden kann. Sobald diese Vorstellungen eines erreichbaren Zieles in der Erinnerung auftauchen, erscheint die geschehende Bewegung als auf dieses Ziel gerichtet und sich ihm annähernd, die gehemmte als von ihm zurückgehalten, und das Gefühl einer Lage hat sich nun in das angenehme oder unangenehme Gefühl einer Bewegung verwandelt, welche uns einem wohltuenden oder schmerzlichen Endpunkte zuführt. Begehrung und Abneigung, denen kein deutlicher Entschluß inwohnt, sind nichts Anders, als solche Gefühle des Getriebenwerdens, nicht aber Triebe in dem Sinne einer treibenden Gewalt.

265. Man wird uns einwerfen, der kurze Sinn unserer Betrachtung sei der, dass Triebe aus Gefühlen nur durch Erfahrungen entstehen. Dies ist in der Tat unsere Ansicht, denn ganz mit Unrecht pflegt man in den Trieben Erkenntnisquellen zu sehen, aus denen die Seele Offenbarungen schöpfe, welche ihr durch die übrigen Organe ihrer Auffassung nicht zukämen. Es existiert nichts der Art, und nirgends gibt die Natur ihren Geschöpfen Triebe mit, welche sie unmittelbar in Beziehung zu Objekten setzten, deren Bewußtsein sie nicht durch die gewöhnlichen Mittel der Erkenntnis erlangten. Hunger und Durst sind ursprünglich nicht identisch mit Nahrungstrieben; sie sind nichts als unangenehme Gefühle der Veränderung, die in den Nerven der Eingeweide durch den Mangel der Nahrung eingetreten ist, und in fortwährendem Wachstum die Nerven in beständiger Aufregung erhält. Worauf aber diese Gefühle deuten, durch welches Heilmittel sie zu endigen, in welchen andern Zustand überzuführen sind, das offenbaren sie an sich gar nicht, und ein Tier, das nur diese Gefühle besäße, würde ohne Zweifel verhungern, ohne Rat und Abhilfe zu wissen, ja ohne nur auf solche zu denken. Aber die Natur richtete es so ein, dass mit dem Auftreten dieser Gefühle von selbst sich allgemeine Unruhe und mancherlei einzelne Bewegungen des Tierkörpers verbinden. Gedankenlos und automatisch erfolgen Versuche des Beißens, Kauens, Schlingens, und nachdem diese Bewegungen vielleicht oft an Ungeeignetes verschwendet worden sind, begegnet das Tier doch zuletzt fast unvermeidlich im Umkreise seiner Lebensumgebungen den Substanzen, die verzehrbar sind und, von jenen unwillkürlichen Bewegungen aufgefaßt, Hunger und Durst tilgen. Von dieser ersten Erfahrung an erscheinen Hunger und Durst als Triebe nach Nahrung; vorher waren sie nur Schmerzgefühle. Auf gleiche Art haben wir uns alle körperlichen Triebe zu denken, auch jene namentlich, welche die Tiere drängen, mit ungewöhnlich konstruierten Gliedern, die ihnen die Natur gab, auch ungewöhnliche Werke auszuführen. Sie besitzen alle in dem Triebe keine innere Erleuchtung über den möglichen Gebrauch dieser Glieder; aber sie besitzen in den Gliedern selbst die Möglichkeit des Gebrauchs, und in nie fehlenden innern und äußern Reizen Anstöße, welche durch die automatischen Bewegungen, die sie zuerst ordnungslos hervorrufen, ihnen die Nutzbarkeit ihrer Organisation interpretieren. Und nicht anders geschieht es mit den intellektuellen Trieben. Ein Trieb zur Poesie beherrscht den Geist nicht so, dass dieses Ziel deutlich schon vor Augen stände, oder dass die inneren Bewegungen des Gemüts unverrückt und auf dem kürzesten Wege zu diesem Ziele unbewußt hinführten. Nichts als eine gestaltlose Unruhe der Phantasie ist der Ausgangspunkt dieses Triebes, den wir daher oft im Leben nach vielfach verschiedenen Seiten ungeeignet ausschweifen sehen, ehe günstige Umstände ihn in dem Kreise von geistigen Bestrebungen einheimisch machen, in dem er Gedeihen und Befriedigung finden soll.

266. Von solchen Trieben nun werden wir ohne Zweifel im Leben am häufigsten zu unsern Handlungen gedrängt, und nur selten äußern wir einen wirklichen Willen, indem wir der Bewegung unserer Zustände uns nicht nur hingeben, sondern sie adoptieren oder einer geschehenden eigenmächtig entgegenwirken. Man wird nicht verlangen, dass wir den Akt des Wollens schildern sollen, der so einfach eine Grunderscheinung des geistigen Lebens ist, dass er nur erlebt, nicht erläutert werden kann. Aber unrichtige Deutungen wenigstens müssen wir zurückweisen, und zwei von ihnen bieten sich besonders im Zusammenhange mit unsern allgemeinen Betrachtungen dar. Die eine sieht in dem Willen nichts, als eine klare Vorstellung, die andere konzentriert in ihm eine dichte Atmosphäre von Wirkungsfähigkeit; die erste läßt ihn als Willen gar nichts, die zweite Alles wirken. Nur ein theoretisches Vorurteil hat vor Allem die Meinung erzeugen können, der Satz: ich will, sei gleichbedeutend mit dem klaren und zuversichtlichen Bewußtsein des andern: ich werde. Die gewöhnlichste Erfahrung zeigt uns, dass, wer entschieden glücklich sein will, nicht zugleich die Zuversicht zu haben braucht, er werde es, und dass das deutliche Bewußtsein, sterben zu werden, nicht identisch ist mit dem Wollen des Todes. Wer daher das Bewußtsein des Wollens mit dem der zukünftigen Wirklichkeit eines Ereignisses verwechselt, läßt nicht weniger als eben das hinweg, was den Willen wesentlich von jeder andern Erscheinung des Bewußtseins unterscheidet. Auch ist dem Wollen diese täuschende Beziehung auf Zukünftiges keineswegs notwendig; ein gegenwärtiger Zustand, den wir festhalten oder nicht fliehen, ist ebensowohl ein beständiger Gegenstand des Wollens, und der Märtyrer, der eine Qual erträgt, der er sich entziehen könnte, macht die ganze Kraft des Willens gegen ein schon vorhandenes und fortdauerndes Übel geltend. Der Glaube, dass eine klare und starke Vorstellung mit dem Willen identisch sei, kann nur zu der gefährlichen Folge führen, ihn nicht mehr als eine ursprüngliche Tätigkeit des individuellen Selbst, sondern als einen Zustand zu betrachten, der im mechanischen Lauf des Seelenlebens herbeigeführt wird; es würde Vieles in uns gewollt werden, aber nicht wir würden die Wollenden sein.

267. Wie nun die erwähnte Ansicht Wollen mit Vorstellen des Gewollten, so verwechselt die andere Wollen und Vollbringen des Gewollten. Denn ganz gewöhnlich pflegen wir den Willen nicht allein für ein inneres und immanentes, sondern zugleich für ein äußeres oder vielmehr transzendentes Tun anzusehen, welches in die Wirklichkeit sich ergießend die beabsichtigten Erfolge sofort selbst erzeugt. Wie wenig nun dies in Beziehung auf Bewegungen stattfindet, dass wir mit Bewußtsein ihre Entstehung überwachten und leiteten, hat uns bereits der Anfang dieser Betrachtung gelehrt, aber auch die erzeugende Kraft in dem Sinne, wie sie ihm gewöhnlich zugeschrieben wird, müssen wir dem Willen absprechen. Wir sind nicht gemeint, Tätigkeit, Streben und Handeln überhaupt aus der Welt zu verbannen, und an ihre Stelle nur ein notwendiges Geschehen zu setzen, das aus mechanisch determinierten Wechselwirkungen willenloser Substrate entsteht. Aber wie bedeutungsvoll und notwendig die Existenz des Wollens sein mag, so kann es selbst doch überall nur als eine innerliche Lebendigkeit des wollenden Subjekts betrachtet werden, die an sich nicht über die Grenzen desselben übergreift, um sich von selbst in eine Veränderung äußerer Objekte zu verwandeln. Zu der Außenwelt aber gehört in diesem Sinne für die Seele auch der eigene Körper; und welche innere Regsamkeit des Wollens die Seele auch immer in sich selbst entfaltete, so würde diese doch nie an sich selbst ein dynamischer Anstoß sein, der eine Veränderung der körperlichen Substrate zu erzeugen vermöchte, wenn nicht unabhängig von allem Wollen die allgemeinen Gesetze des Naturlaufs an diese inneren Erschütterungen der Seele die äußeren des mit ihr verbundenen Körpers knüpften. Hier wie überall kann daher der Wille nur jene inneren psychischen Zustände erzeugen, welche der Naturlauf zu Anfangspunkten der Wirkung nach außen bestimmt hat; die Ausführung der Wirkung dagegen muß er der eigenen unwillkürlichen Kraft überlassen, mit der jene Zustände ihre Folgen herbeizuführen genötigt sind. Ohne deshalb das Wollen mit dem Vorstellen des Gewollten zu verwechseln, können wir doch zugeben, dass die Ausbildung und Festhaltung dieser Vorstellung und die Hinwegräumung aller Hemmungen, die ihr das Gleichgewicht halten könnten, das Mittelglied ist, durch dessen Herstellung der Wille die Ausführung des Gewollten bedingt. Jener Mechanismus aber, durch welchen die Bewegung mit der Vorstellung verbunden ist, nimmt nicht Rücksicht auf den Ursprung der letztern selbst; viele Bewegungen wird es daher geben, die von Vorstellungen ausgehen, welche kein Wille begleitet oder erzeugt hat, und die willkürliche Handlung wird sich mechanisch von der unwillkürlichen nur durch die ausdrückliche Billigung unterscheiden, die dem Auftreten ihres mechanischen Ausgangspunktes zu Teil geworden ist.

268. Der willkürliche Gebrauch der möglichen Bewegungen des Körpers wird daher von zwei Bedingungen abhängen. Einmal nämlich müssen wir im Stande sein, jene Vorstellungen oder Gefühle, die den Ausgangspunkt jeder einzelnen bilden, nicht nur überhaupt in uns zu reproduzieren, sondern sie auch gleichzeitig oder sukzessiv so zu verbinden, dass die einzelnen Bewegungen sich zu einer beabsichtigten zweckmäßigen Gesamtwirkung vereinigen. Und da wir dies nicht anders vermögen, als indem wir denjenigen Empfindungszustand wenigstens andeutungsweise in uns reproduzieren, welcher die geschehende Bewegung früher begleitete und von ihr erweckt wurde, so muß der Zusammenhang zwischen Seelenzustand und Bewegung so geordnet sein, dass nicht nur jener aus dieser, sondern auch diese durch jenen hervorgerufen werden kann. Beide Bedingungen finden nicht allgemein statt. Es gibt eine große Menge beweglicher und bewegter Teile im Körper, die hauptsächlich von dem sympathischen Nervensystem beherrscht, uns im gewöhnlichen Zustande durchaus keine deutlichen Empfindungen ihrer Bewegungen gewähren, so dass wir durch willkürliche Reproduktion der ersten auch auf die letztern Einfluß gewönnen. Die Bewegungen des Magens, des Herzens, der übrigen Eingeweide direkt zu ändern, steht deshalb außer unserer Macht; wir vermögen es nur unvollkommen auch indirekt. Denn allerdings hängen ihre Bewegungen von geistigen Zuständen auch ab, nämlich von leidenschaftlichen Bewegungen oder plötzlichen Erschütterungen des Gemüts; aber wir sind in Bezug auf sie wenig im Stande der zweiten Bedingung zu genügen: wir können uns willkürlich nicht in eine so leidenschaftliche Stärke der Gemütsbewegung versetzen, dass sie Kraft genug hätte, jene Nachwirkungen zu erzeugen. Mit andern Verrichtungen gelingt dies in höherem Grade. Es ist möglich, willkürlich zu weinen, indem man jene eigentümliche Empfindung zu reproduzieren sucht, welche in dem Gebiete des Trigeminus dieser Sekretion voranzugehen pflegt; selbst willkürlich zu schwitzen gelingt Manchen durch lebhafte Erinnerung an die eigentümlichen Hautgefühle und die willkürliche Reproduktion einer nicht wohl zu beschreibenden Abspannung, die den Schweiß gewöhnlich einleitet; bekannt endlich ist es, wie leicht durch Erinnerung an Geschmacksreize die Sekretion der Speicheldrüsen erregt wird. Viel häufiger ist diese Fähigkeit zur indirekten Erregung sonst unwillkürlicher Erscheinungen in Krankheiten, und Hypochondrische wissen wohl, wie schnell man den Herzschlag ändern, oder selbst einzelne Muskelkrämpfe, Gefühle der Aura und Anderes auf diesem Wege erzeugen kann, der ohne Zweifel auch in den religiösen Epidemien des Mittelalters den Nachahmungstrieb zur Hervorbringung der ekstatischen Konvulsionen führte.

269. Eine ernstere Benutzung für die Ausbildung des geistigen Lebens erfahren jedoch nur die Bewegungen der Glieder, welche durch cerebrospinale Nerven mit den Zentralorganen in unmittelbare Verbindung gesetzt sind. Doch erwarten auch sie, wie wir bereits früher erwähnt, ihre Anstöße nicht durchaus von der Seele, sondern führen teils auf zufällige physische Reize ihre Bewegungen aus, teils ordnen sie diese überhaupt nicht vollständig der Willkür der Seele unter. So sind die Respirationsmuskeln allerdings dem Willen zugänglich, der in großer Ausdehnung ihre Bewegungen beschleunigen und modifizieren kann, aber sie nur unbeträchtlich aufzuhalten vermag, indem der physische Grund des Atmens von der Medulla oblongata her sie fast stets ohne den Willen, aber unvermeidlich auch nach kurzer Zeit gegen den hemmenden Willen wieder anregt. Doch in welcher Weise die Muskeln überhaupt mehreren Herren dienen, wie sie nicht bloß auf Reize des Willens, sondern auch auf Erregungen sensibler Nerven sich im Reflex zusammenziehen, ist bereits hinreichend erörtert, und wir haben nur noch einen Blick auf die Art zu werfen, wie die Seele sich allmählich zu dem willkürlichen berechneten Gebrauche ihrer Glieder verhilft. Man hat hier dem Prinzipe der Assoziation der Vorstellungen und Gefühle mit Bewegungen ein, wie mir scheint, zu weites Feld eingeräumt. Denn wie sehr auch diese Vorgänge geeignet sein mögen, die Feinheit des Gebrauchs von Gliedern zu entwickeln, deren Bewegungen im Groben schon zu unserer Disposition sind, so scheinen sie doch eben zur Erklärung dieses ersten und anfänglichen Schrittes nicht hinreichend. Wenn die Seele darauf warten sollte, dass zuerst einmal irgend eine zufällige Ursache die Lage eines Gliedes a herbeiführte, mit der sich nun die Empfindung a verknüpfte, durch deren willkürliche Reproduktion sie später auch die Stellung a wieder zu erzeugen vermöchte, so würde bis zum vollständigen Gebrauche der Glieder entweder sehr lange Zeit vergehn, oder wir müßten eine Schärfe des Gedächtnisses für jene Assoziationen annehmen, die alles übersteigt, was wir sonst beobachten. Ich will nicht auf des Galenus Erzählung verweisen, der ein aus dem Leibe der Mutterziege geschnittenes Böcklein sofort die seiner Gattung natürlichen Bewegungen ausführen sah; Jeder, der die außerordentlich schnelle Entwicklung mancher jungen Tiere bedenkt, wird zugeben, dass diese Herrschaft über die Glieder nicht auf dem langweiligen Wege durch Assoziationen errungen sein kann, sondern viel mehr als bei dem Menschen bis in das Detail hinein physiologisch begründet ist, indem nicht nur gruppenweis zweckmäßige Bewegungen von den Zentralorganen ausgehn, sondern auch der passende Gebrauch der Glieder in Bezug auf äußere Reize nach dem Prinzip der Reflexbewegung vorgebildet ist.