DRITTES KAPITEL.
Von den Bewegungen und den Trieben.

§. 24.
Von der Entstehung der Bewegungen.

254. So wie in den Empfindungen nur das fertige Resultat vor unser Bewußtsein trat, das aus der Wechselwirkung der Nerven mit den äußern Reizen hervorging, ohne dass von der Form und Reihenfolge dieser vermittelnden Prozesse uns irgend eine Kunde zuging, so treten umgekehrt auch die Bewegungen als Resultate innerer psychischer Zustände hervor, ohne dass wir die Mittel ihrer Ausführung übersehen könnten. Wir wissen unmittelbar nichts von der Lage und der Kontraktilität der Muskeln, nichts von dem Dasein und der Funktion motorischer Nerven; selbst wer beide wissenschaftlich kennen gelernt hat, weiß noch immer nicht die Natur jenes Prozesses anzugeben, durch den die Nerven erregt werden, oder den Weg, auf welchem die Seele ihnen die nötigen Impulse mitzuteilen vermag. Wie sehr es daher auch für uns den Anschein hat, als wären wir geistig in keiner unserer körperlichen Tätigkeiten so sehr einheimisch, wie in den Bewegungen, wie sehr wir auch glauben mögen, bis in die feinsten Einzelheiten derselben hinein selbsthandelnd zugegen zu sein: so sind doch dies alles Täuschungen, die eine kurze Überlegung bald zerstreut. Wir sehen ein, dass wir zwar wollen können, aber nicht selbst vollbringen, dass vielmehr an unsern Willen und an andere Zustände unserer Seele ein von unsrem Willen völlig unabhängiger Naturlauf mit mechanischer Notwendigkeit Veränderungen unsers Körpers geknüpft hat, aus denen sich Bewegungen der Glieder in bestimmten Größen und Richtungen ohne unser weiteres Zutun entwickeln müssen. Uns selbst steht nichts zu, als jene psychischen Zustände in uns zu erzeugen, die diesen physischen Prozessen als Ausgangspunkte dienen, und von denen aus sie nach Gesetzen und durch Vermittlungen, welche sämtlich unserm Bewußtsein entgehen, in Übereinstimmung mit unsern Zwecken abrollen.

255. Was in dem Ganzen der menschlichen Gesellschaft sich jetzt so bedeutend geltend macht, das Prinzip der Maschinenarbeit, ist hier schon von der Natur realisiert. Unsere Seele ist nicht dem Handarbeiter oder dem Künstler zu vergleichen, die beide jedes kleine Detail ihrer Werke mit eignen Händen, Alles im Einzelnen berechnend, überlegend, verbessernd und nachhelfend zu Stande bringen, so dass sie nun auch in jedem kleinsten Teile des Produktes geistig zu Hause sind; wir gleichen vielmehr den untergeordneten Arbeitern, die zu dem Betrieb einer Maschine deren Inneres sie weder sehen noch verstehen, nur die äußerlichen Hilfsmittel herbeischaffen, sie durch Heizung in Gang bringen, oder nach unverstandenen Regeln einzelne Teile ihres Getriebes so einstellen und richten, dass die gleich unverstandene Arbeit der Maschine bald diese bald jene verlangte Wirkung hervorbringt. Diese notwendige, Anerkennung steht jenen ästhetischen Anschauungen nicht entgegen, die gerade in der Feinheit und Anmut, mit der die Bewegungen des Körpers den zartesten Veränderungen des geistigen Lebens sich anschmiegen, die lebendige Schönheit, die widerstreitlose Verschmelzung des Geistigen mit dem Leiblichen findet. Das Verhältnis der Seele zu dem Leibe ist nie das der Identität, sondern stets das einer Herrschaft; so weit aber diese Herrschaft auf Einsicht in das Getriebe der unterworfenen Kräfte gegründet ist, gibt sie uns wohl den Eindruck einer zwingenden Macht, den der Schönheit aber eben dann erst, wenn die Bewegungen der Massen nicht den Befehlen allein, sondern auch den willenlosen Zuständen der Seele sich freiwillig anzubequemen scheinen. Auf welche Weise nun die Seele allmählig dazu gelangen kann, diesen von der Natur ihr mitgegebenen Mechanismus der Bewegung für ihre Zwecke zu benutzen, werden wir verstehen lernen, wenn wir überhaupt zuerst die Mannigfaltigkeit der Ausgangspunkte übersehen, von denen Bewegungen entspringen können.

256. Unbekannt mit der Struktur und den Kräften ihres Körpers, würde die Seele nie erraten, dass ihre Glieder zur Bewegung bestimmt sind, und nie sie in Bewegung zu setzen lernen, wenn nicht unabhängig von ihr in dem Körper selbst Motive zur Vollziehung von Bewegungen lägen, deren spontan erfolgende Wirkung sie beides lehrt. So lange ein tierischer Körper lebt, müssen wir uns in seinen motorischen Nerven und in ihren Zentralorganen einen geringen Grad der Tätigkeit beständig fortgehend denken, durch welchen die elastische Haltung auch des ruhig und tief Schlafenden sich noch sehr von der Erschlaffung des toten Körpers unterscheidet. Wirkten keine äußern Reize ein, welche bestimmte Bewegungen zu erzeugen geeignet wären, so würde vielleicht die Reizlosigkeit der Nerven selbst ihre Erregbarkeit so wachsen lassen, dass sie unter dem Einfluß der kleinen Anstöße, die ihnen der fortgehende Stoffwechsel immer zuführt, zu ungeordneten Bewegungen ausbrechen müßten. Aber die Geburt eines Tieres führt ohnedies einen so großen Wechsel der äußern Umstände mit sich, dass alle Nerven des Körpers und mit ihnen die Zentralorgane eine bedeutende Veränderung ihres Erregungszustandes erfahren müssen; eine Mannigfaltigkeit von Bewegungen begleitet daher ebenso wie mancherlei Gefühle der Unlust, die ersten Lebensaugenblicke unvermeidlich. Doch die Seele würde bei der Überzahl der gleichzeitigen Eindrücke, die hier auf sie einstürmen, und bei der Stumpfheit ihrer ungeübten Wahrnehmungskraft wenig Nutzen von ihnen ziehen, wenn nicht auch späterhin die Bewegungen der Glieder noch häufig auf diesem mechanischen Wege durch das periodische Wachsen der physischen Nervenerregungen sich wiederholten. Und da diese Bewegungen von den Zentralteilen ausgehen, in denen die Nerven so verflochten sind, dass ein einzelner Anstoß sie gruppenweis in zweckmäßiger Verbindung anregt, so wird dieser physiologische Mechanismus jedem Tiere die seiner Gattung eigentümlichen Bewegungen öfter wieder vorführen, ehe es lernt sie für seine Zwecke zu benutzen. Der Gebrauch der Glieder zu den spielenden Bewegungen, die wir bei jungen Tieren so häufig sehen, die ersten Versuche des Beißens, Kauens, des Saugens, des Stoßens mit den Hörnern, noch ehe diese selbst hervorgewachsen sind, alles dies scheint uns die Wirkung eines automatischen Mechanismus, durch welchen der Körper Bewegungen wirklich sogleich ausführt, zu denen er späterhin, wenn das Bewußtsein durch andere Vorstellungen angefüllt, seinen Erregungen Widerstand leistet, es bei der Erzeugung eines Triebes bewenden läßt.

257. Dieselben Bewegungen, die wir durch innere Erregung der Zentralorgane zwecklos und ohne Bezug auf äußere Objekte entstehen sahen, werden jedoch auch auf demselben automatischen Wege durch äußere Reize erweckt. Sensible Nerven leiten ihre Erschütterung bis zu den Zentralorganen; dort kann der Strom der Erregung sich in zwei Arme teilen, deren einer zu dem Sitze der Seele dringend, in ihr eine Empfindung des Reizes erweckt, während der andere unmittelbar auf die motorischen Organe fortwirkend, in ihnen mit mechanischer Notwendigkeit eine zweckmäßig gruppierte Bewegung erzeugt, die bald nur zur Ausgleichung der Erregung, bald zu irgend einer Abwehr, einer Erfassung oder Verarbeitung des äußern Reizes bestimmt scheint. Aber häufig kann die Fortpflanzung der Erregung bis zu der Seele fehlen, und dann findet selbst dies Zusehen nicht mehr statt, welches die Seele bei der Bewirkung der Bewegung hatte, sondern diese erfolgt ohne Wahrnehmung des Reizes, ohne Willensentschluß, wie sie denn häufig selbst gegen die Absicht des Willens in Fällen eintritt, wo die Empfindung wirklich entstanden und der beginnende Drang zur Bewegung gefühlt wird. So zeigen sich diese Reflexbewegungen an geköpften Tieren, unter denen besonders die kaltblütigen Wirbeltiere zähe Reizbarkeit genug besitzen, um noch lange nach der Operation jeden äußern Reiz ihrer Körperoberfläche mit einer kombinierten Muskelbewegung zu beantworten, während sie aus inneren Gründen eine Gleichgewichtslage, die ihrem Körper gegeben worden ist, nicht mehr verändern.

258. Man hat mit Unrecht diese Bewegungen für allzu zweckmäßig angesehen, um sie für mechanisch ableitbar aus bloß physischen Ursachen zu halten. Nicht nur die genauere Betrachtung der Bewegungsart selbst zeigt uns, dass sie von psychisch veranlaßten Handlungen sich doch beträchtlich unterscheidet, sondern eine einfache Überlegung lehrt uns auch, dass in ihrem bloß physischen Ursprunge nichts den Interessen der Psychologie Widerstreitendes liegt. Es ist wahr, dass die Bewegung eines geköpften Frosches, der seine Pfote an die Stelle seiner Haut bringt, die man ihm reizte, eine gewisse Zweckmäßigkeit besitzt, doch nicht eine solche, welche der Überlegung einer Seele zugeschrieben werden könnte. Das vollständige Tier würde sein Heil in der Flucht gesucht haben, wohl wissend, dass jene einfache Bewegung zwar an sich selbst in Bezug auf den empfangenen Reiz zweckmäßig ist, aber durchaus der Gefahr der Umstände nicht entsprechend, aus denen der Reiz hervorging. Die Reflexbewegungen erscheinen daher, wie die Buchstaben des Alphabets, als die einfachen Elemente der Zweckmäßigkeit, welche die Natur mechanisch determiniert der Seele zu Gebot stellt, indem sie es ihr überläßt, unter dem vereinigten Einflusse der Sinnesempfindungen und der Überlegung sie zu hinlänglich feinen und lenksamen Mitteln zu kombinieren, um der unendlichen Mannigfaltigkeit möglicher Reize gewachsen zu sein. Anderseits liegt es durchaus nicht im Interesse der Psychologie, eine unendliche Selbsttätigkeit der Seele anzunehmen und keinen kleinsten Teil der Bewegungen ihrem formbestimmenden Einfluß entzogen zu denken. Nur die Beherrschung eines gegebenen Mechanismus kann für die Seele von Wert sein, ihn selbst hervorzubringen und zu dirigieren, würde nur eine lästige und überflüssige Erschwerung ihrer Aufgabe sein. Sind doch jene Bewegungen zum Teil dazu bestimmt, als heilende Reaktionen schädliche Reize zu entfernen, oder als nützliche Triebe zur Erhaltung des Körpers mitzuwirken. Aber wie schlecht würde es in der Tat um unser Leben stehen, sollte die Überlegung es verteidigen, und nicht der Mechanismus! Man frage Jemand, wie er es anfangen würde, um fremde Körper aus der Luftröhre zu entfernen: er wird vielleicht eher auf Tracheotomie raten, als auf Husten, und wie würde das Neugeborne zur Nahrungsaufnahme gelangen, wenn es Saug- und Schlingbewegungen erst zu erfinden hätte? Mißtrauisch gegen den Erfindungsgeist der Seele hat vielmehr die Natur dem Körper diese Bewegungen, als mechanisch vollkommen bedingte Wirkungen der Reize mitgegeben. Und auch wo Bewegungen nach inneren Zuständen der Seele erfolgen sollen, ohne gerade diesen Zweck heilender Rückwirkung zu haben, war es dennoch zweckmäßig, dass die Natur nicht die Erfindung des erzeugenden Anstoßes zu ihnen, sondern nur die eventuelle Verhinderung ihres Entstehens der Seele überließ, so dass im Allgemeinen der Naturzustand darin besteht, dass die Bewegungen unwillkürlich dem Laufe der innern Zustände folgen, während die Bildung die allzugroße Leichtigkeit dieses Überganges hemmt.

259. In den Reflexbewegungen war eine Mitwirkung der Seele überhaupt nicht notwendig, obgleich sie nebenbei häufig stattfand, indem nicht nur der veranlassende Reiz wahrgenommen, sondern auch die von selbst entstehende Bewegung noch außerdem gewollt werden konnte. In den physiognomischen oder mimischen Bewegungen sehen wir andere Beispiele eines solchen Mechanismus, in welchen jedoch der Anfangspunkt des ganzen Prozesses ein innerer Seelenzustand, die bestimmte Art und Größe der Gemütserregung ist. Doch hängen diese Bewegungen weder von unserer Intelligenz, noch von unserm Willen ab; denn weder wüßten wir einen Grund, warum Lachen mit Lust, Weinen mit Schmerz verbunden sein müßte, und nicht umgekehrt, noch vermögen wir ohne Übung und gewaltsame Anstrengung die unwillkührliche Entstehung der Geberden zu unterdrücken. Auch sie sind deshalb Erfolge, welche ein Zug der physischen Organisation unsern innern Zuständen mit mechanischer Notwendigkeit zugesellt hat, und ihnen schließt sich die Sprache an, die so wenig als der Ausdruck des Gesichtes, eine Erfindung menschlichen Scharfsinnes ist. Jedes unwillkürliche Seufzen, jeder Schmerzenslaut, so wie der Gesang stimmebegabter Tiere überzeugt uns, dass eine physiologische Notwendigkeit die Erregungen sensibler Nerven und der Zentralorgane vorzugsweis auf die Muskeln der Respiration und der Stimme überführt, teils um eine erleichternde Ausgleichung der physischen Nervenerschütterung zu bewirken, teils um der Seele auch dieses Mittel des Ausdrucks innerer Zustände vorzuführen und es ihrer ausbildenden Besitznahme und Verwendung zu übergeben.

260. Eine andere Gruppe, die Nachahmungsbewegungen, sehen wir nicht mehr von Gefühlen, sondern von Bewegungsvorstellungen ausgehen, auch sie, ohne dass irgend ein bemerkbarer Entschluß des Willens mittägig wäre. Mit leisen Bewegungen des Armes begleitet der Zuschauende den Wurf der Kegelkugel oder die Stöße des Fechters, mit ausführlichen Gestikulationen der ungebildete Erzähler seine Geschichte; während der andächtigen Lektüre einer Schlachtbeschreibung fühlen wir leise Anspannungen unser Muskelsystem entsprechend den geschilderten Bewegungsmomenten durchziehen. Alle diese Wirkungen erfolgen um so deutlicher, je unbefangener wir uns in die Anschauung der Bewegungen vertiefen; sie nehmen ab in dem Maße, als ein gebildetes Bewußtsein beständig zugleich von einer Mehrzahl anderer Vorstellungen beherrscht wird, die diesem Übergange der Anschauung in wirkliche Bewegung widerstehen. Dagegen nimmt die Leichtigkeit des Überganges und die Folgsamkeit der Glieder gegen Vorstellungen durch Übung zu und sie erfolgen dann nicht nur, wo die Vorstellung der Bewegung selbst deutlich ausgebildet war, sondern auch da, wo sie abhängig von anderen Gedanken und nur mittelbar hervorgerufen, kaum einen unendlich kleinen Augenblick und mit unmerklicher Stärke im Bewußtsein verweilt. So sehen wir beim Schreiben oder Klavierspielen eine große Menge zum Teil sehr komplizierter Bewegungen rasch hintereinander erfolgen, deren vorbildende Vorstellungen kaum einen Moment durch das Bewußtsein gingen, und gewiß nicht lange genug in ihm blieben, um einen andern Willen als den allgemeinen zu erwecken, sich dem Übergange der Vorstellungen in Bewegungen widerstandslos hinzugeben. Alle die gewöhnlichen Bewegungen unsers alltäglichen Lebens geschehen auf diese Weise; unser Aufstehen, Gehen, Sprechen, alles das erfordert nie besondere Willensimpulse, sondern wird durch den Lauf der Vorstellungen hinlänglich begründet. Vielleicht geschieht selbst ein Teil dieser Bewegungen, nämlich die Fortsetzung einmal angefangener, wie des Gehens, auf einem noch einfacheren Wege, indem die Zentralorgane, welche die hierzu verwendbaren motorischen Nerven in zweckmäßige Gruppen kombinieren, den Anstoß zu einer zusammengesetzten Ortsbewegung so lange fortwirken lassen, bis ein neuer Impuls die Form ihres Wirkens ändert. Dass kein Wille nötig ist, damit ein Fuß vor den andern gesetzt werde, wissen wir, aber vielleicht würde selbst die fortdauernde Mitwirkung der Vorstellung dieser Bewegung nicht nötig sein, sondern nur ihr anfängliches Auftreten brauchte die Zentralorgane in eine Erregungsform zu versetzen, welche sie später automatisch fortführen. So hat man Kataleptische während des Anfalls, in welchem ihnen Bewußtsein und Empfindung verloren ging, eine unmittelbar vorher angefangene Bewegung des Gehens, Treppensteigens, fortsetzen sehen, ohne Rücksicht auf die inzwischen eingetretene Veränderung der Umstände und der Umgebung. Auch die bekannten Versuche Magendie's, nach welchen in einzelnen Hirnteilen Tendenzen zur Vorwärts- und Rückwärtsbewegung, zur Drehung nach rechts und links präformiert liegen und sich im Gleichgewicht halten sollen, können, wie unsicher auch ihre Auslegung ist, wenigstens zur Verdeutlichung des maschinenmäßigen Betriebes der Bewegungen dienen, der für die Zwecke der Seele ungleich angemessener ist, als es die Notwendigkeit beständigen eigenen Eingreifens sein würde.

261. Wir glauben jedoch nicht, dass diese Entstehung der Bewegung sich auf die gewöhnlichen und unbedeutenden Handlungen des alltäglichen Lebens beschränke. Auch zusammengesetzte Reihen von Bewegungen, die selbst den Inhalt eines Verbrechens in sich schließen, können auf diesem Wege sich verwirklichen; und zwar um so leichter gerade, je mehr ein vorangehender Kampf des Gemütes gegen die Tat die Vorstellung derselben lange im Bewußtsein lebendig erhalten und die stets wieder auftauchende mit den verschiedenartigsten andern Gedankenkreisen assoziiert hat. In einem Augenblicke, in welchem die genügende Gegenkraft anderer Gemütszustände, die hinlängliche Lebhaftigkeit eines Widerstand leistenden Gefühles oder die Klarheit einer abmahnenden Ideenreihe fehlt, kann hier wie überall aus der Vorstellung der Tat sie selbst folgen, ohne von irgend einem eigentlichen Entschlusse des Handelnden auszugehn oder begleitet zu sein. Die Verhöre der Verbrecher sind voll von Aussagen, die auf diese Entstehungsgeschichte ihrer Handlungen deuten, und man hält sie mit Unrecht oft für entschuldigende Erfindungen, da man von ihrer Wahrheit eine Verwirrung der Begriffe über Zurechnung und Strafbarkeit befürchtet. Allein die Anerkennung jener psychologischen Tatsache ändert die sittliche Beurteilung nur wenig; das Vergehen besteht in diesen Fällen eben darin, jenen automatischen Übergang der Vorstellungen in Handlungen nicht gehindert zu haben, der allerdings ein natürliches Ereignis in unserer Organisation ist, aber wie so vieles Andere der beherrschenden Gewalt des Willens unterworfen sein soll.

262. Wir haben bisher Bewegungen kennen gelernt, die mit mechanischer Notwendigkeit von selbst entstanden, sobald in den nervösen Substraten oder in der Seele gewisse Erregungszustände sich eingefunden hatten. Man ist vielleicht geneigt, diese Bewegungen, zu deren Begründung der Wille nichts beiträgt, als eine untergeordnete Klasse für sich zuzugeben, wie ja bekanntlich noch viele andere Teile des Körpers, Herz, Eingeweide, contractiles Gewebe in immer mehr verschwindender Abhängigkeit von der Seele Bewegungen erfahren, die höchstens Gegenstände unserer Wahrnehmung, nie aber solche unserer Absicht sind. So dürfte man alle bisher genannten Bewegungen gewissermaßen als automatische Erschütterungen unsers Körpers betrachten wollen, denen die Seele nur zusehen kann; von ihnen aber seien gänzlich verschieden jene willkürlichen Benutzungen der Muskelkontraktilität, durch welche der Wille mit deutlichen Entschlusse ein Ziel verfolge. Allerdings nun sind diese Bewegungen von den bisher betrachteten sehr verschieden, dennoch gedenken wir zeigen zu können, dass auch sie nur willkürlichen Kombinationen unwillkürlicher Elemente sind, oder dass auch der Wille nichts anders vermag, als in einer gewissen selbstgewählten Verbindung und Reihenfolge jene innern psychischen Zustände erzeugen, an welche die Organisation die Entstehung der Bewegung geknüpft hat.