ZWEITES KAPITEL.
Von den Gefühlen.

§. 20
Von der Bedeutung der Gefühle im Allgemeinen.

208. Im Gegensatz zu den Empfindungen, deren Inhalt an sich ein Gegenstand gleichgültiger Wahrnehmung bleibt, behalten wir den Namen der Gefühle ausschließlich den Zuständen der Lust und Unlust vor. Bald als sinnliche Gefühle aus körperlichen Eindrücken, bald als intellektuelle aus Verwicklungen von Vorstellungen und Bestrebungen entsprungen, gehören sie zu den veränderlichsten Erscheinungen des geistigen Lebens. Es gibt Fälle, in denen fast nur diese Erregung selbst, ein bestimmter Grad des Wohl oder Wehe, höchstens eine eigentümliche Färbung der körperlichen oder geistigen Stimmung im Bewußtsein auftritt, während eine deutliche Wahrnehmung des Zustandes, an dem dieser Anteil genommen wird, oder des äußern Eindruckes, der ihn hervorbrachte, gänzlich fehlt. Es gibt andere Gefühle, die von einem sinnlichen oder intellektuellen Reize herrühren, dessen Gestalt und Inhalt noch neben der Teilnahme, die sich auf ihn bezieht, Gegenstand einer bestimmten Empfindung oder ausführlicher Überlegung ist. Aber auch in diesen Fällen beobachten wir zwar die tatsächliche Verknüpfung beider, ohne doch die innere Notwendigkeit zu sehen, mit der die Natur des Reizes die Entstehung des Gefühls bedingt. Die Begriffe des Wohl und Wehe lassen sich indessen kaum fassen, ohne eine Beziehung gegebener Eindrücke auf einen Maßstab vorauszusetzen, mit dem der Fühlende sich identisch weiß. Überall werden wir geneigt sein, Lust von Übereinstimmung, Unlust von dem Widerstreit abzuleiten, der zwischen den Wirkungen eines Reizes und irgend einer jener Bedingungen stattfindet, an welche die gesetzmäßige Äußerung des körperlichen oder geistigen Lebens gebunden ist. Aber diese natürliche Auffassungsweise, der wir unbewußt wohl alle folgen, bedarf einiger naheren Bestimmungen nicht nur an sich, sondern noch mehr zur Verhütung von Mißverständnissen, die früheren ähnlichen Äußerungen unnötige Bestreitungen zugezogen haben.

209. Sie drückt zuerst keine sich von selbst verstehende Notwendigkeit, sondern nur die Vermutung eines tatsächlichen Verhältnisses aus. Durch unzählige Erfahrungen ist es uns allerdings geläufig geworden, auf störende Einflüsse den Schmerz, auf wohltuende die Lust als selbstverständlich notwendige Folge zu erwarten. Dennoch fließt mit analytischer Notwendigkeit aus dem Begriffe eines störenden Einflusses nur die Tatsache der Störung, ans dem eines begünstigenden nur die der Förderung desjenigen Daseins, auf welches beide einwirken; nicht aber ist damit auch dies von selbst verbunden, dass jene Tatsache noch überdies als Wehe, diese als Wohl gefühlt werde. In dem Begriffe der Seele ferner als eines nur intelligenten Wesens liegt kein Motiv, das sie bestimmen könnte, die Veränderungen, die sie erfährt, jemals anders, als unter der Form vollkommen gleichgültiger Vorstellungen wahrzunehmen. Den höchsten Schwung der Begünstigung, so wie die drohendste Gefahr völliger Zerrüttung, so weit ihr substantielles Wesen ihrer überhaupt fähig wäre, würde sie mit demselben Gleichmut unparteiischer Klarheit auffassen müssen. Tut sie nun dies dennoch nicht, so muß der Grund dazu in einem andern Zuge ihres Wesens liegen, der sie befähigt und nötigt, Wert oder Unwert ihrer veränderlichen Zustände unter der eigentümlichen Form des Wohl und Wehe zu fühlen. Von einem Überblicke des Weltganzen aus gelingt vielleicht der Philosophie der Nachweis, dass eine nur intelligente Seele eine Unmöglichkeit sei, und dass beide Äußerungen des geistigen Lebens, obwohl ihrem Begriffe nach verschieden, doch durch eine innere Notwendigkeit stets verbunden vorkommen. Wir, von der Erfahrung ausgehend, heben vielmehr die andere Seite dieser Auffassung hervor und behaupten, dass beide, obgleich tatsächlich miteinander verknüpft, doch für die Zwecke der Erklärung im Begriffe zu scheiden sind. Indem wir der Seele neben der Intelligenz, ein eigentümliches Vermögen des Gefühls zuteilen, beabsichtigen wir allerdings durch diesen Namen keine Erklärung, wohl aber die nicht minder wichtige Zerstreuung des Wahnes, als ob eine besondere Erklärung unnötig sei. Jener Name enthält nicht nur die überflüssige Wahrheit, dass jeder Wirklichkeit eine Möglichkeit vorangehe, sondern über den Ort, an welchem diese vorbereitende Möglichkeit liege, schließt er eine positive Behauptung ein, denn er leugnet, was so Viele meinen, dass sie vollständig schon durch die Natur des Reizes gegeben sei, oder als sekundäre Folge aus dem intelligenten Wesen der Seele sich von selbst entwickle. Übereinstimmung und Widerstreit der Eindrücke mit den Bedingungen des Daseins oder alle andern Eigentümlichkeiten der Reize, die man vielleicht lieber an ihre Stelle setzen möchte, alle Verwicklungen ferner der Vorstellungen und Bestrebungen bedingen durch ihre eigene Natur allein niemals Gefühle; sie tun es nur, indem sie auf das Ganze der Seele zurückwirkend, dort die eigentümliche Erregbarkeit antreffen, durch welche die Seele, im Unterschied von andern Wesen, die unter völlig gleichen Umständen wohl der Störung, doch nicht des Schmerzes fähig wären, zur Erzeugung von Lust oder Unlust genötigt wird. Geht nun niemals aus der Natur eines veranlassenden Reizes analytisch die Notwendigkeit des nachfolgenden Gefühls hervor, so ist auch unsere Ansicht, welche die Lust an die Förderung, Unlust an die Störung des Lebens knüpft, keine notwendige Wahrheit; aber dieses Zusammenfallen des gefühlten Wohl oder Wehe mit dem nützlichen oder schädlichen Werte des wirklichen Eingriffs bleibt doch die einzige natürliche Vermutung, die der Existenz der Gefühle im geistigen Leben überhaupt eine vernünftige Bedeutung gibt.

210. Schon bei der Entstehung der gleichgültigen Empfindungen sahen wir, wie gar nicht ihr qualitativer Inhalt auf alle jene äußern Reize und jene nervösen Prozesse zurückdeutet, denen er seinen Ursprung verdankt. Die Farbenempfindung erzählt nichts von Oszillationen des Äthers, der Ton nichts von Luftschwingungen, beide Empfindungen verraten nichts über die Form der Nervenerregungen, durch die sie entstehen. Gleiches haben wir auch über die Gefühle zur Verhütung eines zweiten Mißverständnisses hinzuzufügen. Im Gefühle der Lust liegt keine anschauliche Erkenntnis der Übereinstimmung des Reizes mit den Bedingungen der Existenz, beide bleiben uns meistens gleich unbekannt, wie die Form ihres gegenseitigen Verhältnisses. Ebensowenig gewährt uns die Unlust ein beobachtbares Schauspiel des Kampfes, den andere Einflüsse gegen die Grundlagen unsers Lebens führen. Wie die Empfindungen, so sind auch die Gefühle keine Abbildungen der Prozesse, deren Folgen sie sind; wie jene allein mit ihrem qualitativen Inhalt, so treten diese einzig mit dem Grad des Wohl oder Wehe, der sie charakterisiert, im Bewußtsein auf und lassen auf ihre Ursachen sich nicht stets und unmittelbar, sondern nur in einzelnen Fällen und oft nur nach Anleitung wiederholter Erfahrungen zurückdeuten. Gestatten wir uns nun den Ausdruck, dass im Gefühle die Seele das Maß der Übereinstimmung oder des Streites zwischen den Wirkungen der Reize und den Bedingungen des Lebens wahrnehme oder sich seiner bewußt werde, so erwarten wir nach dieser Erklärung keine unnötige Bestreitung dieses Sprachgebrauchs, dem wir ja in Bezug auf die Empfindungen zu folgen gewohnt und gezwungen sind. Auch unsere ganze Sinnlichkeit ist so geartet, dass das Objekt, auf das unsere Vorstellungen sich beziehen, nie dem Eindrucke gleicht, den wir von ihm erhalten. Nichtsdestoweniger nennt die Sprache die Entstehung dieses Eindruckes ein Wahrnehmen oder Bewußtwerden des Gegenstandes, von dem er ausging. Mit gleichem Recht sagen wir von den Gefühlen, dass sie in Lust und Unlust das Maß jener erwähnten Beziehungen wahrnehmen. Vielleicht selbst mit größerem Recht. Denn die Empfindung einer Farbe enthält in gar keiner Weise eine Hindeutung auf ihren Ursprung; nur die Wissenschaft weiß von Lichtwellen, von denen die unmittelbare Wahrnehmung keine Ahnung hat. Es ist nicht so mit den Gefühlen. Eine Abbildung der bestimmten Vorgänge, durch die sie hervorgebracht werden, enthalten allerdings auch sie nicht; aber sie schließen doch eine sehr starke Hindeutung wenigstens auf eine wesentliche formelle Eigentümlichkeit ihrer Veranlassungen ein; nämlich sie erwecken ungesucht eben jene Vorstellung, die wir in dieser Betrachtung verfolgten und die nur willkürlicher Eigensinn mit der entgegengesetzten vertauschen könnte, dass Unlust auf Übereinstimmung, Lust auf dem Widerstreite der Eindrücke und der Bedingungen des Lebens beruhe.

211. Diese letzte Bemerkung führt uns von selbst durch einen Einwurf, der ihr leicht gemacht werden kann, zu einer dritten näheren Bestimmung unserer Ansicht. Manche tödliche Gifte reizen durch Süßigkeit, körperliche und geistige Ausschweifung verlockt durch Lustgefühle zu völliger Zerrüttung; manches wohltuende Heilmittel schreckt durch Schmerzhaftigkeit, manche nützliche Zucht des Geistes durch Strenge ab. So schiene das Maß der Lust und Unlust, welches die Eindrücke hervorrufen, doch in keinem festen Verhältnisse zu der Größe des Vorteils oder Nachteils zu stehen, den sie dem Leben bringen. Allein es lag auch keineswegs in unserer Absicht, dies zu behaupten, und eine kurze Überlegung der angeführten Beispiele läßt leicht erkennen, warum die Gefühle nicht allgemein vorbedeutende Anzeigen der Förderung oder Störung sein können, die der Gesamtheit des Lebens aus dem veranlassenden Reize entspringen werden. Die angenehme Süßigkeit eines Giftes ist nicht der volle Einfluß seiner ganzen Natur auf uns, sondern die partielle Wirkung eines Teiles seiner Eigenschaften auf die Nerven des Geschmacks, und sie erregt, übereinstimmend mit den natürlichen Tätigkeitsbedingungen dieser Nerven, mit Recht ein Gefühl der Annehmlichkeit. Aber sie trägt keine Schuld daran, dass in dem Gifte, von dem sie erzeugt wurde, sich noch andere Eigenschaften finden, die, ohne Einfluß auf diese Nerven, an andern Orten oder später verderbliche Folgen herbeiführen. Das Gift tötet nicht durch seine Süßigkeit, sondern trotz derselben, und ebenso beruht die günstige Wirkung eines Heilmittels schwerlich auf seiner ekelhaften Bitterkeit, die mit Recht als Störung empfunden wird, sondern auf andern Eigenschaften, die von ihr unabhängig, höchstens mit ihr zugleich Coeffekte einer bestimmten chemischen Zusammensetzung sind. In beiden und in allen ähnlichen Fällen mißt das Gefühl die momentane Größe der Förderung oder Störung, welche eine einzelne Tätigkeit des Körpers von demjenigen Teile des Reizes erfährt, der in demselben Augenblicke wirklich zur Ausübung seines Einflusses gelangt; aber es kann natürlich nicht als Maß für die Größe der möglichen Zuträglichkeit oder Schädlichkeit gelten, die der Reiz durch andere, in demselben Augenblicke und an demselben Orte noch nicht einwirkende Eigenschaften später oder anderswo erwerben kann. Es ist nicht schwer, die gleiche Betrachtung auch auf Gefühle von intellektuellem Ursprung auszudehnen. Die Gefühle der Lust, welche eine tatlose Schwärmerei des Gemüts begleiten, sind an sich ganz richtige Messungen der Befriedigung, welche dieser Zustand augenblicklich einzelnen Neigungen des Geistes gewährt; ein Maß des Vorteils dagegen, der aus ihm für das Ganze des geistigen Lebens hervorgeht, könnten sie nur dann sein, wenn sie zugleich etwas täten, was sie als Gefühle nicht tun können: wenn sie nämlich in den Gedankenverbindungen, welche jene Schwärmerei unterhalten, die schon vorhandenen, aber noch nicht einwirkenden Elemente späterer Zerrüttung wahrnähmen. Ebenso hat das Gefühl stets Recht, wenn es jede Strenge geistiger Zucht als unangenehm empfindet; nur die Überlegung kann in ihr die Ursache späterer Befriedigung erkennen und sich ihr freiwillig unterwerfen. So wie also jede gleichgiltige Empfindung nicht Art und Größe der Ursache, von der sie ausging, sondern nur Art und Größe der wirklichen Veränderung verrät, die jene in den Nerven zu erzeugen im Stande gewesen ist, so mißt auch das Gefühl nicht die Zuträglichkeit des Reizes, sondern die der Reizung.

212. Auch dies jedoch nicht genau und allgemein; denn allerdings ist nicht stets das erste Gefühl, das ein Reiz erweckte, an den weitern Folgen so unschuldig, wie in den erwähnten Fällen, in welchen die spätem entgegengesetzten Wirkungen zusammenhanglos mit jenem Gefühle aus andern Eigenschaften der Reize hervorgingen. Leicht führt die angenehme Erregung eines Nerven auch durch sich selbst zuletzt zu schädlichen Nachwirkungen in ihm, dessen Funktion vielleicht nur eine bestimmte Zeit hindurch eine Erregung ohne Übergang in andere Zustände ertragen kann, mit denen nun streitet, was den früheren gerecht war. Auch diese Vorkommnisse heben unsere allgemeine Auffassung nicht auf. Ein Thermometer zeigt am Morgen nicht die Temperatur, die der Mittag bringen wird, sondern die, die schon vorhanden ist. Auch das Gefühl, indem es die augenblickliche Übereinstimmung zwischen Reiz und Nervenfunktion mißt, kann nicht für die beständige Dauer dieses Verhältnisses einstehen und sie im Voraus anzeigen; es ändert sich vielmehr mit, wenn dieses sich ändert, und Gefühle der Abspannung und Unlust folgen denen der Lust und bezeichnen das Anwachsen der Störung, die der anfänglichen Förderung folgt. Die Verknüpfung der organischen Tätigkeiten kann es ferner mit sich bringen, dass die Förderung oder Störung einer einzelnen Funktion umgekehrt zu Schaden oder Nutzen anderer ausschlägt. Das Gefühl mißt unmittelbar nur jene diese Nachwirkungen in andern Teilen dagegen erst dann, wenn sie eintreten. Diese Fälle, obgleich häufiger in krankhaft veränderten Zuständen, sind doch auch dem gesunden Leben insofern nicht fremd, als auch seine normale Entwicklung gleich einer Melodie, welche einzelner Dissonanzen bedarf, durch vorübergehende Prozesse hindurchläuft, die momentan nur als Störungen der Funktion angesehn werden können und für sehr schwere Störungen gelten würden, wenn sie blieben. Die Wehen vor der Geburt sind gewiß, obgleich nicht in dem Grade, zu dem sie die Lebensweise zivilisierter Völker erhöht, natürliche und normale Ereignisse; aber deswegen, weil sie in den Plan des gesamten Lebens aufgenommen sind, hören sie nicht auf, vorübergehende Störungen zu sein, die mit Recht als Schmerzen gefühlt werden. Fassen wir dies Alles zusammen, so ist allerdings das Gefühl nicht allein unfähig, die Gesamtzuträglichkeit der vollen Natur des ganzen Reizes anzugeben, sondern es kann nicht einmal für seine eigene Zukunft und für den Nutzen einstehn, welchen das partielle Wohlsein, das es ausdrückt, für das Gesamtwohl des Ganzen bringen wird. Es ist im Allgemeinen nur als das Maß der zugleich partiellen und momentanen Übereinstimmung zwischen der Wirkung eines Reizes und den Bedingungen der Lebenstätigkeit zu fassen.

213. So schiene es nun, als wenn in dem Gefühle, welches der erste Eindruck eines Reizes weckt, eine instinktive Voraussicht des gesamten Nutzens oder Schadens aller seiner Folgen niemals läge, dennoch fehlt eine solche den lebendigen Wesen nicht durchaus, und wir müssen allerdings die Ansicht geltend machen, dass im Ganzen des organischen Lebens die Gefühle passend angeordnet sind, um als Motive der Triebe Schädliches unangenehm, Nützliches angenehm wahrzunehmen. Immer werden wir, falls das Vorhandensein der Gefühle irgend einen begreiflichen Sinn haben soll, auf die teleologische Voraussetzung zurückkommen müssen, dass nur solche Einwirkungen mit den Bedingungen einer einzelnen Tätigkeit stimmen werden, die auch mit den Bedingungen der Existenz des Ganzen sich vertragen. Wenn man diese Zweckmäßigkeit organischer Einrichtungen oft bezweifelt, so geschieht es doch meist nur, weil man von der Forderung einer vollkommenen aber unmöglichen Zweckmäßigkeit ausgegangen, um der natürlichen Täuschung dieser Erwartung willen die geringere aber mögliche Leistung übersieht, die der organische Körper wirklich ausführt. Die Teleologie der Natur bezieht sich stets nur auf die Unterhaltung der gesunden Zustände, und auf die Ausgleichung jener Störungen, welche unvermeidlich in dem natürlichen Lebenslauf, zu welchem ein Geschöpf bestimmt ist, hin und wieder eintreten müssen; aber sie erstreckt sich nicht notwendig, sondern nur in einzelnen glücklichen Fällen auf völlig ungewohnte Ereignisse oder gänzlich krankhaft verschobene Zustände. Ohne Zweifel ist das Schädelgewölbe zum Schutze des Gehirns bestimmt, und es reicht in der Tat aus, um bei allen Stellungen des Körpers und bei allen gewöhnlichen selbst heftigen Bewegungen diesem weichen Organ hinlänglichen Schutz gegen Druck und Zerrung zu gewähren. Maßlos freilich wird dieser Schutz nicht sein, denn die Natur kann nicht gerade hier Stoffe versammeln, deren Resistenzkraft größer ist, als jede denkbare äußere Störung; selbst nicht alle Gefahr konnte sie vermeiden, die der natürliche Lebenslauf in nicht allzu seltenen Fällen herbeiführt. Hätte sie das Schädelgewölbe aus irgend einem Metall oder aus Diamant gebildet, so würde sie seine Widerstandskraft außerordentlich haben steigern können; aber sie durfte dieses einzelnen Zweckes wegen nicht den gesamten organischen Chemismus ändern, der diese Materialien nicht schaffen kann, da er um der wichtigsten Lebenszwecke willen sich nur in Umgestaltung ziemlich leicht veränderlicher Massen bewegen darf. Diese gleichzeitige Rücksicht auf so viele verschiedenartige Zwecke verhindert die Natur, in einer einzelnen Richtung eine extreme Zweckmäßigkeit zu entfalten und läßt uns eine solche überhaupt nur in Beziehung auf die natürlichen Schwankungen des adäquaten Lebenselementes in jedem Geschöpfe erwarten.

214. Was wir nach dieser Bemerkung über die Funktion der Gefühle zu sagen haben, können wir ganz einer ähnlichen Betrachtung anschließen, die wir anderwärts über organische Tätigkeiten versuchten. (Allg. Physiol. des körp. Lebens, S. 258. ff.) Die Aufsaugung der Nahrungssäfte besitzt ein gewisses Vermögen der Auswahl; nur Brauchbares wird im Allgemeinen aufgenommen, Schädliches zurückgewiesen. Aber diese Auswahl beruht nicht auf einer unmittelbaren Ahnung des Heilsamen oder Gefährlichen, sondern sie ist mechanisch dadurch gesichert, dass die Aufsaugung an gewisse physische Bedingungen der Löslichkeit und andere geknüpft ist, welche unter den gewöhnlich dargebotenen Nahrungsmitteln nur von dem benutzbaren Teile derselben erfüllt werden. Dies schließt nicht aus, dass außerhalb dieses Kreises der adäquaten Lebenselemente Gifte existieren, die dieselbe Löslichkeit und jene andern Eigenschaften besitzen, welche die Aufsaugung bedingen; zufällig in den Organismus eingeführt, können daher auch sie nicht zurückgewiesen werden. Auch das Gefühl nun ist keine unmittelbare Ahnung der Heilsamkeit oder Schädlichkeit eines Reizes; seine Aussage stützt sich vielmehr auf die Form der Wirkung, die der Reiz entweder entsprechend oder widersprechend den Bedingungen der ihn auffassenden Tätigkeit ausübt. Nun mag es für die gewöhnlichen im Laufe des Lebens liegenden Reize zutreffen, dass diejenigen, deren Wirkungsform diesen Bedingungen entspricht, auch dem Ganzen nützlich sind; aber dies hindert auch hier nicht, dass ungewohnte Einflüsse dieselbe Wirkungsform mit den verderblichsten Eigenschaften verknüpfen. Daher fehlen die warnenden, instinktiven Gefühle der Unlust, im Tierreich noch so häufig, dem Menschen sehr oft; sie mangeln überhaupt nicht selten bei den heftigsten Störungen, wenn diese auf Wegen einwirken, nach deren Richtung hin der Organismus nicht die Bestimmung hat, überhaupt empfänglich für Reize zu sein. Wir sehen bei Tieren nach Eröffnung der Schädeldecken große Partien des Gehirns schmerzlos durch das Messer des Physiologen abgetragen werden, nicht notwendig weil diese Teile an sich unempfindlich sind, sondern ebenso möglich, weil nur ihre funktionellen Störungen Gefühl erregen, während mechanische Zerstörungen, im Lauf des natürlichen Lebens nie vorkommend, diejenige Form der Erregung nicht erzeugen, an welche in ihnen sich das Gefühl des Schmerzes knüpfen würde. Wir sehen umgekehrt sehr heftige Gefühle in Krankheiten auftreten, wo sie zwar eine Störung anzeigen, aber nicht zu ihrer Beseitigung, oft zu ihrer Verschlimmerung beitragen. Sie können hier nur als Fortwirkungen eines für den gesunden Zustand berechneten Mechanismus gelten, der für den kranken nicht aufgehoben werden kann. Wie unadäquate Reize die Funktion der Sinnesorgane erregen und subjektive Empfindungen der natürlichen Bestimmung derselben zuwider erzeugen, ebenso erwecken krankhafte Veränderungen Gefühle, deren Bestimmung es war, im gesunden Leben das Maß funktioneller Tätigkeit zu bilden und auf die Übereinstimmung aller organischen Vorgänge dadurch mitzuwirken. Wie groß übrigens auch der später zu schildernde Wert sein mag, den die Gefühle überhaupt als mechanische Momente zur Anregung anderer körperlicher oder geistiger Verrichtungen besitzen, so würden wir sie doch falsch schätzen, wenn wir sie nur auf die Selbsterhaltung des Lebens berechnet dächten, und den unabhängigen Wert verkennen wollten, den sie als Bestandteile des geistigen Lebens selbst in sich tragen.

215. In Bezug auf die gleichgültigen Empfindungen sind die einzelnen Individuen jeder Gattung sehr übereinstimmend organisiert, und wir müssen es als eine förmliche Abweichung von der normalen Bildung ansehn, wenn Einzelne den Unterschied gewisser Farben oder Tonhöhen nicht wahrnehmen, oder ihn anders angeben, als Andere. Da die Empfindungen zu einer möglichst unparteiischen Wahrnehmung objektiver Tatbestände bestimmt sind, so darf auch auf ihre Aussagen die Verschiedenheit subjektiver Organisation oder Stimmung keinen Einfluß haben. Die Gefühle, als Masse des Wertes der Eindrücke für das individuelle Wesen müssen dagegen beiden sich anschließen. Sie können deshalb bei verschiedenen Individuen nur nach den Richtungen hin sehr gleichförmig sein, nach denen die Natur alle Exemplare einer Gattung gleichförmig zu organisieren pflegt; sie werden dagegen äußerst ungleich sein können, wo sie aus Funktionen entstehn, in welchen die spezifischen Eigentümlichkeiten der Individuen am meisten hervortreten. Man bemerkt daher leicht, dass zu der Feinheit der Empfindungen und zu dem Grade ihrer Objektivierbarkeit in jedem einzelnen Sinnesorgan die Intensität der Gefühle, ihre Veränderlichkeit, so wie die Häufigkeit individueller Idiosynkrasien in einem ziemlich beständigen umgekehrten Verhältnis stehen.

216. Die höheren Sinne, dazu bestimmt, mit größter Entäußerung der Subjektivität eine treue Darstellung der objektiven Welt zu geben, werden nur durch die äußersten Mißver-hältnisse ihrer Reize zu wirklichen Schmerzgefühlen getrieben; gegen die Mehrzahl der Eindrücke zeigen sie sich weit gleichgültiger, entfalten aber in demselben Maße ein feineres Urteil über die qualitativen Verschiedenheiten derselben und ihre gegenseitigen Beziehungen. Der objektivste Sinn, das Gesicht, dessen Wahrnehmungen durch ihre geometrische Regelmäßigkeit sogleich zur Deutung auf einen äußern Gegenstand auffordern, zeigt das geringste Gefühl; nie ist eine Farbe so wehtuend, wie schon ein Ton es sein kann, nie so widrig, wie eine Geschmacksempfindung; die schreiendste Dissonanz der Farben wird wie eine objektive zu mißbilligende Unschönheit, aber nie mit jenem Gefühl persönlicher Affektion empfunden, welches schon die Mißklänge der Töne begleitet. Und doch lehrt uns die vorzugsweis günstige Wirkung einer Zusammenstellung komplementärer Farben, dass auch hier unser Urteil auf physischen und physiologischen Gründen und nicht allein auf weniger berechenbaren geistigen Motiven beruht. Diese wenig intensiven Gefühle nun, welche die Gesichtsempfindungen begleiten, sind allerdings nach den verschiedenen Zuständen der Organisation veränderlich und nach dem Wechsel der allgemeinen Stimmung wird bald Heiligkeit, bald Dunkel, die mehr oder minder erregenden Farben vorgezogen; andere Farben der Kleider sucht die Freude, andere die Trauer; doch sind alle diese Umstände, so wie die Idiosynkrasien, von denen wir fast nur die aufreizende Wirkung der roten Farbe auf manche Tiere kennen, im Ganzen des Lebens wenig hervortretend. Der Gehörsinn, obgleich nicht minder zu feiner Unterscheidung und Objektivierung seiner Eindrücke bestimmt, erweckt doch die Gefühle weit lebhafter und wir empfinden bereits den Zwang, den eine Dissonanz oder einzelne unreine Töne uns zumuten, als eine widerliche Störung unserer Nerven; ebenso zeigen manche Tiergattungen für das Timbre gewisser Klänge die lebhaftesten Antipathien. Diese Eigentümlichkeit des Gehörsinnes scheint mir von der ungleich größern mechanischen Gewalt nicht unabhängig, mit welcher die Schallwellen im Vergleich zu den Oszillationen des unwägbaren Äthers überhaupt auf den Organismus einwirken und ich glaube eine Bestätigung dieser Vermutung darin zu sehen, dass ganz abgesehn noch von aller psychischen Teilnahme auch die physiologische Nachwirkung der Toneindrücke viel heftiger ist. Knirschende, kreischende Töne erzeugen lebhafte Mit-empfindungen, Kieseln der Haut, selbst Krämpfe der Muskeln, und wir beobachten bei allgemeiner Nervenschwäche eine Empfindlichkeit gegen Schallreize, wie sie gegen Lichtreize in gleichem Grade nur bei besondrer Erkrankung des Sehorgans einzutreten pflegt.

217. Ganz anders sind die Verhältnisse bei Geruch und Geschmack. Beide liefern kaum je ganz gleichgültige Empfindungen, sondern mit ihnen, welche den Zwecken der individuellen Selbsterhaltung viel näher stehen, verknüpfen wir eigentlich immer zugleich Gefühle, und indifferente Geschmäcke nennen wir nur die, welche entweder durch geringfügige Größe der Lust oder Unlust unsere Erwartung einer von beiden täuschen, oder in der Tat mit gänzlichem Mangel aller spezifischen Empfindung nur die Fäden des Trigeminus reizen, welche jene Nerven begleiten. Wie wandelbar diese Gefühle nach den verschiedenen körperlichen Stimmungen und wie zahlreich die Idiosynkrasien verschiedener Individuen hier gegen dieselben Reize sind, ist ebenso bekannt, als die viel größere Affektion, welche sie im Vergleich zu Licht- und Schallreizen erregen. Abgesehn von dem Tastsinn, der nicht die Funktion einzelner Nerven, sondern das gemeinschaftliche Produkt der Bewegung und der Hautempfindlichkeit bildet, ist diese letztere sehr wenig zu scharfen und objektivierbaren Eindrücken geeignet; dafür erreichen Ihre Gefühle und die der innern Organe häufig die größte Intensität des Schmerzes; ihre Idiosynkrasien, wie sie etwa gegen Berührung kreidiger, samtartiger Flächen vorkommen, sind nur deswegen weniger zahlreich, weil der Kreis der verschiedenen Eindrücke, denen die Hautempfindlichkeit offen steht, weniger qualitative Mannigfaltigkeit besitzt und sich in den graduellen Verschiedenheiten des Druckes und der Temperatur erschöpft. Auch das geistige Leben bietet in den intellektuellen Gefühlen zu diesen Zügen der körperlichen Organisation einige Analogien. Alle Gedankenverbindungen, je schärfer, formell bestimmter und mathematisch vielseitiger gegliedert sie ihren Gegenstand auffassen, erregen desto weniger intensive Gefühle, obgleich gerade dieser Feinheit der Anschauung eine mittelbare Kraft und Zartheit der Gefühle entspringen kann, welche weit höher zu schätzen ist, als jene unmittelbare aufgedunsene Gewalt, mit der sie bei noch dunkler und verworrener Auffassung vorliegender Verhältnisse das Gemüt füllen.