§. 19.
Proportionen zwischen Reiz und Empfindung.

185. Zwischen zwei Endgliedern eines zusammengesetzten Prozesses, dessen Mittelglie-der mit den Umformungen ihre sich fortpflanzenden Anstoßes uns entgehen, können wir nicht hoffen, einfache und sehr deutliche Proportionen zu finden. Äußere Reize und Empfindungen stehen in diesem Verhältnisse zu einander. Denn zwischen den ersten, die allein zuweilen exakte Messung und den zweiten, die oft wenigstens erträglich genaue Schätzung ihrer Größe und Verwandtschaft gestalten, stehen mitten inne die Nervenprozesse, die wir nicht kennen. Wir wissen daher nicht, wie viel von der Stärke und der spezifischen Gestalt der Reize nutzlos für die Seele durch Widerstände verzehrt wird, die sie bei ihrem Übergange in die Nerven erfahren. Die Vergleichung der Empfindungen mit ihnen wird noch außerdem dadurch erschwert, dass nur wenige Klassen der letztern selbst in eine Mannigfaltigkeit vergleichbarer Glieder sich ordnen lassen, deren Stärke, Verwandtschaften und Differenzen eines Maßes fähig sind. Fast nur das Gebiet der Farben und Töne zeigt uns einen solchen Reichtum der Gliederung nach mehreren Richtungen und läßt sich zugleich an bekannte physische Reize, die Schwingungen des Lichtes und des Schalles anknüpfen; Geruch und Geschmack bieten zwar unzählig verschiedene Empfindungen, aber so wenig bestimmte Grade der Verwandtschaft und Differenz zwischen ihnen, dass es unmöglich ist, sie in eine geordnete Skala zu bringen, und nicht besser bekannt sind uns die physischen Prozesse, die beiden Sinnen ihre Impulse geben. Nur Weniges wird daher über das Verhältnis der Reize zu den Empfindungen mit einiger Sicherheit zu ermitteln sein.

186. Eine genau angebbare Verschiedenheit in der Stärke der äußern Reize läßt sich am leichtesten für die Druckempfindungen der sensiblen Hautnerven durch Vermehrung oder Verminderung der Gewichte herstellen, die man, um jede Lastempfindung durch Mithilfe der Muskeln auszuschließen, nach E. H. Webers genaueren Anweisungen (Wagners HWBch. III, 2. S. 544) abwechselnd auf gleich große Hautstellen vollkommen unterstützter Glieder bringt. Gewichte, die sich wie 4 : 5 verhielten, konnten von Weber noch bei 90 Sek. Zwischenzeit zwischen ihrer Auflegung, solche im Verhältnis von 39 : 30 noch bei 30 Sek. Zwischenzeit unterschieden werden; der letzte Fall schien die Grenze des Möglichen. Dem Anwachsen des drückenden Gewichts folgt daher allerdings ein Wachsen der Druckempfindung, doch nicht so, dass dem Vielfachen der Last auch ein Vielfaches der Empfindung entspräche, und die eine uns etwa die Hälfte oder das Doppelte der andern schiene. Allerdings mag schon die physische Wirkung, welche der Druck auf die Nerven hervorbringt, der Größe der Gewichte nicht einfach proportional sein. Zwar wird bei steigendem Gewichte der Last jedes Teilchen des unterliegenden Hautgewebes auch einen gleichmäßig steigenden Druck erfahren; aber nicht der Druck als solcher, sondern nur die wirklich durch ihn hervorgebrachte Bewegung, Formänderung und Verschiebung der Teilchen sowohl in der Umgebung als innerhalb des Nerven selbst ist der Vorgang, von dem wir die Erregung eines bis zum Gehirn sich fortpflanzenden Prozesses in dem Nerven erwarten dürfen. Gegen diese wirklichen Verschiebungen des Zusammenhanges aber leistet die Elastizität der Gewebe wachsenden Widerstand, und den höheren Gewichten dürften deshalb nicht gleich große, sondern abnehmende Zunahmen dieser für die Nervenerregung nutzbaren Erschütterung der Teilchen entsprechen. Indessen würde hieraus doch nur hervorgehn, dass die Multipla unserer Druckempfindung nicht stets auf die Multipla der wirklichen Gewichte träfen; dass aber überhaupt nie ein Punkt kommt, wo die eine Empfindung uns eine bestimmte Vervielfältigung einer andern scheint, ist hier wie in andern Sinnen, eine rätselhafte Tatsache. Jene feine Unterscheidungsfähigkeit, die wir oben anführten, besitzen wir übrigens nur für mittlere Werte der Gewichte, deren Eindruck im Vergleich zu der gegenseitigen Spannung, in der sich die Teilchen des Hautgewebes stets befinden, einen nicht zu kleinen Zuwachs hinzufügt, und anderseits nicht so groß ist, um durch Schmerzgefühle die Empfindung zu trüben. Man mag 29 Unzen von 30 durch bloßen Drucksinn der Haut unterscheiden, aber nicht 29 Gran von 30, oder 29 Pfund von 30 Pfund.

187. Auch die Temperaturempfindungen entwickeln sich wahrscheinlich wenigstens zum Teil nicht ans unmittelbarem Eindruck der Wärme auf den Nerven, sondern mittelbar aus einem inneren Sinnesreize, nämlich aus allen den physischen Veränderungen, die in dem Kohäsionszustande der Gewebe vor sich gehen müssen, indem sie ihre eigene Temperatur mit der der einwirkenden Objekte auszugleichen suchen. Da nun die eigene Wärme der Haut sehr veränderlich ist, und die Ausgleichung ihrer Temperatur mit der der Umgebung überdies nicht einfach so vor sich geht, wie zwischen zwei unbelebten Körpern, sondern durch die Eigentümlichkeiten der tierischen Wärmeökonomie modifiziert wird, so stehen auch die Temperaturempfindungen nur in sehr wandelbaren Beziehungen zu der Größe des objektiven Wärmereizes. So lange die natürliche Temperatur der Haut und die eines berührenden Körpers gleich sind, verursacht die letztere keine Wärmeempfindung; je verschiedener dagegen beide, um so bedeutender ist die Empfindung, die aus den sofort entstehenden Ausgleichungsprozessen zwischen diesen beiden ungleich erwärmten Elementen entspringt. Auf ihre Intensität haben daher auch alle die Umstände Einfluß, welche außerdem die Geschwindigkeit dieser Ausgleichung der Temperaturdifferenzen modifizieren. Ein Körper von geringerer Wärme als die der Haut erscheint uns im ersten Augenblick der Berührung kälter als unmittelbar nachher, wo die Haut ihn durch Mitteilung ihrer Temperatur erwärmt und sich selbst dabei abkühlt; ein wärmerer Körper ist umgekehrt wärmer im Anfang als später. Unter gleich temperierten kühleren Körpern entziehn gute Wärmeleiter, wie Metall, der Haut leichter Wärme, als schlechte, wie Holz, und scheinen deshalb kälter; unter gleich temperierten heißeren Körpern teilen gute Leiter uns umgekehrt schneller Wärme mit als schlechte und scheinen wärmer. Auch die Haut selbst mag nach verschiedenen inneren Zuständen in ihrer Leitungsfähigkeit für Wärme schwanken; dagegen ist es nicht wahrscheinlich, dass außer ihren wechselnden Zuständen, die natürlich vom größten Einfluß auf die Gestaltung der Wärmeverteilung zwischen ihr und den äußeren Objekten sind, auch die Nerven noch einem Wechsel ihrer Erregbarkeit oder Leitungsfähigkeit für Temperaturen unterliegen sollten. Übrigens werden allerdings nicht allein Übergänge aus einer Temperatur in die andere wahrgenommen, sondern auch ein länger dauernder Grad derselben, der höher oder niedriger ist, als die natürliche Temperatur der Haut, erzeugt uns ein anhaltendes Gefühl der Wärme oder Kälte. Doch auch dies schwerlich so, als bewirkte dieser konstante Wärmegrad unmittelbar einen fortdauernden Reiz unserer Nerven; vielmehr strahlt beständig die ganze Körperoberfläche oder die einzelne exponierte Hautstelle Wärme aus oder empfängt deren, so dass auch hier sich die Nerven in einem beständigen Strome von Ausgleichungsprozessen befinden. Die Unterscheidungsfähigkeit für Temperaturdifferenzen ist sehr fein, und Weber fand (a. a. O. S. 554), dass, unter günstigen Umständen, auf deren Mitwirkung wir noch später zurückkommen, ein Unterschied von 1/5° bis 1/6° R. noch wahrnehmbar blieb, Differenzen von 2/5° dagegen von den Meisten bemerkt werden. Aber auch die Temperaturempfindungen bilden keine gegliederte Skala und haben keine Multipla, sondern nur ein Mehr und Minder. Zwar ist natürlich 10° nicht das Doppelte von 5°, aber eine Zunahme von 10° zu 16° ist unter Voraussetzung gleichförmiger Ausdehnung des Quecksilbers allerdings das Doppelte einer Zunahme von 10 ° zu 13°. Dennoch erscheint uns die erste Steigerung der Wärme zwar größer, aber nicht doppelt so groß als die zweite.

188. Gleiche Bemerkungen haben wir über Licht- und Schallempfindung zu machen. Wenn der Docht eines Lichtes sich von einer kleinen Stelle aus allmählich in Brand setzt, unterscheiden wir im Anfang sehr fein die verschiedenen Helligkeitsgrade und fühlen unsere Empfindung ziemlich lange Zeit in stetigem Steigen begriffen. Sind jedoch größere Lichtmengen einmal erreicht, so wird das Unterscheidungsvermögen weit stumpfer und wir sind kaum geneigt, die Beleuchtung eines kleinen Zimmers durch mehrere Lichter von gleicher Art sehr viel heller zu finden, gewiß aber unfähig, sie als Multiplum der Beleuchtung durch eines wahrzunehmen. Wie sehr ferner das Gehör für feine Unterschiede in der Stärke des Reizes empfänglich ist, das beweist am einfachsten der Gebrauch, welchen die Musik von den Graden des Forte und Piano und den allmählichsten Modifikationen der Übergänge zwischen beiden macht. Übrigens teilt freilich das Gehör jene Unfähigkeit zur Empfindung eines Vielfachen der Stärke, zu der nur in unbeträchtlichem Grade im Auge die Schwächung des Lichtreizes durch Verengerung der Pupille, im Ohre vielleicht gewisse Abwandlungen in der Spannung der Membranen beitragen können. Denn hier wie bei Druck und Temperatur würde aus diesen Umständen nur die Inkongruenz unserer Empfindungen von Vielfachem mit den wirklichen Multiplis der äußern Reize hervorgehn, aber nicht das Fehlen jedes Gefühls für aliquote Vermehrungen derselben.

189. In seinem neuesten Werke, Zend-Avesta 1851, 2 Thl. S. 373 ff. hat Fechner diese und andere Eigentümlichkeiten der Empfindungen durch eine neue mathematische Formel zu konstruieren versucht, welche ein allgemeines Verhältnis zwischen den Änderungen der lebendigen Kraft eines Nerventeilchens und den Änderungen in der Intensität der psychischen Tätigkeit ausdrückt. Eine Konsequenz dieses Verhältnisses würde es sein, dass die Intensität der Empfindung der Logarithmus der Intensität des Nervenprozesses wäre und in arithmetischer Progression fortschritte, wo diese in geometrischer steigt. Hierauf jetzt näher einzugehn, gestehe ich nicht nur durch die Schwierigkeit der Sache, sondern durch andere methodologische Überzeugungen über den einzuschlagenden Weg verhindert zu sein. Einmal nämlich sind uns meßbar überhaupt nur die Größen der äußeren Reize; wir kennen dagegen nicht die durch sie erzeugte Größe der lebendigen Kraft b eines Nervenmoleküls, von der die psychische Intensität allein unmittelbar abhängt. Wir können daher auch nicht ihre Zunahmen dbals einfach entsprechend den Zunahmen der Reize ansehn, auf welcher Annahme doch allein die Möglichkeit beruhen würde, sie überhaupt erfahrungsmäßig mit den Intensitätsänderungen der Empfindungen zu vergleichen. Anderseits würde Fechners Hypothese, nach welcher diese letztern Änderungen nicht proportional db, sondern proportional  wären, doch so weit ich sehen kann, nur eine empirische Formel sein. Gewiß wird sie auch so großen Dankes wert sein, wenn sie sich nicht nur an den allgemeinen Umrissen, sondern an möglichst bestimmt gemessenen Einzelheiten des Verhaltens zwischen Reiz und Empfindungals die einzig brauchbare der vielen hier denkbaren mathematischen Beziehungsweisen bewährte. Da jedoch in der Psychologie die Hoffnung, aus etwa gefundenen mathematischen Gesetzen neue Erscheinungen zu entdecken oder zu erklären, geringer ist, als der Wunsch, aus der Natur der Seele die Gesetze selbst erklärt zu sehen, so würde ich allerdings die Untersuchungsweise Herbarts, obgleich sie auf diese physiologischen Fragen noch keine Anwendung gefunden hat, der Aufsuchung empirischer Formeln vorziehen.

190. Das Verhältnis zwischen den formellen Verschiedenheiten der Reize und den qualitativen der Empfindungen wird uns am deutlichsten durch die Beziehung der Schwingungsfrequenz der Schallwellen zu den Höhen der Töne erläutert. In der Tat sehen wir, obgleich an sich der empfundene Ton der Schallschwingung unvergleichbar ist, dennoch überall dem Fortschritt in den Änderungen des Reizes einen entsprechenden Fortschritt in der Änderung der Empfindung folgen; wo dort ausgezeichnete Punkte oder hervorstechende Verwandtschaftsgrade liegen, finden wir sie in der empfundenen Welt der Töne wieder. Und gleichwohl zieht sich bis in diese feinsten Züge der Korrespondenz die ursprüngliche Unvergleichbarkeit beider überall hindurch. Enthält doch schon die Natur des empfundenen Tones keinerlei Erinnerungen an irgend welche Frequenzverhältnisse, und obwohl unsere ganze musikalische Kunst auf der Benutzung derselben beruht, so empfinden wir doch unmittelbar weder die Zahl der Impulse, die einem einzelnen Ton, noch irgend eine jener Verhältniszahlen mehrerer Töne, die ihrer Konsonanz oder Dissonanz zu Grunde liegen. Die Menge der Wellen nun, die in gleicher Zeit sich folgen, konnte natürlich nicht als einfache Stärke aufgefaßt werden, denn ihr Begriff drückt nur eine Anzahl aus, ohne der Größe der gezählten Einheit zu gedenken. Die Stärke des Tones mußte daher von dieser letztern Größe, der Excursionsweite der bewegten Teilchen abhängig bleiben. Dennoch liegt auch in der größern oder geringern Anzahl ein Moment der Steigerung, das unabhängig von jener Stärke ein Objekt der Wahrnehmung werden konnte. Ihr entspricht nun jene eigentümliche Auffassungsform der Töne, die wir ihre Höhe nennen, indem wir durch diesen Ausdruck andeuten, dass ihre Verschiedenheiten weder einfach quantitative noch rein qualitative sind, dass sie vielmehr in Qualitäten bestehen, welche sich von Natur in eine steigende Skala ordnen, in deren höheren Gliedern ein Fortschritt jedenfalls gefühlt wird, ohne doch auf ein bestimmtes fortschreitendes Element gedeutet werden zu können.

191. Die Schwingungszahlen der verschiedenen Töne bilden eine stetig wachsende Reihe; dieselbe beständige Erhöhung bemerken wir auch an den Tönen. Auf ihrem Laufe durch unendlich verschiedene Werte gelangt jene physische Reihe in bestimmten Perioden auch zu dem Vielfachen der Werte, die sie in früheren Gliedern besaß; diese ausgezeichneten Punkte treten auch in der Tonwelt als Oktaven auf. Wenn jedoch gleich die höhere Oktave auf der doppelten Schwingungszahl der nächst niedrigeren beruht, so wird ihre Höhe dennoch nicht als die doppelte dieser, die Höhe der dritten Oktave nicht als die vierfache der ersten empfunden. Mit Recht hat man vielmehr längst bemerkt (Drobisch; über die mathematische Bestimmung der musik. Intervalle Lpz. 1846), dass dieser geometrischen Progression der Schwingungszahlen nur eine arithmetische unserer Höhenempfindung entspricht. Die dritte Oktave scheint uns von der zweiten nur eben so weit abzustehen, als diese von der ersten. Dabei würde man noch immer erwarten können, dass die Distanz zwischen einem Grundton und seiner zweithöheren Oktave sich als das Doppelte der Distanz zwischen ihm und der nächsthöheren fühlbar mache. Aber auch dies ist nicht unmittelbar der Fall, sondern nur mittelbar scheint uns die zweite Oktave jene Distanz zu halbieren, indem wir wahrnehmen, dass sie der einzige mögliche Punkt zwischen der ersten und dritten ist, der ebenfalls die Eigenschaft der Oktave hat. Diese Eigenschaft nämlich besteht natürlich nicht darin allein, dass je zwei Oktaven uns gleich weit entfernt zu sein scheinen, denn dieses Verhältnis ist in Bezug auf jedes Intervall, auf Terzen und Quinten gleich bemerkbar. Das Vielfache der Schwingungszahl führt vielmehr jene undefinierbare Verschmelzung von Gleichheit und Steigerung herbei, die wir nur beim Hören der Oktave empfinden. In dieser Beziehung nun unterscheidet sich der Verlauf der empfundenen Tonreihe von dem der Schwingungszahlenreihe. Während die letztere gradlinig ins Unendliche fortgeht, bildet die erste offenbar Wendungen, so dass ihre Oktavenpunkte trotz des inzwischen geschehenen Fortschritts einander sich wieder nähern. Dies Gefühl haben wir schon im Verlauf der Töne innerhalb einer einzigen Oktave. Indem wir vom Grundton ausgehn, glauben wir uns in den ersten Intervallen entschieden von ihm zu entfernen; von der Quinte an macht dies Gefühl dem entgegengesetzten Platz und obgleich wir der wachsenden Höhe der Töne uns bewußt sind, glauben wir in Sext und Septime uns der Ausgangsrichtung, oder vielmehr einer höheren Parallele derselben wieder zu nähern. Liegen daher Grundton und Oktave in gerader Linie übereinander, so steigen die Mitteltöne auf einer Spirale, die um eine Zylinderoberfläche geht, von jenem zu dieser empor. Setzten wir einen Augenblick voraus, dass die Intensitäten der psychischen Tätigkeiten, (wenn überhaupt der Begriff der Intensität bei der Wahrnehmung der Tonhöhe einfache Anwendung fände,) sich wie die Logarithmen der physischen verhielten, so würde doch diese Eigentümlichkeit der Tonwelt nicht daraus fließen. Wir würden daraus nur ableiten können, dass jede Verdoppelung der Schwingungszahl einen konstanten arithmetischen Zuwachs der Tonhöhe erzeuge, nicht aber, dass diese Steigerung zugleich mit Wiederannäherung an die Qualität des Tones von einfacher Schwingungszahl verknüpft wäre. In der Skala wird neben der geraden Aufsteigung des Tons in die Höhe auch seine seitliche Deklination von der Achse des Aufsteigens und sein periodisches Durchgehn durch diese empfunden.

192. Das Hörbare ist bekanntlich nicht nur den Modifikationen der Höhe, sondern auch denen des Klanges unterworfen, deren merkwürdigstes Beispiel die Verschiedenheit der Vokale bei gleicher Tonhöhe ihrer Aussprache ist. Die physischen Ursachen der abweichenden Klänge sind weniger genau bekannt; auch würden sie eine übersichtliche Analyse schwer gestatten, da sie gewiß in unzähligen Eigentümlichkeiten und zum Teil Unregelmäßigkeiten des Gefüges und der Form schallender Körper bestehen. Durch sie werden bald den Wellen der Hauptschwingung ohne Änderung ihrer Frequenz mancherlei Nebenschwingungen mitgeteilt, bald treten schwächere selbständige Oszillationen, die Reinheit des Tones beeinträchtigend hinzu, bis in dem Geräusche die gleichzeitig vibrierenden Teilchen keine gemeinsame Welle von gemeinschaftlicher Frequenz mehr zusammensetzen. Es ist nicht schwer zu sehen, dass alle diese Modifikationen räumlicher Wellenbewegung für die Seele zu nutzbaren Reizen werden können. So wie wir in einer physischen Oszillation neben der Frequenz und Stärke der einzelnen Schwingungen noch die Form unterscheiden, in welcher die bewegten Teilchen einer und derselben Welle, entweder symmetrisch oder unsymmetrisch in den verschiedenen Strecken ihrer Bahn, mit mehr oder minder beschleunigter Geschwindigkeit, mit steilem oder allmählichem Anschwellen fortgehn, ebenso kann ein intensiver und unräumlicher Erregungszustand der Seele zwischen je zwei aufeinanderfolgenden Maximis der Erregung sein Wachstum und seine Abnahme in unendlich verschiedenen symmetrischen und unsymmetrischen Formen vollziehen. Jene Ausdrücke, die man zur Bezeichnung der verschiedenen Pulsarten gewählt hat, würden sich leicht auf diesen Gegenstand übertragen lassen, um zu zeigen, wie bei gleicher Frequenz, Stärke und Völle dieses psychischen Pulses doch die Trägheit oder Geschwindigkeit, die Spitzigkeit oder Flachheit seiner Erhebungen; jene verschiedenen Färbungen gleich hoher Töne bedingt.

193. Bekanntlich beruhen die Farbenunterschiede auf vollkommen analogen physischen Verhältnissen, wie die Differenzen der Tonhöhen; sie hängen von der Zahl der Oszillationen ab, welche der Lichtäther in gleicher Zeit ausführt. Das rote Licht erscheint hierbei, mit etwa 439 Billionen Schwingungen für die Sekunde, als Anfangsglied, das violette mit etwa 697 als Endglied der für unsere Sinne wahrnehmbaren Reihe, die mithin nicht wie eine volle Tonoktave zur Verdoppelung der Schwingungen ihres Grundtons gelangt. Doch könnte die Verwandschaft des Violet mit Rot Andeutung sein, dass allerdings Farben von noch größerer Schwingungsfrequenz, wenn sie uns überhaupt noch einen Eindruck machten, nur die früheren Tinten der Reihe wiederholen würden. Innerhalb der Farbenreihe selbst aber sind die näheren Verhältnisse sehr abweichend, und man deutet sie oft in sehr gewaltsamer Weise, um sie den Analogien der Tonreihe zu nähern. Aber es kann nicht darauf ankommen, die unbefangene Aussage unserer Empfindung nach physischen Voraussetzungen zu korrigieren, sondern sie aufzufassen wie sie unwillkürlich abgegeben wird und abzuwarten, auf wie sehr oder wie wenig verwickelte Verhältnisse des Empfundenen zu seinen Veranlassungen sie führen wird. So scheint es zuerst klar zu sein, dass ein Gefühl der Steigerung, dem der Tonhöhen entsprechend, unsere Empfindung vom Rot durch Orange, Gelb, Grün und Blau hindurch bis zum Violet gar nicht begleitet; im Gegenteil entsteht vom Grün an vielmehr ein Gefühl der Depression, welches die blauen Farben als kalte von den warmen, roten scheidet. Überhaupt sind die Farben weniger mit Tonhöhen, als mit Klangverschiedenheiten, z. B. denen der Vokale vergleichbar. Anders ordnen sie sich ferner nach ihrer Helligkeit in dem Sinne des gewöhnlichen Sprachgebrauchs, welcher damit nicht die quantitative Lichtstärke oder die durch Mischung mit Weiß und Schwarz bewirkte Erhöhung und Vertiefung jeder einzelnen Farbe in sich selbst, sondern jene qualitative Lebendigkeit bezeichnet, die den reinen Farben bei gleicher Intensität der Beleuchtung dennoch verschieden zukommt. Nach dieser gewöhnlichen Bedeutung erscheint uns Gelb entschieden als die qualitativ hellste Farbe, von der aus die Reihe nach zwei Seiten sich in dunklere Glieder fortsetzt, hier durch Grün in Blau, dort durch Orange in Rot. Etwas Ähnliches kommt in der Tonreihe zwar auch, aber nur einseitig vor; tiefe Basstöne, obgleich wir ihre größere Stärke im Verhältnis mit zugleich erklingenden schwächeren Diskanttönen richtig schätzen, haben doch für uns einen Charakter geringerer Lebendigkeit, und erscheinen wie große Massen von geringer Geschwindigkeit gegenüber den letztern, die einer heftigen Bewegung kleinerer Massen ähneln.

194. Gehen wir nun von diesen Eigentümlichkeiten der Größenschätzung, für die es uns an scharf ausgeprägten Namen gebricht, zu den qualitativen Verwandtschaften über, so wird unser Blick allerdings die Farben in ihrer prismalischen Ordnung leicht und ohne eine Diskontinuität des Übergangs zu bemerken, verfolgen können. Dasselbe würde indes bei jeder andern Ordnung auch eintreten, sobald genügende Zwischentinten die Grenzen der Hauptfarben verschmelzen. Betrachten wir jedoch die letztern für sich, so ist es uns zwar möglich, eine Verwandtschaft zwischen Rot und Gelb, so wie zwischen Rot und Blau zu ahnen; Gelb und Blau dagegen scheinen einander in viel höherem Grade fremdartig zu sein, und wir würden vielleicht erwarten, dass die Farben nach ihren Schwingungszahlen in der Ordnung Blau, Rot, Gelb aufeinander folgten. Auch die bekannten Zwischentöne dieser Grundfarben verhalten sich für unsere wirkliche unbefangene Empfindung keineswegs gleich. Im Violet glaubt Jeder Rot und Blau, im Orange Rot und Gelb noch zu erkennen; aber ich zweifle ob Jemand im Grün in der Tat Blau und Gelb vermuten würde, ohne vorher zu wissen, dass es aus ihrer Mischung entsteht. Noch weniger würde man erraten, dass die prismatischen Farben zusammen, oder dass Rot und Grün, dass Violet und Gelb, dass Blau und Orange dasselbe Grau geben. So gewiß aus unzähligen Versuchen diese Tatsache ist, so liegt doch in dem, als was wir jene Farben empfinden, nicht die mindeste Ahnung der Verwandtschaft oder des Kontrastes, die uns diesen Effekt ihrer Mischung, ebenso wie etwa, Violet aus Blau und Rot, erwarten ließe. In der Tat hat ja auch diese unstreitige Wahrheit den Menschen nur durch das Experiment aufgezwungen werden können.

195. Ohne nun einen Ansatz zu einer Theorie zu wagen, suchen wir uns doch einige Rechenschaft über diese Verhältnisse zu geben. Wenn Reize, welche eine geordnete gesetzmäßig fortschreitende Reihe bilden, einmal dazu gelangen, jeder einzelne mit dem Werte, den sie in der Reihe besitzen, auf die Seele zu wirken, so werden wir die Maxime festhalten müssen, dass sie nun auch der Seele eine Reihe von Empfindungen veranlassen, die sich ebenfalls mit unmittelbarer Evidenz für das unbefangenste Bewußtsein zu einer in gleichem Sinne fortschreitenden Skala ordnen. In der Tonwelt ist es so; in der der Farben scheint es nicht so zu sein. Den Grund hiervon kann man im Allgemeinen wohl nur in zwei Richtungen suchen. Einmal nämlich wirken vielleicht die Lichtwellen nicht nur mit ihrer Frequenz auf uns, mit der sie zunächst allein zu wirken scheinen, sondern ihr Totaleffekt enthält noch andere Elemente, welche den Charakter der Farben mitbestimmen. Man könnte in dieser Beziehung auf die thermischen und chemischen Effekte des Lichts hinweisen die den einzelnen Farben verschieden und nicht nach Proportion ihrer Schwingungsfrequenz zukommen. Wirkte das Licht, ungleich dem Schalle, nicht nur durch seine mechanischen Vibrationsstöße, sondern zugleich durch chemische Einflüsse auf den Sehnerven, so könnten daher vielleicht jene befremdlichen Nebengefühle rühren, welche die Anschauung der Farbenreihe als steigender Skala trüben. Doch würde eine solche Vermutung sich schwer auf künstliche Lichtquellen anwenden lassen. Nach anderer Richtung hin kann nun die Eigentümlichkeit der Farbenwelt darauf beruhen, dass die Lichtwellen zwar mit ihrer Frequenz wirken, dass sie aber in dem optischen Nervensubstrat Bedingungen vorfinden, um deren willen mit dem graden Fortschritte der Frequenz nicht ein gleich gradliniger Fortschritt zwischen bestimmten Verwandtschaftsgraden der Empfindungen verbunden sein kann.

196. Wenn ich den letztern Gedanken einen Augenblick weiter verfolge, geschieht es weniger um seiner selbst willen, als um auf Unähnlichkeiten zwischen Gehör und Gesicht aufmerksam zu machen, die allzunahen Analogien hier entgegenstehn. Wir haben eine Auffassungsweise für Geräusch, aber keine positive Empfindungsform für die Ruhe des Hörnerven. Wir haben dagegen nicht nur in dem Gefühl der Finsternis eine positive Anschauung der Reizlosigkeit der Netzhaut, die sehr verschieden ist von der Blindheit der Hand oder des Fußes, sondern auch das Weiß ist nur physikalisch, aber nicht psychologisch ein Analogon des Geräusches. Wenn man im gemeinen Leben Weiß und Schwarz als Farben bezeichnet, so hat man der gelehrten Schulbildung gegenüber damit vollkommen Recht, sobald man dadurch nur aussprechen will, wie sich uns im natürlichen Bewußtsein die Empfindungen darstellen. Eben dies ist der größte Verderb dieser Untersuchungen, dass man von physikalischen Verhältnissen ausgehend, dem Bewußtsein diktieren will, wie ihm eine Erregung vorkommen müsse und solle. Mag es tausendmal richtig sein, dass Schwarz aus einer Entziehung alles Lichts hervorgehe und durchaus keiner eigenen Schwingungsfrequenz entspreche, wie die übrigen Farben, so ist doch dies gerade die eigensinnige Eigentümlichkeit des Gesichtssinnes, dass er den Nullgrad hier selbst noch als etwas den wirklichen Werten der Reihe vollkommen Analoges perzipiert. Und ebenso gibt Weiß uns keineswegs denselben Eindruck, wie das Geräusch; es erscheint vielmehr als eine vollkommen wohl charakterisierte einfache Farbe; während uns Violet stets als Zusammensetzung erscheint, mag noch so sehr sich zeigen lassen, dass es im Spektrum eine einfache Farbe ist. Diese Eigentümlichkeiten des Sehens anerkennend, dürfte man vielleicht vermuten, dass hier überhaupt völlig andere Verhältnisse der Nerventätigkeit obwalten, als im Gehör. Dort erschien der Nerv fast nur als ruhendes Substrat, das durch äußere Anstöße in Bewegungen versetzt wird, die den Anstößen selbst proportional wachsen; der Sehnerv dagegen erscheint vorzugsweis in einer fortgehenden Tätigkeit, der wir eine eigene Form und Größe, beide freilich unbekannt, zuschreiben müßten. Es wäre nun möglich, dass es für diesen Zustand der Bewegung, den die organischen Verhältnisse der Struktur und Mischung beständig aufrecht zu erhalten suchen, eine Grenze der Ablenkung von seinem Werte gäbe. Mit dem Wachsen der Schwingungsfrequenz, etwa bei derjenigen, die dem Gelb entspricht, könnte ein Wendepunkt eintreten, welcher die größte Erregung und die weiteste Deklination vom gewöhnlichen Zustande bezeichnete und über welchen hinaus höhere Schwingungszahlen als in entgegengesetztem Sinne stattfindende, wieder abnehmende Erregungen empfunden würden, bis sie durch Violet zu Rot zurückkehrten. Hiermit ließe sich die Beschränkung der Farbenskala auf eine Oktave in Verbindung bringen, doch würde diese ganze Phantasie natürlich erst dann einigen Anspruch auf Beachtung haben, wenn sie zugleich die Erscheinungen der komplementären Farben und der farbigen Nachbilder zu erklären diente.

197. Zwischen der Dauer des Reizes und der der Empfindung finden Verhältnisse statt, die hauptsächlich durch das Auftreten von mancherlei Reaktionserscheinungen, so wie durch Nachwirkungen verwickelt werden, welche manche Reize in dem Zustande der Organe als Ausgangspunkte neuer Empfindungen zurücklassen. Ein heftiger Druck, eingreifende Wärme oder Kälte bringen nicht nur dauerndere Veränderungen in dem Gewebe der Teile hervor, und veranlassen dadurch auch längere Dauer der Empfindung, sondern sie regen dadurch zugleich die Nerven, welche den Ernährungsfunktionen vorstehen, zur Ausübung von kompensierenden Tätigkeiten an. Die Effekte dieser Tätigkeiten, z. B. die Veränderung der Blutverteilung, müssen selbst als neue Reize angesehen werden, welche folgweis durch die sensiblen Nerven eben so empfunden werden, wie die ursprünglichen. Erregt daher eine plötzlich einwirkende heftige Kälte nach ihrem Vorübergehn ebenso kräftige Wärmeempfindung, so ist es wenigstens äußerst zweifelhaft, ob es in der Natur der wärmeempfindenden Nerven lag, von selbst nach der früheren Erregung jetzt in diese entgegengesetzte überzugehen; vielmehr rührt dieser Wechsel wahrscheinlich von dem auch durch das Steigen der objektiven Hauttemperatur erkennbaren Wechsel der empfindbaren Zustände außerhalb der Nerven her. In andern Fällen mag dies nicht so sein und der Nerv, der einen Reiz empfangen hat, würde hier, selbst wenn man ihn plötzlich von allen weitern äußern Eindrücken isolieren könnte, doch eine Reihe von Schwankungen seiner inneren Lagen durchlaufen, indem er sich entweder mit stetiger Verminderung seiner Erregung. dem reizlosen Zustande näherte oder selbst über diesen hinaus in entgegengesetzte Lagen geriete, und erst nach mehrfältigen Schwingungen zur Ruhe käme. Diese Abwechselungen im Zustande des Nerven würden natürlich ebenso viele sukzessive Reize für die Seele sein und sich in einer Empfindungsreihe ausprägen. Ob endlich, wenn die Dauer auch der Nervenerregung nur eine momentane wäre, die ihr entsprechende psychische Erregung gleichfalls nur momentan sein, oder ob auch sie nach gewissen Gesetzen des Verklingens oder der Reaktion erst allmählich und durch verschiedene Mittelglieder hindurch verschwinden würde: diese Frage wird kaum eine annähernde Beantwortung gestatten.

198. Ehe wir diese Verhältnisse betrachten, gibt uns die Behauptung, dass überhaupt jeder Reiz eine gewisse Dauer seiner Einwirkung haben müsse, um eine Empfindung zu vermitteln, zu einer Bemerkung Anlaß, welche sich auch auf die Intensitätsgrade und die qualitativen Unterschiede der Empfindungen erstreckt. Hätten wir mit einer unvollkommenen Maschine zu tun, zwischen deren einzelnen Gliedern es allerhand Reibungen und Widerstände gibt, so würde es sich von selbst verstehen, dass es eine gewisse kleinste Größe gäbe, unter welche der Wert einer einwirkenden Kraft nicht sinken dürfte, wenn sie überhaupt noch die Maschine bewegen sollte. Der tierische Organismus in seiner Verbindung mit der Seele stellt nun ebenfalls eine Maschine dar, die nach unsern gewöhnlichen Erfahrungen nur durch Eingriffe von gewisser Größe erregt werden kann. Sinkt die Stärke der Eindrücke unter ein gewisses Maß, so werden sie überhaupt nicht, sinkt die Differenz zweier unter eine bestimmte Größe, so werden sie nicht mehr als verschieden empfunden; dauert die Einwirkung der Reize zu kurze Zeit, so gehen sie ebenfalls für das Bewußtsein verloren. Wir kennen durchaus die inneren Widerstände nicht, welche diesen Verlust einwirkender Kraft hervorbringen, und können daher im Interesse der Theorie nur darauf aufmerksam machen, dass es überall notwendig ist, dergleichen positive Widerstände zur Erklärung vorauszusetzen. Durch unsere gewöhnlichen Vorstellungen dieser Dinge zieht sich nämlich sehr allgemein der Irrtum, als verstände sich die Wirkungslosigkeit des Unbedeutenden ganz von selbst. Wenn jedoch eine Temperatur von 10° einmal wahrgenommen wird, und eine andere von 10,001° auch, so versteht es sich nicht von selbst, dass die Differenz 0,001° für die Wahrnehmung wegfiele; die natürliche Voraussetzung ist vielmehr, dass jedem unendlich kleinen Zuwachs des Reizes auch ein wirklicher unendlich kleiner Zuwachs der Empfindung entspreche. Ist dies nicht der Fall, so muß es entweder besondere physische Ursachen in der Wirkungsweise der Nerven geben, welche gewisse Differenzen der Reize nivellieren, und für stetige Inkremente derselben der Seele doch nur diskontinuierliche Inkremente der Erregung zuführen, oder es muß in dem Leben der Seele ein Motiv liegen, warum sie nur für Differenzen von gewisser Größe überhaupt reizbar ist. Im Allgemeinen scheint mir weder das Eine noch das Andere annehmbar; vielmehr mögen unsere Beobachtungen sehr unvollkommen sein. Auch einer bewußten Empfindung nämlich können noch durch die verschiedenen Grade der Aufmerksamkeit, die man ihr zuwendet, verschiedene Größen der Helligkeit gegeben werden. Wir sind nun nicht gewöhnt, auf jene unendlich kleinen Differenzen der Empfindungen, die vielleicht wirklich in uns stattfinden, so aufmerksam zu sein, dass wir ihre gegenseitigen Größenverhältnisse schätzen könnten; wir wissen dagegen, dass es durch Übung allerdings gelingt, diese Fähigkeit bis zu einem Grade der Feinheit auszubilden, welche weit über das hinausgeht, was ein darin Ungeübter für das Maß des Möglichen halten würde. Die Feinheit des Tastgefühls, die sich ein Blindgeborner erwirbt, ist dem Sehenden so unerklärlich, als wäre sie eine Organisationseigentümlichkeit einer ganz andern Klasse von Geschöpfen, und ebenso würde die Schärfe der Sinnesorgane wilder Völker überhaupt, wenn wir sie experimentierend benutzen könnten, unsere Vorstellungen über die Grenzen des sinnlich Wahrnehmbaren ganz anders stellen, als sie jetzt stehen.

199. Dasselbe gilt nun spezieller auch für die Dauer des Empfindungsreizes, und es ist kein Grund vorhanden, zu bezweifeln, dass ein Reiz, der nur ein unendlich kleines Zeitteilchen füllt, doch eine ihm proportionale Empfindung erwecken werde, die jedoch in dem Strome der übrigen von längerer Dauer allerdings meistens unbemerkt zu Grunde gehen dürfte. Flöge eine Kugel leuchtend in der Finsternis vorüber, so bezweifelt wohl Niemand, dass sie auch bei der größten Geschwindigkeit den Eindruck einer Lichtlinie machen würde; geht sie aber als dunkler Körper durch ein in mannigfachen Farben beleuchtetes Sehfeld, so sehn wir sie nicht, denn sie könnte nur als Schattenlinie erscheinen. Die Wahrnehmung einer unendlich schnell vorübergehenden Reizlosigkeit einer Reihe von Netzhautstellen, die sofort wieder von positiven Reizen getroffen werden, ist aber ohne Zweifel viel weniger geeignet, die Aufmerksamkeit zu fesseln, als eine ebenso schnell vorübergehende starke Erregung, die vor und nachher von Reizlosigkeit umgeben ist. Ebenso würde es zur Unterscheidung der Höhe eines Tones nicht a priori notwendig einer bestimmten Zeit bedürfen, damit er seine Schwingungsfrequenz wiederholt entfalte. Selbst an einer einzigen Schwingung würde das Ohr genug haben können, indem es sich in Ermangelung direkter Wahrnehmung der Frequenz an die nicht minder wahrnehmbare Länge der Welle hielte, die zu ihr in umgekehrtem Verhältnis steht. Gewiß also gibt es nur solche, durch Übung sehr veränderliche Grenzen, unter welche hinab Größe und Dauer des Reizes unsere Aufmerksamkeit nicht mehr erregt; ungewiß dagegen ist es, ob in der Natur der Nerventätigkeit Motive liegen, welche den physischen Reizen, die unter diese Grenze fallen, überhaupt die Möglichkeit der Einwirkung auf die Seele abschneiden.

200. Mit Bestimmtheit wissen wir dagegen, dass die Dauer der Empfindung die des Reizes übersteigen kann. Zwar läßt sich in Bezug auf Geruch, Geschmack, Wärmesinn und ähnliche Wahrnehmungen nicht bestimmen, wann ihre normalen Reize oder deren nächste Eindrücke auf die Gewebe zu wirken aufhören; dagegen gelingt es durch eine große Anzahl bekannter Versuche, die Nachdauer des Lichteindruckes nach dem Aufhören des Lichtreizes zu erweisen, und zu zeigen, dass der Eindruck des vorigen Moments sich mit dem des jetzigen mischen kann. Eine glühende Kohle, im Kreise geschwungen, erscheint als ganzer Feuerkreis, die weiß und schwarz gestreifte Oberfläche eines sich drehenden Kreisels grau, während mitten in seiner Bewegung eine nur momentane Beleuchtung durch einen elektrischen Funken beide Farben unterscheiden läßt. Schon hat auf dieses physiologische Verhältnis die Industrie eine Menge höchst anmutiger Spielzeuge gegründet. Tier- und Menschengestalten werden, in den verschiedenen aufeinander folgenden Momenten einer Bewegung gemalt, der Reihe nach wie die Stundenzahlen eines Zifferblattes auf einer Scheibe angeordnet. Drehung derselben führt die Figuren einzeln an einer Öffnung vorüber, durch welche jede nur momentan sichtbar wird. Die Eindrücke dieser verschiedenen Stellungen schließen sich so aneinander, dass die Zwischenzeiten des Nichtsehens verschwinden und die Figur eine zusammenhängende Bewegung auszuführen scheint. Da eine gleiche Nachdauer der Eindrücke auch für den Gehörsinn feststeht und einen Ton ununterbrochen erscheinen läßt, dessen äußere Schallwellenfolge eine kurze Unterbrechung erlitten hat, so dürfen wir im Allgemeinen behaupten, dass die Erregung der Nerven, einmal entstanden, einer gewissen merklichen Zeit bedarf, um wieder zur Ruhe zu kommen. Inzwischen sehen wir doch innerhalb der Grenzen, in welchen die Stärke des Reizes nicht überhaupt die Funktionsfähigkeit des Nerven stört, die Erregung des einen Moments sich nicht so mit der des folgenden summieren, dass bei längerer Dauer des Eindrucks etwa ein Ton allmälich lauter, ein Licht heller erschiene. Im allerersten Anfange des Eindrucks mag etwas Ähnliches stattfinden, sofort aber setzt sich Zufluß und Abfluß der Erregung so ins Gleichgewicht, dass einer dauernden gleichförmigen Stärke des Reizes auch eine solche der Empfindung entspricht, bis endlich die Empfänglichkeit des Nerven für denselben Reiz abnimmt, und sein Eindruck meist stoßweis sinkt und wieder auflebt. Was anderwärts (Allg. Physiol. des körp. Lebens S. 406 ff.) über den Mechanismus dieses Gleichgewichts bemerkt wurde, findet auf Reize von der Form der Oszillation, wie Licht und Schall, eine sehr einfache Anwendung.

201. Man hat oft dem Eindruck im Nerven eine viel längere Dauer zugeschrieben und die Vorstellung des Roten oder Süßen, die wir auch ohne erneute Empfindung des entsprechenden Reizes in der Erinnerung reproduzieren, nur als wiederauftauchende Wahrnehmung einer schwachen Erregung betrachtet, die als Rest der früheren Empfindung im Nerven oder dem Zentralorgan zurückgeblieben sei. Diese Annahme ist mindestens nicht nötig, um das Gedächtnis zu erklären; denn die Seele bedarf zur Festhaltung ihres gewonnenen Besitzes diese Hilfe nicht; mit gleichem Rechte, wie den physischen Erregungen der Nerven, kann vielmehr auch unmittelbar den Empfindungen unvergängliche Dauer zugeschrieben werden. Anderseits freilich ist es wahrscheinlich, dass kein Gedankenlauf stattfindet, ohne dass jede einzelne Vorstellung auf die Nerven zurückwirkt und in ihnen eine Spur, desselben physischen Prozesses erregt, dessen Folge sie selbst in dem Empfindungsakte zu sein pflegt, wo er, aus äußern Ursachen entsprungen, ihr vorangeht. Eine beständige Mitoszillation der Zentralorgane mag daher den Vorstellungsverlauf begleiten, doch nicht als seine Ursache, sondern als seine Folge, und die nervösen Substrate mögen als eine Art Resonanzkörper die Erregung verstärken, in welche die Seele durch jede im Lauf der Assoziationen reproduzierte sinnliche Vorstellung versetzt wird. Zweifeln wir auch nicht, dass heftige Reize eine mäßige Zeit hindurch wirklich in den Nerven solche physische Erregungsreste hinterlassen, die von Neuem Objekte der Wahrnehmung werden können, so müssen wir den größten Teil der hierher gerechneten Fälle doch nur als Beispiele jener von der Seele auf die Organe zurückgehenden Wirkung auffassen. Wenn bei mikroskopischen Untersuchungen längere Zeit hindurch das scharfe Bild desselben Objektes auf dieselbe Stelle der Netzhaut gefallen ist, so mag das spätere Wiederauftauchen dieses Bildes allerdings von einer beharrlichen lokal begrenzten Reizung dieser Stelle abhängen. Wenn dagegen, wie dies nicht selten begegnet, nach anhaltendem Schreiben deutliche Visionen von Schriftzügen auftreten, die nur zu schnell vorübergehen, um gelesen zu werden, so ist eine gleiche Erklärung kaum möglich. Denn hier sind in kurzer Zeit sehr viele verschiedene Eindrücke an derselben Netzhautstelle vorübergegangen, deren Erregungsreste sich mischen und ein formloses Chaos von Nachbildern hervorbringen müßten, das man auch wirklich unter solchen Umständen oft eintreten sieht. Ebenso wenig kann das beständige Nachklingen einer gehörten; Melodie nur sekundär die Empfindung einer primär fortbestehenden Erregung im Acusticus sein; denn auch hier würden die Nachwirkungen der verschiedenen Töne, die ja sukzessiv dieselben Fasern, nicht aber, wie ein räumliches Bild, verschiedene trafen, nur ein formloses Geräusch, nicht den regelmäßigen Ablauf einer Melodie hervorbringen. Diese Visionen scheinen vielmehr zu ihrer Erklärung das psychische Gedächtnis vorauszusetzen und sind nur begreiflich, wenn die Seele zugleich mit den Eindrücken auch ihre Ordnung festhält und die Erregungen der Nerven dieser Ordnung. gemäß induziert. Dies allein werden wir zugeben dürfen, dass eine allgemein erhöhte Reizbarkeit der Nerven die Steigerung dieser Erinnerungsbilder zu vollen subjektiven Empfindungen begünstigt.

202. Von großem Interesse ist die Form des Verklingens, in welcher die Empfindungen, ohne Zweifel hierin abhängig vom Nervenprozeß, nach dem Aufhören des Reizes zu Grunde gehen. Zwischen Gehör und Gesicht zeigt sich auch hier ein bemerklicher Unterschied. Zwar ist es überhaupt schwer, bei dem Ersterben der Tonempfindungen zu unterscheiden, was nur eine verklingende subjektive Erregung des Nerven, und was eine Wahrnehmung des allmählichen Auswogens der äußern Schallschwingung ist; indessen kennen wir wenigstens keine andere Form des ersten Vorgangs, als die einer allmälichen Stärkeabschwächung. Jeder Ton verklingt in seiner natürlichen Höhe und geht nicht vorher in tiefere Töne über. Anders die Farbenempfindung. Sie verklingt, indem sie eine Reihe anderer Farben durchläuft, und deutet dadurch abermals an, dass die Schwingungsfrequenz für den Sehnerven einen andern Wert hat, als für das Gehör. Das Nachbild der Sonne durchläuft bei geschlossenem Auge meist alle Farbennuancen von Weiß durch Gelb, Orange, Rot, Grün, Blau bis zum Schwarz und entwickelt sich selbst noch einmal aus dem Schwarz in umgekehrter Reihenfolge. Wäre dieser Hergang beständig derselbe, so würde er, kaum eine andere Deutung gestatten, als dass diese Farbenreihe einer Skala verschiedener Erregungsgrößen des Nerven entspreche, deren Höhepunkt im Gelb läge, in welchem schon die unbefangenste Anschauung ein Maximum eigentümlicher Energie, dem Weiß zunächststehend, findet. Man kann hiermit die Erfahrungen Himlys verbinden, dass krankhafte Reizbarkeit der Netzhaut jede Farbe um eine Stufe dieser Reihe höher, beleuchtetes Schwarz als Blau, Blau als Violet, Violet als Rot; Rot als Gelb empfinden lasse, Torpor der Netzhaut dagegen die Farben in entgegengesetzter Richtung dämpfe. (Rüte, Lehrb. der Ophthamologie. S. 78.) Indessen fragt es sich, ob überhaupt dieses Abklingen der Farben anders als bei gemischtem Lichte eintritt, und ob die empfundene Farbenreihe nicht aus den sukzessiv erscheinenden komplementärgefärbten Nachbildern der verschiedenen Bestandteile des gesehenen Lichtes besteht. (Brücke, Unters, über subj. Farben. Aus dem 3. Bde. der Denkschr. d. math.-nat. Klasse der k. Akad. d. W. abgedruckt. Wien 1851. S. 11.)

203. Das Auge läßt uns noch eine andere äußerst verwickelte Reihe von Nachwirkungen der Eindrücke beobachten, aus welcher wir hier, wo uns keine monographische Breite möglich ist, nur die einfachsten Phänomene kurz hervorheben können. Farblose, nur schattierte Objekte, z. B. mit schwarzer Zeichnung auf weißem Grunde, lassen, wenn das Auge geschlossen und neuem Lichtzutritt entzogen wird, ein direktes ebenso schattiertes Nachbild zurück, das sich, wenn das Auge auf eine helle Fläche gerichtet wird, in ein inverses verwandelt, weiße Zeichnung auf dunklem Grunde. Gefärbte Objekte erzeugen unter verschiedenen Umständen sowohl Nachbilder von derselben, als andere von der komplementären Farbe, d. h. jener, welche die ursprüngliche des Objekts zu Grau ergänzt. So ist Orange zu Blau, Violet zu Gelb, Grün zu Rot komplementär und umgekehrt, und es folgt dem Bilde einer roten Flamme nach Entfernung des Objektes unter Umständen sowohl das Nachbild einer roten, als das Gegenbild einer grünen Flamme. Läßt das erste sich einfach aus der Nachdauer des Eindrucks erklären, so ist dagegen die Entstehung der Gegenbilder seit langem der Gegenstand einer doppelten Auslegung. Nach der älteren Ansicht von Scherffer wird die Retina bald unempfänglich für die Farbe des Objektes; wirkt nun nach seiner Entfernung weißes Licht auf sie, so nimmt die Stelle, auf welche das Bild fiel, nur noch die übrigen Farben wahr, die außer der des Objekts im weißen Lichte enthalten sind, und eben die komplementäre Farbe zu jener zusammensetzen. Diese Erklärung fand Schwierigkeiten darin, dass die komplementären Gegenbilder auch im dunklen Raum entstehen, und es mithin unmöglich schien, sie von einseitiger Reizbarkeit für gewisse Farbstrahlen eines Lichtes abzuleiten, das ja gar nicht in das Auge fiel. Von Plateau wurde deshalb die entgegengesetzte Ansicht aufgestellt, dass die komplementäre Farbe eine von allem weitern Lichteinfluß unabhängige positive Reaktion der Netzhaut sei. Die Retina strebe stets, die gesamte Energie, deren sie fähig sei, nämlich weißes Licht zu sehen, auch wirklich auszuüben; werde sie daher durch einen äußern Reiz zur einseitigen Produktion einer einzelnen Farbe genötigt, so suche sie die simultan nicht mehr mögliche Totalität ihres Wirkens wenigstens durch sukzessive Nacherzeugung der Farbe zu ersetzen, welche die aufgezwungene zu Weiß ergänzt. Indessen hat Fechner gezeigt, dass die erste Erklärungsweise doch auch mit der Entstehung der komplementären Gegenbilder in absoluter Dunkelheit vereinbar ist. Das finstere Sehfeld des geschlossenen Auges wird beständig von einem gestaltlosen Chaos schwacher Lichtempfindungen durchkreuzt; es fehlt also im Innern des Auges nie an Reizen, welche die Netzhaut zu ihrer Funktion anregen. Ist nun eine ihrer Stellen für eine Farbe unempfindlich geworden, so werden diese innern Reize, die auch bei Abschluß alles äußern Lichtes zu wirken fortfahren, diese Stelle nicht mehr zur Erzeugung einer subjektiven Empfindung von weißem Licht, sondern nur von jener komplementären Farbe vermögen können, für welche allein die Reizbarkeit noch besteht. Nach den neuen Untersuchungen Brückes (a. a. O.) würden beide Theorien ein Gebiet der Anwendung finden, indem Nachbilder zwar stets aus einer Fortdauer positiver Erregung, Gegenbilder dagegen bald aus der Abstumpfung der Netzhaut gegen die gesehene Farbe des Objekts, bald aus tätiger Reaktion gegen ihre früheren Zustände hervorgehn. Obgleich indessen hierdurch die Gültigkeit beider Erklärungsgründe festgestellt sein dürfte, so liegt doch namentlich in dem oft mehrfach wiederholten abwechselnden Auftreten von Nachbildern und Gegenbildern noch Vieles, was beiden unzugänglich ist und uns ziemlich verwickelte Verhältnisse in der Mechanik der Netzhautfunktionen voraussetzen läßt.

204. Bieten nun die gewöhnlichen Nach- und Gegenbilder Beispiele von Nachwirkung des Reizes in einer und derselben Nervenfaser, so begegnen uns anderseits im Auge auch Fälle von Übertragung der Erregungen von einer Faser auf die andere. Eine Netzhautstelle, die hinreichende Zeit von einem farbigen Lichte gereizt ist, entwickelt nicht nur selbst die Tendenz zur komplementären Farbe, sondern ruft sie auch in ihrer Umgebung hervor. Farbige Zeichnungen erscheinen daher mit komplementären Säumen umzogen, und nicht nur unser Urteil über die tatsächliche Färbung der Objekte, sondern auch unser ästhetisches Gefallen an Farbenzusammenstellungen ist von diesen Vorgängen mit abhängig. Die allmähliche Entstehung dieser induzierten Farben schildert Brücke so. Wenn zwischen ein grünes Glas und das Auge eine kleine schwarze Scheibe plötzlich eingebracht wird, so erscheint die Netzhautstelle, von der die Scheibe die grünen Strahlen abhält, im ersten Augenblicke rot. Diese Farbe schwindet aber sofort wieder und die Scheibe erscheint einen Augenblick dunkel, dann verbreitet sich vom Rande her ein grüner Schimmer, der von dort rasch gegen das Zentrum fortschreitend, sie bald ganz überzieht. Hat man durch ein rotes Glas nach der Sonne gesehen, so bleibt dem bedeckten Auge ein rotes helles Nachbild zurück, das mit einem grünen dunkleren Gegenbilde abwechselt. Der Übergang geschieht so, dass das Nachbild von einem schwach komplementär gefärbten Hofe umgeben ist, der dunkler ist, als der übrige Grund. Von diesem Hofe aus verbreitet sich allmählich die komplementäre Farbe zentripetal über das Nachbild unter gleichzeitiger Verdunklung desselben, und führt es in das Gegenbild über. Umgekehrt verwandelt sich dies zum Nachbild wieder, indem die ursprüngliche Farbe zuerst in seiner Mitte wiedererscheint und sich zentrifugal ausbreitet. Es fehlt uns leider an Analogien anderer Sinne, welche die Mechanik dieser Erscheinungen weiter aufklärten. Wir übergehen daher die große Mannigfaltigkeit interessanter Beispiele, die uns von diesen Verhältnissen das gewöhnliche Leben bietet, und lassen uns durch sie nur zu der letzten Frage überleiten, die uns hier im Allgemeinen wichtig ist, zu der nämlich, welche Wechselwirkung verschiedener einfacher Empfindungen wir teils empirisch finden, teils theoretisch annehmen dürfen.

205. Gelangen verschiedene Sinnesreize zugleich an uns, so sind im Allgemeinen drei Stadien ihrer Wechselwirkung denkbar. Entweder sie wirken noch als äußere physische Reize auf einander und erreichen nur mit ihrer Resultante den Nerven, oder sie greifen getrennt den Nerven an, erregen mehrere Prozesse in ihm, die nun aufeinander wirken und mit ihrer Resultante erst bis zur Seele durchdringen; oder endlich auch die Nervenprozesse verlaufen gesondert bis zur Seele und erregen ihr mehrere Empfindungszustände, die nun erst als solche untereinander in Wechselwirkung treten. Der erste Fall findet statt bei der Wahrnehmung dunkler Streifen, die aus der Interferenz von Lichtwellen entstehen; denn hier sind es die wirklichen Ätherteilchen, deren entgegengesetzte Exkursionsrichtungen sich aufheben und den Streifen der Ruhe im Wellensysteme bedingen, den wir als Dunkel empfinden. Der zweite Fall tritt ein, wenn die prismatischen Farben auf einer gedrehten Scheibe uns grau erscheinen; hier haben nicht die Lichtwellen, sondern die optischen Nervenprozesse sich gemischt. Der dritte Fall bedarf besonderer Betrachtung. Man könnte ihn zu finden glauben, wo Farben durch Kontrast sich heben, wenn z. B. Weiß blendender erscheint auf schwarzer Unterlage, als auf anders gefärbter. Denn die schwarze Unterlage kann hier allerdings die Menge des weißen Lichtes nicht vermehren, und so schiene es, als wenn vielmehr die positive Empfindung des Dunkels die des Weißen steigerte. Man kann jedoch einwerfen, dass jede farbige Umgebung in der vom Weißen getroffenen Netzhautstelle die Tendenz zur Komplementfarbe erweckte und dadurch die Empfindung trübte; das Schwarz erzeugt keine solche Neigung und läßt daher den optischen Nervenprozeß, der dem weißen Licht entspricht, sich ungestört entwickeln. Brücke (a. a. O. S. 7) spricht von Fällen, in denen eine Farbe uns so affizieren könne, dass wir ihre Komplementärfarbe zu sehen glauben, "obgleich dieselbe weder objektiv, noch als Erregungszustand in den peripherischen Teilen der Sehnervenelemente existiert." Diese Worte scheinen auf den Fall zu deuten, den wir meinen; doch die hinzugefügten Beispiele lassen mich bezweifeln, ob wir von derselben Sache sprechen, denn sie scheinen mir einer Erklärung durch Wechselwirkung der Nervenprozesse nicht unzugänglich. Es ist gewiß sehr schwierig, über diese Dinge, deren Tatbestand wir empirisch noch so unvollständig kennen, eine feste Meinung zu fassen; allein bis auf Beibringung entscheidender Gegenbeweise möchten wir die Ansicht verteidigen, dass im Allgemeinen zwischen qualitativ vergleichbaren Empfindungen, die in der Seele einmal entstanden sind, keine weiteren Vermischungen eintreten, dass solche vielmehr sich nur zwischen den Nervenprozessen ereignen. Der optische Nervenprozeß, der dem Rot entspricht, mag mit dem andern, welcher dem Blau zu Grund liegt, einen dritten erzeugen, unter dessen Einfluß wir Violet sehen; die Empfindung des Roten dagegen, einmal entstanden, besteht in der Seele unvermischt neben der des Blauen.

206. Man könnte vielleicht diese letzte Ansicht als ganz selbstverständlich ansehn, denn auf ihr beruht alles Sehen von Bildern, das unmöglich sein würde, wenn die Produkte der Nervenerregung, die Empfindungen der Farben, sich noch weiter mischen wollten. Gleichwohl ist dies gar nicht so, sondern wir konnten diese Ansicht nur als eine Meinung über das faktische Verhalten aussprechen; a priori würde man einer entgegengesetzten geneigter sein. In dem einen intensiven Wesen der Seele kommen zuletzt alle Eindrücke zusammen; alle vergleichbaren Erregungen, von denen überhaupt Resultanten gedenkbar sind, sollten daher auch, so schiene es, sich wirklich zu solchen verschmelzen. Welche Scheidewand könnte in der Seele die Empfindung des Roten hindern, mit der des Gelben zu Orange zusammenzugehn? Beide fallen nicht mehr auf verschiedene Seelenfasern, wie ihre Ursachen verschiedene Nervenfasern trafen. Würde der Seele genau derselbe Eindruck gleichzeitig zweimal zugeführt, wie sollte sie es anfangen, diese zwei gleichen Eindrücke als zwei auseinander zu halten? Ihre Verschmelzung verstände sich von selbst, ihre Unterscheidung nicht ohne besondere Hilfsmittel.

207. Um hierüber möglichst klar zu sein, wollen wir vorläufig folgende Sätze dogmatisch hinstellen. 1) Wenn der Seele zwei qualitativ völlig gleiche Eindrücke zugeführt werden, so erzeugen sie eine einfache Empfindung von doppelter Stärke. So werden zwei gleich hohe Töne von gleichem Klang als ein stärkerer Ton empfunden. Überall, wo dies nicht der Fall ist, wo vielmehr, wie im Auge, mehrere gleichfarbige Punkte als nebeneinander liegend und gesondert, oder, wie im Hautgefühl, gleiche Temperaturgrade, die auf verschiedene Körperteile wirken, als mehrere Beispiele derselben Temperaturhöhe empfunden werden: da überall sind besondere Bedingungen im Spiel, welche das Zusammenfallen der Empfindungen hindern. Wir werden sie bei der Betrachtung der Raumanschauung kennen lernen, deren Möglichkeit ganz auf einer solchen Wiederausbreitung intensiver Zustände beruht. 2) Werden der Seele zwei qualitativ verschiedene, jedoch vergleichbare Eindrücke erregt, so hängt es von der Natur der psychischen Erregung ab, in der sie bestehen, ob sie sich mischen werden oder nicht. Lägen z. B. den Tonempfindungen in der Seele ähnliche Oszillationen einer psychischen Erregung zu Grunde wie sie in den Schallwellen als Abwechselungen räumlicher Bewegungen vorkommen, so würde man leicht begreifen, warum die Tonempfindungen sich im Allgemeinen ebenso ohne Mischung durchkreuzen, wie die Schallwellen. Dabei könnte es geschehen, dass zwei Tonempfindungen eine dritte erzeugten, ohne selbst in ihr zu Grunde zu gehen. Die subjektiven Tartinischen Töne bieten dieses interessante Beispiel. Sie sind nicht in gleiche Linie mit den übrigen subjektiven Empfindungen zu stellen; denn damit der Tartinische Ton gehört werde, entsteht in dem Sinnesorgan nicht noch ein neuer Nervenprozeß; es bleibt vielmehr bei dem vorigen Tatbestande, nur wird außer den beiden Schwingungsreihen der primären Töne auch noch das Verhältnis beider als sekundärer Ton vernommen. Was die Farbenempfindungen betrifft, so bin ich überzeugt, dass sie Resultanten bilden, und dass mithin alle Möglichkeit des Sehens aufhören würde, wenn nicht andere positive Bedingungen ihr Verschmelzen hinderten und sie einzeln an bestimmte Räumlichkeiten verteilten. Vielleicht zeigt sich davon eine Spur in unserm Gedankenlauf: es ist nicht möglich, Rot und Blau überhaupt zugleich vorzustellen, dagegen sehr leicht, eine Figur vorzustellen, in der beide Farben neben einander eine Zeichnung bilden. Im ersten Falle kann die Seele, auf die Netzhaut zurückwirkend, ihr nur überhaupt einen Impuls erteilen, die physischen Prozesse, die beiden Farben entsprechen, über das ganze Sehfeld zugleich zu reproduzieren; dies aber kann das Organ nicht leisten; im zweiten Fall regt sie einige Stellen der Netzhaut zu Rot, andere zu Blau an, und dies vermögen sie. 3) Wenn von vielen Nervenfasern jede die gleiche Größe des gleichen Reizes empfängt, so ist, wenn die Eindrücke sich überhaupt summieren, die Stärke der entstehenden Empfindung der Summe der Fasern proportional, durch die sie erregt wird. So wahrscheinlich bei Geruch und Geschmack; bei den Temperaturempfindungen ist es etwas anders. Sie summieren sich nicht schlechthin; eine Wärme, die den ganzen Körper trifft, wird als ausgedehntere, oder als eine öftere Wiederholung eines bestimmten Wärmegrades, aber nicht durchaus als intensivere Wärme empfunden. Doch findet dies Letztere auch statt, und ein kaltes Wasser, in das wir den ganzen Arm tauchen, erscheint uns unter Umständen dem Grade nach kälter, als ein wärmeres, das wir nur mit dem Finger prüfen. Auch hierauf führt uns die Lehre von der Lokalisation der Empfindungen zurück. 4) Wird eine konstante Reizgröße auf eine Anzahl von Fasern eingeteilt, so ist die Gesamtstärke der entstehenden Empfindung viel geringer, als wenn der ganze Reiz durch eine Faser perzipiert wird. Dieselbe Quantität roten Pigments, die auf einen Punkt vereinigt, noch lebhaft die Netzhaut reizt, kann ganz unmerklich werden, wenn sie über das Sehfeld ausgebreitet wird. Zum Teil mag dies von der Schwierigkeit der nervösen Leitung herrühren, die für kleine Erregungen vielleicht größer ist, als für starke, und für dasselbe Gesamtquantum des Reizes im Verhältnis der Faserzahl wächst, auf die es verteilt wird. Doch hängt auch dies gewiß mit der Lokalisation der Empfindungen zusammen; für das einzige Sinnesorgan, dem diese ganz fehlt, das Gehör, haben wir leider keine Beobachtungen. Wir wissen nicht, ob ein Schall von seiner Stärke mehr verlieren würde, wenn er durch eine Faser ganz, oder durch hundert mit je einem Stücke seiner Wellenbreite einwirkte. 5) Zwischen disparaten Eindrücken endlich, die der Seele zukommen, wie zwischen Tönen und Farben, entsteht natürlich kein Mittleres, sondern nur eine Verteilung der Aufmerksamkeit, auf die wir später zurückkommen.