§. 17.
Verteilung der Empfindungen an die Sinnesorgane.

163. Die völlige Unvergleichbarkeit des sinnlichen Empfindungsinhalte mit den äußern Reizen sowohl als mit dem Nervenprozeß entfernt von selbst jeden Gedanken daran, dass die Sinnlichkeit die wahren Eigenschaften der äußeren Objekte auffasse. Ihr ganzer Verlauf ist ein innerliches Ereignis in unserer Seele, und alles Tönen und aller Glanz sind Formen der Erscheinung, unter denen nur wir der Effekte ganz anders gearteter Reizungen uns bewußt werden. Dennoch sind unleugbar unsere Sinne zu erkennender Auffassung des Äußeren in irgend einer Weise bestimmt, und dürfen wir eine Gleichheit der Empfindung mit ihrem Objekte nicht mehr behaupten, so müssen wir doch eine Proportionalität beider allerdings aufrecht erhalten. Obwohl ein innerliches Ereignis in uns, entsteht doch der Verlauf der Empfindungen nicht aus inneren Gründen, sondern angeregt durch Reize, die von außen kommen; wie diese Reize in ihrer Weise sich ändern, so werden auch die Empfindungen in der ihrigen wechseln müssen. Wenn daher die Sinnlichkeit auch nicht objektive Qualitäten der Dinge darzustellen vermag, so wird sie doch gleich einer Übersetzung in eine fremde Sprache, die wechselnden Beziehungen, die zwischen den unbekannt bleibenden Elementen des Äußern stattfinden, durch analoge Beziehungen wiederholen, die sie zwischen ihren Elementen, den einfachen Empfindungen stiftet. In wie weit nun und in welcher Feinheit diese Proportionalität wirklich besteht, ist weder zweifellos, noch hier sogleich darstellbar. Denn die allgemeine Maxime, die wir im Ganzen voraussetzen müßten, dass nämlich den Größen der Unterschiede zwischen den Reizen auch die Größen der Unterschiede zwischen den Empfindungen entsprächen, findet bei der Mannigfaltigkeit der Prozesse, die zu der Erzeugung der letztern mitwirken, einige vorher hinwegzuräumende Schwierigkeiten ihrer Anwendung.

164. Um der Seele eine unberechenbare Mannigfaltigkeit verschiedenartiger einfacher Empfindungen zu verschaffen, dazu allein ist, wie wir früher schon bemerkten, eine Mehrheit von Sinnesorganen nicht an sich notwendig. Denn die Entstehung unzählig verschiedener Empfindungen hängt zunächst nur von ebenso vielen verschiedenen Formen oder Größen der Erregung ab, die der Seele mitgeteilt werden. Dass aber Nervensubstanz überhaupt zu einer hinlänglich großen Anzahl von Modifikationen ihrer Tätigkeit fähig sei, um alle diese verschiedenen Prozesse in einer und derselben Nervenfaser zu entwickeln, scheint uns deswegen nicht unglaublich, weil in der Tat weder in dem Baue noch in der Mischung der vielen Nerven, auf die in den höheren Tieren alle diese Funktionen verteilt sind, irgend eine erhebliche Verschiedenheit aufgefunden wurden ist. Wir bezweifeln daher nicht, dass bei niederen Tieren eine und dieselbe Nervenfaser oder selbst ein ihre Stelle vertretendes Parenchym die anregenden Prozesse für sehr verschiedene Empfindungsklassen zugleich erzeugen und sie leiten könne, während wir in den höheren Tieren nicht nur die Empfindungen überhaupt an die besondere Gattung der sensiblen Fasern geknüpft, sondern auch jede einzelne Klasse derselben an ein eigenes Sinnesorgan verwiesen finden. Die Notwendigkeit spezifischer Sinnesorgane liegt teils darin, dass eine Menge einfacher qualitativ bestimmter Empfindungen nicht nur überhaupt erzeugt, sondern bald zu Teilen einer räumlichen Anschauung verflochten, bald weiter als Reize zur Auslösung anderer Funktionen verwandt werden sollen; andernteils aber auch darin, dass die Oberfläche höherer Tiere um anderer Zwecke willen nicht für alle Reize gleich zugänglich und angreifbar sein durfte. Für Temperaturempfindungen, aus denen unsere Seele weder eine räumliche Weltanschauung, wie aus Farben, noch ein beziehungsreiches Ganzes der Melodie, wie aus Tönen zusammensetzt, genügten die zerstreuten Hautnerven. Für die optische Wirkung des Lichtes dagegen mußte eine durchsichtige Stelle, für die akustische der Schallschwingung ein Ort eigens zubereiteter Spannung und Resonanz ausgespart werden; beide verlangten deshalb lokalisierte Organe. Darum gehen zwar Licht und Schall an andern Teilen des Körpers nicht spurlos vorüber; beide müssen überall die Wirkungen ausüben, zu denen ihre Natur fähig ist, aber beide finden anderwärts so ungünstige Bedingungen, dass der Einfluß des Lichts nicht über geringe chemische Effekte, die in der Färbung der Gewebe sich zeigen, hinausgeht, während der eines massigen Schalles ganz für unsere Beobachtung verschwindet.

165. Betrachten wir unter solchen Voraussetzungen den Bau der Sinnesorgane, so finden wir ihn auf die möglichste Begünstigung des Eintritts einer bestimmten Klasse von Reizen und auf die möglichste Abwehr aller andern gerichtet. In dem Auge begegnet uns ein kunstvoll zusammengesetztes System nicht nur durchsichtiger, sondern brechender Medien, nicht allein also auf Zulassung, sondern auf Sammlung des Lichtes berechnet, dessen übermäßige Einwirkung wieder durch andere Elemente des Baues gemildert wird; mancherlei Veranstaltungen sind dagegen getroffen, durch Fettpolster das Auge vor dem Einfluß des Druckes, durch tiefe Lage in einer gleichwarmen Höhle die Netzhaut vor den Schwankungen der Wärme zu bewahren; Schallschwingungen scheinen durch die vielfache Abwechselung fester und flüssiger Medien absorbiert zu werden. Umgekehrt fängt die letztere die Wölbung der Ohrmuschel auf und leitet sie gesammelt in das dem Licht entzogene Innere des Gehörorganes, das ebenfalls in gleichförmiger Temperatur und jedem mechanischen Eindruck entzogen, durch seine vibrierenden Membranen sie dem auf günstige Weise ausgespannten Gehörnerven überliefert. Im Geruchs- und Geschmacksorgan, da ihre Reize nicht aus der Ferne, sondern in der Berührung wirken, konnte die Aufgabe der Sammlung nur durch Vergrößerung der reizbaren Oberflächen und durch mithelfende Bewegungen gelöst werden, welche die reizenden Objekte an ihnen vorüberführen. Die Hautnerven endlich, außer der Temperaturempfindung hauptsächlich zur Begründung des Tastsinns angewiesen, würden als ein einziges lokalisiertes Tastorgan ihre Aufgabe weit unvollkommener lösen, als in ihrer Zerstreuung, welche sie an allen Punkten der notwendigen Mithilfe und Kontrolle der Gliederbewegungen versichert.

166. Unter diesen Umständen wird im gewöhnlichen Lauf der Dinge jeder einzelne Sinnesnerv fast stets nur von einer einzigen ihm adäquaten Klasse von Reizen erreicht, und kann mithin auch stets der Seele nur gleichartige Impulse mitteilen. Gelänge es dagegen einem anderen für ihn fremdartigen Reize, ihn überhaupt zu erreichen, so würden wir erwarten, dass nun auch der Nerv in eine ihm sonst ungewohnte Erregung versetzt und die Seele demzufolge zu einer dem Sinnesorgan sonst fremden Empfindung genötigt würde. Aber verschiedene Erscheinungen sowohl des gesunden als des kranken Lebens deuten uns an, dass die Verhältnisse nicht so einfach sind und haben zu der physiologischen Lehre von den spezifischen Energien der einzelnen Nerven geführt, die oft etwas gegen die Interessen der Psychologie gedeutet worden ist. Man drückt sie häufig so aus, dass jedem Nerven nur eine bestimmte unwandelbare Klasse von Empfindungen zukomme, dass er aber dafür auch durch alle möglichen ihm zustoßenden Reize, adäquate und fremdartige, zu diesen Empfindungen disponiert werde. Oder man läßt wohl den Nerven nur als Conductor gelten, der die verschiedenen Eindrücke mit Beibehaltung ihrer Verschiedenheit leite; das Zentralorgan aber, in dem er endet, setze sie stets in dieselbe ihm eigentümliche Klasse der Empfindungen um. Was hieran nun für uns zu tadeln ist, haben wir schon früher angedeutet: Empfindungen sind nie Leistungen eines Nerven oder eines Zentralorgans, sondern der Seele; niemals darf sich daher mit dem Namen der spezifischen Energien der Nebengedanke verbinden, als läge es in der Natur des Nerven und in seinem Eigensinn, dass er beständig Licht oder beständig Schall empfinde. Einer weiteren Kritik kann nur der bestimmter ausgedrückte Satz unterzogen werden, dass jeder Nerv, welches auch immer die Reize gewesen sein mögen, die auf ihn einwirkten, stets nur in eine ihm ausschließlich eigene Klasse physischer Zustände versetzt werde, und demgemäß auch der Seele stets nur Impulse zur Erzeugung einer einzigen Klasse der Empfindungen mitteilen könne. Über diesen Satz haben wir teils zu wiederholen, teils von psychologischer Seite zu vervollständigen, was wir in der Physiologie des körperlichen Lebens bemerkt haben.

167. Sprechen wir zunächst von einem und demselben Nerven, ohne die Verschiedenheit seiner spezifischen Energie von der aller übrigen zu berücksichtigen, so enthält die Annahme, dass er durch alle möglichen Reize doch stets nur in eine und dieselbe eng begrenzte Klasse physischer Zustände versetzt werde, nichts Wunderbares oder Geheimnisvolles. Denn Reize finden ja das Substrat, auf das sie wirken, nicht als leeren Raum vor sich, in welchen hinein sie sich nur fortsetzten, so dass in ihm stets dasselbe sein müßte, was von außen an ihn kam. Sie finden vielmehr jenes Substrat als ein spezifisch geartetes Wesen vor sich, dessen eigene Natur notwendig den Erfolg ihres Eingriffs mitbestimmen muß. Die Form der Erregung kann daher auch im Nerven nicht einseitig nach der Beschaffenheit der Reize sich richten, sondern hängt ebenso sehr von der Form des Gleichgewichts zwischen den Kräften der Nervensubstanz ab, das durch jene gestört wurde. Beschränken wir uns nun auf mittlere Grade der Reize, die allein für das Seelenleben benutzbar sind, weil sie die normalen Beziehungen zwischen den Molekülen des Nerven nicht ganz vernichten, sondern sie nur innerhalb der Grenzen ihrer Elastizität verändern, so ist es natürlich, dass die erfolgende Tätigkeit des Nerven den Charakter einer Bestrebung tragen wird, das verlorene Gleichgewicht wieder herzustellen. Durchlaufen daher die Reize eine unbegrenzte Reihe quantitativer und qualitativer Veränderungen, so können doch die Erregungszustände des Nerven ihnen in dieser Abwechslung nicht folgen; sie werden sich vielmehr beständig in dem engeren Spielraum jener Bestrebungen zur Herstellung des Gleichgewichts hin- und herbewegen, die dem Nerven seine Natur und die Weisen, in denen er überhaupt gestört werden kann, möglich lassen. Nichts verhindert nun die Annahme, dass diese möglichen Erschütterungsweisen des Nerven so nahe einander verwandt sind, dass sie nur als quantitative Modifikationen eines formell gleichen Vorgangs erscheinen und deshalb auch die Seele stets nur zur Erzeugung von Empfindungen einer und derselben Klasse veranlassen.

168. So einfach nun dies Verhältnis ist, so ist der andere Teil jener Behauptung nicht ebenso klar, dass nämlich jedem Sinnesnerven eine eigentümliche von allen andern verschiedene spezifische Energie zukomme. Sollen dieselben Reize in verschiedenen Substraten beständig verschiedene Zustände erregen, so müssen irgendwie auch diese Substrate verschieden gebildet sein. Solche Differenzen hat man teils in den Nerven selbst, teils in ihrer peripherischen oder ihrer zentralen Endigung gesucht. In der Struktur und Mischung der einzelnen Sinnesnerven sind außer einigen Verschiedenheiten in dem Durchmesser ihrer Fasern, nur unbeträchtlich scheinende Unterschiede gefunden worden, kaum irgend angebbare in den Zentralteilen, von denen sie ausgehen. Dennoch könnten deren leicht vorhanden sein, die unserer unvollkommenen Beobachtung entgehen, und beständen sie selbst nicht in Verschiedenheiten des erkennbaren Baues und der Mischung, so könnte doch das Übermaß adäquater Reize, die jedem Nerven verglichen mit der Anzahl der unadäquaten zukommen, auch in jedem eine spezifische Gewohnheit entwickelt haben. Unzähligemal durch gleichartige Reize getroffen, könnte das Gleichgewicht seiner Elemente nach einer bestimmten Richtung hin störbarer geworden sein, als nach allen anderen, und auch jeder fremdartige Eindruck würde es später nach dieser Richtung hin verändern. Was endlich die peripherische Endigung der Sinnesnerven betrifft, so finden wir hier allerdings ausgezeichnete Differenzen des Baues, die für die Funktion nicht gleichgültig sein können. Wir haben sie vorhin nur in soweit berücksichtigt, als sie im gewöhnlichen Hergang der Dinge sich überhaupt dem Eintritt abnormer Reize widersetzen. Aber sie haben leicht noch eine andere Bedeutung. So wie die Befestigungsweise und die Spannung einer Saite zwischen zwei Endpunkten ihre Oszillationsfrequenz und mithin die Höhe ihres Tones bestimmt, so können wir uns auch in jedem Nerven zwischen beiden Endpunkten seines Verlaufs eine gewisse eigentümliche Form und Größe der Spannung hergestellt denken, die von der Art seiner Endigung im Gehirn und in dem Sinnesorgan abhängt. Wir können den Einfluß der zentralen Endigung nicht schätzen, den der peripherischen aber wenigstens einigermaßen ahnen. Man wird unser Gleichnis nicht buchstäblich verstehen, so dass die Verschiedenheiten jener Spannung nur in Differenzen der Dehnung beständen, sie mögen in viel mannigfacheren Umständen ihren Grund haben, die wir allerdings nicht anzugeben vermögen. Gewiß wird z. B. ein Hauptnerv, an den Papillen in Kontinuität mit dem übrigen Hautgewebe sich endigend, einem Temperaturwechsel ausgesetzt, den er eben deswegen wahrzunehmen vermag, gelegen ferner in einer Region beständiger Verdunstung und Absonderung, sich stets in anderen inneren Zuständen befinden müssen, als der Sehnerv, der an der elastischen Kugel des Auges ausgespannt, allen jenen Einflüssen entzogen ist, oder als der Hörnerv, dessen Enden in der Mitte eines Systems zusammen vibrierender Teile von beweglicher Flüssigkeit umspült werden. So lange nun ein Sinnesorgan, seine Nervenfaser und ihr zentrales Ende normal zusammenhängen, werden sie ein geschlossenes System von überall gleichverbreiteter spezifischer Stimmung bilden, das in irgend einem Punkte gereizt, stets durch eine Reaktion antworten muß, die dieser Stimmung entspricht und abweicht von jeder andern, die einem anders gestimmten System durch den gleichen Reiz entlockt werden könnte.

169. Es würde mithin nicht an Mitteln fehlen, die spezifischen Energien der Nerven zu erklären, wenn nur die Tatsachen der Beobachtung selbst fest ständen und sich leicht einem allgemeinen Gesichtspunkt fügten. Dies ist jedoch nicht der Fall und die sicheren Erfahrungen beschränken sich auf Lichtempfindungen, welche der Sehnerv unter dem Eindruck auch der unadäquatesten Reize hervorbringt. In allen übrigen Fällen ungewöhnlicher Reizung sehen wir entweder keine Empfindung erfolgen, oder es läßt sich nicht beweisen, dass die Reizung eine unadäquate gewesen. Für die sensiblen Hautnerven würde kein unangemessener Reiz namhaft zu machen sein, obwohl manche, welche hier unwirksam sind. Geruchs- und Geschmacksnerv antworten hartnäckig nur auf ihre adäquaten Eindrücke, und die häufigen subjektiven Empfindungen namentlich des zweiten dieser Sinne, da sie meist im Verlauf von Krankheiten auftreten, die nicht den Geschmacksnerven zunächst, sondern unmittelbar wohl die Blutmischung betreffen, dürften leicht von wirklich vorhandenen physischen Prozessen derselben Art abhängen, durch welche auch äußere Geschmacksreize wirken. Entstehen ferner im Gehörorgan durch allerhand mechanische Einflüsse Schallempfindungen, so ist doch naturgemäß jedes Zusammenstoßen zweier Körper, jede Reibung mit wirklicher Erzeugung von Schallwellen verbunden und zahllose Gelegenheiten kann es geben, bei welchen in der Nähe des Hörnerven wirklich rhythmische Oszillationen der Teilchen erregt werden, die sich als völlig adäquate Reize auf ihn fortpflanzen. Man kann endlich geneigt sein, auch die häufigen Lichtempfindungen, die durch Stoß des Augapfels, durch plötzliche Bewegungen desselben, durch Elektrizität, endlich durch Druck auf das Gehirn oder im Gefolge mannigfacher Krankheiten entstehen, auf ähnliche Weise zu erklären, d. h. sie von einem wirklich adäquaten Reize abzuleiten, der als Nebenprodukt während der Einwirkung jener unadäquaten sich entwickelt. Durch die verschiedenartigsten Manipulationen werden bekanntlich in den Körpern elektrische Phänomene rege gemacht; ebenso könnten in einem Organe, dessen Bau auf Reizbarkeit durch Lichtwellen berechnet ist, durch sehr abweichende Erschütterungen seiner Elemente schwache Ätheroszillationen erweckt werden, die seinem Nerven als adäquater Reiz dienen könnten. In diesem Falle würde eine innerhalb des Körpers vorgehende Erzeugung objektiven Lichtes stattfinden, und die subjektive Lichtempfindung würde in der Tat, wie die gewöhnliche Meinung sich vorstellt, auch für einen zweiten Beobachter bemerkbar sein. So wenig wir dies für wahrscheinlich halten, so würde doch diese momentane Phosphorescenz ebenso wenig als die dauernde, die wir an einzelnen Tieren beobachten, unmöglich sein, und jedenfalls beruht die entgegengesetzte Meinung von der rein subjektiven Natur dieser Lichtempfindungen mehr auf Vermutung, als auf Untersuchung. Findet man endlich, dass hauptsächlich die Elektrizität geeignet ist, die adäquaten Reize für verschiedene Nerven zu ersetzen, so muß man doch wohl bedenken, dass gerade sie die vielgestaltigsten Erschütterungen in dem Molekularzusammenhänge der Körper hervorruft. So wie wir sehen, dass unter Umständen objektives Licht, thermometrisch meßbare Wärme, chemische Veränderungen und wirkliche Schallschwingungen durch sie erzeugt werden, so können wir annehmen, dass sie leicht auch im lebendigen Körper eine Reihe solcher Prozesse neben einander hervorbringt, von denen einige als vollkommen adäquate Reize für diesen oder jenen Nerven dienen. Nach dem Allen sind wir daher nicht im Stande, nach den Vorlagen der bisherigen Erfahrungen für eine der hier aufgestellten Hypothesen allein uns zu entscheiden, und müssen diese Lehre von den Energien der Nerven als einen immer noch zweifelhaften und für zukünftige Untersuchungen offenen Gegenstand bezeichnen.

170. Das Dunkle dieser Verhältnisse wird noch durch einen andern Umstand vermehrt. Man hat früher angenommen, dass ein Nerv seine spezifischen Empfindungen nicht nur auf jede Art des Reizes entwickle, sondern dass auch der Ort ganz gleichgültig sei, wo die Reize auf ihn einwirken. Gegen diese Meinung habe ich früher bereits hervorgehoben, dass der Effekt, den derselbe Reiz auf zwei verschiedene Nerven ausübt, leicht gar wesentlich durch die Konstraktion des Nervenendes, auf welches er einwirkt, bedingt sein kann; Licht und Schallwellen, könnte man sie auch beliebig auf einen Nerven wirken lassen, der zu ihrer Aufnahme nicht bestimmt ist, würden in diesem doch nicht jene bestimmte Spannung der letzten Enden finden, die auf eigentümliche Weise im Opticus und Acusticus hergestellt ist, und die allein dem Reize jene Art des Zugangs sichert, durch welche er die bestimmten Nervenprozesse erregen kann, die der Farben- und Tonempfindung vorangehn müssen. (Wagners HWBuch III, 1. S. 157.) Ein Nerv im Zusammenhange mit seinem bestimmt angeordneten Endigungsorgan schien uns nicht unpassend einer zwischen zwei Punkten gespannten Saite vergleichbar, die, so lange sie in dieser Spannung bleibt, auf äußere Anstöße mit einer Tonschwingung antwortet; wird aber ihr eines Ende vom Befestigungspunkte abgelöst und aufgedröselt, so wird es jetzt selbst einer wirklichen Schallschwingung unmöglich sein, dieses zu keiner Aufnahme der Reize mehr taugliche Ende der Saite zum Mittönen zu bringen. (Das. S. 163.) Nach dieser Auffassung würden daher selbst die adäquaten Reize nicht den Nerven an jedem Punkte seines Verlaufs zur Vermittlung seiner gewohnten Empfindungen erregen, sondern nur sofern sie durch die eigentümlich gestalteten Bedingungen hindurchgehen, welche ihnen das perzeptionsfähige Ende des Nerven darbietet. Zum Teil wenigstens scheint diese Vorstellung sich zu bestätigen. Das Licht wirkt nicht auf die Papilla des nervus opticus, sondern nur auf die Enden seiner Fasern, und gegen diese konstante Erfahrung scheint mir die Behauptung von Baumgarten wenig in Betracht zu kommen, der nach Exstirpation des Bulbus den Stumpf des Nerven für Licht reizbar fand. Dass nach Magendie und Tourtual die Durchschneidung des Sehnerven selbst Lichtempfindung erzeugt, streitet weniger gegen unsere Voraussetzung. Im Momente des Schnittes hängt der Sehnerv noch mit der Retina zusammen und ein Reiz, der überhaupt seine Moleküle erreicht und erschüttert, findet sie noch in jener Spannung, in welcher ihre Erschütterungen den optischen Nervenprozeß erzeugen. Es kann sich nämlich bei dem Sehnerven nicht wohl darum handeln, dass alle möglichen Reize, auf seinen Verlauf angebracht, unwirksam seien; dem steht zu bestimmt die große Häufigkeit subjektiver Lichtempfindungen gegenüber, die durch mancherlei pathologische Eindrücke auf ihn erzeugt werden. So seltsam es auch scheint, müssen wir vielmehr zugeben, dass unadäquate Reize des Druckes, der Zerrung und ähnliche in der Tat diesen Nerven zur Vermittlung der Lichtempfindung erregen können, weil sie überhaupt kräftig genug sind, eine Erschütterung seiner Moleküle hervorzubringen; gerade der adäquate Lichtreiz selbst dagegen scheint an dem Verlauf des Sehnerven spurlos vorüberzugehen nur an seinem Enden die hinlänglichen Bedingungen seines Eintritts zu finden. Auch die Schallschwingungen, die sich durch die Kopfknochen bis zu dem Gehörnerven fortpflanzen, erregen doch keine Gehörwahrnehmung selbst der eigenen Stimme, wenn durch Zerreißung der Membran der fenestra ovalis das Wasser des knöchernen Labyrinths ausgeflossen ist. Obwohl adäquate Reize, scheinen sie doch den akustischen Nervenprozess nur zu bedingen, wenn sie den bestimmten Weg durch die Hilfsorgane des Labyrinths nehmen. Dagegen dürften auch bei dieser Taubheit subjektive Gehörempfindungen dennoch möglich sein, so dass unadäquate Reize, aus innern Zuständen des Körpers hervorgehend, den Gehörnerven in die normale Tätigkeit versetzen könnten, die ihm die angemessenen Reize nicht mehr mitteilen.

171. In Bezug auf die Temperaturempfindungen ist derselbe Satz durch E.H. Weber experimentell geprüft worden. (Wagners HWBuch III, 2. S. 496.) Tauchte er die Spitze des Ellenbogens in eiskaltes Wasser, oder einen Brei aus Wasser und Schnee, so empfand er zuerst durch die Nerven der eingetauchten Haut Kälte; nach etwa 16 Sekunden drang die Kälte zum Stamm des n. ulnaris, und erregte hier einen Schmerz, der mit der Empfindung der Kälte keine Ähnlichkeit hatte, und zugleich einen Teil des Unterarms und der Haut einnahm. Drückte ich Eisstückchen, in eine Blase eingebunden, so an den n.ulnaris, dass sie nur eine sehr kleine Hautstelle berührten, so entstand neben einem ganz unbedeutenden Kältegefühle dieser Hautstelle sehr schnell ein heftiger Nervenschmerz, der auch mir weder im Anfange noch bei weiterer Dauer Ähnlichkeit mit Kälte zu haben schien, dagegen die größte mit dem spezifischen Schmerze, welcher der exzessiven Kältewirkung auf peripherische Nervenenden zu folgen pflegt. Dieselbe Wirkung begleitete die Applikation des Eises auf andere Hautstellen, unter denen Nervenstämme oberflächlich verlaufen. Diese Versuche lassen die Möglichkeit übrig, dass die zu heftige und zu schnell einwirkende objektive Kälte zwar ein Frostgefühl wirklich hervorbrachte, das aber allzurasch im Schmerz unterging. Aus demselben Bedenken variierte Weber den Versuch so, dass er mit mäßigen Kältegraden, mit Klystieren von + 6° und + 15° auf die vordem Äste der Kreuznerven und auf Hautäste der Lendennerven zu wirken suchte. Es entstand weder Kälte noch Schmerzgefühl in diesen Nerven, so dass fraglich bleibt, ob die Kälte des Wassers überhaupt hinlänglich zu ihnen durchdrang. Diese Versuche scheinen, obwohl nicht ganz strenge, den Schluß zu rechtfertigen, dass die Kälte, auf den Nervenstamm angewandt, seine Moleküle zwar sehr bedeutend affiziert, aber nicht in der Form, dass die daraus hervorgehende Erregung uns Temperaturempfindungen veranlaßte; dazu scheint es vielmehr nötig zu sein, dass die objektive Wärme oder Kälte auf die Enden der Nerven, die Papillen, einwirke. Wahrscheinlich ist es, wie wir schon oben erwähnt, dass die Temperaturempfindung nicht auf unmittelbarem Eindrucke der Wärme auf den Nerven, sondern mittelbar auf Dichtigkeitsänderungen des umgebenden Parenchyms beruht, eine Art der Vermittlung, die dem Einflusse der Kälte auf die Nervenstämme in jenen Versuchen fehlt. So sehr diese Sätze nun für die Einwirkung objektiver Temperatur richtig sein mögen, so können wir doch kaum bezweifeln, dass viele der so häufigen subjektiven Temperaturempfindungen aus inneren Ursachen entstehn, die weder selbst Wärme sind, noch auch allemal ihre Wirkung auf dem Umwege durch die Enden der Hautnerven ausüben; auch hier dürfte es deshalb unadäquate Reize geben, die einen Eindruck bewirken, welcher den adäquaten nicht gelingt.

172. In diesen noch mannigfach widersprechenden und lückenhaften Ansichten endigen unsere bisherigen Kenntnisse über die spezifischen Energien der Nerven. Versuchen wir die Resultate zusammenzustellen, so würde folgendes etwa wahrscheinlich sein. Jeder Nerv befindet sich, so lang er im Zusammenhange mit seinen peripherischen und zentralen Endorganen steht, in einem eigentümlichen spezifischen Spannungszustand, der im Allgemeinen von allen Reizen, die den Nerven überhaupt erreichen, immer in eine und dieselbe Erregungsart übergeführt wird. Diese Erregung, den optischen Prozeß im Sehnerven, den akustischen im Hörnerven, bringen im gewöhnlichen Verlauf der Dinge die für jedes Organ adäquaten Reize hervor, indem sie die Hilfsorgane des Nervenendes durchlaufen, in welchen sie schickliche Bedingungen des Angriffs auf den Nerven finden. Treffen dieselben adäquaten Reize den Verlauf des Nerven, so erhalten sie entweder überhaupt gar keinen Eingang in ihn, sondern werden auf unbekannte Weise zerstreut oder absorbiert, oder wenn sie ihrer Natur nach von einer Durchdringung der Gewebe nicht abgehalten werden können, so erschüttern sie wohl den Nerven, aber nicht notwendig in der regelmäßigen Weise, wie sie es von den peripherischen Enden aus getan hätten. Es entstehen deshalb teils gar keine nachweisbaren Wirkungen, teils verworrene Empfindungen, die meist durch Schmerzgefühle noch weiter getrübt sind. Unter den unadäquaten Reizen gibt es manche, die weder auf das Ende, noch auf den Verlauf eines Sinnesnerven angewandt, irgend bemerkliche Erfolge hervorbringen, andere mögen, indem sie die umgebenden Gewebe des Sinnesorgans durchdringen, unter andern Folgen auch in unbeträchtlichem Maße jenen Prozeß erzeugen, der eben für dieses Sinnesorgan adäquat ist, und so mittelbar die Entstehung der gewohnten Empfindung begünstigen. Andere endlich dürften, von durchdringenderer Kraft, selbst auf den Verlauf eines Nerven angebracht, in ihm die gewohnte Funktion zu erregen vermögen, welche der adäquate Reiz, von Natur zu schwach, um auf diesem Wege in den Nerven einzudringen, nicht herbeizuführen im Stande ist. Es kann sein, dass die Vielfältigkeit dieser Verhältnisse unsere Annahmen wenig empfiehlt; ich bin jedoch der gegenteiligen Überzeugung, dass wir in der Physiologie einen Fehler begehen, wenn wir die ganze Frage auf die beiden entgegengesetzten Begriffe adäquater und unadäquater Reize zurückbringen wollen. Es handelt sich im Allgemeinen nur um die Wirkung, welche vielfach verschiedene physische Prozesse unter verschiedenen Umständen des Eingreifens in den Nerven hervorrufen. In dieser Beziehung aber braucht ein Reiz nicht absolut, sondern er kann in verschiedenen Graden adäquat oder unadäquat zur Erzeugung eines fraglichen physischen Nervenprozesses sein.

173. Die Ursachen, von welchen die subjektiven Empfindungen der Sinnesorgane auszugehen, so wie die Formen, welche sie anzunehmen pflegen, werden wir später bei der Betrachtung der Geistesstörungen berücksichtigen, zu denen sie häufig den Grund legen, oder doch als verschlimmernde Nebenumstände hinzutreten. Gegenwärtig müssen wir den allgemeinen Bemerkungen, die uns bisher beschäftigten, noch die kurze Erwähnung eines vielbestrittenen Punktes, nämlich der vicarirenden Empfindungen hinzufügen. So lange der Satz der spezifischen Energien für anbezweifelt richtig galt, mußte die Physiologie notwendig jede Erzählung von der Stellvertretung der Sinne untereinander als eine physische Unmöglichkeit zurückweisen. Auch jetzt noch sind wir wenig geneigt, den Aussagen der Somnambulen, von denen die meisten jener Geschichten ausgingen, mit zu großem Vertrauen entgegen zu kommen; aber es ziemt sich nicht, einen vielleicht grundlosen Aberglauben mit falschen Waffen zu bekämpfen. Was wir aber bis jetzt über die Energien der Sinnesnerven wissen, das genügt in der Tat gar nicht, um alle jene bezweifelten Erscheinungen für unmöglich zu erklären. Es steht nicht fest, sondern ist vielmehr etwas unwahrscheinlich, dass jeder Nerv für eine einzige Klasse von Erregungen leitungsfähig sein sollte, für jede andere nicht. Bedenken wir namentlich, dass die Nervenprozesse, welche verschiedenen Empfindungsklassen vorangehn, keineswegs so weit von einander verschieden zu sein brauchen, als ihre äußern erregenden Reize, dass also zwischen dem optischen und dem akustischen Nervenprozeß leicht eine viel geringere Differenz stattfinden kann, als zwischen Lichtwelle und Schallwelle, so ist nicht a priori zu begreifen, warum nicht jeder Nerv jeden möglichen empfindungserzeugenden Vorgang sollte leiten können, falls es nur einmal äußern Reizen gelungen wäre, ihn in dem Nerven hervorzubringen. Um diesen letzten Punkt allein kann es sich handeln, und die Sicherheit der gewöhnlichen Verteilung aller Empfindungen an verschiedene Organe hängt von der Schwierigkeit ab, welche die Reize finden, ohne Umwandlung ihrer Form auf einen für sie nicht bestimmten Nerven einzuwirken.

174. Wahrnehmungen, die eine geordnete Zusammenfassung vielfacher Empfindungselemente enthalten, werden begreiflich nie ohne Mitwirkung des Sinnesorgans denkbar sein, das gerade zu dieser Kombination der Eindrücke bestimmt ist. Nie wird deshalb ein Lesen mit der Herzgrube oder durch optische Erregungen der Fingerspitzen, nie eine Wahrnehmung von der innern Organisation des Körpers und ihren Fehlern durch Lichtströme möglich sein, die etwa die sensiblen Nerven durchkreisten und auf ungewohnten Bahnen der Seele zugeleitet würden. Anders verhält es sich mit den einfachen Empfindungselementen selbst. Töne, Gerüche, Geschmäcke sind stets einfache Qualitäten, denen unsere Seele weder bestimmte Formen noch räumliche Verbindungen zu geben hat; von ihnen kann es nicht an sich für unmöglich gehalten werden, dass sie unter günstigen Umständen durch einen gewöhnlichen sensiblen Nerven ebensowohl, als durch ihre spezifischen Sinnesnerven dem Bewußtsein zugeleitet würden. Aber eben jene günstigen Umstände, welche die erste Entstehung eines solchen Empfindungsprozesses in einem andern als dem dafür bestimmten Nerven, ermöglichten, scheinen uns in aller Weise sehr seltene und zweifelhafte Vorkommnisse. Erzählen uns zum Teil nicht verwerfliche Beobachter, dass Nervenkranke, wie Kataleptische, auf die Herzgrube aufgelegte Substanzen schmecken, so müßte ein besonderer Zufall obgewaltet haben, wenn eine chemische Substanz durch eine Hautdecke hindurch in einem zu ihrer Aufnahme gar nicht vorbereiteten Nervenende denselben geschmackerzeugenden Vorgang bewirkt hätte, den sie während ihrer Auflösung in den Mundsäften durch die Schleimhaut der Zunge hindurch in der eigentümlich disponierten Endverbreitung des Geschmacknerven erregt. Auch von diesen Erscheinungen also wird wenig genug glaublich sein. Aber eine andere Klasse vicarirender Empfindungen, jene Lichtströme, welche manche Somnambulen in verschiedenen Teilen des Körpers wahrzunehmen vorgeben, verdienen vielleicht etwas mehr Beachtung. Wir haben schon bei Gelegenheit der spezifischen Energien gesehen, wie vornehmlich aus der Leichtigkeit, mit der Lichtempfindungen auf unmittelbar wenigstens sehr unadäquate Reize entstehen, dieser ganze Lehrsatz hervorgewachsen ist. Der optische Nervenprozeß scheint daher in der Tat eine gewisse Ausnahmstellung unter den übrigen zu behaupten und derjenige zu sein, der von ihnen allen am leichtesten durch mancherlei gestaltete Erschütterungen des Nerven hervorgebracht wird. Entsteht er nun im Auge so leicht unter den verschiedenartigsten Bedingungen, so ist die Annahme nicht ganz unmöglich, dass gerade er auch unter günstigen Umständen zuweilen in andern Nerven sich entwickeln und zum Gehirn fortgeleitet werden könne. Ich kann wenigstens nicht einsehn, welche andere zufriedenstellende Deutung Eduard Webers merkwürdige Versuche übrig lassen, nach denen der elektrische Strom eines Rotationsapparats durch beide befeuchtete Gehörgänge geleitet, einen Lichtstrom quer durch den Kopf, durch die Breite der Zunge geführt, einen ähnlichen leuchtenden Strom durch dieses Organ empfinden läßt. Könnte im ersten Falle noch eine Reizung optischer Zentralorgane durch den Strom auf seinem Wege quer durch den Schädel vorgeschoben werden, so ist dagegen im zweiten offenbar gar keine Wahrscheinlichkeit und keine Aufforderung zu derselben Vermutung. Das Glaublichste scheint mir vielmehr, dass der elektrische Strom, als ein Reiz von verhältnismäßig großer Stärke und den Lichtwellen näher als andere verwandt, in den Fasern des Trigeminus, die er auf seinem Wege antrifft, der Tat einen optischen Nervenprozeß erzeugt und dieser auf der gewohnten Leitungsbahn des Nerven sich zum Gehirn fortpflanzt. Da nun Lichtempfindungen aus inneren Ursachen auch sonst unzweifelhaft sind, so dürfte eine entfernte Möglichkeit ihrer Entstehung durch innere Reize auch in andern Körpernerven nicht abzuleugnen sein. Dass hiermit keine Beleuchtung innerer Teile wie durch objektives Licht, kein Sehen der inneren Organe möglich ist, versteht sich von selbst; keines von beiden findet auch in Webers Versuche statt. Aber die Aussagen der Kranken und der Somnambulen würden wenigstens einen wahren physiologischen Kern haben, um den sich ihre weiteren Phantasien mit bewußter und unbewußter Täuschung gruppieren.

175. Eine Anzahl anderer Tatsachen, die früher wohl auch für die Stellvertretung der Sinnesorgane angeführt wurden, hat längst ihre richtige Deutung gefunden. Man hat namentlich dem Trigeminus häufig die Fähigkeit zugesprochen, andere Sinnesnerven zu ersetzen. Beobachtete man zuweilen Lichtblitze in der Stirngegend und den Schläfen, so schrieb man sie seinen Ästen zu, obwohl sie in der Tat von Erregungen der Netzhaut dicht an ihrem Rande ausgeben, wo sie fast nie lebhaft von äußern, und auch nur selten von inneren Reizen berührt wird. Man hat ferner nach Verletzungen des Trigeminus die Sehkraft schwinden sehn; aber dieser Erfolg hängt von der Mitverletzung der sympathischen Fasern ab, die jenem Nerven zugesellt, die Ernährung des Augapfels vermitteln. Auch der Geruch schien nach Durchschneidung des fünften Nervenpaares zu Grunde zu gehn, oder umgekehrt nach Vernichtung des Olfactorius fortzubestehen; auch dies jedoch erklärt sich aus einer Verwechslung eigentlicher Geruchseindrücke mit solchen Empfindungen, welche durch riechende Körper noch außerdem in den sensiblen Trigeminusästen der Nasenschleimhaut hervorgebracht werden. So konnte nach Zerstörung des Geruchsnerven allerdings eine Reizbarkeit der Nase, aber anderer Art, gegen Ätzammoniak, Essigsäure und ähnliche Körper zurückbleiben. Diese hauptsächlich von Magendie ausgebildete Hypothese über die beihelfenden und stellvertretenden Funktionen des dreiteiligen Nerven darf deshalb als hinlänglich widerlegt gelten.