§. 15.
Von der Entstehung und dem Untergang der Seelen.

146. An den Lauf der Naturwirkungen ist die Existenz des Seelenlebens so gebunden, dass wir nie eine Spur desselben bemerken ohne die Grundlage einer körperlichen Organisation. und dass umgekehrt nie die physischen Bildungskräfte einen regelmäßigen tierischen Leib erzeugen, ohne dass mit ihm auch eine Seele verknüpft erschiene. Woher diese beständige Harmonie? Wie entsteht die Beseelung im Laufe der Generation, oder waren die Seelen schon vorher und werden sie fortdauern, nachdem der Bau des Leibes zerfallen ist? Allen diesen Fragen möchte man sich vielleicht am liebsten ganz entziehen; dennoch kehren sie im natürlichen Gange unserer Gedanken unvermeidlich wieder und müssen, wo wir Klarheit unserer Ansichten verlangen, mit jener geduldigen Auseinandersetzung beantwortet werden, welche frühere Zeiten mehr als die Gegenwart so natürlicher Wißbegier zu widmen pflegten. Für materialistische Auffassungen allein eröffnet sich hier die Aussicht, innerhalb der allgemeinen Unmöglichkeit ihrer Grundvoraussetzung alle diese Fragen ohne Stocken und Anstand zu beantworten. Form und Dauer des Seelenlebens, da es nichts als eine Resultante körperlicher Bildung ist, richtet sich natürlich nach den Schicksalen dieser. Keine abenteuerliche Präexistenz der Seele vor diesem Leben ist nötig; sie entsteht in dem Augenblicke, in welchem die leibliche Organisation ihre Werkzeuge bildet; sie tritt nicht unvermittelt auf einem nicht nachzuweisenden Wege zu dem ihr fremdartigen Körper hinzu, sondern so wie das natürliche Gefühl es verlangt, ist die Seele des Kindes auch ein Kind der Seelen seiner Eltern; so wie beide körperlich sich zur Erzeugung seines Leibes vereinigten, so durchdringen sich auch in der Seele des Kindes mittelbar die geistigen Tätigkeiten des Vaters und der Mutter, ihre Neigungen, ihre Talente, die ursprünglichen Richtungen ihrer Phantasie. Zerfällt endlich die körperliche Basis des Lebens, so vergeht auch die Seele; und mag dies denen, die eine Unsterblichkeit des Menschen als gewiß voraussetzen, unwillkommen sein, so wird es uns doch von der unendlichen Fortdauer aller Tierseelen befreien, für die in unserer unbefangenen Ansicht so wenig Wahrscheinlichkeiten sprechen. Wir können also nicht leugnen, dass es dem Materialismus gelungen ist, alle diese Fragen in einer Weise zu erledigen, die dem natürlichen Gefühle ungleich zusagender ist als jene gezwungenen Vorstellungen älterer Theorien, die bald ewig präexistierende Seelen in die Keime der tierischen Geschöpfe einschachtelten, bald sie durch unmittelbaren Akt der göttlichen Schöpferkraft zu dem werdenden Organismus hinzusuppliert, bald die schon vorrätigen Seelen aus irgend einer Gegend des Himmels ihm durch Hände von Engeln zugeführt werden ließen. Abgesehn von aller Unwahrscheinlichkeit des Hergangs stehen alle diese Theorien schon darum als unglaubliche Behelfe zurück, weil sie ganz die sittliche und innige Bedeutung des Verhältnisses zwischen Eltern und Kindern durch die Annahme einer nur körperlichen Seite der Generation vernichten.

147. Auch der Realismus beladet uns mit unglaublichen und drückenden Vorstellungen. Körper und Seele sind nicht durch eine absolute Verschiedenheit ihres Wesens getrennt; auch der Körper ist nur ein System realer Wesen, deren innere Zustände uns zwar unbekannt sind, aber nicht durchaus unähnlich den Vorstellungen der Seele zu sein brauchen. Nur darin ist die individueile Seele jedes lebendigen Geschöpfs unterschieden von ihnen, dass sie als herrschende Monade an den glücklichsten Punkt der Organisation gestellt, alle äußern Einflüsse am vollständigsten in Bewußtsein verwandelt, und durch eigene Impulse den Körper am vollständigsten beherrscht. Was hieraus folgen muß, ist nicht schwer zu sehen. Ein unendliches Dasein der Seele vor diesem leiblichen Leben ist auch hier unvermeidlich; auch hier die Fortpflanzung nichts als ein neues Arrangement äußerer Umstände, unter denen sich die realen Wesen befinden, so dass sie durch Gunst der neuen Lage sich zu Zentralpunkten einer beginnenden Organisation machen können, während sie früher vielleicht in dem Ovarium des Weibes oder in dem Sperma des Mannes, unfähig der Entwicklung sich aufhielten. Auch hier also keine Erzeugung, durch welche das Kind mit den Eltern in jenem innerlichen Verbande des Wesens zusammenhinge, den jedes natürliche Gefühl voraussetzt. Wird doch selbst die widerliche Vorstellung wiederholt, dass in dem Rückenmarke des Menschen sich leicht reale Wesen finden könnten von größerem Werte ihres psychischen Wesens als die Seelen der Frösche. Ebenso unerbittlich, wie die Präexistenz der Seelen uns aufgedrängt wird, nötigt man uns zu dem Glauben an unbedingte Unsterblichkeit jeder Tierseele, und obgleich der allgemeine Grundsatz, dass die äußern Umstände der Wesen sich nach den innern Zuständen derselben richten, die durch den Lauf eines Lebens bereits entwickelten Seelen vor ganz unwürdigen Metempsychosen nach dem Tode bewahren konnte, so ist doch anderseits kein geordneter Plan des Naturlaufs bemerklich gemacht, der ihre unendliche Fortdauer unvermeidlich auch zu einer unendlichen Fortentwicklung werden ließe.

148. Der Idealismus wiederholt in seiner Weise, was die materialistischen Auffassungen auch behaupteten. Körper und Seele sind Eins; ein ideal-reales Absolutes bringt im Laufe seiner Entfaltung nicht bloß die endlichen Geister hervor, sondern wie es immer zugleich Reales ist, entwickelt es sich zugleich in einer materiellen Form, die nicht ein Zweites, sondern dasselbe ist, wie der Geist, nur materiell, was jener ideell ist. Und umgekehrt, wo der Naturlauf eine organisierte Schöpfung hervorbringt, da muß sich mit ihr, als mit der realen Seite eines Entwicklungsmoments der Idee, auch die ideale, nie von ihr trennbare, verknüpfen; jedes Geschöpf muß nicht nur beseelt überhaupt sein, sondern die bestimmte spezifische Seele in sich aufnehmen, die eben seine ideale Bedeutung ausmacht. Diese Ansicht würde befriedigen, wenn nur in der Tat der Körper ebenso auf einen Schlag durch eine Entwicklung des Absoluten entstände, wie man sich etwa die Seele als ein Moment derselben denken kann. Aber des Leibes Herstellung ist einem mechanischen Naturlauf überlassen, der seine Bestandteile aus allen Gebieten der Natur zusammenführt, und sie in beständigem Wechsel neben einander kreisen läßt. Er kann zur Seele nicht in dem Verhältnis einer solchen Erscheinung stehen, die identisch mit ihrem Wesen, dasselbe nur äußerlich darstellt; er ist vielmehr ein Ideologisches System von Mitteln, deren die Seele sich bedienen kann, aber von Mitteln, deren Existenz weiter reicht, als die der Seele, und deren Vereinigung durch Prozesse von andrer Herkunft bewirkt wird. Wie nun mit diesem a tergo aus vielen Anfängen entstandenen Produkte des Naturlaufs die Seele sich vereinige, bleibt nach dieser Auffassung dennoch unerklärt; erklärlich würde nur eine Fortpflanzung sein, in welcher sich die Baustoffe des neuen Körpers stets auch aus Nichts entwickelten, d. h. vielmehr nicht aus dem Zusammenhange der physischen Welt, sondern mit der Seele zugleich unmittelbar aus dem Schoße des Absoluten.

149. Um nun auf diese Fragen eine Antwort zu geben, die unserm natürlichen Gefühle Zutrauen abgewinnt, müssen wir allerdings suchen, die Ansichten des Materialismus zu reproduzieren, ohne seine Prinzipien zu teilen. Kein Zweifel, dass der abenteuerliche Gedanke einer unendlichen Präexistenz der Seelen, unter welcher Form er auch auftreten mag, ebenso sehr zurückzuweisen ist, als die notwendige unendliche Fortdauer aller, und dass beiden gegenüber ein Werden und Vergehen der Seelen im Allgemeinen stattfinden muß. Unsere früheren Annahmen erlauben diese Hypothese. Wir haben uns völlig gegen die Vorstellung realer Wesen erklärt, die nach einem gewissen Geburtsrecht der Substantialität einen selbstverständlichen Anspruch auf ewige Existenz hatten; und wenn wir selbst die Anwendbarkeit dieses Substanzbegriffes irgendwo zugeben wollten, so würden wir doch sicher die Seele nicht zu der Reihe dieser starren, entwicklungsunfähigen Elemente rechnen. Wir haben im Gegenteil Art und Dauer jeder Existenz in der Welt stets angemessen gedacht dem Inhalte, welcher existiert, alles Einzelne kann nur so lange dasein und nur so viel und solches wirken oder leiden, als die höchste Idee ihm, sofern es eines und gerade dieses ihrer Momente ist, zuläßt oder überträgt. Nennen wir daher die Seele eine Substanz, so geschieht es in der bescheidenen Bedeutung, dass sie innerhalb der Welt des Geschehens, die wir beobachten, ein relativ feststehender Mittelpunkt ankommender und aussehender Wirkungen ist, nicht aber in dem Sinne, als sei sie ein unbedingtes Element, das seiner ewigen Dauer um seiner Unabhängigkeit willen gewiß wäre. Sie genießt vielmehr nur eine bedingte Position; sie beginnt und endet, wenn die schöpferische Kraft, die allein unbedingt ist, ihr Dasein verlangt oder wieder zurückzieht. Nichts kann uns daher hindern, die Sterblichkeit der Seelen im Allgemeinen zu behaupten; aber es kann sein, dass die zurücknehmbare Position einer Seele im Laufe der Welt dennoch nicht zurückgenommen wird, und dass die Gnade der Idee ein Dasein ins Unendliche aufrecht hält, das aus eigner Machtvollkommenheit seiner Natur darauf kein Anrecht hat. Ist in der Entwicklung eines geistigen Lebens ein Inhalt realisiert worden von so hohem Werte, dass er in dem Ganzen der Welt unverlierbar erhalten zu werden verdient, so werden wir glauben können, dass er erhalten wird; ist nichts in der Seele zu Stande gekommen, was eine individuelle Fortdauer erheischte, so dürfen wir glauben, dass sie zu Grunde geht. Man wird geneigt sein, diese allgemeine Vorstellung so anzuwenden, dass aus ihr die Sterblichkeit der Tierseelen, die Unsterblichkeit aller menschlichen hervorginge. Wir lassen dahin gestellt, ob man dadurch zu wenig den ersten, diesen aber zuviel Wert beilegt; eine physiologische Psychologie wird dies nie entscheiden.

150. Entsteht nun die Seele als Folge eines Naturlaufs oder durch unmittelbare Schöpfung Gottes? Eine Beseelung des werdenden Leibes durch eine freie Nachschaffung der Seele wurde nicht minder als die Lehre von der Präexistenz nur eine körperliche Seite der Generation übrig lassen und ihre Bedeutung für unser sittliches Gefühl wesentlich verändern. Betrachten wir dagegen die Geburt der Seele als notwendige Folge des physischen Naturlaufs, kehren wir dann nicht zu der Meinung zurück, die wir früher (8.) so sehr perhorreszierten, zu der nämlich, dass aus einer Kombination physischer Prozesse sich nicht nur neue Prozesse, sondern neue vorher nie dagewesene Subjekte entwickeln sollen? Es würde so sein, wenn wir annehmen wollten, dass die Seele, wenn sie in Folge einer Organisationsbewegung zur Wirklichkeit gelangt, entweder aus Nichts entstände, oder aus dieser Bewegung selbst. Aber es ist vielmehr unsere Weinung, dass jene Phase des Naturlaufs, in welcher der Keim eines physischen Organismus gestiftet wird, eine zurückwirkende Bedingung ist, welche den substantiellen Grund der Welt ebenso zur Erzeugung einer bestimmten Seele aus sich selbst anregt, wie der physische Eindruck unsere Seele zur Produktion einer bestimmten Empfindung nötigt. So wenig die Empfindung aus nichts, so wenig sie aus dem äußern Reiz entsteht, wie sie vielmehr nur die notwendige Rückwirkung der Seele gegen diesen ist, so wenig erzeugt die Organisation aus sich selbst nach materialistischer Auffassung die Seele, noch entsteht diese aus nichts; sie ist das notwendige Produkt, zu dessen Erzeugung der gemeinsame schöpferische Grund der Welt durch die zurückwirkende Kraft eines Momentes aus jenem Naturlauf genötigt wird, den er selbst geschaffen und dem er die Realisierung aller Zwecke überlassen hat.

151. Man wird einwerfen, dass wohl die Entstehung der Empfindung begreiflich sei, da wir wissen, was wir unter dem Namen der Seele voraussetzen; die Entstehung der Seele sei unbegreiflich, da wir nicht wissen, mit welchem Rechte neben dem mechanisch fortgehenden Naturlaufe noch ein besonderer substantieller Weltgrund anzunehmen sei. Auf diese Frage, zu deren Beantwortung so vieles vorausgeschickt werden müßte, wollen wir hier nur zweierlei erwidern. Man kann erstens, was wir meinen, sehr einfach so ausdrücken, dass zwar Gott die Seele zu der beginnenden Organisation hinzuschaffe; aber in diesem Tun seiner Freiheit sich entäußernd, lasse er sie stets der werdenden Organisation so anpassend hinzutreten, als wenn der physische Naturlauf zurückwirkend auf eine allgemeine geistige Substanz, aus dieser mit mechanischer Notwendigkeit ein Bruchstück auslöste und es so geformt, wie es der Plan des entstehenden Organismus verlangt, mit diesem als sein beseelendes Prinzip, vereinigte. Eine metaphysische Betrachtung aber zweitens würde in diesem Gleichnis noch einen Mangel des Ausdrucks sehen. Sie würde behaupten, dass überhaupt der gesamte physische Naturlauf nicht als etwas gefaßt werden dürfe, das abgetrennt von jener allgemeinen Substanz des Absoluten oder von dem Wesen Gottes möglich sei, und auf diese wie von außen nur zurückwirke; vielmehr sei alles Geschehen nur denkbar, sofern es von diesem umfassenden Weltgrunde überall umschlossen sei. Die Ereignisse in der Welt geschehen nicht im Leeren, nicht so, dass zwischen zwei Wesen, die aufeinander wirken, nichts vorhanden zu sein brauchte, und die Wirkung von einem zum andern überschreitend, einen Augenblick sich nur zwischen dem Seienden befände; sie würde in dem Nichts verschwinden, wenn nicht der Zwischenraum beider endlichen Wesen durch die Allgegenwart dessen ausgefüllt wäre, aus dessen schöpferischer Kraft sie hervorgingen. Keine Wirkung in der Welt geht deshalb von einem Objekt zum andern über, ohne in dem Übergange zunächst auf den allgemeinen Weltgrund zurückzugehen, der beide verknüpft. Für die Entstehung der Seelen nahm daher unsere Hypothese nichts an, was nicht auch sonst unvermeidlich wäre. Hier, wie überall, wirkt die physische Bildungsbewegung unvermeidlich auf das Absolute zurück und erregt es an einem bestimmten Punkte und zu bestimmter Zeit zur Erzeugung einer Seele, in welcher Bewußtsein und Genuß dieser Bildung möglich sind.

152. Noch aber wird man es bedenklich finden, dass auf diese Weise die Erzeugung der Seelen doch der bestimmenden Gewalt des physischen Naturlaufs unterliegt: so viel und welche Organisationen, so viel und solche Seelen. Das Maß dessen, was in dem geistigen Universum realisiert werden wird, hängt also ab von dem Maße dessen, was die physische Welt vorher erzeugte. Dies ist jedoch kein Vorwurf, der unsere Ansicht träfe, denn die Tatsache, auf die er deutet, könnte durch keine Theorie entkräftet werden. Es ist wirklich so, dass alles Dasein der Seelen von der Erweckung einer physischen Organisationsbewegung abhängt, und dass das Gelingen der letztern stets ein neues psychisches Element in den Lauf des Geisteslebens einführt. Aber man deutet die Tatsache falsch. Denn alle Fortpflanzung beseelter Wesen hat ihren ersten Grund doch in den Trieben ihres geistigen Teils, die den physischen Naturlauf zu ihren Zwecken lenken. Wie viele Rätsel in diesen Verhältnissen eine sittliche Weltanschauung auch noch finden mag, so viel ist uns gewiß, dass die Fortpflanzung des geistigen Lebens im letzten Grunde doch wieder nur aus Geistigem anhebt. Innere Bewegungen der Seelen entscheiden darüber, wie viele der Keime, welche der physische Naturlauf erzeugt, zur Begründung eines neuen Seelenlebens führen sollen; und so schließt sich die Geschichte des Seelenreiches doch zu einem stetigen Ganzen zusammen, für dessen Verwirklichung aller Naturlauf nur ein Durchgangspunkt ist.

153. Aus dieser Ansicht nun haben wir noch Antworten auf einige der üblichsten Fragen zu entlehnen. Der forensischen Physiologie wird das Verlangen gestellt, zu bestimmen, von welcher Zeit an der Fötus beseelt sei. Sie kann nur antworten, dass Beseelung notwendig mit dem Anfange der organisierenden Bildungsbewegung zusammenfalle, dass mit ihrem Fortschritte auch die Entwicklung der Seele steige, dass aber ein Zeitpunkt, der als entscheidender Abschnitt etwa unbeseeltes Leben von beseeltem, oder nur vegetative Beseelung von einer anima rationalis trennte, ebenso wenig anzugeben sei, als für die Mündigkeit des Erwachsenden ein scharfbestimmter Termin ihrer Vollendung. Jedes Verbrechen gegen das werdende Leben des Kindes ist stets ein Verbrechen gegen beseeltes Leben; glaubt die Rechtspflege, Gradationen der Strafbarkeit aufstellen zu können, entsprechend den Ausbildungsgraden des beschädigten Lebens, so ist dieser Gesichtspunkt der Physiologie doch völlig fremd. Denn für diese Schätzung der Schwere des Vergehens liegt der wahre Maßstab nur in dem unmittelbaren Schauder des Gefühls, den der verbrecherische Wille in größerem Maße einer vollendeteren Organisation, in geringerem ihrer noch undeutlichen Anlage gegenüber zu überwinden hat. Man wird ferner fragen, ob nun die Seele des Erzeugten eine neue sei, oder ein Zusammengesetztes aus den Seelen der Erzeuger? Weder jenes, noch dies. Sollen wir der gewöhnlichen Vorstellungsweise zu Dank reden, so sagen wir, der Stoff, aus welchem die neue Seele entstehe, liege nicht in den Seelen der Eltern, sondern in der unerschöpflichen Substanz des Absoluten; aus ihm entspringe sie angeregt durch den Lauf der Generation; ihre Qualität aber sei nicht neu und unvermittelt, vielmehr gehe sie notwendig, wie ein Schlußsatz aus seinen Prämissen, aus den psychischen Naturen der Erzeuger und aus den intellektuellen Beziehungen, aus der mehr oder minder edlen und intensiven Verschmelzung ihrer Seelen hervor. Fragt man ferner noch einmal nach der Art und dem Wege, wie und wo die Seele zu der beginnenden Organisation trete, so müssen wir abermals darauf hinweisen, dass die räumliche Welt der Erscheinungen nicht abgetrennt ist von dem Absoluten, dem Quelle der Beseelung, sondern überall von ihm durchdrungen. Der sich bildende Keim hat nicht in die Ferne zu wirken, um aus irgend einer entlegenen Gegend des Himmels sich seine Beseelung zu erbitten, und die Seele hat nicht nötig, einen langen und beschwerlichen Weg etwa aus dem unräumlichen Sein herkommend zurückzulegen, um in den Mittelpunkt des Keimes zu gelangen; denn das Unräumliche ist jedem Punkte des Raums gleich nahe, wie jedem andern. Wo also immer eine physische Organisationsbewegung sich entzündet, da ist zugleich das beseelende Prinzip gegenwärtig.

154. Man wird endlich auf die auffallenden Erscheinungen hindeutend, die wir an niedern Tieren bemerken, jene bekannte Frage aufwerfen, ob die Seelen teilbar sind, da die Stücke eines zerschnittenen Polypen sich zu vollständigen individuell beseelten Tieren ausbilden? Wir müssen darauf antworten, dass diese Erscheinungen uns nur rätselhafter vorkommen, weil sie uns ungewohnter sind; sonst würde uns eine sexuelle Fortpflanzung noch weit unbegreiflicher sein. Unseren allgemeinen Voraussetzungen nach können wir in der Teilung des Polypen nur ein physiologisches, aber kein psychologisches Rätsel sehen. Wie die plastische Kraft der Teilstücke es beginne, sich zum ganzen Organismus so leicht zu vervollständigen, ist eine der Untersuchung allerdings noch entgehende Frage; ist aber einmal eine gesetzliche Organisationsbewegung vorhanden, so wird sie die ihr zukommende Beseelung ebenso erlangen, als wenn der Keim eines höheren Tieres durch einen geordneteren und verwickelteren Generationsprozeß in seinen Entwicklungslauf hineingerät. Wie seltsam daher auch die Fortpflanzungsweisen dieser niedern Tiere sein mögen, so ist doch das Merkwürdige nur die Bedeutungslosigkeit ihres Seelenlebens, die es erlaubt, dass eine künstliche, ihrem eignen Innern fremde Einwirkung den Ausgangspunkt einer neuen Seelenbildung herbeiführe.

Wir schließen hiermit die Reihe der Betrachtungen ab, in denen wir die allgemeinen Vorstellungsweisen zu entwickeln suchten, deren beständige Beachtung wir im Laufe der speziellen Untersuchungen gesichert zu sehen wünschten. Allerdings werden selbst die allgemeinen Begriffe, welche wir über die möglichen Formen des Verkehrs zwischen Leib und Seele aufstellten, die nötige Klarheit und Anschaulichkeit nicht erreichen können ohne eine möglichst vollständige Kenntnis der Organisationsverhältnisse, die in den lebendigen Wesen jener Wechselwirkung bestimmte Bahnen vorzeichnen. Aber der gegenwärtige Zustand unserer Kenntnisse über den feineren Bau des Nervensystems erlaubt uns keineswegs, seine Beschreibung als eine irgend förderliche Grundlage psychologischer Untersuchungen vorauszusenden. Denn teils sind einige Einrichtungen, die wir in ihm kennen, ohne ausführliche Betrachtung der speziellen Tätigkeiten nicht zu verstehen, zu denen sie Beziehung haben; anderenteils werden selbst unsere Vorstellungen über anatomische Zusammenhänge, die wir noch nicht kennen, nur durch Vermutungen geleitet, die gleichfalls von der Berücksichtigung jener spezielleren Verhältnisse des Seelenlebens unabtrennbar sind. Diese Umstände mußten dazu bewegen, dem zweiten Buche zu überlassen, was über die Bedeutung der einzelnen Zentralorgane zu sagen übrig bleibt; Dasselbe schien vorteilhaft in Bezug auf jene Formen des Verhaltens, welche die Elemente des geistigen Lebens abgesehen von ihrer Wechselwirkung mit körperlichen Tätigkeiten beobachten, und deren Erwähnung, so weit sie nötig für unsere Zwecke ist, die Physiologie des Seelenlebens an, jeder einzelnen Stelle der Anwendung nachholen kann, um so mehr, da nur Weniges von diesen Dingen so eigentümlich ist, dass nicht eine für das Verständnis des Folgenden hinreichende Kenntnis davon als Bestandteil der gewöhnlichen Bildung vorausgesetzt werden dürfte. Vieles endlich, was die Gegenstände unserer letzten Betrachtungen betrifft, und zur Vervollständigung unserer Ansichten über sie, die alle Erfahrung übersteigen, dienen könnte, haben wir dem geeigneteren Verfahren einer spekulativen Psychologie überlassen zu müssen geglaubt, zufrieden damit, eine formell bestimmte Antwort auf so nahe liegende Fragen herbeizuführen, deren Erledigung doch kein unmittelbares praktisches Interesse für unsere weiteren Untersuchungen gewährt.