§. 12.
Von den verschiedenen Formen des Seelenlebens.

122. Überblicken wir die verschiedenen Formen, in denen das Seelenleben sich unserer Beobachtung zeigt und fügen die andern hinzu, in denen wir es voraussetzen, so drängt sich der Zweifel auf, ob diese mannigfachen Abweichungen in einer ursprünglichen Verschiedenheit der Seelen, oder in den Unterschieden der körperlichen Organisation begründet sind, welche den überall gleichartigen Seelen wesentlich auseinandergehende Richtungen ihrer Ausbildung vorzeichnen. Als wir die Gründe aufsuchten, die uns zur Bildung des Begriffs der Seele nötigen, fanden wir sie in jenen drei wesentlich verschiedenen Zuständen des Bewußtseins, dem Empfinden, Fühlen und Wollen, die aus physischer Natur durchaus unerklärlich blieben. Die Seele erscheint daher als das Empfindende, das Fühlende, das Strebende, und in diesen drei Handlungen ist ihre Natur zugleich so vollständig erschöpft, dass sie nichts weiter ist und nichts weiter außerdem zu leisten hat, als eben jenes Das herzustellen, welches das Subjekt dieser drei Verba ausmacht. So lange man nun in der Seele nichts sieht, als eine Prädisposition zu jenen drei allgemeinen Formen des Benehmens, die wir in allen lebenden Wesen gleichmäßig antreffen, so ist damit ganz natürlich die weitere Meinung verbunden, dass jenes Das in allen Seelen an sich völlig gleichartig sei, und dass ihre verschiedene Entwicklung nur von den abweichenden Verhältnissen der Erregung herrühre, die ihnen teils die jedesmalige körperliche Organisation, teils die eigentümlichen Eindrücke ihres Lebenselementes zu führen. In einen Affenkörper gebannt, entwickelt sich dasselbe Wesen zu einer Affenseele, das in einem Menschenleibe sich zur Humanität herauf gebildet hätte. Aller Inhalt, den jene drei allgemeinen Fähigkeiten ergreifen und bearbeiten könnten, kommt ihnen ja von außen, und in dem Innern der Seele liegt kein Motiv, welches unter allen Umständen der Anwendung derselben eine eigentümliche Färbung geben könnte. Höchstens wird man auf verworrene Weise zugeben, dass einige Seelen jene allgemeinen Fähigkeiten in größerer Intensität, oder die einzelnen in verschiedenen Mischungen und Kombinationen ihrer Grade besäßen.

123. Ich glaube, dass der Ungrund dieser Meinungen sich begreiflich machen läßt. Es gibt keinen inhaltlosen Subjektstoff in der Welt, von welchem man ein Stück nehmen und so zwischen drei allgemeine Formen der Tätigkeit einflechten könnte, dass sie, die zuerst nur flüssige Tätigkeiten in verbaler Fassung waren, zu substantivischen Wesen, zu Partizipien gerönnen. Jenes unbestimmte Das, welches empfinden, fühlen und streben soll, muß, um irgend eines davon zu können, ein vorher feststehendes Subjekt sein, dessen Natur durch irgend einen qualitativen Inhalt ausdrückbar ist, aus welchem als Konsequenzen jene verschiedenen Tätigkeiten fließen. Man wird uns vielleicht einwerfen, dass man das Verlangte bereits getan habe: man denke sich eben die Seele als ein substantielles feststehendes Wesen, nur dass man jenen qualitativen Inhalt, der die Natur dieses Wesens ausmacht, eben sogleich in jenen uns bekannten Elementen, dem Vorstellen, Fühlen und Wollen sehe, anstatt sie nur als Konsequenzen einer noch andern uns unbekannten Qualität zu betrachten. Aber eben dies ist es, was man nicht tun darf. Man kann von der Seele nicht behaupten, dass sie beständig in jeder von jenen drei Formen tätig sei, und wäre sie es, so würde doch alle diese Tätigkeit von der Einwirkung äußerer Reize abhängig sein. Was aber wäre die Seele in dem Augenblicke, in welchem sie sich nicht äußert, oder was wäre sie, falls jene Reize fehlten? Sie würde offenbar in jenen Augenblicken oder in diesem Falle überhaupt nicht sein; ein Wechsel der Existenz und des Nichtseins, der begreiflich sein würde für eine Seele, die nur das Resultat der Umstände wäre, sinnlos dagegen für eine solche, die als eigenes Wesen der Veränderlichkeil dieser gegenüber steht. Wir übergehen mit Stillschweigen andere Gründe, welche das Vorstellen, Fühlen und Wollen als das unmittelbare Was eines Wesens aufzufassen verbieten und uns gleich dem Vorigen nötigen, in irgend einer feststehenden Qualität, wie diese auch weiter zu denken sein möge, die substantielle Natur der Seele zu suchen, welche nur bedingungsweis, wenn sie in Wechselwirkung mit äußeren Erregungen tritt, oder die einmal begonnene Reihe innerer Veränderungen fortsetzt, jene bekannten Erscheinungen des geistigen Lebens aus sich hervorbringt.

124. Schien daher der Name Seele zuerst bestimmt, eine Gattung von Substanzen durch Hindeutung auf die ihnen gemeinsame ursprüngliche Qualität ihrer Natur zu bezeichnen, so müssen wir jetzt sagen, dass dieser Name vielmehr eine Klasse von Wesen nur mit Rücksicht auf eine ihnen gemeinsame Reihe von Erscheinungen zusammenfaßt, welche sie unter Bedingungen erzeugen, dass er dagegen jene wesentliche Natur unberührt läßt, welche in jedem Falle die Voraussetzung dieser Erzeugung ist. Insofern ist der Name Seele ein phänomenologischer Ausdruck, der gleich den chemischen Begriffen der Säure oder des Alkali eine Reaktionsform bezeichnet, die einer Reihe ihrer übrigen Natur nach unbestimmt, gelassener Elemente gemeinsam zukommt. Seele ist oder heißt Etwas, sofern dies übrigens unbestimmt gelassene Etwas die Tätigkeitsformen des Vorstellens, Fühlens und Strebens in sich zu erzeugen vermag. Nun sind, um in dem vorigen Gleichnisse fortzufahren, die verschiedenen Säuren ihren Elementen und sonstigen Beschaffenheiten nach abweichend genug von einander, obgleich sie die gemeinschaftliche Eigenschaft der Azidität teilen; die einzelnen Materien ferner, die die Erde bilden, unterscheiden sich vielfältig von einander, aber die Eigenschaft der Schwere, die Fähigkeit einander anzuziehn, besitzen sie alle. Ganz ebenso ist es uns erlaubt, anzunehmen, dass jene Substanzen, die alle unter Umständen Empfindungen, Gefühle und Strebungen erzeugen, doch in ihrer ursprünglichen Natur vielfach von einander abweichen. Keine Notwendigkeit liegt daher vor, auf jene Identität aller Seelen zurückzukommen und ihre verschiedenartige Entwicklung auf Rechnung der leiblichen Organisation allein zu setzen. Wie sehr wir von der wichtigen Beihilfe der letztem durchdrungen sind, haben wir nicht nötig, hier besonders zu erwähnen, da der ganze Verlauf unserer Betrachtungen dies bezeugen wird. Darauf jedoch legen wir hier Gewicht, dass man die Seelen nicht als ganz inhaltlose Befestigungspunkte ansehe, an welche die öden und allgemeinen Fähigkeiten einer richtungslosen Intelligenz oder eines gegenstandlosen Wollens angehängt sind. Die Seele erwartet viele Anregung von außen, aber sie ist nicht alles ursprünglichen eigenen Inhalts ledig, sondern kann, vermöge ihrer primitiven und spezifischen Natur auch jenen allgemeinen Fähigkeiten eine bestimmte Form der Anwendung geben. Man würde deshalb irren, wenn man in die Betrachtung eines individuellen Seelenlebens neben den äußern Anregungen nur den nackten Begriff einer reizbaren Seele überhaupt zur Erklärung einführte; in jedem Falle ist vielmehr dieser Begriff durch einen spezifischen Koeffizienten näher bestimmt zu denken, der die Eigentümlichkeit der organischen Gattung, vielleicht selbst des Individuum bezeichnet und sich in dem, allerdings nach allgemeinen Gesetzen erfolgenden mechanischen Verlauf des Seelenlebens geltend macht.

125. Allein diese Unterschiede in den spezifischen Qualitäten der Seelen sind aller unserer Beobachtung entrückt; wir können sie nicht schildern, sondern nur als Voraussetzungen unserer Ansicht im Allgemeinen benutzen. Etwas zugänglicher sind uns die äußerlichen Organisationsverhältnisse, aus denen wir einigermaßen auf die Entwicklungsfähigkeit des Seelenlebens schließen können, das wir außer den tierischen Wesen auch der übrigen Welt zuschreiben möchten. Wir haben der einfachen materiellen Elemente schon früher gedacht. Wer in ihnen ein psychisches Dasein suchen wollte, würde in der spezifischen Verschiedenheit der chemischen Urstoffe vielleicht Grund zu eigentümlich verschiedenen Färbungen auch dieses Lebens überhaupt, in den mancherlei mechanischen Einflüssen, denen jedes Element ausgesetzt ist, so wie in den chemischen Verschmelzungen, die es mit andern eingeht, Veranlassung zu einer reichen Gruppe von Gefühlen finden können, durch welche diese einfachsten Ereignisse des Weltlaufs in Genuß und Bewußtsein umgesetzt würden. Ohne die Phantasien weiter auszuspinnen, die sich über den positiven Gehalt dieses Seelenlebens leicht anknüpfen ließen, wollen wir nur die Schranken hervorheben, die ihm gesetzt sein müßten. Einfachen und gleichartigen Elementen der Natur muß alles das abgehen, was nur die Frucht einer simultanen Organisation des Baues oder einer sukzessiven der Entwicklung sein kann. Es ist möglich, dass ein materielles Atom von den unbestimmt vielen Eindrücken, denen es durch seine jedesmalige Lage in der Welt unterliegt, entweder zugleich eben so viele Gefühle oder ein einziges resultierendes Gefühl ihrer aller erlangt; aber es ist nicht möglich, dass es diese seine Lage als den Gegenstand einer Anschauung sich zum Bewußtsein bringt. Es wird von jeder momentanen Summe seiner Beziehungen in der Welt eine Folge in sich spüren, aber diese Beziehungen nicht abgetrennt von dem Einfluß anschauen, den es von ihnen erleidet. Es wird ferner in dem wechselvollen Lauf der Naturereignisse und seiner eigenen Lage in diesen auch jene Gefühle häufig wechseln; aber da seine Schicksale, es ohne vorgezeichneten Entwicklungsplan hin und her werfen, da es bald in diese bald in jene räumliche Lage oder chemische Verbindung ordnungslos eintritt. so können seine sukzessiven Zustände sich zu keiner stetigen Entwicklung zusammenfügen, deren spätere Perioden ihrem Sinne nach die früheren voraussetzten. Dieses Seelenleben ist daher das Geschöpf des Augenblicks; es wandelt die Elemente des Naturlaufs in geistige Ereignisse des Gefühls um, ohne aus diesen Atomen des psychischen Daseins ein zusammenhängendes Ganzes zu gestalten. Man hat häufig gemeint, dass unseren Seelen analog, in denen kein Eindruck je ganz verloren geht, auch die materiellen Elemente der Natur ein Gedächtnis besitzen, welches alle früheren Zustände aufbewahrt und sie zu modifizierenden Mitbedingungen der späteren Schicksale macht. Man hat selbst dem Gesetze der Trägheit die weite Ausdehnung gegeben, diese Meinung notwendig zu machen. Aber die Erfahrungen widersprechen einmütig, und die gesamte Mechanik der Naturwissenschaften beruht vielmehr auf dem Satze, dass tausend Bewegungen, Pressungen, chemische Verbindungen, die ein Element erfahren hat, doch, nachdem sie aufgehört haben, dieses Element unverändert zurücklassen, ohne dass irgend eine Erinnerung in ihm stattfände, die später sein Verhalten gegen einen neuen Reiz anders ausfallen ließe, als sein früheres Benehmen gegen denselben. Dies beweist, wie mir scheint, hinlänglich, dass den einfachen Stoffen jene Aufbewahrung der Eindrücke fehlt, die als Gedächtnis dem uns bekannten Seelenleben eine unentbehrliche Bedingung seiner Entwickelung; ist; was daher auch den materiellen Elementen innerlich beschieden sein mag, jedenfalls könnte ihre psychische Tätigkeit nur in einer atomistischen Begleitung jeder äußeren Lage durch ein Gefühl bestehn, das verloren geht mit dieser, und das ohne Anknüpfung mit früheren Zuständen sich erneut, wo dieselben Bedingungen wiederkehren, in andere übergeht, wo sie sich ändern, ein Wechsel der Gefühle, aber kein Gefühl ihres Wechsels.

126. Das Seelenleben unorganischer Elemente konnten wir auf ihre einzelnen Atome als Subjekte beziehen; die Organisation der Pflanzen mit den vielen Vorteilen, die sie der psychischen Entwickelung zu gewähren scheint, bringt dagegen sogleich die Frage mit sich, wessen die Seele sein soll, die wir in einer poetischen Anwandlung in diesen anmutigen Erzeugnissen der Natur ahnen wollen. Ohne Zweifel bietet das Leben einer Pflanze für unsere Auffassung eine bedeutsame Reihenfolge von Ereignissen, die sich nicht nur zu dem schönen Ganzen einer abgeschlossenen Entwickelung zusammentun, sondern auch in jedem einzelnen Augenblicke dieses Bildungslaufes in einen Reichtum gleichzeitiger Lebenstätigkeit und formeller Bezüge auseinandergehen. Es ist jedoch die Frage, wem diese Verhältnisse zu Gute kommen. Die Pflanze ist ein Aggregat bildsamer Stoffe. Bleiben wir hierbei stehen, so würde jedes Element ihres Baues vermöge seiner Stellung im Ganzen und vermöge der regelmäßigen Reihenfolge von Schicksalen, die ihm aus dem geordneten Entwickelungslauf des Ganzen erwachsen, auch eine regelmäßige Sukzession von Gefühlen erfahren, in denen jeder Moment der Vegetation vergeistigt würde. Aber vergeistigt doch nur in Gestalt eines einfachen intensiven Gefühls, nicht in der Form einer Anschauung, die auch nur momentan ein Bild der augenblicklichen Vegetationsphase darstellte. Vergeistigt ferner doch nur atomistisch; die verschiedenen Gefühle, welche der Fortgang der Vegetation in jedem Teilchen erweckte, würden für einen Beobachter außerhalb, der ihre Reihenfolge anmerkte und sie graphisch symbolisierte, eine für jeden einzelnen Teil besonders geartete Projektion der allgemeinen Vegetationsbewegung abgeben; aber das Teilchen selbst, in dem diese Zustände sich ereigneten, würde um seiner Gedächtnislosigkeit willen einen über dem andern verlieren und von der Bedeutsamkeit nichts gemessen, die sich für uns wohl in dem Rhythmus der ganzen Entwickelung kund gibt. Aber dies ist es nicht, was wir meinen, wenn wir von Pflanzenseelen sprechen; es handelt sich nicht um die psychischen Zustände, welche die Atome um ihrer Zusammensetzung willen hier nicht wesentlich anders, als auch etwa in den Kristallen erfahren, sondern davon, dass ein zusammenfassendes Bewußtsein die ganze Tatsache der Vegetation ebenso beherrscht, wie die Tierseele die Erregbarkeit und Beweglichkeit des Leibes.

127. Wir würden deshalb den körperlichen Bau der Pflanze nur als ein organisiertes System von Hilfsmitteln ansehen können, durch den einer gedächtnisfähigen Seele eine geordnete Reihe von Anstößen der Entwickelung mitgeteilt würde. Die Annahme einer solchen individuellen Seele findet Schwierigkeiten, nicht sowohl in dem oft hervorgehobenen Mangel des zentralisierenden Nervensystems, dessen Fehlen höchstens die Feinheit und Leichtigkeit, nicht aber die Möglichkeit jener Konzentrierung der Eindrücke hindern möchte, wohl aber in der Unklarheit der Grenzen, innerhalb welcher ein Komplex von Bestandteilen als individuelle Pflanze zusammengefaßt werden darf. Nehmen wir jedoch an, die Botanik sei dahin gelangt, die zusammengehörigen Gebiete vegetierender Teile zu verzeichnen, welche jedes einzelne einer einzelnen Seele untertan wären, so würden nun Tiere und Pflanzen in Bezug auf die Fruchtbarkeit ihrer Organisation für die Entwickelung des Seelenlebens vergleichbar sein. Und hier würde der Mangel aller Zentralisation in den Pflanzen, falls wenigstens das tierische Nervensystem in ihnen nicht durch unbekannte Hilfsmittel ersetzt wäre, allerdings nur jene musikalische Entwickelung gestatten, deren wir oben gedachten, aber die Möglichkeit einer objektiven Anschauung der äußern Welt und ihrer eigenen Beziehung zu ihr würde der Pflanzenseele ebenso versagt sein, als die reiche Bildungsquelle, die für das bewegliche, seine Umgebungen willkürlich wechselnde Tier in der Mannigfaltigkeit der Erfahrungen über diese Außenwelt liegt. Die Pflanze würde in der Tat ausschließlich der Melodie ihrer eigenen Entwicklung lauschen; sie würde die bestimmte Form ihrer Vegetation vergeistigen, gestört oder gehoben vielleicht hier und da durch die Folgen der wechselnden äußeren Reize, aber sie würde nie dahin gelangen, durch die freie Behandlung einer mannigfachen und sprungweis wechselnden Außenwelt, wie sie die Sinnesorgane der Tiere umgibt, irgend eine allgemeine auf Objektives bezügliche Gedankengruppe auszubilden. Was den einfachen Elementen zu viel begegnete, der ordnungslose Wechsel ihrer inneren Zustände, dessen begegnet den Pflanzen zu wenig; ohne Sinnesorgane, die eine formelle, räumliche Auffassung der Welt und ihres eigenen Körpers gestatteten, ohne bewegliche Organe, nach außen zu handeln und sich neue Erfahrungen zu verschaffen, sind sie auf einen bestimmten unabänderlichen Traum angewiesen, der zwar mit großem Reichtum des Inhalts, aber doch ohne alle Beweglichkeit und Freiheit des höheren Seelenlebens sich in ihnen entfalten würde. Erst den Tieren und selbst ihnen nicht in gleicher Vollständigkeit in ihren niedersten Klassen, sind beide Elemente der Entwickelung gegeben, die Konstanz einer auffassungsfähigen körperlichen Organisation und die bunte prinziplose Mannigfaltigkeit möglicher Erfahrung. Aus diesen beiden entspringt das Seelenleben, dessen Natur und Gehalt uns allein anschaulich ist.

128. Wir wollen nicht weiter gehen und über die Tiere hinaus noch der größeren Organisationen gedenken, des Erdkörpers, des Planetensystems und anderer, denen eine bereitwillige Phantasie nicht minder ein eigenes Seelenleben geliehen hat. Es würde jedenfalls unseren gegenwärtigen Betrachtungen zu fern liegen. Aber man täuscht sich überhaupt, wenn man es für selbstverständlich hält, dass die bedeutsamen Verhältnisse, die wir an irgend einer Gemeinschaft oder einem Systeme von Elementen beobachten, stets auch für die eigene Seele dieses Systems, deren Dasein wir annehmen, Gegenstand des Bewußtseins oder des Genusses werden müßten. Schon die Pflanzen gaben uns Anlaß zu dieser Bemerkung. Ihre Seele sollte natürlich ein immanentes Bewußtsein aller der Schönheit und Bedeutsamkeit sein, die wir von außen an den Erscheinungen der Vegetation bewundern. Um davon das Geringste möglich zu machen, bedurfte es schon der Annahme einer individuellen Pflanzenseele, zu der doch der Tatbestand der Beobachtung keine Aufforderung enthält. Aber auch so würde der Traum, den die Pflanze von ihrer Vegetation hätte, von unserer Anschauung derselben weit abweichen. Von ihrer Gestalt, was würde sie wissen? Dasselbe, was wir von der unsrigen ohne Auge und Tastsinn erfahren möchten. Sie würde vielleicht die Form und Beziehung ihrer Teile als ein wohltuendes Gefühl des Gleichgewichtes zwischen vielerlei Bewegungen, Spannungen oder Drucken wahrnehmen, so ungefähr, wie wir aus dem Gleichgewicht unserer Muskeln oder aus eigentümlichen Kombinationen der Anspannung einiger und der Erschlaffung anderer einen Genuß unserer Körperstellung oder Lage schöpfen. Dies ist weit entfernt von der anschaulichen Figürlichkeit, mit der uns die Gestalt einer Blume gegenübersteht. Und wir selbst, sogar mit Hilfe des Tastsinns und des Auges, welche Kenntnis würden wir von unserer Gesamtgestalt oder unseren Gesichtszügen haben, wenn es nicht spiegelnde Flächen in der Welt oder andere Individuen unserer Gattung gäbe, deren Beobachtung die Unvollständigkeit unseres unmittelbaren körperlichen Selbstgefühls ergänzte? Mannigfach und oft weitläuftig sind daher die Wege, auf denen eine Seele ein Bewußtsein ihres körperlichen Daseins ausbildet. Leicht zu haben ist für jede Seele eines Systems nur jene musikalische, der geometrischen entgegengesetzte Auffassung, in der alle Erregungen des körperlichen Substrats sich als ein Gewebe qualitativ verschiedener Eindrücke und subjektiver Gefühle des Leidens sammeln; eine objektive Anschauung dagegen sowohl der Außenwelt als des eigenen Körpers setzt überall eine umfassende Organisation voraus, die uns erfahrungsmäßig nur in der tierischen Welt entgegentritt.

129. Der oft gehörte Ausspruch ist daher nicht richtig, dass die Seele so einfach hin alles das ideal sei, was der Körper real ist; sie steht zu ihm vielmehr in sehr verschiedenartigen Beziehungen. Einige Teile des Leibes allerdings werden so wie sie sind, Gegenstände klarer und bewußter Anschauung; andere Verhältnisse bilden stete nur faktische Voraussetzungen, deren Erfolge und Nutzen zwar der Seele zu Gut kommen, während sie selbst gar nicht ins Bewußtsein treten, oder doch nicht in ihrer eigenen Gestalt, sondern nur in der Form von Gefühlen, die ihren Wert für das Ganze der Organisation andeuten. In dem Menschen und gewiß auch in den höheren Tieren sind Gestaltbildung und Wachstum zugleich mit der ganzen Mannigfaltigkeit des Stoffwechsels dem Bewußtsein entzogen, und nichts erfahren wir von dem allen, als wechselnde Allgemeingefühle der Erregung, Spannung, Schwäche, durchkreuzt von einzelnen Empfindungen der Lust und Unlust, die den Ursachen, von denen sie ausgingen, ganz unähnlich sind. Dies ist anders vielleicht bei niederen Tieren, noch mehr in den Pflanzen. Vielleicht finden sich hier Wege, auf denen diese vegetativen Vorgänge zu Gegenständen des Bewußtseins werden und in ihm eine hinlänglich bedeutsame Stellung einnehmen, um uns zu der Ansicht zu berechtigen, dass die Seele der Pflanze die sich wissende und sich genießende Idee der Vegetation sei.