DRITTES KAPITEL.

Vom Wesen und den Schicksalen der Seele.

§. 11.
Von der Ausdehnung der Beseelung.

107. Bei der ersten Entwerfung eines Begriffs der Seele konnten wir natürlich nur von denjenigen Erscheinungen ausgehen, die unerklärlich aus physischen Ursachen, diese Annahme eines eigentümlichen Prinzips verlangten. Neben ihnen kann es jedoch viele Ereignisse geben, die bei näherer Betrachtung ebenfalls von psychischen Bedingungen tatsächlich abhängen, obwohl sie an sich physischer Entstehung zurechenbar scheinen und deshalb nicht in gleicher Weise, wie jene, zur Voraussetzung eines immateriellen Grundes aufforderten. Nach zwei Richtungen hin bleibt daher die Ausdehnung der Beseelung noch unbestimmt. Wir wissen nicht, wie weit sich die Einwirkung der Seele auf das Getriebe jedes einzelnen Organismus erstreckt, und ob nicht manche Züge des organischen Lebens, die für sich recht wohl aus den Gesetzen des physischen Naturlaufs erklärlich schienen, dennoch den mitbestimmenden Einfluß der Seele erfahren; wir wissen ferner nicht, ob in jenen Klassen der Naturprodukte, deren Verhalten uns keine dringende Veranlassung gibt, sie für beseelt zu halten, nicht dennoch ein durch abweichende Bildung uns entgehendes Seelenleben sich verbirgt. Neben der Vorstellung einer anima ralionalis, die wir uns aus der Beobachtung des Bewußtseins höherer Tiere bilden, ist deshalb der Begriff einer anima vegetativa der Gegenstand mannigfacher physiologischer Phantasien gewesen, über deren Berechtigung wir uns einigen Überlegungen hingeben müssen.

108. Ein Nachklang jener Sehnsucht nach Einheit des Körper und der Seele hat zuerst zu der Annahme geführt, dem geistigen Prinzip, wenn es denn nun einmal die Beihilfe der ihm fremden materiellen Welt zu seiner Entwicklung nicht entbehren kann, doch wenigstens eine gestaltende Herrschaft über die ihm dienstbaren Elemente derselben zu sichern. Diese berühmte Ansicht Stahls, die Seele als die Baumeisterin des Körpers zu betrachten, ist mit geteilten Gefühlen, zugleich mit dem Wunsche, sie möglich zu finden, zugleich mit der Scheu vor dem Ausschweifenden des Gedankens oft auch von neueren Physiologen wiederholt und dahingestellt worden. Es hat jedoch wenig Schwierigkeit, das Mögliche in ihr von dem Unmöglichen zu unterscheiden. Gibt man die Existenz eines physisch-psychischen Mechanismus einmal in so weit zu, dass innere Erregungen der Seele die physischen Zustände motorischer Nerven bis zur Erzeugung einer Muskelkontraktion abändern können, so ist kein Zweifel, dass andersgeartete Erregungen der Seele ebenso wohl andere Veränderungen in den Zuständen der Massen zu bewirken vermöchten, solche nämlich, aus denen die Prozesse der Gestaltbildung des Körpers entsprängen. Wie weit ein solcher Einfluß sich erstrecken und wie mannigfach seine Folgen sein würden, können wir nicht beurteilen. Bedenken wir jedoch, welche große Summe außerordentlich fein abgemessener Bewegungen und Spannungen verschiedener Muskeln ein einziger leidenschaftlicher Gemütszustand hervorbringt, so können wir ermessen, dass auch dieser morphotische Einfluß der Seele nicht notwendig sehr beschränkt zu sein braucht. Wie in dem mimischen Ausdruck vergängliche Spannungsgrade der Muskeln, so könnte sie in gleicher Mannigfaltigkeit in den eben sich gestaltenden Bestandteilen des Körpers Bewegungen oder Lagenveränderungen veranlassen, obgleich gewiß unendlich langsamer, da diesen Teilen die Fähigkeit plötzlicher Formänderung abgeht, die den Muskeln zum Zweck ihrer Funktion verliehen ist. Die Zusammenhänge, die zwischen den Zentralorganen und dem sympathischen Nerven stattfinden, würden diesen Einflüssen der Seele einen widerstandlosen Weg bis zu den bildsamen Teilen darbieten und ihre Nachwirkungen würden hier größer und ausgebreiteter sein können, als in den Muskeln, deren jeder ein abgeschlossenes anatomisches System für sich bildet, und deren Zustandsänderungen nur durch ihre äußerlichen vorübergehenden Effekte, Druck oder Spannung, für andere Teile wichtig werden. So würde es dem guten Willen nicht unmöglich sein, die morphotische Kraft der Seele hinlänglich zu rechtfertigen.

109. Aber der Ansicht, die wir schildern, kam es nicht sowohl darauf an, nur überhaupt die mögliche Einwirkung der Seele auf körperliche Gestaltungsprozesse festzustellen; es lag ihr vielmehr daran, in der Vernünftigkeit der Seele zugleich ein Prinzip für die unendliche durchdringende Zweckmäßigkeit der körperlichen Organisation zu finden, deren Erzeugung ihr die gewöhnlichen Kräfte der Natur zu übersteigen schien. Und hierin liegt das Unmögliche der Ansicht, oder wenigstens doch der Fassung, die man ihr gewöhnlich gegeben hat. Ließe sich behaupten, dass die Seele mit Bewußtsein den Körper bilde, so dürfte man von den Hilfsmitteln des bewußten Lebens, der vernünftigen Überlegung und dem Willen wenigstens die Tendenz zu einer zweckmäßigen Organisation erwarten, und es würde nur noch die Frage sein, wie die Seele ihre Absichten zu verwirklichen vermöge. Gewiß würde sie dazu einige Werkzeuge bedürfen, und sie würde mit dem Baue des ganzen Körpers nicht zu Stande kommen, ohne einen beträchtlichen Teil desselben schon durch den physischen Naturlauf gebildet vorauszusetzen. Da wir jedoch nur der unbewußten Seele eine plastische Wirkung zuschreiben können, so verlieren wir dadurch vorerst alle die Vorteile der Vernünftigkeit, die sie nur im bewußten Leben auszeichnen, und finden in ihr nur noch ein substantielles Prinzip, dessen innere Zustände zwar morphotische Einflüsse ausüben mögen, aber doch nur so wie dies jede Substanz vermag, nämlich mit Hilfe einer allgemeinen Naturordnung, welche mit jenen Zuständen nach mechanischen Gesetzen bestimmte Erfolge in andern Elementen verbindet. Der erwähnten Ansicht liegt daher eigentlich ein einfacher logischer Fehler zu Grunde, welcher die Hilfsquellen, die der bewußten Seele vermöge ihres Bewußtseins zukommen, allgemein auf ihre Substanz auch dann überträgt, wenn von ihrem Bewußtsein abstrahiert wird.

110. Dennoch läßt sie eine bessere Deutung immer noch zu. Man kann zuerst geltend machen, dass allerdings der plastische Einfluß, den die Seele übe, ohne ihr Vorwissen und ihre Absicht stattfinde, dass er aber nichtsdestoweniger von dem abhänge, was in ihrem Bewußtsein sich ereignet. Geht doch offenbar dasselbe vor auch in Beziehung auf andere geistige Tätigkeiten. Der Wille, ein Glied zu regen, ist ein Vorgang im Bewußtsein; dennoch reicht das Wollen allein nicht hin, die Absicht auszuführen. Wäre dies der Fall, so müßte mein Wille mit gleicher Leichtigkeit auch unmittelbar die äußern Objekte oder die Glieder eines Anderen bewegen. Die wirkliche Bewegung des Gliedes erfolgt nur, weil der Wille ein Zustand der substantiellen Seele ist, mit welchem ein physisch-psychischer Mechanismus den Eintritt einer Veränderung in den motorischen Nervenelementen verknüpft hat. Diese Verknüpfung aber liegt gänzlich außerhalb des Bewußtseins, und so ausdrücklich wir auch etwas wollen mögen, so wissen wir doch nur von dem Wollen, aber wir kommen nie dahinter, auf welche Weise die Ausführung erfolgt. Wir haben also hier eine Wirkung auf den Körper, deren Entstehung außerhalb des Bewußtseins fällt, obgleich ihre Veranlassung innerhalb desselben liegt. Die inneren Zustände nun, welche die plastischen Wirkungen der Seele begründen, so würde man fortfahren können, haben nicht den Charakter der Absicht und des Wollens gleich den Vorstellungen der Bewegung; sie sind vielmehr nur Träume, in denen das Bild einer zu erzeugenden Körpergestalt vorüberzieht, so etwa, wie Treviranus meinte, dass das Weizenkorn von seiner künftigen Blüte träume. Dass wir durch diese Vorstellungen etwas in der Gestaltung des Organismus bewirken, bemerken wir freilich in unserm Bewußtsein ebenso wenig, als wir dazu die Absicht hatten; aber gewiß ist es möglich, dass jener Zug von Traumvorstellungen, der so gut, als das Wollen einer Bewegung eine Veränderung unserer substantiellen Seele ist, nach allgemeinen Gesetzen des physisch-psychischen Mechanismus in der Tat mit einer ähnlichen Wirksamkeit auf die gestaltbaren Massen begabt wäre.

111. Ehe wir diese allgemeine Möglichkeit auf das sehr geringe Maß des Wahrscheinlichen beschränken, müssen wir einem bekannten irrtümlichen Einwurf abermals begegnen, der schon auf uns warten wird. Nachdem wir so oft die Unmöglichkeit behauptet haben, dass Naturideen, Typen der Gattung und dergleichen einen mechanischen Bewegungseinfluß auf die Massen ausüben, kann es befremden, dass wir jetzt selbst den Träumen der Seele diese Kraft beilegen. Aber diese Träume, wären sie selbst die eines Weizenkornes, sind nicht etwas Geringeres, sondern etwas viel Mächtigeres als jene Typen und Ideen der Gattung. Denn diesen letztern wurde eine bewegende Kraft nur abgesprochen, weil sie nur als ideelle Inhalte betrachtet wurden, aber nicht als Gedanken, die irgend ein bestimmtes, reales Subjekt hat. Die Träume des Weizenkornes sind dadurch, dass sie seine Träume sind, Zustände eines wirklichen vorhandenen Wesens, das mit anderen gleich wirklichen in einem Verbande der Wechselwirkung steht. Ideen, sofern nur ihr Inhalt berücksichtigt wird, sind, wie prächtig auch dieser sein mag, stets wesenlose Schatten; die unbedeutendsten Gedanken dagegen, sofern sie als Gedanken eines bestimmten Subjekts Zustände eines wirklichen Wesens sind, erlangen dadurch einen reellen mechanischen Wert. Eine kleine Geschwindigkeit einer ebenfalls kleinen Masse leistet Etwas in der Welt, die ungeheuerste Geschwindigkeit der Masse Null dagegen Nichts.

112. Nach dieser Verteidigung der Möglichkeit handelt es sich um die Wahrscheinlichkeit der berührten Ansicht. Wenn man nun von einer plastischen Wirksamkeit der Seele spricht, so meint man natürlich, dass, ihr selbst unbewußt, durch jenen Zusammenhang des Naturlaufs stets dasselbe realisiert werde, was sie in ihrem geistigen Schauen vorbildet. Wie das Weizenkorn von seiner Blüte, so träumt der Keim jedes andern Organismus von seiner zukünftigen Herrlichkeit, und diese Träume sollen so ausgehen, wie sie ihnen vorschweben. Auch das hat seine logische Möglichkeil, aber es scheint fast, als hätte man die gleichgroße Möglichkeit des anderen Falles übersehen, dass die Nachwirkungen, welche der Traum als Affektion der Seele in dem Körper hervorbringt, von seinem Inhalte vielleicht ganz abweichen. In der Tat, warum soll die Ökonomie des Weizenhalmes sofort ihren Weg zur Blüte nehmen, weil die Seele des Weizens davon geträumt? Die Wirkungsfähigkeit des Traumes überhaupt hing ja nicht von seinem Inhalt ab, sondern davon, dass er eine gewisse Änderung der Seele war; seine Folgen können sich daher nur nach dem Werte richten, den er als mechanisches Äquivalent hat, d. h. danach, welchen Affektionswert er für die Seele besitzt. Einem gestoßenen Körper ist es ganz gleichgültig, ob er durch Menschenhand, oder durch Maschinen oder sonst wie in Bewegung geraten ist; die Wirksamkeit, die er auf andere überträgt, besteht stets nur in der Geschwindigkeit und Richtung, die ihm mitgeteilt wurde, also in dem, was seine Affektion geworden ist. Ebenso handelt es sich nicht darum, was die Seele träumt, sondern nur davon, in einen wie großen und wie gearteten Zustand der Erschütterung sie dadurch gerät. Es ist möglich, dass der Inhalt des Traums auf die Form der Erschütterung Einfluß hat, aber gar nicht wahrscheinlich, dass dieser groß sei. Geben wir daher zu, dass von den vernünftigen Zuständen des Bewußtseins sich eine dem Bewußtsein entgehende Einwirkung auf die gestaltbildenden Prozesses des Körpers abzweige, so sind wir doch noch weit davon entfernt, dass die morphotische Entwicklung dem Inhalte des Bewußtseins entsprechen müßte. Damit aber ist der Hauptpunkt der Ansicht in seiner Unsicherheit bloß gestellt.

113. Vergleichen wir nun die Erfahrungen, so finden wir, dass überhaupt Vorstellungen, sofern sie nicht durch Gefühle der Lust oder Unlust begleitet werden, zwar einigen, doch sehr geringen Rückeinfluß auf die körperliche Bildung besitzen. Wir wissen, dass die hypochondrische Aufmerksamkeit auf einzelne Teile des Körpers subjektive Empfindungen in ihnen hervorrufen kann, die zuweilen auf Zirkulation und Ernährung Einfluß üben mögen, so dass in seltenen Fällen, wo der Gedanke einer örtlichen Degeneration den Kranken plagt, etwas ihr Ähnliches in Folge der Vorstellung entstehen dürfte. Was frühere Zeiten gewöhnlich für die bildende Kraft der Phantasie anführten, das Versehen der Schwangeren, ist in seinen meisten Beispielen sicher auf bloß physische Ursachen zurückgebracht, obwohl es Fälle genug gibt, in denen die Beschäftigung mit einer fremden Gesichtsbildung die des Kindes ganz aus dem gewöhnlichen Typus der Familie heraustreten läßt. Leidenschaftliche Zustände der Seele, in denen nicht nur gleichgültige Vorstellungen, sondern Gefühle auftreten, äußern einen weitgreifenden Einfluß auf die Vegetation des Körpers. Er kann jedoch nie eigentlich ein plastischer sein in dem Sinne der geschilderten Ansicht. Schon der mimische Gesichtsausdruck ist nicht mehr ähnlich der Gemütsstimmung, die ihn erzeugte; er eine räumliche Anordnung von Teilen, sie ein rein intensiver Zustand der Seele. Noch weniger liegt in den Gefühlen eine Kraft, bestimmte Formen des Körpers hervorzubringen, und gewiß dürfen wir ihnen auch dann diese Kraft nicht zutrauen, wenn wir auf die ersten Perioden der Entwicklung zurückgehen, in denen die Massen beweglicher den Anstößen der Seele gehorchen könnten, als in der späteren Zeit des schon vollendeten Körperbaus. Nur mittelbar wirken dauernde Gemütsstimmungen auch auf einzelne Körperformen ein, indem sie zunächst den Rhythmus der Ernährungsfunktionen stören, deren beständige Hilfe einige Teile mehr als andere bedürfen. Zartheit oder Derbheit der Gewebe, Schlankheit oder Gedrungenheit der Architektur und ähnliche allgemeine Verhältnisse dürften daher das einzige sein, was wir dem plastischen Einflusse der Gefühle zuschreiben könnten.

114. Fassen wir nun diese Bemerkungen zusammen, so können wir dem, was in dem Bewußtsein vorgeht, nur eine äußerst geringe bildende Nachwirkung zugestehen, und die intelligente Seele kann selbst in der unbewußten Weise, die wir voraussetzten, nicht als Baumeisterin des Körpers gelten. Möglich bleibt es dagegen, und dies ist ein von dem vorigen wohl zu unterscheidender Fall, dass die Seele, abgesehen von aller bewußten Entwicklung, durch jene ursprüngliche Qualität ihrer Natur, auf der auch ihr intelligentes Leben wurzelt, einen bedeutenden Anteil an der Gestaltbildung nimmt. Als ein substantielles Element neben den andern körperlichen Elementen, mit denen sie in beständiger Wechselwirkung steht, würde sie durch ihre innern Zustände so gut wie diese durch die ihrigen den resultierenden Lauf des Bildungsprozesses mitbestimmen. Sie würde ihn vielleicht als ein bevorzugtes Element, als das erste unter gleichen, vorzugsweis beherrschen, aber doch immer nur in der Weise, in welcher auch einzelne chemische Substanzen allen ihren Verbindungen mit den verschiedensten andern immer ein gleichartiges und eigentümliches Gepräge mitteilen.

115. Schon innerhalb eines und desselben organischen Wesens ist also die Ausdehnung des Gebietes, über welches psychische Tätigkeiten herrschen, unbestimmt und verliert sich in schwankende Möglichkeiten; noch mehr, wenn wir die Mannigfaltigkeit der Geschöpfe überblicken und die Grenzlinie zwischen Beseeltem und Unbeseeltem suchen. Auch in den Naturprodukten, deren sichtbares Benehmen uns nicht zur Annahme ihrer Beseelung zwingt, kann dennoch ein geistige Prinzip vorhanden sein. Sein Dasein entgeht uns vielleicht wegen der Stumpfheit unserer Beobachtung überhaupt, die uns nicht gestattet, vorhandene und selbst den unserigen analoge Äußerungen des Seelenlebens überall wahrzunehmen; oder weil eine ganz abweichende körperliche Organisation dieser Wesen ihre der unserigen nicht unähnliche geistige Natur doch in ganz fremdartige und unverständliche Formen der Äußerung zwingt; endlich mag wirklich das Seelenleben nicht überall gleichartig sein, vielmehr sowohl in der Stärke als in der qualitativen Art seiner Tätigkeiten Unterschiede zeigen, welche die Analogie seiner äußern Erscheinung vielfach stören, ohne gleichwohl die seiner gemeinsamen psychischen Natur aufzuheben.

l16. Aller dieser Gründe hat sich von jeher die Phantasie bemächtigt, wenn sie Spuren des geistigen Lebens außerhalb des Tierreichs suchte, in dem es uns allein deutlich entgegentritt. Man hat nachzuweisen versucht, wie es durchaus nur ein Vorurteil ist, Seelenleben an bestimmte Organisation, namentlich an die des Nervensystems gebunden zu denken. Schon in den niedern Klassen des Tierreichs selbst entfernt sich die Anordnung dieses Systems weit von dem Typus, an den uns die höheren gewöhnt haben. Diesen Meinungen nun müssen wir im Allgemeinen um so mehr Recht geben, je mehr wir schon bisher die Bedeutung des Nervensystems gar nicht darin fanden, dass es die eigentümliche Qualität der geistigen Tätigkeiten erzeugte sondern nur darin, dass es ihnen, die wir als ursprünglichen Besitz der Seele voraussetzen müssen, durch Zuleitung und Kombination von Eindrücken die den äußern Umständen entsprechenden Richtungen geben soll. Die unendliche Mannigfaltigkeit der Wesen kann zu ebenso mannigfacher Verarbeitung der Eindrücke und zu gleich verschiedenartiger Form und Größe der Rückwirkung bestimmt sein; die Anordnung des dienenden Körpers kann daher maßlos verschieden sein, und Nichts hindert den Gedanken an Wesen, die ohne alle ausdrücklichen Organe für die Auffassung und Verbindung von Eindrücken dennoch eine vielleicht wenig verwickelte, aber für den Horizont ihres Seelenlebens genügende Verarbeitung derselben vollziehen. Nehmen wir endlich noch hinzu, dass nicht nur Weite und Mannigfaltigkeit dieses Horizonts, sondern auch Art und Kraft der geistigen Tätigkeit, mit der sie ihn beherrschen, sehr verschieden sein mag, dass also halbbewußtes Träumen, dunkles Fühlen, unwillkürliches Begehren in mancherlei Abstufungen das Seelenleben anderer Geschöpfe bilden kann, so sehen wir ein weites und unbegrenztes Meer der Möglichkeiten vor uns aufgetan.

117. Was haben wir jedoch an dieser Aussicht? Unleugbar sehr wenig, so lange wir sie nicht aus andern Motiven eröffnen und ihr eine schärfere Begrenzung geben. Ein Einfall, dessen ganze Empfehlung darin bestände, dass sein Gegenteil unerweislich wäre, würde wenig Anspruch auf wissenschaftliche Beachtung haben; es ist notwendig, dass wir vorher einen positiven und nicht unwichtigen Beweggrund hatten, auf ihn zu geraten. Wollten wir ferner, um das Seelenleben über die ganze Natur zu verbreiten, uns nicht nur gestatten, von den Organisationsverhältnissen abzusehen, die seine deutlichen Beispiele begleiten, sondern unter seinen Begriff auch das noch subsumieren, was ganz anders geartet, nur unbestimmte und entfernte Analogien mit ihm zeigt, so würden wir in Gefahr sein, den Gegenstand ganz zu verlieren, dessen Vorkommen wir doch nur mit Interesse verfolgen können, so lange er durch alle Verwandlungen einen konstanten Kern unveränderlich bewahrt.

118. Ein Motiv nun, allgemeine Beseelung der Natur vorauszusetzen, haben wir früher schon angedeutet. Ansichten, welche die vorhandene Welt nur empirisch beobachten, konnten das Dasein eines toten Stoffes für den Augenblick möglich finden; versuchten wir jedoch, dem Ganzen der Schöpfung einen zusammenfassenden Gedanken unterzulegen, so konnte er nur in der Realisierung von Gütern liegen, die allein für das geistige Leben und allein in ihm möglich sind. Diese Annahme einer alles umfassenden Teleologie der Welt, in welcher alles Seiende und alle Ereignisse den Grund ihres Daseins haben, schließt allerdings die Möglichkeit nicht aus, dass ein Teil des Vorhandenen sich nur als Mittel zu jenem Zweck verhalte, und selbst blind und bewußtlos der Verwirklichung dessen zudränge, was die geistige Welt zur Vollendung bringen soll. Die Forderung, dass in einer vollkommenen Ordnung der Dinge auch die Mittel an dem Genusse des Zweckes ihren Teil haben müßten, kann, obgleich nicht gewichtlos, doch nicht als hinlängliche Widerlegung jener Möglichkeit gelten. Das Dasein eines toten Stoffes würde mithin noch immer der Vermutung einer allgemeinen Beseelung gegenüber denkbar sein, wenn nicht eben diese Denkbarkeit unabhängig von jener Vermutung zu leugnen wäre. Wie wenig es uns möglich ist, uns in das Innere eines totliegenden Daseins zu versetzen, wie völlig undurchdringlich uns die Art seiner Wirklichkeit ist, haben wir mehrfach zu verdeutlichen gesucht. Wie sehr daher auch die Vorstellung desselben als eine brauchbare Formel uns in unserer Berechnung und Kombination der Ereignisse unterstützen mag, so können wir doch nicht das Zutrauen haben, durch sie etwas objektiv Wirkliches bezeichnet zu haben. Es bliebe uns nur die Wahl, das, worin wir keine Spur des Seelenlebens zu finden glauben, auch nur als eine wesenlose Erscheinung zu fassen, oder eine verborgene Beseelung dennoch in ihm zu vermuten. Die erste oft hervorgezogene Annahme durchzuführen, ist noch keinem Idealismus gelungen; die materielle Welt hat zu viel selbständige Realität, um sich als Geschöpf unserer konstruierenden Phantasie ansehn zu lassen; wir sind daher genötigt, den Grund ihrer Festigkeit in einem geistigen Prinzip zu suchen, das sie belebt, und das allein mit Befriedigung als ein unabhängig Seiendes betrachtet werden kann.

119. Wir fühlen wohl, dass in der leichten Ausführung, die wir diesen Gedanken hier allein zu gehen vermögen, das Gewicht ihrer Gründe wenig hervortritt, und dass sie selbst als Phantasien auf einem Gebiete erscheinen, auf dem es keine Gewißheit gibt. Wäre es möglich, ihnen irgend einen Bereich praktischer Anwendung zu geben, so würden wir die Pflicht haben, sie strenger zu begründen; aber sie sind für uns nicht Grundlagen des Folgenden, sondern Ansichten, die das Gebiet unserer Untersuchungen seitwärts begrenzen. Sie würden jedoch noch unsicherer auftreten, wenn sie eine geringere Allgemeinheit in Anspruch nehmen. Man kann nicht etwa in den Pflanzen, den Lieblingen unserer Phantasie, eine Seele suchen, in den Gesteinen dagegen sich mit dem Dasein des toten Stoffes begnügen. Soll jene Ausdehnung der Beseelung einmal Zutrauen erregen, so darf sie nicht versuchsweis hier und da angenommen, sondern muß grundsätzlich über alles Seiende erstreckt werden. Man muß anerkennen, dass alle die Vorstellungen der Materien und der Kräfte, welche die mechanische Physik zu Grunde legt, nicht Bezeichnungen von Prinzipien, sondern von Resultaten sind, die man auf ihre wahren psychischen Ursprünge noch nicht zurückzuführen vermag. Jene Überzeugung von der alleinigen Realität der geistigen Welt, die schon Empedokles bewog, von Liebe und Haß die natürlichen Ereignisse abzuleiten, und die von Leibnitz unter unserm Volke tiefsinniger erneut worden ist, muß uns dazu treiben, selbst in den Bewegungen und den Tätigkeiten der unbelebten und unorganisierten Materie die verborgene Wirkung geistiger Kräfte vorauszusetzen. Wir gehen in dieser Hinsicht weit über das hinaus, was Fechner über das Seelenleben der Pflanzen behauptete; obwohl wir seiner verschwiegenen Beistimmung vollkommen bewußt sind (Nanna, Leipz. 1848). Vielleicht hat eben durch diese Beschränkung der Frage auf einen Teil der organischen Schöpfung die Ansicht des scharfsinnigen Naturforschers jenen Anschein unprinzipieller und zufälliger Entstehung erhalten, der den physiologischen Lesern mehr ins Auge zu fallen scheint als das wissenschaftliche Interesse der etwas zurücktretenden Gründe seiner Betrachtung.

120. Es würde jedoch nicht hinreichen, einen Beweggrund für die Annahme einer alles umfassenden Beseelung zu besitzen; wir müßten vielmehr auch den Begriff desjenigen festzustellen wissen, was wir durch so verschiedenartige Formen seiner Erscheinung hindurch verfolgen wollen. Jenes Motiv selbst führt uns dazu. Das Endziel des Weltbaues, zu dessen Verwirklichung das geistige Leben berufen ist, kann nur in der Realisierung von Gütern liegen, deren Gegenwart in dem Geiste nur unter der Form des Gefühls denkbar ist. Nennen wir daher das Gefühl als diejenige Tätigkeit des Seelenlebens, die nie erlischt, wenn alle andern Äußerungen desselben nach abwärts in der Reihe der Wesen allmählich verschwinden, so verstehen wir doch unter diesem Namen nicht jene Abschwächung der geistigen Fähigkeiten überhaupt, die man unter dieser Bezeichnung in den niederen Geschöpfen an die Stelle des hellen Bewußtseins höherer treten läßt, sondern wir meinen ausschließlich die Fähigkeit, äußere Anregungen unter der Form der Lust oder Unlust wahrzunehmen. In dieser Umformung des bloß Tatsächlichen in Affektionen, denen ein störender oder begünstigender Wert für die Seele zukommt, kann allein die Aufgabe bestehen, welche sie in Bezug auf die äußere Weit zu erfüllen hat. Erkenntnis dagegen und Strebungen können nur als Vorbedingungen gelten, deren höhere Ausbildung auch einen größeren Reichtum und eine feinere Zeichnung jenes Wohl oder Wehe mit sich führt; an sich aber ist weder die erkennende Auffassung und Abspiegelung eines schon Vorhandenen, noch die bloße Größe des Geschehens und der Veränderung, welche unsere Handlungen erzeugen, ein in seinem Werte so sich selbst affirmirendes Gut, dass wir sie als das letzte Ziel oder als das zuletzt verschwindende Element des geistigen Lebens ansehen dürften. Sofern nun das Gefühl ohne jenes allgemeine Bewußtsein undenkbar ist, welches die geistigen Zustände überall begleitet, werden wir natürlich auch Bewußtsein allem Beseelten zuschreiben müssen, ohne deshalb zu behaupten, dass in ihm eine Anschauung von Objekten enthalten sei, oder dass es sich im Gegensatz zu dieser bis zu der Gestalt eines Selbstbewußtseins steigern müsse. Wäre mithin in einem Atom materieller Masse irgend etwas Psychisches vorhanden, so würden wir nicht notwendig voraussetzen müssen, dass es eine Vorstellung seiner Lage in der Welt habe oder dass die Kräfte, die es ausübt, zugleich von einer Strebung begleitet seien; dies aber müßten wir behaupten, dass es den Druck oder den Stoß, die Spannung oder Ausdehnung, die ihm zugefügt wird, innerlich in Gestalt eines Schmerz - oder Lustgefühles perzipiere.

121. Noch eines haben wir diesem phantastischen Entwurfe hinzuzufügen. Man hat es oft für eine Notwendigkeit des Weltbaues gehalten, dass die unermessliche Anzahl der Grade, in denen man sich psychisches Leben denken kann, auch neben einander realisiert sei, dass mithin das unvollkommenste neben dem Vollkommneren existiere, und die schaffende Kraft sich von ihren ersten dumpfen Versuchen an bis zu der Höhe des vollendeten geistigen Daseins in zugleich vorhandenen und mit einander fortlebenden Produktionen äußere. Wir müssen diese Auffassung wenigstens gänzlich verleugnen. Es kann kein vernünftiger Grund obwalten, neben dem Besseren das Schlechtere zu konservieren, nur damit es auch da sei und nichts von allem Möglichen fehle. Es läßt sich jedoch denken, dass jede an sich untergeordnete Stufe geistiger Tätigkeit, wo sie als unabhängige und höchste Spitze einer besonderen Organisation auftritt, doch einer eigentümlichen Entfaltung fähig wäre, die sie nie erreicht, wenn sie in höheren Organisationen, als abhängiges Glied einer umfassenderen Entwicklung, in ihrer konsequenten und spezifischen Ausbildung gehindert wird. In diesem Falle würde die Koexistenz, des Unvollkommneren neben dem Vollendeteren allerdings eine Vermehrung des qualitativen Reichtums der geistigen Welt enthalten, und unter diesem Gesichtspunkt dürften wir die unendliche Mannigfaltigkeit tierischen Seelenlebens begreifen, dessen jede einzelne Form einen Horizont äußerer Umstände vergeistigt, welcher jeder andern nicht vollständig durchdringlich ist. Aber auch die Verwirklichung des höheren Geisteslebens setzt das Vorhandensein geringerer Entwicklungsstufen nicht als vorangehende dialektische Einleitung, sondern als kausale Bedingung voraus. Die Beweglichkeit und Willkür eines handelnden Geistes ist undenkbar ohne eine an unveränderliche Gesetze des Daseins und Wirkens gebundene Außenwelt und ohne dir Gegenwart eines folgsamen und seinem Dienste unterworfenen Körpers. Verfolgen wir daher den Gedanken einer allgemeinen Beseelung, so erfordert doch der Haushalt der Welt, dass in den materiellen Elementen für die Blüte des geistigen Lebens eine einfache Basis gegeben, und dass ihre psychischen Eigenschaften auf jene Innerlichkeit des Gefühls beschränkt, seien, mit welchem sie ihre Zustände empfinden, oder auf Strebungen, die ihre Rückwirkungen zwar begleiten, sie aber nicht den allgemeinen Gesetzen entziehen können, die alle ihre Handlungen als mechanisch determinierte Folgen erscheinen lassen.