XLI. Prinzipe der sekundären Vorstellungs-Lust und Unlust.

 
    Man kann Vorstellungs-Lust und Unlust in doppeltem Sinne verstehen. Es kann nach früher besprochenen Prinzipien aus gewissen Verhältnissen der Vorstellungen, als denen der Einstimmigkeit und Wahrheit, Einheit und Mannigfaltigkeit u. s. w. Lust, aus gegenteiligen Verhältnissen derselben Unlust primär hervorgehen, wobei Lust und Unlust nicht schon als fertig vorausgesetzt ist, sondern so zu sagen erst dadurch fertig wird.

    Es kann aber auch aus Vorstellungen eigner oder fremder, vergangener oder künftiger Lust und Unlust sekundäre Lust und Unlust erwachsen, wie sich in Hoffnung und Furcht, Mitleid und Mitfreude, Liebe und Haß, beweist; und von diesem Quell der Lust und Unlust soll folgends gehandelt werden, nachdem von der mehr verborgenen Rolle, welche dieser Quell der Lust und Unlust in der ästhetischen Assoziation spielt, schon früher (Abschn. IX.) gehandelt ist. Hier aber haben wir nicht dunkle, verschmolzene, sondern klare, Vorstellungen von Lust und Unlust im Auge.

    Mag man nun auch bestreiten, daß Lust und Unlust überhaupt abstrakt vorstellbar seien, was wir in gewisser Beziehung selbst bestreiten möchten, ohne den reinen Begriff von Lust und Unlust deshalb fallen zu lassen, so hängt daran in unseren folgenden Betrachtungen nichts. Sei Lust und Unlust nur einschließlich oder als Mitbestimmung von etwas, woran sie sich knüpft, solidarisch damit, vorstellbar, so kommt es folgends nur auf das an, was von dieser Mitbestimmung der Vorstellung abhängt, und so hindert nichts, wäre es nur der Kürze halber von Vorstellung der Lust und Unlust statt Vorstellung eines lustvollen oder unlustvollen Zustandes oder Erfolges zu sprechen.

    Von vorn herein nun möchte man leicht geneigt sein zu meinen, daß die Vorstellung eines lustvollen Zustandes oder Erfolges, was wir also als Vorstellung von Lust bezeichnen, überhaupt lustvoll, die Vorstellung eines unlustvollen Zustandes oder Erfolges unlustvoll sei; und dann würden wir ein sehr leichtes Mittel haben, uns durch Vorstellung lustvoller Zustände oder Erfolge in lustvollen Zustand zu versetzen. Aber nicht nur, daß dies Mittel in Wirklichkeit wenig Stich hält, so steht auch entgegen, daß wir uns an vergangenes Glück ebensowohl mit Unlust, daß es vergangen ist, als mit Lust, daß wir es genossen haben, erinnern, und die Lust eines Anderen eben so wohl mit der Unlust des Neides als der Lust der Mitfreude in die Vorstellung aufnehmen können. Wonach der Satz, daß die Vorstellung von Lust stets lustvoll, von Unlust stets unlustvoll sei, nicht einfach zuzugeben ist.

    Inzwischen enthält dieser Satz ein wahres Grundmoment, welches sich dem allgemeinen psychologischen Gesetze unterordnet, daß jede Vorstellung einer bestimmten Empfindung respektive der Umstände, welche eine solche für uns mitgeführt haben, um so sicherer einen Abklang dieser Empfindung ins Bewußtsein ruft, je lebhafter die Vorstellung ist, indes dieser Abklang bei nicht hinreichend lebhafter Vorstellung unter der Schwelle bleiben kann. Dies gilt dann auch von der Vorstellung der Lust und Unlust, und beweist sich u. a. darin, daß sich unsere Phantasie allgemein gesprochen lieber lustvolle als unlustvolle Zustände vorstellt, gleichviel ob ihnen etwas in Wirklichkeit entspricht, und der Mensch eben so allgemeingesprochen lieber Freude als Leid um sich sieht, auch wenn er selbst persönlich nicht dabei interessiert ist. Ja, das ästhetische Assoziationsprinzip hat wesentlich darauf zu fußen, daß die Assoziation des Lustvollen oder Unlustvollen selbst lustvoll oder unlustvoll ist. Aber außer diesem Grundmoment, was ich kurz so nenne, kommt ein anderes Moment wesentlich in Betracht, was ich die Vorstellung des positiven oder negativen Bezuges der Lust oder Unlust zu uns, oder kurz das Bezugsmoment der Vorstellungslust und Unlust nennen will, ein Moment, was ebensowohl gleichsinnig als widersinnig mit dem Grundmoment sein kann, und in der Regel dessen Leistung überbietet, so daß sich allgemeingesprochen das Dasein des Grundmomentes nur in dem oben besprochenen Vorwiegen einer gewissen Richtung der ästhetischen Erfolge beweisen kann.

    Das Gesetz oder Prinzip, um was es sich dabei handelt, ist dieses.

    Der Gedanke an unsere eigene Lust ist lustvoll oder unlustvoll, je nachdem dabei der positive Gesichtspunkt überwiegt, daß wir sie gehabt haben, haben, haben können, haben werden, oder der negative, daß wir sie nicht mehr haben; noch nicht haben, nicht haben können, nicht haben werden, wofür ich nun eben den Ausdruck brauche, je nachdem wir sie in positivem oder negativem Bezuge zu uns denken. Bei Unlust entsprechend in umgekehrtem Sinne. Daran hängt überhaupt die Lust der Hoffnung und die Unlust der Furcht, die Lust einem lustvollen Ziele zuzuschreiten, und die Unlust sich eine Lust zu versagen oder im Erreichen derselben gehemmt zu werden, die Lust der Vorfreude und die Unlust des Nichterwartenkönnens, die Lust der Erinnerung an genossenes Glück und überstandene Leiden, und die Trauer, daß ein Glück vergangen sei, so wie Unlust, sich in vergangene Leiden zu versenken, endlich der leicht eintretende Wechsel zwischen Lust und Unlust bei Erinnerungen an Lust oder Unlust, den wir elegisch nennen, wenn sich die Unlust durch ein Übergewicht der Lust versöhnt.

    Das Grundmoment der Vorstellungslust und Unlust macht sich dabei nur darin geltend, daß wir doch im Ganzen mehr Genuß darin finden, uns der Freuden zu erinnern, die wir gehabt haben, als der Leiden, die wir nicht mehr haben. Zwar könnte man sagen wollen, dies rühre daher, daß mit der lustvollen Vorstellung, die Leiden nicht mehr zu haben, die unlustvolle, sie doch gehabt zu haben, leicht in Konflikt und Wechsel auftrete, und den Genuß mindere, und man wird das Tatsächliche davon nicht bestreiten können; aber eben so gut kann mit der Vorstellung, ein Glück gehabt zu haben, die Vorstellung, es nicht mehr zu haben, in Konflikt und Wechsel auftreten, und den Genuß mindern; doch behält die Bewegung in Lustvorstellungen letztenfalls einen Vorteil vor der Bewegung in Unlustvorstellungen erstenfalls voraus, der keine andere Erklärung zulassen dürfte, als daß Lustvorstellungen an sich im Sinne der Lust, Unlustvorstellungen im Sinne der Unlust sind, während von anderer Seite dies Prinzip nicht hinreichen würde, die Möglichkeit einer Lust in der Erinnerung an vergangene Leiden überhaupt zu erklären.

    Man kann überhaupt leicht scheinbare Widersprüche gegen das vorige Prinzip finden, die bei etwas näherem Zusehen schwinden. Wir können recht wohl ohne Unlust daran denken, daß uns diese oder jene Lustquelle versagt ist, also in negativem Bezuge zu uns steht; aber dann ist es entweder für uns keine Lustquelle, oder ihre Erreichung kommt in Konflikt mit Bedingungen, auf die sich die positive Erhaltung unseres Lustzustandes im Übrigen gründet, oder überhaupt mit anderen überwiegenden Lustbedingungen.

    Ob bei dem Gedanken an unsere eigene vergangene oder zukünftige Lust oder Unlust der positive oder negative Bezug überwiegt, hängt im Allgemeinen an Bestimmungsgründen, die in unserem übrigen Vorstellungskreise liegen, und läßt sich einer Obmacht dieser Bestimmungsgründe gegenüber nicht erzwingen, daher das Glück der Vorstellungslust nicht erzwingen. Wenn wir wissen, daß eine Lust für uns nicht erreichbar ist, so kann sich der positive Vorstellungsbezug, daß wir sie haben werden, nicht geltend machen; und sind wir überhaupt im Zuge unlustvoller Vorstellungen begriffen, so wird sich auch die Vorstellung an vergangenes Glück leichter mit der Unlust, daß wir es nicht mehr haben, als der Lust, daß wir es gehabt haben, diesem Zuge einfügen. Der Umstand selbst aber, daß es uns lustvoller ist, zu hoffen als zu fürchten, überhaupt den positiven vor dem negativen Bezuge der Lust zu bevorzugen, macht, daß wir jene wirklich im Allgemeinen bevorzugen, wo keine oder nur verhältnismäßig schwache gegenwirkende Momente vorhanden sind, begünstigt unsere Hoffnungen, bestimmt unsere Antriebe, und spielt eine wichtige Rolle in unseren religiösen Glaubensansichten, indem wir im Allgemeinen vorziehen, das zu glauben, was uns am meisten zusagt zu glauben, so lange nur eben keine überwiegenden Gegenmotive sich geltend machen; ja selbst starke theoretische Gegenmotive können dadurch überboten werden.

    Zwar gibt es Melancholiker und Pessimisten, welche Alles schwarz sehen oder den Glauben an eine schlechte Weltordnung vorziehen. Aber bei dem Melancholiker werden die Vorstellungen von seinen unlustvollen subjektiven Empfindungen mit infiziert, und der Pessimist ist, meist durch traurige Erfahrungen, die er selbst gemacht oder die seine Aufmerksamkeit vorzugsweise in Anspruch genommen, zu seiner ungünstigen Ansicht von der gesamten Wellordnung geführt worden. Beidesfalls liegt ein Konflikt vor, in welchem das Grundmoment der Vorstellungslust den Kürzeren zieht.

    Handelt es sich um die Vorstellung der Lust oder Unlust Anderer, so kommen unstreitig verwickelte psychologische Momente ins Spiel. Teils das Grundmoment der Vorstellungs-Lust und Unlust, vermöge dessen wir überhaupt lieber Glück als Unglück um uns sehen, teils das Bewußtsein oder Gefühl, daß unser Wohl und Wehe mit dem von Anderen zusammenhängt, in welcher Hinsicht das Gesetz gilt, daß wir Lust und Unlust respektiv an der Lust und Unlust dessen haben, dessen Dasein zu unseren eigenen Lustbedingungen gehört, umgekehrt bezüglich dessen, dessen Dasein zu unseren Unlustbedingungen gehört, Gefühle, die in der Liebe, dem Haß, der Rache ihre Rolle spielen. Endlich kann uns in früher besprochener Weise (Abschn. XXXVII. Pkt. 2) der Kontrast unserer Lust oder Unlust mit der größeren oder kleineren Lust oder Unlust Anderer in der Art beschäftigen, daß daraus ein sekundärer Zuwachs unserer eigenen Lust oder Unlust hervorgeht.

    Wie ist die Lust so Mancher an der Grausamkeit zu erklären? Einmal kann dem Grausamen die Qual Anderer nur in negativem Bezuge zu ihm selbst und sein eigener leidloser Zustand in Kontrast damit erscheinen; hat doch der Grausame selber nicht die Qual, der Andere hat sie. Doch darauf kommt vielleicht hierbei nicht viel an; zweitens aber kommt hier die Lust an starken rezeptiven Erregungen, wovon wir früher gesprochen, in Betracht; so daß es grausame Menschen gegeben, die ohne Haß und Rache ihre Lust an der Qual Anderer gefunden haben.