XXXVII. Prinzip des ästhetischen Kontrastes, der ästhetischen Folge und Versöhnung.

 
 
  1. Prinzip des ästhetischen Kontrastes.

  2.  
    Wenn quantitativ oder qualitativ verschiedene Empfindungsreize in solchem Zusammenhange einwirken oder die Vorstellung beschäftigen, daß ihr Unterschied auch wirklich als Unterschied ins Bewußtsein tritt, so hängt daran eine Wirkung, welche nicht als Summe der Einzel Wirkungen erklärt werden kann, sondern zu dieser Wirkung als eine, die Einzelwirkungen zugleich übersteigende und abändernde, Wirkung hinzutritt, die wir hier kurz und allgemein als Kontrastwirkung bezeichnen, wenn schon im gewöhnlichen Sprachgebrauche bloß Wirkungen dieser Art, welche von starkem Gegensätzen abhängen, so bezeichnet zu werden pflegen. So übt schon rücksichtslos auf ästhetische Mitbestimmung der Gegensatz von Schwarz und Weiß, Rot und Grün eine Wirkung auf das Auge, die nicht als Summe der Wirkungen erklärt werden kann, welche Schwarz und Weiß, Rot und Grün für sich zu äußern vermöchten, und vermöge deren das Schwarz schwärzer, das Weiß weißer, das Rot röter, das Grün grüner erscheint, als für sich betrachtet. So erscheint ein großer Mann einem Riesen und vollends einem Volk von Riesen gegenüber klein, ein kleiner Mann einem Zwerge oder Zwer-genvolk gegenüber groß. Aber nicht diese abändernde Wirkung auf den Eindruck der einzelnen Reize allein kommt hierbei in Betracht, sondern der Gegensatz wirkt mit der Kraft eines eigentümlichen Reizes, wodurch der Geist in einer Weise beschäftigt wird, wie es durch keinen einzelnen Reiz geschehen kann.

    Was nun in dieser Beziehung von ästhetisch indifferenten Reizen gilt, gilt auch von ästhetisch differenten, so daß man im Allgemeinen sagen kann: das Lustgebende gibt um so mehr Lust, je mehr es in Kontrast mit Unlustgebendem oder weniger Lustgebendem tritt, wozu ein entsprechender Satz für das Unlustgebende tritt. Und der empfundene oder vorgestellte Gegensatz selbst beschäftigt dabei die Seele in eigentümlicher Weise.

    Jedes Kunstwerk gewinnt, wenn wir es mit minder vollendeten Kunstwerken derselben Art oder Gattung vergleichen, und verliert, wenn wir es mit vollkommneren vergleichen. Kenner, welche die Kunst in ihrer Entwicklung verfolgen, können großes Gefallen an sehr unvollkommenen Kunstwerken finden, indem sie den Fortschritt gegen die früheren unvollkommneren in Betracht ziehen, indes Nichtkenner, welchen die historische Beziehung nicht geläufig ist, sie rücksichtslos darauf nach dem Vergleiche mit den jetzigen vollkommneren Kunstwerken mißfällig finden.

    Jedoch bedarf es zum wirklichen Hervortreten einer Kontrastwirkung im angegebenen Sinne der Erfüllung dreier Bedingungen: a) der Unterschied der Faktoren des Kontrastes wie die Empfänglichkeit für die Auffassung des Unterschiedes und die Aufmerksamkeit darauf muß eben so eine gewisse Schwelle übersteigen, als für den einzelnen Faktor. Kurz, das in Th. I. besprochene Schwellengesetz tritt auch hier in Kraft, b) Die beiden Faktoren müssen nicht schlechthin unvergleichbar sein, vielmehr tritt die Kontrastwirkung nach Maßgabe stärker ein, als die Faktoren abgesehen von dem kontrastierenden Momente gleicher sind, sofern hiermit eine stärkere oder ungestörtere psychische Beziehung zwischen ihnen vermittelt wird. c) Bei sukzessiven Eindrücken kann die Kontrastwirkung sich bloß an dem zweiten, nicht dem ersten, äußern.

    Vom Umstande b) hängt ab, daß ästhetische wie nicht ästhetische Kontrastwirkungen zwar im Gebiete der Farben wie Töne; aber nicht zwischen Farben und Tönen auftreten, und uns ein schlechtes Bild zwar um so mehr mißfallen kann, wenn wir es mit einem guten Bilde, aber nicht, wenn wir es mit einer guten Musik vergleichen. Zur Erläuterung von c) kann die Erinnerung dienen, daß eine Pause in einer rauschenden Musik einen starken Eindruck der Stille durch ihren Kontrast mit dem vorherigen Rauschen machen kann, der ohne das vorherige Rauschen gefehlt haben würde, ohne aber auf einen verstärkten Eindruck des vorigen Rauschens rückwirken zu können.

    Unser Prinzip kann scheinbare Ausnahmen erleiden. Wenn ich eine süße Speise genieße, die mir wohl schmeckt, und nachher eine noch süßere, die mir noch besser schmeckt, so wird doch durch den vorgängigen Genuß der minder süßen die Empfänglichkeit schon in gewisser Weise abgestumpft sein, und der zweite Genuß durch das Vorausgehen des ersten schwächeren nicht gewachsen sein, sondern abgenommen haben; aber das ist Sache einer Komplikation des Gesetzes der Abstumpfung mit dem Gesetze des Kontrastes. Hatte ich statt des Genusses einer minder süßen Speise den einer gleich süßen vorausgehen lassen, so würde die Schwächung des zweiten Genusses sogar noch größer gewesen sein, nicht nur weil die Abstumpfung durch den ersten dann noch größer sein würde, sondern auch, weil der Kontrast wegfiele; und wäre gar die süßere Speise vorangegangen, so würde sich die verstärkte Abstumpfung mit der Kontrastwirkung zur um so größeren Schwächung des zweiten Genusses vereinigen. Einer entsprechenden Analyse des Erfolges wird es überall bedürfen, wenn ein schwächerer und stärkerer Genuß sich in einer oder der anderen Richtung folgen.

    Ein ästhetischer Kontrast zwischen unserem eigenen Lustzustande und dem Lustzustande eines Anderen sowie zwischen unserem jetzigen und einem vergangenen oder künftigen Lustzustande kann durch die Vorstellung vermittelt werden, die wir von dem Zustande des Anderen oder von dem eigenen Lustzustande anderer Zeit haben. Hierbei gewinnen oder verlieren wir allgemein an Lust, je nachdem wir die Lust, die wir selbst haben, mit einer geringem oder größeren Lust Anderer vergleichen, oder die Lust, die wir jetzt haben, mit einer geringeren oder größeren Lust, die wir gehabt haben, vergleichen, was sich leicht in einen entsprechenden Satz für Unlust übersetzen läßt. Auch bei diesem Gesetze aber muß Komplikationen Rechnung getragen werden, wie solche namentlich von Liebe oder Haß gegen Andere abhängen können.

    Hiernach trägt zu unserem Glücke das Bewußtsein bei, daß wir glücklicher als Andere sind, und fühlen wir unser Elend weniger im Hinblick auf das noch größere Elend Anderer, sofern nicht ein Gefühl der Liebe oder des Erbarmens gegen Andere, was mit Kontrastwirkung nichts zu schaffen hat, einen Konflikt bedingt; wir empfinden hingegen unser Glück weniger, wenn wir uns mit Glücklicheren vergleichen, und unser Elend stärker, wenn wir es gegen das geringere Elend Anderer halten. Die Erinnerung an vergangene Leiden trägt bei, das Glück der Gegenwart stärker empfinden zu lassen, die Erinnerung an vergangene Freuden, das Gefühl jetziger Freudlosigkeit zu verschärfen; nur muß der Vergleich des jetzigen Zustandes mit dem früheren wirklich gezogen werden, sonst kann man sich ja auch, wenn der jetzige keine Freuden bietet, durch Versenkung in vergangene Freuden noch mehr oder weniger Genüge verschaffen.

2) Prinzip der ästhetischen Folge.

    Vom vorigen Prinzip hängt das folgende ab.

    Vergleicht man zwei Fälle, die in nichts weiter abweichen, als daß dieselben ungleichen Lust- oder Unlustquellen a, b in entgegengesetzter Zeitfolge kontrastierend eintreten, so findet man einen großen Unterschied im ästhetischen Erfolge, sofern bei der Fortschrittsrichtung von kleinerer zu größerer Lust oder von größerer zu kleinerer Unlust, nennen wir sie kurz die positive, das gesamte Lustresultat größer oder Unlustresultat kleiner ist, als bei der umgekehrten negativen Fortschrittsrichtung, was man, wenn man will, so repräsentieren kann, daß durch die positive Fortschrittsrichtung eine sekundäre Lust, durch die negative Richtung eine sekundäre Unlust entsteht, welche das mittlere Resultat beider Fälle vergrößert oder verkleinert, ja selbst eine Umkehr desselben bewirken kann. Hierbei kann sich die Folgewirkung der ersten auf die zweite Quelle entweder unbewußt oder auch durch bewußte Erinnerung forterstrecken. In jedem Falle aber muß man, um das Gesetz unter allen Umständen bestätigt zu finden, von der schon oben besprochenen Komplikation abstrahieren, welche darin liegt, daß durch den ersten Reiz die Empfänglichkeit für den zweiten von gleichem Sinne in gewisser Weise abgestumpft, für einen solchen von entgegengesetztem Sinne in gewisser Weise erhöht ist.

    Wie leicht ersichtlich, hängt dies Gesetz so mit dem vorigen zusammen. Sei es, daß Lust oder Unlust zuerst eintritt, so kann sie nicht den vom Kontrast mit der folgenden Lust oder Unlust abhängigen steigernden oder vermindernden Einfluß erfahren, wohl aber ist dies bei der später eintretenden bezüglich der früher eintretenden der Fall, vorausgesetzt, daß die oben angegebenen Bedingungen der Kontrastwirkung überhaupt erfüllt sind, was hier überall vorausgesetzt wird. Geht nun größere Lust voran, und folgt kleinere Lust oder gar Unlust nach, so wird eine Abminderung der zweiten Lust oder Verstärkung der Unlust durch den Kontrast mit der ersten größeren Lust stattfinden; ist die Folge umgekehrt, so wird die erste kleinere Lust unvermindert oder erste Unlust unverstärkt eintreten, die zweite größere Lust aber durch den Kontrast damit verstärkt.

    Im Sinne des jetzigen Gesetzes ist es, daß zu Gebote stehende Genußmittel, seien es sinnliche oder höhere geistige, vielmehr im positiven als negativen Sinne des Fortschrittes zu verwenden sind, also nicht der stärkere sondern der schwächere Genuß vorweg zu nehmen ist, und daß, wenn Jemandem etwas Unangenehmes und etwas Angenehmes zu erzeigen ist, das Erstere nicht das Letztere vorauszugehen hat.

    Im Falle der Steigerung eines Genußmittels ist es zweckmäßig, die Steigerung weder zu früh noch zu spät eintreten zu lassen; denn eine momentane oder sehr kurze Dauer eines Genusses hinterläßt überhaupt keinen erheblichen und nachhaltigen Kontrasteindruck mit dem spätern, indes ein lange fortgesetzter, wenn auch schwacher, Genuß eine Abstumpfung oder Übersättigung, hiermit einen Erfolg begründet, wodurch der nachherigen Verstärkung Abbruch geschieht.

    In Rücksicht des Vorstehenden gibt man bei einem Gastmale die feineren edleren wohlschmeckenderen Weine nicht zuerst, sondern zuletzt; und zwar erst, nachdem die geringeren Weine eine Weile ihre Wirkung getan haben, indes es nicht rätlich sein würde, jene bis zur Abstumpfung der Genußfähigkeit für diese zu verschieben; denn danach leisten die schlechten Weine fast so viel als die besten; und hierauf scheint die bekannte Äußerung des Kellermeisters bei der Hochzeit zu Cana gezielt zu haben. Daß doch ein Glas starken edlen Weines als Madera, Portwein, mancher Orten (so in den deutschen Ostseeprovinzen Russlands) sogar Liqueure den Eingang der Tafel machen, hat teils nur den Nebenzweck, den Appetit zu reizen, daher auch keine Wiederholung stattfindet; teils weicht der Geschmack und Reiz davon so weit von dem der übrigen bei der Tafel gebotenen Weine ab, um in die Kontrastfolge derselben nicht wesentlich störend einzugreifen.

    Graf Algarotti hatte in Venedig für den Kurfürsten von Sachsen eine Anzahl Gemälde, welche noch jetzt die Dresdener Gallerie zieren, darunter als Hauptstück die Holbeinsche Madonna, angekauft, und berichtet in seinen Briefen über diesen Ankauf 1), "wie die Künstler Venedigs zu ihm wallfahrten, um dies herrliche Werk zu sehen, und daß er ihnen seine Carlo Maratti’s und Bassano’s klüglich vorher gezeigt habe, um sie dann, wie man den Tokayer-wein zuletzt gibt, mit dem süßesten Geschmack im Munde, mit dem Anblick der Maria Holbeins zu entlassen." Algarotti brachte also hier bezüglich eines Kunstgenusses dasselbe Prinzip in Anwendung, was allgemein bei Tafelgenüssen angewandt wird, und macht selbst die Analogie beider Fälle geltend.

        1) Hübner's Einleitung z. Verz. der Dresdner Gem. Gall.

    Es kann jemand dem Anderen zu Weihnachten oder zum Geburtstage einmal ein kleineres, ein anderesmal ein größeres Geschenk machen; aber welcher Unterschied im Resultate, ob das größere oder kleinere vorangeht oder folgt. Folgt das größere, so wird der Empfänger von dem Zuwachse freudig überrascht sein, folgt das kleinere, so wird er das, was demselben zum größeren fehlt, so zu sagen von seinem Werte selbst noch abziehen, und es kann sein, daß durch diesen Abzug das Gefühl des Werts selbst überboten wird, d. h. daß der Empfänger sich über die Verkleinerung des Geschenks mehr ärgert, als über das Geschenk selbst freut.

    Auf Reisen durch schöne Gegenden tut man allgemeingesprochen nicht wohl, die schönsten zuerst zu besuchen, indem jeder Zuwachs der Schönheit auf der Reise als Gewinn, jede Abnahme als Verlust empfunden wird; ja es kann geschehen, daß man nach dem Genusse, den man von vorn herein an den schönsten Gegenden gehabt, auf der übrigen Reise sich bei Gegenden langweilt, die man bei umgekehrter Anordnung der Reise mit wachsendem Genusse gesehen haben würde. Dabei ist allerdings gegenzuerwägen, daß man zum stärksten Genusse nicht mehr mit frischer Empfänglichkeit gelangt, wenn man ihn bis zuletzt verschiebt, und, wo es überhaupt nur darauf ankommt, einen Genuß konzentriert in größtmöglicher Stärke zu haben, wird man vielmehr mit demselben anfangen müssen, weshalb man auch wohl die Regel gibt, beim Heransteigen zu einer schönen Aussicht sich nicht eher umzukehren, als bis man zu dem günstigsten Punkte gelangt ist, wobei die Voraussicht auf diesen Gipfelpunkt des Genusses uns über die Genußleere des Ansteigens hinweghelfen kann, indes das Wiederherabsteigen uns erschöpft findet und langweilt, so daß wir nur so bald als möglich wieder unten sein möchten.

    Insoweit wir nun überhaupt im Stande sind, den Lustreiz nach frischestem Genusse desselben mit anderen heterogenen zu wechseln, die wir mit neuer Frische aufnehmen, kann die Regel, mit dem stärksten Genusse zugleich zu beginnen und aufzuhören, im Rechte sein; aber zumeist sind wir genötigt, in demselben Kreise ästhetischer Einwirkungen mehr oder weniger zu verharren, und dann wird der Fortschritt im Sinne der Steigerung der Lust immer den Vorzug vor dem Fortschritte im Sinne der Minderung verdienen.

    Der genesende Kranke, der aus seiner Armut sich heraushelfende Arme kann noch sehr krank oder arm sein und hiermit den daran geknüpften Unlustbedingungen unterliegen; aber das ihn beständig begleitende Gefühl oder Bewußtsein, daß sein jeweiliger Zustand besser als der frühere ist, kann eine Lust mitführen, welche die an jenen Bedingungen hängende Unlust nicht nur kompensiert, sondern überbietet, indes das Bewußtsein oder Gefühl des Kränkerwerdens, des Ärmerwerdens einen entsprechenden Zuwachs sekundärer Unlust mitführt.

  1. Prinzip der ästhetischen Versöhnung.
    Nur als ein besonderer Fall des vorigen Prinzips anzusehen, ist das sehr wichtige Prinzip der ästhetischen Versöhnung, was sich so erläutert. Nach vorigem Gesetze kompensieren sich zwei Reize, deren einer an sich eben so lustgebend als der andere unlustgebend ist, doch nicht in ihrer ästhetischen Wirkung, wenn sie so nach einander einwirken, daß ihr Kontrast zur Geltung kommen kann, sofern je nach ihrer Aufeinanderfolge eine sekundäre Lust oder Unlust in Überschuß über das mittlere Resultat erwächst; ja es kann selbst ein an sich unlustvoller Reiz durch einen folgenden an sich schwächeren Lustreiz vermöge dieser sekundären Wirkung kompensiert oder überboten werden, wofern nur der Unlustreiz nicht von zu großer Stärke oder Dauer war. Die gesamten Fälle nun, wo eine Ursache der Unlust durch eine folgende oder als folgweis vorgestellte, damit kontrastierende Ursache der Lust, der ästhetischen Wirkung nach kompensiert oder überwogen wird, begreifen wir kurzer allgemeiner Bezeichnung halber unter dem Ausdrucke der ästhetischen Versöhnung, wenn schon bisher dieser Ausdruck vorzugsweise nur in den höheren Gebieten der Ästhetik, insbesondere Kunstlehre, Anwendung gefunden hat. Es liegt nämlich bei der für die Kunst bestellenden Schwierigkeit, sich im Kreise bloßer Lustreize zu halten, da solche nicht leicht unabhängig von Unlustreizen bestehen, und bei der Anforderung, die Abstumpfung der Empfänglichkeit für eine Kontinuität der Lustreize zu verhüten, eines der wirksamsten Hilfsmittel der Kunst darin, Unlustquellen in Bezug zu Lustquellen so anzuordnen, daß das Prinzip ästhetischer Versöhnung in Kraft tritt, und das Gesamtresultat des Eindruckes mit Lustübergewicht bestimmt.

    Beispiele der ästhetischen Versöhnung sind, wenn ein disharmonischer Akkord durch einen harmonischen aufgelöst wird oder in einem Roman ein uns Teilnahme erweckender Held durch an sich unlustvolle Wechselfälle zu einem glücklichen Ziele geführt wird. Dieselben Akkorde oder Ereignisse in umgekehrter Folge würden vielmehr eine unlustvolle als lustvolle Wirkung mitführen. Nun kann nicht jeder disharmonische Akkord durch jeden beliebigen harmonisch aufgelöst noch ein erzähltes unlustvolles Ereignis durch ein darauf erzähltes beliebiges lustvolles versöhnt werden, sondern es kommt hierbei die zweite der (s. o.) angeführten Bedingungen in Mitrücksicht, wonach eine Kontrastwirkung nach Maßgabe leichter und stärker entsteht, als die psychische Beziehung zwischen den Faktoren des Kontrastes abgesehen von den kontrastierenden Momenten durch Gleichheitspunkte mehr erhalten bleibt.

    Faktisch schließen Trauerspiele sowie viele Romane statt mit einem lustvollen vielmehr mit einem traurigen Ereignisse ab; und doch können wir uns im Ganzen dadurch befriedigt finden; aber es wird nur der Fall sein, wenn sie ein wirklich versöhnendes Moment im Hinblick auf die göttliche Gerechtigkeit oder Gerechtigkeit der Weltordnung, welche Quellen der Unlust mit Strafen entgegentritt, enthalten; sonst wird die Lust, die wir immerhin an der Beschäftigung mit den wechselvollen Ereignissen und dem Konflikt der Charaktere gefunden haben können, schließlich einen unlustvollen Nachklang hinterlassen; und ein trauriger Abschluß ohne irgend ein Moment der Versöhnung bleibt überhaupt gegen die Regeln der Kunst.

    In sofern eine metaphysische Unmöglichkeit vorzuliegen scheint, daß überhaupt Quellen der Lust ohne solche der Unlust in der Welt bestehen, kann man bemerken, daß die Weltordnung dasselbe Prinzip schließlicher Versöhnung, was die Kunst einhält, nicht minder einhält; wenigstens erscheint es jedem so, der nicht Pessimist ist. Eine Symphonie, in der sich eine Disharmonie nach der anderen auflöst, ist deshalb das schönste Bild einer Weltordnung, wie wir glauben dürfen, daß sie im Ganzen und Großen besteht, nachdem wir von der Tendenz dazu schon genug in unserem engen Erfahrungskreise beobachten können.

    Sehr wesentlich kann die ästhetische Versöhnung eines Unlusterfolges durch die vorweg genommene (unter das später zu betrachtende Prinzip der Vorstellungslust gehörige) lustvolle Vorstellung des späteren Lusterfolges unterstützt werden, so daß die schließliche Versöhnung nur als der endliche Abschluß und die volle Erfüllung einer schon teilweise durch diese Voraussicht bewirkten Kompensation, die sogar nicht selten bis zur Überkompensation geht, erscheint. So kann der Hungrige oder Durstige durch die Voraussicht des Lustgefühles der Stillung des Hungers oder Durstes schon während des Hungers oder Durstes selbst mit einem mäßigen Grade desselben hinreichend zur Kompensation der Unlust versöhnt werden, ja sich seines Hungers oder Durstes freuen, und die Lust der endlichen Stillung nur als Abschluß dieser Versöhnung in einer letzten Steigerung derselben empfinden, indes der endliche Fehlschlag der Stillung durch den Fehlschlag dieser Voraussicht nur um so unlustvoller wird. So setzen wir bei Kunstwerken nach den allgemeinen Zwecken der Kunst im Allgemeinen schon voraus, daß alle ins Spiel gebrachten an sich ungünstigen Eindrücke einer zufriedenstellenden Lösung entgegengehen, und versöhnen sie hierdurch schon unmittelbar, wodurch es möglich wird, daß wir überhaupt Kunstwerke trotz des Unterlaufens solcher Eindrücke mit fortgehendem Lustübergewicht verfolgen können, bei schließlich fehlendem versöhnenden Abschlusse aber um so unbefriedigter davon bleiben.