XXXV. Beitrag zur ästhetischen Farbenlehre.

    In Th. I. S. 100 ff. ist bei Gelegenheit des ästhetischen Assoziationsprinzips der assoziative Eindruck der Farben besprochen worden. Fügen wir hier noch eine Ergänzung in Betreff des direkten Eindruckes der Farben, und des direkten so wie assoziativen von Weiß und Schwarz hinzu.

  1. Vom direkten Eindrucke der Farben.
    Unstreitig machen die Farben abgesehen von aller assoziierten Bedeutung schon durch eine angeborene Beziehung zu unserer Empfindung einen eigentümlich verschiedenen, von uns als direkt bezeichneten, Eindruck, teils je nach der verschiedenen Stärke, teils verschiedenen Art, womit sie das Auge und durch das Auge die Seele dahinter erregen. Hierdurch aber können sie uns teils unmittelbar ästhetisch affizieren, teils durch Mitbestimmung andersher vermittelter ästhetischer Eindrücke auf den Charakter derselben Einfluß gewinnen.

    Nun kann der Eindruck jeder Farbe durch Zusammenstellung derselben mit anderen mitbestimmt werden; aber es wäre doch nicht triftig zu sagen, daß jede Farbe ihre charakteristische Wirkung auf die Empfindung bloß ihrer Zusammenstellung mit anderen verdanke; vielmehr kann man sich bis zu gewissen Grenzen Rechenschaft geben, was jede nicht sowohl vermöge der Kombination mit anderen, als vergleichungsweise mit anderen wirkt, und in die Kombinationen, in die sie eingeht, als ihr Eigentum mitnimmt, indem man teils zusieht, welch’ verschiedenen Eindruck jede macht, wenn sie das Gesichtsfeld in großem Übergewicht füllt, teils wie verschieden sich jede auf gleich weißem oder schwarzen Grunde verhält, teils was sich vom Eindruck jeder Farbe konstant beim Eingehen in die verschiedensten Zusammenstellungen erhält. Insoweit sich nun so die Wirkungen der verschiedenen Farben vergleichen lassen, soll es hier geschehen, ohne Rücksicht eben so auf assoziative Mitbestimmung, als auf Kontrastwirkungen und Farbenharmonien, welche aus Zusammenstellung der Farben hervorgehen 1).

1) In Betreff solcher wird man Belehrung finden in: Brücke’s "Physiologie der Farben." Leipzig 1866.
 
 
    Hiernach können wir an jeder Farbe zwei Seiten direkter Wirkung unterscheiden. Die eine ruht in der Empfindung der Helligkeit, die sie erweckt; schreibe schwarze Buchstaben auf farbiges Papier oder farbige Buchstaben (mit Deckfarbe) auf schwarzes Papier, je heller die Farbe, so leichter wirst du die Schriftzüge vermöge ihres Abstiches davon lesen; das ist ein Maßstab, der allen Farben gemein ist, und wonach sich jede Farbe unter gleicher Beleuchtung minder hell als Weiß zeigt, indes jede selbst noch mehr oder weniger hell oder dunkel als die andere erscheinen kann. Die andere Seite liegt im Charakter der Farbe, worin jede Farbe von der anderen spezifisch oder qualitativ abweicht. Auch von dieser Seite her aber kann das Auge und dadurch die Seele stärker oder schwächer erregt werden; wie denn Rot bei gleicher Helligkeit intensiver erregend wirkt, als jede andere Farbe. Kurz kann man sagen: Farbenreiz ist etwas Anderes als Helligkeitsreiz. Käme Erregung Seitens der Helligkeit allein in Betracht, so müßte man erwarten, da jede Farbe bloß einen Bruchteil des weißen Lichtes enthält, an Helligkeit also bloß einer gewissen Stufe des Grau gleicht, daß auch ihr Reiz auf die Seele nicht stärker wäre, als der Reiz dieses Grau; dem widerspricht aber die Erfahrung. Vielmehr läßt sich behaupten, daß unter einer, den Farben und dem Weiß gleichen, Beleuchtung, — und gleiche äußere Beleuchtung ist überhaupt zur Vergleichbarkeit der Wirkung verschiedener Farben vorausgesetzt — der Sinn durch jede nicht zu dunkle Farbe sogar stärker angeregt, beschäftigt wird, als durch das doch hellere Weiß, so lange dasselbe nicht durch Glanz (spiegelnde Zurückwerfung) verstärkt und gehoben ist, vollends also mehr als durch ein mit der Farbe gleich helles Grau. Man vergleiche z. B. den Eindruck eines farbigen Kleides, einer farbigen Wand mit dem eines grauen Kleides, einer grauen Wand unter denselben Beleuchtungsverhältnissen.

    Den Grund davon kann man darin finden, daß das Weiß und Grau mit dem Gleichgewicht der darin verschmolzenen Farben wirken, indes jede Farbe mit ihrem eigentümlichen Reize unkompensiert in das Auge greift. In der Tat aber zeigen Farben, die sich im Zusammentreffen zu Weiß ergänzen, sog. Ergänzungsfarben, wie Rot und Blaugrün, Orange und Grünblau, Gelb und Ultramarinblau, Grüngelb und Violet, je nach ihrer größeren Nähe am mindest brechbaren oder am brechbarsten Ende des Spektrum, unmittelbar einen gewissen Gegensatz des Charakters, wovon unten zu sprechen; und so haben wir mit, den Farben im Gebiete des Gesichtssinnes einen analogen Fall, als mit chemisch differenten Stoffen im Gebiete des Geschmackssinnes. Das aus Ergänzungsfarben zusammengesetzte Weiß verhält sich zum Gesicht wie das aus Säure und ätzendem Alkali zusammengesetzte Salz zum Geschmack. Der Geschmack der Säure und des Alkali ist im Salze zur Indifferenz aufgehoben, und so schmeckt das Salz viel weniger stark als die Säure und das Alkali, woraus es besteht, doch noch viel stärker als reines Wasser. Eben so ist im Weiß der Farbengegensatz geschwunden; doch reizt es das Auge immer noch viel stärker als das lichtlose Schwarz.

    Kurz bezeichnen wir die gemeinsam von beiden Seiten, der Helligkeit und dem Charakter des Eindruckes, abhängige Stärke der Erregung, welche eine Farbe gewährt, als Kraft der Farbe. Schwarz ist an sich überhaupt kraftlos, weil ihm sowohl die Helligkeit als Farbe fehlt; wer kann sich vom Blicke in eine stockfinstere Nacht oder vom Schwarz des Gesichtsfeldes bei geschlossenen Augen angeregt finden; die nichts weniger als unkräftige Wirkung des Kontrastes von Schwarz mit Weiß aber betrachten wir nicht, da wir hier überhaupt Kontrastwirkungen nicht betrachten.

    Zur Erläuterung des gegensätzlichen Eindruckes, den die Ergänzungsfarben auf uns machen, dürfte die Erinnerung an einen analogen Gegensatz im Tongebiete etwas beitragen.

    Nehmen wir ein Lied, was Sehnsucht oder Trauer ausdrückt, oder einen andächtigen Choral, und gegenüber einen Tanz oder kriegerischen Marsch; beidesfalls finden wir uns rezeptiv, d. i. von Außen nicht von innen heraus angeregt, und es kann sein, daß wir uns beidesfalls mit gleicher Intensität angeregt finden; aber die erste Anregung geht ganz in Erweckung rein rezeptiver Stimmung auf; heiße sie daher auch eine rein rezeptive Erregung; die zweite führt eine Anregung zur Tätigkeit nach Außen mit sich oder ist geneigt, in aktive Erregung umzuschlagen, und wir messen ihr daher einen mehr aufregenden Charakter bei; heiße sie daher auch eine aufregende oder aktive Erregung. Ist eine aktive Erregung schon irgendwie vorhanden, so kann sie durch einen Eindruck erster Art herabgestimmt, gesänftigt, und unter Umstünden selbst in einen rein rezeptiven Eindruck umgewandelt, werden, umgekehrt eine rein rezeptive Erregung durch einen Eindruck zweiter Art in einen aktiven übergehen.

    Nun ist Rot, Orange, Gelb bei gleicher Sättigung, Reinheit, Beleuchtung 2) nicht nur intensiver erregend als Grünlichblau, Blau und Violet, sondern es trägt auch die Erregung Seitens der ersteren Farben einen mehr aktiven, aufregenden, Seitens der letzteren einen mehr rezeptiven Charakter, wonach wir der Kürze halber erstere Farben schlechthin als aktive, letztere als rezeptive, oder, nach der Gebrauchsweise der Maler, erstere als warme, letztere als kalte Farben bezeichnen. Hat man doch sogar den Eindruck des Rot mit Trompetengeschmetter verglichen, was bei Blau Niemand einfallen kann, wogegen man Blau mit einem Flötenton vergleichen möchte. Auch werden Stiere und Truthühner durch Rot aber nicht durch Blau zum Zorn gereizt. Dabei muß man jedoch nicht vergessen, daß der Unterschied zwischen Rot und Blau in angegebener Hinsicht nur ein relativer ist. Aus einem allgemeineren Gesichtspunkte ist auch der Eindruck des Rot rezeptiv, insofern er wie der des Blau von Außen kommt, es schlägt nur eben der eine leichter in aktive Erregung aus als der andere.

2) Vorausgesetzt, daß diese sich nicht dem Dunkel nähert, wo dir Helligkeitsverhältnisse der Farben andre Werte als bei Tagesbeleuchtung annehmen, und z. B. Blau bei zunehmenden Dunkel länger sichtbar bleibt als Rot.
 
 
    Je weniger man von den unendlich vielen Farbestrahlen, in welche ein Prisma den weißen Strahl zerlegt, zu einer zusammengesetzten Farbe vereinigt, desto einfacher oder homogener, gegenteils desto zusammengesetzter heißt die Farbe. Sollte aus der Gesamtheit der Strahlen, welche den weißen Strahl zusammensetzen, bloß ein sehr kleiner Bruchteil von einer Oberfläche zurückgeworfen werden, die Farbe also sich der Einfachheit sehr nähern, so würde der Eindruck davon natürlicherweise dem Schwarz nahe kommen oder nicht davon zu unterscheiden sein, wie umgekehrt, wenn nur sehr wenige Farbestrahlen zum Weiß fehlten, der Eindruck davon dem Weiß nahe kommen oder nicht davon zu unterscheiden sein würde. Da nun Schwarz wegen ganz mangelnder Helligkeit und Farbigkeit zugleich, Weiß, weil ihm die letzte fehlt, (unter gleicher Beleuchtung) nicht den stärkstmöglichen Eindruck auf das Auge machen, so kann der Punkt größtmöglicher Kraft der Farbe im oben angegebenen Sinne nur zwischen beiden Grenzen liegen; doch wo, darüber fehlt es bis jetzt an Untersuchungen. Jedenfalls scheint der Punkt größter Kraft zugleich als Punkt größter Wohlgefälligkeit oder Schönheit einer Farbe anzusehen. Reinstes Anilinblau, leuchtendes Verbenarot möchten auf diesem Punkte stehen.

    Nun kann aber der Grad der Kraft einer irgendwie zusammengesetzten Farbe für gegebene Beleuchtungsverhältnisse noch dadurch abgeändert werden, daß man den deckenden Farbstoff, der sie gibt, geradezu mit Schwarz oder Weiß vermischt 3). Ersteres mit dem Erfolge, einen Teil des gesamten Farbenlichtes ohne Änderung seines Zusammensetzungsverhältnisses und ohne Ersatz in Wegfall zu bringen, letzteres, ihn durch Weiß zu ersetzen und dadurch den Stoff zu verdünnen. Auf beide Weisen nimmt der sog. Sättigungsgrad der Farbe ab. Durch Vermischung des Pigmentes mit mehr und mehr Schwarz wird die Farbe immer dunkler, bräunlich, braun, schwärzlich, schwarz und damit immer kraftloser; durch Vermischung mit mehr und mehr Weiß immer heller, blässer, weißlich, weiß, und nimmt von Seiten der Helligkeit an Kraft zu, von Seiten des Farbeneindruckes an Kraft ab; bei sehr dunkelen kraftlosen Farben mit Gewinn, bei kraftvollen und hellen mit Verlust an Kraft im Ganzen.

3) Hat man einen lasierenden Farbstoff, so wird dasselbe durch Verdünnung mit einer farblosen Flüssigkeit bei Auftrag auf einen schwarzen oder weißen Grund erzielt.
 
 
    Es gibt nun verschiedene Ausdrücke, womit man den Eindruck verschiedener Farben je nach Veränderung ihres Zusammensetzungs- und Sättigungsgrades und der davon abhängigen Veränderung ihrer Kraft zu bezeichnen sucht, Ausdrücke, welche, außer dem Zweck der Bezeichnung selbst, den anderen Zweck erfüllen, an das Gemeinschaftliche zu erinnern, was der Eindruck der verschiedenen Farbenmodifikationen mit dem Eindrucke aus anderen Gebieten hat, und dadurch eine zugleich sprachliche und begriffliche Beziehung dazu zu vermitteln. Im Allgemeinen nennt man die Farben tief oder lebhaft, je nachdem sie bei noch großer Kraft dunkler oder heller sind als die Farbe auf dem Punkte größtmöglicher Kraft, der zwischen beiden inne steht, hingegen ernst, schwer, oder heiter, leicht, je nachdem die Kraft durch größere Verdunkelung oder Erhellung mehr geschwächt ist.

    Das vorzugsweise Gefallen nun an dieser oder jener Farbe oder Farbenmodifikation hängt abgesehen von assoziativen Mitbestimmungen, auf welche wir hier nicht zurückkommen, wesentlich von der Individualität ab. Der Eine liebt überhaupt durchschnittlich mehr rein rezeptive, der Andere mehr aktiv aufregende, der Eine mehr tiefe, der Andere mehr lebhafte Erregungen, der Eine findet sich mehr zum Ernst, der Andere mehr zur Heiterkeit gestimmt. Danach auch seine Bevorzugung der Farbe. Allgemein gesprochen liebt der Mensch überhaupt mitunterlaufende starke rezeptive Erregungen, liebt aber auch, von vorausgegangener starker Erregung bei schwächerer oder andersgearteter Erregung auszuruhen, und verträgt am längsten und öftersten einen gewissen mittleren Grad der Erregung, bei dem er sich weder überreizt noch durch Mangel hinreichender Beschäftigung unbefriedigt fühlt. Frauen lieben verhältnismäßig mehr rezeptive und reiner rezeptive Anregungen als Männer, hingegen Kinder verhältnismäßig mehr aktive als Erwachsene.

    Weiter kommt in Betracht, daß die Farben sinnliche Anregungsmittel sind, und auch das Bedürfnis sinnlicher Beschäftigung ist verschieden, tritt im Allgemeinen mit zunehmendem Alter, zunehmender Bildung, zunehmender Neigung zur Einkehr in sich selbst gegen den Reiz höherer assoziativer und reflektiver Beschäftigung zurück.

    Endlich verlangt der Mensch überall einen gewissen Wechsel der Reize, also auch der Farben, um der Unlust zu entgehen, die jede Monotonie mit führt; aber er kann doch aus den aufgestellten Gesichtspunkten gewisse Farben in verhältnismäßig größerer Ausdehnung und länger vertragen als andere, ohne sich überreizt oder durch mangelnden Reiz unbefriedigt zu fühlen, und nicht nur bietet die Natur seinem Auge in dieser Hinsicht von selbst mannigfache und wechselnde Verhältnisse dar, sondern er kann sich auch je nach seinem ästhetischen Farbebedürfnisse unter Mitbestimmung durch den assoziativen Faktor des Eindruckes verschiedene Verhältnisse in dieser Hinsicht verschaffen, wobei besonders Kleidung und Wohnung, als nächste Fortsetzungen des äußeren Menschen, in Betracht kommen, wenn es gilt, seine Liebhaberei in Farben zu befriedigen. Zwar wird seine Wahl in dieser Hinsicht nicht bloß durch das ästhetische Bedürfnis bestimmt, vielmehr manche Farbe nur gewählt, weil sie auf einen Quadratfuß einen halben Kreuzer weniger kostet, und manche, weil sie diesem oder jenem äußeren Zweck entspricht, der Geschmack des Einzelnen auch durch die ewig wechselnde mehr oder weniger nivellierende Mode teils mitbestimmt, teils überwunden; doch hindert das Alles nicht, daß die ästhetische Wirkungsweise und hiernach Wahl der Farben aus den aufgestellten Gesichtspunkten in großen Zügen durchgreift, und der Mode selber bis zu gewissen Grenzen Zaum und Zügel anlegt; an Einzelheiten muß man sich freilich nicht halten und nicht stoßen.

    Diesen allgemeinen Gesichtspunkten dürfte sich so ziemlich Alles unterordnen lassen, was sich überhaupt Allgemeines über die direkte ästhetische Wirkung der verschiedenen Farben sagen läßt. Möglich freilich, daß auch Idiosynkrasien, die unter bisher noch dunkle Gesichtspunkte treten, mitwirkend sind, wenn Manche das Blau dem Gelb, Andere das Gelb dem Blau so entschieden vorziehen, worin bekanntlich v. Reichenbach ein Unterscheidungszeichen der sog. Sensitiven von den Nichtsensitiven sieht. Verfolgen wir aber hier, was sich aus den aufgestellten Gesichtspunkten verfolgen läßt.

    Allgemeingesprochen nun kann man sagen, daß kraftiges Rot, in kleinen Massen oder kurzer Dauer unterlaufend, weil es am meisten reizt, auch die ästhetisch reizendste Farbe ist. Jedenfalls erscheint es dem Kinde, dem Wilden, dem frisch operierten Blindgebornen, kurz allen so, deren sinnliche Empfänglichkeit noch frisch ist, erscheint überhaupt im großen Durchschnitt so.

    Der von Chesselden operierte Blindgeborene fand anfangs Scharlach am schönsten von allen Farben; und unter den übrigen schienen ihm die muntersten (most gay) die angenehmsten, wogegen ihm Schwarz anfangs großes Unbehagen verursachte. Bald indes lernte er es vertragen. Als er jedoch einige Monate später zufällig eine Negerin sah, schauderte er bei ihrem Anblicke (was struck with great horror at the sight).

    Fiorillo sagt in der Einleitung zu s. Gesch. d. zeichn. Künste (l. 3).

    "Merkwürdig ist die allgemeine Vorliebe roher Völker für die rote Farbe, vermutlich als diejenige, welche am stärksten in die Augen sticht. Durch alle Zonen findet man, daß sie nicht nur zu den Monochromaten gebraucht 4), sondern auch als Zierrath am Körper, an der Kleidung und an allerlei Gerät fast ausschließlich angebracht wird."

4) Bei den antiken Völkern nach Hawkesworth Th. III. 687. Plin. H. N. lib. XXlIl. c. 7; bei den Chaldäern nach Ezechiel XXIII. 14 u. s. w.
 
 
    Bei den Römern war die rote Farbe heilig; sie färbten damit das Gesicht an der Statue des Jupiter und der triumphierende Feldherr färbte sich ebenfalls damit (Plin. H. N.). Bei Homer werden (II. II. 637.) rot bemalte Schiffe erwähnt. Feuerländer, Patagonier, wilde Stämme in Nordamerika, Neuseeländer, Neuholländer bemalen nach Angabe verschiedener Reisebeschreiber ihren Körper rot. Auch bei den Otaheitiren und Bewohnern der Freundschaftsinseln war Rot nach Cook die Lieblingsfarbe. Die Sandwichinsulaner bedeckten die Götter in den Heiligtümern mit roten Kleidern, welchen Gebrauch die Spanier bei der Entdeckung Amerikas auch dort gefunden hatten. Rot war ferner die den alten Sophi’s in Persien ausschließlich eigene Tracht.

    Inzwischen wird kräftiges Rot eben deshalb, weil es am stärksten reizt, auch allgemeinge-sprochen weniger als irgend eine andere Farbe in großen Massen auf die Dauer vertragen, und weil es am stärksten sinnlich reizt, am meisten vom Alter und vom Trappisten verabscheut. Seltener als irgend eine andere Farbe bildet bei kultivierten Völkern kräftiges Rot die Hauptfarbe eines ganzen Kleides oder eines ganzen Zimmers. Ein jeder sagt sich, daß ein ganz und immer roter Himmel statt des blauen, eine ganz und immer rote Erde, statt der grünen, nicht auszuhalten wären; das Auge würde sich davon wie ausgebrannt finden. Hiergegen wurde eine blau bewachsene Erde statt der grünen uns aus dem entgegengesetzten Gesichtspunkte nicht zusagen; das Auge würde auf die Länge die hinreichende Erregung vermissen, ihm flau zu Mute werden, indem man überhaupt mit Flauheit den Zustand einer rezeptiven Erregung bezeichnet, die nicht hinreichend stark ist zu befriedigen, und wahrscheinlich rührt flau selbst von blau her. Hingegen werden wir das Grün, was in erregender Kraft zwischen Rot und Blau steht, so zu sagen nicht satt. Dabei wollen wir zwar nicht vergessen, daß zum Mißfallen an einer roten oder blauen Erde auch beitragen würde, daß wir das Leben und Wachstum der Pflanzen nur an das Grün haben assoziieren lernen, und eine rot oder blau bewachsene Erde uns nicht mehr gesund überwachsen erscheinen würde; was assoziative Mitbestimmungen sind; aber abgesehen davon fühlen wir, daß ein Gang durch grüne Wiesen und Wälder dem Auge auf die Länge direkt wohler tun muß, als es durch rote oder blaue sein könnte.

    Dies hindert nicht, daß wir uns des zeitweisen Blickes in den blauen Himmel erfreuen; ja es gewährt eine wahre Erquickung, ein von einem sonnigen Wege gereiztes und ermüdetes Auge eine Zeit lang in den vollen blauen Himmel zu richten. Zwar der Schluß der Augen würde eine noch vollkommnere Ruhe mitbringen. Aber wir ziehen es ja auch sonst bei einer nur nicht gar zu starken Ermüdung während des Tages vor, statt durch reine Passivität oder Schlaf vielmehr bei einer schwächeren und andersgearteten Beschäftigung auszuruhen. In der Regel sehen wir doch vom blauen Himmel mit unseren hauptsächlich vorwärts und abwärts gerichteten Augen nur ein Stück vor uns, und der selten fehlende Wechsel der Bläue mit Trübe, Bewölkung und Rot läßt es um so weniger zu dem Gefühl der Flauheit kommen.

    Unterschiede nach Geschlecht und Alter anlangend, so wird das aktivere Rot verhältnismäßig vom Mann, das rezeptivere Blau von der Frau vorgezogen, und so lange der Mann überhaupt etwas auf Kleiderfarben gibt, ist Purpur und Scharlach sein Prachtkleid. Indem aber die Jugend aktivere Erregungen den rezeptiveren im Allgemeinen vorzieht, entsteht dadurch bei der Jugend des weiblichen Geschlechts ein Konflikt; wonach ein sehr kleines Mädchen doch ein Scharlachkleid einem anilin- oder berliner-blauen noch vorziehen, und die lebensfrohe Jungfrau sich noch des Rosaballkleides erfreuen kann, was so gut zu ihrer Lust am aktiven Tanze stimmt, und wie die kleinen Mädchen bei uns verhalten sich auch die erwachsenen Frauen bei rohen Völkern.

    Allgemeingesprochen lieben Kinder überhaupt die Farben mehr als Erwachsene, Frauen mehr als Männer; — Kinder, weil sie überhaupt für sinnliche, Frauen, weil sie für rezeptive Anregungen empfänglicher sind; Farben aber gehören zu den sinnlichen und rezeptiven Anregungsmitteln zugleich. Rohe Völker verhalten sich auch in dieser Hinsicht wie Kinder. Bei freier Wahl zwischen einem schwarzen, weißen und farbigen Kleide wird daher das Kind, mindestens das weibliche, sicher nach dem farbigen greifen; das schwarze oder weiße wird ihm bloß oktroiert; die erwachsene gebildete Frau kann auch nach dem weißen oder schwarzen greifen, eben weil sie erwachsen und gebildet ist, wodurch assoziative Momente mannigfachster Art in Wirkung treten; aber im Durchschnitt sieht man doch ungleich mehr farbige Kleider in der Frauenwelt als Männerwelt; im Stoffe bunte oder gemusterte sogar fast nur in der Frauenwelt; und so sehr die Mode wechselt, so läßt sie doch dies Verhältnis im Allgemeinen bestehen. Rohe Völker, die nicht viel von Kleidung halten, bemalen und tätowieren gar ihren nackten Leib rot oder bunt. Je mehr aber die Bildung eines Volkes steigt, desto mehr tritt der sinnliche Geschmack an Farbe zurück und kommt dafür der assoziative der Angemessenheit zur Geltung.

    Unstreitig würde es interessant sein, die Abänderungen der Farbenliebhaberei insbesondere an Kleidung und Architektur durch die verschiedenen Zeiten und Völker vergleichend zu verfolgen; auch liegt darüber viel in einzelnen Zusammenstellungen vor, doch wüßte ich nicht, daß die Aufgabe in einiger Ausdehnung methodisch-pragmatisch durchgeführt worden sei. Unsere heutige Zeit und Kultur steht wohl so ziemlich an einem Extrem der Farbenverachtung. Noch nicht so lange ist es her, daß grüne und blaue Fracks mit blanken Knöpfen noch beliebt und alle Regenschirme rot waren; und weiter zurück war die ganze männliche Staatskleidung farbig; jetzt haben Schwarz, Braun, Grau und fahles Gelb bei der männlichen Kleidung die Oberhand; der Geschmack an polychromer Architektur und Plastik aber, dem die Alten huldigten, ist sogar verpönt.

    Unsere Zeit und unsere Bildung ist so zu sagen immer abstrakter geworden. Der höher stehende überhaupt tonangebende Mann gibt selbst wenig mehr auf äußeren Sinnesschein und will nicht mehr durch solchen anziehen und blenden. Indem er den äußeren Glanz und Schmuck vermeidet, richtet sich von selbst die Aufmerksamkeit mehr auf seinen inneren Wert; auch der aber; der keinen solchen hat, will doch den Schein davon durch die Nachahmung der äußern Scheinlosigkeit gewinnen; so konnte der Gebrauch schwarzer Festkleidung beim Mann sich mehr und mehr verallgemeinern und endlich zwingende Mode werden. Die Frau hingegen hat selbst mehr Freude an der Äußerlichkeit als der Mann und ist verhältnismäßig mehr darauf angewiesen durch ihr Äußeres anzuziehen; konnte daher nicht leicht so viel davon Preis geben, als der Mann. Doch sind im Ganzen genommen auch die Kleider der Frauen bei uns immer einfarbiger und die Farben daran immer unscheinbarer geworden. Und was sich bei uns in dieser Hinsicht schon vollzogen hat, ist im Begriffe sich bei den Völkern des Orients, nach Maßgabe als die europäische Kultur auf sie überzugreifen anfängt, zu vollziehen.

    In Betreff der, im Orient mehr und mehr schwindenden Kleiderfarben findet sich in einem Aufsatze von H. Bamberg über Kleider und Schmuckgegenstände der ostislamitischen Völker in den Westermannschen Illustr. Monatsheften 1868. S. 1 52 u. a. folgende nicht uninteressante Bemerkung:

    "Es ist merkwürdig, wie wir heute auf unserem Zuge gegen Osten desto mehr den grellfarbigen Kleidern begegnen, je mehr wir von einem Ende desselben zum anderen dringen."

    "An den Ufern des Bosporus sind die hellroten Dschubbes der Janitscharen Tschorbatschi’s, die safrangelben Kostüme der Hofpagen mit dem Janitscharenleben und Janitscharengeiste schon längst verschwunden. ... Ja, unsere Reisenden haben Recht, wenn sie über das von Tag zu Tag immer mehr verschwindende malerisch-romantische Ansehen des Ostens sich beklagen. In Konstantinopel wird man bei der Versammlung einer großen Menschenmasse nur in den hellfarbigen Feredsches (Frauenmäntel) oder in den Shawls, welche als Gürtel von der mittleren und unteren Volksklasse gebraucht werden, bisweilen auch in den Schalvars (Hosen) umherwandelnder Mollas oder Esnafs (Handwerker) den malerischen Osten entdecken können. Die große Majorität hüllt sich in schwarze oder braune Gewänder, was beinahe schon überall in den Städten die herrschende Mode geworden, denn es gibt, wie sonderbar es auch immer klingen mag, in der Türkei schon eine bedeutende Klasse, die unter hellfarbigen, grellen Anzügen immer Kabalük (Rauheit) oder Türlük (Türkentum), das mit dem ersten synonym ist, erblickt. Dasselbe gilt auch für die türkische Mode. Hier soll zur Zeit der Sassaniden Scharlachrot eine beliebte Farbe gewesen sein; doch heute ist sie aus allen Schichten verdrängt, und wenn gleich einfarbigen Stoffen immer der Vorzug gegeben wird, so sind diese doch immer bescheiden grün, gelb, blau oder deren Nuancen. Nur der Nomade ist der alten Sitte treu geblieben. Er sowohl, als auch dessen ansässiger Stamm- und Glaubensgenosse in Mittelasien gefallen sich nur in den wildfarbigen Kleidern, und sowie man im Basar von Erzerum, Charpul, Diabekr und Mosul zumeist nomadisierenden Kurden mit hellroten Mantelstoffen, Stiefeln und Hosen begegnet, so wird man in Mittelasien noch bei der höchsten Beamtenklasse es als eine Auszeichnung betrachten, vom Khan einen feuerroten Tschapau oder Tschoga zu erhallen, noch mehr aber, in solchen auf öffentlichen Plätzen zu paradieren."

    Um unsrer Farbenverachtung gegenüber auch ein gegenteiliges Extrem anzuführen, so bieten die alten Ägypter ein solches dar. In einem Aufsatze über das alte Ägypten im "Auslande" 1868. no. 40. S. 950 findet sich nach einer Spezialausführung in dieser Hinsicht folgende Stelle:

    "Im Heiligtum eben so wie im gewöhnlichen Leben umgab sich das Volk der Ägypter in so bezeichnendem Maße mit dem Schmuck der Farben, daß wir nicht zweifeln dürfen, es sei die Freude an der Buntheit und am Grellen, die so ganz eigen der Kindheit zukommt, ein bestimmender Zug ihres Charakters gewesen. Gab es doch fast keinen Gegenstand ihres öffentlichen und Privatlebens, den sie nicht mit Farbe überdeckten.

    "Sie bemalten ihre Tempel und ihre Häuser, die Türen und die Stuben, die Tische, die Sessel und Bänke, das Hausgerät, Töpfe und Gläser, die Schmucksachen und Bildsäulen, die Kleider und Waffen, die Särge und Grabgewölbe, die Bücher und Denkmale, Haut und Haare. Je greller, je bunter, kann man sagen, desto vornehmer dünkte sich der Ägypter. Der Halskragen, wo er nicht aus edlen Steinen und Metallen gefertigt, nur aus geleimtem Kattun gepreßt ist, gleicht oft einem Regenbogenkranze. An dem Segelboot des Vornehmen ist der Rumpf und der Mast, das Häuschen oder der statt seiner dienende Sessel, das Steuer, das Ruder, das Segel bemalt, bunt und grell" u. s. w.

    C. Hermann (allg. Aesth. S. 68.) nimmt an, daß alle in der Natur gegebenen Dinge, die eine bestimmte Farbe mit einander gemein haben, auch sonst durch irgend ein anderes diesem als dem äußerlich formellen gleichartig entsprechendes innerlich wesenhaftes Merkmal zu einer Einheit oder Klasse verbunden sein werden. Es könne nicht Zufall, sondern nur innere Notwendigkeit sein, daß in der Natur bestimmte Dinge nur bestimmte Farben, nicht aber andere an sich tragen; die Art, wie die Natur die einzelnen Dinge verteilt hat, könne im Voraus nur als eine vernünftige und in sich selbst organische angesehen werden; eben aus dem Verständnis dieses vernünftigen Verfahrens der Natur in Bezug auf die Farbe könne auch nur die Bedeutung einer jeden dieser letzteren für uns selbst mit Sicherheit gefolgert werden.

    Unstreitig nun, da schließlich nichts in der Natur zufällig ist, wird es auch die Farbe der Naturgegenstände nicht sein; ich möchte aber sagen, daß für die unserer Erkenntnis bis jetzt gesteckten Grenzen in der Tat nichts zufälliger erscheint, als die Farbe derselben; — man denke nur an die mannigfachen Blumenvarietäten; — und schwer möchte es sein, mit Entwicklung der Hermann’schen Ansicht über einen naturphilosophischen Mystizismus hinauszukommen.
 

2) Vom direkten und assoziativen Eindrucke des Weiß und Schwarz.
    Der direkte Eindruck des Weiß und Schwarz unterscheidet sich dadurch, daß das Weiß den stärksten, das Schwarz keinen Lichtreiz gewährt, hat aber das Gemeinsame, daß beiden der Farbenreiz fehlt, wonach sie aus gewissem Gesichtspunkte sehr verschieden, aus anderem gleich wirken. Hierdurch werden die üblichsten Verwendungen des Weiß und Schwarz, durch die Verwendungen und das natürliche Vorkommen beider aber der assoziative Eindruck beider bestimmt.

    Aus dem ersten Gesichtspunkte wird bei der Wahl zwischen Weiß und Schwarz allgemeingesprochen das Weiß dem Schwarz für Verwendung auf größeren Flächen vorgezogen, weil es dem Auge noch eine Beschäftigung übrig läßt, die das Schwarz dem Auge ganz entzieht. Wir bedürfen aber durchschnittlich im Wachen einer gewissen Beschäftigung, wozu das Auge auch das Seinige beizutragen hat. Niemand mag in einer ganz schwarzen Stube wohnen, indes man die bloß weiße sich noch gefallen läßt; und selbst die Klosterzellen sind inwendig nicht schwarz, sondern weiß, ungeachtet das Schwarz dadurch, daß es dem Sinne nichts bietet, als Anlaß gelten kann, einen Ersatz in innerer und höherer Beschäftigung zu suchen, und am wenigsten in solcher Beschäftigung stört, daher in maßvoller Verwendung, namentlich als Farbe der Kleidung, eine Hilfe dazu oder ein Zeichen davon gewähren kann; aber gar zu viel vom Sinnesreiz entziehen wirkt deprimierend auf den ganzen Geist. Bücher, weiß auf Schwarz statt umgekehrt gedruckt, würden nur in eine Bibliothek des Erebus passen. Am wenigsten sagt das Schwarz der Jugend, dem weiblichen Geschlecht und sinnlichen unkultivierten Völkern zu, wogegen es um so leichter die Farbe und das Weiß in der Kleidung und sonst verdrängt, je mehr durch Alter, Geschlecht, Bildungsstand die Neigung zu abstrakten Beschäftigungen, die Lust, in sich einzukehren und sich vom Sinnesreize abzukehren, zunimmt. Schwarz gekleidete kleine Kinder und schwarz gekleidete rohe Völker gibt es daher nicht, indes es Kindern, namentlich weiblichen, nicht widerstrebt, weiß gekleidet zu werden und bei Arabern und Hindus weiße Trachten vorkommen. Frauen kleiden sich nicht leicht anders als in Trauer, höherem Alter und für die Kirche schwarz, indes Schwarz geradezu das Feierkleid und Gesellschaftskleid der Männer geworden ist.

    C. Hermann (ästh. Farbenlehre S. 55) bemerkt, daß, "wenn Weiß und Schwarz in Verbindung mit einander auftreten, das natürliche Verhältnis dieses sei, daß Weiß die Basis, Schwarz aber das Aufgetragene oder die Decke bildet", was ich jedoch nur in so fern zugestehen möchte, als wir nach oben gemachter Bemerkung allgemeingesprochen Weiß im Übergewicht gegen Schwarz zu sehen lieben, das Aufgetragene aber in der Regel weniger Raum als die Grundfläche einnimmt; und wahrscheinlich würden wir Kupferstiche, die übrigens in ihren wesentlichen Teilen doch auch noch Weiß genug enthalten, nicht mit so viel Weiß am Rande umgeben, wenn nicht das Auge dadurch für das viele Schwarz entschädigt werden sollte.

    Was mir direkt gegen Hermann zu sprechen scheint, ist, daß wir bei vertikaler Übereinanderlagerung von Flächen das Weiß und überhaupt Hellere oben, das Schwarz oder Dunklere unten zu sehen verlangen. Nie wird man finden, daß die Wandfläche eines Zimmers dunkler als die Lamperie im unteren Teile derselben und die Decke dunkler als die Wände ist, sondern stets ist es umgekehrt; und jeder sagt sich, daß es schlecht aussehen würde, wenn es nicht so wäre; man hatte den Eindruck, als wenn das Schwere über dem Leichten lagerte. Sehr eigen allerdings, daß das Hellere, was das Auge mit mehr Kraft reizt, dem Gewichtloseren analog erscheint, aber es ist so.

    Ein Beispiel verkehrter Wirkung in dieser Hinsicht gewährt die Laterankirche in Rom. Sie ist in den Wänden hell gehalten, weiß mit grauen Nischen, worin weiße Statuen stehen, hat auch einen Fußboden in Weiß und Grau; die Decke aber nach Michel Angelo’s Zeichnungen im Renaissancegeschmack verziert, lastet mit ihren verhältnismäßig dunkelen schweren Farben unharmonisch auf dem Ganzen.

    Auf dem für Weiß und Schwarz gemeinsamen Mangel des Farbenreizes beruht anderseits, daß das Weiß in großen Massen so gut als das Schwarz den Eindruck der Öde macht; — man denke an eine Schneelandschaft, eine weiße Zimmerwand; — und daß das Weiß trotzdem, daß es in gewisser Weise als das Gegenteil von Schwarz erscheint, dem Schwarz stärkere Konkurrenz in seinen Anwendungen macht, als jede Farbe, so daß unter sehr analogen Umständen oft die Wahl bloß zwischen Weiß und Schwarz oder sehr dunklen Farben ist, ohne daß jedoch der Unterschied, der zwischen beiden aus anderem Gesichtspunkte besteht, außer Beachtung dabei fällt.

    So ist das katholische Priestergewand weiß, das protestantische schwarz; und der anglikanische Pfarrer liest das Gebet vor der Predigt in langem weißen Chorhemd, indes er sich zur Predigt mit einem langen schwarzen Gewande bekleidet. 5) So sieht man ältere ernste Frauen teils schwarz oder sehr dunkelfarbig, teils weiß, nie lebhaft farbig gekleidet; auch ist bei Festaufzügen das Weiß eben so allgemeine Tracht der Frauen als Schwarz die der Männer geworden und geblieben. Wenn aber die Kleidung der jetzigen gebildeten Männerwelt überhaupt schwarz oder das in der Mitte zwischen Weiß und Schwarz stehende Grau ist, war hingegen die der alten Griechen und Römer weiß. Auch die Krawatten der Männer wechseln heutzutage fast nur zwischen Weiß und Schwarz.

5) Westermann’s Illustr. Monatshefte 1865. S. 1541.
 
 
    Der katholische Kultus ist aber auch noch sinnlicher als der protestantische, die ältere Frau, die sich immer weiß kleidet, wird noch mehr im äußern Leben suchen, als die sich immer schwarz kleidet; und die alten Griechen und Römer abstrahierten noch weniger von der sinnlichen Seite des Lebens als wir.

    Auch das haben Weiß und Schwarz wegen ihres gemeinsamen Farbenmangels gemein, daß sie abgesehen von kontrastierenden Farben, die sich wechselseitig heben, sich am besten als Unterlage eignen, die eigentümliche Wirkung von Farben und Farbenkontrasten zur Geltung zu bringen; und sofern Schwarz dazu auch des quantitativen Helligkeitsreizes ermangelt, tritt auf seinem Grunde das Lichte erst recht ins Licht. Nichts prächtiger als ein sternenheller Nachthimmel, als ein silbergesticktes schwarzes Samtkleid. Glanzloses Weiß auf Schwarz freilich sieht vielmehr traurig aus, weil der Kontrast nicht hinreicht, dem Weiß die Kraft des Glanzes zu geben; vielmehr haben wir dann zwei Öden für das Auge statt einer.

    Wenden wir uns zur assoziativen Wirkung, so tritt Schwarz bemerktermaßen bei uns vorzugsweise mit der assoziativen Bedeutung der Trauer auf. Ein schwarz ausgeschlagenes Zimmer eine schwarze Fahne über dem Hause, das schwarze Behänge eines Pferdes, der schwarze Flor um den Hut eines Mannes, die schwarze glanzlose Tracht einer Frau machen überall den Eindruck einer solchen. Das hängt natürlicherweise zunächst an der gewohnten Verwendung des Schwarz als Zeichen der Trauer; diese Verwendung selbst aber erscheint passend aus zwei Gesichtspunkten, die wir kurz als sympathischen und symbolischen unterscheiden können, aus sympathischem insofern, als die Trauer um Abgeschiedene den Menschen veranlaßt, in sich einzukehren; das tut das Schwarz auch; ja es stimmt das Auge selbst auf die Länge traurig, und gern läßt eine trauernde Seele die Sinne mit sich trauern: aus symbolischem, sofern die Nacht des Auges an die Nacht des Todes und umgekehrt erinnert. Soll es aber Schwarz nicht sein, womit man trauert, so wird man Weiß oder eine der rezeptiven Farben dazu vor den aktiven geeignet finden können, wie solche wirklich unter Umständen dazu dienen; so lese ich, daß die Chinesen und die Königinnen von Frankreich weiß, die Kardinäle violett, die Juden blau trauern, indes die Römer und Hellenen gar keine eigentliche Trauerfarbe hatten.

    Es macht aber doch Schwarz auch bei uns nicht überall den Eindruck der Trauer; indem es wesentlich auf mitbestimmende Umstände dabei ankommt. Weder das schwarze Feierkleid des Mannes, noch das schwarze Sammet- und Seidenkleid einer Frau gewähren den Eindruck der Trauer, indem die andere Konvention, oder der andere Akzent, den die Kostbarkeit oder der Glanz des Stoffes gibt, die assoziative Bedeutung ändert.

    Unter Umständen kann Schwarz sogar einen, seinem direkten Eindruck geradezu entgegengesetzten, assoziativen Eindruck machen, wenn schon ich nicht allgemein den paradoxen Satz unterschreiben möchte, den C. Hermann (allg. Aesth.77) aufstellt, daß "Schwarz im Gegensatz zu Weiß immer den Eindruck des Feurigen, Energischen, Tiefen" macht. Aber es ist wahr, was derselbe geltend macht, daß schwarze Augen und Haare, gegenüber den lichtem Augen, blonden oder gar weißen Haaren, Rappen gegenüber den Schimmeln diesen Eindruck machen, und schwarze Moorerde uns den Eindruck größerer Fruchtbarkeit als weiße Kalkerde oder gelbe Sanderde macht. Natürlich, weil wir gewohnt sind, die größere Energie des Lebens, die größere Fruchtbarkeit an das Schwarz in diesen Weisen des Vorkommens geknüpft zu sehen, knüpfen wir sie auch wieder daran; aber eben nur in diesen Weisen des Vorkommens. Hiergegen wird niemand von schwarzer Kohle gegenüber einer weißglühenden, von einer schwarzen Brandstätte gegenüber einem mit weißem Sande bestreuten Tanzplatze, einem schwarzen Damenhute gegenüber einem weißen, den Eindruck des Feurigen, Energischen erhalten, sondern nur im Allgemeinen jeder das Schwarz ernster finden, als das Weiß und leichter an Männlichkeit als Weiblichkeit dadurch erinnert werden, womit allerdings in entfernterweise auch eine leichtere Assoziation der Energie zusammenhängt.

    Den assoziativen Charakter des Weiß überhaupt anlangend, so verbürgt dasselbe damit, daß es durch jeden Flecken am leichtesten getrübt wird, am sichersten das wirkliche Dasein von Reinlichkeit und Reinheit; ist daher auch ausdrücklich zum Symbol der Reinheit, nicht bloß der körperlichen, auch der geistigen oder der Unschuld erklärt, wovon die Lilie ihre symbolische Mitgift erhalten hat. Das trägt dazu bei, daß die Frauenwelt mehr als die Männerwelt geneigt ist, das Weiß dem Schwarz vorzuziehen. Denn Reinlichkeit und Reinheit sind Eigenschaften, die man vorzugsweise von den Frauen fordert, und die sie noch mehr als die Männer von sich selber fordern. Sie am eigenen Kleide zu finden und eine Bürgschaft davon im Kleide zu geben, gefällt den Frauen wohl und steht den Frauen wohl an. Ja, ein Mädchen oder eine Frau, die sich immer blendend weiß kleidet, macht den Eindruck, daß sie diese Eigenschaft höher als jede andere stellt, wogegen kein Kleid den Eindruck größerer Saloppetät macht als ein schmutzig weißes. Schon kleinen Mädchen gewöhnt man durch das weiße Kleid die Reinlichkeit an; bei Knaben aber wäre es umsonst, und so läßt man sie lieber in dunkler Kleidung mit dem Straßenstaube verkehren. Nicht bloß Frauen, auch Engel kleiden sich in Betracht ihrer Unschuld und weil sie keine individuellen Neigungen haben, gern in Weiß und würden es noch öfter tun, wenn nicht die Maler ihren Farbensinn oft sehr verkehrt an ihnen beweisen wollten und sie daher nach Möglichkeit herausputzten.

    Bei allem Wechsel des Kleides zwischen verschiedenen Farben, Schwarz und Weiß ist die Leib-, Bett- und Tischwäsche für Mann und Frau und Kind bei jeder reinlichen Nation 6) immer weiß geblieben; an dieser Felsenfestigkeit bricht sich alle Mode; trotzdem, daß es weniger Wäsche fordern würde, wenn man weniger Weiß dazu forderte. So stark überwiegt die Forderung des Eindruckes der Reinlichkeit die äußere Zweckrücksicht. Nirgends aber macht sich auch diese Forderung so energisch als in diesem Falle geltend und geht so lebhaft in das assoziative Gefühl ein. Auf Frauen namentlich übt weiße Wäsche eine Art Zauber aus, wodurch ihnen die sinnliche Öde des Weiß verklärt wird. Was dem Bankier ein Haufen Goldes, ist der Frau ein Haufen weißer Wäsche vor den Augen, indem sie nicht bloß den Eindruck der Reinlichkeit des Zeuges selbst, sondern den eines ganzen Menschen, einer ganzen Wirtschaft dadurch empfängt.

6) Die in ihrer Wäsche sehr unreinlichen und selten dieselbe wechselnden Perser tragen hiergegen großenteils dunkelblaue baumwollene Hemden.
 
 
    Bei Tischzeug aber tritt zum Motiv der Reinlichkeit noch ein anderes Motiv hinzu, das Weiß vor Farben zu bevorzugen, daß es nämlich beim Gebrauch des Tischzeuges ausdrücklich vielmehr auf Beschäftigung des Geschmacksinnes als Gesichtsinnes abgesehen ist. Nun könnte man Schwarz in dieser Hinsicht als noch weniger störend vorziehen wollen. Aber teils würde Schwarz die Assoziation der Reinlichkeit nicht in gleichem Grade mitführen, teils kann unter Umständen die Mitanregung des einen Sinnes, falls sie nur nicht zum Übergewicht gedeiht, die des anderen unterstützen. Ein Konzert hört man deshalb lieber im Hellen als im Dunkeln, und so wird man auch lieber von einem weißen als schwarzen Tischtuche speisen.

    So sehr nun Weiß in allen Fällen als Zeuge der Reinlichkeit sich empfiehlt, wo Reinlichkeit sich wirklich aufrecht halten läßt, so sehr ist es verpönt in allen Fällen, wo es nicht möglich ist, sie zu halten. Wonach ein Mann in weißen Stiefeln absurd erscheinen würde und selbst eine Frau oder ein Mädchen weiße Atlasschuhe nur als Ballschuhe trägt. Daher, nach einer Bemerkung von C. Hermann, zwar Stubentüren aber nicht dem Straßenstaube und Schmutze ausgesetzte Haustüren weiß sein dürfen.

    Nun freilich macht Weiß außer dem Eindrucke der Reinlichkeit und Reinheit auch den der Indifferenz, womit der der Einfalt nahe verwandt ist; und schon um der Gefahr solcher Deutung zu entgehen, kleidet sich eine Frau von Welt in Gesellschaft lieber farbig, kehrt aber im häuslichen Morgen- und Abendnegligé gern zu Weiß zurück, was hiernach für die Frau so zu sagen dasselbe ist, als das Grün für die Pflanze, woraus und worüber die Farben nur zeitweise auszublühn haben.