XXXII. Vom Begriffe der Erhabenheit.

    Man könnte sich vielleicht wundern, wenn in einem zweibändigen Werke über Ästhetik, worin so viel von Schönheit gesprochen worden, nicht auch dem Begriffe der Erhabenheit einige Aufmerksamkeit geschenkt würde; also holen wir das bisher in dieser Hinsicht Versäumte nach.

    In der Tat pflegt nächst der Kategorie der Schönheit die Kategorie der Erhabenheit als der wichtigste Begriff der Ästhetik behandelt und so zu sagen als Nebenbuhler jener Kategorie in der Herrschaft über das ästhetische Gebiet betrachtet zu werden. Burke schrieb eine besondere Schrift "Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Begriffe vom Schönen und Erhabenen"; Kant teilt seine ästhetischen Untersuchungen (in der Kritik der Urteilskraft) in eine Analytik des Schönen und des Erhabenen; und überall hat sich der ästhetische Tiefsinn eine Aufgabe daraus gemacht, mit dem einen auch dem anderen Begriffe sowie dem Verhältnisse beider auf den Grund zu gehen.

    Nicht minder freilich als über die Schönheit sind die Ansichten der Ästhetiker über die Erhabenheit sehr auseinandergegangen, wie aus folgender, nichts weniger als vollständigen, Registrierung derselben erhellt. Noch größer würde die Mannigfaltigkeit der Ansichten erscheinen, wenn sie in die Details verfolgt werden sollte, indes ich hier bloß auf Hauptpunkte und damit zugleich Hauptgegensätze der Ansichten achten werde.

    Nach Carrière, Herbart, Herder, Hermann, Kirchmann, Siebeck, Thiersch, Unger, Zeising ist das Erhabene nur eine besondere Art oder Modifikation des Schönen, wobei jedoch die Weise, wie sich das Erhabene dem Schönen unterordnet, von den verschiedenen Autoren zum Teil sehr verschieden gefaßt wird. Hiergegen stehen sich nach Burke, Kant, Solger Erhabenheit und Schönheit einander ausschließend gegenüber, so daß das Erhabene niemals schön, das Schöne niemals erhaben sein kann, oder daß doch beide durch ihr Zusammensein sich gegenseitig schwächen, wobei wiederum von den Verschiedenen verschiedene Gesichtspunkte des Gegensatzes aufgestellt werden. Nach Weisse ist die Erhabenheit nicht sowohl eine besondere Art der Schönheit, als daß sie einen Bestandbegriff der Schönheit selbst bildet, so daß an jedem schönen Gegenstande das, was ihn schön macht, Erhabenheit ist, indes nach Ruge die Erhabenheit in dem Siege des einen Momentes der Schönheit über das andere, d. i. des Ewigen über das Endliche, besteht.

    Nach Burke beruht der Eindruck der Erhabenheit gegenüber dem der Schönheit darauf, daß durch jene mittelst Schrecken, Schmerz oder Gefahr der Grundtrieb der Selbsterhaltung durch diese in anderem Wege der der Geselligkeit wach gerufen wird. Nach Thiersch darauf, "daß das Erhabene durch seine Stärke und Größe das Gemüt des Wahrnehmenden erhebt und nötigt, zu seiner Aufnahme und Bewältigung sich gleichsam auszudehnen und zu erweitern." Nach Kirchmann darauf, daß das Erhabene (Erhaben-Schöne) die idealen Gefühle der Achtung, indes das Schöne (Einfach-Schöne) die der Lust erregt. Nach Kant, Hegel, Vischer darauf, daß der Geist, die Vernunft sich der für die endliche Erscheinung bestehenden Unmöglichkeit bewußt wird, das Unendliche vollkommen auszudrücken, der Idee vollkommen gerecht zu werden, und hiermit der Macht des eigenen unendlichen Vermögens (Kant), oder der Macht der Idee (Hegel, Vischer) bewußt wird. Nach Solger darauf, daß das Unendliche ins Endliche absteigt, sich im Endlichen setzt; indes das ins Unendliche aufsteigende Endliche das Schöne gibt. Nach Zeising umgekehrt darauf, daß im Erhabenen "das Endliche sich über seine Endlichkeit in die Unendlichkeit erhebt, sich gleichsam in dieser höheren Sphäre einbürgert und durch seine Größe die Idee der absoluten Vollkommenheit erweckt." Nach Zimmermann darauf, "daß wir das Unendliche zugleich vorstellen und nicht vorstellen, zu fassen und nicht zu fassen vermögen, um des letzteren willen uns klein und unbedeutend, um des erstem willen dagegen selbst groß und unendlich erscheinen."

    Nach Burke erweckt das Erhabene ein, von eigentlicher Lust nach ihm noch zu unterscheidendes Wohlgefallen oder angenehmes Gefühl durch Erregung der Nerven mittelst eines massigen Grades von Schmerz oder Schrecken, der unseren Selbsterhaltungstrieb aufruft. Nach Kant, Schiller, Lemcke ist der Eindruck der Erhabenheit aus Lust und Unlust gemischt, welche Mischung nach Ersterem aus einem komplizierten Verhältnisse zwischen unserer Einbildungskraft und unserer Vernunft erwächst. Nach Kirchmann hat das Gefühl der Achtung, auf dem der Eindruck der Erhabenheit beruht, mit Lust und Unlust nicht nur nichts zu schaffen, sondern steht dem Gefühl derselben polar entgegen. Nach Hermann ist der Eindruck des Erhabenen dem des Lächerlichen gegenüber ein mehr weinerlicher.

    Nach den Meisten gibt es nur eine Erhabenheit aus quantitativem; nach Köstlin jedoch auch aus qualitativem Gesichtspunkte.

    Kant unterscheidet das Erhabene in ein mathematisch und ein dynamisch Erhabenes, je nachdem es eine extensive Größe, als wie Ausdehnung, Dauer, Zahl, oder eine intensive Größe, als wie Stärke, Macht, Kraft, Widerstandsgröße ist, was den Eindruck der Erhabenheit bestimmt; — Schiller in ein solches, welches unsere Fassungskraft übersteigt und welches unsrer Lebenskraft droht; — Vischer in ein objektiv Erhabenes, welches seinen Eindruck physischerseits ohne Rücksicht auf die Abstammung aus geistiger Kraft macht, worunter das Erhabene des Raumes, der Zeit und der physischen Kraft gehört, und ein subjektiv Erhabenes wie das der Leidenschaft, des guten und bösen Willens. — Jean Paul unterscheidet in ähnlicher Weise eine Erhabenheit der Natur von einer sittlichen oder handelnden Erhabenheit, wozwischen er aber die Erhabenheit der Unermeßlichkeit und Gottheit stellt. Das Erhabene der Natur teilt er in ein optisch und ein akustisch Erhabenes. — Zeising unterscheidet im Erhabenen als Modifikationen "das Imposante, d. i. dasjenige Erhabene, welches erhaben ist für Anderes; das Majestätische, d. i. dasjenige Erhabene, welches erhaben ist für sich; und das Glorreiche, d. i. dasjenige Erhabene, welches erhaben ist für das Absolute."

    Weit die meisten kommen doch darin überein, daß sie in der Bestimmung der Erhabenheit den Begriff der Unendlichkeit und sein Verhältnis zur Endlichkeit eine wichtige Rolle spielen lassen. Ja von Jean Paul hat man die Erklärung, daß das Erhabene das angewandte Unendliche sei.

    Ohne auf eine Ausführung und Diskussion der vorigen, zum Teil sehr abstrusen und spitzfindigen, Auffassungen der Erhabenheit, wovon sich hier nicht viel mehr als die Stichworte anführen ließen, einzugehen, suchen wir unsere eigenen Wege zu gehen, wobei sich Gesichtspunkte teils der Übereinstimmung, teils Abweichung bezüglich voriger Auffassungen von selbst finden werden.

    Beispiele des Erhabenen, woraus sein Begriff als abstrahiert angesehen werden kann, und woran sich derselbe erläutern läßt, sind im Gebiete der Natur: der reine blaue Tageshimmel, der sternenhelle Nachthimmel, Gewitter mit hochgetürmten Donnerwolken und mächtigen Blitzschlägen, gewaltige Stürme, das aufgeregte Meer, Überschwemmungen, der Eisgang großer Ströme, große und hohe Wasserfälle, große und hohe, namentlich öde Bergaussichten, vulkanische Ausbrüche. Im Gebiete der Kunst: Alles, was die göttliche Größe und Macht, aber auch, was geistige Menschengröße, Hoheit, Aufopferung, Standhaftigkeit poetisch, rednerisch oder anschaulich versinnlicht, Darstellungen des Weltgerichtes; große Dome, der olympische Zeus; im Gebiete der Musik insbesondere: Tonstücke mit ausgehaltenen vollen starken Tönen als namentlich Glockentönen, Orgeltönen. Im geistigen Gebiete: eben jene geistigen Größen, welche für die Kunst zu Gegenständen erhabener Darstellung werden.

    Versuche ich nun im Rückblick auf diese Beispiele das Gemeinschaftliche des Eindruckes, der dadurch erweckt wird, oder doch bei hinreichender subjektiver Empfänglichkeit erweckt werden kann, zu bezeichnen, so scheint mir, das Gefühl der Erhabenheit beruhe darauf, daß die Seele einen, aus der mittleren Größe oder Stärke gewohnter Eindrucke heraustretenden, einheitlichen Eindruck mit Lustübergewicht erfahre, dessen eigentümlicher Lustcharakter nicht durch den einheitlichen Charakter allein, sondern eben dadurch, daß der Eindruck zugleich ein starker oder großer ist, wie umgekehrt nicht durch die Größe oder Stärke allein, sondern dadurch, daß der Eindruck zugleich ein einheitlicher ist, bedingt wird. Bis zur Unendlichkeit sich in der Erklärung zu versteigen überlasse ich gern den Idealisten. Das Schöne, insofern man es nach einer engeren Fassung dem Erhabenen gegenübersetzen will, teilt mit ihm den einheitlichen Charakter, aber nicht die, aus dem Gewöhnlichen heraustretende Größe oder Stärke des Eindrucks; in sofern man aber das Schöne so weit fassen will, daß das Erhabene selbst mit darunter tritt, in welcher Hinsicht die Definition frei steht, ist das Erhabene die besondere Art des Schönen, bei welcher die Größe des Lusteindruckes von der Größe des Eindruckes selbst mit abhängt, ohne doch allein davon abzuhängen, da dazu der einheitliche Charakter des Eindrucks wesentlich mit gehört.

    Inzwischen bedürfen diese Erklärungen teils noch der Erläuterung, teils Rechtfertigung entgegenstehenden Ansichten gegenüber.

    Wenn Kirchmann an dem Eindrucke, den das Erhabene macht, nicht nur überhaupt nichts Lustvolles findet, sondern ihn sogar dem lustvollen polar entgegengesetzt findet, und wenn Burke und C. Hermann eine ähnliche Ansicht, nur in anderer Wendung vertreten, so hängt das an Beschränkungen des Lustbegriffes, die sich schwerlich allgemeine Geltung verschaffen werden. Ich denke, um ganz populär zu reden, wenn man jeden Eindruck lustvoll nennt, den man gern hat, und bei fehlenden Gegenmotiven sogar sucht, so wird man auch erhabene Eindrücke vorwiegend lustvoll nennen dürfen. Auf die Frage aber, ob nicht im Eindrucke des Erhabenen doch Unlust eine Rolle mitspiele, komme ich unten.

    Damit ein großer oder starker einheitlicher Eindruck, wie er zum Charakter der Erhabenheit von uns gefordert ist, überhaupt entstehen könne, muß eine demgemäße Ursache dazu vorhanden sein, und der Charakter der aufgezählten Ursachen entspricht dieser Forderung. Häufig wird Einfachheit zum Charakter der Erhabenheit gerechnet, aber dies ist nicht streng zu nehmen: ein Himmel voll schwarzer Gewitterwolken, ein sternenheller Nachthimmel sind nicht einfach und können doch einen sehr erhabenen, in ihrer Art sogar erhabenem Eindruck machen, als ein ganz blauer Himmel, der übrigens im Grunde auch nicht einfach, sondern nur gleichförmig ist; das aber pflegt man hierbei unter Einfachheit zu verstehen. Statt Einfachheit, Gleichförmigkeit ist eben nur einheitlicher Charakter des Eindruckes das Wesentliche zur Erhabenheit. Nun ordnet sich das Gleichförmige dem Einheitlichen zwar unter, und kann somit durch Größe erhaben werden, insofern es nicht langweilig wird, aber ordnet sich ihm doch nicht allein unter, da vielmehr auch das Viele und Mannigfaltige unter einen anschaulichen oder ideellen einheitlichen Gesichtspunkt treten kann (vergl. Abschn. VI) ; und insofern es der Fall ist, widerstrebt es nicht nur dem Eindrucke der Erhabenheit nicht, sondern kann sogar durch die Höhe des verknüpfenden Gesichtspunktes diesem Eindruck selbst den Charakter einer größeren Höhe erteilen, durch die, unter dem einheitlichen Gesichtspunkte begriffene, Mannigfaltigkeit den Geist nachhaltiger und lustvoller beschäftigen, als es die einfache Gleichförmigkeit vermöchte, und durch die Menge des Verknüpften die Größe des Eindruckes selbst bedingen oder steigern.

    Also kann auch das Unzählbare, insofern es sich einheitlich zusammenfassen läßt, einen erhabenen Eindruck machen, weshalb man von einer numerischen Erhabenheit spricht; und unstreitig wird sowohl der Nachthimmel durch seine zahllosen Sterne als der gotische Dom durch seine zahllosen Zierraten, insofern sie einen einheitlichen Charakter tragen, nur um so erhabener. Immer aber bleibt der einheitliche Charakter wesentlich dabei. Freilich sind die Sterne nach keinem bestimmten Prinzip regelmäßig geordnet; aber es ist wie bei der Marmorierung (Th. I.); es geht doch ein einheitlicher Charakter durch ihre Verteilungsweise durch, gegenüber der völligen Unregelmäßigkeit, welche statt finden würde, wenn hier und da Haufen Sterne sich zusammenklumpten, dazwischen große leere Stellen blieben, hier große, da kleine verschiedengestaltete Lichtflächen erschienen. Damit fiele auch der Charakter der Erhabenheit des Sternenhimmels weg.

    Nun fragt man vielleicht: müßte der Anblick des Sternenhimmels dann nicht noch erhabener werden, wenn er ganz regelmäßig mit Sternen besät wäre, sofern hiermit der einheitliche Charakter der Verteilung zur reinen und vollen anschaulichen Geltung käme. Auch glaube ich, es würde von vorn herein der Fall sein; wie sich denn unstreitig der Eindruck eines großen schwarzen Samtmantels mehr dem erhabenen nähert, wenn er regelmäßig, als wenn er unregelmäßig mit goldenen oder silbernen Sternen besät ist. — Aber eine und dieselbe leicht fassliche Regelmäßigkeit am ganzen Himmel und alle Nächte wiederzusehen, würde uns durch Monotonie bald ermüden, indes die Unregelmäßigkeit, welche den einheitlichen Charakter der Verteilung vielmehr durchbricht als zerbricht, unterstützt durch die wechselnde Stellung des Himmels gegen uns nach Nachtstunde und Jahreszeit, einen monotonen Eindruck nicht aufkommen, vielmehr uns so zu sagen den Himmel immer neu erscheinen und immer Neues daran finden läßt. Die Sterne scheinen uns nicht mit der Sämaschine, sondern aus der lebendigen Hand eines großen Sämannes ausgeworfen, und ein stilles assoziatives Gefühl hiervon mag beitragen, die unregelmäßige Verteilung der Sterne anmutender für uns zu machen, als es die regelmäßige sein könnte. Also kann man sagen: der Himmel hat sich in dieser wie nach anderen Beziehungen so vorteilhaft als möglich für uns eingerichtet, indem er von dem monotonen und bloß auf äußere Anschaulichkeit berechneten Eindruck der Erhabenheit etwas Preis gegeben, um uns den Genuß derselben immer neu und mit tiefer greifender Wirkung zu gewähren.

    Daß Größe oder Stärke eines Eindruckes an sich selbst noch keine Erhabenheit begründet, ergibt sich daraus, daß, wenn man einen erhabenen Gegenstand so abgeändert denkt, daß bei unveränderter Größe oder Stärke seines Eindruckes der einheitliche Charakter desselben ganz verloren geht oder gar zu undeutlich wird, auch der Charakter der Erhabenheit wegfällt; denn was oben vom Himmel gesagt ward, gilt allgemein. So, wenn man den rollenden Donner durch einen Wechsel von Rollen, Knattern und Pfeifen ersetzt denkt, oder die Töne einer erhabenen Musik so versetzt, daß Melodie und Harmonie schwinden.

    Aber es gibt genug Gegenstände, die einen einheitlichen Eindruck machen, ohne doch erhaben zu erscheinen. Tatsache ist, daß überall, wo das Lustgefühl der Erhabenheit eintritt, es eben nur durch Vergrößerung, Erweiterung, Verstärkung eines einheitlichen Eindruckes über ein gewohntes Maß ist und durch Abschwächung desselben verloren geht. So wenn eine blaue Glasglocke, die uns klein nicht oder in unbedeutendem Grade ästhetisch interessiert, sich zum blauen Himmelsgewölbe, das Rollen eines Wagens zum majestätischen Rollen des Donners, der Feuerstein mit dem Fünkchen daraus zum feuerspeienden Berge, der wellenschlagende Teich zum wogenschlagenden Meere, das schwache Glockengeklingel zum Glockenläuten, das Modell eines gotischen Domes zum gewaltigen Dome, der schwache Charakter eines Menschen im Drama oder Epos zur unerschütterlichen allen Anfechtungen trotzenden Festigkeit erweitert, vergrößert, verstärkt. An all’ dem fangen wir in der Tat nur nach Maßgabe an, das den Eindruck der Erhabenheit charakterisierende, Gefallen zu finden, als mit der vermehrten Größe oder Stärke des Gegenstandes der Eindruck extensiv öder intensiv wächst. Ja wer wird leugnen, daß die furchtbarsten Schauspiele eben nur aufgesucht werden, um den Genuß der Größe eines einheitlichen Eindruckes zu haben, ohne daß man einen anderen Grund geltend zu machen wüßte. Darum bedauert der Tourist in Italien es bitter, wenn er einen Ausbruch des Vesuvs versäumt hat; und noch erinnere ich mich, als Dresdens Umgegend von einer großen Überschwemmung heimgesucht wurde, wie Manche von Leipzig dahin reisten, nur um das großartige Schauspiel zu genießen. Wenn eine Schlacht in der Nähe einer Stadt geschlagen wird, so sieht man die Türme trotz der Gefahr, welche verirrte Kugeln drohen, mit Zuschauern besetzt.

    Insofern man den Lustcharakter des Gefühls der Erhabenheit überhaupt anerkennt, kann man die Größe oder Stärke eines Eindrucks in doppeltem Sinne dazu beitragend denken, einmal, insofern die Lustbedingung, welche im einheitlichen Charakter an sich liegt, dabei so zu sagen einen multiplizierenden Faktor gewinnt, zweitens aber, insofern in der ausnahmsweisen Größe oder Stärke eines rezeptiven Eindrucks bei fehlenden Gegenwirkungen an sich ein Lustmoment liegt. Der Mensch liebt und verlangt nun einmal mitunterlaufende starke rezeptive Erregungen, wie uns aber von anderer Seite auch das ausnahmsweise Kleine gefällt. Jedenfalls gehört bei Eindrücken von ungewöhnlicher Stärke das Ausnahmsweise dazu, um uns zuzusagen, und sollte der Mensch Eindrücken von der Stärke der erhabenen fortgesetzt ausgesetzt sein, so würde er statt fortgesetzter Lust bald Erschöpfung fühlen, und es auf die Länge gar nicht aushalten. Es stumpft sich aber die Empfindung bei dauerndem Aufenthalte in erhabener Umgebung bald so ab, daß der Eindruck seine Stärke verliert, hiermit aber auch das Lustgefühl der Erhabenheit verloren geht.

    Nicht überall ist es die absolute oder positive Größe, Stärke, Menge einer Ursache, wodurch ein erhabener Eindruck entsteht; auch ein gewaltiger Abfall davon kann es sein, wie sich darin beweist, daß auch tiefe Ruhe, tiefes Schweigen, Öde, Pausen, Nacht im Gegensatz und Kontrast gegen positive Größen einen erhabenen Eindruck machen können, wonach man die dynamische Erhabenheit in eine aktive und passive unterschieden hat. Das Gemeinsame beider objektiv gegensätzlichen Fälle liegt, aber darin, daß der subjektive Eindruck doch beidesfalls ein starker und durch seine Stärke ästhetisch wirksamer ist.

    Überhaupt jede Änderung im zeitlichen Ablauf oder räumlichen Felde unserer sinnlichen, sowie assoziativ ausgelösten geistigen Erregung, sei es ins Positive oder Negative, wirkt mit der Kraft eines positiven Eindruckes; daher wacht der Müller in der Mühle auf, wenn die Mühle in ihrem Gange stockt, der Schläfer in der Predigt, wenn die Predigt aufhört. Ein kontinuierliches Schweigen, eine kontinuierliche Monotonie, eine kontinuierliche Öde, eine kontinuierliche stockfinstere Nacht vermöchten uns nicht stark anzuregen, wohl aber Schweigen, Monotonie, Öde, Finsternis im Unterschiede von dem, was wir gewohnt sind, so mehr, je größer der Unterschied davon ist.

    Zeising, der in seinen ästhetischen Forschungen besonders ausführlich auf die verschiedenen Arten und Modifikationen des Erhabenen unter Beifügung erläuternder Beispiele eingeht (was nachge-lesen zu werden verdient), stellt namentlich folgende Beispiele des passiv Erhabenen zusammen.

    "Das heilige Schweigen im Tempel mitten unter städtischem Getöse, die totenstille Pause in einem Allegro con Brio, das Aushalten eines und desselben Tones bei ewig wechselnder Harmonie, ein treues Herz am Hofe Ludwigs XIV., Fabricius gegenüber den Bestechungsversuchen des Pyrrhus, ein Gottvertrauen mitten im Sturme der Leiden, Kolumbus unter dem verzweifelnden Schiffsvolk, u.s.w.

    Ich selbst wüßte nicht, was einen erhabeneren Eindruck auf mich gemacht hätte, als bei einem Gange über den Gemmipaß der Anblick des mit einem Schneemantel umhüllten, mit niederen Schneespitzen umgebenen, Monte Rosa vor mir und die Öde des ganzen Umkreises um mich mit einem monotonen, aller Variation baren Rauschen, wie überhaupt öde Gebirgsgegenden zu den erhabensten Gegenständen gerechnet werden. Ich könnte die Erinnerung davon nur mit Verlust gegen die Erinnerung an so manche anmutige Gegend vertau-schen, indem der so viel mächtigere einheitliche Eindruck zugleich ein so viel lustvollerer war; und wenn nicht die allgemeine Erfahrung in demselben Sinne wäre, so würden nicht die von Gletschern starrenden Gegenden der Schweiz die besuchtesten sein. Dabei wirkt freilich der positive Eindruck der Höhe mit dem der Öde zusammen, den Eindruck der Erhabenheit zu begründen; aber wären die hohen Berge bewachsen, so würde zwar der Eindruck der Lieblichkeit wachsen, aber der Eindruck der Erhabenheit, und mit ihm zugleich die Zahl der Besucher abnehmen.

    Nun könnte man freilich meinen, wenn nach obigen Beispielen der gänzliche Wegfall eines Reizes im Stande ist, einen starken und dadurch erhabenen Eindruck zu machen, müßte schon die Annäherung an diesen Wegfall eine Annäherung an solchen Eindruck gewähren, also die Erscheinung von etwas sehr Kleinem, Schwachen, insbesondere in Folge oder Nachbarschaft von etwas sehr Großem, Starken, fast eben so erhaben sein, als der völlige Wegfall in obigen Beispielen, statt daß es nur den, gar nicht erhabenen, Eindruck des Schwachen macht, z. B. ein leises Gelispel statt einer Pause in einer rauschenden Musik. Aber dies möchte so zu fassen sein. Fällt die starke Ursache plötzlich auf große Schwäche herab ohne doch Null zu werden (unter die Schwelle zu sinken), so nimmt nun das Schwache unsere Aufmerksamkeit gefangen und gibt den entsprechend schwachen Eindruck, wogegen, wenn das Starke ganz wegfällt, nichts Positives da ist, was unsere Aufmerksamkeit anzieht, mithin der starke Differenzeindruck jetzt ungestört sich geltend macht. Übrigens kann doch auch eine Ursache, ohne ganz wegzufallen, auf einen solchen Grad der Schwäche sinken, daß unsere Aufmerksamkeit nicht mehr davon angezogen wird, und dann besteht auch die Annäherung an den Eindruck des völligen Wegfalls. Die erhabenste Öde und Pause ist doch nicht absolut öde und nicht absolut still.

    Daß der Eindruck der Erhabenheit nicht bloß durch sinnliche Gegenstände oder Vorstellungen von solchen, sondern auch vorgestellte geistige Eigenschaften bewirkt werden könne, wird durch die Geläufigkeit der Ausdrücke: erhabener Charakter, erhabene Gesinnung, erhabener Geist, bezeugt. Nur daß es nicht Sache der Ästhetik in der hier eingehaltenen Beschränkung ist, sich mit rein geistiger Erhabenheit zu beschäftigen, außer sofern sie sich durch sinnliche Zeichen kund gibt. Und solche können zwar oft in sinnlicher Größe oder Kraftäußerung, aber sie können auch in anderen Zeichen liegen, wonach der Eindruck der Erhabenheit nichts weniger als allgemein in Proportion mit sinnlicher Größe oder Stärke wächst. Das Christkind in den Armen der Raphael’schen Sixtina macht einen erhabeneren Eindruck als ein riesenmäßiger St. Christoph auf anderen Bildern; eine kleine Jupiterbüste kann erhabener scheinen, als eine große Negerbüste; und ein gotischer Dom erscheint erhabener als ein viel größerer Fels. Ja eine geistige Kraft kann um so erhabener erscheinen, mit je kleineren Mitteln sie einen großen Zweck erreicht, wie denn Jean Paul geltend macht, daß die Bewegung von Jupiters Augenbrauen erhabener sei als die seines Armes oder ganzen Körpers.

    Inzwischen ist damit, daß sinnliche Größe und Stärke (resp. starker Abfall davon) nicht notwendig zum Eindrucke der Erhabenheit ist, nicht gesagt, daß sie, wenn vorhanden, nichts dazu beiträgt. Zuvörderst tut sie es gewiß indirekt, sofern alles sinnlich Große und Starke nicht nur assoziative Vorstellungen von großen und starken Ursachen und Wirkungen mit-führt, sondern auch als Bild an anderes Große und Starke erinnert. Namentlich sind alle starken Naturgewalten geeignet, assoziationsweise das Gefühl des Daseins eines über die momentane Äußerung der Gewalt hinausreichenden, mit dem Quelle unserer eigenen Lebenskraft analogen, Quelles von Kraft anzuregen; und sofern wir uns selbst in kräftiger Äußerung unserer Lebenstätigkeit lustvoll fühlen, überträgt sich auch ein Lustgefühl an die objektive Anschauung solcher Äußerung. Nur möchte ich mich dagegen erklären, daß das Gefühl der Erhabenheit hierbei bloß auf der assoziativen Erinnerung an analoge eigene Kraftäußerungen beruhe, da die Anschauung gewaltiger Szenen schon unmittelbar eine starke Betätigung unserer Lebenskraft im Gebiete eines Sinnes auslöst, und die Assoziation nicht minder Erinnerungen an starke Eindrücke, die wir erfahren, als starke Tätigkeiten, die wir äußern, aufrufen kann. Warum also auf letzterer Seite der Assoziation allein fußen. (Vergl. Th. I.)

    Gewiß ist, daß bei jedem nicht ganz rohen Menschen Assoziationsvorstellungen der einen oder anderen Art eine Hauptrolle im Eindrucke der Erhabenheit spielen, und man kann selbst fragen, ob überhaupt noch von Erhabenheit zu sprechen, wenn alle Assoziationsvorstellungen wegfielen, z. B. der Erscheinung des Vesuvausbruches die Vorstellung der ungeheuren Kräfte, die ihn bewirken, der Wirkungen, die er äußert, der Tiefe, aus der er kommt. Jedenfalls würde der bloß sinnliche direkte Eindruck durch seine Niedrigkeit sehr in Nachteil gegen den durch die Assoziation bereicherten und erhöhten stehen; auch ist der Begriff der Erhabenheit bloß aus Fällen, wo Assoziationen nicht fehlen, abstrahiert. Anderseits aber finde ich beim Zusammenwirken direkten und assoziativen Eindruckes keinen Grund, die Wirkung, welche die starke, ausgedehnte, einheitliche Beschäftigung eines Sinnes auf den Geist direkt äußert, vom Eindrucke der Erhabenheit abzuziehen, um bloß die Leistung der assoziativen Beschäftigung in Rechnung zu bringen; sondern meine, es ist in dieser Beziehung ähnlich mit der Erhabenheit als mit der Schönheit. So wenig sinnlicher Wohlklang allein Schönheit im höheren Sinne zu begründen vermag, trägt er doch wesentlich zur Schönheit des Gesanges bei, und so wenig man von Erhabenheit einer bloß sinnlichen Größe in höherm Sinne wird sprechen können, trägt sie doch da, wo sie als Unterlage höherer Beschäftigung auftritt, wesentlich zum Eindrucke der Erhabenheit bei.

    Nicht minder als bei den großartigen Naturszenen von aktiver Erhabenheit spielt in den oben angeführten Beispielen passiver Erhabenheit die Assoziation ihre Rolle. Die sinnliche Öde der Gletscherregionen für das Auge tut’s nicht allein; aber was knüpft sich nicht Alles von so zu sagen öden Vorstellungen daran, als: Hier wächst nichts, hier lebt nichts, hier gedeiht nichts, hier ist für menschliches Treiben keine Stätte; hier wärst du sicher vor einer Störung durch das Weltgetümmel; hier ist ewiger Friede; hier ist die Wirkung und Wohnung eines über die Welteinzelheiten erhabenen einsamen Geistes. Das sind nun unstreitig großenteils unlustvolle Assoziationen; und wer wird leugnen, daß uns aus gewissen Gesichtspunkten eine solche Öde wirklich mißfällt; ja sie würde uns überwiegend mißfallen, wenn wir wüßten, daß wir in dieser Öde, in der sich nicht leben läßt, doch leben sollten. Da aber dieser Anspruch unserer Vorstellung fern bleibt, so gewinnt hiergegen die Lust des gewaltigen Eindruckes, den die Pause im blühenden Leben macht, leicht das zeitweise Übergewicht, ein Übergewicht, was doch gar nicht notwendig eintritt, da der Geschmack an solchen Gegenden so zu sagen erst ein Produkt der neueren Romantik ist. (Vergl. Th. I.)

    Die Frage nach dem Lust- oder Unlustcharakter des Eindruckes der Erhabenheit anlangend, so halten es bemerktermaßen Viele zum Eindrucke der Erhabenheit wesentlich, daß sich Lust und Unlust darin mischen, oder Lust nur als eine Art Reaktion gegen Unlust zu Stande komme, hauptsächlich auf Grund dessen, daß das Furchtbare uns erhaben erscheinen kann, um so erhabener, je furchtbarer es ist. Burke, Lemcke, Kant betrachten sogar Furchtbarkeit selbst als wesentlich zum Charakter des Erhabenen überhaupt oder doch des dynamisch Erhabenen, und Furcht fällt auf die Seite der Unlust. Ich meine aber doch nicht, daß man Recht hat. In der Tat vergleiche man den Zustand dessen, der einem empörten Meere oder vulkanischen Ausbruche gefahrlos und unbeteiligt zusieht, mit dem Zustande dessen, der für sein eigenes oder anderer ihm Nahestehender Leben oder Eigentum zittert oder in Mitleid für Andere aufgeht, und man wird sich sagen, daß nur jener den Eindruck der Erhabenheit recht rein empfindet, dieser denselben um so mehr entbehrt, je mehr er zittert; was nicht hindert, daß er mitunter der Gefahr vergißt und dann doch auch die Erhabenheit des Schauspieles genießt; aber sofern er der Gefahr dazu vergessen muß, kann die Furcht kein Ingrediens dieser Empfindung sein. Also erscheint die Unlust der Furcht doch vielmehr als ein störendes, denn als ein wesentliches Moment des Eindruckes der Erhabenheit.

    Freilich steigt das Gefühl der Erhabenheit bei furchtbaren Gegenständen mit der Furchtbarkeit, weil das Lustmoment, der Gewalt des Eindruckes damit steigt; aber nur nach Maßgabe, als es das Unlustmoment der Furcht übersteigt, oder wechselnd damit als Bewunderung auftritt, kann der Eindruck der Erhabenheit zur Geltung kommen.

    Auch fehlt es ja der Natur wie Kunst nicht an Beispielen, bei denen die zur Erhabenheit erforderliche Größe oder Stärke des Eindruckes ganz unabhängig von Furchtbarkeit zu Stande kommt, und man einen Hinterhalt von Unlust überhaupt nur einer Theorie zu Liebe hineintragen, aber mit aller Vertiefung eines unbefangenen Blickes nicht darin finden kann. Das Aufsteigen der Sonne am Morgen oder des Vollmondes Abends über den Horizont, ein sternenheller Nachthimmel, der über Wolken gespannte Regenbogen , ein sanftbewegtes blaues Meer mit vielen Schiffen, ein gotischer Dom, gewähren solche Beispiele, wobei sich die Seele mit reiner Lust ausweitet, und über die Kleinlichkeit und Zerstückelung der gewöhnlichen Eindrücke erhebt. Ja, je fester uns der gotische Dom zu stehen und in seinem Halt den Halt ewiger Gesetze zu repräsentieren scheint, worin unser eigener Halt mit begriffen ist, desto erhabener wird er uns sogar erscheinen; laß die Furcht kommen, er werde über unseren Köpfen zusammenstürzen, und das Gefühl der Erhabenheit wird mit stürzen.

    Burke hat den Satz: "das Schrecken ist, in allen Fällen ohne Ausnahme, bald sichtbarer, bald versteckter, das herrschende Prinzipium des Erhabenen"; und er sucht diesen Satz in einer Häufung von Beispielen durchzuführen. Aber im Grunde stellt er damit doch eben nur zusammen, was zu dem Satze paßt; Beispiele vom Charakter der obigen müssen sich gefallenlassen, als solche, wo das Schrecken versteckter Weise in Betracht komme, gedeutet zu werden, und freilich ist eine Deutung, daß etwas versteckt da sei, wovon kein Anzeichen davon da ist, in jedem Fall möglich, nur kann man keine haltbare Theorie darauf stützen.

    Es kann aber überhaupt das, vom einheitlichen Charakter und der Quantität des Eindrucks abhängige, Lustgefühl der Erhabenheit durch die besondere Beschaffenheit des Eindruckes eben sowohl Unterstützung als Gegenwirkung finden; auch können subjektive Verhältnisse auf mancherlei Art gegenwirkend auftreten; und die Erhabenheit furchtbarer Gegenstände gewährt selbst nur eins unter vielen Erläuterungsbeispielen hierzu.

    Wenn ein Tempel an Größe wächst, so wachsen alle, unser Lustgefühl in positivem Sinne bestimmende, Eigenschaften desselben mit; ja er empfängt solche zu größerem Teile erst durch seine Größe, und so steigert sich der Lusteindruck der Größe dadurch oder wird selbst erst dadurch über die Schwelle gehoben; hingegen wenn ein furchtbarer Gegenstand an Furchtbarkeit wächst, so wächst mit dem ästhetischen Vorteil der Größe des Eindrucks zugleich der ästhetische Nachteil der Furcht mit, und kann nach Umständen von jenem Vorteil überwachsen werden oder denselben überwachsen, wonach der Eindruck der Erhabenheit furchtbarer Gegenstände obigen Bemerkungen gemäß noch zu Stande kommen, ja mit der Furchtbarkeit wachsen oder auch unterdrückt werden kann. Denkt man sich nun aber etwa einen Floh oder eine Laus bis zur Turmgröße vergrößert, so spricht man trotz der wachsenden Stärke des Eindruckes gar nicht mehr von einem erhabenen, sondern greulichen oder scheußlichen Gegenstande, indem die Unlust des Ekels an diesen Tieren mit ihrer Größe in jedem Falle viel stärker wächst als die Lust ihres Größeneindruckes. Obwohl man selbst hier eine solche Lust noch zugestehen muß. Denn sollte Jemand ein solches Riesentier dieser Art vorzeigen können, es würde ihm nicht an Besuchern fehlen, die es einmal, aber freilich bloß einmal würden sehen mögen. Auch ein Amor aber, in ungeheuren Dimensionen ausgeführt, würde uns nicht erhaben, sondern ungeschlacht erscheinen, weil die ästhetisch vorteilhaften Assoziationen der blühenden zarten Jugend und des kindlichen Verhältnisses zur Göttin der Schönheit, welche die Idee des Amor wohlgefällig machen, darunter leiden würden, ohne daß der Vorteil der wachsenden Größe diesen Nachteil zu kompensieren vermöchte, das Gegenteil mit der Statue eines Jupiter. Eine Musik aus starken, vollen, lang ausgehaltenen Tönen wird man erhaben finden können, wenn sie durch harmonische Beziehungen dem Eindrucke der Stärke und Fülle der Töne zu Hilfe kommt, und schauderhaft statt erhaben, wenn sie sich in mißklingenden Akkorden bewegt. Eine Tanzmusik auf der Orgel ist wie der kolossale Amor vielmehr ungeschlacht als erhaben.

    Das Gefühl für die Erhabenheit von Gebirgsgegenden ist am wenigsten hei den Gebirgsbewohnern selbst, namentlich den ungebildeten Klassen derselben, zu finden. Wie viel schöner ist es, sagen sie, sich in einer Ebene weit umsehen zu können, und wie viel schöner ist die Fruchtbarkeit der Ebene, als was die Berge bieten. V. Saussure erzählt von einem savoischen Bauer; der alle Liebhaber der Eisgebirge Narren nannte. Fragt man sich, woran dies hängt, so hat man zu sagen, teils an dem schon bemerkten Umstande, daß der Eindruck der Erhabenheit wie jeder ästhetische Eindruck dem Einflüsse der Abstumpfung durch Wiederholung und Dauer unterliegt; teils daran, daß den Gebirgsbewohnern die Mühseligkeiten und der geringe Ertrag der Natur den Anblick der Größe und Höhe, wovon diese Nachteile abhängen, verleiden; endlich daran, daß die niederen Klassen wenig Höheres an den Anblick zu assoziieren wissen. Hiergegen hat der in einer Ebene heimische Tourist, der dieselbe Gegend bereist, den vollen Eindruck des Kontrastes, und statt sich in der Gegend abzuarbeiten, durchreist er sie mit Komfort oder macht Anstrengungen eben nur, um eines erhabenen Eindruckes zu genießen, und ist von Jugend auf so zu sagen darauf abgerichtet, den Dingen ihre höheren Beziehungen abzuempfinden. Alles das sind Bedingungen, welche seiner Empfänglichkeit für den erhabenen Eindruck von Gebirgsgegenden zu Statten kommen.

    Bei Kindern, rohen Nationen und dem Proletariat der gebildeten bemerkt man überhaupt wenig vom Eindrucke der Erhabenheit der Natur, weil ihr geistiger Blick den sinnlichen nicht weit überragt und übersteigt. Dazukommt es auf die Art und Richtung der Bildung an. Die alten Griechen und Römer konnten noch nicht eben so wie wir den Eindruck einer einheitlichen schöpferischen Macht an die Betrachtung der Natur knüpfen, und so entging ihnen ein Moment, was bei uns zum Eindrucke der Erhabenheit großer Naturszenen beitragen kann.

    Der Begriff des Erhabenen hat verschiedene Gegensätze. Aus gewissem Gesichtspunkte steht ihm entgegen das Greuliche oder Scheußliche, aus anderem das Kleinliche, aus noch anderem das Niedliche, aus noch anderem das Lächerliche. Die Möglichkeit so verschiedener Gegensätze erklärt sich daraus, daß in den Begriff des Erhabenen einmal die Größe, zweitens der lustvolle, drittens der einheitliche Charakter des Eindruckes eingeht. Jedes dieser Bestimmungsmomente aber kann für sich oder mit dem anderen zusammen in den Gegensatz umschlagen. Das Greuliche und Scheußliche hat noch die Größe des Eindruckes mit dem Erhabenen gemein; aber es ist eine unlustvolle Größe; die Unlust überwiegt, indes beim Furchtbaren die Lust noch überwiegen kann, weshalb es in keinem reinen Gegensalze gegen das Erhabene steht, sondern selbst erhaben sein kann. Das Niedrige, Kleinliche, steht nach beiden Momenten zugleich dem Erhabenen entgegen; es erweckt Unlust dadurch, daß es an Größe, Kraft, Leistung einen kleineren Eindruck macht, sich weniger über den Durchschnitt erhebt, als wir zu unserer Befriedigung verlangen; hiergegen hat das Niedliche das Moment des Lusteindruckes mit dem Erhabenen gemein, aber es ist vielmehr eine aus dem Gewöhnlichen heraustretende Kleinheit des extensiven Eindruckes, welche die Lust vermittelt oder den Eindruck zum lustvollen ergänzt. Nicht selten findet man das Niedliche kurz als das Schöne im Kleinen erklärt; aber eine noch so kleine gemalte Madonna, ein noch so kleines Modell eines Tempels werden durch die Verkleinerung noch nicht niedlich; vielmehr muß die Kleinheit selbst zum Lusteffekt beitragen, um Niedliches zu erzeugen, was teils durch den Reiz des Ungewohnten, teils vorteilhafte Assoziationen als Leichtigkeit der Last und Bewegung, materielle Bedürfnislosigkeit u. dgl. geschehen kann. Das Modell eines schönen Tempels ist nicht niedlich, sondern nur ein verkleinertes Schöne, weil wir gewohnt sind, verkleinerte Modelle zu sehen, aber ein liliputanischer Tempel mit wirklichen ein- und ausgehenden kleinen Figuren würde uns niedlich erscheinen; denn so etwas haben wir noch nicht gesehen.

    Nun freilich können wir auch ein Dämchen, mit dem wir täglich umgehen, fortgehends niedlich nennen; aber doch nur sofern der Vergleich mit der gewohnten Damengröße uns immer stillschweigend gegenwärtig bleibt.

    Hiermit ist nicht geleugnet, daß wohlgefällige Verhältnisse eines kleinen Gegenstandes zum Lusteindrucke desselben nicht nur beitragen können, sondern meist zur Ergänzung desselben gehören werden.

    Das Lächerliche teilt zwar den Lustcharakter mit dem Erhabenen, aber während bei letzterem dieser Charakter wesentlich an einheitlicher Größe hängt, hängt er (nach dem 17. Abschn.) bei dem Lächerlichen an einer starken Differenz oder selbst widersprechenden Beschaffenheit des einheitlich Verknüpften.