XXXI. Phantasie-Ansicht der Schönheit und Kunst.

    Eine der verbreitetsten Kunstansichten erhebt die Abhängigkeit der Schönheit und Kunst von der Phantasie zum ästhetischen Hauptgesichtspunkte. In Besprechung dieser Ansicht knüpfe ich an einen Vortrag an, den ich früher hin einmal im Leipziger Kunstverein hörte, gehalten von einem Kunstkenner, dessen Bedeutung im Kunstfache seitdem darin ihre Anerkennung gefunden hat, daß seiner Direktion eines der bedeutendsten Kunstinstitute untergeben worden ist.

    Der, in der Form sehr anziehend gehaltene, und gewiß von Allen, die sich überhaupt derselben Richtung zuneigen, sehr befriedigend gefundene, Vortrag galt direkt einer Charakteristik Genelli’s, dem der Redner eine unbedingte, ja enthusiastische Bewunderung zollte. Dieser Künstler sei ein Genie, das, seine Zeit überragend, das wahrste Wesen der Kunst erfaßt habe und in seinen Werken auspräge. Denn worin bestehe das Wesen, die Aufgabe der Kunst? Sie habe einem ästhetischen Interesse zu dienen, welches von allen anderen Interessen unabhängig sei. Es gebe ein Reich der Schönheit, was ohne Rücksicht auf einen sittlichen oder anderen Gehalt, dem wir sonst Wert beilegen, das Interesse in Anspruch nehme, und Aufgabe der Kunst sei, dies Interesse zu befriedigen. Diese Befriedigung aber werde erzeugt wie gewonnen durch ein Spiel der Phantasie, was im Künstler mit möglichster Machtfülle zu wirken und sich im Genusse des Kunstwerkes wieder zu vollziehen habe. Um was gespielt werde, darauf komme es nicht an. Hiernach seien die geeignetsten Gegenstände für die Kunstdarstellung solche, welche die freieste, lebendigste, kräftigste Entwicklung dieses Spieles gestatten; im Übrigen müsse das Gefallen an der Schönheit interesselos sein. — Dies, wenn nicht ganz die Worte, doch der Sinn des Vortrages, so weit meine Notate darüber reichen. Kurz, Schönheit und Kunst werden wesentlich von einer aktiven und rezeptiven Betätigung der Phantasie abhängig gemacht.

    Wer nun vermöchte die Abhängigkeit der Kunst und in gewissem Sinne der Schönheit von der Phantasie überhaupt zu bestreiten. Denn wie könnte ein Künstler ohne ein schöpferisch geistiges Vermögen, was die Phantasie ist, schaffen und gestalten, insofern man die Kunst nicht auf sklavische Nachahmung der Natur beschränken will, und wie der Genießende ohne Erweckung eines Vorstellungsspiels durch das Kunstwerk Genuß davon haben, falls man nämlich dies rezeptive Spiel auch Phantasie nennen will. Nun aber wird etwas doch dadurch allein noch nicht schön, daß es durch ein Phantasiespiel, sei es auch das allerlebhafteste, erzeugt ist und ein entsprechendes Spiel wieder erzeugt, denn in welchen Ungeheuerlichkeiten kann die Phantasie spielen. Vielmehr fragt sich noch, wodurch die Phantasie bei ihren Schöpfungen zu leiten, zu ordnen, zu zügeln, wie zu richten ist, um nichts bloß Phantastisches, Verworrenes oder geradezu Häßliches zu schaffen, und hierin scheint mir der Hauptpunkt zu liegen, auf dessen Klarstellung und Entwicklung es ankäme, also durch die Erklärung des Schönen nach seinem Ursprunge aus Phantasie eine Erklärung nur angebahnt, deren Wesentlichstes erst zu suchen ist. Fragt sich, ob es in den Erläuterungen und Ausführungen der Erklärung, woran es ja nicht mangelt, zu finden — jener Vortrag selbst hatte nicht die Aufgabe, sich darein zu vertiefen. Also gehen wir unserseits etwas näher auf die Ansicht nach ihren herkömmlichsten Fassungs- und Begründungsweisen ein.

    Die Erklärung des Schönen durch Bezugnahme auf die Phantasie, vertreten insbesondere durch Solger, Weisse, W. v. Humboldt, Hettner, Köstlin u. A., stützt sich, mehr oder weniger weit ausholend, gemeinhin auf folgende Gesichtspunkte. Das schöpferisch gestaltende Vermögen des Geistes heißt Phantasie. Von diesem Vermögen hängt faktisch die Schöpfung alles Kunstschönen ab. Man braucht aber den Begriff der menschlichen Phantasie bloß zu verallgemeinern und zu erhöhen, um auch von einer göttlichen Phantasie sprechen zu können, als welche sich in Schöpfung und Ausgestaltung einer geordneten, alles Naturschöne nicht nur einschließenden, sondern in ihrer Totalität selbst ein schönes Ganze darstellenden, erscheinlichen Welt in nur höherer Weise betätigt hat, als der Künstler sich in Schöpfung und Ausgestaltung seiner erscheinlichen Einzelwerke betätigt. Der rechte Künstler aber hat mit seinem Schaffen dem göttlichen Schaffen nur nachzuschaffen, im Sinne desselben fortzuschaffen, sei es, daß man den Geist des Künstlers nach der Immanenz-Ansicht im göttlichen selbst lebend, webend denkt und hiermit sein Schaffen mit einer Äußerung göttlichen Fortschaffens selbst identifiziert, oder es nur als eine Nachahmung göttlichen Schaffens betrachtet, sofern Gott den von ihm geschaffenen Künstler mit einem Funken seiner eigenen Schöpferkraft begabt habe.

    Hiernach ist die Schöpfung alles Schönen von Grund aus bis zur höchsten Spitze und weitesten Umfassung ein Werk der Phantasie. Schön ist überhaupt etwas, insofern es die Entstehungsweise aus der göttlichen Phantasie oder im Sinne derselben fortschaffenden menschlichen Phantasie aufweisen kann. Insofern aber die göttliche Phantasie sowie die Phantasie eines vollendeten Künstlers in Schöpfung des Schönen als eine wahrhaft frei und harmonisch tätige bezeichnet werden kann, läßt sich auch der Rückgang bis zur göttlichen Phantasie in der Begriffsbestimmung des Schönen dadurch umgehen und damit denen genug tun, die diesen Rückgang zu mystisch finden, daß man die Eigenschaft einer wahrhaft freien und harmonischen Betätigung von der Phantasie zur Schöpfung des Schönen verlangt; nur daß man dann beim Naturschönen darauf beschränkt bleibt, eine rezeptive Seite der Betätigung der Phantasie durch das Schöne geltend zu machen, um den Bezug seines Begriffes zur Phantasie festzuhalten, oder das Naturschöne vom Begriffe des Schönen überhaupt auszuschließen.

    Mit der Erzeugungsweise des Schönen durch die Phantasie hängt nämlich eine, für das Schöne nicht minder wesentliche, Rückwirkung desselben auf die Phantasie zusammen, sofern sich die Phantasie des das Schöne Genießenden entsprechend in der Anschauung, Aufnahme, Aneignung des Schönen frei und harmonisch zu betätigen hat, als der Schöpfer desselben in der Produktion, indem sie sich teils frei darein versenkt, teils ein freies und harmonisches Spiel daran knüpft.

    Nun kann zwar die menschliche Phantasie auch Ungeordnetes, ja Häßliches erzeugen und Häßliches die Phantasie beschäftigen, wodurch in der Tat das Häßliche mit dem Schönen unter denselben sehr allgemeinen Gesichtspunkt gebracht und zum gemeinsamen Objekte der Ästhetik erhoben wird; bei beiden spielt doch Phantasie die wesentliche Rolle. Ein Unterschied des Schönen vom Häßlichen bleibt aber in der Weise der Phantasiebetätigung bestehen, indem eine das Häßliche erzeugende oder durch das Häßliche beschäftigte Phantasie vielmehr zügellos als frei, disharmonisch als harmonisch, nicht in der Weise der göttlichen Schöpfertätigkeit noch vollendeten Künstlertätigkeit tätig ist. Daß Vieles dem Menschen häßlich auch in der von Gott geschaffenen Natur erscheint, widerspricht der Bezugsetzung des Schönen zum Sinne der göttlichen Schöpfungstätigkeit, falls man bis auf diese zurückgehen will, in sofern nicht, als das, was dem kurzsichtigen Menschen für sich so erscheint, diesen Charakter im Zusammenhange des Ganzen und nach der Totalität seiner Beziehungen betrachtet verliert. In diesem Zusammenhange, dieser Totalität aber ist es von Gott geschaffen, wird es von Gott angeschaut, und ist es in seinem Sinne aufzufassen.

    So gut sich das Alles scheint hören zu lassen, und ich habe mir selbst Mühe gegeben, es so gut hörbar als möglich darzustellen, läßt sich doch Folgendes dagegen erinnern.

    Man kann die Ursprungsbeziehung des Schönen zur Phantasie mit oder ohne Rückgang bis zur göttlichen Schöpfertätigkeit zugestehen, ohne damit die Brauchbarkeit einer darauf gegründeten Begriffsbestimmung des Schönen zuzugestehen, worüber ich auf das verweise, was in Teil I, Abschn. II, gesagt ist. Insbesondere erscheint es mißlich, mit der Erklärung des Schönen bis auf den Ursprung aus Gott zurückzugehen, auf den man freilich mit jeder Erklärung zurückgehen kann, wie man jede Geschichte mit Adam anfangen kann; aber so wenig sich die menschliche Geschichte klar und sicher vom mythischen Adam aus verfolgen läßt, so wenig die Ästhetik von der, den menschlichen Horizont überhaupt übersteigenden oder doch in Dunkel gehüllten, Idee Gottes. So werden viele Theologen die Analogie der göttlichen Schöpfertätigkeit mit der menschlichen Phantasie als auf Anthropomorphismus ruhend nicht zugestehen; die Schöpferkraft Gottes sei vielmehr etwas über alles menschliche Sinnen und Denken Erhabene. Gegenteils werden weder die Materialisten, noch Hegelianer, noch Schopenhauerianer die Schöpfung der Welt und mithin des Naturschönen durch einen bewußten Geist zulassen, da vielmehr nach allen diesen die Natur, die Idee, der Wille der Welt erst in Tier und Mensch zum Bewußtsein kommt, von einer unbewußten Phantasie in Schöpfung des Naturschönen zu sprechen aber wäre eine Gewaltsamkeit, welche das Wirken blinder Kräfte mit der Phantasie in Eins zusammenwerfen ließe; daher von dieser Seite die Neigung, das Naturschöne lieber gleich vom Schönen auszuschließen. Dann darf man der Definition zu Liebe einen schönen Menschen nicht mehr schön finden.

    Insofern zugestandenermaßen das Häßliche so gut als das Schöne Produkt und Erregungsmittel der Phantasie sein kann, würde nach schon oben gemachter Bemerkung eine Beides scharf scheidende Erklärung des Schönen durch Bezugnahme auf die Phantasie höchstens insofern genügen, als der Unterschied in der Weise, wie sich die Phantasie dabei betätigt, deutlich und scharf bezeichnet werden könnte, was aber eben so wenig, als durch Bezugnahme auf göttliche Schöpfertätigkeit, durch die Begriffe der Freiheit und harmonischen Beschaffenheit der Tätigkeit, noch irgend andere Kategorien, die erst einer weiteren Klärung bedürfen, geschehen kann.

    In der Tat, nach dem geläufigsten Begriffe der Freiheit (Abwesenheit von äußerem Zwange), steht es der Phantasie eben so frei, Häßliches als Schönes zu schaffen, und steht es bei Aufnahme eines Kunstwerkes nicht frei, sich den Eindrücken desselben zu entziehen und sie eben so frei abzuändern, als dem Künstler sie hervorzurufen. Nach der Ansicht Mancher aber (vergl. z. B. Abschn. XXII.) soll der Künstler sogar vielmehr aus dem Drange einer inneren Nötigung heraus produzieren. Nun kann man zwar aus gewissem philosophischen Gesichtspunkte auch Freiheit mit innerer Notwendigkeit identifizieren; aber bewahre der Himmel die Ästhetik vor der philosophischen Spintisierung über das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit. Jedenfalls will der Begriff der Freiheit. wie nicht minder der der Harmonie in der Anwendung zur Unterscheidung der rechten von der unrechten Tätigkeitsweise der Phantasie noch geklärt sein.

    Nun wird man meines Erachtens nichts Untriftiges sagen, wenn man die, bei Schöpfung und Aufnahme des Schönen in Betracht kommende, Tätigkeit der Phantasie insofern frei und harmonisch nennt, als sie mit Lust oder doch nicht mit Unlust geübt wird, und als sie wieder in lustgebende Erzeugnisse ausschlägt. Auch erläutert z. B. Köstlin wirklich jene Ausdrücke beiläufig in diesem Sinne. Hiernach aber scheint es mir vorzuziehen, die Erklärung des Schönen und die Aufgabe der Kunst sofort klar ausgesprochen auf den Zweck, die Lust, zu beziehen, als diesen Bezug unter unklaren oder mehrdeutigen Worten zu verstecken.

    Um über den so vielfach in der Ästhetik gebrauchten und zu scheinbaren Erklärungen mißbrauch-ten Begriff des Harmonischen gelegentlich noch etwas zu bemerken, so kann man überhaupt kurz sagen: Harmonie ist ein lustgebendes oder wenigstens Unlust ausschließendes, Verhältnis. Damit ist der Begriff der Harmonie klar und ohne Zirkel bestimmt; denn, auf das was Lust und Unlust ist, kann man unmittelbar in uns weisen, wogegen die mancherseits beliebte umgekehrte Bestimmung, daß die Grundbedingung der Lust in einem harmonischen Verhältnisse liege, um nicht auf Zirkel zu kommen, nichts anderes sagt, als: die Bedingung der Lust liegt in einem, Kürze halber harmonisch zu nennenden, Verhältnisse, dessen Natur aber durch diesen Ausdruck noch nicht bestimmt, sondern erst aufzusuchen ist. Zwar sagt man wohl: harmonisch ist, was mit sich oder was mit uns stimmt. Aber was mit uns stimmt, erkennt man eben nur daraus, daß es Unlust ausschließt, indem es uns gesund erhält, oder daß es uns positive Lust macht; und für das, was mit sich stimmt, haben wir zwar im Gebiete der Logik den klaren Satz des Widerspruches; aber was tut man damit in der Musik, der Malerei. Einen schlecht klingenden Akkord, eine ungefällige Farbenzusammenstellung, ein häßliches Gesicht, kann man Alles disharmonisch nennen, aber eben nur, sofern es Unlust macht; dem logischen Satze des Widerspruches ist es nicht entgegen. So lange der letzte allgemeinste Grund von Lust und Unlust nicht mit Sicherheit und Klarheit festgestellt ist, und das ist er bisher nicht (Th.I. 11 f.), hat man sich an partikuläre Gesetze, nach denen Lust und Unlust entstehen, zu halten; die Ausdrücke harmonisch und disharmonisch aber ersetzen weder noch enthalten solche.

    Wenn man nicht bloß das schöpferische Vorstellen des Künstlers, sondern auch rezeptive des Genießenden zum Phantasieleben rechnet, um den Begriff des Schönen nach beiden Seiten von der Phantasie abhängig zu machen, so kann hierbei unter Phantasie nichts Andres verstanden sein, als das Vermögen, sich überhaupt in einer Mannigfaltigkeit von Vorstellun-gen zu ergehen, welches sich allerdings eben so wohl produktiv äußern, als rezeptiv angeregt und beschäftigt werden kann. Man mag zugeben, daß ein weiter Sprachgebrauch auch eine so weite Auffassung des Begriffes der Phantasie zuläßt und wirklich im gemeinen Leben Beschäftigung der Phantasie und Beschäftigung der Einbildungskraft durch ein Kunstwerk oft unklar verwechselt werden; aber gewiß ist, daß man unter Phantasie in der Regel, und namentlich bei psychologisch klarer Unterscheidung, vielmehr ein schöpferisch produktives als ein rezeptives Vermögen versteht; und es scheint mir jedenfalls, daß die Erklärung der Schönheit in Bezug auf die Phantasie nicht ohne eine sorgfältige Auseinandersetzung in dieser Hinsicht geschehen sollte, um nicht die Tätigkeitsweise der Produktion und Rezeption unklar zusammenzuwerfen, hiermit eine sachlich untriftige Auffassung der Wirkung des Schönen hervorzurufen, welcher Gefahr mir in der Tat die bisherigen Erklärungen dieser Art mehr oder weniger zu unterliegen scheinen. Tätig freilich ist auch der rezeptiv angeregte Geist; aber man wird nicht jede Tätigkeit, namentlich nicht die, in welche der Geist durch die Auffassung eines Kunstwerkes versetzt wird, als eine schöpferisch produktive fassen können, da vielmehr die produktive Tätigkeit, die der Künstler gebraucht hat das Werk zu erzeugen, dem Genießenden durch Umsetzen in die rezeptive Auffassung erspart wird.

    In der Tat ruht der ästhetische Eindruck der Musik vielmehr in einem lustvollen Verfolge gegebener Beziehungen, auf deren Auffassung man eingeübt sein muß, als einer Betätigung des eigenen Produktionsvermögens. Beim Lesen eines Gedichtes läuft eine gebundene Folge von Assoziationen mit den Worten zugleich ab, ohne daß der Geist nur Zeit hat, eigene Schöpfungen produktiv zu intercalieren, und je bestimmter dasselbe ganz bestimmte Vorstellungen und Gefühle erweckt, einen desto größeren Eindruck macht es. Auch kann es bei diesem rein rezeptiven Eindrucke sein Bewenden haben, indem der Geist durch den Ablauf des Kunstwerkes in der Zeit auch fortlaufend beschäftigt wird. Geht der Genießende mit seiner Phantasie produktiv darüber hinaus, was ja leicht der Fall sein kann, so ist das der Wirkung des Kunstwerks an sich selbst unwesentlich; und wohl noch öfter besteht die Nachwirkung des Kunstwerks in einem Zurückgehen darauf als einem Darüber hinaus gehen mit eigner Phantasie.

    Mit Werken der bildenden Kunst verhält es sich. in sofern etwas anders, als sie nicht in der Zeit ablaufen, sondern bleibend verharren, doch aber auch in einer gewissen Dauer durch Wechsel beschäftigen wollen. Nun werden auch bei ihnen die Assoziationen, auf welchen ihr Haupteindruck beruht (Th. I.), dem Geiste als unmittelbarer Anhang der Anschauung geschenkt, nicht schöpferisch von ihm produziert, und überall sonst wird die assoziative Tätigkeit zur unfreien oder selbst mechanischen Seite des Geisteslebens gerechnet. Auch kann die Fortdauer einer genußreichen Beschäftigung mit solchen Werken bis zu gewissen Grenzen dadurch erhalten werden, daß man die Aufmerksamkeit wechselnd auf diese und jene Seiten oder Teile des Kunstwerkes richtet und deren Wirkung rezeptiv aufnimmt. Indes besteht hier in der Tat ein größerer Anlaß, als bei Musik und Poesie, die uns unwillkürlich in bestimmter Richtung mit fortziehen und den Augenblick gefangen nehmen, die Dauer des Genusses zu verlängern und den Genuß dadurch zu erweitern, daß man nach innern Motiven den assoziativen Eindruck selbsttätig bald mehr nach dieser bald jener Seite ausbeutet und weiter ausspinnt, wie es in Th. I. besprochen worden ist, und dies mag immerhin als Phantasietätigkeit zählen, da es jedenfalls nicht rein rezeptive Tätigkeit ist, da ein anderer Ausdruck dafür fehlt, und auch die schöpferischste Phantasie überall nichts ganz Neues schaffen kann. Immerhin bleibt es nur ein zweiter Teil des Kunstgenusses, und wohl bei den Meisten kommt es nicht dazu, da sie den rezeptiven Genuß vielmehr aktiv durch Beschäftigung mit Kritik, mit Echtheitsfragen u. s. w. zu verlängern suchen. Was man Spieltrieb der Phantasie nennt, ist nichts der Phantasie Eigentümliches, sondern der Trieb, sich überhaupt mit wechselvollen Eindrücken unter einheitlichem Gesichtspunkte zu beschäftigen, ein Trieb, der sich eben sowohl aktiv als rezeptiv geltend machen kann, und unter das, im 6. Abschnitt besprochene, Prinzip der einheitlichen Verknüpfung des Mannigfaltigen tritt.

    Wenn man nun freilich die Definition der Phantasie von vorn herein darauf stellt, daß nicht bloß das produktive Vorstellen des Künstlers sondern auch rezeptive Vorstellen des Genießenden zum Phantasieleben gehöre, wie dies z. B. Köstlin (Ästhetik S. 26) ausdrücklich und Andere stillschweigend tun, wenn man dazu erklärt, nur das lustvolle Vorstellen frei und harmonisch nennen zu wollen, so wird dagegen schließlich weiter nichts zu sagen sein, als daß man mit der darauf gegründeten Schönheitserklärung auch weiter nichts sagt, als daß die Schönheit auf einem lustvollen Charakter von Vorstellungen in dem das Schöne Produzierenden wie Genießenden beruhe. Eine direkte Bezugnahme auf diesen Charakter der Schönheit aber wird jedenfalls dem, so leicht in Unklarheit verlaufenden oder auf begriffliche Abwege führenden, Umwege durch die Begriffe Phantasie, Harmonie und Freiheit vorzuziehen sein.