XXIX. Kommentar zu einem Ausspruche K. Rahls.

    "Es gibt, — sagte einmal Karl Rahl, ein berühmter Wiener Historienmaler 1), — nichts Verkehrteres, als den Maler mit dem Geschichtsschreiber zusammenzustellen. Die Geschichte ist für den Maler nicht mehr als für den tragischen Dichter, der den Stoff in der Geschichte benützt, um seine ursprüngliche Idee darzustellen; der Stoff darf nie die Grenzen vorschrei-ben, sondern der künstlerische Sinn. Und wenn ein Künstler die Geschichte seiner Nation malen will, darf er sie nicht wie ein Geschichtsschreiber auffassen, sondern im Sinne eines Poeten muß er sie behandeln, mit dichterischem Geist, mit der Phantasie des Dichters", u.s.w.

1) Dioskuren 1863. S. 45.
 
 
    Hiergegen meine ich, der Künstler kann die Geschichte so behandeln, wie Rahl will, aber er muß sie nicht so behandeln; am wenigsten die Geschichte seiner Zeit und Nation; und überall kommt es eben so auf die Natur der geschichtlichen Aufgabe, als den Zweck der Darstellung an, ob er sie so behandeln soll. Nur zu leicht treibt man die natürliche Poesie der Geschichte durch die Kunstpoesie aus. Bloß solche historische Stoffe, die schon etwas von natürlicher Poesie, oder sagen wir lieber allgemeiner, von natürlichem Interesse enthalten, sind überhaupt geeignete Gegenstände der Darstellung für die Kunst, indem ich wie immer unter natürlich verstehe, was schon abgesehen von kunstmäßiger Behandlung besteht. Diese natürliche Poesie, dieses natürliche Interesse zur Geltung zu bringen, ist jedenfalls eine schöne und lohnende, ja bei Vorwiegen dieses Interesses die allein lohnende, Aufgabe der Kunst, mag auch bei verhältnismäßig mehr zurücktretendem natürlichen Interesse eine freiere Umbildung des geschichtlichen Stoffes am Platze sein.

    Ich stelle in dieser Hinsicht der Theorie und ganz im Sinne der Theorie gehaltenen Kunst-weise Rahls die von Horace Vernet gegenüber. Er hat in geradem Widerspruch mit Rahls Verbot gemalt, und damit Wirkungen erzielt, die sich unmöglich bei jenem Verbot erzielen ließen und doch von Rahl selbst nicht verworfen werden können.

    "Ihm galt, — um einige in dieser Beziehung bezeichnende Worte aus einer Beurteilung seiner Werke anzuführen 2), — die Kunst, besonders wo es sich um Darstellung moderner Expeditionen und Kriegsereignisse handelte, zugleich als Geschichte. Fern den abstrakten Idealisten, welche dergleichen Fakta zu Gebilden ihrer Phantasie machen, hielt er vor Allem auf Wahrheit und Realität. So hat er die Schlachten bei Jena, Friedland, Wagram (in Algerien) u. s. w. für die Weltgeschichte beschrieben; wären uns von den Schlachten des Altertums solche Bilder aufbewahrt, wir wüßten besser, wie es in ihnen hergegangen. Es gibt nur ein Mittel, das Feldleben besser kennen zu lernen, als aus Vernets Bildern; man müßte es selbst mitmachen."

2) Förster und Kugler Kunstbl. 1845. No. 68.
 
 
    Während nun so viele Schlachtenbilder im hergebrachten großen historischen Stil mit Gestalten und Stellungen, die man schon wie oft gesehen zu haben meint, wozu ich Rahls eigene Schlachtenbilder rechne, die kalte Bewunderung idealistischer Kenner erwecken, welche sie ganz im Sinne ihrer Theorie finden, vermögen die Vernetschen, jedes neu und frisch aus dem Borne des Lebens gegriffen, vielmehr auf dem Schlachtfeld, als an der Staffelei komponiert, die lebhafteste Teilnahme des Publikums zu erwecken, und nötigen selbst die idealistischsten Kenner, ihnen Alles zuzugestehen, außer was sie für das Tüpflein über dem i halten, und was man in so vielen unter dem Einflusse ihrer Ansicht entstandenen Bildern fast ohne den Grundstrich findet.

    "Als der Konstantinesaal geöffnet wurde, — sagt eine Schilderung von Vernets Darstellungen aus dem Algerischen Feldleben 3) — setzte er die Leute in Erstaunen und mit Recht; noch drängt sich täglich in diesen Räumen das Publikum heran: die Väter wollen ihre Söhne in den roten Hosen und blauen Röcken sehen, wie sie Konstantine belagern, beschießen und erstürmen. Auf dem ersten Gemälde "der Belagerung" wird der Feind, am 10. Oktober 1837, vor den Höhen von Condiat Ati zurückgeworfen; die Franzosen schießen noch meist hinter den Steinwällen hervor, während ihr königlicher Prinz sich schon hinüberschwingt, der Feldherr aber steht ruhig mit untergeschlagenen Armen, fest auf den Erfolg hinschauend, da; ihn umgeben mehrere Stabsoffiziere; ein anderer wird, verwundet, von einem Mohren und einem Beduinen in einem weißen Laken davongetragen; unter diesem Gewichte stürzen alte Gräber ein, die auf dem Hügel gegraben waren; Gerippe starren hervor — der alte Tod, der den jungen bewillkommnet. Am 13. Oktober 1837 setzen sich die Kolonnen in Bewegung; die Hauptmasse hält zwar noch hinter der Verschanzung, von wo aus Bresche geschossen wird, der Feldherr selbst sitzt ruhig, an eine Kanone gelehnt; die 24. Kompanie ist die erste, welche den Sturm läuft, ihr nach folgen die Indigènes, dann eine Kolonne, welche noch Gewehr am Fuß steht, und ganz zuletzt hinter den Schanzkörben, die 47. Kompanie; das ist kein Bild mehr — das ist reine Natur, die zusammengeschossene Stadtmauer, die in der Luft zerspringenden Bomben, die jubelnd Andringenden, die zum Sturm Bereitstehenden, die Reservehaltenden, der ruhige Feldherr mit seinem Gefolge. Alles das steht so natürlich sicher da, daß man selbst des günstigen Erfolges gewiß ist, u. s. w, ... Wenn man die Franzosen mit ihren roten Hosen in Reih und Glied aufgestellt sieht, so sollte man meinen, ein Künstler könne mit dieser unmalerischen Tracht gar nichts anfangen; aber Vernet zeigt, was damit zu machen ist, und doch malte er sie kein Jota anders, als sie eben sind; man kann sich davon oft genug durch den Augenschein überzeugen, wenn die Soldaten vor diesen Bildern stehen, dann könnte man sie sogleich in diese hineinversetzen, ja man möchte sagen, die im Bilde seien lebendiger als die davor, und zum Teil ist es auch so, denn die Aktion ist es, welche das Leben zur Schau bringt, und dadurch weiß Vernet die ungeheure Wirkung hervorzubringen."

3) Kunstbl. 1845. No. 68. S. 282.
 
 
    In No. 69 S. 286 ff. ist noch ähnlich "die Seeattaque von St. Jean d’Ulloa" das "Gefecht de l’Habra", "der Aufbruch von einer Lagerszene in Afrika", und das gewaltige Bild "die Wegnahme der Smalah" geschildert. Überall gleiches Interesse, gleiches Leben.

    Freilich, wenn Vernet solche Erfolge nicht durch eine freie Bearbeitung der Geschichte in Rahls Sinne erzeugen konnte, so eben so wenig durch eine reine Nachahmung der Natur, sondern eben nur durch eine reinigende in Aristoteles Sinne; dessen Forderung es besser wäre durch Kommentare zu erläutern, als durch die idealistische Forderung in Rahls Sinne zu ersetzen. Auch in historisch wesentlich treuen Darstellungen wird sich der Künstler von Geist als solcher noch dadurch bewähren können, und hat sich Vernet nach voriger Schilderung bewährt, daß er nur des Interesses überhaupt nicht bare Szenen und diese in ihrem charakteri-stischsten Momente vom günstigsten Standpunkte aus für die Darstellung auswählt, wozu schon mehr als bloßes Nachahmen gehört, zugleich aber einen Vorzug vor so vielen idealistischen Künstlern dadurch gewinnen können, daß er die so in ihrem wichtigsten Momente ergriffene Szene auch in der Darstellung ganz aus dem Leben greift, was die meisten nur auf Idealisierung und Stilisierung ausgehenden Künstler ganz verlernt haben. Er wird in seinem Anschlusse an die Wirklichkeit nicht so weit gehen können, um auch alle dem Interesse am Gegenstande fremden Zufälligkeiten, welche die Wirklichkeit eingeschoben haben mochte, mit aufzunehmen. Vernet selbst wird wohl Manches in Zeit und Raum zusammengerückt haben, was die Wirklichkeit aus einander hielt, Manches klarer auseinander gehalten haben, was in der Wirklichkeit sich für die Anschauung verwirrte und verdeckte; doch sicher nur in demselben Interesse, in welchem auch der Geschichtsschreiber Vieles darstellend wegläßt, zusammenrückt, auseinanderrückt, um die Hauptpunkte der wirklichen Geschichte, um die es zu tun ist, desto klarer, zusammenhängender, eindringlicher darzustel-len. Dabei hat freilich der Geschichtsschreiber vor dem Maler den Vorteil voraus, daß die äußere Form seiner Darstellung nicht zugleich als eine Form der Wirklichkeit selbst erscheint, weshalb es aber auch für den Maler, der ein Hauptgewicht auf die Befriedigung eines lebendigen historischen Interesses legt, großer Vorsicht in derartigen Abweichungen von der Natur bedarf. Nur nach untergeordneten Gesichtspunkten und nur zu Gunsten sehr wesentlicher Vorteile der Klarheit und des Gehaltes der Darstellung wird er darauf einzugehen haben. Mit dieser Rücksicht mag er auch Nebendinge und Nebenfiguren, an deren Spezialität die Erinnerung überhaupt nicht haftet, vielmehr wie sie sein konnten als wirklich waren, darstellen und die in dieser Hinsicht gebliebene Freiheit stilistisch verwerten.

    Will man nun dieses Auffassen, reine Zusammenfassen und maßvolle Modulieren der Momente der Wirklichkeit aus dem zugleich einheitlichsten, prägnantesten Gesichtspunkte, weil es doch Sache des erfinderischen Künstlergeistes bleibt, unter Rahls Ausdruck subsumieren, daß der Künstler die Geschichte nur zu benutzen habe, um seine ursprüngliche Idee darzustellen, sie mit der Phantasie des Dichters zu behandeln habe, so würde sich gegen Rahls und ähnliche Aussprüche nichts Andres einwenden lassen, als daß sie etwas Richtiges so unklar oder unrichtig ausdrücken, um leichter zum Unrichtigen als Richtigen zu verführen; sind aber in der Tat meist vielmehr unrichtig als richtig gemeint, das heißt, im Sinne einer einseitigen Bevorzugung der idealistischen Kunstrichtung, die gewiß ihr Recht, nur nicht ein alleiniges Recht der realistischen gegenüber hat. Auf dieses, schon früher (Abschn. XXVII.) anerkannte Recht komme ich unten zurück. Aber betrachten wir vorher noch ein Beispiel.

    In der Beilage zur Augsb. Allg. Ztg. 1865. no. 21 ist ein Gemälde von Th. Horschelt, darstellend die Unterwerfung Schamyls, besprochen, und u. a. gesagt:

    "Wir würden dem Gemälde nicht gerecht werden, wenn wir außer Acht ließen, daß es von dem Sieger, General Bariatinski, bestellt ist, und dem Auftrag gemäß das Faktische naturgetreu abbilden sollte, so daß die Porträte der anwesenden Offiziere, wie der Ort, wo Schamyl sich ergab, zu den Bedingungen gehörten. So sitzt denn der Russenfeldherr unter einem Birkenbaum, seine Offiziere stehen um ihn, und vor ihn tritt Schamyl, geführt von einem Dolmetscher, gefolgt von seinen Getreuen, die in ihren malerischen Trachten und ihrem Unglück gegen die Uniformen der sie betrachtenden Gegner einen lebendigen Gegensatz bilden. Gewiß, so wird und kann die Sache geschehen sein, und der Maler hat jede Figur charakteristisch aufgefaßt und durchgebildet, sie sind alle bei der Sache, und im Mittelgrunde sehen wir auch das letzte feste Dorf der Tscherkessen, und hinter ihm den Berg, welchen die Schar der Russen übersteigt. Die Russen, die dabei waren, werden von alle dem befriedigt sein. Allein es war unmöglich, auf solche Art die wesentliche Bedeutung des Gegenstandes, das tragische Ende eines Volkskampfes gegen übermächtige Unterdrücker, deren kulturverbreitende Mission uns doch noch zweifelhaft ist, zu veranschaulichen; dazu bedurfte es einer dramatisch bewegten Komposition, dazu nicht bloß einen Moment der tatsächlich das Ganze beschloß, sondern einen solchen, der den Wende und Höhepunkt der Entscheidung gezeigt hätte, der, was im Leben örtlich und zeitlich getrennt sich begab, künstlerisch zu einem Gesamtbilde vereint hätte. Das ist freilich unmöglich, ohne daß das Faktische im Geist wiedergeboren, von der Phantasie frei gestaltet wird, und zu einem solchen Kunstwerk verhält sich Horschelts Gemälde wie der genaue Zeitungs- oder Chronikbericht zu dem Drama oder dem Epos, in welches die Phantasie des Einzeldichters oder die Volkssage die Tatsachen der Geschichte verklärt, so daß nun der ideale Sinn der Begebenheiten aus ihnen hervorleuchtet und in der Handlung die Charaktere sich entfalten. Der Maler wird immer einem Napoleon bei Arcole die Fahne in die Hand geben, und wenn zehnmal die historische Kritik nachweist, daß er sie nicht ergriff, denn er war damals wirklich der siegreiche Bannerträger seines Volkes, und das veranschaulicht die Sage. Gleich ihr muß es dem Künstler freistehen, die Wirklichkeit von der Idee aus und der Idee gemäß zu gestalten, wenn sein Werk nicht bloß mit prosaischer Richtigkeit das Faktische, sondern wenn es die Wahrheit der Sache und ihre Bedeutung für die Geschichte wie für das Gemüt feststellen soll. Aber wie oft werden die Maler durch die Auftraggeber gebunden! ..... Sähen wir wenigstens noch den Schamyl, wie er sein Schwert dem Überwältiger vor die Füße wirft, und nun wie ein Held sich zusammenfaßt um sein Schicksal zu tragen! Aber dieser Seelenkampf war geschehen. Bariatinski empfing ihn sitzend, und ließ sich von einem Dolmetsch sagen, was er begehrte; so war’s; nur Schade, daß die Dolmetschung nicht malerisch ist und der Maler durch Handlungen zu sagen hat, was im Gemüt vorgeht! Horschelt hat auch auf seinem Gemälde glänzend bewiesen, welch scharfer Blick und sichere Hand für die Auffassung und Zeichnung des individuell und national Charakteristischen ihm eignet; er hat in den früher erwähnten Blättern seine Erkenntnis des echt Malerischen bewährt; möge er dazu kommen, auch in einer phantasievollen Komposition ein vollgenügendes Ganzes zu schaffen."

    Im Vorigen ist sehr triftig und ganz in Übereinstimmung mit Rahl die höhere Aufgabe bezeichnet, die sich der Künstler stellen konnte, indem er den Vorgang der Unterwerfung Schamyls bloß als Motiv benutzte, die allgemeine welthistorische Idee dieser Unterwerfung unmittelbar in schlagenderen Zügen als die Wirklichkeit selbst hergab, auszudrücken. Möchte er es getan haben; aber wäre ich Bariatinski, so würde ich dem Maler ins Gesicht gelacht und das Bild mit dem aus dem Kopfe des Malers vor meine Füße geworfenen Schwerte auf den Oberboden gestellt haben, um es nicht immer vor Augen zu haben, weil mich die Gewalttat, welche die poetische Wahrheit gegen die reale und mein ganz berechtigtes reales Interesse übte, zu sehr verdrösse.

    Nun sagt der Kritiker etwa: wohl, das Bild sollte aber auch, um auf höheren und allgemeineren Wert Anspruch zu machen, so gemalt sein, um vielmehr einen Platz in einer Kunstsammlung, einem Nationalmuseum, als dem Privatzimmer des Generals zu verdienen, und statt ein partikuläres vielmehr ein allgemeines und ewiges Interesse der Mit- und Nachwelt zu befriedigen. Ich bin aber überzeugt, daß nicht nur Bariatinski, sondern die gesamte Mit- und Nachwelt mit Ausnahme voreingenommener Kunstidealisten das Bild lieber ansehen und einen stärkeren Eindruck davon empfangen wird, wenn sie wissen, es war so, als, so war die Konzeption des Malers. Ich selbst machte jedenfalls diese Erfahrung, als ich später einmal, lange nach Lesung jener Kritik, das Bild in einem Stiche oder einer Lithographie sah. Schamyl steht da, etwa wie ein Jude, dem ein Handel mißglückt ist, ohne alles tiefe Pathos; er nimmt sein Schicksal als ein vorbestimmtes. Und doch hat dies bei der Voraussetzung, daß ich hier ein Stück wirklicher Geschichte sehe, einen tieferen tragischen Eindruck auf mich gemacht, als wenn der Maler versucht hätte, die ganze Tiefe von Schamyls und seines Volkes Geschick direkt in sein Gesicht, seine Stellung, Gebärde und Handlung zu legen, ich aber gewußt hätte, so war es nicht. Dann hätte ich vielmehr den Maler als den Helden, der gemalt sein sollte, im Bilde gesehen; so sah ich den Mann seines Volkes, seiner Zeit, seines Schicksalsglaubens, einen Mann wie er leibte und lebte in ihm, und empfing damit eben so viel lebendige Angriffspunkte, von denen aus sich die Idee des tragischen Geschickes des Helden und seines Volkes zwar indirekt, aber mit einer Kraft entwickelte, welche die symbolische Darstellung im Sinne des Kritikers verfehlt haben würde.

    Für Napoleon mit der Fahne in der Hand auf der Brücke von Arcole gab eine verbreitete Sage, deren Unrichtigkeit sich erst später durch genauere historische Forschung herausgestellt hat, zugleich den Anknüpfungspunkt und Berechtigungsgrund. Aber wo lag bezüglich des von Schamyl hingeworfenen Schwerts eine solche Sage vor. Das sind also unvergleichbare Fälle. Hätte der Künstler Napoleon ohne die Unterlage jener für Geschichte geltenden Sage, vielmehr in Widerspruch mit der bekannten Geschichte, aus seinem Kopfe so darstellen wollen, um ihn "als siegreichen Bannerträger seines Volkes" darzustellen, so hätte er, statt ein historisches Bild zu liefern, nur die Episode aus einem historischen Romane im Bilde geliefert.

    Es gibt jedenfalls historische Stoffe, an deren treuer Wiedergabe das Interesse so groß ist, daß keine noch so poetisch scheinende Abweichung davon in charakteristischen Zügen den Nachteil der Schädigung dieses Interesses vergüten kann, und alle historisch bedeutsamen Stoffe, die in die Zeit des Künstlers eingreifen, gehören hierher. In so weit die Kunst dies Interesse befriedigen kann, hat sie es auch zu befriedigen, und nicht für das Fleisch nach dessen Schatten zu greifen. Aber freilich, um Bilder zu malen, wie Vernet und Horschelt, muß man in Algerien und am Kaukasus mitgewesen sein; zu Bildern nach Rahls Regel braucht man das Atelier nicht zu verlassen, denn die Maschinerie zu solchen Darstellungen findet sich schon in früheren Bildern und in Kostümbüchern. Also hat Rahls Regel jedenfalls den Vorteil der Bequemlichkeit für den Maler.

    Inzwischen haben wir damit, daß wir den Realismus historischer Darstellungen Rahl gegenüber vertraten, doch den Idealismus in Rahls Sinne nicht überhaupt verwerfen wollen. Es gilt nur, anstatt ihn einseitig zu predigen, ihm seine rechte Stelle anzuweisen. Er wird sie mit größtem Vorteil da finden, wo der Maler den Stoff für seine Darstellung vielmehr aus der Dichtung oder Sage, als Geschichte schöpfen muß; überhaupt weder die Unterlagen für eine treue Darstellung noch ein Interesse an solcher vorfindet, Punkte, die im Allgemeinen zusammentreffen. Eine Amazonenschlacht, einen Kampf aus dem trojanischen Kriege kann der Maler nur dichterisch frei behandeln, weil die Geschichte selbst sich hier in Dichtung verläuft, und eine Zerstörung Jerusalems kann trotzdem, daß sie historisch ist, nicht historisch treu vom Maler wiedergegeben werden, weil die Anschauung dazu fehlt, die Nachrichten dem Maler keinen hinlänglichen Anhalt bieten, und eine möglichst treue Vorführung keinem Interesse bei dem, jenem Ereignis fern stehenden, Publikum begegnen würde. Also ist es in der Ordnung, wenn hier überhaupt kein Hauptgewicht auf die Befriedigung eines Interesses an realistischer Wahrheit gelegt wird, was sich doch nur unvollständig befriedigen läßt; indes man wohl versuchen kann, ein wirksames Motiv für Darstellung einer allgemeinen welthistorischen Idee daraus zu machen, wie von Kaulbach geschehen. Dabei wird dann im Sinne der Betrachtungen (Abschn. XXII.) vielmehr auf den geläufigen und durch die Kunst selbst geläufig gemachten Vorstellungen von den Trägern solcher Ideen, als auf Studien über die wirklichen Physiognomien und Trachten der alten Juden und Römer zu fußen sein. In dieser Hinsicht ist unstreitig selbst der Realismus eines Vernet zu weit gegangen, wenn er das Resultat der wirklich von ihm angestellten Studien, daß die alten Juden im Allgemeinen und bis in viele Partikularitäten hinein wie die heutigen Araber ausgesehen, gekleidet gewesen, sich benommen; dahin verwertet hat, die Patriarchen, Propheten und biblischen Persönlichkeiten überhaupt als braune Araber darzustellen. Was hat er damit gewonnen und was ist damit gewonnen? Er tritt damit aus unseren geläufigen Vorstellungen heraus und befriedigt bloß ein der Kunst fern liegendes ethnographisches Interesse, um das es uns bei Darstellungen dieser Art nicht zu tun ist und was mit unserem poetischen Interesse nicht so verwachsen ist, wie das an der naturgetreuen Darstellung einer Szene, bei der unsere Zeit direkter mit beteiligt ist.

    Inzwischen braucht ein großer Mann bloß in einer an sich rechten Richtung zu weit zu gehen, so wird sie sicher von Nachahmern vollends übertrieben werden. Um ein Beispiel davon zu geben, so stellt ein Bild von W. Dyce 4) die Szene, wie König Joas auf Befehl Elisa’s mit dem Bogen der Befreiung schießt (2. B. d. Kön. 13, 15—17) also dar:

    "Joas, ein kräftiger, junger Mann von tiefbrauner Hautfarbe, in eine Art Indianertracht mit einem bunten kurzen Schurzrock, übrigens entblößt, kniet am Boden, Bogen und Pfeil schußbereit und gegen das offene Fenster gerichtet. Hinter ihm sitzt der Prophet, gleichfalls den braunen Körper entblößt, nur um die Schenkel einen weißen Mantel geschlagen, und deutet seine Befehle mit Bewegung der Hände an." Ein Beurteiler dieses Bildes sagt unter Bezugnahme darauf, daß Horace Vernet in seiner Rebecca und Judith das Vorbild zu solchen Darstellungsweisen geliefert habe, nicht mit Unrecht: "Ich weiß nicht, ob der Künstler des Verlustes von religiösem und poetischen Gehalt nicht inne wird gegen den Gewinn einer sogenannten wahren Geschichte, die in ihrer Kahlheit entweder — wie bei Rebecca nüchtern — oder wie bei der Judith entsetzlich — erscheint."

4) Enthalten unter den Bildern der Londoner Kunstausstellung von 1844, beschrieben im Kunstbl. 1844. No. 70. S. 293.
 
 
    Hiergegen haben wir an der Findung Moses von Papety im Leipziger Museum ein Beispiel, wie wirksam der nationale Typus doch auch in Darstellungen aus der alten Geschichte zur Geltung gebracht werden kann. Man betrachtet dieses Bild, in welchem die Tochter Pharaos und ihre Dienerinnen als braune Ägypterinnen mit Zügen, die uns aus so vielen ägyptischen Denkmalen geläufig sind, erscheinen, mit einem eigentümlichen Interesse, wie es keine andere der unzähligen Darstellungen desselben Gegenstandes zu erwecken vermag, wo die allwärts wiederkehrenden maschinenmäßigen Typen der idealistischen Kunst, d. i. die griechischen Gesichter, uns auch am Nil begegnen. Aber es ist eben nur deshalb, weil uns jener ägyptische Typus wirklich geläufig und dabei in maßvollster Weise zur Geltung gebracht ist.

    Rembrandt und andre holländische Künstler pflegen in Darstellung biblischer Geschichten das Volk weder im heutigen jüdischen noch arabischen, sondern holländischen Typus darzustellen. Bei aller Ungewißheit aber, wie die alten Juden ausgesehen, wissen wir doch, daß sie nicht wie Holländer ausgesehen, und haben uns nun einmal an den mehr oder weniger idealen oder ans Ideale streifenden Typus, den die Kunst dafür substituiert. hat, gewöhnt, sind also gewissermaßen daran gebunden, um keinen Widerspruch mit geläufigen Vorstellungen aufkommen zu lassen. Inzwischen kann man nicht leugnen, daß das Verharren in diesem Typus keineswegs die gleiche Möglichkeit einer so individuellen, aus dem Leben gegriffenen, eindringenden und allgemein verständlichen Charakteristik der menschlichen Gefühls- und Handlungsweisen darbietet, als wenn der Künstler solche in den Typen seiner Zeit und Nation selbst ergreift, wie das uns in Rembrandts Darstellungen so große Bewunderung erweckt; und so möchte diese Darstellungsweise, wenn auch nicht als die allgemein zu befolgende, doch auch als eine nicht schlechthin zu verwerfende anzuerkennen sein.