XXVIII. Symbolisieren.

    Der allgemeinste Begriff des Symbolisierens liegt darin, daß für eine Sache ein Zeichen derselben dargeboten wird, was die Vorstellung derselben zu erwecken im Stande ist und dadurch dieselbe zu vertreten vermag.

    In sehr weiter Fassung des Symbols nun kann alles Körperliche als Symbol von etwas Geistigem dahinter angesehen werden, der Leib als Symbol der Seele, das Lachen als Symbol der Fröhlichkeit, das Weinen als Symbol der Trauer, die ganze sichtbare Welt als Symbol eines nicht erscheinenden, doch mit ihrer Erscheinung in Beziehung stehenden, Geistes. Auch kommt eine so weite Fassung des Symbols in allgemeinen Betrachtungen wohl vor, wonach die ganze sichtbare Natur wie die ganze Kunst einen symbolischen Charakter annähme. Aber in der Regel und namentlich auch in der Kunstbetrachtung faßt man den Begriff des Symbolisierens doch enger, indem man unter übriger Festhaltung desselben die Zeichen, welche ohne unser Zutun durch natürliche oder göttliche Vermittelung an das Geistige geknüpft sind, vom Begriffe des Symbols ausschließt, und vielmehr als direkten oder natürlichen statt als symbolischen Ausdruck des Geistigen betrachtet, so, wenn die Gemütsbewegungen eines Menschen durch die von Natur daran geknüpften Minen und Gebärden ausgedrückt werden, oder das Walten der göttlichen Gerechtigkeit im Gange einer wirklichen Begebenheit sich ausspricht. Hiergegen gilt es als Symbol, wenn Gott durch die Gestalt eines würdigen Alten dargestellt wird, seine Erhebung über der Welt durch die Erhebung dieser Gestalt über den Wolken, Christi Geduld durch seine Darstellung als Lamm, die Dummheit eines Menschen durch Eselsohren. Denn in Wirklichkeit drückt sich Gottes Geist nicht in einer Menschengestalt und seine geistige Höhe nicht in einer sichtbaren Höhe, sondern einem allgegenwärtigen Wirken aus, drückt sich Christi Geduld nicht in der Erscheinung eines Lammes aus und hat der dümmste Mensch keine Eselsohren.

    Der zu weiten Fassung des Symbols, wonach jedes sinnliche Zeichen des Geistigen als Symbol desselben gilt, steht eine zu enge gegenüber, wonach bloß sinnliche Zeichen des Geistigen als Symbol gelten sollen, da vielmehr nach der geltenden Gebrauchsweise des Symbolbegriffes in der Kunstbetrachtung auch Sinnliches symbolisch für Sinnliches eintreten kann.

    So findet man wohl in antiken Reliefs, daß ein Haus, was nicht ganz dargestellt werden kann, und doch zum Verständnis des Ganzen gehört, durch einen bloßen Pfeiler dargestellt ist; ein ganzes Gebirge durch einen einzelnen Stein, ein Wohnzimmer durch einen aufgehangenen Teppich 1); hier ist es überall ein charakteristischer Teil, der symbolisch das Ganze vertritt.

1) Tölken, über das Basrelief S. 82.
 
 
    Im Vatikanischen Museum findet sich eine Reihe Herkulesstatuen 2), welche die sämtlichen 12 Kämpfe des Halbgotts zeigen. Man sieht aber diesen immer ganz allein und die Gegner, die er bekämpft, den dreileibigen Geryon, den König Diomed mit seinen Rossen, ganz klein daneben gebildet, gleichsam nur zur Erklärung der gewaltsamen Stellungen des Heros (Tölken, über das Basr.). Hier wird das Große durch sein Bild im Kleinen symbolisiert. 2) Abbild. im zweiten Th. des Mus. P. Cl.
 
 
    Andremale kann die Wirkung durch das Wirkende, oder das Wirkende durch die Wirkung oder Ähnliches durch einander symbolisiert werden. Die meisten Symbole beruhen auf Vorstellungsassoziation; viele sind auch rein konventionell, oder doch nur mit Rücksicht auf die Konvention zu verstehen.

    Wenn, wie öfters in alten Bildern, Gottes Beteiligung an einer Szene durch eine aus den Wolken herabgestreckte Hand bezeichnet wird, so haben wir zugleich das Geistige durch das Körperliche, die Wirkung durch ein Wirkendes, das Ganze durch einen Teil, das seiner Bedeutung nach Erhabene durch ein räumlich Erhabenes vorgestellt; immer noch aber bedarf es der Konvention, das Symbol zu verstehen.

    In Darstellung Gottes oder als göttlich vorgestellter Persönlichkeiten kann das Symbol überhaupt dreifacher Art sein. Entweder die Kunst versucht, der Idee solcher Persönlichkeiten durch Idealisierung menschlicher doch so nahe als möglich zu kommen; oder sie ändert den menschlichen Typus zur Repräsentation darüber hinausgehender Vermögen oder Kräfte widernatürlich ab; oder sie begnügt sich ein irgendwie historisch motiviertes konventionelles Zeichen zur Anknüpfung der Vorstellung zu geben. Ersteres z. B., wenn sie Gott durch einen Menschen mit dem Ausdruck größtmöglicher Höhe und Würde, die von der Kunst erreichbar ist, darstellt; das Zweite, wenn der Hindu Götter mit vielen Köpfen und Armen darstellt; das Dritte, wenn Gott durch ein Dreieck in einem Lichtschein, der heilige Geist durch eine Taube u. dgl. dargestellt wird.

    Auf antiken Sarkophagen sieht man vielfach Darstellungen, welche auf Tod und Begräbnis Bezug haben, und damit die Bestimmung des Sarkophages symbolisch bezeichnen; als wie Taten der Heroen, welche den Olymp errungen, von Göttern geraubte oder (wie in der Niobengruppe) getötete Sterbliche, den ewigen Schlaf des Endymion, ausgezeichnete Todesfälle der Heldensage (wie Phaethon, Meleager, Agamemnon) Triumphfahrten nach den Inseln der Seligen u. a. (Vgl. Tölken, über das Basrelief S. 93.)

    Der symbolische Ausdruck von Allgemeinbegriffen als wie Gerechtigkeit, Tapferkeit und Weisheit in ausgeführtem Bilde nimmt den Namen Allegorie an.

    Das Symbolisieren setzt die Kunst überhaupt in den Stand, nicht nur das Abstrakte des Verstandes und das Konkrete des Glaubens, sondern auch sinnliche Gegenstände, deren Anschauung über die Tragweite unserer Sinne oder deren Darstellbarkeit den Rahmen eines Kunstwerkes übersteigt, doch in dasselbe aufzunehmen, und dadurch das Gebiet der Kunstanschauung über das der natürlichen Anschauung hinaus zu erweitern, endlich in einfachen Symbolen Verhältnisse zur leichten und deutlichen Anschauung zu bringen, die bei direktem Ausdruck sich durch ihre Komplikation mit anderen Verhältnissen einer gleich leichten und deutlichen Auffassung entziehen.

    Wenn nun die symbolische Darstellung in dieser Hinsicht in Vorteil gegen die direkte treten kann, so entgeht sie damit doch nicht den Nachteilen, welche jede Verletzung der Naturwahrheit mit sich führt, wonach der natürliche Ausdruck überall vorzuziehen ist, wo er möglich und mit gleicher Leichtigkeit für die Auffassung herzustellen ist.

    Allgemein gesprochen leidet jeder symbolische Ausdruck, abgesehen von der Gefahr der Verwechslung mit der Sache des Symbols selbst, an Schwäche des Eindrucks in Verhältnis zu gleich leicht auffaßbaren natürlichen Ausdrucksweisen, und symbolische Darstellungen würden daher ganz zu verbannen sein, wenn überall natürliche dafür zu Gebote ständen, nicht ein verhältnismäßig schwacher Eindruck von etwas Starkem, was sonst gar nicht dargestellt werden könnte, noch stark und wertvoll sein könnte, und nicht das Schwache die Stärke dessen, womit es zusammenhängt, mehren könnte.

    Fr. Vischer 3) hat einmal über das Kaulbach’sche Bild der Zerstörung Jerusalems geäußert, es wäre "reiner ästhetisch, tiefer künstlerisch" gewesen, wenn die Szene der Erstürmung des Tempels so behandelt worden wäre, so gewaltig in Gestalten, Leidenschaften, Gruppen, Bewegung, Stimmung des Ganzen, daß hieraus allein, ohne Zutat von Propheten und Engeln, der Eindruck eines großen weltgeschichtlichen Aktes, eines Weltgerichtes, hervorginge." Gewiß, nur fragt sich, wie eine solche Leistung ohne die symbolische Zutat überhaupt möglich war. Man hätte eben nur die Erstürmung irgend einer Stadt, aber nicht die weltgeschichtliche Bedeutung dieser Erstürmung gesehen. Nun wird man nicht in Abrede stellen können, daß dieses Bild mit seiner Symbolik mehr den Verstand beschäftigt, wie es auch mit dem Verstande komponiert ist, als einen "tiefen" einheitlichen ästhetischen Eindruck macht. Aber die Art Bedeutsamkeit, auf die es bei ihm abgesehen war, konnte es doch bloß durch Symbolik erlangen und auch dem Verstande kann man eine Befriedigung durch glückliche Kombination anschaulicher Mittel wohl gönnen, ohne freilich den Hauptzweck eines Kunstwerkes darin suchen zu können.

3) Lützow, Zeitschr. 1865. S. 231.
 
 
    Die alten Ägypter stellten Götter mit Adler-, Löwen-, Stierköpfen dar, um die Eigenschaf-ten der Scharfsicht, Stärke, fruchtbaren Kraft, dadurch zu symbolisieren. Uns scheint dies abgeschmackt, mit Recht, weil uns natürlichere oder der natürlichen sich mehr nähernde Ausdruckweisen in der Bildung und dem Ausdruck des menschlichen Hauptes und feinere Züge dazu zu Gebote stehen und die Nachteile der schroffen Verletzung der Naturwahrheit für uns durch kein Gegengewicht aufgewogen werden. Aber für die alten Ägypter trug diese Symbolisierung nicht den Charakter einer gleichen Absurdität. Sie wußten noch nicht eben so wie eine weiter fortgeschrittene Kunst vermag, den Ausdruck höherer Eigenschaften in der Bildung der menschlichen Gestalt und Züge deutlich auszuprägen; wogegen es leicht war, sie durch Tiersymbolik auszuprägen; und da ihnen die Tierwelt selbst als eine Götterwelt und ein Behältnis jenseitiger Seelenwelt galt, so war das, was uns vielmehr als eine Erniedrigung durch das Symbol erscheint, für sie eine Erhöhung. Diese Vorteile haben bei ihnen hingereicht, den Nachteil der Naturwidrigkeit zu überwinden. Absolut genommen steht ihr Geschmack tiefer als der unsere, weil er auf einer minder hohen und entwickelten Kulturstufe beruht und der unsere ein höheres und volleres Genüge gewährt; aber für ihre Kulturstufe war er doch vielleicht in seinem Rechte.

    Wir können eine analoge Bemerkung bezüglich der oben berührten Symbolik der Hindus machen. Der Grieche stellt den Ausdruck einer über die menschliche erhobenen Macht und Größe symbolisch durch die Idealgestaltung des Menschlichen so approximativ als möglich dar; der niederen Kulturstufe der Hindus war diese Möglichkeit versagt, und so griffen sie beispielsweise dazu, einen Gott statt bloß mit zwei Armen mit zwanzig Armen zu versehen und mit zwanzig Schwertern drein schlagen zu lassen; sie wußten die übermenschliche Kraft eben noch nicht anders darzustellen, und doch war bei ihnen so gut als bei den Griechen ein Bedürfnis dazu vorhanden.

    So sehr uns nun dergleichen anwidern mag, haben wir doch Anlaß, nachsichtig gegen solche Ungeheuerlichkeiten zu sein, nachdem wir uns die widernatürlichen Sphinxe, Centauren und geflügelten Engel gefallen lassen. Wie wir derselben gewohnt worden sind, mögen die Hindus jener Darstellungen gewohnt worden sein, nachdem sie ihre Verwendung zu Zwecken des Kultus gefunden. Jedenfalls ist der Unterschied nur relativ. Freilich sind die Hindus so weit in solchen Ungeheuerlichkeiten gegangen, daß man sagen möchte: da hört Alles auf. So kommen bei ihnen Bilder vor, wo eine oberste Gottheit auf einem Elefanten reitet, der aus lauter anderen Tierkörpern seltsam in einander geschlungen ist, oder ein Rajah auf einem Pferde oder Elefanten, das aus den sämtlichen Frauen seines Harems zusammengesetzt ist. 4).

4) Böttiger Ideen z. Arch. d. Mal. S. 10.