XXVII. Idealisieren.

    Auch bei der Idealisierung haben wir von verschiedenen Auffassungen und Wendungen des Begriffes zu sprechen, zwischen denen man vielmehr sich willkürlich zu entscheiden, als klar auseinander zu setzen liebt.

    Idealisieren leitet sich ab von Ideal; unter Ideal einer Sache aber versteht man die Sache, vorgestellt wie sie sein würde, wenn sie frei von Störungen und ihrem Wesen fremden Zufälligkeiten wäre, ihrer Idee vollkommen entspräche, das dafür Bedeutungslose abstreifte, eine Spitze erreichte, welcher man die Realität wohl zustreben sieht, ohne daß sie aber dieselbe erreicht; was Alles wesentlich auf dasselbe herauskommt, ohne daß freilich der Begriff des Ideals zugleich bestimmen kann, was man für diese Spitze, für Wesensstörungen, welche ihrer Erreichung im Wege stehen, für Abfall von der Idee halten will. Jedenfalls entspricht die Wirklichkeit unseren irgendwie geschöpften Vorstellungen in dieser Hinsicht im Allgemeinen nicht; und ist man, wenn auch nicht in allen doch vielen Beziehungen einig, was über die Wirklichkeit hinaus vom Ideal zu fordern sei. Nun ist es allgemeingesprochen ein Vorteil der Kunst, daß sie solchen Forderungen nach den Seiten, die überhaupt ihrer Darstellung zugänglich sind, besser als die Wirklichkeit zu entsprechen, ja selbst Vorstellungen in diesem Sinne zu begründen vermag, was eben durch das Idealisieren zu geschehen hat.

    Dabei macht es aber einen Unterschied, und daran hängt gleich ein Unterschied in der Auffassung des Idealisierens, ob man das Wesentliche eines Individuums oder das Wesentliche einer Gattung vor Augen hat. Man kann sich eine Vorstellung, eine Idee von Dem, was an einem Individuum wesentlich und was an ihm zufällig ist, machen, und, indem man jeden Moment seiner Wirklichkeit selbst noch mit Zufälligkeiten behaftet sieht, das Individuum so darzustellen suchen, wie man sich denkt, daß es aussehen würde, wenn alle Zufälligkeiten, alles Unwesentliche, für seinen Charakter Bedeutungslose von ihm abfiele. Fragt sich freilich, ob eine reine Abstraktion des Wesentlichen vom Zufälligen überhaupt möglich und wie sie zu bewirken ist. Gewiß jedenfalls ist, daß Idealisierung mancherseits und in gewissem Sinne so verstanden, und dem Porträtkünstler als das von ihm anzustrebende Ziel vorgehalten wird.

    Für eine Gattung aber ist Vieles als unwesentlich, zufällig anzusehen, was zur Charakteristik eines Individuum wesentlich gehört, und so verstehen Manche unter Idealisierung überhaupt nur den Ersatz der Charakterdarstellung des Individuellen durch eine Darstellung, worin die allgemeinen Gattungscharaktere zum vorzugsweisen Ausdruck gebracht werden, und stellen die Aufgabe einer solchen Idealisierung als eine höhere Kunstforderung auf. Was man als eine realistische Darstellung einer in diesem Sinne idealisierten gegenüberstellt, unterscheidet sich im Allgemeinen nur dadurch davon, daß in jener die Idee konkreter gefaßt und in der Darstellung konkreter gehalten ist, als in dieser. Z. B. es handelt sich, eine Schlacht darzustellen. Nun kann man sie als eine Schlacht zwischen Franzosen und Beduinen auf algerischem Boden darstellen, in welcher auch die Physiognomieen der Kämpfenden jeder Seite so charakteristisch verschieden unter einander sind als der Wirklichkeit entspricht, wie es von Horace Vernet geschehen; man kann sie aber auch als eine Schlacht von einem gewissen allgemeinen Charakter überhaupt darstellen, in welcher von der konkreten Beschaffenheit eines bestimmten Bodens, einer bestimmten Nationalität und physiognomischen Verschiedenheit der Kämpfenden mehr oder weniger abstrahiert ist, indem zur Darstellung der Kämpfenden entweder geradezu bloß hergebrachte Idealtypen oder doch nur typische Formen etwa mit heroischem, barbarischem, griechischem, römischem Gepräge verwandt werden, wie es z. B. von Carl Rahl geschehen ist; wobei es nichts ändert, wenn einer solchen Schlacht doch der Name einer wirklichen Schlacht beigelegt wird, nur daß sie nicht den Anspruch und Eindruck mache, eine ganz bestimmte Wirklichkeit wiederzuspiegeln, und damit den Eindruck, daß ihr eine allgemeinere Bedeutung zukomme, preisgebe.

    Beide Auffassungen kommen darin überein, daß Hervorhebung des Wesentlichen auf Kosten des Zufälligen, sei es des Individuum oder der Gattung für Aufgabe des Idealisierend erklärt wird, und so fassen wir sie aus diesem Gesichtspunkte Kürze halber unter dem Ausdrucke des Idealisierens im ersten Sinne zusammen. Weit üblicher jedoch als diese Auffassung ist eine zweite, mit der vorigen zwar verfolgbar zusammenhängende doch nicht zusammenfallende, wonach man in den Begriff des Ideals nicht bloß die Abwesenheit von Störungen des voraussetzlichen Wesens oder die reine Erfüllung einer voraussetzlichen Idee, sondern den positiven Begriff der Güte, Schönheit oder Kraft mit aufnimmt, und demgemäß unter einer idealisierenden Darstellung eine die Erscheinung des Wirklichen verschönernde, im Ausdrucke veredelnde oder kräftigende, den Charakter überhaupt irgendwie vorteilhaft über die Naturwirklichkeit erhöhende, Darstellung versteht. Nun kann man freilich aus einem gewissen Gesichtspunkte alles Übel, alle Häßlichkeit, alle Schwachheit in der Welt einer Störung ihres Wesens, einem Zurückbleiben hinter ihrer Idee beimessen; und hierdurch eben hängt diese Auffassung mit der vorigen zusammen und kann sogar einfach damit zusammenzufallen scheinen; Grund genug, daß sie sich so häufig damit verwirrt. Aber von anderer Seite läßt sich auch das Dasein des Übels, der Häßlichkeit und jeder Unvollkommenheit in der Welt, sei es wegen metaphysischer Notwendigkeit, sei es wegen einmal geschehenen Abfalls der Welt von Gott, worüber es hier nicht nötig ist zu streiten, selbst zum wesentlichen Bestande der Welt rechnen. Und möchte man auch einen abstrusen Streit darüber anfangen, ob zum ursprünglichen wahren, letzten Wesen, so kann jedenfalls die Kunst nicht auf der Voraussetzung seines Wegfalls fußen, und hat sich zu hüten, die unvollkommene Welt vollkommener darzustellen, als in ihrer Möglichkeit liegt zu sein. Nicht den tauschenden Schein zu erwecken, als ob das Übel fehle, ist ihre Aufgabe, noch würde eine solche der Welt frommen; vielmehr soll die Rolle, welche das Böse in der Welt spielt, nicht minder als die Rolle des Guten durch die Kunst in ein helleres, klareres, reineres, höheres Licht gestellt werden, als in der Wirklichkeil darauf fällt, wozu gehört, daß der Nachteil, in dem es schließlich gegen das Gute bleibt und bleiben soll, sichtbar werde, daß es das Gute durch seinen Gegensatz dagegen selbst hebe, daß es von ihm überwunden werde oder sich durch seine Folgen selbst zerstöre. Denn dies ist im Ganzen der Sinn, die Tendenz einer guten Weltordnung, und nur an der Erfüllung dieser Tendenz oder Aussicht ihrer Erfüllung vermögen wir uns zu erbauen. Aber dazu muß das Böse doch als Böses erscheinen. Was vom moralischen Übel gilt, gilt vom Schmerze und jeder Unvollkommenheit. Überall kann man dem Künstler verwehren, dergleichen darzustellen, falls nicht ein historisches Interesse dazu antreibt, es nach seiner vollen Wahrheit darzustellen, oder falls er es nicht aus versöhnenden, aus lustvoll interessierenden oder heilsam erschütternden Gesichtspunkten darzustellen vermag; an sich selbst ist es gar kein Gegenstand künstlerischer Darstellung. In so weit es aber ein solcher ist, wird es auch in seiner wahren Rolle darzustellen sein.

    Diese allgemeinen Betrachtungen hindern jedenfalls, die Darstellung des Übels überhaupt aus der Kunst zu verbannen, und das Idealisieren im ersten Sinne einfach mit dem Idealisieren im jetzigen zweiten Sinne zusammenzuwerfen und zu verwechseln, wie es wohl mitunter geschieht. So sagt Hegner in seinem "Hans Holbein" S. 218: "ein Gesicht idealisieren, heißt dasselbe auf die höchste Stufe seines Charakters setzen, oder mit Beibehaltung persönlicher Ähnlichkeit in Zügen und Stellung veredeln." Natürlich aber, wo der Charakter eines Menschen und mithin seines Gesichts und seiner äußeren Darstellung überhaupt kein edler ist, kann er es auch nicht dadurch werden, daß man ihn auf seine höchste Stufe setzt; also hat man guten Grund, das Idealisieren im ersten und zweiten Sinne zu unterscheiden. Im ersten Sinne kann auch das Üble der Wirklichkeit durch die Kunst idealisiert, d. i. in reinster Ausprägung wesentlicher Momente wiedergegeben werden; im zweiten Sinne wird es durch die Kunst beseitigt. Eigen aber, daß in den Definitionen der Ästhetiker fast nur der erste Sinn des Idealisierens zur Geltung, im lebendigen Sprachgebrauche fast nur der zweite zur Anwendung kommt.

    Mit Rücksicht hierauf meine ich, daß es nicht übel wäre, den Schulgebrauch des Idealisierens im ersten Sinne überhaupt fallen zu lassen, um hiermit zugleich die unklaren und unerfüllbaren Prätensionen fallen zu lassen, welche der Gebrauch im ersten Sinne mitzuführen pflegt, indes für das, was als richtige Kunstforderung davon festzuhalten ist, der minder leicht mißzuverstehende und der Verwirrung mit der zweiten Auffassung nicht eben so unterliegende Ausdruck einer möglichst reinen, klaren und treffenden Charakteristik des Individuellen in individuellen, des Allgemeinen in allgemeinen Zügen zu Gebote steht; denn was nicht damit zusammentrifft, ist eben nicht festzuhalten.

    In der Tat hat man in Rücksicht zu ziehen, daß eine reine Absonderung des Zufälligen vom Wesentlichen, was man dafür ansehen mag, überhaupt nicht möglich ist, sondern daß das, was von bleibender Bedeutung ist, überall mit zufällig Wechselndem so verwachsen ist, daß es sich gar nicht rein herausschälen läßt und der Künstler also doch nur eine bestimmte Ausprägung des Wesentlichen, Bedeutenden im Reiche des Zufälligen darstellen kann, ohne es darüber hinwegheben zu können. Freilich begegnet man nicht selten Phrasen und Auseinandersetzungen namentlich bezüglich der Portraitmalerei, als wenn der Künstler aus allen Momenten des Daseins eines Individuum so zu sagen ein essentiales Extrakt geben könnte, und als wenn hierin die rechte Idealisierung läge. Wogegen mir scheint, daß der Porträtmaler, um nicht in ein überall verwerfliches Schmeicheln hineinzugeraten und doch über eine interesse- und bedeutungslose realistische Darstellung hinauszugehen, nur die Wahl hat, ein Gesicht entweder so darzustellen, wie es in einem seiner glücklichsten Momente, oder wie es in einem seiner charakteristischsten Momente, wo ein vorstechender Zug des Menschen auch zum vorstechenden Ausdruck kommt, oder wo es in einem mittleren, so zu sagen Gleichgewichtsmomente zwischen seinen verschiedenen Ausdrucksweisen überhaupt erscheinen kann, möglicherweise wirklich einmal oder dann und wann so erscheint, und daß eine mystische Kraft der Kunst, mehr zu leisten, als die Wirklichkeit in dieser Hinsicht nach den vorgegebenen physiologischen und psychologischen Bedingungen zu leisten vermag, zwar derselben oktroiert, aber weder theoretisch begründet noch in der Erfahrung nachgewiesen werden kann.

    Im Allgemeinen wird es für jeden Menschen Momente geben, wo der Maler nichts Besseres tun könnte, als dessen Gesicht so wiederzugeben, wie es wirklich ist, so weil überhaupt die Mittel der Malerei reichen, und es nicht vorzuziehen scheint, ein etwa unangenehm auffallendes Härchen oder Fleckmal, was mit dem wesentlichen Eindruck, um dessen Aufbehaltung es zu tun ist, nichts zu schaffen hat, wegzulassen, als diesen Eindruck dadurch zu stören. Nur ist hundert gegen eins zu wetten, daß die Person weder wenn sie dem Maler sitzt, noch wenn er mit ihr nur in zufälligen Lebensbeziehungen zusammentrifft, demselben in einem solchen Momente gegenübertritt, in dem sie aus dem einen oder anderen Gesichtspunkte gemalt zu werden verdiente.

    Und wenn es schon eine hohe und schwierige Aufgabe für den Maler ist, die Person in einem solchen, in Wirklichkeit doch nur flüchtig vorübergehenden, Momente in der Vorstellung festzuhalten, um sie möglichst getreu wieder zu geben, ist es eine um so höhere und schwierigere Aufgabe, aus den Momenten der Erscheinung, die ihm die Wirklichkeit vorführt, eine andere, der Festhaltung würdigere, zu konstruieren, welche ihm die Wirklichkeit vorführen würde, wenn er ihr nur im rechten Momente begegnete. Verlangt man nun doch dies vom Künstler, indem man eine Idealisierung im ersten Sinne von ihm fordert, so wird man sehr viel, doch vielleicht nicht zu viel von ihm verlangen. Wenn man aber meint, wie man öfters zu meinen scheint, der Künstler könne die Wirklichkeit darin überbieten, daß er durch die Kraft seines Geistes Züge aus verschiedenen Daseinsmomenten der Person zur Charakteristik kombiniert, welche sich von Natur nicht so zusammenfinden können, oder eine Resultante von dem auf einmal geben, was in Wirklichkeit nur nach einander vorkommen kann, und hierdurch den Charakter treuer, prägnanter, die Person sich selbst ähnlicher darstellen, als es die Natur selbst vermag, so ist es zwar leicht, der Kunst dies zuzumuten, aber es liegt eine Unmöglichkeit vor, diese Zumutung zu erfüllen, und nur klar zu machen, wie sie zu erfüllen sei.

    Wenn nun schon dem Künstler die Person, die er darzustellen hat, nur zufällig in einem darstellungswerten Momente und nicht leicht in dem darstellungswertesten begegnet, so ist dies noch weniger bei dem Fotografen (und Daguerreotypisten) der Fall, und das erklärt den Vorzug des guten Porträt vor der Fotografie. Die Fotografie gibt den Menschen, wie ihn der Fotograf stellt oder wie er sich selbst dem Fotografen stellt, kurz meist in einer erkünstelten Lage mit erkünsteltem oder alles Interesses barem Ausdrucke, und so kann es freilich leicht. kommen, daß das Porträt dem Menschen ähnlicher erscheint als die Fotographie. Doch sieht man mitunter fotografische Bilder namentlich von Frauen mit unbefangenem ruhigem Ausdrucke und in natürlicher Haltung, die es, abgesehen von manchen technischen Unvollkommenheiten der Fotografie, mit dem besten Porträt aufnehmen können; aber es sind Zufälle und die Kunst soll den günstigsten Zufall zur Regel erheben. Die Kunstenthusiasten werden dies nicht zugeben; aber es ist so.

    Interessant war mir folgendes Zugeständnis, was der faktische Eindruck eines Daguerreotyps dem geistreichen Hauptmann in s. Briefen an Hauser (II. 81) ganz in Widerspruch mit seiner theoretischen Ansicht abgedrungen, in deren Ausdruck man die herrschende Ansicht wiedererkennt.

    "Ich bin nichts weniger als ein Freund vom Daguerreotyp; aber wir haben jetzt ein Porträt von unserem Helenchen, das ist stupend; man kann’s nicht genug ansehen, und es ist eben wie eine Zeichnung in höchster Vollendung. Eigentlich hätte die Daguerreotypie ihre Bestimmung erst in Nachbildung von Kunstsachen, von Bildern, nicht nach der Natur. ... Das Kunstbild eines guten Malers, das uns die ganze Natur eines Menschen darstellt [aber kann es das? F.], ist wahrer als das Daguerreotyp, das nur den Ausdruck eines einzelnen durch allerlei Zufälliges bedingten Sitzungsmomentes festhält, und es für das Bild des ganzen Menschen ausgeben will." u. s. w.

    Nun kann man fragen: wie aber fängt der Maler es an, aus dem, was er als wirklich sieht, das Mögliche, was er nicht sieht, zu konstruieren. In so weit es ihm überhaupt möglich ist, wird es, denke ich, so sein.

    Täglich sehen wir die Züge des menschlichen Antlitzes mit dem Zustande der Seele wechseln; und so entwickelt sich allmälig in Jedem von uns ein Gefühl zugleich für die Bedeutung dieser Änderungen und die Möglichkeit ihrer Auseinanderfolge, wonach wir denselben Menschen in seinen verschiedensten Gesichtsausdrücken wiedererkennen, wenn das Gesicht nur nicht so gewaltsam verzerrt wird, daß es die Grenzen dessen überschreitet, woran sich unser Gefühl gebildet hat. Sind wir nun nicht selbst Künstler, so bildet sich dies Gefühl bloß durch Anschauung rezeptiv aus, und bleibt auch nur rezeptiv, leitet uns nur in der Beurteilung des Ausdrucks und seiner möglichen Übergänge; bei dem Künstler aber, der es aktiv mit Stift und Pinsel in der Hand, viele Physiognomien zeichnend und malend, ausgebildet hat, geht es auch so zu sagen aktiv in Führung des Stiftes und Pinsels mit über, und es reicht für ihn hin, eine Physiognomie in einigen ihrer Wandlungen zu sehen, um eine andere, die unter andern Umständen zu sehen wäre, und die mehr verdiente aufbehalten zu werden, daraus zu machen.

    Wo es sich nicht wie beim Porträt darum handelt, eine bestimmte Wirklichkeit wiederzugeben, sondern die Wirklichkeit nur das Motiv hergeben soll, Szenen oder Charaktere von allgemeinerer Bedeutung darzustellen, wird die Unterdrückung oder Verwischung individuellster Züge zu Gunsten dieser allgemeinen Bedeutung wohl am Platze sein können, und hiermit die Weise Rahls der Weise Vernets gegenüber sich vertreten lassen, nur nicht als die allein gültige vertreten lassen. Was in dieser Hinsicht zu sagen, will ich in einem besondern Abschnitte (XXIX.) in Anknüpfung an einen Ausspruch Rahls selbst ausführen. Aber wenden wir uns nun zum Idealisieren im zweiten Sinne, dem des lebendigen Sprachgebrauches, und halten uns fortan an diesen.

    Nach den, schon im XXII. und XXIII. Abschnitt angestellten, Betrachtungen wird man ein Idealisieren in diesem Sinne in so weit zu fordern haben, als es durch Idealität der Gegenstände gefordert wird, und mithin zur Charakteristik derselben gehört; in so weit aber noch gelten zu lassen haben, als es Nachteile Seitens verletzter oder abgeschwächter Charakteristik durch gegenteilige Vorteile zu überbieten vermag. Ersteres ist einfach und evident, indes Letzteres zu mehr oder weniger zweifelhaften und für den Ästhetiker mißlichen Abwägungen führt, die man sich freilich leicht erspart, wenn man ohne Weiteres entweder das, was in der Kunstwelt zur Zeit vorgezogen wird, oder was man nach seinem subjektiven Geschmack selbst vorzieht, für maßgebend hält.

    Natürlich, wenn es für den Künstler gilt, Gott, einen idealen Christus, eine ideale Madonna darzustellen, so gibt es außer konventionellen Symbolen, die nur eine Beihilfe und Nothilfe, keine selbständige Leistung der Kunst sind, kein anderes Mittel dazu als Idealisierung menschlicher Persönlichkeiten im jetzigen Sinne. Zwar trifft der Künstler damit nicht das volle Wesen, reicht damit nicht an die erhabene Idee, die wir von diesen idealen Persönlichkeiten haben; aber indem der Künstler die ihm zu Gebote stehenden Mittel der Darstellung in der Richtung zusammenfaßt und selbst steigert, in welcher die Natur selbst es tut, wenn sie sich ausnahmsweise zu höheren und edleren Bildungen erhebt, tut er doch sein Möglichstes, und soll nicht absichtlich oder aus Unvermögen darunter bleiben, als Künstler nicht weniger leisten, als die Kunst in dieser Richtung leisten kann. Und so haben die Griechen bei Darstellung des Jupiter den Gesichtswinkel selbst über das, was bei Menschen vorkommt, hinaus übertrieben, weil mit der Größe des Gesichtswinkels der Eindruck der geistigen Höhe zunimmt.

    Nun kann man freilich fragen, ob sich die Kunst überhaupt an Gegenstände, die mit größtmöglicher Steigerung der Kunstmittel doch nicht adäquat dargestellt werden können, wagen oder solche anders als durch konventionelle Symbole darstellen solle. Aber wäre selbst die Antwort zweifelhaft, so wagt es unsere Kunst jedenfalls, und insofern sie es tut, hat sie auch im angegebenen Sinne zu idealisieren; denn zum Zweck muß man die Mittel wollen.

    Betreffs der Frage selbst aber ist folgender Konflikt zu erwägen. Wie hoch die Kunst in Idealisierung des Menschlichen gehen möge, so wie sie sich vermißt, das Göttliche damit darzustellen, zieht sie dasselbe herab und gibt leicht entweder dem Mißgefühl Raum, daß in der Darstellung hinter der Aufgabe zurückgeblieben sei, oder dem vielleicht noch schwereren Nachteil, daß die Aufgabe für erfüllt gehalten und das Göttliche für nichts Höheres gehalten wird, als was der Künstler darzustellen vermag. Beide Nachteile machen sich wirklich geltend, der eine mehr bei den in höherem Sinne religiös Gebildeten, der andere bei den roheren Naturen. Die Gegengewichte gegen diese Nachteile aber liegen in Folgendem. Unwillkürlich anthropomorphosiert der Mensch doch das Göttliche, und es kann nur von Vorteil gelten, wenn die Kunst es in würdigerer Weise anthropomorphosiert vorführt, als die kunstlose Phantasie für sich es darzustellen vermocht hätte. Der rohe Mensch verliert nichts, wenn ihm diese würdigere Vorstellung für seine unwürdige geboten wird; und die Bildung sorgt von selbst dafür, daß das Bild nicht als wirkliches Abbild, sondern als Symbol dessen, was es eigentlich darzustellen gilt, auftritt. Wer von uns meint denn, daß Gott wirklich so aussieht, wie er gemalt wird. Und wo böte sich anderseits die gleiche Möglichkeit, das Menschliche in größter Schönheit, Erhabenheit, Würde, Anmut darzustellen, der Menschheit Muster der Menschheit gegenüberzustellen, als in künstlerischer Darstellung religiöser, mythologischer und überhaupt die irdische Wirklichkeit übersteigender Persönlichkeiten. Muß man auch zugestehen, daß das Göttliche, seiner Wesenheit nach betrachtet, dadurch herabgezogen wird, so wird das Menschliche dadurch heraufgezogen. Gewohnheit, Bildung läßt uns jenen Nachteil bald nicht mehr spüren, indes sie uns diesen Vorteil immer spüren läßt.

    Die Idee des christlichen Gottes freilich ist so erhaben, daß man sagen kann, er stehe an der Grenze dessen, was sich die Kunst im Wege der Idealisierung des Menschlichen darzustellen erlauben kann; und niemals wird sie damit eben so befriedigen können, als mit der Darstellung untergeordneter idealer Persönlichkeiten. Ja, wollte die Kunst versuchen, ihn eben so für sich darzustellen, wie die Heiden ihre Götter darstellten, so möchten in der Tat die Nachteile überwiegend werden. Seine Darstellung wird nur so zu sagen möglich dadurch, daß wir ihn im Zusammenhange darstellen als Gipfel, Zentrum oder Haupthebel einer Szene im Himmel oder auf Erden, wo die Forderung, ihn seiner eigenen Idee gemäß darzustellen, gegen die Forderung, diesen Zusammenhang in ihm abzuschließen, zu gipfeln, zu zentrieren, zurücktritt, und der Abfall von jener Forderung demgemäß minder leicht verspürt wird; wogegen der Bruch des anschaulichen Zusammenhanges stark gespürt werden würde, wollten wir Gott nur durch ein konventionelles Symbol, wie das Dreieck in einem Lichtschein oder die aus den Wolken herabgestreckte Hand darstellen. Daher wird man auch nie eine Statue von Gott, einen gemalten Kopf von Gott besonders sehen; während es selbst noch von Christus und von Maria solche gibt. Soll aber das Weltgericht, soll die Schöpfungsgeschichte dargestellt werden, so kann die Darstellung Gottes nicht entbehrt werden, und die Darstellung solcher Szenen kann nicht entbehrt werden, ohne die Kunst so zu sagen um das Haupt zu kürzen.

    Übrigens kann man die Wirkung des Konfliktes leicht in so manchen Aussagen über den Eindruck, den die vorzüglichsten Darstellungen Gottes machen, finden.

    Auch wo die Idealisierung im jetzigen Sinne am Platze ist, hat sich der Künstler doch zu hüten, die Grenze des in der Natur möglich Scheinenden zu überschreiten, um nicht das Gegenteil seines Zweckes zu erreichen. Jeder sagt sich sofort, daß, wenn der Gesichtswinkel des Jupiter über eine gewisse Grenze hinaus übertrieben würde, wir vielmehr eine Mißgestalt als einen erhabenen Gott würden zu sehen glauben. Ein großes Auge in einem verhältnismäßig kleinen Gesichte erscheint gegenüber einem kleinen Auge in einem großen Gesichte geistvoll oder seelenvoll. Ähnliches gilt von der Höhe der Stirne und dem Verhältnis des ganzen oberen Kopfteiles zum unteren. Hiergegen ist der ideale Mund nicht nur kleiner, sondern auch geschwungener als der gewöhnliche. Der Künstler bemerkt dergleichen gar wohl und macht von solchen Bemerkungen Gebrauch. Aber weder die Größe noch Kleinheit noch Schwingung des einen oder anderen Teiles darf übertrieben werden. Die Schönheit liegt ja überall in einem gewissen Maße zwischen einem zu viel und zu wenig, und wenn die Natur sich in den unvollkommneren Bildungen vorzugsweise an das zu Wenig oder zu Viel hält, so wird die Idealisierung nach entgegengesetzter Richtung zu gehen und doch nicht zu weit darin zu gehen haben.

    Unter den Nachteilen, welche jede idealisierende Darstellung im jetzigen Sinne, selbst die berechtigte, um so mehr die unberechtigte zu überwinden hat, und welche beitragen müssen, die Berechtigung derselben in engere Grenzen, als in denen sie sich zu halten pflegt, einzuschränken, ist folgender von besonderer Wichtigkeit.

    Darstellungen dieser Art entbehren zwar nicht überhaupt der unterscheidenden Charakteristik; es wird das Weib, der Mann, die Jugend, das Alter, die Freude, die Anmut, die Würde, der Zorn, die Zuneigung Alles noch seinen eigentümlichen Ausdruck haben, aber Alles sich doch in gewisse allgemeine ideale Typen verlaufen; die nicht nur zwischen verschiedenen Bildern, sondern oft in demselben Bilde mit größter Annäherung wiederkehren. Denn der in der Realität weit ausgebreitete Kreis individueller menschlicher Gestaltungen, Ausdrucksweisen zieht sich im Aufsteigen zum idealen Schönheits- und Kunstgebiete immer enger zusammen und wird auf dem Gipfel zu einem sehr engen Kreise. Es ist so zu sagen ein kleines Rund, in dem sich alle antiken Idealgestalten zusammendrängen. Die neuem treten als abhängig davon in dasselbe mit hinein oder nur wenig darüber hinaus; insofern es aber der Fall ist, steht die Ausweichung unter dem Einfluß der Individualität des Künstlers und verähnlicht seine Figuren noch von einer anderen Seite. Man sehe die Darstellungen von Raphael, Cornelius, Overbeck, Schnorr, Genelli u. s. w. an, und man wird es bestätigt finden. Ja die meisten idealistischen Maler haben so zu sagen nur ein Gesicht beziehentlich für jedes Alter, jedes Geschlecht, jeden Stand, jede Nationalität, welches sie in dieser oder jener Gemütsbewegung, wofür sie dann auch ihren stehenden Typus haben, oder in dieser oder jener anderen Wendung darstellen, und die Figuren eines ganzen Volkes gleichen sich hiernach in vielen Bildern mehr, als sich die Glieder einer Familie zu gleichen pflegen. Im Allgemeinen liegen einem idealistischen Maler bestimmte Gesichter eben so im Handgelenke, wie bestimmte Buchstaben einem Schreiber; und so erhält man eine Art kalligraphischer Menschenschrift von der Hand des Künstlers, die sich wie jede kalligraphische Schrift gut ausnimmt aber wenig Charakter hat, und in der man meist die Vorschrift wiedererkennt. Hieran aber hängt mehr als ein Übelstand.

    Um das Hohe zu messen, bedarf es des Niedern als Elle; wenn aber in einem Bilde, worin Christus mit einem Haufen Judenvolks oder Gott mit menschlichen Persönlichkeiten zugleich auftritt, schon in den untergeordneten Personen so ziemlich das Mögliche der Idealisierung geleistet ist, wie man nicht selten findet, was veranschaulicht dann noch die Höhe Christi oder der göttlichen Person? Wir haben in solchen Bildern etwas Analoges, als wenn die ungeheure Abstufung zwischen Licht und Schatten, die uns die Wirklichkeit bietet, in wenigen lichten Tönen wiedergegeben werden soll; das Licht kommt doch nur durch den Schatten recht zur Geltung. Zu dem Abstande zwischen dem Hohen und Niederen vermissen wir aber zweitens die Mannigfaltigkeit, die wir gewohnt sind zwischen Persönlichkeiten derselben niederen Stufe zu sehen, da alle auf die höhere Stufe hinaufgerückt sind, und dies widerstrebt uns nicht nur als eine Naturwidrigkeit, sondern ermüdet uns auch durch Monotonie. Die Gesichter werden uns fast gleichgültige Nullen. Nun kann man sich allerdings durch die Schönheit aller einzelnen Figuren mit der Variation, welche das ideale Gebiet noch gestattet und die namentlich in Stellungen und Bewegungen nach dem in Abschnitt XXVI besprochenen Stilprinzip möglichst ausgebeutet wird, für diese Nachteile in gewisser Weise entschädigt finden; man schwimmt so zu sagen in einem Elemente reiner Schönheit, welches seine Wellen nur so weit schlägt, daß deren Grenzen nie überschritten werden. Aber man kann nicht leugnen, daß dieses Schwimmen unter immer gleichem Wellenschlage auf die Länge in die Gefahr gerät, langweilig zu werden.

    In einem Urteile über den bekannten Genremaler Knaus 1) las ich einmal: "Die Figuren von Knaus und namentlich seine Köpfe sind bis in die scheinbar zufälligsten Nuancen so prägnant und charakterwahr, daß sie fast immer den Eindruck machen, als müsse man diese Physiognomien irgendwo schon gesehen haben." Es ist wahr und man wird dasselbe bei den Figuren jedes guten realistischen Bildes wiederfinden. Aber wohl zu merken: man wird den Eindruck haben, als ob man jedes Gesicht irgendwo einmal im Leben und niemals in der Kunst gesehen habe, wogegen man bei den besten idealistischen Bildern umgekehrt den Eindruck hat, als habe man dasselbe Gesicht niemals im Leben und hundertmal in der Kunst gesehen.

                1) Dioskuren. 1864. S. 382.

    Bis zu gewissen Grenzen liegt das nun freilich in der Natur der Sache, und so weit es der Fall ist, wer will es tadeln. Das ideale Gebiet gibt eben an sich keine große Mannigfaltigkeit her; und indem der idealistische Künstler in der Natur Vorbilder, wie er sie braucht, überhaupt nicht findet, kommt er von selbst dazu, in der Hauptsache die schon vorgegebenen Kunstvorbilder und sich selbst zu kopieren. Hängen daran gewisse Nachteile, so müssen wir uns ja in der Kunst überall unvermeidliche Nachteile gefallen lassen, in so weit sie höhere Vorteile einbringen; es fragt sich nur, in wie weit dies hier der Fall ist. Und sicher würde es mehr der Fall sein und möchten wir überhaupt Nachteile der genannten Art wenig spüren, wenn sich die Idealisierung überall nicht weiter erstreckte, als bis wohin die Idee ihr Vorschub leistet, sich also auf wirklich ideale Persönlichkeiten beschränkte. Auch dasselbe schöne oder edle Gesicht sieht man gern oft und ohne Überdruß im Leben an, warum nicht eben so in der Kunst, und warum nicht um so lieber hier, wenn es doch nicht ganz dasselbe bleibt. Aber auch im Leben würde man es nicht mögen, daß Alles, was sich nicht von Natur schön genug dünkte, schöne Masken trüge, und wäre ein ganzes Volk fast gleich schön, so würde der Reiz verloren gehen, der in der Abstufung des Niederen bis zum Gipfel liegt, und die Kraft verloren gehen, mit der sich der Eindruck hierin gipfelt. Warum aber sollte es auch hierin anders in der Kunst als im Leben sein? Wir brauchen im Grunde in der Kunst nur einen idealen Christus; aber viel Volks in weitem Abstande von Christus; und schon Abschnitt XXIII. gab Gelegenheit zu Bemerkungen in diesem Sinne.

    Unstreitig übrigens ist eine Unterscheidung in der Schätzung zu machen zwischen Künstlern, welche die Idealgestalten erst zur Vollendung ausgebildet haben, und den nachgeborenen Künstlern, welche nichts Besseres aber auch nicht viel Anderes tun können, als wiederzugeben, was sie von jenen fertig empfangen haben. Indem wir dem aufwärts steigenden Gange der Kunstentwicklung folgen, sehen wir in jenen mit Freude und Bewunderung die Schönheit, Anmut, Kraft der menschlichen Gestalt und Bewegung zu einer seitdem nicht überschrittenen Stufe erhoben, und lassen den Anspruch auf eine Abwägung und Abstufung der Höhe, die wir nicht entsprechend bei ihnen finden, zum Teil auch in dem Gebiete ihrer Darstellungen nicht zu suchen haben, gern fallen. Sie waren im Aufsteigen neu und groß. Indem wir aber die späteren idealistischen Künstler immer auf derselben Stufe von geringer Ausdehnung sich herumbewegen sehen, welche von jenen als Gipfel erreicht ist, wie wenn die Höhe des Berges bloß aus seinem Gipfel bestände, befällt uns endlich leicht ein Überdruß, den wir uns hüten müssen in verkehrendem Rückblick auf die Werke jener schöpferischen Künstler zu übertragen. In der Tat aber ist es fast zum Verzweifeln, mit geringen Variationen, ohne neues und meist überhaupt ohne charakteristisches Gepräge, immer denselben höchst vollendeten stilmäßigen Gestalten, Stellungen, Faltenwürfen zu begegnen, denen man schon so oft begegnet ist, ohne recht zu wissen, was man dagegen einwenden soll, als daß man ihnen überall auf den Heerstrassen der Kunst begegnet. Man wird ganz blasiert davon und fängt an, an die chinesischen Kunstbücher zu denken, in denen der Maler alle Figuren, die er zu seiner Komposition braucht, schon vorgezeichnet findet.

    Ich gestehe, von einer solchen Übersättigung befallen worden zu sein, als ich einmal im hiesigen Kunstverein eine Anzahl religiöser und mythologischer Bilder und Cartoons von neueren Künstlern ziemlich hinter einander gesehen, und hiernach zeitweise eine Art Erquickung und oppositionelles Gefallen an einem Bilde empfunden zu haben, was mir in derselben Zeit zufällig vor die Augen kam, und das in seiner Ausweichung nach einem entgegengesetzten Extrem Vorteile geltend macht, welche jenen Nachteilen idealistischer Darstellungen diametral entgegengesetzt sind, freilich zugleich mit Nachteilen, welche ihren Vorteilen diametral entgegengesetzt sind. Es war ein Stich nach Rembrandt 2), darstellend, wie Christus die Kinder segnet. Ich habe denselben Gegenstand schon sonst mehrfach von neueren Künstlern dargestellt gefunden, und überall einen Christus im herkömmlichen Typus, umgeben von einer Anzahl schöner Frauen und kleinen Engeln von Kindern, die Frauen alle in gewählter Attitüde und schön gelegten Gewändern gesehen; und fast immer nur den Eindruck gehabt, daß diese Szene im Atelier des Malers nicht sowohl spiele, als nach einem guten Stilrezepte zusammenkomponiert — ich brauche geflissentlich diesen Ausdruck statt bloß komponiert — sei. Anders bei Rembrandt; hier hatte ich (abgesehen natürlich von den holländischen Gesichtern, was für die wesentliche Wirkung gleichgültig ist) den drastischen Eindruck: so ist sie geschehen; oder doch: so konnte sie geschehen sein, und so stand Christus wirklich über der Masse seines Volkes. Die erhabene Einfachheit und Würde Christi tritt hier aus seinen niederen Hüllen und der Umgebung mit einem Haufen gemeinen Volkes mit der Kraft historischer Wahrheit hervor; Christus sitzt da im Freien, in natürlichster Haltung, in grobem, nachlässig fallenden, keine Stilprätension verratenden und doch nicht stillosen, Gewande, sein Gesicht nach einem alten edlen Typus profiliert, den zugleich ernsten, festen und milden Blick auf das vor ihm stehende Kind von plumper Form gerichtet, dem er die Rechte auf das Haupt legt, indes er es mit der Linken am Arme hält, damit es nicht davon laufe; denn weit entfernt, die Bedeutung dessen, was mit ihm geschieht, zu erraten, wendet es sich, scheu seitwärts schielend, und steckt maulend den Finger in den Mund, nicht wissend, was der fremde Mann mit ihm will, dem es von seiner Mutter zugeschoben wird. Eine andere hinten stehende Frau hebt ihr Kind, um es in den Bereich Christi zu bringen, wie einen Ballen über eine halb bei Seite geschobene Nachbarin, die sieh unwirsch danach umsieht, u. s. w. In keiner Figur gibt sich eine Spur des Bewußtseins der höheren Bedeutung der Zeremonie zu erkennen; die Frauen wollen nur ihren Kindern eine vor der anderen die Segnungen einer wundertätigen Hand zukommen lassen; eine sieht dumm oder neugierig dem Schauspiele zu. Christus allein weiß, was er tut, und erscheint als solcher; der weiß, was er tut.

2) In v. Lützow’s Zeitschr. I. 1866. 192.
 
 
    Und war das nicht wirklich die hocherhabene und zugleich tragische Stellung, die Christus zu einem Volke einnahm, das erst Hosianna und dann Kreuzige ihn schrie; und tritt wohl dieselbe bei den gewöhnlichen idealistischen Darstellungen derselben Szene in gleich scharfes Licht.

    Doch bin ich weit entfernt, dieser Auffassungs- und Darstellungsweise der Szene in jeder Hinsicht das Wort zu reden; sondern habe ihrer bloß gedacht, weil sie in gewisser Beziehung den idealistischen den Rang abläuft. Im Ganzen hat sie sogar etwas Abstoßendes. Denn erbaut kann man sich doch nur von dem Verhältnisse Christi zu dem Volke in diesem Bilde finden; das Gegenteil der Erbaulichkeit liegt in dem Verhältnisse des Volkes zu Christus, und dieses wenig erbauliche Verhältnis in ganz genrehafter Weise darzustellen, kann keinem Bedürfnisse entsprechen, was die religiöse Kunst als solche zu befriedigen hat. Auch war es ja nicht nötig, die Mütter, die ihre Kinder zu Christus bringen, als Repräsentanten der Masse des gemeinen Volkes darzustellen; sie konnten einem edleren Teile des Volkes entnommen werden; und aus religiösem Gesichtspunkte kann es sich überhaupt wesentlich nur handeln, die Szene mit symbolischem Charakter so darzustellen, daß die höhere Bedeutung einer Segnung der Kindheit durch Christus vielmehr verstanden als unverstanden sich ausprägt und dem Beschauer in diesem Sinne anschaulich einprägt. Ja, hätte ich viele realistische Darstellungen solcher Szenen in Rembrandt’s Sinne gesehen, so möchte ich mich um so mehr an einer nur nicht gar zu verblasen gehaltenen idealistischen erfreuen; nur daß man vielmehr die idealistisch gehaltenen in Haufen sieht. Wenn ich aber sagte, man werde ganz blasiert von der Wiederkehr solcher Darstellungen, hätte ich vielmehr nur sagen sollen, daß ich selbst es geworden. Der herrschende Geschmack hingegen ist so durch die herrschenden Muster unterjocht worden, daß er nun nach einem Gewohnheitsbedürfnis überall sucht, was er überall findet.

    So blasiert aber bin ich doch nicht, daß ich nicht in der Raphael’schen Sixtina und dem Gesicht des Ezechiel noch die schönsten und erhabensten Werke der Malerei zu finden, Cornelius apokalyptische Reuter zu bewundern und mich an so vielen Darstellungen von Genelli u. s. w. zu erfreuen vermöchte, Bildern, die dem Ideal geben, was des Ideals ist, indem sie sich in einem Gebiete, was der Vorstellung schon ganz idealisiert vorgegeben ist, auch ganz halten; und es gibt ja ein solches Gebiet, was durch Glauben, Mythos, Dichtung, Symbolik reich bevölkert ist mit göttlichen Persönlichkeiten, mit Engeln, Erzvätern, Heiligen, sogar heiligen Tieren, mit Göttern, Heroen, Heroinen; und ich sollte meinen, darin fände der idealisierende Künstler schon genug Spielraum für die reine Befriedigung des Bedürfnisses idealer Gestaltung. Wo aber das reale Gebiet von diesem idealen nur überragt wird, dieses in das reale hinabreicht, sollte meines Erachtens die Darstellung auch nur mit den in das ideale Gebiet gehörigen Gestalten gekrönt werden, indes das Streben, das reale Gebiet mit in die Höhe zu schrauben, durch nahe Nivellierung des Niederen und Hohen nur überwiegende Nachteile obgenannter Art bringen kann.

    Dabei gebe ich zu, um auch Gegenrücksichten ihr Recht zu lassen, daß es doch in biblischen Bildern sich rechtfertigen kann, die gemeinen Juden und untergeordneten Persönlichkeiten überhaupt, statt mit den heutigen Mauschelgesichtern, mit einem bis zu gewissen Grenzen idealisierten Gepräge darzustellen; nur daß es in maßvoller Weise und ohne so tiefgreifende Schädigung der Charakteristik geschehe, wie man zu finden gewohnt ist. Wir stellen uns ja die alten Juden, die in den biblischen Geschichten spielen, gar nicht mit den Gesichtern der heutigen gemeinen Juden vor, schon deshalb nicht, weil die Maler uns gewöhnt haben es nicht zu tun; aber auch wohl deshalb nicht, weil der Charakter der Heiligkeit jener Geschichten sich für uns in gewisser Weise auf das darin lebende und webende Volk im Ganzen reflektiert. Umgekehrt trägt die, in veredeltem Typus gehaltene, Darstellung des ganzen Volkes dazu bei, Darstellungen, deren Hauptabsicht und Hauptinteresse gar nicht in charakteristischer Darstellung der uns umgebenden Wirklichkeit zu suchen ist; über den Eindruck einer solchen zu erheben und eine höhere Stimmung zu begünstigen. Und wenn eine anthropologische Wahrscheinlichkeit besteht, daß die gemeinen Juden vor Alters doch wie die Mauschels von heute ausgesehen haben, so hat sich nach einer schon früher (Abschn. XXII.) gemachten Bemerkung der Künstler nicht um die wissenschaftliche, sondern um die herrschende Vorstellung derer, auf die er zu wirken hat, zu kümmern.

    Aber mit all’ dem sind die Nachteile solcher Idealisierung nicht gehoben, nur durch Vorteile überboten; und man braucht nur so ins Bodenlose mit der Idealisierung zu gehen, als man oft gegangen sieht, so überwinden die Nachteile und nimmt die höhere Stimmung, die man etwa noch dadurch erweckt finden kann, den Charakter einer solchen an, wie sie durch eine Rede in schönen Phrasen erweckt wird, so lange man dem Sinne nicht auf den Grund geht.

    Hier, wie überall, wo ästhetische Vorteile und Nachteile mit einander streiten, läßt sich eine feste Grenze des Rechten nicht ziehen, — immer wieder haben wir hierauf zurückzukommen — und muß man eine gewisse Breite zugestehen. Kann ich nun meinen Geschmack, der in der heutigen idealistischen Kunst, Alles in Allem genommen, zu viel nach dem einen Extrem neigende Schablone findet, nicht Anderen aufdringen wollen, so dürften doch mit Vorigem die Vorteile und Nachteile, die man hierbei abzuwägen hat, richtig bezeichnet sein; mag man sie immerhin in Würdigung der heutigen Kunstleistungen anders abwägen, als meiner eigenen Empfindung entspricht.

    Nun aber geht man mit der Idealisierung oft sogar in Gebiete herab, wo die Vorstellung überhaupt nicht mit einer Idealisierung vorangeht, auf Grund der mißverstandenen Rede, die Kunst solle uns in ein höheres Reich über die Wirklichkeit erheben. So sieht man hier und da gemalte Volksszenen aus der Profangeschichte oder dem profanen Leben, wo alle Gesichter schön, alle Stellungen anmutig, alle Kleider neu, harmonisch in Farbe und von gewähltem Faltenwurfe sind, oder wo es wenigstens mehr der Fall ist, als daß wir eine Volksszene darin wiederfinden könnten; und es gibt Personen, welche Gefallen an solchen Darstellungen finden, ohne freilich wirklich in ein höheres Reich dadurch gehoben zu werden; denn das vorgespiegelte Reich ist unmöglich, und es ist unmöglich, sich hinein zu versetzen. Der Maler selbst hat sich nicht hineinversetzt, und die schönen anmutigen Gestalten in den allgemeinen Rahmen, den die Idee gezogen, vielmehr hineingesetzt, als aus ihr heraus entwickelt; und wie er sie einzeln nach einem allgemeinen Schönheitsschema hineingesetzt hat, halten sich die Beschauer an das Einzelne oder finden sich im Allgemeinen und in unbestimmter Weise durch die Menge von Schönheit berauscht, die sie hier auf einmal zusammen sehen, indes sie in der Wirklichkeit lange auch nur nach einer einzigen Probe davon suchen könnten. Aber der Gewinn des Gefallens, den sie hiervon haben, wird durch den Verlust überboten, den sie bei anderen Kunstwerken dadurch erleiden, daß ihnen die höhere Schönheit, die aus der inneren Zusammenstimmung alles Einzelnen zur Idee des Ganzen hervorzuleuchten und durch den Eindruck der Wahrheit Kraft zu gewinnen vermag, verloren geht. Ein richtiger Sinn, der sich diesen Gewinn wahrt, wird durch die Untreue jener Darstellungen mehr verletzt, als durch die gehäufte Wohlgefälligkeit des Einzelnen erfreut.

    Die schönen reizenden Gestalten und Stellungen sind uns ja darum nicht verloren, daß wir sie nicht am falschen Orte angebracht sehen. Nicht nur daß wir sie in Darstellungen aus jenem idealen Gebiete suchen und finden können, so entbehrt auch die Wirklichkeit selbst ihrer nicht; man muß nur die Gelegenheiten aufsuchen, wo sie vielmehr in die Wahrheit der Idee hineintreten als aus ihr heraustreten.

    So mag auch in einer Bauernhochzeit die Braut als ein hübsches Mädchen dargestellt werden; denn warum dem Maler zumuten, vielmehr eine Hochzeit mit einer garstigen als hübschen Braut zu malen. Man heiratet am liebsten ein hübsches Mädchen, man malt sie am liebsten und sieht die gemalte am liebsten. Wo gar kein Interesse an einer Szene vorliegt, ist sie überhaupt nicht zu malen, und meist gipfelt das Interesse an einer Szene in einer Person als Zentrum der Beziehungen darin. Dadurch nun, daß die Braut hübsch ist, gewinnt sie nicht nur selbst, sondern gewinnen auch alle Beziehungen dazu an Interesse und Reiz. Wenn die bäuerliche Braut aber nicht bloß hübsch sondern auch fein aussieht, wenn die Brautjungfern und Zuschauerinnen sämtlich auch hübsche oder doch interessante Gesichter haben, so haben wir statt einer Bauernhochzeit nur die Maskerade einer solchen und alle Beziehungen verlieren durch das Gefühl der Unwahrheit an Interesse und Reiz. Nun findet freilich hierin wieder keine bestimmte Grenze statt. Warum soll es nicht auch unter den Brautjungfern bei Bauernhochzeiten ein und das andere hübsche Mädchen geben, und wenn man in der Wirklichkeit am liebsten die Hochzeit ansieht, wo es deren am meisten gibt, warum soll nicht der Maler eine solche in der Idee und Darstellung vorziehen, wo es am meisten gibt. In der Tat, er mag es; nur daß, wenn er zu viel darin tut, das Gefühl der Unwahrscheinlichkeit beim Zuschauer überwiegend wird, und die Freude an der naturgetreuen Erfüllung der Idee des Gegenstandes mehr verkürzt wird, als durch die Freude, ein schönes Gesicht mehr zu sehen, gewonnen wird; daher der Maler besser tun kann, lieber eins weniger, als eins mehr zu malen; abzählen läßt sich’s freilich nicht, wie viel. Ja er kann es in seinem Vorteil finden, alle schönen reizenden Gesichter bei Seite zu lassen, wenn er eine Szene darstellt, wo sie doch gewöhnlich fehlen und mit der Natur der Szene nichts zu schaffen haben; nur muß er dann ein Interesse auch abgesehen davon in die Szene zu legen und um so mehr durch naturgetreue Charakteristik zu befriedigen wissen.

    Beides freilich vermögen viele Künstler nicht, und so sind manche Genrebilder der Art, daß sie ihren ganzen Reiz nur der Schönheit oder Anmut der darin auftretenden Personen verdanken, die dadurch, daß sie der Szene unwesentlich und an sich fremd, wenn nicht gar widersprechend ist, eine Einbuße an der Kraft der Wahrheit mitführt, welche ein so wesentliches Lebensmoment der Schönheit ist. Man kann zwar an solchen Bildern immer noch von gewisser Seite Gefallen finden, wenn sie nicht durch zu starken Widerspruch mit der Wahrheitsforderung verletzen, doch wird den Beschauer immer ein Gefühl dabei beschleichen, daß der Künstler so zu sagen der Idee geschmeichelt oder ihr etwas abgeschmeichelt habe, was der Strenge der Kunst widerspricht. 3)

3) Eine Mehrzahl von recht plumpen Beispielen falscher Idealisierung fand ich Anlaß in einer kleinen Schrift "Über einige Bilder der zweiten Leipziger Kunstausstellung, von Dr. Mises. Leipzig 1859", mit aufgenom-men in die kleinen Schriften von Mises, zu besprechen.
 
 
    Zur Erläuterung will ich an ein Bild von Lasch erinnern, welches einmal im Leipziger Kunstverein ausgestellt war, und vielen Beifall erwarb; auch hat es in einer Berliner Ausstellung die kleine goldne Medaille für Kunst erhalten. Es stellt den Heimgang einer Bauerngesellschaft von einer Kirmes dar. Den Mittelpunkt des Bildes nimmt ein jubelnder trunkener Bursch ein; und auch einem Burschen hinten sieht man an, daß er des Guten zu viel getan hat. Hierin und in einer Geige, die einer der Heimkehrenden trägt, liegt aber auch Alles, was man charakteristisch für den Heimgang von Dorfleuten aus einer Kirmes finden kann. Die 6 oder 7 Bauermädchen, die im Zuge mitgehen, samt einem Kinde, das von einem Bauer getragen wird, sind alles ganz allerliebste reizende Geschöpfe mit einer Lieblichkeit und selbst Feinheit des Ausdruckes und Behabens, daß man sie nur gern ansieht; aber wo gibt es ein Dorf mit lauter solchen reizenden Geschöpfen. Und wie passen solche feine Gesichter zu den groben Schuhen. Zwar ist einigen Gesichtchen ein Zug bäuerlicher Naivität gleichsam als Würze beigemischt, der sie in der Tat noch reizender macht; doch ist das Verhältnis der Wirklichkeit eben damit verkehrt, daß der Grundzug die Nebenrolle spielt. Im Übrigen ist der ganze Zug so gehalten, daß ein Bekannter von mir, der mit bäuerlichen Verhältnissen vertraut ist, gar nicht glauben wollte, das Bild stelle wirklich den Heimgang von einer Kirmes dar, vielmehr den Titel des Bildes "Nach der Kirmes" als einen Hingang nach einer solchen deutete; der Jubel des Burschen sei bloß ein Jubel vorweg. "Oft genug sei er selbst bei Bauerkirmessen gewesen, und wisse sehr wohl, daß es bei der Heimkehr von solchen ganz anders aussehe und zugehe, wie hier, wo noch die größte Sauberkeit und Ordnung unter den Heimkehrenden herrsche, nicht einmal Bierflecke auf den Hosen der Betrunkenen zu sehen wären." Nur der Umstand vermochte ihn endlich von seinem Irrtum zu überzeugen, daß im Hintergrunde eine Kirchweihfahne auf einer Schenke aufgesteckt ist, welcher die Heimkehrenden den Rücken zuwenden.

    Fragte mich nun jemand, ob ich das Bild lieber angesehen haben würde, wenn die lieblichen Bauermädchen durch plumpe Bauerdirnen, wie man sie in jedem Dorfe findet, ersetzt und die Hosen des Trunkenen voll Bierflecken wären, so würde ich es durchaus verneinen; vielmehr hätte ich es dann gar nicht ansehen mögen, und die realistische Wiedergabe der Unreinlichkeit hätte gar Ekel erweckt, während ich jetzt mich gern mit den einzelnen Gestalten beschäftige; aber wie ich sie in der Idee des Ganzen zu verknüpfen suche und an dieselbe halte, fangen sie mir an zu mißfallen, ich finde mich gestört, und das sollte nicht sein. Vermochte der Künstler den Gegenstand nicht zugleich wahr und anmutig darzustellen, so sollte er ihn überhaupt nicht darstellen.

    Kunstwerke der Art, in welchen die Idee bloß benutzt ist, um Schönheiten wie an einem Faden aufzureihen, ohne daß das gemeinsame Dasein dieser Schönheiten in der Idee des Ganzen wesentlich wurzelt, verhalten sich zu den echten, wo sie im Zusammenhange mit minder schönen und nach Umständen selbst unschönen Einzelheiten aus der Idee selbst hervorwachsen, wie der ganz aus Blumen zusammengesetzte durch einen Faden zusammenhängende Kranz zur blühenden Pflanze mit Blüten, Stengeln, Wurzeln. Man kann in ersterem viel mehr schöne Blumen anbringen, als letztere von selbst zu tragen vermag, kann sich auch wohl einmal den Kranz gefallen lassen, da man immerhin gern viel Schönes beisammen sieht, ohne überall zu fragen, wie es zusammenhängt; aber die Kunst soll doch vielmehr einem Garten voll blühender Pflanzen als einer Halle, in der Kränze aufgehangen sind, gleichen; und während man der blühenden Pflanzen niemals überdrüssig wird, wird man der Kränze sehr bald überdrüssig.

    Wieder aber will ich zugeben, daß ein leiser Zug der Idealisierung, der im Zusammenhange durch das Ganze einer Darstellung aus realem Gebiete geht, einen Reiz darüber breiten kann, welcher den Nachteil überbietet, der daran hängen bleibt, daß die Darstellung nicht mit der vollen Kraft aus dem Leben selbst gegriffener Wahrheit wirkt. Die Idealisierung muß nur eben leise genug sein, daß das Gefühl eines Widerspruches mit der Wahrheit nicht über die Schwelle tritt, vielmehr uns Alles noch zu einer in den bestehenden Bedingungen der Wirklichkeit begründet scheinenden Möglichkeit zu stimmen scheint. Dann können wir uns wirklich daran erfreuen, als an etwas, was, wenn es nicht in der Regel so ist, doch so sein könnte und so sein möchte. Hierher rechne ich Darstellungen von Leopold Robert und Ludwig Richter.

    In der Tat, bei den Familien- und Volksszenen Lugwig Richters, um uns an dies nächstliegende Beispiel zu halten, hat man im Allgemeinen das Gefühl, es sind Szenen eines glücklichen Familienlebens oder eines gesegneten Volkslebens, wie solche wohl sein könnten und wir wünschen möchten, daß sie überall wären. Sie erscheinen uns vom Künstler aus der Masse derer, die allenthalben zu sehen sind, die aber zu sehen nirgends ein Interesse hat, herausgehoben, und das Reizende darin mit einer so feinen, eingehenden und treffenden Charakteristik durchdrungen und diese umgekehrt so reizend gewendet, das Ganze so harmonisch gestimmt, daß wir nichts zu wenig und nichts zu viel finden, und nicht sowohl eine Überhebung über die Wirklichkeit, als eine leise Erhebung der Wirklichkeit in ein mustergültigeres Gebiet darin erkennen können. Einer solchen aber können wir uns gar wohl erfreuen, wenn schon diese Darstellungen nicht den Eindruck machen, so rein aus dem realen Leben gegriffen zu sein, als z. B., um nur ein paar neuere Namen zu nennen, Bilder von Defregger und Bildchen von Hendschel, die sich noch enger an das Leben, wie wir es zu finden gewohnt sind, anschließen, und mit der größeren Entfernung vom Ideal der Gefahr, einen durchgehenden Typus erkennen zu lassen, noch weniger unterliegen. Auch diese aber verfallen damit nicht ins Prosaische und Gemeine, da vielmehr auch sie Seiten des Lebens, welche das Gemüt oder den Humor ansprechen, in Szene zu setzen wissen. So kann die Darstellung von Szenen aus dem realen Leben überhaupt etwas mehr ans Ideale anklingen oder mehr den Eindruck rein realistischer Wahrheit anstreben; und beiderlei Darstellungen können jede in ihrer Art erfreulich sein.

    Und so, um noch einmal auf die Darstellungen auf idealem Gebiete zurückzublicken, werden durch vorwiegend idealisierende Darstellungen heiliger Geschichten solche in Rembrandt’s Sinne nicht ausgeschlossen sein, nur daß nicht so bis ins Niedrige damit herabgestiegen werde, als in obigem Beispiele, und als Rembrandt überhaupt liebt. Nur eben sah ich ein neues Bild von Hofmann in Dresden, Christus vom Schiffe aus dem Volke predigend, ein in gewissem Sinne reizend schönes Bild; aber ich sah eben nur Christus, der einer reizend schönen, reizend gruppierten Versammlung aus der Kunstwelt predigt, nicht Christus, der einem Volke predigt. Von Rembrandt hätte ich nicht jenen, aber diesen gesehen.

    Auch im Felde des Porträts wird man sich vor Exklusivität zu hüten haben. Ein in unserem jetzigen Sinne idealisiertes Porträt ist ein geschmeicheltes. Nun läßt sich zwar der Mensch im Porträt wie in der Rede gern schmeicheln, aber die Schmeichelei gefällt eben nur dem Geschmeichelten; jeder Andere zieht das wahre Porträt vor. Es gibt Porträts alter Meister mit roter Nase, klumpigen Gesichtszügen, verschwommenen Augen, die uns doch besser gefallen, die wir kunstmäßig schöner finden, als die geschmeicheltsten und einschmeichelndsten Porträts so mancher neuen Künstler. Vor Kurzem lag mir eine Sammlung von Fotografien nach Porträts der literarisch berühmten deutschen Frauen neuer Zeit vor. Bei den meisten fühlte man heraus, die Porträts seien geschmeichelt, und blätterte mit einer Art störenden Mißtrauens das ganze Werk durch.

    Dennoch kann auch bei Darstellung realer Persönlichkeiten eine Idealisierung bis zu gewissen Grenzen im Rechte sein, wenn nämlich die Darstellung eine monumentale sein soll, indem Monumente gewissermaßen zugleich Apotheosen sind, und es einen gerechtfertigten Zweck haben kann, einen großen Mann nur nach der Seite seines Wesens, die ihm das Monument verdient hat, für die Nachwelt zur charakteristischen Darstellung zu bringen. Hier mögen Züge in dieser Richtung stärker hervorgehoben, widerstrebende mehr gemildert werden, als es sich mit einer ganz naturwahren Charakteristik überhaupt verträgt. Mancher Wohltäter der Menschheit ist doch der Sinnlichkeit mehr als billig ergeben gewesen; die Erinnerung hieran in seinem Antlitze aufzubehalten, kann seinem Andenken und der Wirkung dieses Andenkens nicht frommen. Nur muß man sich nicht verhehlen, daß, indem man mit monumentalen Darstellungen vielmehr eine Idee, die in dem Menschen ihre Vertretung gefunden hat, als den Menschen selbst darstellt oder zwischen jener Darstellung und seiner individuell zutreffenden Darstellung schwankt, die Kraft des Eindrucks, der an der Wahrheit hängt, geschwächt und das Interesse, was man insbesondere an der Wahrheit einer Porträtstatue nimmt, nicht befriedigt wird. Ein Monument, was den Menschen in voller Treue wiedergibt, wird in dieser Hinsicht immer einen stärkern Eindruck machen, nur leicht den Zweck des Monuments verfehlen, wenn die äußere Erscheinung des Menschen dem monumentalen Charakter widerspricht. Am glücklichsten, wo ein Konflikt in dieser Hinsicht nicht besteht, und der Künstler seinen Mann wie jener Steinmetz, dessen ich (Abschn. XXII.) gedachte, seinen Kaiser abkonterfeien kann; aber allerdings sind Konflikte der Art nicht selten.

    Ein frappantes Beispiel der Verlegenheit, den Konflikt zu lösen, ja der Unmöglichkeit ihn glücklich zu lösen, bot das im Wiener Stadtpark aufzustellende Monument für den Lieder-Komponisten Franz Schubert dar. 4) Zur Errichtung desselben war ein Kapital zusammengebracht und drei Künstler, Wiedemann in München, Kundtmann in Rom und Pilz in Wien eingeladen, sich mit Skizzen an der Konkurrenz um die Ausführung zu beteiligen. Keine der drei Skizzen genügte, und wie war es auch möglich, sagt der Berichterstatter "wo wie bei Schubert nicht nur der geistige Mensch, mit seinem tief innerlichen, feinbesaiteten, Seelenleben, sondern auch die äußere Erscheinung in ihrer charaktervollen unschönen Derbheit so wohl unter sich, als mit den Stilgesetzen der Plastik in Widerspruch geraten. Diesen fast wie der edle John ins Breite gegangenen Körper, . .. diesen feisten Krauskopf mit den Schlemmerlippen und der bebrillten Stumpfnase, wer will ihn uns bilden in ganzer Figur, wer kann es, ohne seinem eigenen, dem Genius des göttlichen Sängers Eintrag zu tun, der für uns der Inbegriff alles Zarten und Innigen, die Psyche des deutschen Liedes selber ist."

        4) Beiblatt zu v. Lützow's Zeitschr. f. bild. K. 1866. no. 20.
 
 
    Wiedemann hatte die Erscheinung Schuberts mit der Unordnung seiner Haare, dem freistehenden Vatermörder, dem ausgerundeten Bäuchlein so naturalistisch wiedergegeben, daß die geistige Bedeutung des Mannes darüber nicht zur Aussprache kam, vielmehr derselbe erschien "wie ein äußerlich wohlkonditionierter Beamter, der sich in nachdenklicher Stellung zwischen Daumen und Zeigefinger eine Prise aufbewahrt, mit der er, sobald ihm der richtige Gedanke gekommen, seine Nase belohnen wird"; wogegen der Pilz’sche Schubert "in seiner echt plastischen, das Kleine und Kleinliche verschmähenden, Haltung, mit dem Ausdrucke des Nachdenkens, des künstlerischen Denkens einen günstigen Gesamteindruck machte, aber sich ganz fremdartig gegen den wirklichen Schubert darstellte, "keinen traulich ansprechenden Zug desselben enthielt." Ebensowenig befriedigte Kundtmann’s Skizze.

    Der Berichterstatter empfiehlt nun, um die Schwierigkeit der Aufgabe, die sich einmal nicht heben ließ, wenigstens zu reduzieren, statt einer ganzen Porträtstatue bloß eine Büste zu geben, und diese mit reliefartigem, an die Architektur sich anschliessenden Schmuck zu umgeben. Vielleicht aber wäre es besser, bei so starken Konflikten von einer Porträtstatue überhaupt abzusehen, und dem Andenken des Mannes lieber eine Stiftung mit dem Namen und im Sinne desselben zu widmen.