Soll ich hiernach noch mein Glaubensbekenntnis im Sinne der Tagesansicht in einige kurze Sätze zusammenfassen, so stelle ich gern an die Spitze desselben einen Spruch, den ich mich freute in einem kleinen, in orthodoxen Kreisen wohlbekannten, Büchlein "Christliches Vergißmeinnicht", das jeden Tag des Jahres zur kürzesten Morgenandacht mit einem Bibelspruch bedenkt, gerade auf meinen Geburtstag treffend, zu finden.
"Es sind mancherlei Kräfte, aber es ist Ein Gott, der da wirkt Alles in Allen" (l.Cor. 12,6).
Wesentlich dasselbe sagt der erste Satz des folgenden Bekenntnisses, und alle andern hängen nur daran. Mit allen und in allen bleibt wahr, daß das Höchste und Beste des Glaubens, worüber nichts Höheres und Besseres geht, schon Sache der universalen Idee des Christentums ist (s. o.). Der eine Gott über allen und in allem das Jenseits mit gerechter Vergeltung, das höchste sittliche Gebot: Liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst, sind keine Neuigkeiten der Tagesansicht, sondern ein Licht von oben, ohne das sie, um es nochmals zu bekennen, nicht Richtung und Ziel gefunden hätte; und mit dieser Anerkenntnis schließt das Bekenntnis.
l. Es ist ein Gott, dessen unendliches und ewiges Dasein das gesamte endliche und zeitliche Dasein nicht sich äußerlich gegenüber noch äußerlich unter sich, sondern in sich aufgehoben und sich untergeordnet hat; so daß, soweit und hoch man das Dasein endlicher Dinge verfolgen und durchmessen will, das göttliche Dasein darüber hinausreicht.
2. Also steht auch der Mensch Gott nicht äußerlich gegenüber, sondern ist ihm zugleich eingetan und Untertan, Leben und Bewußtsein des Menschen im göttlichen mit beschlossen.
"In Gott ruht meine Seele,
Weil Gott lebt, lebe ich,
Denn er allein hat Leben;
Ich kann nicht stehn daneben;
Er kann nicht lassen mich."
3. Die Welt zwischen den Menschen ist
nicht finster und stumm, sondern Gott sieht mit dem Lichte und hört mit
dem Schalle seiner Welt alles, was in der Welt ist und geschieht; und über
allem, was er mehr sieht und hört, als seine Geschöpfe, bauen sich
auch in ihm höhere Gedanken als in den höchsten dieser Geschöpfe.
4. Die Menschen haben sich zu bescheiden, nicht obenan in der Welt zu stehen, sondern find nur die höchsten individuellen Entwicklungsstufen des irdischen Reiches, welche aber durch höhere Beziehungen darin verknüpft sind und über welchen die Welt noch höhere Stufen einschließt, die sich endlich alle in der höchsten Stufe, d. i. der des göttlichen Daseins, zusammen- und abschließen.
5. Jedes Gestirn hat seine eigne Sinneswelt und darüber aufsteigende höhere Bewußtseinswelt, die sich über der seiner Geschöpfe einheitlich zusammenschließt und gegen die der andern Gestirne abschließt, für das göttliche Bewußtsein aber ganz aufgeschlossen bleibt, so daß die Gestirne eine Zwischen- und Vermittlungsstufe zwischen ihren Geschöpfen und Gott bilden, also auch die Erde.
In Gott ruht meine Seele,
Scheint ganz es mit ihr aus,
Die Spur von ihr verloren,
Tritt sie nur neugeboren
Ein in sein höhres Haus."
8. Unser Irrtum, unsre Torheit und
Sünde hängt nur an unsrer Endlichkeit und unserm niederen Standpunkte
in Gott, nicht anders als im Menschen selbst Vorstellungen, Gedanken
und Triebe gegen seine höhere Einsicht und seinen höheren
Willen entstehen und gehen können, doch bleibt die rechte Einsicht,
der rechte Wille und das Gebot ihm darüber.
"In Gott ruht meine Seele,
Gott wirkt sie in sich aus;
Sein Wollen ist mein Sollen;
Ich kann dawider wollen;
Doch Er führt es hinaus.In Gott ruht meine Seele,
Der selber sündigt nicht,
Trägt doch mit seinem Kinde
In sich auch dessen Sünde,
Führt es zuletzt zur Pflicht."
9. Aller Schmerz und alles Leiden,
alles Übel in der Welt überhaupt ist nicht durch Gottes Willen
noch Zulassung, sondern durch eine Notwendigkeit der Existenz da; aber
mit gleicher Notwendigkeit, als es da ist, liegt im Wesen Gottes und hiermit
der von ihm abhängigen Weltordnung das Streben es zu heben, zu versöhnen,
woran sich seine Geschöpfe mit zu beteiligen haben. Schließlich
und vollständig kann er es nur in sich heben und versöhnen, indem
er es in allen seinen Geschöpfen tut; und je weiter und höher
seine Mittel über seine Geschöpfe hinauf und hinaus in Zeit und
Raum und Aufstieg zu höheren Lebensstufen reichen, so sicherer wird
die Hebung und Versöhnung sein; man muß sie auch nur von da
erwarten. Mit solchem Glauben kann man sich ruhig schlafen legen.
"In Gott ruht meine Seele,
Er hält in sich den Rat
Von Wahrheit, Schönheit, Güte,
Daß Einheit im Gemüte
Und Richtschnur sei der Tat.In Gott ruht meine Seele,
Und schwankt sie noch so viel
Geirrt von irdischen Trieben,
In Glauben, Hoffen, Lieben
Bleibt Er ihr höchstes Ziel."
11. Die göttlichen, d. i.
sittlichen Gebote haben den Sinn, daß der Mensch sein Trachten und
Handeln in der Richtung auf das eigne Wohl dem Trachten und Handeln in
der Richtung auf das Wohl des Ganzen, dem er angehört, unterordne.
Der Mensch ist dahin zu erziehen, daß er aus Liebe seine Pflicht
tut, und sein Gewissen ihm ohne Rechnung sagt, was recht ist.
12. Die erhabensten und allgemeinsten
Lehren des Christentums sind die höchsten, besten und haltbarsten
überhaupt, welche die Religion an ihre Spitze stellen kann, und Christus
steht an der Spitze aller Zeugen für das Dasein und die Geltung der
höchsten, besten, heiligsten Wahrheiten.
"In Gott ruht meine Seele,
Die Seele fleht ihn nicht,
Da Gott den Herrn zu zeigen
Die Zeugen niedersteigen,
Christus voran als Licht."