XXIV. Ergänzende Bemerkungen zur Begründung der Tagesansicht.


    Von vornherein ist zugestanden, es sei im Grunde nur eine Hypothese, wovon die Tagesansicht hier den Ausgang genommen hat, daß die Lichtschwingungen, Schallschwingungen auch außerhalb der Menschen und Tiere leuchten, tönen, und daß das Leuchten, Tönen sich nur von außen in Menschen und Tiere hineinerstrecke; wogegen es nicht minder eine Hypothese ist, worauf die Nachtansicht fußt, daß die Licht- und Schallschwingungen draußen weder leuchten noch tönen, sondern nur das Vermögen haben, Licht- und Schallempfindung in unserm Nervensystem zu wecken. Zugunsten der ersten Hypothese vor der andern aber ließ sich geltend machen, erstens, daß die natürliche Auffassung des Menschen die erste von selbst vorzieht, zweitens, daß nach ihr die Welt unmittelbar einen erfreulicheren Anblick gewährt als nach der zweiten, drittens, daß sich auf sie des weiteren eine Weltansicht bauen läßt, die nach allen Seiten befriedigender ist, als die, wozu die zweite führt. Das zu zeigen, war die Hauptaufgabe dieses Buches, und es kann nicht die Aufgabe eines kurzen Satzes sein, es noch einmal zu zeigen. Daß die naturwissenschaftliche Abstraktion von den Empfindungsqualitäten des Leuchtens, Tönens bei Betrachtung der quantitativen Bewegungsverhältnisse des Lichtes und Schalls kein Fehlen der qualitativen Bestimmtheit daran bedeute, ward in einem besonderen Abschnitte (XX) besprochen.

    Gestehen wir weiter zu: es ist kein strenger Schluß, daß, wenn es ein Leuchten und Tönen über Menschen und Tiere hinaus gibt, es auch ein darüber übergreifendes, allgemeineres, sehendes und hörendes Wesen dazu geben muß, in welches die Empfindung des Leuchtens, Tönens fällt. Kann nicht das Licht draußen für sich selber leuchten, der Schall für sich selber tönen? Wohl ward gesagt (Kap. V.1): "Die sinnliche Empfindung kann ja nicht im Leeren schweben, es bedarf eines Subjektes, eines übergreifenden Bewußtseins dafür"; und wer kann sich's anders denken, sieht er in sich selbst hinein; aber verwechselt er nicht hierbei die subjektive Tatsache mit einer objektiven Notwendigkeit. Gibt es doch wirklich eine Ansicht, nach der die sinnliche Empfindung im Leeren schweben kann, ein Atom nämlich nur in Schwingung zu geraten braucht, um für sich selbst eine einfache sinnliche Empfindung zu geben, ohne daß es eines, diese Empfindung befassenden Subjektes dazu bedarf (Abschn. XXII), wie wir solches doch forderten, um die sinnliche Empfindung nicht für sich selbst bestandfähig denken zu müssen. Was wird aber dann aus dem ganzen Gott der Tagesansicht, dessen Forderung an dieser Forderung hing oder doch damit zusammenhing.

    In der Tat, wenn sich die Annahme Gottes bloß auf jene Forderung zu stützen hätte, so möchte sie noch schwach genug gestützt erscheinen. Nun aber bleibt zunächst wahr, erstens, daß die Denkbarkeit einer für sich selbständig bestehenden sinnlichen Empfindung uns doch in der Tat schwer, wenn überhaupt eingänglich ist, indes die früher (Abschn. XXII) besprochene Ansicht, welche sich dennoch darauf einläßt, auch früher besprochenen Einwänden unterliegt; zweitens, daß die materiellen Bewegungen, woran Licht und Schall draußen hängen, in einer analogen Weise vom allgemeinen System der Welt übergriffen werden, als die, woran sie in uns hängen, von dem Teilsystem der Welt, was jeder von uns selbst bildet; drittens, daß das allgemeine materielle System zu unserm partiellen solche Verhältnisse der Analogie, des Zusammenhanges und der Ursächlichkeit darbietet, um einen Schluß vom einen auf das andre in betreff der geistigen Tragkraft machen zu können, was in früheren Schriften mehr als in der jetzigen von mir ausgeführt ist. Möchte man aber auch alle diese theoretischen Gründe noch nicht durchschlagend genug finden, so treten des weiteren historische und praktische Gründe, denen nach Abschn. IX eine Mitrücksicht gebührt, für den Gottesglauben mit solcher Übermacht hinzu, wie man insbesondere in den "drei Motiven und Gründen" ausgeführt findet, daß wir uns der Gesamtheit dieser Gründe nicht entziehen können, ohne in eine theoretisch, praktisch und historisch zugleich anhaltbare Weltansicht hineinzugeraten.

    Das vorige betraf die zwei ersten Grundpunkte der Tagesansicht (Kap. III), der dritte aber hängt so sehr mit den beiden vorigen zusammen, daß eine Entwicklung der Tagesansicht überhaupt nur unter seiner Zuziehung möglich ist. Der göttliche Geist kann die Welt nicht im Zusammenhange übergreifen, ohne den Menschen mit zu übergreifen.