Um mit klaren Vorbegriffen in die folgenden Betrachtungen einzutreten, bestimmen wir etwas genauer als bisher, was wir, in wesentlicher Einstimmung mit dem naturwissenschaftlichen wie allgemeinen Sprach- und Begriffsgebrauche, hier unter Natur oder auch gleichbedeutend materieller Welt verstehen werden.
Wir verstehen darunter und allgemein wird darunter verstanden das, als außer unserm Geiste existierend vorgestellte, Ursächliche der sog. äußeren Erscheinungen oder Wahrnehmungen, die von uns und von andern mit den sog. äußeren Sinnen wirklich gewonnen werden oder gewonnen werden können, d. i. des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens, Fühlens (Tastens) 1); auch wird die Natur gemeinhin durch diese in uns hinein erzeugten Wirkungen charakterisiert, wennschon wissenschaftlicherseits immer mit dem Bewußtsein, daß diese Wirkungen in uns, unserm Geiste, nicht das Ursächliche davon, nicht die Natur selbst sind. Die Gründe, die uns veranlassen und berechtigen, wirklich ein Ursächliches dieser Wirkungen außer unserm Geiste zu suchen, sind im vorigen Abschnitte besprochen und hier nicht darauf zurückzukommen.
Diese Vorbegriffe können für das Folgende genügen. Ohne nun denselben zu widersprechen, geht doch die streng naturwissenschaftliche Betrachtung und Behandlung der Natur nur in einer gewissen Beschränkung auf die danach zur Natur zu rechnenden Bestimmungen ein, hält nämlich von der ganzen äußerlich sinnlichen Erscheinungswelt nur das Zählbare oder infinitesimal Summierbare, nach Zeit- und Raummaß Bestimmbare, sagen wir kurz das quantitativ Bestimmbare, fest, abstrahiert aber von aller qualitativen Bestimmtheit, wie solche unsern sinnlichen Erscheinungen als Lichtempfindung, Tonempfindung usw. zukommt 3). So bleibt für sie nur die Vorstellung räumlicher und zeitlicher Ausdehnung, die Vorstellung eines in diesem Raume enthaltenen, sei es mit ausgedehnten oder in diskrete Atome gespaltenen, jedenfalls qualitativ unbestimmt gelassenen oder gleichgültig gedachten, etwas, was sie Materie nennt, und die Vorstellung von Lagen und Lagenveränderungen (Bewegungen) der Teile der Materie im Raume übrig. Sie legt der Materie Kräfte bei, die aber für naturwissenschaftlichen Standpunkt und naturwissenschaftliche Verwendung faktisch durch nichts andres charakterisierbar sind, als dadurch, daß aus gegebenen quantitativ bestimmbaren zeitlichräumlichen Verhältnissen der Materie gesetzlich andre folgen, was sie als Wirkung der der Materie inwohnenden Kräfte bezeichnet. Sie tut so, mag auch der Philosoph mit dem Begriffe der Kräfte umspringen wie er will, und ihn dadurch für die Naturwissenschaft so unfaßlich und unbrauchbar als möglich machen (vgl. Absch. XVII). All dem aber haftet für die streng naturwissenschaftliche Betrachtung nichts mehr von den Empfindungsqualitäten des Gesichts, Gehörs usw. an, womit kompliziert es doch in die äußere Wahrnehmung eintritt; und wenn sie noch etwa die Möglichkeit statuiert, das den beiden Elektrizitäten verschiedene Arten von Materie unterliegen, ist es nur infofern, als etwa quantitativ verschiedene Bewegungserfolge davon abhängen, ohne daß sie dabei an jene Empfindungsqualitäten der äußeren Wahrnehmbarkeit denkt.
Kurz, die naturwissenschaftliche Betrachtung objektiviert bloß quantitativ auffaßbare Bestimmungen unsrer äußeren Wahrnehmungen als der Natur außer uns zukommend, oder zur wesentlichen Charakteristik derselben gehörig, und abstrahiert von den qualitativen 4). Nun ist es doch eine eigne Sache, wenn der Materialist, und nicht bloß dieser, sondern im Grunde die ganze heutige, von der Nachtansicht infizierte, wissenschaftliche Welt der Natur über uns hinaus deshalb keine qualitative Bestimmtheit zukommend hält, weit der Naturforscher von ihr abstrahiert. Er hält es eben nur für seine Aufgabe, sich mit der quantitativen zu beschäftigen, indes doch diese in untrennbarem Zusammenhange mit der qualitativen in seine Wahrnehmung eintritt. Soll die Welt über uns hinaus, indem sie qualitative Empfindungen in uns hineinerzeugt, selbst qualitativ leer, unbestimmt sein? Oder soll sie Qualitäten haben, die mit den von unsrer Seele faßbaren unvergleichbar sind, von denen sich also nicht sprechen läßt, die man einfach dahin stellen muß. Aber das trifft doch faktisch nicht für den Teil der Natur, der die äußerliche Erscheinung eines lebendigen Körpers gibt, sofern sich daran nach direkter innerer Erfahrung die Empfindungsqualitäten des Sehens, Hörens usw. knüpfen. Hier haben wir einen direkten Anknüpfungspunkt in der Erfahrung für die Annahme bestimmter Qualitäten zu den quantitativen Bestimmtheiten der Natur über uns hinaus, den es nur zu verfolgen und auszubeuten gilt. Wir schließen nach Analogien, Induktionen, Kausalbetrachtungen von dem, was in uns gesetzlich zusammengehört, auf das, was davon über uns hinaus zusammengehört. Mag nun auch die Ausführung dieses Schlusses ins einzelne schwierig sein und ins Unsichere geraten, so ist jedenfalls ein Prinzip und Anknüpfungspunkt des Schlusses mit Vorigem gegeben, und die Schwierigkeit und Unsicherheit trifft nicht sowohl das Allgemeine als eben nur das Einzelne und Besondere der Folgerungen.
Es ist wahr, im äußerlich erscheinlichen Bewegungsgebiete, wie es vom Physiker gefaßt wird, kann die einfache Bewegung eines Handgriffes durch Übertragung auf eine zusammengesetzte Maschine sukzessive sehr mannigfache und komplizierte Bewegungen darin auslösen, indes die unmittelbare Übertragung nur in einer entsprechend einfachen Bewegung, sei es in Richtung der Hanbgriffsbewegung oder einer, durch Zerlegung derselben nach andrer Richtung besteht. Es steht nun frei, die Auslösung einer Bewegung welche Empfindung mitführt, in unserm komplizierten Gehirn durch einen relativ einfachen Reiz hiermit zu vergleichen. Hiermit erläutert sich aber nur die Entstehung einer irgendwie zusammengesetzten materiellen Bewegung in uns durch den äußeren Reiz, nicht das Hervorbrechen einer Empfindungsqualität in dieser Zusammensetzung; der Übergang dazu bleibt ein kausaler Sprung, mag man ihn bei der einfachsten oder kompliziertesten Bewegung tun, und kann nur vermieden werden, wenn ebenso die auslösenden als ausgelösten Bewegungen mit einer Empfindungsqualität behaftet gedacht werden 5). Und wozu der Sprung, da die Naturwissenschaft selbst ihn nur deshalb schließlich zu machen genötigt ist, weil sie zuvor von der qualitativen Bestimmtheit der äußeren Wahrnehmungen abstrahiert; man restituiere ihnen diese Bestimmtheit und es ist von vornherein gar kein Anlaß mehr zum Sprunge. Doch macht der Materialismus und die ganze Nachtansicht den Sprung mit, als wenn in der eigentümlichen Komplikation der Gehirnbewegungen etwas läge, was aus Bewegung auf einmal Empfindung herauszaubern könnte 6).
6) Das die große Komplikation des Gehirns der höheren
Tiere und des Menschen vielmehr nur zur Entwicklung des über ihr Sinnesleben
gebauten höheren Seelenlebens als zur Auslösung der sinnlichen
Empfindung selbst nötig ist, beweist sich schon damit, daß die
aus gleichartiger organischer Substanz bestehenden nervenlosen Polypen
sehr lebhafte Zeichen von Empfindungserregung durch äußere Reize
geben.
Wollte man dennoch von den qualitativen Bestimmtheiten der äußeren Wahrnehmungen, als das Objektive außer uns nichts angehend, nur in uns fallend, abstrahieren, so wäre Kant wenigstens konsequenter, sofern er von der quantitativen Bestimmtheit als objektiver Bestimmtheit einer Welt über uns hinaus ebenso abstrahiert wissen will, als von der qualitativen. Haben wir aber doch theoretische und praktische Gründe, unsrer inneren Welt der äußeren Wahrnehmungen überhaupt zwar nicht das indentisch Gleiche, aber etwas durch Gesichtspunkte der Gleichheit damit Verwandtes außer uns entsprechend zu halten, was eine Wirkungsbeziehung zwischen beiden möglich erscheinen läßt, so wird dies auch nicht minder betreffs der qualitativen als quantitativen Seite der Existenz gelten müssen, anderseits die objektive quantitative Seite der äußeren Existenz ebensowenig mit der spezialen subjektiven Erscheinung derselben für jeden von uns zu verwechseln oder für identisch gleich damit anzusehen sein, als die qualitative. Auch begeht die naturwissenschaftliche Betrachtung selbst eine solche Verwechslung nicht, hält aber doch die Vergleichbarkeit nach quantitativer Seite fest, und die Tagesansicht tritt nur darin ergänzend hinzu, daß sie dasselbe auch betreffs der qualitativen Seite der Existenz tut.
Aber, kann man fragen, welchen Grund hat die naturwissenschaftliche Betrachtung überhaupt, in vollem Widerspruch mit der natürlichen von der ganzen qualitativen Seite der Naturerscheinung zu abstrahieren, um bloß die quantitative mit ihrem Endeingriffe in unsre Seele in Betracht zu ziehen. Dieser Grund liegt in ihrem Zwecke, aus gegebenen Verhältnissen der äußeren Erscheinungswelt nicht gegebene mit möglichster Schärfe abzuleiten, oder den Erfolg abgeänderter Verhältnisse des äußeren Erscheinungszusammenhanges möglichst sicher vorauszubestimmen. Das kann sie nicht anders, als nach Gesetzen, die aus Kombination äußerer Wahrnehmungen geschöpft sind, durch Zuziehung von Maß und Rechnung. Aber nur die quantitative, nicht qualitative Seite der Naturerscheinung ist dem Maße und der Rechnung unmittelbar zugänglich 7). Und der Beweis, daß dies wirklich der Gesichtspunkt ist, aus welchem die naturwissenschaftliche Abstraktion von der Empfindungsqualität des äußerlich Wahrgenommenen geschieht, liegt darin, daß, wo jener Zweck wegfällt, auch jene Abstraktion wegfällt, d. i. in der Naturbeschreibung, wo in der Tat die qualitative Seite der Naturerscheinung mit der quantitativen gleich berücksichtigt wird. Man beschreibt z. B. ein Tier nach seiner Hautfarbe, dem Laut seiner Stimme, dem Geruch, den es verbreitet, der Rauhigkeit seiner Haut; nicht minder charakterisiert man ein Mineral durch Empfindungsqualitäten. Hiergegen besteht die Abstraktion für Physik, Chemie, Astronomie, Physiologie (insoweit solche nicht in innere Psychophysik umschlägt) und findet sich in der sie gemeinsam beherrschenden und durchdringenden Mechanik sozusagen in höchster Reinheit sanktioniert. Wirklich sind es nur diese Teile der allgemeinen Naturwissenschaft, wenn man doch die Naturbeschreibung zur allgemeinen mit zu rechnen hat, deren Bedürfnis zu jener Abstraktion geführt hat. Bei wirklicher Vornahme von Rechnungen abstrahiert sogar die Naturwissenschaft noch weiter, operiert bloß noch mit Zahlen, und bei allgemeinsten Rechnungen sogar bloß noch mit Buchstaben als Vertretern ganz abstrakter Quantitäten, ohne damit zu behaupten, daß mit solcher Abstraktion die Wirklichkeit gedeckt sei.
Zuletzt bleibt noch die Frage übrig, ob man der materiellen Welt als dem Ursächlichen äußerer Erscheinungen, die in unserm Geiste entstehen, eine Existenz außer dem geistigen Gebiete überhaupt beizulegen habe. So gut alle äußeren Erscheinungen, von denen wir sprechen können, etwas in unserm Geiste sind, könnte das, was wir als Kausalgrund derselben über uns hinaus anzunehmen gedrungen sind, auch nur etwas in einem allgemeinen Geiste sein, der den unsrigen mit einschließt; und in der Tat weder ein direkter Erfahrungsgrund noch ein begrifflicher oder Kausalgrund scheint mir dazu zu nötigen, sozusagen noch etwas hinter dem allgemeinen und unserm Geiste anzunehmen, wovon das gesamte Geistige erst wieder abhängt, da vielmehr alle Kausalität im Geistigen selbst verfolgbar gedacht werden kann, wenn wir berücksichtigen, daß die Materie selbst nur durch Bestimmungen, die in unsern Geist fallen, für uns erfaßbar ist. An etwas überhaupt denken, was nicht in unsern oder damit vergleichbar einen andern oder allgemeineren Geist falle, oder fallen könne, oder daraus abstrahierbar sei, heißt an nichts denken. In der Tat bekenne ich mich in letzter Instanz zu einem objektiven Idealismus; was nicht hindert, vielmehr die Nötigung bestehen läßt, eine körperliche Außenwelt und geistige Innenwelt insofern zu unterscheiden, als die erste durch den gesetzlichen Zusammenhang von Wahrnehmungen, die in eine Mehrheit von Einzelwesen fallen oder fallen können, letztere durch den Zusammenhang geistiger Bestimmungen, die schon in jedes Individuum für sich, respektiv den allgemeinen Geist fallen, charakterisierbar ist. Im folgenden Abschnitt ist auf die hierher gehörigen Fragen zurückzukommen.