XII. Zur Lehre vom Jenseits 1).

    Der Materialist verlacht den Glauben an ein zweites Leben, weil er im Tode die Bedingungen des ersten zerstört sieht. Aber er verlacht doch nicht den Glauben, daß alles, was im körperlichen Gebiete geschieht, ins Unbestimmte fort Folgen im körperlichen Gebiete erzeugt, sei's auch, daß wir sie nicht verfolgen können, kurz, daß die Kausalität von Ursache und Folge im körperlichen Gebiete nicht stirbt; warum verlacht er doch den Glauben, daß auch die Kausalität im geistigen Gebiete nicht stirbt, und von der Kausalität im körperlichen Gebiete über den Tod hinaus nicht anders als im Leben selbst getragen wird. Nichts andres aber will der Glaube der Tagesansicht.

l) Zum Teil ist hier auf die grundlegenden Betrachtungen von V-5 nur in etwas andrer Form zurückgegangen, zum Teil mit erläuternden und ergänzenden Betrachtungen darüber hinausgegangen. Die nicht mehr zu umgehende Berücksichtigung des Spiritismus aber ist auf den 23. Abschn. verschoben. Zur Motivierung dieser vorläufigen Zurückstellung hier einige, das ganze Urteil in dieser Hinsicht vorwegnehmende Worte. Als Tatsache zugestanden kann der Spiritismus meines Erachtens doch nur eine exzeptionelle Verrückung der normalen Verhältnisse zwischen Jenseits und Diesseits bedeuten, welche, ebenso wie verrückte Zustände des Diesseits, gewisse Verhältnisse mit den normalen gemein behält, ohne einen reinen Ausdruck der normalen zu gewähren oder einen sicheren Schluß darauf zu gestatten. Schließlich aber muß der Möglichkeit und Tatsache abnormer Verhältnisse doch Rechnung getragen werden.
 
 
    Der Pessimist bedauert den Glauben an ein zweites Leben, fragend: ist's nicht genug am Elende des erstens Lebens; danken wir Gott oder vielmehr dem Unbewußten, denn einen andern Gott gibts nicht, daß es uns in sich zurücknimmt und damit die Fortsetzung des Elendes in einem zweiten Leben erläßt; wenn schon er mit dem Gedanken an die jenseitige Fortsetzung des Elendes auch den Gedanken an seine jenseitige Ausgleichung und Versöhnung preis gibt, und keine Musik im Diesseits mit einer Dissonanz abschließend findet, also auch beim Elend, mit dem manches Leben hier abschließt, sich denken könnte, das dissonierende Leben sei nicht überhaupt damit abgeschlossen.

    Der Pantheist, was heut so pflegt zu heißen, sagt zum Menschen, der gelebt: der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen, die Welt wird ohne ihn fortgehen; der Strom besteht, die Welle vergeht und aus den alten Wellen bilden sich neue, die den Strom weiter führen, ohne selber weit von ihm geführt zu werden, da sie wieder neuen Platz zu machen haben; das Einzelleben begebe sich des Anspruches, als endliches mehr als ein verschwindendes Moment des ewigen sein zu wollen. Obwohl der Pantheist doch sieht, daß man keine Pyramide damit aufbaut, daß man die alten Stufen immer wieder einreißt, um die neuen daraus zu bauen, und ein Baum nicht dadurch weiter wächst, daß die alten Zweige immer wieder in den Stamm einkriechen; und der Strom eben nur deshalb immer der alte ohne Fortentwicklung bleibt, weil er die Wellen, die er aus sich geboren, auch wieder in sich zerfließen läßt, indes der Strom der Dinge heute ganz andre und höhere Wellen schlägt als der Strom vor tausend Jahren.

    Der Monadolog knüpft mit der Einheit zugleich den Reichtum bewußten Lebens an ein einfaches Wesen oder Atom, das, wenn der Leib zerstört wird, unzerstört übrig bleibt, und die Seele mit dem, durch leibliche Vermittlung gewonnenen, Inhalt rettet. Nichts einfacher als das, nur mit der Schwierigkeit, nach Zerstörung des alten Leibes der Seele einen neuen Leib zur Forterhaltung und Fortentwicklung geordneter Beziehungen mit der Außenwelt zu schaffen, und mit dem Bedenken, daß der Monadolog Gott preis gibt, um die Seele des Menschen zu retten; denn umsonst der Versuch, Name und Begriff Gottes an ein einfaches Wesen zu heften, und damit zugleich die Einheit des göttlichen Bewußtseins und die monadologische Konsequenz zu retten.

    Das Dogma und wer dadurch geschult ist, rettet den Leib mit der Seele zugleich durch den Glauben an eine Auferstehung des Leibes mit der Seele, indem sie die Schwierigkeit der Vorstellung solcher Auferstehung durch den Abweis jedes Versuches ihrer Lösung beseitigt und das neue Leben zugleich ganz verschieden von dem ersten Leben und ganz nach dessen Bilde, nur schöner im Himmel und schlimmer in der Hölle vorstellt, bekennend, eigentlich soviel wie nichts davon zu wissen, und jeden einen Toren scheltend, der mehr davon zu wissen vermeint oder sich vermißt. Obwohl man doch meinen sollte, wenn wirklich ein zweites Leben aus dem ersten kommt, müsse es auch einen verfolgbaren Faden des Zusammenhanges zwischen beiden geben.

    Und eben dieses ist der Gesichtspunkt, von welchem ausgehend die Tagesansicht den Glauben an ein zweites Leben nicht nur festhält, sondern dem Faden folgend auch einiges Licht auf den Weg ins Jenseits und in dasselbe selbst zu werfen sucht.

    In der Tat, der allgemeinste Gesichtspunkt, aus welchem die Tagesansicht an ein jenseitiges bewußtes Leben denken lassen kann, zugleich der einzige, aus welchem im Schlußwege daran zu denken, ist jener, womit wir von vornherein dem Materialisten entgegentraten.

    Fragen wir, was im Jetztleben die Kontinuität eines identischen Bewußtseins von der Kindheit bis ins späteste Alter an demselben Leibe forterhält, trotzdem daß Stoff und Form des Leibes gewechselt haben, so ist es der Umstand, daß der spätere Leib aus dem früheren hervorgewachsen ist, der Träger des früheren Bewußtseins Folgen erzeugt hat, an die sich wieder Bewußtsein heftet; und fragen wir uns, was die Bewußtseinsbeziehung der Erinnerung zu der Anschauung erhält, aus der sie erwachsen ist, so ist es wieder der Umstand, daß das, was die Erinnerung in uns trägt, eine Folge dessen ist, was die Anschauung in uns trug. Es gilt also dies Prinzip für die Kontinuität des Bewußtseins allgemein, soweit wir es im Diesseits verfolgen können, und so werden wir ihm auch vom Diesseits zum Jenseits Folge geben können.

    Zu diesem ersten Erfahrungsprinzip aber tritt das zweite, daß das Sinken des Bewußtseins in einem Gebiete bewußten Lebens selbst zur Bedingung des Aufsteigens in einem damit zusammenhängenden oder daraus erwachsenen wird. Es gibt aber kein zugleich vollständigeres, tieferes und dauernderes Sinken des Bewußtseins im jetzigen Leibe und Leben als den Tod, also auch keine kräftigere Bedingung zum Erwachen des, aus dem jetzigen bewußten leiblichen Leben hervorgewachsenen jenseitigen, was ebensowenig abstrakt von der Materie geführt wird, als den Tod des jetzigen.

    Dies die beiden Prinzipe, worauf sich die Lehre vom Jenseits schon im ersten Teile wesentlich stützte, und sich auch fürder stützen wird.

    Näher zugesehen nun, teilen sich die Folgen des jetzigen bewußten Lebens in zwei, in solche, die es im selben Leibe nach sich läßt und die dazu beitragen, das Leben an den jetzigen Leib zu ketten, und solche, die es um sich schlägt und an die sich das künftige Leben heftet, indem sie noch übrig bleiben, wenn der jetzige Leib zergeht. Auch die Folgen aber, welche das diesseitige Leben im selben Leibe nach sich läßt, setzen sich noch während dieses Lebens fortgehends in solche um, die es um sich schlägt, indem sie über den Leib hinausgreifen, mit Zuschlag noch der letzten beim sterben, so daß der ganze innere Reichtum des diesseitigen engen Lebenskreises sich mit dem Tode in den nur weiteren jenseitigen seiner Folgen umgesetzt hat, und der jetzige enge Leib in der Tat nur ein Durchgangspunkt für alle ist. Mit allen für uns sichtbaren und hörbaren Folgen des Jetztlebens, in Handlungen, Worten, Schrift und sonstigen Werken, wodurch die Wirkungen des Geistes über seinen Leib hinaus getragen werden, muß die feinste Nervenschwingung dazu ihren für uns unsichtbaren und unhörbaren Beitrag geben, indem sie eben nur dadurch innerlich erlöschen kann, daß sie, sei's auch teilweis in andre Form umgesetzt, an das Äußere übergeht. Und so zusammenhängend in sich, so mannigfaltig, so verwickelt, so entwicklungsfähig und immerfort im selben Charakter sich fortentwickelnd der Kreis der Ausgangsbedingungen ist, muß es der Kreis der Folgen sein, was man sich durch folgendes, wenn schon nur schwache, Bild erläutern kann.

    Wenn ein Schwan im Wasser schwimmt - um dies mit dem Lebensgange eines Menschen zu vergleichen -, so bleiben alle Wellenausbreitungen, die von seiner Bahn ausgehen, soweit sie auch gezogen wird, unter sich zusammenhängend; die späteren greifen in die früheren ein und tragen zur Fortentwicklung des ganzen Systems durch immer neue Bestimmungen bei, und zwar nicht bloß die, welche von der eignen Bahn des Schwans ausgehen, sondern auch die, welche von den Bahnen andrer Schwäne im selben Wasser ausgehend darein eingreifen, ohne daß doch die Beziehung eines jeden Wellensystems zur Ausgangsbahn und der davon abhängige Charakter desselben verloren geht.

    Das Beispiel trifft nur darin nicht, daß die Folgen, welche das diesseitige Leben eines Menschen hinterläßt, nicht bloß von seinem äußeren, sondern viel wesentlicher von seinem inneren Lebensgange oder Lebensprozesse ausgehen; aber hinsichtlich des fortbestehenden Zusammenhanges, der Verwicklung, Entwicklungsfähigkeit und Entwicklung des weiteren Lebenskreises, den der engere um sich schlägt, trifft es doch ganz, sofern die vom inneren Lebensgange abhängigen Folgewirkungen in dieser Hinsicht keinen andern Bedingungen unterliegen, als die vom äußeren, vielmehr nur an ein noch komplizierteres Ineinandergreifen denken lassen.

    Schwer freilich würde es sein, sich vorzustellen, daß das volle Herabsinken des engeren Lebenskreises unter die Schwelle des Bewußtseins im Tode plötzlich und auf einmal in eine Erhebung des ganzen weiteren Lebenskreises über dieselbe umschlüge; denn es kann unmittelbar doch dem einen Kreise nur zugute kommen, Was dem andern entgeht, der ganze weite Kreis aber nicht auf einmal erheblich durch das gehoben werden, was dem engeren in seiner letzten Phase entgeht. Aber eben deshalb wie aus andern Gründen haben wir auch eine solche Vorstellung nicht zu hegen. Ist doch schon im Diesseits niemals alles, was in uns wach werden kann, auf einmal wach; bald wacht das Auge, bald das Ohr, bald diese, bald jene Erinnerung, indes das übrige im Unbewußtsein schläft, bis im Wechsel- und Folgespiel des geistigen Lebens die Reihe daran kommt, indem sich zu den schon vorgegebenen Bedingungen des Bewußtseins eine neue fügt, hinreichend ein Übersteigen der Schwelle an dieser Stelle oder in dieser Hinsicht zu bewirken. Und so ist auch das gänzliche Herabsinken des diesseitigen Lebenskreises im Tode unter die Schwelle nur als eine Bedingung anzusehen, wodurch das Bewußtsein der letzten Lebensphase des Menschen unmittelbar in das der Folgen, die von dieser Phase ausgegangen, umschlägt, von wo an es aber nicht nur weitere und freiere Wege der Wanderung durch das aus dem bisherigen Leben stammende Besitztum findet, als im Diesseits selbst, sondern auch über größere Welten verknüpfend greifen kann. Dabei werden Assoziationsgesetze und andre psycholische Gesetze vom Diesseits in das Jenseits übergreifen, und sich nur nach Maßgabe der erweiterten und gesteigerten Bedingungen des Jenseits in entsprechend erweiterten und gesteigerten Folgen geltend machen.

    Der Glaube an das Jenseits tritt überall, wo wir ihm begegnen, mit dem Glauben an Gott verschwistert auf; aber indem man nach hergebrachter Weise die jenseitigen wie diesseitigen Geister ihr Leben vielmehr außer als in Gott führen läßt, oder in der Sache zurücknimmt, was man mit Worten zugibt, verliert das Leben beider seinen gemeinsamen Boden und sein Band, fällt bezugslos, vermittlungslos auseinander, gewinnt der Zweifel und die Leugnung Raum. Machen wir aber Ernst mit dem Glauben, daß alles geistige Leben, das jenseitige wie diesseitige, in Gott eingetan ist, und der göttlich geistige Stufenbau nach gleichem Prinzip über uns hinaus, als in uns hinein reicht, so werden wir auch das jenseitige Leben über dem diesseitigen wie von selbst in diesen Stufenbau sich einfügend finden. Ohne das jenseitige Leben seiner Geschöpfe entbehrte Gott der ganzen Höhe des geistigen Baues über ihrem diesseitigen Leben, ohne das Eingehen in Gott fehlte dem jenseitigen Leben der geistige Halt und Boden. Denn, in eine tote Natur hineinstrahlend blieben auch die Nachwirkungen unsres Lebens tot.

Und so stellten wir es schon früherhin so dar, daß, wie über dem Anschauungsleben in uns sich ein daraus erwachsenes Erinnerungsleben mit weiter daraus sich webenden höheren geistigen Vorgängen aufbaut, so über unserm ganzen diesseitigen Leben ein daraus erwachsenes höheres in Gott. Nun nimmt der Spielraum, die Kraft, die Haltbarkeit der Erinnerungen und die Höhe der Beziehungen dazwischen überhaupt mit der Weite, Stärke, Höhe des Geistes, in den sie eingehen, zu, vergleichen wir nur in dieser Hinsicht unser Erinnerungsleben mit dem der Tiere; der göttliche Geist aber übersteigt in Weite, Stärke und Höhe unsäglich unsre Geister; also wird auch unser Erinnerungsleben in Gott in einem unsäglich weiteren Spielraum mit ganz andrer Kraft und Haltbarkeit und auf einer höheren Bewußtseinßtufe geführt werden, als das Leben der Erinnerungen in uns.

    Wir vergessen vieles, die Tiere noch mehr, die Pflanzen werden sich an gar nichts erinnern; unsre Erinnerungsbilder sind schwach; wir können nicht viel Erinnerungen auf einmal ins Bewußtsein rufen; aber alles das sind Mangelhaftigkeiten unsres Erinnerungslebens, die einerseits an der mit dem göttlichen Geiste unvergleichbaren Enge und Schwäche unsres Geistes, anderseits daran hängen, daß der Nachklang einer Anschauung im Menschen an sich selbst nicht dieselbe Kraft und Fülle haben kann, als der Nachklang eines ganzen Menschenlebens in Gott. Also ist zum Gesichtspunkt der Gleichheit der Gesichtspunkt der Verschiedenheit zwischen dem kleinen Diesseits und Jenseits, das in uns selbst eingeht und dem großen, in das wir selbst eingehen, immer festzuhalten. Voraussätzlich gewinnen wir mit dem Tode das Vermögen, uns unsres ganzen diesseitigen Lebens zu erinnern, und leben selbst in diesen Erinnerungen, nur zugleich auch dem Bewußtwerden der Folgen, die unser Leben hinterlassen hat, fort.

    Darin selbst freilich, daß die jenseitigen Lebensverhältnisse materieller- wie geistigerseits nicht bloß als eine Folgerung, sondern zugleich als eine Erweiterung und Steigerung der diesseitigen auftreten, liegt eine Schwierigkeit der Eingänglichkeit ihrer Vorstellung für uns, die wir uns noch unter den Bedingungen des diesseitigen engen Lebens finden. Wir sind den alten engen kompakten, auf Füßen mühsam von einem Orte zum andern gehenden oder Kutsch' und Pferde zur leichteren Fortbewegung bedürfenden, Leib nun einmal gewohnt, und wennschon wir das künftige Leben als ein ganz neues, das jetzige überbietendes, wollen, und zum Zweck auch die Mittel wollen sollten, kommen wir doch bei Darbietung derselben nicht leicht über den Widerspruch mit der altgewohnten Form des Lebens weg, und tauchen Schwierigkeiten auf, teils davon abhängig, daß wir, die Bedingungen der engen Form bewußten Lebens, die wir in der Unterlage des neuen nicht wiederfinden, mit den Bedingungen bewußten Lebens überhaupt verwechselnd, meinen, wenn es mit jenen aus sei, sei es überhaupt mit uns aus, teils, daß wir die Gleichungspunkte des künftigen Lebens mit dem jetzigen, welche doch noch zu finden, wegen der Weite und Höhe des Blickes, den ihre Auffassung erfordert, uns entgehen lassen. Aber statt uns durch Schwierigkeiten der einen oder andern Art irren zu lassen, schärfen wir nur den Blick, so werden sie verschwinden.

    Zuvörderst darf uns nicht irren, daß unser jenseitiges Leben von einem weiten Kreise von Wirkungen getragen sein soll, als könne damit eine Einheit des jenseitigen Bewußtseins nicht bestehen; da schon unser jetziges bewußtes Leben nicht von einem Punkt, sondern von einem Zusammenhange und einer Auseinanderfolge von Wirkungen getragen wird, diese aber für den jenseitigen Lebenskreis nicht nur nicht minder als für den diesseitigen, sondern auch im Zusammenhange mit diesem selbst bestehen, so daß wir die jenseitige Einheit in continuo mit der diesseitigen fassen können.

    Der Spielraum für die Betätigung und Entwicklung bewußten Lebens ist im Jenseits nur ein noch weiterer, mannigfaltigerer und freierer als im Diesseits geworden und der Mensch dadurch der Allgegenwart und Allwirksamkeit Gottes um eine Stufe näher gerückt; was alles wir ja auch vom künftigen Leben möchten, doch weder mit dem auferstandenen alten Leibe noch einem daraus ausgezogenen Ätherleibe, zu erreichen vermöchten, da wir in letzterem nur eine Verkürzung statt Erweiterung der alten Mittel hätten.

    Ebensowenig darf uns irren, daß die jenseitigen Lebenskreise in unsre diesseitigen und ineinander greifen, als könnte dadurch eine gegenseitige Störung, Irrung, Verwirrung oder gar ein Verfließen der Individualitäten entstehen. Ohne uns auf die Analogie ungestörter Wellendurchkreuzung zu berufen, obwohl das Prinzip derselben für die materielle Unterlage der jenseitigen Existenz unstreitig ebenso fundamental besteht, als für die diesseitige, halten wir uns an direkte Tatsachen, die uns zu Gebote stehen.

    Faktisch erstrecken die von unsern Vorfahren ausgegangenen und hinterlassenen Ideen, Einrichtungen, Werke ihre Wirkungen in uns hinein; aber anstatt daß wir dadurch gestört, geirrt würden, gehört vielmehr das Eingreifen davon in uns wesentlich dazu, uns fortzuentwickeln, fortzubilden; wir müßten ja sonst immer von neuem mit dem anfangen, was wir von ihnen ganz oder teilweise fertig empfangen. Das aber ändert sich nicht, mögen wir uns die Nachwirkungen des Lebens der Verstorbenen mit Bewußtsein der Verstorbenen behaftet denken oder nicht. Werden wir aber nicht durch ihr Eingreifen in uns geirrt, warum sollten sie dadurch geirrt werden; sie werden vielmehr in der Begegnung mit uns auch gegenteilige Fortbestimmungen durch uns empfangen, welche zu ihrer Fortentwicklung beitragen.

    Auch ist das nur die Erweiterung und Steigerung dessen, was wir schon diesseits in uns selber finden. In der Tat, in die Anschauungen unsrer Sinne greifen fortgehends Erinnerungen, welche selbst erst aus dem Anschauungsleben stammen, mitbestimmend ein; und so knüpft sich z. B. dadurch an die Anschauung der Gestalt eines Menschen, die uns im Grunde nur einen bunten Fleck vorspiegelt, die ganze Bedeutung eines Menschen, sehen wir in Haus und Baum die ganze Bedeutung derselben hinein und knüpfen an den Schall der Worte die Bedeutung der Worte 2). Gegenteils aber tragen die Anschauungen durch jede neue Erscheinung, die sie vermitteln, zur Fortbestimmung und Fortentwicklung des Erinnerungslebens bei, ohne daß dabei von gegenseitiger Störung, Irrung und Verwirrung die Rede ist.

2) Eingehender hierüber im IX. Abschnitt der "Vorschule der Ästhetik".
 
 
    Auch unsre Erinnerungen selbst aber, woran sie immer hängen mögen - wahrscheinlich doch an durcheinandergreifenden Wellenzügen in unserm Gehirn -, statt sich durch ihre vielseitige Begegnung, die wir wenigstens geistigerseits verfolgen können, zu stören, verweben sich dadurch zu Begriffen und Gedanken, ohne das Vermögen der eignen Reproduktion und deren Beziehung zum Ausgange damit zu verlieren. Eine entsprechende Entwicklung des gesamten jenseitigen Lebens nur in höherem Sinne mögen wir denn auch von dem Durcheinandergreifen der sich daran beteiligenden einzelnen jenseitigen Lebenskreise erwarten.

    Du sagst etwa: immer und immer wieder der Vergleich des jenseitigen Reiches mit dem Reiche unsrer Erinnerungen. Über uns hinaus aber, wo das jenseitige Leben spielen soll, sind doch gar nicht irgendwie vergleichbare Mittel für ein Erinnerungsleben da. Wozu wäre denn unser sorgfältig, fein und kunstreich ausgebautes Gehirn, wenn seine Einrichtung nicht zum Zustandekommen und der Aufbewahrung der Erinnerungen, überhaupt zur Unterlage eines entwickelten Seelenlebens gebraucht würde. Nun soll es gar ein höher und reicher entwickeltes Erinnerungsreich sein, in das wir mit dem Tode eintreten, indes uns damit nur die Mittel zum jetzigen, engeren, niederen entzogen werden.

    Aber ich meine, so fein und sorgfältig ein Gehirn ausgebaut sein mag, ist doch eine, durch Kirche, Staat, Wissenschaft, Kunst, Handel und Gewerbe, geselliges und Familienleben ausgebaute Welt, durch die taufend und abertausend Straßen, Wagen, Schiffe, Bücher, Briefe, Worte gehen, eine viel reicher und höher entwickelte Organisation als ein einzelnes Gehirn, indem sie zugleich alle Gehirne und Erinnerungsmittel der Gehirne selbst einschließt. Ein Gehirn aber hat eben nur dieselbe Bestimmung, als der Same, aus dem feineren Bau einen größeren, reicheren unter Preisgebung des engeren in den größeren hineinzutreiben. Denn was jeder mit diesseitigem Bewußtsein zum Ausbau dieser größeren Organisation beigetragen, wird er mit jenseitigem Bewußtsein daran haben und unter den allgemeineren und weiteren Bedingungen des Jenseits weiter entwickeln.

    Auch das aber darf uns nicht irren, daß solchergestalt unzählige Verstorbene an denselben Einrichtungen und Wirkungen, zu denen sie gemeinsam beigetragen, auch gemeinsam teilhaben werden; ein jeder hat doch in anderm Sinne, von andrer Seite, nach andrer Richtung sein Teil daran, und in jedem faßt sich die Gesamtheit davon in andrer Weise zusammen. Ja nur auf solche Weise wird vorstellbar, wie so Unzählige, die nacheinander in das Jenseits hineingeboren werden, miteinander Platz haben. Dieselbe Welt ist aller gemeinsames Eigentum, aber eines jeden in andrer Weise, anderm Sinne als des andern.

    Widerstrebt es uns endlich, statt der umgrenzten anschaulichen Form des jetzigen Leibes und die Untertage des künftigen Lebens ohne bestimmte Umgrenzung, hiermit für die An-schauung unfaßlich zu denken, so könnte es ja sein, daß das, was im Diesseits als Mittel gegenseitiger Erkennung, gegenseitigen Verkehrs und Erweckungsmittel von Empfindungen der Schönheit und der Liebe geschätzt wird, im Jenseits diesen Wert verlöre und um den Preis höherer Vorteile verloren ginge, welche in den Mitteln eines unmittelbareren und vielseitige-ren Verkehrs und den darin liegenden Bedingungen wertvolle Gefühle gesucht werden können. Aber ich halte es, wie schon früher kurz berührt, für wahrscheinlicher, daß der Verlust selbst, den man besorgt, nicht eintritt, sondern auch in dieser Beziehung, was diesseits Verloren scheint, sich jenseits erweitert und gesteigert wiederfindet; indem ich wie immer vom Diesseits auf das Jenseits schließe. Hierzu aber steht folgender Gesichtspunkt zu Gebote.

    Die körperlichen Vorgänge, welche der Erinnerung an die Gestalt eines Lebenden oder Verstorbenen im Gehirn unterliegen, können diese Gestalt selbst nicht mehr haben; vielmehr läßt sich der Grund, daß sie uns die betreffende Gestalt noch spiegeln, nur darin suchen, daß sie, vielleicht vorlängst, von einem Bilde im Auge ausgegangen sind, was diese Gestalt hatte, und in dem Zusammenhange und der Ordnung fortgehen, welche die Ausgangspunkte hatten3). Und zwar erhält sich die Form des Bildes in der Erinnerung noch fort, trotzdem, daß durch denselben Gesichtsnerven unzählige Bilder einstrahlen, also die Nachwirkungen davon, auf denen die Erinnerungen ruhen, durcheinander greifen. Es bedarf nur, um aus dem Gemisch dieser Nachwirkungen die Erinnerung an eines dieser Bilder vor den andern im Bewußtsein hervorzuheben, einer absichtlichen Richtung des Willens und der Aufmerksamkeit oder eines unwillkürlichen Anlasses im Gange unsrer Assoziationsvorstellungen, oder einer äußeren Anregung dazu. Unbegreiflich, kann man sagen, dies Vermögen, die allerverschiedensten Erinnerungen besonders zum Bewußtsein zu bringen, da sich doch deren Bedingungen im Gehirn mischen 4). Aber das Faktum besteht in uns, und so wird auch ein gleich unbegreiflich scheinendes Faktum nach Analogie mit jenem und Fortschluß von jenem darüber hinaus bestehen können. Denn was hat uns für diesen Fortschluß die Unbegreiflichkeit der Sache zu kümmern, wenn sie als Tatsache besteht.

3) Daß diese Vorgänge sich trotz ihrer räumlichen Forterstreckung in die Gestalt des ursprünglichen Bildes zusammenziehen, hängt unstreitig an dem, im 22. Abschnitt aus allgemeinerem Gesichtspunkt zu besprechenden und zu begründenden synechologischen Prinzip. Schon die Anschauung, welche das Bild im Auge gewährt, hängt hiernach nicht bloß an den Punkten der Netzhaut, auf denen das Bild sich malt, sondern der ganze Schwingungszug, der von einem Punkt der Netzhaut nach Innen geht, zieht sich synechologisch in die Erscheinung des Ausgangspunktes zusammen, und gibt in Verbindung mit den von dem nachbarlichen Punkten ausgehenden Strahlungen die Erscheinung des ganzes Bildes, von den Zentralpunkten an aber weiter durch das Gehirn strahlend die Erinnerung des Bildes. Wenigstens scheint mir dies bis jetzt die wahrscheinlichste psychophysische Repräsentation des Herganges zu sein.

4) Die Begreiflichkeit würde nichts damit gewinnen, daß man die Erinnerungen der materiellen Bedingtheit ganz entzogen dachte; indem man dann mystische Eigenschaften des Geistes zur Repräsentation derselben Tatsachen in Anspruch zu nehmen hätte. Übrigens widersprechen Erfahrungen einer Loslösung der Erinnerungen von der materiellen Bedingtheit. Einige Anhaltspunkte, um der Vorstellbarkeit dieser Verhältnisse zu Hilfe in kommen, sind im 2. Zusatz am Schlusse besprochen.
 
 

    In der Tat werden wir uns hiernach denken können, daß die Ausstrahlungen, die von unsrer sichtbaren Gestalt während des Lebens in Verbindung mit den übrigen Fortwirkungen desselben ausgegangen sind, für diejenigen, welche im jenseitigen Reiche sind, immer noch die frühere Gestalt spiegeln, wenn entsprechende Anlässe, sie ins Bewußtsein treten zu lassen, eintreten, als auch im diesseitigen Leben zur bewußten Erinnerung an bestimmte Gestalten gehören. Sowenig es in uns diesseits nötig ist, um eine bestimmte Gestalt in die Erinnerung zu rufen, daß ein beschränktes materielles Bild von dieser Gestalt und ein materielles Auge noch dazu da sei - es genügt, daß erforderliche Nachwirkungen und Anlässe ihrer besonderen Rückrufung in uns da sind -, wird es im jenseitigen weiteren Erinnerungsreiche sein. Die Geister werden sich in ihrer früheren Gestalt erblicken können, ohne ein beschränktes materielles Auge dazu zu haben, wenn sie die Absicht darauf richten oder in ihrem Verkehr unwillkürlichen Anlaß dazu finden. Jetzt kann eine Wand oder die räumliche Ferne hindern, daß ich den andern sehe. Schranken der Art gibt es im jenseitigen Erinnerungsreiche nicht mehr; sozusagen luftig kann die jenseitige Gestalt augenblicks jetzt hier, jetzt da erscheinen, wo sie durch einen demgemäßen Anlaß heraufbeschworen wird; pflegt man sich doch ohnehin schon die Erscheinungen der jenseitigen Geister so zu denken. Doch wird es sowenig an Schranken überhaupt im jenseitigen als diesseitigen Erinnerungsreiche fehlen; locken sich doch in diesem Erinnerungen von selbst nur unter Wahrung von Assoziationsgesetzen hervor; und mit den psychologischen Gesetzen des Diesseits in dieser wie aller Hinsicht werden die des Jenseits zusammenhängen und soweit zusammenstimmen, als die Bedingungen beiderseits zusammenstimmen.

    Nun kann man fragen: aber die menschliche Gestalt ändert sich von der Jugend zum Alter; die Gesichtszüge ändern ihren Ausdruck, heut ist die Gestalt so und morgen so bekleidet. Welche Gestalt, welches Kleid wird die Erscheinung im Jenseits anziehen. Die Antwort ist sehr einfach: nach Umständen jede, nur nicht alle auf einmal, wie ja dasselbe von den Erinnerungen an die wechselvolle Gestalt und Kleidung eines Menschen schon im Diesseits gilt; auch wird sie nicht unverändert zu bleiben brauchen; schon diesseits ändern sich Erinnerungsgestalten und werden durch Einflüsse der Phantasie verändert.

    Zur Erläuterung will ich ein anmutiges Geschichtchen wiedererzählen, was mir von meinem, nun längst verstorbenen, Freunde S. H. T. Müller, zuletzt Direktor der Realschule in Wiesbaden, erzählt worden ist, ohne zu hindern, daß man in der Erscheinung, von welcher darin die Rede, nur eine subjektive Halluzination sehe, obwohl sich auch noch mehr darin sehen ließe.

    Als Müllers Großmutter starb, war ihre Tochter, seine Mutter, nicht bei deren Tode gegenwärtig, und konnte gar nicht ruhig darüber werden, daß sie dieselbe nicht noch ein letztes Mal gesehen; der Gedanke daran quälte sie Tag und Nacht, und sie ging, wie man zu sagen pflegt, darüber fast ein. Einmal nachts nun, als sie ganz wach im Bette aufsaß, und der Wunsch, ihre Mutter doch noch einmal vor ihrem Dahinscheiden gesehen zu haben, sich wieder ihrer ganzen Seele bemächtigte, sah sie plötzlich eine Lichterscheinung vor sich, aus der alsbald die Gestalt einer jungen Person heraustrat, die sie anfangs gar nicht erkannte. Bald aber ward ihr klar, so müsse ihre Mutter in ihrer höchsten Jugendblüte ausgesehen haben. Kaum war ihr dieser Gedanke zum vollen Bewußtsein gekommen, so verschwand die Gestalt des jungen Mädchens; aber bald trat an seine Stelle die Erscheinung ihrer Mutter, wie sie als Kind dieselbe wirklich gesehen, und diese Erscheinung machte noch einer dritten Platz, wo sich ihre Mutter so darstellte, wie sie war, als sie dieselbe zum letzten Male gesehen. Dann aber verschwand alles und es ließ sich keine erneute Erscheinung hervorrufen. Von Stunde an wurde die Mutter ruhig und genas vollständig wieder zu frischem Leben.

    Geschichten von Geistererscheinungen gibt es bekanntlich in Menge, auch Sammlungen von solchen und Zweifel an solchen genug. Ohne mich hier im einen oder andern Sinne darauf einzulassen, will, ich zur vorigen Geschichte beispielsweise nur noch eine, als einer besonders zuverlässigen Quelle entstammend, fügen, und zwar vielmehr um eine, diese Art von Erscheinungen betreffende, Frage daran zu knüpfen, als sie auch zu entscheiden. Dr. Rüte, als Professor der Augenheilkunde in Leipzig gestorben, ein Mann, der bei einer ganz rationalistischen Geistesrichtung sonst gar nicht zum Glauben an mystische Dinge geneigt war, sagte mir einmal, es sei ihm doch selbst folgendes, was diesen Charakter trage, begegnet.

    Als er noch in Göttingen war, behandelte er zwei Damen, die beide an der Schwindsucht litten. Sie standen in keiner persönlichen Beziehung zueinander, aber die, durch ihren gemeinsamen Arzt vermittelte, Kenntnis von ihrem gleichen Leiden hatte sie ein gegenseitiges Interesse aneinander fassen lassen; sie erkundigten sich beim Arzte gegenseitig nach ihrem Befinden und grüßten sich, wenn sie sich begegneten. Allmählich verschlimmerte sich der Zustand beider, und als Rüte eines Morgens zu der einen kam, war sie unmittelbar vorher verschieden. Nach kurzer Besprechung mit den Angehörigen begab er sich sofort zu der andern Kranken, deren Angehörige er in der größten Aufregung fand. Die Patientin hatte nämlich soeben die Erscheinung der Verstorbenen gehabt, welche ihr zuwinkte, was sie als Zeichen ihres nahen Todes ansah, der auch bald erfolgte.

    Unstreitig nun bieten Erscheinungen dieser Art an sich selbst keine Mittel dar, zu entscheiden, ob sie aus dem Gehirn der diesseits Lebenden durch eine abnorme Wirkung der Einbildungskraft sozusagen in die Außenwelt hinaus projiziert, oder aus der Außenwelt durch abnorm wirkende Gründe des Jenseits hinein projiziert sind, oder ob etwa beides ineinander läuft oder bedingungsweise zusammenhängt; es fehlt uns eben noch die Theorie solcher Abnormitäten, was sie jedenfalls sind; wollen wir aber einen Anhalt im Vergleich des großen mit dem kleinen Erinnerungsreiche suchen, so dürfen wir nicht vergessen, daß in unserm kleinen Reiche nicht bloß Erinnerungen an wirkliche vorhanden gewesene Gestalten, sondern auch Phantasiegebilde, die sich aus mancherlei Erinnerungen zusammengewebt haben, vorkommen, ja ganze Geschichten romanhaft erdacht werden können. Und das läßt von vornherein daran denken, daß auch Trug- und Luggebilde als Geistererscheinungen abnormalerweise in das Diesseits hineinspielen und dasselbe mit trügerischen und lügnerischen Vorspiegelungen äffen können.

    Tatsachen der vorigen Art, wenn man sie überhaupt als solche gelten läßt, hängen mit einem großen Gebiete andrer Tatsachen, die als solche geltend gemacht werden, den sogenannten spiritistischen, zusammen, oder bilden vielmehr selbst einen Teil derselben, worauf noch in einem der letzten Abschnitte (XXIII) zurückzukommen sein wird; nicht minder tritt das sog. somnambule Gebiet mit in diesen Kreis hinein, worüber hier noch einige Bemerkungen folgen.

    Insofern der zum jenseitigen Erwachen bestimmte Lebenskreis des Menschen mit dem diesseitigen schon jetzt zusammenhängt, ließe sich denken, daß mitunter oder abnormerweise schon während des Jetztlebens das Wachen von dem einen auf den andern übergreift, und es liegt um so näher, das somnambule Wachen unter diesen Gesichtspunkt zu fassen, wie auch schon sonst vielfach geschehen ist, als während desselben die meisten Organe des gewöhnlichen Wachens tief schlafen. Nur kann man kein reines Erwachen im Jenseits darunter sehen, sondern eben nur ein zwischen Diesseits und Jenseits übergreifendes, da der somnambule ja doch faktisch auch noch im Diesseits fortlebt und sich der diesseitigen Verkehrsmittel mit andern bedient. Mit so manchem andern, was jedem leicht beifällt, ohne daß ich es hier berühre, um nicht Angezweifeltes unter Tatsächliches zu mischen, würde sich aus solchem Übergreifen erklären, daß man im somnambulen Wachen sich dessen erinnert, was im gewöhnlichen, sowie einem früheren somnambulen Wachen in und mit uns geschehen ist, aber im gewöhnlichen nicht dessen, was im somnambulen; denn das Spätere kann sich des Früheren, aber nicht umgekehrt erinnern; der Inhalt des jenseitigen Lebenskreises aber ist die Folge des jetzigen, nicht umgekehrt.

    Hieran ließe sich dann weiter der Gedanke knüpfen, ob nicht die meist so seltsamen Träume des gewöhnlichen Schlafes schon einem Hineinspiel aus dem Jenseits ihren Ursprung verdanken, ferner ob nicht im Schlafe überhaupt schon ein um so helleres, der Erinnerung im Diesseits aber hiermit um so weniger zugängliches Erwachen des Jenseits stattfindet, je tiefer der Schlaf ist; Schlaf und Wachen des Diesseits also mit Wachen und Schlaf des Jenseits zusammenhinge, der Tod aber nur der Punkt wäre, von wo an die Möglichkeit der Rückkehr in das diesseitige Wachen überhaupt aufhörte. Aber wer will diese Fragen entscheiden; also lassen wir uns auch nicht näher auf die fraglichen Möglichkeiten in dieser Hinsicht ein.

    Was gegen die Ansicht, daß das somnambule Wachen schon als ein partielles Erwachen für das Jenseits anzusehen, geltend gemacht werden kann, ist, daß man zwar oft genug von somnambulen über die Zustände im Jenseits Angaben, aber wenig untereinander stimmende, im allgemeinen von phantastischem Charakter, und die von den diesseits laufenden Vorstellungen bald nach dieser oder jener Seite beeinflußt scheinen, erhalten hat. Inzwischen darf man dabei nicht übersehen, einmal, daß die dem Diesseits fremden Verhältnisse des Jenseits überhaupt nicht leicht in Ausdrücken des Diesseits zu schildern sein möchten, teils, daß die Angaben darüber mit den verschiedenartigen Vorstellungen, die vom Jenseits diesseits umlaufen, mehr oder weniger durchsetzt sein können, weil ja am somnambulen Wachen selbst das diesseitige noch Anteil behält. Also können Vorstellungen aus einem in das andre Gebiet hineinspielen, und wird man aus Angaben unter solchen abnormen Verhältnissen keine brauchbaren Schlüsse über das eine oder andre Gebiet für sich ziehen können. In der Tat kehre man es um, und frage, ob man aus Angaben der Somnambulen über die Verhältnisse des Diesseits, insoweit solche aus dem somnambulen Zustande selbst (nicht aus Erinnerungen an das gewöhnliche Wachen) geschöpft sind, reine übereinstimmende, zutreffende Erkenntnisse über die Verhältnisse des Diesseits erhalten würde: gewiss nicht.

Erläuterung zu Kap. V. 5

    Eine Bewegung kann beim Übergange aus einem Medium in ein andres neue Mitbestimmungen teils dadurch erfahren, daß sie sich selbst zu größerem oder kleinerem Teile in eine andre Form der Bewegung umsetzt, teils sich mit den Bewegungen, die sie im andern Medium antrifft, zusammensetzt. So setzt sich die Bewegung des Hammers beim Schlag auf den Amboß großenteils in Erzitterungen des Amboß um, die sich von ihm aus weiter fortpflanzen, der ganze Amboß aber gerät auch dabei in eine Bewegung in Richtung des Schlages, wodurch sich die Stoßwirkung auf den Boden fortpflanzt. Umgekehrt setzen sich die unmerklich kleinen Wärmeschwingungen des Dampfes im Dampfkessel zum Teil in die größeren sichtbaren Bewegungen des Stempels und den Lauf der ganzen Maschine um, ohne sich doch darin zu erschöpfen. Letzterem Falle analog nun setzen sich die feinen Nervenschwingungen, die unser geistiges Leben tragen, im Akt des Willens zum Teil in Muskelzusammenziehungen um, die in unsern Handlungen nach außen greifen, ohne sich aber darin zu erschöpfen, indem sie sich physiologisch nachweislich zum Teil auch in Erzitterungen der Muskeln selbst fortsetzen, die sich bei den, durch Muskelzusammenziehung hervorgebrachten, äußeren Bewegungen unstreitig mit nach außen übertragen; denn was hielte sie davon zurück. Abgesehen davon aber müssen, selbst wenn der Mensch stillsitzend nachdenkt oder träumt, die feinen Nervenschwingungen, welche den geistigen Vorgängen unterliegen, stetig, still und unsichtbar sich in der Periodizität, Zusammensetzung und Auseinanderfolge, wie sie innerlich entstehen, über den Menschen hinaus fortpflanzen; denn sowenig eine Wärme- oder Schallschwingung sich in eine Kapsel einsperren läßt, sowenig irgendeine Art der Schwingung; auch wäre es seltsam, nachdem doch die Bewegungen des Festen, Flüssigen und Luftförmigen, die wir in ihren Wegen durch den Körper verfolgen können, eben nur einen Durchgangspunkt im Menschen finden. Sollten die Schwingungsbewegungen, sei es des Wägbaren oder Unwägbaren, die wir nicht mehr darin verfolgen können, darin eingesperrt bleiben, wir werden sie eben auch nur nicht darüber hinaus verfolgen können. Was aber die größeren Bewegungen anlangt, die in unsern willkürlichen Handlungen nach außen greifen, so werden dadurch Wirkungen und Werke mannigfacher Art erzeugt, die nicht minder ihrer Entstehungsweise, ihrem Zusammenhange und ihrer Auseinanderfolge nach von der Entstehungsweise, dem Zusammenhange und der Auseinanderfolge der ursächlichen Bewegungen in uns selbst abhängen, als die unsichtbar sich über uns hinaus fortpflanzenden Bewegungen, und solchergestalt im Zusammenhange mit diesen beitragen, den Menschen unter Erhaltung seines Charakters sozusagen in die Außenwelt zu übersetzen, und neuen Mitbestimmungen durch dieselbe darzubieten.

Zusatz zu Kap. XII.
    So rätselhaft die Fähigkeit erscheint, die verschiedensten Erinnerungen besonders zum Bewußtsein zu bringen, ungeachtet sich deren Bedingungen im Gehirn mischen, läßt sich doch in folgendem Hinweis eine Art anschaulicher Anhalt für die Möglichkeit davon gewinnen; ohne daß freilich deshalb von einer Erklärung zu sprechen ist.

    Denken wir an jene überseeischen Briefe, wie man solche mitunter bekommt, die nicht bloß nach der Quere der Blätter, sondern mit rechtwinklig darauf gesetzten Zeilen auch nach der Länge derselben, ja wohl gar noch in der Diagonale beschrieben sind, um durch Ersparung von Raum den Brief zu erleichtern. Die Zeilen greifen hier durcheinander, wie wir uns denken, daß die den Erinnerungen unterliegenden Vorgänge durcheinander greifen, nur daß die Zeilen hier voraussetzlich durch Wellen-Züge von Oszillationen und Einrichtungen zur Hervorrufung von solchen vertreten werden. Nun ist bei den Briefen ein bis zu gewissen Grenzen, freilich nur bis zu solchen, ungestörtes Verfolgen der Zeilen nach Quere, Länge und in der Diagonale möglich, wenn man die Aufmerksamkeit diese Wege gehen läßt; was aber die Aufmerksamkeit äußerlich kann, kann sie auch innerlich. Natürlich wird das Lesen der Briefe erleichtert, wenn man die verschieden gerichteten Zeilen mit verschiedenfarbiger Tinte schreibt, und noch mehr würde es der Fall sein, wenn man die einen mit deutschen, die andern mit lateinischen, die dritten mit griechischen Buchstaben schriebe; entsprechende Unterschiede stehen aber auch den Wellenzügen in der verschiedenen Periode und Form ihrer Schwingungen zu Gebote. Unter Zuziehung solcher Unterschiede aber läßt sich auch denken, daß selbst Züge von Schwingungen, welche dieselben Wege verfolgen, unterschieden werden können, und natürlich wird man überhaupt dieses Prinzip unsäglich entwickelter in unserm Gehirn als in einem Briefe anzunehmen haben.

    Man kann einwenden, daß wir eine zusammengesetzte Farbenschwingung, die von einem gegebenen Punkte der Netzhaut nach Innen strahlt, weder in der Anschauung noch Erinnerung durch Aufmerksamkeit in ihre Komponenten zerlegen können. Aber diese Tatsache kann die ebenso gewisse Tatsache nicht ungültig machen, daß ich in der Erinnerung das Bild der sixtinischen und der holbeinischen Madonna und unzählige andre Bilder, die durch dieselben Nervenfasern eingedrungen sind, trennen, d. h. wechselnd eins um das andre ins Bewußtsein rufen kann. Worin liegt nun der Unterschied beider Fälle? Faktisch darin, daß Farbenschwingungen, die von denselben Netzhautpunkten aus nacheinander durch dieselben Nervenfasern gehen, auch nacheinander durch Erinnerung wieder in Bewußtsein treten können, indes solche, die zugleich von denselben Netzhautpunkten verlaufen, auch nur zugleich, und mithin ununterschieden in die Erinnerung treten können. Da aber doch auch erstenfalls die Nachwirkungen der später eingetretenen Farbenschwingungen in die der früher eingetretenen noch fortbestehenden hineinfallen müssen, bleibt im verschiedenen Erfolge beider Fälle immerhin etwas rätselhaftes.

    Die Wirkung der Aufmerksamkeit anlangend, so läßt sich in einem durchgeführten psychophysischen System auch für diese eine psychophysische Repräsentation finden; aber es ist nicht nötig, hier darauf einzugehen, da es sich hier nur um die Tatsache der Wirksamkeit der Aufmerksamkeit überhaupt handelt.